Kitabı oku: «Meister der Vertikale»
MEISTER DER VERTIKALE
Die Geschichte der Südtiroler Bergführer
Verband der Südtiroler Berg- und Skiführer (Hrsg.)
J. Christian Rainer
Infos zum Buch
„Südtirol mit seinen Bergführer-Dynastien – von den Innerkoflers bis zu den Pinggeras – hat eine große Tradition im Führerwesen. Heute sind es die Schulen und Spitzenalpinisten, die dieser Geschichte Ausdruck verleihen.“
Reinhold Messner
Erstbesteiger gehen in die Geschichte ein, doch kaum ein Gipfel wurde in der Frühzeit des Alpinismus ohne Bergführer erklommen. Ihre Namen blieben weitgehend unbekannt. Während sich anfangs noch jeder als Bergführer bezeichnen konnte, mussten bald Prüfungen abgelegt werden. Von all dem erzählt die 200-jährige Geschichte der Südtiroler Bergführer und spiegelt dabei die Entwicklung von Alpinismus und Tourismus wider. So vielfältig Bergführerinnen und Bergführer sind, verbindet sie eines: die Leidenschaft – für die Berge, die Natur und den Umgang mit Menschen.
Mit vielen historischen Fotos, Porträts, Anekdoten und Zitaten
01 Die Anfänge
Weil er da ist
Auf dem Spielplatz Europas
Chaos und Ordnung
Tirol lässt sich Zeit
Bergführer mit Brief und Siegel
02 Auf dem Weg ins goldene Zeitalter
Der Motor ist angeworfen
Die Macht des Alpenvereins
Das goldene Zeitalter des Bergführerwesens
Geführtes Wandern und führerloses Bergsteigen
Das Dilemma der Bergführer: Gott oder Gast
03 Licht und Schatten
Hungerleider oder Neureiche?
Neues Jahrhundert, neue Saison
Stürmischere Zeiten
Der erste Verband entsteht… fast
Von Königen und Soldaten
04 Ende mit Schrecken: Der Erste Weltkrieg
Schaumgebremster Kriegsbeginn
Wenn der Krieg plötzlich vor der Tür steht …
Aus Soldaten werden Bergführer
Das Ende
05 Neuer Start in neuem Staat: Die Zwischenkriegszeit
Gigantischer Scherbenhaufen
Aufbruch ins Ungewisse
Schwarze Gleichschaltung
Viele Köche, wenig Brei
Führerlos in die Berge
06 Bergführer in Uniform: Militarisierung, Option und Krieg
Magere Jahre und ein Krieg am Horizont
Die Wahl zwischen Pest und Cholera
Kampf an der Front statt Kampf um den Berg
07 Von neuen Anfängen und alten Problemen
Neuanfang mit Altlasten
Der Trend zeigt nach oben
Südtiroler Regeln für Südtiroler Führer?
Neue Regeln, alte Fragen
08 Neue Gebiete, neue Modelle, neue Politik
Der Blick geht über die Grenzen
Neues Businessmodell: die Alpinschule
Neue Weichen für alles – auch für Bergführer
09 Ein neuer Player: der Bergführerverband
Wo die Nachfrage steigt, steigt das Angebot
Das Land macht Druck, die Vereine verhandeln
Freiwillig gemeinsam: der Südtiroler Bergführerverband
10 Offene Grenzen, europäische Führer
Neue Horizonte
Auf in den gemeinsamen europäischen Markt
Zurück in die Eisenzeit?
11 Was war? Was ist? Was kommt?
Der größte Unterschied? Mehr Arbeit
Den Bergführer gibt’s nicht mehr
Digitale Ordnung und analoge Wildnis
Wohin geht die Reise?
12 Schön und gut
Ein guter Bergführer: Was ist das denn?
Und das Schönste zum Schluss
01
DIE ANFÄNGE
Mit Rock, Hut und Alpenstange: 1887 führt ein Bergführer namens Mair eine gemischte Seilschaft auf den Übeltalferner in Ridnaun.
Sehnsuchtsziel: Stiche wie dieser vom Cristallo locken zuallererst britische Bergsteiger in die Dolomiten.
Weil er da ist
„Because it’s there.“ Wenn es um die Frage geht, warum Menschen auf einen Berg steigen, wird gern George Leigh Mallory bemüht, der wohl beste Alpinist seiner Zeit. „Weil er da ist“, antwortete Mallory 1923 auf die Frage, warum er den Mount Everest besteigen wolle.
Die Antwort hätte einfacher nicht ausfallen können und ist wohl auch deshalb im kollektiven Gedächtnis hängen geblieben: als genialer Slogan, als Jahrhundertzitat, als Credo des Alpinismus in vier Worten. „Weil er da ist.“ Wer diesen Satz aber nur für flapsig hält, tut seinem Urheber Unrecht. Im Interview, aus dem das Zitat stammt, schiebt Mallory die Erklärung nach, dass die schiere Existenz des Berges eine Herausforderung darstelle. Die Antwort auf die Frage, warum man ihn besteigen wolle, komme deshalb instinktiv, führt Mallory aus, sie sei Teil der menschlichen Sehnsucht, das Universum zu erobern.
Das Universum erobern
„Because it’s there. Everest is the highest mountain in the world, and no man has reached its summit. Its existence is a challenge. The answer is instinctive, a part, I suppose, of man’s desire to conquer the universe.“
George Leigh Mallory, „New York Times“, 18. März 1923
So menschlich, wie der Engländer Mallory behauptet, ist die Sehnsucht nach der Eroberung des Universums (und damit auch der Berge) aber nicht, vielmehr ist er mit dieser Einstellung ganz Kind seines Heimatlandes und seiner Epoche. Dreht man die Zeit 200 Jahre zurück und wechselt von den Britischen Inseln in die Alpen, ist die Existenz eines Berges für die Einheimischen alles, nur keine Herausforderung. Ihre Berge sind für die Älpler über Jahrtausende Ressource, aber auch und vor allem Gefahr und Bedrohung. Zudem stehen sie schlicht im Weg, wenn der kürzeste Weg von A nach B gesucht wird, denn der führt nie über die Gipfel, sondern stets über die Pässe.
Auf Berge gestiegen wird nur, wenn es gar nicht anders geht – und nur so hoch, wie es unbedingt sein muss. Hirten steigen zu ihrem Vieh hinauf, Jäger zum Wild, Kristallsammler zu den Adern, aber ein Vergnügen ist das Bergsteigen bis etwa Mitte des 18. Jahrhunderts nicht. Auf Berge zu steigen, war also über den größten Teil der Menschheitsgeschichte kein Dürfen, sondern ein Müssen. Dass die ersten Bergsteiger in einem moderneren Sinne keine Älpler, keine Bergler, sondern Städter sind, verwundert vor diesem Hintergrund nicht. Erste Gipfel werden von den „Zuagroastn“ erstiegen und meist ist zu Beginn auch die Geistlichkeit mit von der Partie, die auf den Bergen nicht nur die Nähe zu Gott, sondern auch wissenschaftliche Erkenntnisse sucht. Überhaupt spielt die Wissenschaft bei den ersten Bergtouren eine große Rolle – ob tatsächlich oder nur vorgeschoben, sei dahingestellt. Dass man das Besteigen von Bergen aber nach außen in den Dienst der Wissenschaft stellt, in jenen der Geologie und Geografie, der Glaziologie und Topografie, der Medizin, Botanik und Meteorologie, zeigt, dass die Zeit offensichtlich noch nicht reif ist für ein zweckfreies Bergsteigen, ein Bergsteigen um des Bergsteigens willen, ein Bergsteigen, dem als Grund genügt: weil der Berg da ist.
Im heroischen Kampf gegen eine unbändige Natur: Das Bergsteigen passt perfekt zum Menschenbild des 19. Jahrhunderts.
Da geht’s lang: Von jedem Gipfel werden neue sichtbar. Und damit auch neue Ziele, die es zu erschließen gilt.
Die Erstbesteigung des Matterhorns durch eine von Peter Taugwalder Vater und Sohn geführte Seilschaft mit Edward Whymper löst 1865 ein enormes Medienecho aus und befeuert das Interesse am Bergsteigen.
Auf dem Spielplatz Europas
Wie in so vielen anderen Bereichen sind es auch im Bergsteigen die Briten, die dem massenhaft betriebenen zweckfreien Tun den Weg bereiten. Sport und Eroberungsdrang, die Grundpfeiler britischer Lebensart, lassen sich in dieser neuen Disziplin bestens kombinieren, die Alpen werden zu dem, was der Autor Leslie Stephen 1871 „Playground of Europe“ nennt: der Spielplatz Europas. Auf diesem beginnt sich der britische Geburts- und Geldadel Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts auszutoben: zuerst vor allem in der Schweiz, später auch in Tirol. Im Zuge dieser ersten britischen Alpinistenwelle und in deren Fahrwasser wird Gipfel um Gipfel erstiegen. Die Bücher, Artikel und Aufsätze, die über die britischen Abenteuer in den Alpen erscheinen, faszinieren die Leser und entfalten eine Magnetwirkung, die den ersten touristischen Boom in den Bergen auslöst und damit deren Gesicht für immer verändert.
Für die Dolomiten ist das 1864 erschienene Buch „The Dolomite Mountains“ der beiden Engländer Josiah Gilbert und George C. Churchill so etwas wie die Initialzündung für den „Fremdenverkehr“. Es lenkt die Aufmerksamkeit der sportbegeisterten Briten auf den noch weitgehend unerschlossenen Dolomitenraum, etliche Alpinisten brechen daraufhin von den Britischen Inseln nach Südtirol, ins Trentino und nach Belluno auf, um die sogenannten Bleichen Berge zu bezwingen. Die britische Erschließung der Dolomiten wird in diesen Jahren zudem durch John Balls Reise- und Alpinführer „Alpine Guide to the Eastern Alps“ weiter befeuert, der sich gezielt an die Mitglieder des 1857 gegründeten Alpine Club richtet und damit genau jene Zielgruppe anspricht, für die die Dolomiten zum Traumziel avancieren.
Es ist also nicht nur das Gesicht der Alpentäler, das durch den Tourismus verändert wird, durch ihn verändert sich auch der Blick auf die Berge. Die Gefahren, die von ihnen ausgehen, die Angst vor dem Unbekannten und Unkontrollierbaren rücken in den Hintergrund, die sportliche Herausforderung, der Wettkampf und der Drang, den Berg zu „besiegen“, drängen sich vehement in den Vordergrund. Aus dem Bergsteigen wird ein Sport, zumindest für die Engländer. Für die Einheimischen – für Schweizer, Savoyer, Bayern, Salzburger, Tiroler oder Trentiner – ist die britische Sicht auf das Besteigen von Bergen völlig neu, mit dem so typisch englischen Sportsgeist können sie zunächst so wenig anfangen wie mit dem sinn- und zweckfreien Treiben am Berg. Trotzdem setzt kaum ein Engländer einen Fuß an oder auf einen Berg, ohne von einem Ortskundigen begleitet zu werden. Hirten, Gamsjäger, Wilderer, Schmuggler oder Kristallsammler werden so zu gesuchten Trägern und Führern. Führern, wohlgemerkt, nicht Bergführern, denn vor den 1860er-Jahren von „Bergführern“ zu reden, wäre irreführend. Schließlich suchen die Engländer nicht Bergführer in einem heutigen Sinne. Was sie brauchen, ist vielmehr ein „Guide“ im Sinne eines menschlichen Wegweisers. Technisch-alpinistische Fähigkeiten sind Nebensache, was zählt, ist die Ortskenntnis der „Locals“.
Mallorys „Weil er da ist“ mag also in den Anfangsjahren der Grund dafür gewesen sein, dass Engländer auf einen Berg stiegen, für die Einheimischen war die reine Existenz des Berges aber nicht genug, um sich unnötig einer Gefahr auszusetzen. Und ihre „Sehnsucht“ richtete sich auch weniger auf die Eroberung des Universums als vielmehr auf die Eroberung der Brieftasche des Gastes. Oder anders: Bergsteigen wurde in den 1860ern für einige wenige zum Geschäft, sie konnten sich damit etwas zum kargen Lebensunterhalt dazuverdienen. Kurz: Älpler stiegen auf Berge, weil sie dafür bezahlt wurden. Und nicht, weil sie da waren.
Weil nur ein heldenhafter Kampf Aufmerksamkeit bringt, wird das Risiko am Berg besonders lebendig dargestellt. Das spielt wiederum den Bergführern in die Karten.
Es sind die Mitglieder der Alpenvereine, allen voran des britischen, die das Bergsteigen in den Alpen im 19. Jahrhundert salonfähig machen – auch durch künstlerische Begleitung.
Viel Verkehr: Der Mont Blanc entwickelt sich schon in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zum Touristenmagneten – trotz oder vielleicht auch wegen seiner Tücken.
Chaos und Ordnung
Noch einen zweiten großen Unterschied gibt es damals zwischen der englischen Sicht auf das Leben (und damit auch auf das Bergsteigen) und der kontinentaleuropäischen. Während sich die Engländer umso wohler fühlen, je weniger Regeln ihr Leben einschränken, scheinen Republiken und Königreiche auf dem Kontinent nur regierbar, wenn alles und jedes bis ins Detail geregelt ist. Schon 1821 etwa erlässt man – nicht zufällig – in Chamonix am Fuße des Montblanc das erste Bergführerreglement der Welt. Es wird aus der Not geboren, oder vielmehr: als Folge eines tragischen Unglücks. Im Jahr zuvor waren drei Bergführer eines Beraters des russischen Zaren am Montblanc in einer Lawine umgekommen, woraufhin als erster Bergführerverein überhaupt die Compagnie des Guides de Chamonix gegründet und der Beruf des Bergführers (und dessen Absicherung im Unglücksfall) geregelt wird.
Faule Führer?
„Da die Führer bis jetzt keiner Art von Controlle noch gewissen Regeln unterworfen waren, so konnte ein jeder Taugenichts, der zu träge war sein Brod durch Handarbeit zu verdienen, sich hierzu stempeln.“
Der Oberamtmann von Interlaken in einem Schreiben an die Berner Kantonalregierung, 1826
Fünf Jahre später wird auch in der Schweiz der Ruf nach einer Bergführerordnung laut. Angelockt vom – im Vergleich zum Schuften in Ställen, auf Wiesen und im Wald – schnellen und leicht verdienten Geld, versuchen sich immer mehr junge Männer als Träger oder Führer. Auch solche, die offensichtlich nicht über die nötigen Voraussetzungen verfügen. So droht der Wildwuchs über kurz oder lang das große Geschäft mit dem Bergtourismus zu gefährden, denn Klagen der englischen Touristen über Unzuverlässigkeit und fehlenden Anstand, über unverhältnismäßig hohe Preise, Vertragsbruch, Zecherei und fehlende Ortskenntnis häufen sich. Erst in den 1850er-Jahren verabschieden die ersten Schweizer Kantone jedoch Gesetze, mit denen der Beruf des Bergführers sowie der Zugang dazu über ein System von Ausbildungskursen und Prüfungen geregelt wird. Und sogar fast zehn Jahre länger dauert es im kaiserlich-königlichen Universum, den Beruf des Bergführers zu regeln. So wird 1863 in Salzburg die erste Bergführerordnung der österreichischen Geschichte verabschiedet. Zwei Jahre später regen die Ministerien in Wien den Erlass weiterer Bergführerordnungen in den Alpenländern an.
Die plötzliche Geschäftigkeit hat einen einfachen Grund, nämlich einen finanziellen. Schließlich geht es um die Frage, inwieweit Bergführer Erwerbsteuer zahlen müssen. Die Antwort fällt überraschend aus: Innen-, Polizei-, Finanz- und Handelsministerium sprechen sich im Mai 1865 gegen eine Erwerbsteuerpflicht für Bergführer aus, sei doch „die Beschäftigung der Bergführer, da sie gewöhnlich nur gelegentlich und vorübergehend, daher nur als ein prekärer Nebenverdienst ausgeübt wird, in der Regel als kein Gewerbe anzusehen“. Nur wenn ein Bergführer seine Tätigkeit „ausnahmsweise als eine selbstständige Unternehmung förmlich gewerbsmäßig“ betreibe, müsse er dafür auch Steuern bezahlen. Offensichtlich sind Profibergführer damals also noch dünn gesät. Trotzdem werden „Anordnungen zur Regelung des Bergführerwesens“ erlassen, die zur Grundlage der in den nächsten Jahren folgenden Bergführerordnungen in den Ländern werden und in der Zwischenzeit schon einmal die wichtigsten Voraussetzungen für den Zugang zur Bergführerei und deren Ausübung regeln.
In den 1890er-Jahren verlassen sich die meisten Seilschaften auf kompetente Begleitung durch einen Bergführer. Und auf jemanden, der ihnen die Arbeit am Berg abnimmt.
Erfahrung, Verlässlichkeit, Ortskenntnis
„In jenen Gegenden, welche von Reisenden häufig besucht werden und wo sich das Bedürfniß nach Bergführern herausgestellt hat, haben die politischen Bezirksbehörden denjenigen, die darum, wenn auch nur mündlich ansuchen und von deren Befähigung zum Bergführergeschäfte, nämlich von deren genügender Erfahrung, Verläßlichkeit, genauer Ortskenntniß und physischer Tauglichkeit sie sich in geeigneten Wegen überzeugt haben, ein Bergführerbuch zu verabfolgen.“
§ 1 der ministeriellen Anordnungen zur Regelung des Bergführerwesens, 1865
Schaut man sich die ministeriellen Anordnungen genauer an, erkennt man ein Grundprinzip: Die Zuständigkeit für die Regelung des Bergführerwesens wird den Bezirken zugeschrieben. Gleichzeitig wird für das gesamte österreichische Hoheitsgebiet das Bergführerbuch als Befähigungsnachweis eines Bergführers eingeführt. Die Behörden schrecken aber (noch) vor einem Monopol der behördlich anerkannten Bergführer zurück, spielen deshalb die Bedeutung des Bergführerbuches herunter und degradieren es fast schon zu einem Marketinginstrument. So heißt es in den Anordnungen: „Es gibt ihm zwar kein ausschließliches Recht gegenüber solchen, die ein Bergführerbuch nicht erwirken; allein da es den Charakter eines behördlichen Zeugnisses hat, so wird es einerseits dem reisenden Publikum die so sehr gewünschte Garantie der Verläßlichkeit des damit Betheilten und dem Letzteren alle Vortheile einer behördlichen, zur allgemeinen Kenntniß gebrachten Beglaubigung gewähren.“
Im Ministeriumserlass von 1865 finden sich auch noch andere Regelungen, die später in den Länder-Bergführerordnungen übernommen werden. Dazu gehören die Pflicht des Führers, das Bergführerbuch den Reisenden und Behörden vorzulegen, falls diese es wünschen, und die Möglichkeit der Behörden, den Führern das Buch zu entziehen. Zugleich ordnet Wien an, die Namen der Bergführer „in den Gasthöfen, Wirthshäusern, Bahnhöfen, auf Dampfschiffen etc. durch Anschlag kund zu machen, damit die Reisenden in die Kenntniß kommen können, daß in einem bestimmten Orte oder Bezirke behördlich legitimirte Führer sich befinden“.
Weil sich aber erfahrungsgemäß die meisten Streitfälle um die Preise entwickeln, ordnet das Ministerium auch deren Regelung an, und zwar für „alle minder beschwerlichen und minder gefährlichen Touren“. Während der Preis für schwierige, gefährliche Touren weiter Verhandlungssache zwischen Gast und Bergführer bleibt, sollen für Sonntagstouren fixe Tarife festgeschrieben werden, und zwar von den Bezirken. Dabei gilt es, ein Gleichgewicht zwischen den Ansprüchen der Führer und jenen der Gäste zu finden. So spezifizieren die Behörden zwar, dass der Lohn den Mühen des Führers angemessen sein müsse, zugleich aber auch, „daß der Tarif nicht zu hoch gespannt werden darf, weil dieses auf den Fremdenbesuch nachtheilig einwirkt, durch hohe Tarifsätze Reisende veranlaßt werden, ohne Führer zu reisen, und auf diese Weise leicht Unglücksfälle vorkommen könnten“. Es geht den Behörden also darum, den aufkommenden Alpintourismus nicht zu ersticken, auch wenn man dieses Ziel hinter einem Vorhang aus Sicherheitsbedenken versteckt.
Anstatt also eine einheitliche Bergführerordnung für alle Länder zu erlassen, beschränkt sich Wien darauf, Leitlinien für solche Ordnungen aufzustellen. Bemerkenswert ist dabei, dass man die Führer zwar behördlich autorisieren, ihnen aber kein Monopol zuschreiben will. Und noch etwas fällt auf: Der drei Jahre zuvor gegründete Österreichische Alpenverein scheint zwar in den Prämissen als Ansprechpartner des Ministeriums auf, in den Anordnungen spielt er aber keine Rolle. Vielmehr liegt alle ordnende und regelnde Macht bei den Bezirksbehörden.
Tirol lässt sich Zeit
Dass die erste behördliche Regelung des Bergführerwesens in Österreich aus den 1860er-Jahren stammt, ist kein Zufall. In den Jahrzehnten zuvor waren Führer rar, weil Bergsteiger rar waren. Auch in Tirol ist also erst einmal Warten angesagt, bis die alpinistische Welle (und in deren Gefolge auch die touristische) von den Westalpen kommend über das alpine Herzland schwappt. Erst als es in Frankreich und vor allem in der Schweiz für britische Bergsteiger immer schwieriger wird, Spuren in jungfräulichen Gipfelschnee zu treten, sucht man sich einen neuen „playground“ und findet ihn in den österreichischen Bergen.
Rollwagen- und Bergführer
Bergführer sind Dienstleister. Dass man dies in den Anfangsjahren besonders wörtlich nahm, zeigt die Tatsache, dass man sie im Meran der 1860er-Jahre im Dienstmanns-Institut in der Postgasse neben Rollwagenführern und Sesselträgern, Krankenwärtern und Boten engagieren konnte. Übrigens: Der Tagessatz für einen Führer belief sich 1867 auf 2 Gulden (heute knapp 30 Euro) und war damit gleich hoch wie der eines Sesselträgers. Nur der Krankenwärter war mit 1,20 Gulden am Tag deutlich billiger zu haben.
Gut behütet: Hinter dem Führer her nimmt eine Familie im ausgehenden 19. Jahrhundert den Ortlergletscher unter die Nagelschuhe.
Wo auch immer die Gäste aus dem Vereinigten Königreich einfallen, gilt: Ohne Bergführer tun sie keinen Schritt. Daraus folgt der einfache Zusammenhang: Je mehr (britische) Bergsteiger nach Tirol kommen, desto mehr Arbeit gibt es für die Führer. Und weil nun einmal die Nachfrage das Angebot bestimmt, wächst mit der Zahl der Gäste auch jene der Bergführer. Kurios dabei ist, dass die Kausalbeziehung in diesem Fall keine Einbahnstraße ist, sondern durchaus auch umgekehrt gilt. Bergführer werden zu einem zusätzlichen Angebot für die Touristen, zu einem Argument, das für eine Destination oder auch schon einmal für ein Hotel spricht. So werben etwa die Bäder von Bormio Ende der 1860er-Jahre in verschiedenen Tiroler Zeitungen nicht nur mit täglichen Post- und Eilwagen, modernstem Komfort und einem Telegrafen, sondern auch mit „erprobten Bergführern“. Diese sind jedoch noch Importware: „Der bekannte Bergführer Poell aus Patznaun ist während dieser Saison in den Bädern von Bormio als Begleiter der Herren Bergsteiger und Alpenclubisten auf ihren Touren in die dortige Gebirgswelt engagirt“, liest man im Inserat. Poell sei, so schwärmt man, der beste Kenner der Gletscherwelt im Ortlergebiet und habe die Aussichtspunkte am Piz Umbrail oder Monte Braulio „selbst für Damen zugänglich gemacht. […] Von Gefahren ist dabei so wenig die Rede, daß auch an Schwindel leidende Persönlichkeiten diese Touren ohne Bedenken unternehmen können“, werben die Bäder.
Sextner Pionier: Hans Innerkofler (1833-1895) wurde nicht umsonst „Gamsmandl“ genannt.
Mit der Zahl der Touristen wächst also jene der Bergführer und mit jener der Bergführer auch die der Touristen. Diese stammen indes nicht nur von den Britischen Inseln, auch wenn John Ball den Startschuss gibt. Er steht 1857 auf dem Monte Pelmo und 1860 auf der Marmolata di Rocca. Schon in diesen ersten Jahren mischen aber auch Mitteleuropäer bei der Erschließung der Berge der Alpensüdseite kräftig mit. 1863 etwa kommt der Wiener Paul Grohmann zum ersten Mal in die Dolomiten und besteigt bis 1869 als Erster die Tofane, den Sorapiss, die Marmolata, den Cristallo, die Dreischusterspitze, den Langkofel, die Große Zinne und den Antelao. Oft vergessen wird dabei, dass auch Grohmann – wie seine englischen Vorgänger – nie allein am Berg unterwegs ist. Die Dreischusterspitze etwa erkundet er im Schlepptau der besten Sextner Gamsjäger und auch bei deren Erstbesteigung steht mit Franz Innerkofler ein einheimischer Führer mit dem Wiener auf dem Gipfel.
Grohmann leistet nicht nur in alpinistischer Hinsicht Pionierarbeit. Mit seinem Buch „Wanderungen in den Dolomiten“ (so klingt Bescheidenheit!) öffnet er weiten Kreisen den Blick auf die bis dahin im deutschen Sprachraum kaum wahrgenommenen Dolomiten. Noch einen zweiten Effekt hat die publizistische Tätigkeit Grohmanns: Er wird als Erstbesteiger, als Erschließer, bekannt, während seine Begleiter, die ersten großen Dolomitenführer, in seinem Schatten bleiben. Bis heute. Dabei sind sie es, die das Klettern Schritt für Schritt weiterentwickeln und ganz neue Schwierigkeitsgrade erschließen. So wird Ende der 1870er an der Torre dei Sabbioni in der Marmarolegruppe erstmals im III. Grad geklettert. Und 1881 folgt die Erstbesteigung der bis dahin als unbezwingbar gehaltenen Kleinen Zinne durch die Sextner Führer Michl und Hans Innerkofler.