Kitabı oku: «Rückruf Null», sayfa 2

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Kapitel eins

Null saß auf dem Rand des Doppelbettes und rang nervös die Hände auf dem Schoß. Er hatte das schon einmal erlebt, hatte es tausend Mal in seiner Vorstellung gesehen. Doch hier war er wieder.

Seine zwei jugendlichen Töchter saßen auf dem Bett neben seinem, ein enger Gang zwischen ihnen. Sie waren in einem Zimmer des Plaza, einem gehobenen Hotel ein wenig außerhalb von Washington. Sie hatten sich nach dem Mordversuch an Präsident Pierson dazu entschlossen, dortzubleiben, anstatt nach Hause zurückzukehren.

“Es gibt da was, das ich euch sagen muss.”

Maya war fast siebzehn. Sie hatte das braune Haar und die Gesichtszüge ihres Vaters, doch den scharfen Sinn für Humor und beißenden Sarkasmus ihrer Mutter. Sie sah ihn passiv an, mit einem Hauch von Beklommenheit über eine solch dramatische Andeutung.

“Es fällt mir nicht leicht, es zu erzählen. Doch ihr habt es verdient, Bescheid zu wissen.”

Sara war vierzehn, immer noch mit dem rundlichen Gesicht eines Kindes, am Rand eines widersprüchlichen Alters, in dem sie einerseits noch an der Kindheit hing, doch andererseits schon zur Frau wurde. Sie hatte Kates blondes Haar und ausdrucksstarkes Gesicht geerbt. Sie war ihrer Mutter jeden Tag ähnlicher, doch jetzt sah sie eher nervös aus.

“Es geht um eure Mutter.”

Sie hatten so viel durchgemacht, wurden entführt, wurden Zeugen von Mord und blickten selbst in den Lauf eines Gewehres. Doch sie waren immer stark geblieben. Sie hatten es verdient, Bescheid zu wissen.

Und dann erzählte er es ihnen.

Er hatte es schon so oft in seiner Vorstellung abgespielt, doch es fiel ihm dennoch schwer, die Worte auszusprechen. Sie kamen langsam, wie Baumstämme, die einen Fluss hinuntertreiben. Er dachte, dass es nach dem Beginn einfacher würde, doch das war überhaupt nicht der Fall.

Dort im Plaza Hotel, wo Alan gerade Pizza holen gegangen war und eine Komödie still auf dem Fernseher nur ein paar Meter vor ihnen lief, erklärte Null seinen Töchtern, dass ihre Mutter, Kate Lawson, nicht an einem ischämischen Schlaganfall gestorben war, wie man es berichtet hatte.

Sie wurde vergiftet.

Die CIA hatte sie ermorden lassen.

Wegen ihm. Agent Null. Seiner Handlungen.

Und die Person, die den Auftrag ausgeführt hat…

“Er wusste es nicht”, sagte Null seinen Töchtern. Er starrte auf die Bettdecke, den Teppich, alles außer ihren Gesichtern. “Er wusste nicht, wer sie war. Man log ihn an. Er wusste es nicht bis später. Bis danach.” Er schweifte aus. Er machte Ausreden für den Mann, der seine Frau getötet hatte, die Mutter seiner Kinder. Den Mann, den Null weggeschickt hatte, anstatt ihn zu töten.

“Wer?” erklang Mayas Stimme rau. Es war ein hartes Flüstern, mehr Klang als Wort.

Agent John Watson. Ein Mann, der das Leben seiner Töchter mehr als einmal gerettet hatte. Ein Mann, den sie kennengelernt hatten, dem sie vertrauten, den sie mochten.

Die Stille der nächsten Momente war erdrückend, wie eine unsichtbare Hand, die sein Herz auspresste. Die Klimaanlage des Hotelzimmers erwachte plötzlich zum Leben, so laut wie ein Flugzeugmotor in dem sonstigen Vakuum.

“Wie lange weißt du das schon?” Mayas Ton war direkt, fast fordernd.

Sei ehrlich. Das war die Haltung, die er seinen Mädchen gegenüber einnehmen wollte. Ehrlichkeit. Egal, wie sehr sie auch schmerzte. Sein Zugeständnis war die letzte Barrikade zwischen ihnen. Er wusste, dass es an der Zeit war, sie niederzureißen.

Er wusste ebenfalls, dass es sie zerbräche.

“Ich weiß seit einer kleinen Weile, dass es kein Unfall war”, sagte er ihr. “Ich musste wissen, wer. Und jetzt weiß ich es.”

Er wagte es, in ihre Gesichter zu blicken. Sara weinte still, Tränen strömten über ihre beiden Wangen, sie gab keinen Ton von sich. Maya starrte auf ausdruckslos auf ihre Hände.

Sein Arm streckte sich nach ihr aus. Es war das Einzige, was gerade Sinn machte. Sich zu berühren, eine Hand zu halten.

Er erinnerte sich genau daran, wie es geschah. Als seine Finger sich um ihre schlossen, zog sie sich gewaltsam zurück. Sie kroch nach hinten, sprang vom Bett. Sara sprang erschreckt auf, als Maya ihm sagte, dass sie ihn hasste. Ihn mit jedem möglichen Schimpfwort schalt. Er saß still da und nahm alles entgegen, weil er es verdient hatte.

Doch nicht dieses Mal. Als seine Finger sich um ihre schlossen, verschwand Mayas Hand unter seiner in einer Nebelschwade.

“Nein…”

Er griff nach ihr, nach einer Schulter oder einem Arm, doch sie verschwand bei seiner Berührung wie Asche in einer Brise. Er drehte sich schnell um und griff nach Sara, doch sie schüttelte nur traurig ihren Kopf, während auch sie vor seinen Augen verschwand.

Und dann war er allein.

* * *

“Sara!”

Null wachte erschreckt auf und stöhnte sofort. Kopfweh röhrte in seiner Stirn. Es war ein Traum – ein Alptraum. Einen, den er schon tausend Mal zuvor hatte.

Doch es war so geschehen, oder fast so.

Null hatte die Situation gerettet. Den Mordversuch auf den Präsidenten vereitelt. Einen Krieg aufgehalten, bevor er begann. Eine Verschwörung aufgedeckt. Und dann sind er und seine Mädchen zum Plaza gegangen, keiner von ihnen wollte zu ihrem zweistöckigen Haus in Alexandria, Virginia zurück. Zu viel war dort geschehen. Zu viel Tod.

Dort hatte er es ihnen erzählt. Sie verdienten, die Wahrheit zu wissen.

Und dann hatten sie ihn verlassen.

Das war… wie lange war das jetzt her? Fast achtzehn Monate, soweit er sich erinnern konnte. Vor eineinhalb Jahren. Doch der Traum plagte ihn weiter fast jede Nacht. Manchmal lösten die Mädchen sich vor ihm in Luft auf. Manchmal schrien sie ihn an, brüllten weitaus schlimmere Schimpfworte als jene, die sie tatsächlich ausgesprochen hatten. Andere Male gingen sie still und wenn er hinter ihnen her in den Gang rannte, dann waren sie schon verschwunden.

Auch wenn das Ende variierte, so waren die Auswirkungen im wirklichen Leben doch dieselben. Er wachte aus dem Alptraum mit Kopfschmerzen und der düsteren, verzweifelnden Erinnerung auf, dass sie wirklich weg waren.

Null streckte sich und stand vom Sofa auf. Er konnte sich gar nicht daran erinnern, eingeschlafen zu sein, doch es war nicht überraschend. Er schlief nachts gar nicht gut, und das nicht nur wegen des Alptraumes über seine Töchter. Vor eineinhalb Jahren hatte er sein Gedächtnis wiedererlangt, all seine Erinnerungen als Agent Null, und damit begannen die qualvollen Alpträume. Erinnerungen drängten sich in sein Unterbewusstsein während er schlief, oder es zumindest versuchte. Widerliche Folterszenen. Bomben, die auf Gebäude geworfen wurden. Der Einschlag von Hohlspitzengeschossen in einen menschlichen Schädel.

Noch schlimmer war, dass er nicht wusste, ob sie echt waren oder nicht. Dr. Guyer, der brillante schweizer Neurologe, der ihm geholfen hatte, sein Gedächtnis wiederzuerlangen, warnte ihn, dass einige Dinge vielleicht nicht real wären, sondern ein Produkt seines limbischen Systems, das Fantasien, Verdachte und Alpträume als Realität darstellte.

Seine eigene Realität fühlte sich kaum wie eine an.

Null schleppte sich für ein Glas Wasser barfüßig und angeschlagen in die Küche, als es an der Tür klingelte. Er erschreckte ein wenig bei dem plötzlichen Riss in der Stille, jeder Muskel spannte sich instinktiv an. Er war immer noch ziemlich schreckhaft, selbst nach so langer Zeit. Er blickte auf die digitale Uhr am Herd. Es war fast halb fünf. Das konnte nur eine Person sein.

Er ging zur Tür und erzwang für seinen alten Freund ein Lächeln. “Gerade rechtzeitig.”

Alan Reidigger grinste, als er ein Sechserpack mit Daumen und Zeigefinger hochhielt. “Für deine wöchentliche Therapiesession.”

Null schnaubte sarkastisch und trat zur Seite. “Komm, wir gehen in den Garten.”

Er führte ihn durch das kleine Haus und durch eine Glasschiebetür auf den Hinterhof. Das Wetter Mitte Oktober war zwar noch nicht kalt, aber frisch genug, um ihn daran zu erinnern, dass er barfuß war. Sie nahmen auf zwei Gartenstühlen Platz, während Alan zwei Dosen herauszog und Null eine davon gab.

Er schaute sich die Etikette an. “Was ist das?”

“Keine Ahnung. Der Typ im Laden schaute sich meinen Bart und mein Flanellhemd an und sagte, dass es mir schmecken würde.” Alan lachte, öffnete die Dose und nahm einen großen Schluck. Er zuckte zusammen. “Das ist… anders. Oder vielleicht werde ich einfach alt.” Er wandte sich ernst an Null. “Also. Wie geht’s dir?”

Wie geht’s dir. Das schien plötzlich wie eine sehr seltsame Frage. Wenn jemand anders als Alan sie gestellt hätte, dann sähe er sie als Förmlichkeit an und beantwortete sie mit einem einfachen und schnellen “Gut und dir?” Doch er wusste, dass Alan es wirklich wissen wollte.

Dennoch wusste er nicht, wie er sie beantworten sollte. So viel hatte sich in achtzehn Monaten verändert. Nicht nur in Nulls persönlichem Leben, sondern auch auf einer Makroebene. Die Vereinigten Staaten hatten einen Krieg mit dem Iran und seinen Nachbarn vermieden, doch die Spannungen waren weiterhin hoch. Die amerikanische Regierung hatte sich anscheinend von der Infiltration durch Verschwörer und russischem Einfluss erholt, doch nur durch eine gründliche Säuberung. Präsident Eli Pierson war nach dem Mordversuch weitere sieben Monate auf seinem Posten geblieben, wurde aber schließlich bei den nächsten Wahlen von dem demokratischen Kandidaten geschlagen. Es war ein einfacher Sieg, nachdem sich gezeigt hatte, dass Piersons Kabinett ein wahrhaftiges Schlangennest war.

Doch Null war das ziemlich egal. Er war darin nicht mehr verwickelt. Er hatte nicht einmal eine Meinung über den neuen Präsidenten. Er wusste kaum, was in der Welt vor sich ging, er vermied die Nachrichten, soweit er konnte. Er war jetzt nur noch ein Bürger. Was immer hinter den Kulissen vor sich ging, tat es, ohne seinen Einfluss.

“Es geht.”

Er stockte.

“Echt. Mir geht’s gut.”

Alan nahm noch einen Schluck, zweifelte offensichtlich, doch erwähnte es nicht. “Und Maria?”

Ein dünnes Lächeln breitete sich auf Nulls Lippen aus. “Ihr geht es gut.” Und das war wahr. Sie füllte ihre neue Position wunderbar aus. Nachdem die Verschwörung ans Tageslicht gekommen war, wurde die CIA komplett neu strukturiert. David Barren, ein hochstehendes Mitglied des nationalen Sicherheitsrates und Marias Vater, wurde zum zwischenzeitlichen Direktor der Agentur ernannt und überblickte die Überprüfung jeder dort arbeitenden Person, bis ein neuer Direktor ernannt wurde, ein ehemaliger Direktor der nationalen Nachrichtendienste, der sich Edward Shaw nannte.

Maria Johansson wurde zur Deputy Direktorin der Division für Sondereinsätze ernannt —ein Posten, der zuvor dem jetzt verstorbenen Shawn Cartwright gehörte, Nulls altem Chef. Sie wiederum hatte Todd Strickland zum Sonderermittler ernannt, ein Posten, der zuvor durch einen bestimmten Agenten Kent Steele besetzt war.

Und sie tat ihre Arbeit gut. Unter ihrer Führung gäbe es keine Korruption, keine abtrünnigen Agenten wie Jason Carver und keine düsteren Verschwörer wie Ashleigh Riker. Es war trotzdem offensichtlich, dass sie immer noch die Einsätze vermisste. Es geschah nicht oft, doch manchmal begleitete sie ihr Team auf einen Einsatz.

Null hingegen war nicht zurückgekehrt. Nicht zur CIA, nicht mal zur Universität. Er war zu nichts zurückgekehrt.

“Wie läuft’s in der Werkstatt?” fragte er Alan, um das Thema zu etwas anderem als ihn selbst und seiner griesgrämigen Introspektion zu wechseln.

“Ich halte mich beschäftigt”, erwiderte Reidigger locker. Ihm gehörte die Third Street Garage, die, trotz Alans Hintergrund als Spion und versteckter Einsatzagent, tatsächlich eine Werkstatt war. “Da gibt’s nicht viel zu erzählen. Was macht der Keller?”

Null rollte mit den Augen. “Der ist noch nicht fertig.” Nachdem seine Mädchen ihn verlassen hatten, konnte er einfach nicht weiter alleine in dem Haus in Alexandria leben. Er stellte es zum Verkauf bereit und nahm das erste Angebot entgegen. Er und Maria hatten ihre Beziehung bis dahin schon öffentlich gemacht und auch sie wollte etwas Veränderung, also kauften sie ein kleines Haus in einem Vorort von Langley, nicht weit des Hauptquartiers der CIA. Der Makler nannte es einen “Bungalow im Handwerksstil”. Es war ein einfaches Haus, was ihnen beiden guttat. Eines der vielen Dinge, die er mit Maria gemeinsam hatte, war ihr Verlangen nach Einfachheit. Sie hätten sich etwas Größeres, Moderneres leisten können, doch das kleine, einstöckige Haus kam ihnen gerade recht. Es war gemütlich, angenehm, hatte ein großes Panoramafenster vorne, ein großes Schlafzimmer im Dachgeschoss und einen unfertigen Keller, mit glatten Betonwänden und – boden.

Etwa vier Monate zuvor, als der Sommer begann, hatte Null die Idee, den Keller fertigzustellen und ihn in nutzbaren Lebensraum zu verwandeln. Seitdem hatte er den Keller mit Holzgerüst und ein wenig flauschig rosa Isoliermaterial ausgelegt.

In letzter Zeit erschöpfte ihn der bloße Gedanke, dort wieder hinunterzugehen.

“Sag mir einfach Bescheid, falls du Hilfe brauchst”, bot Alan sich an.

“Ja.” Alan bot ihm jede Woche seine Hilfe an. “Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.”

“Vielleicht wäre es das, wenn sie Bauunternehmer angeheuert hätten, die wussten was sie taten.” Alan zwinkerte.

Null schnaubte verächtlich, doch lächelte. Die Dose in seiner Hand fühlte sich leicht an, zu leicht. Er schüttelte sie und war überrascht, dass sie leer war. Er erinnerte sich nicht einmal daran, einen Schluck genommen zu haben oder überhaupt den Geschmack bemerkt zu haben. Er stellte sie auf die Veranda neben sich und griff nach einer weiteren.

“Vorsicht”, warnte ihn Reidigger grinsend. Er zeigte auf Nulls Taille und den Wanst, der sich dort entwickelte.

“Ja, ja.” Dann hatte er also ein paar Pfund in seinem Halbruhestand zugenommen. Zehn, vielleicht auch fünfzehn. Er war sich nicht sicher und würde ganz bestimmte nicht auf eine Waage steigen, um es herauszufinden. “Guck mal wer da spricht.”

Reidigger lachte. Er sah lange nicht mehr wie der Agent mit dem runden Gesicht, dem jungenhaften Aussehen und dem sturen, dicken Rumpf aus, den Null vier Jahre zuvor kannte. Um sein Aussehen nach seinem gefälschten Tod zu verstecken und sein Alias als der Mechaniker namens Mitch einzunehmen, hatte Alan mindestens zwanzig Kilo zugenommen, sich einen buschigen, graugefleckten Bart wachsen lassen und trug ständig eine Fernfahrermütze tief ins Gesicht gezogen, deren Rand permanent mit Schweiß und dunklen, öligen Fingerabdrücken befleckt war.

Die Mütze war so allgegenwärtig geworden, dass Null sich wunderte, ob er sie auch im Bett trüge.

“Was, das hier?” Reidigger kicherte wieder und haute sich auf den Bauch. “Das sind alles Muskeln. Weißt du, ich geh zwei Mal pro Woche zum Fitnessstudio. Dort gibt es einen Boxring. Die jungen Kerle machen sich gern über die älteren lustig. Direkt bevor ich ihnen den Arsch versohle.” Er nahm einen Schluck und fügte hinzu: “Du solltest mal mitkommen. Normalerweise gehe ich —”

“Dienstags und Donnerstags”, beendete Null seinen Satz für ihn. Auch dieses Angebot machte Alan jede Woche.

Er wusste seine Anstrengen zu schätzen. Er wusste es zu schätzen, dass Alan so oft vorbeikam, um mit seinem alten Freund im Garten zu sitzen und zu plaudern. Er wusste die Besuche und die Versuche, ihn aus dem Haus zu bekommen, die jedes Mal halbherziger wurden, zu schätzen.

Die Wahrheit war, dass er ohne die CIA, die Vorlesungen oder seine Töchter sich nicht wie er selbst fühlte und das hatte zu einer Art Krankheit in seinem Gehirn geführt, ein generelles Unwohlsein, dass er anscheinend einfach nicht abschütteln konnte.

Die Glasschiebetür öffnete sich plötzlich und beide Männer drehten sich um und beobachteten, wie Maria in den Oktobernachmittag heraustrat. Sie war vornehm mit einem weißen Blazer mit schwarzen Hosen und einem dünnen Goldkettchen gekleidet. Ihr blondes Haar fiel ihr um die Schultern und dunkle Wimperntusche akzentuierte ihre grauen Augen.

Es war seltsam, doch für einen kurzen Augenblick überkam Null Eifersucht, als er sie sah. Wo er steckenblieb, war sie aufgeblüht. Doch er verdrängte auch das, stopfte es tief in das finstere Moor seiner unterdrückten Gefühle und sagte sich, dass er sich freute, sie zu sehen.

“Hallo Jungs”, sagte sie lächelnd. Sie schien guter Laune. Ihre Gemütsstimmung bei Ankunft zu Hause nach der Arbeit war ebenso wechselhaft wie ihre seltsamen Arbeitsstunden. “Alan, schön dich zu sehen.” Sie neigte sich, um ihn zu umarmen.

“Erstaunt” war nicht unbedingt das Wort, das Null einfiel, als Maria entdeckte, dass Alan nicht nur weiterhin am Leben war, sondern sich in einer Werkstatt weniger als dreißig Minuten von Langley entfernt versteckte. Doch sie nahm die Nachricht auf – ein harter Schlag auf die Schulter und ein strenge Rüge, die aus “das hättest du uns sagen sollen!” war anscheinend alle Katharsis, die sie brauchte.

“Hallo Kent.” Sie küsste ihn, bevor sie ein Bier aus Alans Sechserpack nahm und sich zu ihnen setzte. “War es ein guter Tag?”

“Ja.” Er nickte. “Ein guter Tag.” Er ging nicht weiter darauf ein, denn er hätte ihr nur erzählen können, dass er den Tag damit verbracht hatte, alte Filme zu sehen, zu schlafen und ein wenig darüber nachzudenken, in den wartenden, unfertigen Keller zurückzukehren. “Und du?”

Sie zuckte mit den Schultern. “Besser als die meisten.” Sie sprach für gewöhnlich nicht viel über ihre Arbeit mit ihm – das lag nicht nur an der Sicherheitsfreigabe, die Null gerade nicht hatte, sondern auch an der unausgesprochenen Angst (dies nahm Null zumindest an), dass es ihn aufregen könnte, eine alte Erinnerung hervorrufen oder ihn dazu inspirieren könnte, wieder mitzumischen. Es schien, dass es ihr gefiel, wo er war. Doch sein Verdacht darüber war eine ganz andere Angelegenheit.

“Kent”, sagte sie, “vergiss nicht, dass wir Pläne fürs Abendessen haben.”

Er lächelte. “Ach so, natürlich.” Er hatte den Gast nicht vergessen, den sie an diesem Abend empfangen würden. Doch er versuchte aktiv, nicht daran zu denken.

Kent.

Sie war die Einzige, die ihn noch so nannte.

Agent Kent Steele war sein Alias bei der CIA gewesen, doch jetzt war das nichts weiter als eine Erinnerung. Null war sein Sendezeichen, Alan Reidigger begann damit als ein Witz – und nannte ihn weiterhin Null. Und seitdem er sein Gedächtnis wieder erhalten hatte, war das der Name, mit dem er sich selbst identifizierte. Doch er war weder Kent noch Null, nicht mehr. Er war nicht mehr Professor Lawson. Verdammt, er fühlte sich kaum noch wie er selbst, sein wahrhaftiges Selbst, Reid Lawson, Vater von zwei Kinder, Geschichtsprofessor und verdeckter CIA Agent und mit was auch immer er sich sonst noch identifizierte. Obwohl achtzehn Monate vergangen waren, erinnerte er sich immer noch verbittert daran, wie die dunklen Verschwörer seinen Namen durch den Schlamm gezogen hatten, sein Bild an die Medien freigaben, ihn einen Terroristen nannten und versuchten, ihm den Mordversuch anzuhängen. Natürlich wurde er von diesen Anschuldigungen freigesprochen und er hatte keine Ahnung, ob sich jemand anders überhaupt noch daran erinnerte. Doch er tat es. Und jetzt fühlte sich der Name fremd für ihn an. Er vermied es, sich als Reid Lawson bekanntzugeben und das ging soweit, dass das Haus, die Rechnungen und sogar die Autos alle in Marias Namen waren. Keine Post mit seinem Namen kam an. Niemand rief jemals an und fragte nach Reid.

Oder Kent.

Oder Null.

Oder Vater.

Also wer zum Teufel bin ich dann?

Er wusste es nicht. Doch er wusste, dass er es selbst herausfinden musste, denn das Leben, das er jetzt führte, war es nicht wert, gelebt zu werden.

Kapitel zwei

Null war froh, dass er nicht über sie sprechen musste. Doch Alan wusste, dass er besser nicht nach den Mädchen fragte.

Reidigger blieb für eine dreiviertel Stunde, bevor er vom Gartenstuhl aufstand, sich streckte und auf seine gewöhnlich Art erklärte, dass er sich besser auf den “alten, staubigen Weg” machte. Null umarmte ihn kurz und winkte ihm nach, als der Kleintransporter von der Auffahrt fuhr. Er dankte ihm still, dass er nicht nach seinen Töchter gefragt hatte. Die Wahrheit war, dass Null Alans Frage nicht hätte beantworten können.

Maria stand mit einer Schürze über ihrer Arbeitskleidung in der Küche und hackte eine Zwiebel. “Guter Besuch?”

“Ja.”

Stille. Nur das rhythmische Schlagen des Messers gegen das Schnittbrett.

“Bist du bereit für heute Abend?” fragte sie nach einem langen Moment.

Er nickte. “Ja. Absolut.” Er war es nicht. “Was machst du?”

“Bigos.” Sie ließ den Inhalt des Schnittbretts in einen großen Topf auf dem Herd fallen, in dem sich schon köchelnde Krakauer, Kohl und anderes Gemüse befanden. “Das ist ein polnisches Gericht.”

Null runzelte die Stirn. “Bigos. Seit wann machst du Bigos?”

“Das habe ich von meiner Großmutter gelernt.” Sie grinste. “Es gibt immer noch viel, das du nicht über mich weißt, Mr. Steele.”

“Anscheinend.” Er zögerte, wunderte sich, wie er am besten das Thema ansprechen sollte, das ihm durch den Kopf ging und entschied sich dann, dass er es besser direkt täte. “Äh… hey. Also heute Abend, meinst du, dass du versuchen könntest, mich nicht Kent zu nennen?”

Maria hielt mit dem Messer über einem getrockneten Champignon inne. Sie blickte dunkel, doch nickte. “OK. Wie soll ich dich dann nennen? Reid?”

“Ich…” Er wollte gerade zustimmen, doch dann merkte er, dass er das auch nicht wollte. “Ich weiß es nicht.” Vielleicht, dachte er, könnte sie ihn einfach gar nicht ansprechen.

“Ha.” Ihr Ausdruck war eindeutig einer von Sorge, sie wollte weiter drängen, was in ihm vor sich ging, doch es war nicht der richtige Zeitpunkt, um das alles auszupacken. “Wie wär’s, wenn ich dich einfach,Herzelchen’ nenne?”

“Sehr witzig.” Er grinste trotz allem.

“Oder,Schnuckelputz’?”

“Ich ziehe mich jetzt um.” Er ging aus der Küche, während Maria ihm noch nachrief und sich amüsierte.

“Wart’ mal, ich hab’s. Ich nenne dich, Honigpferdchen’.”

“Ich ignoriere dich”, rief er zurück. Er wusste zu schätzen, was sie versuchte, zu tun, dass sie versuchte, die Situation mit Humor entwaffnen. Doch als er die kurze Treppe, die zum Dachgeschoss hinaufführte, hochgestiegen war, stieg wieder Angst in ihm auf. Er war froh über Alans Besuch gewesen, weil er bedeutete, dass er nicht darüber nachdenken musste. Er war froh, dass Alan nicht nach den Mädchen gefragt hatte, denn es bedeutete, dass er sich keinen Fakten oder Erinnerungen stellen musste. Doch jetzt konnte er das nicht mehr vermeiden.

Maya kam zum Abendessen.

Null inspizierte seine Jeans, versicherte sich, dass sie keine Löcher oder Kaffeeflecken hatte und wechselte sein altes T-Shirt durch ein gestreiftes Hemd aus.

Du bist ein Lügner.

Er fuhr sich mit dem Kamm durch sein Haar. Es wurde zu lang. Er ergraute langsam, besonders an den Schläfen.

Mama starb wegen dir.

Er drehte sich zur Seite und inspizierte sich im Spiegel, zog die Schultern zurück und versuchte, den kleinen Bauch einzuziehen, der sich um seinen Nabel gebildet hatte.

Ich hasse dich.

Die letzte bedeutungsvolle Unterhaltung, die er mit seiner ältesten Tochter hatte, war beißend. In dem Hotelzimmer des Plaza, als er ihnen die Wahrheit über ihre Mutter sagte, war Maya vom Bett aufgestanden. Sie begann ruhig, doch ihre Stimme erhob sich schnell um eine Oktave. Ihr Gesicht wurde immer röter, als sie ihn verfluchte. Sie nannte ihn bei jedem Schimpfwort, das er verdient hatte. Sagte ihm ganz genau, was sie über ihn, sein Leben und seine Lügen dachte.

Danach war nichts mehr wie früher. Ihre Beziehung hatte sich plötzlich dramatisch verändert, doch das war nicht der schmerzhafteste Teil. Wenigstens war sie damals noch körperlich anwesend. Nein, was danach kam war viel schlimmer. Nach dem Geständnis im Hotel, nachdem sie wieder zurück in ihr Haus in Alexandria gekehrt waren, ging Maya zurück zur Schule. Sie beendete die elfte Klasse. Zwar hatte sie zwei Monate verpasst, doch sie konzentrierte sich so stark auf ihre Aufgaben, wie Null es noch nie zuvor bei ihr gesehen hatte.

Dann kam der Sommer und dennoch verschloss sie sich in ihr Zimmer zum Lernen. Er brauchte nicht lange, um zu verstehen, was geschah. Maya war extrem intelligent – zu schlau für ihr eigenes Wohl, hatte er oft gesagt. Doch in diesem Fall war sie zu clever für sein Wohl.

Maya lernte und arbeitete hart und konnte aufgrund einer wenig bekannten Statut ihrer Schule das letzte Jahr überspringen, indem sie alle Abschlussprüfungen schaffte. Sie schoss die High School vor dem Ende dieses ersten Sommers ab – doch es gab keine Zeremonie, keine Kappe und Robe, kein Abschlussfest mit den Klassenkameraden. Keine stolzen, lächelnden Fotos neben ihrem Vater und ihrer Schwester. Sie erhielt nur eines Tage einen formalen Brief und ein Zeugnis in der Post, was zu Nulls elendem Erstaunen führte, als er verstand, was sie versuchte, zu tun.

Und dann, erst dann, war sie weg.

Er seufzte. Das war schon länger als ein Jahr her. Er hatte sie zuletzt diesen letzten Sommer gesehen, im Juli oder August, kurz nach seinem vierzigsten Geburtstag. Sie kam nur selten zurück von New York. Bei dieser Gelegenheit war sie zurückgekehrt, um eine ihrer Sachen aus dem Lagerplatz abzuholen und hatte zögernd zugestimmt, mit ihm zu Mittag zu essen. Ihr Treffen war ungelenk, angespannt und größtenteils still. Er fragte, drängte sie dazu, von ihrem Leben zu erzählen und sie gab kurze Antworten und vermied Blickkontakt.

Und jetzt kam sie zum Abendessen.

“Hey.” Er hatte Maria nicht in das Loft-Schlafzimmer eintreten hören, doch er spürte ihre Arme um seine Taille, wie ihr Kopf sich gegen seinen Rücken lehnte, als sie ihn von hinten umarmte. “Es ist in Ordnung, nervös zu sein.”

“Ich bin nicht nervös.” Er war sehr nervös. Ich freue mich drauf, sie zu sehen.”

“Ja, natürlich.” Maria hatte das Treffen organisiert. Sie war diejenige, die Maya kontaktiert hatte, um sie einzuladen, wenn sie das nächste Mal in der Stadt wäre. Die Einladung hatte sie vor zwei Monaten gemacht. Maya war dieses Wochenende in Virginia, um ein paar Schulfreunde zu treffen und hatte zögernd zugestimmt, zu kommen. Nur zum Abendessen. Sie würde nicht bleiben. Das gab sie sehr deutlich bekannt.

“Hey,” sagte Maria sanft hinter ihm, “ich weiß, dass jetzt vielleicht nicht der beste Zeitpunkt dafür ist, aber…”

Null zuckte zusammen. Er wusste, was sie sagen würde und wünschte, dass sie es nicht täte.

“Ich habe meinen Eisprung.”

Für einen langen Moment erwiderte er nichts. Es war lang genug, um zu bemerken, dass die Stille, die zwischen ihnen gähnte, unangenehm war.

Als sie zusammenzogen, waren sie sich einig, dass keiner der beiden besonders an einer Hochzeit interessiert war. Kinder waren nicht mal auf seinem Radar. Doch Maria war nur zwei Jahre jünger als er, sie ging stark auf die Vierzig zu. Auf ihrer biologischen Uhr gab es keine Schlummertaste mehr. Zuerst bemerkte sie es nebenbei in einer Unterhaltung, doch dann hörte sie auf, zu verhüten und begann, ihren Zyklus streng zu verfolgen.

Dennoch hatten sie sich niemals zusammengesetzt, um es zu besprechen. Es war, als ob Maria einfach annahm, dass weil er schon zwei Kinder hatte, er gerne wieder Vater würde. Er sprach es zwar niemals laut aus, doch insgeheim hatte er den Verdacht, dass dies der Grund war, warum sie nicht darauf drängte, dass er zur Agentur zurückkehrte oder zumindest zur Universität. Es gefiel ihr, wo er war, denn es bedeutete, dass jemand da wäre, um sich um ein Baby zu kümmern.

Wie kann das sein, dachte er verbittert, dass mein Leben als arbeitsloser Ziviler komplizierter ist als jenes, das ich als Geheimagent hatte?

Er hatte mit seiner Antwort zu lange gewartet, und als er schließlich sprach, klang es erzwungen und lahm. “Ich glaube”, erwiderte er schließlich, “dass wir damit erst mal langsam machen sollten.”

Er spürte, wie ihre Arme von seiner Taille fielen und fügte hastig hinzu: “Nur, bis wir diesen Besuch hinter uns haben. Dann reden wir darüber und entscheiden —”

“Weiter zu warten.” Sie spuckte die Worte fast aus und als er sich drehte, um sie anzusehen, starrte sie mit unverhohlener Enttäuschung auf den Teppich.

“Das sage ich doch gar nicht.”

Doch, das sagst du.

“Ich glaube nur, dass es ein ernsthaftes Gespräch braucht”, erklärte er.

Damit ich genügend Mut aufbringe, um zuzugeben, dass ich es nicht will.

“Wir sollten uns zumindest zuerst darum kümmern, was jetzt vor uns liegt.”

Wie die Tatsache, dass die beiden Kinder, die ich schon großgezogen habe, mich hassen.

“Ja”, stimmte Maria leise zu. “Du hast recht. Wir warten weiter.” Sie wandte sich um und ging aus dem Schlafzimmer.

“Maria, warte…”

“Ich muss das Abendessen fertigkochen.” Er hörte ihre Schritte auf der Treppe und schalt sich selbst leise dafür aus, dass er so schlecht mit der Situation umgegangen war. So wie mit seinem ganzen Leben in letzter Zeit.

Dann klingelte es an der Tür. Das Geräusch sandte ein elektrisches Kribbeln durch sein Nervensystem.

Er hörte, wie die Tür sich öffnete. Marias fröhliche stimme: “Hallo! So schön, dich zu sehen. Komm rein, komm rein.”

Sie war hier. Plötzlich fühlten sich Nulls Füße wie Bleigewichte an. Er wollte nicht heruntergehen. Wollte sich der Situation nicht stellen.

“Und du musst Greg sein…” sagte Maria.

Greg? Wer zum Teufel ist Greg? Plötzlich fand er die Willenskraft, sich zu bewegen. Eine Stufe nach der anderen geriet sie langsam in sein Blickfeld. Es waren erst ein paar Monate vergangen, seitdem er sie gesehen hatte, doch sie raubte ihm dennoch den Atem.

Maya war jetzt achtzehn, kein Kind mehr, und das zeigte sich schneller als er zugeben wollte. Als sie sich im vergangenen Sommer zum Mittagessen trafen, war ihr Haar noch lang und zu dem durch das Militär vorgeschriebenen Knoten gebunden, doch seitdem hatte sie es kürzer geschnitten, ein sogenannter Pixie-Schnitt, kurz an den Seiten und am Hinterkopf, zog er sich über ihre Stirn, hob ihr schlankes Gesicht hervor, das reifer und kantiger wurde. Sie sah stärker aus, die Muskeln in ihren Armen entwickelten sich, klein doch fest.

Sie sah ihm jeden Tag ähnlicher, während er täglich weniger wie er selbst aussah und sich fühlte.

Maya blickte zu ihm herauf, als er die Treppe herunterkam. “Hallo.” Es war eine passive Begrüßung, nicht freudig, aber auch nicht widerwillig. Neutral. Wie jemand, der einen Fremden begrüßt.

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Litres'teki yayın tarihi:
15 nisan 2020
Hacim:
311 s. 3 illüstrasyon
ISBN:
9781094313122
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