Kitabı oku: «Emmas Sommermärchen», sayfa 2
11. Juni 2006, am Abend
Hamburg
Emma, Carla und Chris saßen zufrieden auf Chris´ Terrasse. Sie hatten sich indisches Essen bestellt, gegessen, viel geredet und genossen den lauen Sommerabend.
»Herrlich.« Emma lehnte sich in ihrem Stuhl zurück und schaute in den Himmel. »Meine nächste Wohnung muss unbedingt unterm Dach liegen.«
»Wenn du dich entscheidest, mit Marco zusammenzuziehen, könnte sich dein Wunsch sehr schnell erfüllen«, meinte Carla und zwinkerte ihrer Schwester zu.
Emmas Gesicht verdunkelte sich.
»Was ist denn so schlecht an diesem Marco?«, mischte sich Chris in das Gespräch ein.
»Gar nichts!«, rief Emma. »Er ist schon sehr.... lieb..... »
»Na, das klingt ja super.« Chris zog eine Augenbraue hoch. Carla grinste.
»Wie lange seid ihr zusammen? Eineinhalb Jahre? Und da fällt dir nicht mehr ein als »er ist sehr lieb«! Das klingt nicht sehr begeistert. Nach eineinhalb Jahren, in denen ihr auch nicht rund um die Uhr zusammen wart, solltest du jetzt eigentlich vor Sehnsucht vergehen und die Stunden zählen, bis du deinen Marco wieder in die Arme schließen kannst.«
»Chris hat sehr romantische Vorstellungen von der großen Liebe«, meinte Carla. »Die decken sich nicht unbedingt mit der Realität.«
»Meine Eltern sind bis heute sehr glücklich und sie sind schon seit fünfunddreißig Jahren zusammen. Klar, manchmal kracht es auch, aber meine Mutter hat mir gesagt, wenn es der Richtige ist, dann gibt es immer wieder Momente, in denen man sich plötzlich wieder in den Partner verliebt. Ich glaube meiner Mama.« Chris schaute entrüstet zu Carla.
»Das ist eine schöne Vorstellung«, seufzte Emma. »Ich freue mich ja auch auf Marco. Vielleicht merkt man das nicht so, weil ich mir auch überlegen muss, wo ich arbeiten oder ob ich den Master machen möchte. Das sind schwerwiegende Entscheidungen .... he ... hört auf zu lachen!«
Carla und Chris prusteten und hielten sich die Bäuche.
»Entschuldige, aber das hat doch mit deiner Beziehung nichts zu tun. Entweder man freut sich oder eben nicht. Man kann doch über seinen weiteren beruflichen Werdegang nachdenken und trotzdem verliebt sein. Aber du wirkst nicht besonders verliebt.« Chris beugte sich vor und kniff Emma freundschaftlich in die Wange.
»Gestern hat sie behauptet, die Handyverbindung wäre schlecht, nur weil sie nicht weiter mit Marco telefonieren wollte«, warf Carla ein.
»Vielleicht hatte ich bloß keine Lust, in einem überfüllten Biergarten im Beisein meiner lauschenden Schwester mit meinem Freund zu sprechen«, blaffte Emma zurück.
Chris zog die Augenbraue hoch. »Themenwechsel! Carla, wie lange möchtest du dich denn noch von Frau Hagen tyrannisieren lassen?«
Carla zuckte zusammen. »Du kommst dir wohl sehr witzig vor, was?«, zischte sie. »Erzähl doch lieber mal von deiner neuen Eroberung.«
»Das geht schnell. Er heißt Marcel, ist vierunddreißig, Personal Trainer und sieht auch genauso aus: hinreißend und durchtrainiert.« Chris griff nach seinem Weinglas und machte ein sehr zufriedenes Gesicht.
»Ich habe Angst vor Frau Hagen. Wegen ihr habe ich keine Lust, zur Arbeit zu gehen. Das ist mir noch nie passiert, ich bin immer gerne arbeiten gegangen. Aber jetzt nicht mehr.« Carlas Stimme war leise und brüchig. Emma hatte ihre Schwester noch nie so gesehen, unglücklich, zerbrechlich und blass. Sie war immer stark gewesen, war unbeirrbar ihren Weg gegangen. Emma lehnte sich vor und strich Carla über den Rücken.
»Und wenn du das Volontariat abbrichst? Du könntest woanders eins machen.«
»Das will ich nicht!«, rief Carla. »Ich möchte es bei »Schiller & Tegenkamp« schaffen. Das ist eine der angesehensten Agenturen.«
»Das stimmt wohl«, bestätigte Chris. »Frau Hagen ist schon sehr speziell. Ich bin froh, dass ich nicht in ihrer Abteilung gelandet bin. Aber du schlägst dich doch sehr gut.«
»Wahrscheinlich hasst sie mich genau deswegen. Ich bin noch nie in ihrer Gegenwart in Tränen ausgebrochen, ich bin immer ruhig und gefasst, korrigiere meine Texte wieder und wieder, wenn sie es verlangt. Ich hatte eigentlich gedacht, es wird irgendwann besser. Aber es wird eher immer schlimmer. Deswegen lasse ich dich ja vorher schon immer Korrekturlesen. Welcher Redakteur macht denn so was?«
»Deine Texte sind sehr gut. Daran liegt es nicht. Frau Hagen ist einfach eine verbitterte Frau, die gerne junge Volontäre piesackt.« Chris gähnte.
»Lass uns nach Hause gehen«, meinte Carla zu Emma. »Ich muss morgen auch früh raus, mich von Frau Hagen zusammenstauchen lassen«. Sie grinste und Chris nahm sie in die Arme.
»Du bist gut, das weißt du. Wenn sie dich ärgert, kommst du mich besuchen, okay?« Chris reichte Emma die Hand. »Es war sehr schön, dich endlich kennengelernt zu haben. So einen Abend müssen wir bald wiederholen, ich muss doch auch unbedingt erfahren, wie es mit dir und Marco weitergeht.« Er grinste und Carla giggelte los.
»Macht euch nur lustig. Ihr seid ja bloß neidisch, dass ich mich morgen früh nochmal umdrehen kann, wenn ihr müde im Büro hockt.« Emma griff nach ihrer Tasche und schaute noch einmal in den Sommerhimmel, bevor sie sich mit Carla auf den Weg nach Hause machte.
12. Juni 2006
Hamburg
Die Sonne schien ins Zimmer. Emma hatte lange geschlafen und saß jetzt an ihrem Laptop, um sich über ihren weiteren beruflichen Weg schlauzumachen. Sollte sie noch den Master machen oder sich bewerben? Es gab einige Stellen für Garten- und Landschaftsplanerinnen und Emma überlegte, einfach ein paar Bewerbungen abzuschicken. Das hieß ja noch lange nicht, dass sie die Stelle auch bekam. Oder annehmen musste. Emma lehnte sich in ihrem Schreibtischstuhl zurück und schaute auf das Bild ihrer Eltern, welches vor ihr an der Wand hing.
»Ach Mama«, seufzte sie. »Wenn ich doch nur mit dir reden könnte.«
In dem Moment klingelte das Telefon. Emma hüpfte in den Flur, nahm den Apparat aus der Station und meldete sich.
»Hallo Emma, schön dich zu hören«, schallte ihr die Stimme ihrer Tante entgegen. Doris war die große Schwester ihres Vaters Michael. Im Gegensatz zu Michael hatte sie aber eine sehr laute Stimme. Emma hielt den Hörer ein wenig von ihrem Ohr weg.
»Hallo Doris, schön dass du anrufst. Wie geht es dir?«
»Mir geht es sehr gut. Wie war dein Praktikum? Hast du viele schöne Gärten gesehen? Ich gucke ja immer so gerne Rosamunde Pilcher Filme, da ist die Landschaft so schön.« Doris seufzte und Emma nutze die Gelegenheit, um ihrer Tante ein wenig von den schönen Gartenanlagen zu erzählen, die sie gesehen und in denen sie zum Teil sogar selber gearbeitet hatte.
»Ich habe viele Bilder gemacht. Wenn wir uns treffen, dann zeige ich sie dir. Die gefallen dir bestimmt«, sagte Emma.
»Vielleicht sehen wir uns früher, als du denkst. Es gibt ein Problem mit dem Haus eurer Eltern. Das Dach ist undicht. Und Familie Schuster möchte den Mietvertrag kündigen. Sie möchten nun doch zu seiner Mutter in das große Haus ziehen.«
Emma, die während des Gesprächs in der Wohnung herumgelaufen war, musste sich erst einmal setzen.
»Familie Schuster möchte ausziehen? Aber das ist ja .... schrecklich ......«, stotterte Emma in den Hörer.
Nach dem Tod ihrer Eltern hatten Emma und Carla überlegt, was sie mit dem Haus machen sollten. Natürlich hätten sie es verkaufen können, aber sie hingen beide an ihrem Elternhaus. Die Lösung kam in Gestalt von Nele und Thomas Schuster, einem jungen Paar, welches bei Doris in der Nachbarschaft lebte. Nele hatte gerade erfahren, dass sie mit Zwillingen schwanger war, und die beiden wollten sich vergrößern. Emma und Carla boten den beiden ihr Elternhaus zur Miete an, so blieb es weiterhin in ihrem Besitz, stand aber nicht leer. Dass die beiden nun ausziehen wollten, betrübte Emma sehr.
»Doris, ich muss das erst einmal verarbeiten und nachher mit Carla besprechen. Ich melde mich morgen noch mal bei dir, okay?« Dann kam ihr ein Gedanke. Sie hatte frei, es gab keinen Grund, warum sie nicht nach Hause fahren und sich das Ganze selber ansehen sollte. Sie hatte Doris schon lange nicht mehr gesehen und ihre Oma Käthe würde sich bestimmt auch über einen Besuch freuen. Ganz nebenbei könnte sie dann noch ein wenig über ihre Zukunft mit Marco nachdenken. Es war zwar etwas feige, sich nun einfach aus dem Staub zu machen, aber momentan erschien ihr die Idee sehr reizvoll. Außerdem vermisste sie ihre Heimat und das Meer. Ein wenig Urlaub könnte sie sich ruhig mal gönnen.
»Doris, ich komme nach Möwenburg. Ich spreche aber noch mit Carla, vielleicht hat sie Zeit und begleitet mich für ein Wochenende. Ich melde mich noch und gebe dir meine Reisedaten durch.«
»Das ist ja schön, ich freue mich sehr, euch mal wieder zu sehen. Dann sprich mit Carla und melde dich dann noch mal. Bis morgen.« Emma verabschiedete sich noch und legte dann auf.
Sie saß noch eine Weile einfach nur da. Warum war sie nicht schon früher darauf gekommen? Nach dem Studium und dem Praktikum nach Möwenburg zu fahren, das war ihre erste gute Idee seit Langem.
Währendessen saß Carla an ihrem Schreibtisch und schaute auf ihren Text, den Frau Hagen ihr, wie erwartet, mit vielen roten Anmerkungen zurückgemailt hatte. Die Änderungen kamen Carla ziemlich willkürlich vor. Sie druckte sich den korrigierten Text aus, schnappte sich die Blätter und rauschte aus dem Büro, verfolgt von den erstaunten Blicken von Frau Zeisler, Frau Hagens rechter Hand, mit der sie sich ein Büro teilte.
Carla ignorierte den Fahrstuhl, der ihr immer zu lange brauchte, und sprang die Treppe hinauf. Chris hatte sein Büro zwei Etagen über ihr. Sie lief den Gang entlang, klopfte an seine Bürotür und trat ein, nachdem sie dazu aufgefordert wurde. Aber in dem Büro saßen nur zwei Kollegen von Chris, von ihm keine Spur.
»Chris hat einen Termin außer Haus, der kommt heute nicht mehr rein«, klärte sie sein Kollege auf.
»Oh, danke schön, dann komme ich morgen wieder«, sagte Carla und verließ das Büro. Und jetzt? Sie fühlte sich entsetzlich einsam. Sie wollte nicht wieder in ihr Büro, in dem sie mit niemandem reden konnte und nur gepiesackt wurde. Dort gab es nur Frau Hagen, Frau Zeisler und sie. In einem weiteren Raum saßen noch zwei Grafiker, aber zu denen hatte Carla kaum Kontakt. Und mit Frau Zeisler wurde sie auch nicht richtig warm, obwohl sie sich wirklich Mühe gab. Sie konnte sie einfach nicht einschätzen, wusste nicht, inwieweit sie ihr vertrauen konnte.
Carla schaute auf ihre Uhr und beschloss, erst einmal Mittagspause zu machen. Schließlich war es gleich dreizehn Uhr und ihr Magen knurrte schon. Sie lief kurz in ihr Büro, legte den Artikel auf ihren Schreibtisch, nahm ihre Tasche und sagte Frau Zeisler Bescheid, das sie kurz etwas Essen gehen würde. Dann verließ sie das Büro. Dass Frau Zeisler hämisch hinter ihr her grinste, merkte sie nicht.
14. Juni 2006
Hamburg
Emma stand in Barbaras Laden und fertigte ein Gesteck an, als Simone zur Tür hereinkam.
»Hallo Emma! Schön, dich zu sehen. Ich wollte Nina abholen.«
Simone umarmte Emma und gab ihr einen Kuss auf die Wange.
»Nina ist in der Küche, sie hatte Hunger und Barbara hat ihr schnell Eintopf warm gemacht. Ich halte hier so lange die Stellung.«
»Ich habe mich schon gefragt, ob du hier wieder arbeitest«, Simone grinste. »Schließlich hältst du es ohne Blumen doch nicht lange aus.«
»Das stimmt schon, aber ich habe etwas ganz anderes vor«, strahlte Emma. »Ich fahre nach Hause und besuche Doris. Am Freitag geht es los. Carla kommt übers Wochenende mit, obwohl ich sie am liebsten gleich zwei Wochen nach Möwenburg entführen würde. Sie ist so müde und gestresst, dieses Volontariat tut ihr gar nicht gut.«
»Das ist mir auch schon aufgefallen«, meinte Simone. »Sie wirkt sehr abgespannt und nicht besonders glücklich.«
»Wer ist nicht glücklich?«, dröhnte plötzlich Barbaras Stimme durch den Laden.
»Meine Schwester Carla. Sie macht ein Volontariat bei »Schiller & Tegenkamp«, seitdem ist sie ständig müde, hat dunkle Ringe unter den Augen und lächelt fast gar nicht mehr. Ihre Chefin scheint ein richtiger Drachen zu sein.« Emma fuhr sich mit dem Unterarm über die Wange. Ein winziges, grünes Blatt blieb neben ihrem Mundwinkel hängen. Fast wie ein Schönheitsfleck, dachte Simone und streckte die Hand aus, um Emma von dem Blatt zu befreien.
Barbara schaute auf das Gesteck. »Wunderschön, Emma! Das ist eine richtig tolle Kombination, da wäre ich nie drauf gekommen. Das bekommt einen Ehrenplatz im Schaufenster. Aber jetzt sag mal: Warum fahrt ihr nach Möwenburg? Du wolltest mir vorhin davon erzählen, aber wir wurden von Nina unterbrochen.«
»Das Dach ist undicht und unsere Mieter ziehen aus. Das ist wirklich schade, es war so unkompliziert mit ihnen. Wir wissen noch gar nicht, was wir jetzt mit dem Haus machen sollen. Ich würde am liebsten neue Mieter suchen. Ich möchte das Haus nicht verkaufen.« Emma schluckte. Sie griff nach der Gartenschere, um ein paar überstehende Zweige vom Gesteck abzuschneiden. Eine Träne lief ihr über das Gesicht und sie wischte sie zornig mit der freien Hand weg. Sie griff nach dem überstehenden Zweig und schnitt zu. Ein Schmerz fuhr ihr durch die Hand und im nächsten Moment tropfte Blut auf den Tresen. Emma hatte im Überschwang nicht aufgepasst und nicht nur den Zweig erwischt, sondern sich in die linke Hand geschnitten. Verwundert sah sie auf die tropfende Wunde. Es sah richtig tief aus.
»Oh«, mehr kam nicht über ihre Lippen, nur dieser einzige Laut. Barbara rannte zum Verbandskasten und holte ein Verbandpäckchen hervor.
»Passt du noch ein wenig auf Nina auf? Ich fahre Emma ins Krankenhaus. Das ist ein ziemlich tiefer Schnitt, ich fürchte, das muss genäht werden.« Simone griff schon nach ihrer Tasche. »Emma, hast du deine Krankenkassenkarte in deiner Handtasche oder liegt sie oben in eurer Wohnung?«
»Die habe ich immer dabei«, bemerkte Emma und schaute Barbara zu, die ihre Hand verband.
Simone nahm Emmas Tasche, griff nach Emmas gesunder Hand und zog sie mit zu ihrem Auto.
Eine Viertelstunde später parkten sie am Krankenhaus. Der muffelige Pförtner rief Simone noch ein »junges Fräulein, aber eine Parkkarte ziehen, nicht vergessen!«, hinterher, nachdem er ihr die Schranke geöffnet hatte. Simone murrte vor sich hin, während sie am Automaten eine Karte zog, dann ging sie mit Emma zur Notfallambulanz. Dort war es natürlich ziemlich voll. Kein Wunder, um neunzehn Uhr hatte keine Arztpraxis mehr geöffnet. Vor ihnen am Schalter stand ein etwa vierzigjähriger Mann und redete auf die Schwester ein, die hinter einer Glasscheibe saß und etwas genervt wirkte.
»Hören Sie, Sie müssen mich jetzt bitte zu einem Arzt lassen, sonst bin ich zum Anpfiff nicht rechtzeitig zu Hause.«
»Sie müssen schon warten. Wir vergeben hier Termine nach Dringlichkeit, nicht nach irgendwelchen Fußballspielen.«
»Aber das ist doch nicht irgendein Spiel! Das ist die WM! Heute spielt Deutschland!«, der Mann war wirklich verzweifelt. Simone stöhnte.
Die Schwester schaute dem Mann tief in die Augen. »Sie setzten sich jetzt bitte hin, damit ich hier weiter meine Arbeit machen kann. Je schneller Sie sitzen und je ruhiger Sie sich verhalten, desto schneller sind hier alle fertig und Sie kommen nach Hause, zu ihrem Fernseher.« Der Mann trollte sich murrend und Simone konnte endlich mit Emma an den Schalter und ihren Fall schildern.
»Eine tiefe Schnittwunde also«, wiederholte die Schwester, während sie Emmas Krankenkassenkarte durch das Lesegerät zog und auf ihrem Computer tippte. »Blutet es noch stark?«
»Das weiß ich nicht«, antwortete Simone. »Sie hat einen Verband um die Hand. Aber vorhin hat es ganz schön stark getropft.«
»Setzten Sie sich bitte in den Warteraum. Ich hole Sie bald ab. Brauchen Sie Schmerzmittel?«, fragte die Schwester Emma.
Diese schüttelte den Kopf. »Nein, es tut komischerweise gar nicht weh.«
Die Schwester musterte Emma, dann wandte sie sich noch einmal an Simone. »Ich glaube, sie hat einen leichten Schock. Ich schaue mal, dass ich schnell einen Arzt finde, der sich den Schnitt ansehen kann. Setzten Sie sich so lange.«
Simone führte Emma in den Warteraum und brachte ihr einen Becher kaltes Wasser, den Emma gierig austrank.
»Das tut gut«, Emma lächelte Simone an. Dann verzog sie gequält das Gesicht. »Au, Mist, jetzt tut es doch weh.«
»Ich habe mal gehört, dass man, wenn man eine tiefe Verletzung hat, zuerst so geschockt ist, dass man nichts mehr spürt. Aber irgendwann kommt der Schmerz dann wieder.«
»Na toll!«, Emma schaute auf ihre verbundene Hand. »Dann wäre ich jetzt gerne noch im Schockzustand.«
»Ich kann die Schwester ja mal fragen, ob sie eine Schmerztablette für dich hat.«
Simone verließ das Wartezimmer und Emma schaute sich um. Das lenkte wenigstens etwas von dem pochenden Schmerz in ihrer Hand ab. Wie konnte sie auch so blöd sein und sich in die Hand schneiden. So etwas war ihr noch nie passiert. Sie sollte nicht an Pflanzen herumschnippeln, wenn sie über Probleme mit ihrem Elternhaus nachdachte. Ihr gegenüber saß der Fußballfan und tippte etwas in sein Handy, obwohl ein großes Schild im Warteraum darauf hinwies, dass man seine Mobiltelefone ausschalten sollte. Er sah nicht besonders krank aus und Emma fragte sich, was ihm wohl fehlte. Schräg gegenüber in einer Ecke saß ein Vater mit seinem etwa zehnjährigen Sohn. Der Junge hielt seinen Arm fest und erzählte seinem Vater von einem Sturz und dass es im Oberarm komisch geknackt hatte. Emma hörte schnell weg. Neben dem Jungen und seinem Vater war ein Platz frei und daneben saß eine ältere Dame, die sich einen Kühlakku an die Schläfe hielt. Die Dame sah auf und lächelte plötzlich, da bemerkte Emma den älteren Herrn, der sich neben sie setzte und ihre Hand nahm. Er flüsterte der Dame etwas zu, was klang wie »Alles wird wieder gut, Trudchen.«. Emma lächelte. Gerade wollte sie sich umdrehen, um zu schauen, wer noch in der Reihe hinter ihr saß, da kam Simone schon zurück, mit einem weiteren Becher und einer Tablette.
»Hier, die darfst du nehmen, eine Schmerztablette von der Schwester.« Simone reichte Emma die Tablette und den Becher. Eine Ärztin kam und der Fußballfan sprang auf, aber die Ärztin ignorierte ihn und nahm den Jungen mit seinem Vater mit.
»Also, das ist doch.... So eine Frechheit!«, murmelte der Mann vor sich hin.
Simone grinste. «Der sieht doch eigentlich ganz gesund aus«, flüsterte sie Emma zu.
»Ich glaube, der leidet bloß an Fußballfieber.«, bemerkte Emma und beide kicherten.
In dem Moment betraten zwei Ärzte das Wartezimmer. Der Eine ging zu der älteren Dame und ihrem Mann und bat sie, ihm zu folgen. Der Andere, ein sehr gut aussehender, großer, junger Mann, stutzte zuerst, dann lächelte er und ging schnurstracks auf Simone zu. Er strahlte sie an.
»Sind sie Frau Licht? Die Dame mit dem Schnitt in der Hand?«
»Ich bin Frau Müller und habe meine Freundin, Frau Licht, hierher gebracht.« Simone wies auf Emma und lächelte den jungen Arzt verzaubert an. Die beiden hatten nur Augen füreinander. In diesem Moment hatte Emma das Gefühl, hier gerade völlig überflüssig zu sein.
Emma folgte Simone und dem Arzt, der sich als Doktor Jäckel vorgestellt hatte, in das Behandlungszimmer. Ihre Hand schmerzte, aber dieser Arzt hatte sie bis jetzt kaum angesehen. »Hoffentlich schaut er sich meine Hand gleich richtig an und hat nicht nur Augen für Simone«, brummelte Emma vor sich hin.
»So, da wären wir, bitte schön«, sagte Dr. Jäckel und öffnete eine Tür. »Sie können sich dort auf die Liege setzen, und Sie gerne auf den Stuhl daneben.«. Der Arzt rückte Simone einen Stuhl zurecht, aber diese lächelte nur.
»Ich bleibe stehen, danke.«, erwiderte sie und lächelte Dr. Jäckel an. Dieser entfernte den Verband von Emmas Hand.
»Haben Sie den Verband angelegt? Der ist richtig gut« Dr. Jäckel strahlte Simone an.
»Den hat meine .... Freundin.... angelegt«, stotterte Simone und Emma schnaubte.
Dr. Jäckel musterte die Schnittwunde.
»Das ist ziemlich tief. Können Sie die Finger bewegen?« Er zeigte auf jeden einzelnen Finger und forderte Emma auf, abwechselnd damit zu wackeln.
»Es ist gut, dass Sie ihre Finger bewegen können«, bemerkte Dr. Jäckel, während er Simone schon wieder anstrahlte. »Wir können die Wunde kleben, dann kommt noch ein Verband darum und Ende nächster Woche können Sie das von Ihrem Hausarzt nachuntersuchen lassen. Wenn Sie allerdings vorher Probleme haben, können Sie natürlich jederzeit hier vorbei kommen.«
Bei diesen Worten schaute der Arzt schon wieder Simone an.
»Warum nur habe ich das Gefühl, dass ich damit nicht gemeint bin?«, murmelte Emma. Dr. Jäckel verließ kurz das Zimmer, um eine Schwester und das nötige Verbandszeug zu holen.
»Bin ich froh, dass er wenigstens kurz Augen für meine Hand hatte«, Emma grinste Simone an. »Den Verband hat also ein »Freundin« gemacht, aha!« Simone wurde prompt knallrot.
»Es tut mir leid, ich weiß auch nicht,« stotterte sie. »Was hätte ich denn sagen sollen? Meine Schwiegermutter? Dann würde er mich doch nicht mehr anschauen! Was soll ich denn jetzt machen?«
»Wenn du ihn sympathisch findest, dann frag ihn doch, ob er mal etwas mit dir trinken geht.« Emma musterte den Schnitt in ihrer Hand, der immer noch leicht blutete.
»Das traue ich mich nicht«, zischte Simone und verstummte schnell, weil Dr. Jäckel zusammen mit einer Schwester wieder ins Zimmer kam. Er reinigte Emmas Hand und verklebte den Schnitt, dann verband die Schwester die Hand und Dr. Jäckel erzählte noch ein paar Dinge, auf die Emma die nächsten Tage achten sollte. Dabei ließ er Simone nicht aus den Augen.
»Haben Sie eine Tetanusimpfung?«, fragte die Schwester Emma.
»Ja, die wurde erst vor einem Jahr aufgefrischt.«
»Gut, dann sind wir jetzt fertig. Ich wünsche Ihnen gute Besserung. Die Schwester lächelte Emma an und verließ das Zimmer. Kurz bevor sie durch die Tür verschwunden war, steckte sie noch einmal ihren Kopf ins Zimmer.
»Dr. Jäckel? Kann ich Ihnen dann den nächsten Patienten bringen? Da ist ein Herr, der sehr aufgebracht ist wegen des Fußballspiels. Wenn wir ihn noch länger warten lassen, hyperventiliert er.«
»Äh, ja, na gut«, bemerkte Dr. Jäckel zerstreut. Emma hüpfte von der Liege und sah Simone durchdringend an.
»Ich warte dann draußen auf dich!«, sprach sie und beeilte sich, schnell durch die Tür zu kommen, um den beiden noch einen kurzen, ungestörten Moment zu lassen. Am Ende des Ganges sah sie schon den aufgebrachten Fußballfan nahen.
»Hoffentlich tauschen sie wenigstens schnell noch ihre Handynummern aus«, war Emmas letzter Gedanke, bevor der Mann an ihr vorbei ins Behandlungszimmer rauschte. Im selben Moment kam eine selig grinsende Simone aus dem Raum, in der Hand eine Visitenkarte.
»Er hat mich gefragt, ob wir morgen etwas trinken gehen wollen. Oh mein Gott, er sieht so gut aus, oder? Er sieht doch unwahrscheinlich gut aus, findest du nicht? Er hat sogar Grübchen, wenn er lächelt.« Simone war völlig aufgelöst.
»Soll ich lieber fahren?«, bemerkte Emma trocken. Dann lächelte sie breit.
»Ja, er sieht gut aus. Aber die Hauptsache ist, dass er nett zu dir ist.«, sprach sie, hakte Simone unter und fuhr mit ihr nach Hause.