Kitabı oku: «Jagd Auf Null»
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Jack Mars
Jack Mars ist der USA Today Bestseller Autor der LUKE STONE Thriller Serie, welche sieben Bücher umfasst (und weitere in Arbeit). Er ist außerdem der Autor der neuen WERDEGANG VON LUKE STONE Vorgeschichten Serie und der AGENT NULL Spionage-Thriller Serie.
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BÜCHER VON JACK MARS
LUKE STONE THRILLER SERIE
KOSTE ES WAS ES WOLLE (Buch #1)
AMTSEID (Buch #2)
LAGEZENTRUM (Buch #3)
EINE AGENT NULL SPIONAGE-THRILLER SERIE
AGENT NULL (Buch #1)
ZIELOBJEKT NULL (Buch #2)
JAGD AUF NULL (Buch #3)
EINE FALLE FÜR NULL (Buch #4)
AKTE NULL (Buch #5)
RÜCKRUF NULL (Buch #6)
ATTENTÄTER NULL (Buch #7)
KÖDER NULL (Buch #8)
Agent Null – Buch 2 Zusammenfassung (Rekapitulation für Buch 3)
Proben eines antiken, tödlichen Virus werden aus Sibirien gestohlen und in Spanien freigesetzt, wo sie Hunderte von Menschen binnen Stunden töten. Obwohl seine Erinnerungen als Agent der CIA immer noch bruchstückhaft sind, wird Agent Null dennoch wieder eingesetzt, um zu helfen, den Virus zu finden und zu sichern, bevor eine terroristische Organisation ihn in den Vereinigten Staaten freisetzen kann.
Agent Null: Weitere Erinnerungen an sein früheres Leben als Agent der CIA kehren zu ihm zurück, insbesondere jene über einen geheimen Komplott der amerikanischen Regierung, einen vorgeplanten Krieg aus heimtückischen Gründen zu entfesseln. Die Details über das, was er vor zwei Jahren wusste, sind trübe und wage. Bevor er jedoch die Möglichkeit hat, weiteres zu erforschen, kehrt er nach Hause zurück, wo er entdeckt, dass seine zwei Töchter entführt wurden.
Maya und Sara Lawson: Während der Abwesenheit ihres Vaters waren die Mädchen unter der aufmerksamen Obhut von Mr. Thompson, ihrem Nachbarn, einem pensionierten CIA Agenten. Als der Attentäter Rais einbrach, gab Thompson sein Bestes, um ihn abzuwehren, doch fand letzten Endes seinen Tod, während Maya und Sara entführt wurden.
Agent Maria Johansson: Erneut war Maria eine unentbehrliche Verbündete, als sie dabei half, den Pockenvirus zu sichern. Obwohl ihre neue Beziehung zu Kent fast romantisch wirkt, hat sie ihre eigenen Geheimnisse. Sie traf einen mysteriösen ukrainischen Agenten am Flughafen von Kiew, um zu besprechen, bei wem Agent Nulls Loyalitäten liegen.
Rais: Nach dem er geschlagen und seinem Tod in der Schweiz überlassen wurde, erholte sich Rais für mehrere Wochen in Handschellen und unter Aufsicht in einem Krankenhaus. Da ihm nichts weiteres als Zeit zur Verfügung stand, leitete er nicht nur eine blutige und tollkühne Flucht in die Wege, sondern schaffte es auch noch, in die USA einzureisen, bevor die internationalen Grenzen aufgrund des Virus geschlossen wurden. Von dort aus fiel es ihm leicht, das Zuhause der Lawsons aufzuspüren, den alten Mann umzubringen und Agent Nulls jugendliche Töchter zu entführen.
Agent John Watson: Als ein Mitglied des Teams, das den Pockenvirus sichern sollte, nahm Watson kein Blatt vor den Mund, dass ihm Agent Nulls waghalsige Taktiken missfallen. Nach ihrem Erfolg dabei, Imam Khalil aufzuhalten, haben die beiden jedoch Verständnis und gegenseitigen Respekt für einander entwickelt.
Deputy Direktorin Ashleigh Riker: Sie ist eine ehemalige Geheimdienstoffizierin, die sich zur Sondereinsatzgruppe hochgearbeitet hat. Riker arbeitet direkt unter der Leitung des Deputy Direktors Shawn Cartwright bei dem Einsatz, den Virus zu sichern. Sie versucht erst gar nicht, ihre Verachtung für Agent Null und die Freiheiten, die ihm die Agentur zugesteht, zu verstecken. Nachdem Null von einem weiteren Agenten unprovoziert angegriffen wurde, begann er, zu vermuten, dass Riker ein Teil der Verschwörung war – und dass man ihr deshalb nicht vertrauen darf.
Kapitel eins
Mit sechzehn Jahren war sich Maya Lawson fast sicher, dass sie bald sterben würde.
Sie saß auf dem Rücksitz eines Kleintransporters mit großer Kabine, während er die I-95 nach Süden, in Richtung Virginia, entlangraste. Ihre Knie waren noch weich vom Trauma und dem Gräuel dessen, was sie kaum eine Stunde zuvor erlebt hatte. Sie starrte teilnahmslos nach vorne und ihr Mund stand in dem erschütterten, leeren Blick ein wenig offen.
Der Wagen hatte ihrem Nachbarn, Mr. Thompson, gehört. Er war jetzt tot und lag wahrscheinlich noch in dem gefliesten Foyer der Lawsons in Alexandria. Der jetzige Fahrer des Transporters war sein Mörder.
Neben Maya saß ihre jüngere Schwester, Sara, die erst vierzehn war. Sie hatte ihre Beine unter sich eingezogen und ihren Körper an Mayas geschmiegt. Sara hatte, zumindest für den Moment, aufgehört zu schluchzen, doch mit jedem Atemzug entglitt ihrem offenen Mund ein leises Stöhnen.
Sara hatte keine Ahnung, was los war. Sie wusste nur, was sie gesehen hatte – den Mann in ihrem Zuhause. Den toten Mr. Thompson. Den Angreifer, der drohte, die Gliedmaßen ihrer Schwester zu brechen, damit Sara die Tür zum Panikraum im Keller öffnete. Sie hatte keine Ahnung davon, was Maya wusste, und auch Maya kannte nur einen kleinen Teil der ganzen Wahrheit.
Doch die ältere der beiden Lawson Geschwister wusste eines, oder sie war sich zumindest fast sicher: sie würde bald sterben. Sie wusste nicht, was der Fahrer des Wagens mit ihnen vorhatte – er hatte versprochen, ihnen nichts anzutun, solange sie tun würden, was er von ihnen verlangte – doch das hatte nichts zu bedeuten.
Trotz des gefühllosen Ausdrucks auf ihrem Gesicht arbeitete Mayas Gehirn wie verrückt. Nur eines war jetzt wirklich wichtig: es ging darum, Sara in Sicherheit zu bringen. Der Mann am Steuer war aufmerksam und kompetent, doch irgendwann würde er einen Fehler begehen. Wenn sie alles täten, was er verlangte, würde er zu selbstsicher werden, möglicherweise für nur eine Sekunde, und dann würde Maya handeln. Sie wusste noch nicht, was sie tun würde, doch es musste direkt, erbarmungslos und entkräftend sein. Es würde Sara die Chance zur Flucht ermöglichen, um in Sicherheit zu gelangen, zu anderen Menschen, zu einem Telefon.
Es würde Maya wahrscheinlich das Leben kosten. Dessen war sie sich jetzt schon schmerzhaft bewusst.
Ein weiteres, leises Seufzen entsprang den Lippen ihrer Schwester. Sie steht unter Schock, dachte Maya. Doch das Seufzen bekam ein Murmeln und sie bemerkte, dass Sara versuchte, zu sprechen. Sie beugte ihren Kopf in die Nähe von Saras Mund, um ihre leise Frage zu hören:
“Warum geschieht uns das?”
“Pssst.” Maya hielt Saras Kopf gegen ihre Brust und strich ihr sanft über das Haar. “Es kommt schon wieder alles in Ordnung.”
Sie bereute es, alsbald sie es gesagt hatte, denn es war eine leere Floskel, etwas, das die Menschen sagten, wenn sie sonst nichts anzubieten hatten. Nichts war in Ordnung und sie konnte auch nicht versprechen, dass wieder alles in Ordnung käme.
“Die Sünden des Vaters.” Der Mann am Steuer sprach zum ersten Mal, seit er sie gezwungen hatte, einzusteigen. Er sagte es ganz lässig, mit einer schaurig ruhigen Stimme. Dann erläuterte er etwas lauter: “Das geschieht euch, wegen der Entscheidungen und des Handelns eines bestimmten Reid Lawson, den andere als Kent Steele kennen und noch viele mehr als Agent Null.”
Kent Steele? Agent Null? Maya hatte keine Ahnung, wovon dieser Mann, der Mörder, der sich selbst Rais nannte, sprach. Doch sie wusste einige Dinge. Genug, um zu wissen, dass ihr Vater ein Agent einer Regierungsgruppe war – FBI, möglicherweise CIA.
“Er hat mir alles weggenommen.” Rais starrte geradeaus auf den Highway vor ihnen, doch er sprach in einem Tonfall von unverfälschtem Hass. “Jetzt habe ich ihm alles weggenommen.”
“Er wird uns finden”, erwiderte Maya. Ihr Ton war gedämpft, nicht herausfordernd, so als würde sie nur eine Tatsache erläutern. “Er wird uns suchen und Sie töten.”
Rais nickte, als ob er mit ihr übereinstimmen würde. “Er wird euch suchen, das stimmt. Und er wird versuchen, mich umzubringen. Das hat er schon zwei Mal versucht und mich dabei meinem Tod überlassen… einmal in Dänemark und dann nochmal in der Schweiz. Wusstest du das?”
Maya antwortete nicht. Sie hatte vermutet, dass ihr Vater etwas mit dem Terrorkomplott zu tun hatte, der einen Monat zuvor, im Februar, statt gefunden hatte. Dabei versuchte eine radikale Splittergruppe ein Bombenattentat auf das Weltwirtschaftsforum in Davos durchzuführen.
“Doch ich lebe weiter”, fuhr Rais fort. “Siehst du, ich dachte, es wäre meine Bestimmung, deinen Vater zu töten, doch ich lag falsch. Es ist mein Schicksal. Kennst du den Unterschied?” Er sprach in einem etwas zynischen Ton. “Natürlich weißt du das nicht. Du bist ein Kind. Die Bestimmung besteht aus Ereignissen, die man erfüllen sollte. Es ist etwas, dass man kontrollieren, lenken kann. Das Schicksal hingegen ist mächtiger als wir selbst. Es wird von einer anderen Macht bestimmt, einer, die wir nicht vollkommen verstehen können. Ich glaube nicht, dass ich aus dem Leben scheiden kann, bevor dein Vater durch meine Hand gestorben ist.”
“Du gehörst zu Amun”, sagte Maya. Es war keine Frage.
“Ich tat es einst. Doch Amun gibt es nicht mehr. Ich alleine bestehe weiter.”
Der Attentäter hatte bestätigt, was sie schon befürchtet hatte. Er war ein Fanatiker, jemand, der von der sektenähnlichen Terrorgruppe Amun indoktriniert wurde, bis er glaubte, dass seine Handlungen nicht nur gerechtfertigt, sondern sogar notwendig wären. Maya hatte von Natur aus eine Gabe, die aus der gefährlichen Kombination von Intelligenz und Neugier bestand. Nach dem Bombenattentat in Davos hatte sie viel über Terrorismus und Fanatismus gelesen. Die Abwesenheit ihres Vaters während dieses Ereignisses führte sie zu der Spekulation, dass er etwas damit zu tun hatte, dass diese Organisation aufgehalten und zerlegt wurde.
Sie wusste ganz genau, dass dieser Mann sich nicht durch Bitten, Betteln oder Flehen beeinflussen lassen würde. Sie wusste, dass man ihn nicht umstimmen konnte, und es war ihr auch klar, dass er nicht davor Halt machen würde, Kinder zu verletzen. Das alles stärkte sie nur in ihrem Beschluss, zu handeln, sobald sich eine Möglichkeit ergeben würde.
“Ich muss zur Toilette.”
“Das ist mir egal”, antwortete Rais.
Maya runzelte die Stirn. Sie war schon einmal einem Mitglied von Amun auf der New Jersey Uferpromenade entkommen, indem sie vorgab, auf die Toilette zu müssen. So konnte sie auch ihre Schwester Sara in Sicherheit bringen. Keine Sekunde hatte sie die Geschichte ihres Vaters, dass es sich um ein Mitglied einer örtlichen Bande hielt, geglaubt. Es war das Einzige, was ihr jetzt einfiel, damit die beiden auch nur eine kostbare Minute allein zusammen hätten, doch ihre Bitte wurde abgelehnt.
Still fuhren sie einige Minuten auf der Bundesstraße in Richtung Süden weiter, während Maya über Saras Haar strich. Ihre jüngere Schwester schien sich soweit beruhigt zu haben, dass sie nicht mehr weinte. Vielleicht waren ihr aber auch einfach die Tränen ausgegangen.
Rais blinkte und lenkte den Wagen die nächste Abfahrt hinunter. Maya schielte aus dem Fenster und verspürte ein wenig Hoffnung, denn sie fuhren auf eine Raststätte zu. Sie war winzig, kaum mehr als ein Flecken für ein Picknick, der von Bäumen umsäumt war, und neben dem ein kleines, niedriges Backsteinhaus mit Toiletten stand, doch das war schon etwas.
Er würde sie die Toilette benutzen lassen.
Die Bäume, dachte sie. Wenn Sara es zum Wald schafft, dann kann sie ihn vielleicht abhängen.
Rais parkte den Kleintransporter und ließ den Motor einen Moment laufen, während er das Gebäude beobachtete. Maya tat dasselbe. Dort standen zwei Laster, lange Sattelzugmaschinen, die parallel zum Backsteinhaus geparkt waren, doch sonst war da niemand. Außerhalb der Toiletten standen ein paar Verkaufsautomaten unter einem Vordach. Mit Bestürzung bemerkte sie, dass es auf dem Gelände keine Kameras gab, zumindest keine sichtbaren.
“Die Damentoilette ist auf der rechten Seite,” stellte Rais fest. “Ich bringe euch dort hin. Solltest du versuchen, zu schreien oder nach jemandem zu rufen, dann bringe ich die Person um. Wenn du auch nur eine Geste oder ein Signal von dir gibst, dass irgendetwas nicht stimmt, dann bringe ich sie um. Ihr Blut klebt dann an deinen Händen.”
Sara zitterte erneut in ihren Armen. Maya umarmte sie fest. “Ihr zwei haltet euch an den Händen. Wenn ihr euch trennt, dann wird Sara verletzt.” Er drehte sich ein wenig um, damit er sie ansehen konnte – insbesondere Maya. Er hatte schon vermutet, dass sie diejenige sei, die ihm eher Schwierigkeiten bereiten würde. “Habt ihr mich verstanden?”
Maya nickte und lenkte dabei ihren Blick von seinen wilden, grünen Augen weg. Er hatte dunkle Ringe unter ihnen, so als ob er schon einige Zeit nicht mehr geschlafen hätte, und sein dunkles Haar war kurz abrasiert. Er schien nicht sehr alt, ganz bestimmt jünger als ihr Vater, doch sie konnte sein Alter nicht erraten.
Er hielt eine schwarze Pistole hoch – die Glock, die gerade noch ihrem Vater gehört hatte. Maya hatte versucht, sie gegen ihn zu verwenden, als er in das Haus eingebrochen war, und er hatte sie ihr entrissen. “Die hier ist in meiner Hand, und meine Hand wird in meiner Tasche sein. Wenn du mir Schwierigkeiten bereitest, so bedeutet das Schwierigkeiten für sie.” Mit dem Kopf wies er auf Sara. Sie wimmerte ein wenig.
Rais stieg zuerst aus und steckte seine Hand mit der Pistole in seine schwarze Jackentasche. Dann öffnete er die hintere Tür des Wagens. Maya kam zuerst heraus, ihre Beine zitterten als ihre Füße den Asphalt berührten. Sie streckte sich zurück in das Auto, um nach Saras Hand zu greifen und ihrer jüngeren Schwester herauszuhelfen.
“Los.” Die Mädchen liefen vor ihm, als sie sich auf die Toilette zubewegten. Sarah fröstelte, denn Ende März in Virginia bedeutete, dass das Wetter gerade erst umschlug und es zwischen 12 und 15 Grad waren. Beide Mädchen hatten noch ihre Schlafanzüge an. Maya trug nur Flip-Flops an den Füßen, gestreifte Flanellhosen und ein schwarzes, ärmelloses Hemd. Ihre Schwester hatte Turnschuhe ohne Socken, Popeline-Schlafanzughosen mit einem Ananasaufdruck und ein altes T-Shirt ihres Vaters, ein gebatiktes, altes Ding mit dem Logo einer Band, von der die beiden noch nie etwas gehört hatten, an.
Maya drehte den Türknopf und ging zuerst in die Toilette. Angewidert rümpfte sie instinktiv ihre Nase. Der Raum stank nach Urin und Schimmel, und der Boden war aufgrund eines undichten Rohres am Waschbecken nass. Dennoch zerrte sie Sarah hinter sich in die Toilette hinein.
Es gab ein einziges Fenster dort, mit einer Scheibe aus mattiertem Glas, hoch oben an der Wand, die sich nach außen öffnen würde, gäbe man ihr einen kräftigen Stoß. Bekäme sie ihre Schwester dort durch einen Schubs hoch und hinaus, dann könnte sie Rais ablenken, während Sara ihm entkäme…
“Bewegt euch.” Maya zuckte zusammen, als der Attentäter nach ihnen in die Toilette kam. Er würde sie keine Minute allein lassen. “Du, dahin.” Er zeigt auf Maya und dann auf das zweite von drei Toilettenabteilen. Er wies Sara auf das dritte.
Maya ließ die Hand ihrer Schwester los und ging in das Abteil. Es war verdreckt. Sie hätte es nicht einmal benutzen wollen, wenn sie wirklich gemusst hätte, doch sie musste wenigstens so tun, als ob. Sie begann, die Tür zu schließen, doch Rais hielt sie mit seiner Handfläche offen.
“Nein”, befahl er ihr. “Lass sie offen.” Und dann drehte er sich um und blickte in Richtung Ausgang.
Er geht keine Risiken ein. Sie setzte sich langsam auf den geschlossenen Toilettendeckel und atmete in ihre Hände. Es gab nichts, was sie tun könnte. Sie hatte keine Waffen gegen ihn. Er hatte ein Messer und zwei Pistolen, von der sich eine gerade in seiner Hand, versteckt in der Jackentasche, befand. Sie könnte versuchen, auf ihn zu springen, damit Sara entkam, doch er blockierte die Tür. Er hatte schon Mr. Thompson umgebracht, und das war ein ehemaliger Marine und ein Bär von Mann, mit dem die meisten einen Kampf um jeden Preis vermeiden würden. Welche Chance hätte sie schon gegen ihn?
Sara schniefte in der Kabine neben ihr. Das ist nicht der richtige Moment, um zu handeln, wusste Maya. Sie hatte darauf gehofft, doch sie würde weiter warten müssen.
Plötzliche quietschte die Tür zur Toilette laut, als sie aufgestoßen wurde, und eine überraschte weibliche Stimme rief, “Oh! Entschuldigung… bin ich in der falschen Toilette?”
Rais trat einen Schritt zur Seite, neben das Abteil und außerhalb von Mayas Sichtweite. “Es tut mit so leid, meine Dame. Nein, sie sind am richtigen Ort.” Seine Stimme verstellte sich sofort zu einem angenehmen, fast höflichen Tonfall.
“Meine zwei Töchter sind hier drin und… naja, vielleicht bin ich ein wenig zu beschützerisch, aber dieser Tage kann man einfach nie zu vorsichtig sein.”
Diese Finte ließ den Ärger in Maya aufbrodeln. Die Tatsache, dass dieser Mann sie von ihrem Vater entführt hatte und jetzt vorgab, er zu sein, ließ ihr Gesicht vor Wut aufglühen.
“Oh, ich verstehe. Ich möchte nur das Waschbecken benutzen”, antwortete die Frau.
“Natürlich.”
Maya hörte, wie ihre Schuhe gegen die Kacheln klickten, und dann kam eine Frau teilweise in ihr Sichtfeld. Sie hatte ihr Gesicht von ihr abgewandt, als sie am Wasserhahn drehte. Sie schien mittleren Alters, mit Haar, das ihr ein wenig über die Schulter reichte, und war vornehm angezogen.
“Ich kann es ihnen nicht zum Vorwurf machen”, meinte die Frau zu Rais. “Unter gewöhnlichen Umständen würde ich niemals an einem solchen Ort anhalten, doch ich habe, auf dem Weg, meine Familie zu besuchen, meinen Kaffee verschüttet und… äh…” Sie wurde abgelenkt, als sie in den Spiegel blickte.
Dort konnte die Frau die offene Tür des Abteils erkennen und wie Maya da auf der geschlossenen Toilette saß. Maya hatte keine Ahnung, wie sie auf einen Fremden wirken würde – verheddertes Haar, die Wangen aufgedunsen vom Weinen, gerötete Augen – doch sie konnte sich vorstellen, dass ihr Anblick Grund zur Sorge auslöste.
Der Blick der Frau huschte zu Rais und dann wieder zurück zum Spiegel. “Äh… Ich konnte einfach keine weiteren anderthalb Stunden mit klebrigen Händen fahren…” Sie blickte über ihre Schulter, während das Wasser noch floss und sagte lautlos drei sehr klare Worte zu Maya.
Alles in Ordnung?
Mayas Unterlippe zitterte. Bitte sprich nicht mit mir. Bitte schau mich nicht mal an. Sie schüttelte langsam den Kopf. Nein.
Rais musste sich wieder in Richtung Tür umgedreht haben, denn die Frau nickte langsam.
Nein! Dachte Maya verzweifelt. Sie versuchte, nicht um Hilfe zu bitten.
Sie wollte die Frau davor schützen, dasselbe Schicksal wie Thompson zu erleiden.
Maya winkte die Frau mit der Hand weg und sagte stumm ein Wort zurück zu ihr. Geh. Geh.
Die Frau runzelte tief die Stirn, ihre Hände waren immer noch tropfnass. Sie blickte zurück in Richtung Rais. “Papiertücher sind wohl zu viel erwartet, was?”
Sie sagte es mit ein wenig zu viel Druck.
Dann machte sie, mit ihrem Daumen und kleinen Finger, eine Geste zu Maya, das Zeichen für ein Telefon.
Sie wollte wohl andeuten, dass sie jemanden anrufen würde.
Bitte geh einfach.
Als die Frau sich wieder in Richtung Tür umdrehte, bewegte sich alles plötzlich ganz schnell und verschwommen. Es geschah so schnell, dass Maya sich zuerst gar nicht sicher war, dass es überhaupt passiert war. Die Frau erstarrte, ihre Augen weiteten sich vom Schock.
Ein dünner Blutstrahl spritzte aus ihrem offenen Rachen und sprühte gegen den Spiegel und das Waschbecken.
Maya hielt sich mit beiden Händen den Mund zu, um den Schrei, der aus ihren Lungen stieß, zu ersticken. Gleichzeitig riss die Frau beide Hände zu ihrem Hals, doch den Schaden, der hier angerichtet wurde, konnte man nicht wieder gutmachen. Blut lief in Rinnsalen über und zwischen ihren Fingern, während sie auf die Knie sank und ein sanftes Gurgeln ihren Lippen entsprang.
Maya kniff ihre Augen zu, beide Hände immer noch über ihrem Mund. Sie wollte es nicht mit ansehen. Sie wollte nicht dabei zusehen, wie diese Frau wegen ihr starb. Ihr Atem entwich ihr in wogenden, erstickten Schluchzern. Aus der nächsten Kabine hörte sie, wie Sara leise wimmerte.
Als sie es wagte, ihre Augen erneut zu öffnen, starrte die Frau sie zurück an. Eine Wange ruhte auf dem dreckigen, nassen Boden.
Die Blutlache, die ihrem Hals entsprungen war, reichte fast bis zu Mayas Füßen.
Rais beugte sich hinunter und säuberte sein Messer an der Bluse der Frau. Als er Maya wieder ansah, blickte keine Wut oder Verzweiflung aus seinen zu grünen Augen. Es war Enttäuschung.
“Ich hatte dir gesagt, was geschehen würde”, erklärte er sanft. “Du hast versucht, ihr ein Zeichen zu geben.”
Tränen ließen Mayas Blick verschwimmen. “Nein”, gelang es ihr, herauszuwürgen. Sie konnte ihre bebenden Lippen und zitternden Hände nicht kontrollieren. “Ich – ich habe nicht…”
“Doch”, unterbrach er sie ruhig. “Hast du wohl. Ihr Blut klebt an deinen Händen.”
Maya begann, zu hyperventilieren, sie schluckte ihre Atemzüge keuchend hinunter. Sie lehnte sich vornüber, steckte ihren Kopf zwischen ihre Knie, die Augen dabei fest zugekniffen und ihre Finger in ihrem Haar.
Zuerst Mr. Thompson und jetzt diese unschuldige Frau. Beide waren nur deshalb gestorben, weil sie ihr zu nah waren, zu nah an dem, was dieser Verrückte wollte – und er hatte nun schon zwei Mal bewiesen, dass er bereit war zu töten, sogar ganz unwillkürlich, um das zu bekommen, was er wollte.
Als sie schließlich wieder ihren Atem unter Kontrolle bekam und den Mut gefasst hatte, erneut aufzublicken, hatte Rais die schwarze Handtasche der Frau ergriffen und war dabei, sie zu durchwühlen. Sie sah dabei zu, wie er ihr Telefon herausnahm und sowohl den Akku als auch die SIM-Karte herausriss.
“Steh auf”, befahl er Maya, als er in die Toilettenkabine trat. Sie stand schnell auf, wich an die Metall-Trennwand zurück und hielt den Atem an.
Rais spülte den Akku und die SIM-Karte das Klo hinunter. Dann drehte er sich zu ihr um, sein Gesicht nur Zentimeter von ihrem entfernt in dem begrenzten Raum. Sie konnte seinen Blick nicht erwidern. Stattdessen starrte sie nur auf sein Kinn.
Er baumelte etwas vor ihrem Gesicht – einen Bund mit Autoschlüsseln.
“Los geht’s”, sagte er leise. Er ging aus der Kabine und hatte anscheinend kein Problem damit, durch die große Blutlache auf dem Boden zu schreiten.
Maya blinzelte. Bei der Raststätte ging es gar nicht darum, sie die Toilette benutzen zu lassen. Dieser Attentäter hatte nicht ein Gramm Menschlichkeit bewiesen. Es war einfach nur eine Möglichkeit für ihn gewesen, Thompsons Wagen loszuwerden.
Weil die Polizei ihn suchen könnte.
Zumindest hoffte sie das. Falls ihr Vater noch nicht zurückgekehrt war, wäre es eher unwahrscheinlich, dass jemand das Verschwinden der Lawson Mädchen bemerkt hatte.
Maya trat so behutsam wie möglich auf, um die Blutpfütze zu vermeiden – und um nicht die Leiche auf dem Boden ansehen zu müssen. Jedes ihrer Gliedmaße fühlte sich weich wie Gelatine an. Sie fühlte sich schwach, machtlos gegen diesen Mann. All die Entschiedenheit, die sie vor nur einigen Minuten im Kleintransporter ihr Eigen nannte, hatte sich wie Zucker in kochendem Wasser aufgelöst.
Sie nahm Sara an der Hand. “Schau nicht hin”, flüsterte sie und lenkte ihre jüngere Schwester um den Körper der Frau. Sara starrte zur Decke hinauf und atmete tief durch ihren offenen Mund. Ihre Wangen waren erneut von Tränen überströmt. Ihr Gesicht war weiß wie ein Laken und ihre Hand fühlte sich feuchtkalt an.
Rais öffnete die Toilettentür nur ein paar Zentimeter und spähte nach draußen. Dann hielt er eine Hand hoch. “Wartet.”
Maya lugte um ihn herum und sah, wie ein beleibter Mann mit einer Fernfahrermütze von den Herrentoiletten wegging, während er sich die Hände an seinen Jeans abtrocknete. Sie drückte Saras Hand und glättete mit der anderen instinktiv ihr eigenes, ungekämmtes Haar.
Sie konnte diesen Mörder nicht bekämpfen, zumindest nicht, ohne eine eigene Waffe zu haben. Sie konnte auch nicht versuchen, die Hilfe eines Fremden zu beanspruchen, denn sonst könnte ihm das gleiche wie der toten Frau hinter ihnen widerfahren. Es gab jetzt nur noch eine Chance: sie mussten warten und hoffen, dass ihr Vater sie rettete… was er nur tun könnte, wenn er wüsste, wo sie waren. Doch es gab nichts, was ihm dabei helfen würde, sie zu finden. Maya hatte jedoch keine Möglichkeit, Hinweise oder Spuren zu hinterlassen.
Ihre Finger verworren sich in ihrem Haar und befreiten sich, indem sie ein paar lose Strähnen mit sich nahmen. Sie schüttelte sie aus der Hand und sie fielen langsam zu Boden.
Haar.
Sie hatte Haare. Und Haare konnte man testen – das war einfache Kriminalistik. Blut, Speichel, Haare. All diese Dinge konnten beweisen, dass sie an einem Ort war, und dass sie immer noch am Leben war, als sie sich dort aufhielt. Wenn die Behörden Thompsons Wagen fänden, würden sie auch auf die tote Frau stoßen, und dann würden sie Proben sammeln. Sie würden ihr Haar finden. Ihr Vater würde wissen, dass sie dort waren.
“Geht”, befahl Rais ihnen. “Raus.” Er hielt die Tür auf, während die beiden Mädchen, die sich an der Hand hielten, die Toilette verließen. Er folgte ihnen und blickte sich noch einmal um, um sicherzustellen, dass sie niemand beobachtete. Dann nahm er Mr. Thompsons schweren Smith & Wesson Revolver heraus und spielte damit in seiner Hand herum. Mit einer einzigen, forschen Bewegung schwang er den Griff der Waffe nach unten und schlug dabei den Knauf der geschlossenen Toilettentür ab.
“Das blaue Auto.” Er zeigte mit seinem Kinn darauf und steckte den Revolver weg. Die Mädchen gingen langsam auf den dunkelblauen Limousinenwagen zu, der, einige Plätze von Thompsons Kleintransporter weg, geparkt war. Saras Hand zitterte in Mayas – oder vielleicht war es auch Mayas, die zitterte, sie war sich nicht sicher.
Rais fuhr das Auto aus der Raststätte hinaus und auf die Bundesstraße, doch nicht in Richtung Süden, wohin sie zuvor gefahren waren. Stattdessen drehte er um und fuhr gen Norden. Maya verstand, was er tat. Wenn die Behörden Thompsons Wagen fänden, würden sie annehmen, dass er sich weiter nach Süden bewegte. Sie würden nach ihm und ihnen suchen, doch an den falschen Orten.
Maya riss sich ein paar weitere Haarsträhnen aus und ließ sie auf den Boden des Autos fallen. Sie stimmte dem Psychopathen, der sie entführt hatte, in einem zu. Ihr Schicksal wurde durch eine äußere Macht bestimmt, und in diesem Fall war er diese Macht. Und es war eines, das Maya noch nicht ganz verstehen konnte.
Jetzt hatten sie nur noch eine Möglichkeit, zu vermeiden, was auch immer dieses Schicksal für sie bereithielt.
“Papa wird kommen”, flüsterte sie in das Ohr ihrer Schwester. “Er wird uns finden.”
Sie versuchte, dabei nicht so unsicher zu klingen, wie sie sich fühlte.