Kitabı oku: «Umgeben Von Feinden»

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UMGEBEN VON FEINDEN
(EIN LUKE STONE THRILLER—BUCH 4)
J A C K     M A R S
Jack Mars

Jack Mars ist der USA Today Bestseller Autor der LUKE STONE Thriller Serie, welche sieben Bücher umfasst (und weitere in Arbeit). Er ist außerdem der Autor der neuen WERDEGANG VON LUKE STONE Vorgeschichten Serie und der AGENT NULL Spionage-Thriller Serie.

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BÜCHER VON JACK MARS

LUKE STONE THRILLER SERIE

KOSTE ES WAS ES WOLLE (Buch #1)

AMTSEID (Buch #2)

LAGEZENTRUM (Buch #3)

UMGEBEN VON FEINDEN (Buch #4)

DER KANDIDAT (Buch #5)

DER WERDEGANG VON LUKE STONE

PRIMÄRZIEL (Buch #1)

PRIMÄRKOMMANDO (Buch #2)

EINE AGENT NULL SPIONAGE-THRILLER SERIE

AGENT NULL (Buch #1)

ZIELOBJEKT NULL (Buch #2)

JAGD AUF NULL (Buch #3)

EINE FALLE FÜR NULL (Buch #4)

AKTE NULL (Buch #5)

RÜCKRUF NULL (Buch #6)

ATTENTÄTER NULL (Buch #7)

KÖDER NULL (Buch #8)

EINE AGENT NULL KURZGESCHICHTE

Hören Sie sich die LUKE STONE THRILLER-Serie im Hörbuchformat an!

KAPITEL EINS

16. Oktober

05:25 Uhr

Marble Canyon

Grand-Canyon-Nationalpark, Arizona


„Sie kommen von allen Seiten!“

Luke versuchte, bis zum Tagesanbruch zu überleben, aber die Sonne weigerte sich, aufzugehen. Es war kalt und er stand mit nacktem Oberkörper da. Er hatte sich sein Hemd in der Hitze des Gefechts vom Leib gerissen. Die Munition war ihm ausgegangen.

Turban tragende, bärtige Taliban-Kämpfer strömten über die Mauern des Außenpostens. Überall um ihn herum ertönte Geschrei.

Luke warf sein leeres Gewehr weg und zog seine Handfeuerwaffe. Er feuerte entlang des Grabens, an dem er sich positioniert hatte – er wurde von seinen Feinden überrannt. Eine Reihe von ihnen lief in seine Richtung. Weitere rutschten, fielen, sprangen über die Mauer.

Wo waren seine Leute? War noch jemand am Leben?

Er tötete den herannahenden Mann mit einem Schuss ins Gesicht. Sein Kopf explodierte wie eine Tomate. Er packte den Mann an seiner Tunika und hielt ihn wie einen Schild hoch. Der nun kopflose Körper fühlte sich leicht an und Luke tobte vor lauter Adrenalin – es war, als wäre die Leiche nichts als ein leerer Kleidersack.

Er tötete vier Männer mit vier Schüssen. Er schoss weiter.

Dann gingen ihm die Kugeln aus. Schon wieder.

Ein Taliban stürmte auf ihn zu, eine AK-47 mit Bajonett in der Hand. Luke stieß die Leiche auf ihn zu und warf seine eigene Pistole wie einen Tomahawk. Sie traf den Mann am Kopf und lenkte ihn für eine Sekunde ab. Luke nutzte diesen Moment. Er ging in den Angriff über und glitt am Rand des Bajonetts entlang. Er tauchte mit zwei Fingern tief in die Augen des Mannes und zog fest an ihnen.

Der Mann schrie. Seine Hände schnellten in die Höhe zum Gesicht. Nun hatte Luke die AK. Er stach seinen Feind in die Brust, zwei, drei, vier Mal, mit aller Kraft.

Der Mann hauchte seinen letzten Atemzug in Lukes Gesicht.

Lukes Hände durchsuchten die Taschen des Mannes. Die frische Leiche hatte eine Granate in der Brusttasche. Luke nahm sie, zog ihre Sicherung und warf sie über den Wall in die herannahenden Horden.

Er warf sich auf den Boden.

BUMM.

Die Explosion war direkt vor ihm, sie versprühte Schmutz und Steine und Blut und Knochen. Die Wand aus Sandsäcken stürzte zu Hälfte auf ihn ein.

Luke kämpfte sich wieder hoch, taub, seine Ohren schallten. Er überprüfte die AK. Leer. Aber er hatte immer noch das Bajonett.

„Kommt schon, ihr Bastarde!“, schrie er. „Kommt schon!“

Es kamen noch mehr Männer über die Mauer gestürmt und er stach wie ein Wahnsinniger auf sie ein. Er riss und zerfetzte sie mit bloßen Händen. Er erschoss sie mit ihren eigenen Waffen.

Irgendwann ging die Sonne auf, auch wenn sie keine Wärme abstrahlte. Irgendwann hatte der Kampf aufgehört – er konnte sich nicht erinnern, wann und wie es zu Ende gegangen war. Der Boden war rau und hart. Überall lagen Leichen. Überall auf dem Boden lagen dürre, bärtige Männer, mit großen Augen und starrer Haltung.

Ganz in der Nähe sah er jemanden, der versuchte den Hügel hochzukriechen und eine Blutspur hinter sich herzog, die aussah wie eine Schleimspur, die einer Schnecke folgt. Er sollte zu ihm gehen und ihn umbringen, aber er wollte nicht riskieren, schutzlos auf freier Fläche zu stehen.

Lukes Brust war knallrot. Er war durchtränkt von dem Blut seiner Feinde. Sein Körper zitterte vor Hunger und Erschöpfung. Er starrte auf die umliegenden Berge, die gerade so in Sichtweite kamen.

Wie viele waren noch da draußen? Wie lange würde es dauern, bis sie hier waren?

Martinez lag auf seinem Rücken ganz in der Nähe, tief in einem der Gräben. Er weinte. Er konnte seine Beine scheinbar nicht bewegen. Er hatte genug. Er wollte sterben. „Stone“, sagte er. „Hey, Stone. Hey! Töte mich, Mann. Töte mich einfach. Hey, Stone! Hör mir zu, Mann!“

Luke war wie betäubt. Er konnte weder an Martinez‘ Beine, noch an seine Zukunft denken. Er hatte es einfach satt, sein Weinen zu hören.

„Ich würde dich liebend gerne umbringen, Martinez, nur weil du so jammerst. Aber ich habe keine Munition mehr. Also sei zur Abwechslung ein Mann… Okay?“

In der Nähe saß Murphy auf einem Felsvorsprung und starrte ins Leere. Er versuchte nicht einmal, in Deckung zu bleiben.

„Murph! Komm da runter. Willst du, dass dir ein Scharfschütze eine Kugel in den Kopf jagt?“

Murphy drehte sich um und schaute Luke an. Seine Augen waren einfach… leer. Er schüttelte den Kopf. Ein Hauch von Luft entwich ihm. Es klang fast wie ein Lachen. Er blieb genau dort, wo er war.

Wenn noch mehr Taliban kommen würden, wären sie erledigt. Keiner dieser beiden Jungs hatte noch viel Kampfgeist und die einzige Waffe, die Stone noch hatte, war das inzwischen verbogene Bajonett in seiner Hand. Einen Moment lang dachte er darüber nach, einige der Toten nach Waffen zu durchsuchen. Er wusste nicht, ob er noch die Kraft hatte, überhaupt aufzustehen. Vielleicht musste er zu ihnen kriechen.

Während er zuschaute, erschien etwas, das wie eine Reihe schwarzer Insekten am weit entfernten Himmel aussah. Er wusste sofort, was es war. Hubschrauber. Militärhubschrauber der Vereinigten Staaten, wahrscheinlich Black Hawks. Die Kavallerie war im Anmarsch. Luke freute sich weder, noch verspürte er etwas anderes. Er fühlte nichts. Die Leere war ein Berufsrisiko. Er fühlte überhaupt nichts…

Luke wurde durch sein klingelndes Telefon aus seinen Gedanken gerissen. Er lag da und blinzelte.

Er versuchte, sich zu orientieren. Er befand sich in einem Zelt auf dem Grund des Grand Canyon.

Es war kurz vor Sonnenaufgang und er war in dem Zelt, das er mit seinem Sohn Gunner teilte. Er starrte in die schwarze Nacht und lauschte dem tiefen Atmen seines Sohnes.

Sein Telefon klingelte weiter.

Es vibrierte an seinem Bein und summte auf die lästige Art, die vibrierende Handys an sich haben. Er wollte Gunner nicht wecken, aber das war wahrscheinlich ein Anruf, den er annehmen musste. Nur sehr wenige Menschen hatten diese Nummer und allesamt würden ihn nicht einfach nur anrufen, um Smalltalk zu halten.

Er blickte auf seine Uhr: 05:30 Uhr.

Luke öffnete den Reißverschluss des Zeltes, huschte hinaus und schloss es wieder. In der Nähe, im ersten fahlen Licht des Tages, sah Luke die beiden anderen Zelte – Ed Newsam in einem, Mark Swann in dem anderen. Die Überreste des Feuers von letzter Nacht befanden sich in dem Steinkreis in der Mitte des Lagers – ein paar Kohlen glühten noch rot.

Die Luft war kühl und knackig – Luke trug nur Boxershorts und ein T-Shirt. An seinen Armen und Beinen bildete sich Gänsehaut. Er zog sich ein Paar Sandalen an und ging zum Fluss hinunter, vorbei an der Stelle, an der ihr Floß festgebunden war. Er wollte weit genug vom Campingplatz entfernt sein, um niemanden zu wecken.

Er setzte sich auf einen Felsblock und blickte auf die aufsteigenden Wände der Schlucht. Direkt unter ihm, obwohl er es kaum sehen konnte, war das Geräusch von tröpfelndem Wasser zu hören. Flussabwärts, vielleicht eine halbe Meile entfernt, konnte er das Rauschen der Stromschnellen hören.

Er schaute auf das Telefon. Er kannte die Nummer auswendig. Es war Becca. Wahrscheinlich die letzte Person, von der er im Moment hören wollte. Er hatte Gunner fünf Tage lang bei sich gehabt, was laut ihrer Vereinbarung völlig legal war. Ja, Gunner war zu dieser Zeit zwar nicht in der Schule gewesen, aber der Junge war schon fast ein Genie – es war die Rede davon, dass er die Klasse überspringen sollte.

Luke fand es wichtig, Zeit mit ihm in der Wildnis zu verbringen, die Natur zu genießen und sich körperlich und geistig zu erproben – wahrscheinlich wichtiger als alles, was er zu Hause tun könnte. Die Kinder von heute – sie verbrachten viel Zeit damit, auf Bildschirme zu starren. An sich war das nicht schlimm – Technologie war ein wichtiges Werkzeug, aber mehr auch nicht. Sie sollte nicht an Stelle von Familie, körperlicher Aktivität, Spaß oder Fantasie treten. Am Computer konnte man keine echten Abenteuer oder Erfahrungen erleben.

Er rief sie zurück, etwas alarmiert, aber bereit, neutral zu bleiben. Welches Spiel sie auch immer zu spielen versuchte, er würde ruhig bleiben und so vernünftig sein, wie er konnte.

Das Telefon klingelte nur einmal.

„Luke?“

„Hallo, Becca“, sagte er, seine Stimme war ruhig und freundlich und klang so, als sei es die normalste Sache der Welt, jemanden noch vor Sonnenaufgang zurückzurufen. „Wie geht es dir?“

„Mir geht es gut“, sagte sie. Ihre Gespräche mit ihm verliefen immer sehr abrupt und angespannt. Sein Leben mit ihr war vorbei – das hatte er inzwischen akzeptiert. Aber sein Leben mit seinem Sohn stand erst am Anfang und er war fest entschlossen, alle Hindernisse zu überwinden, die sie ihm in den Weg stellen wollte.

Er wartete.

„Was macht Gunner gerade?“, fragte sie.

„Er schläft. Es ist noch ziemlich früh hier. Die Sonne ist noch nicht einmal ganz aufgegangen.“

„Ach ja“, sagte sie. „Ich habe die Zeitverschiebung vergessen.“

„Keine Sorge“, sagte er. „Ich war sowieso wach.“ Er hielt einige Sekunden inne. Im Osten erschien der erste richtige Sonnenstrahl, ein Lichtstrahl, der über den Rand der Schlucht fiel und auf der Felswand im Westen spielte und sie rosa und orange färbte.

„Was kann ich für dich tun?“

Sie zögerte nicht lange. „Gunner muss sofort nach Hause kommen.“

„Becca –“

„Diskutiere nicht mit mir, Luke. Du weißt, dass du vor Gericht keine Chance hättest. Ein Geheimagent mit diagnostizierter posttraumatischer Belastungsstörung und einer Vorgeschichte voll mit Gewalt will seinen kleinen Sohn auf Abenteuer im Freien mitnehmen, was auch noch dazu führt, dass er ganze Schulwochen versäumt. Ich kann nicht glauben, dass ich überhaupt damit einverstanden war. Ich war so abgelenkt, dass ich…“

Er unterbrach sie. „Becca, wir sind im Grand Canyon. Wir sind mit dem Floß unterwegs. Das ist dir doch klar, oder? Wenn hier nicht gerade ein Hubschrauber landet, um uns abzuholen, sind wir wahrscheinlich noch drei Tage davon entfernt, das South Rim zu erreichen. Dann eine Nacht in der Lodge und einen ganzen Tag Fahrt bevor wir in Phoenix wären. Das kommt gerade so hin, denn wenn ich mich recht erinnere, sind unsere Rückflugtickets für den Zweiundzwanzigsten gebucht. Übrigens ist diese ganze PTBS-Diagnose nicht real. Das ist nie passiert. Kein Arzt hat jemals etwas in die Richtung angedeutet. Das hast du dir nur ausgedacht, um…“

„Luke, ich habe Krebs.“

Das ließ ihn sofort verstummen. In den letzten Tagen war sie so aufgewühlt gewesen, wie er sie noch nie erlebt hatte. Natürlich hatte er das bemerkt, aber er hatte es ignoriert. Es war typisch für sie und den Druck, den sie auf sich selbst ausübte, gewesen. Becca war eine Top-Kandidatin für Burnout. Aber das hier war etwas anderes.

Lukes Augen fingen an zu tränen und in seiner Kehle bildete sich ein dicker Kloß. Konnte es wirklich wahr sein? Was auch immer zwischen ihnen geschehen war, sie war immer noch die Frau, in die er sich verliebt hatte. Sie war die Frau, die sein Kind geboren hatte. Einst hatte er sie mehr geliebt als alles andere auf der Welt, sicherlich mehr als er sich selbst geliebt hatte.

„Oh, Gott, Becca. Es tut mir so leid. Wann ist das passiert?“

„Ich war den ganzen Sommer über krank. Ich habe etwas Gewicht verloren. Zuerst war es keine große Sache, aber dann wurde es immer schlimmer. Ich dachte, es lag an all den Ängsten, an all dem, was im vergangenen Jahr passiert ist – die Entführung, das Zugunglück, die ganze Zeit, in der du weg warst. Aber nachdem die Dinge sich beruhigt hatten, hat die Krankheit immer noch nicht aufgehört. Ich habe vor ein paar Wochen einige Tests machen lassen. Ich habe mich immer wieder übergeben. Ich wollte dir nichts sagen, bevor ich nicht mehr wusste. Jetzt weiß ich mehr. Ich war gestern bei meiner Ärztin und sie hat mir alles erzählt.“

„Welche Art von Krebs ist es?“, fragte er, obwohl er sich nicht sicher war, ob er die Antwort hören wollte.

„Es ist die Bauchspeicheldrüse“, sagte sie und bestätigte damit seine schlimmsten Befürchtungen. „Im Endstadium. Luke, es haben sich bereits Metastasen gebildet. Es ist in meinem Dickdarm, in meinem Gehirn. Es steckt mir in den Knochen…“ Ihre Stimme verstummte und er konnte sie 3000 Kilometer entfernt schluchzen hören.

„Ich habe die ganze Nacht geweint“, sagte sie und ihre Stimme brach. „Ich kann einfach nicht aufhören.“

So schlecht er sich auch fühlte, Luke stellte fest, dass seine Gedanken nicht ihr galten – sie waren bei Gunner. „Wie lange?“, sagte er. „Haben sie dir einen Zeitrahmen gegeben?“

„Drei Monate“, sagte Becca. „Vielleicht sechs. Sie sagte mir, ich solle mich nicht darauf verlassen. Viele Menschen sterben sehr schnell. Manchmal leben Patienten auch wie durch ein Wunder einfach weiter. So oder so, sie sagte mir, ich solle meine Angelegenheiten klären.“

Sie sagte einen Moment lang nichts. „Luke, ich habe solche Angst.“

Er nickte. „Ich weiß, dass du Angst hast. Wir werden so schnell wie möglich da sein. Ich werde Gunner noch nichts sagen.“

„Gut. Das möchte ich auch nicht. Wir können es ihm gemeinsam sagen.“

„Okay“, sagte Luke. „Wir sehen uns bald. Es tut mir so leid.“

Aufzulegen fühlte sich komisch an. Wenn sie nur nicht all diese Monate miteinander gestritten hätten. Wenn sie nur nicht so feindselig zu ihm gewesen wäre. Wenn diese Dinge nicht passiert wären, hätte er vielleicht einen Weg finden können, sie zu trösten, selbst aus dieser Entfernung. Aber er war abgehärtet und er wusste nicht, ob er es in sich hatte, sich mit ihr zu versöhnen.

Er blieb mehrere Minuten auf dem Felsen setzen. Das Licht begann den Himmel nach und nach zu erhellen. Er dachte nicht an all die schönen Zeiten, die er mit ihr verbracht hatte. Er dachte auch nicht an all die Streitereien des vergangenen Jahres, wie bösartig und unnachgiebig sie gewesen war. Sein Kopf war einfach leer. Das war vielleicht das Beste. Er musste irgendwie aus dieser Schlucht heraus und er musste Ed und Swann sagen, dass er und Gunner abreisen würden.

Er stand auf und ging zurück zum Lager. Ed war inzwischen wach und kauerte am Feuer. Er hatte es wieder entfacht und die Kaffeekanne aufgesetzt. Er hatte kein Hemd an und trug nichts weiter als ein Paar rote Boxershorts und Flip-Flops. Sein Körper bestand aus dicken, knotigen Muskeln und riesigen Adern, kaum ein Gramm Fett an ihm – er sah aus wie ein Kampfsportler, der gerade dabei war den Ring zu betreten. Er beobachtete, wie sich Luke näherte und deutete in Richtung Westen.

Der Himmel war kobaltblau, die Nacht verzog sich langsam und wurde von dem Licht im Osten verdrängt. Ganz an ihrem oberen Ende wurden die hoch aufragenden Wände der Schlucht nun von den ersten Sonnenstrahlen erhellt und erstrahlten in einem Rot, Rosa, Gelb und Orange.

„Verdammt, ist das schön“, sagte Ed.

„Ed“, sagte Luke. „Ich habe schlechte Nachrichten.“

KAPITEL ZWEI

21:15 Uhr Greenwich Mean Time (16:15 Uhr Eastern Daylight Time)

Molenbeek

Brüssel, Belgien


Der dünne Mann sprach Niederländisch.

„Ga weg“, murmelte er leise. Geh weg.

Sein Name war nicht Jamal. Doch das war der Name, unter dem er sich manchmal vorstellte und unter den ihn viele Leute kannten. Die meisten nannten ihn so. Einige nannten ihn auch das Phantom.

Er stand im Schatten in der Nähe einer überquellenden Mülltonne, in einer schmalen Straße aus Kopfsteinpflaster, rauchte eine Zigarette und beobachtete ein Polizeiauto, das an der Hauptstraße parkte. Die Straße, auf der er sich befand, war kaum mehr als eine Gasse und während er in ihrem Schatten stand, war er sich sicher, dass ihn dort niemand sehen konnte. Die leeren Boulevards, Gehsteige und Gassen des berüchtigten muslimischen Slums waren nass von einem harten, kalten Regen, der vielleicht zehn Minuten zuvor aufgehört hatte niederzuprasseln.

Hier war es heute Abend wie in einer Geisterstadt.

Auf der großen Straße fuhr das Polizeiauto vom Bordstein los und rollte leise davon. Andere Autos waren nicht in Sicht.

Ein Kitzeln der Aufregung – es war fast Angst – ging durch Jamals Körper, während er die Polizei beobachtete. Sie hatten keinen Grund, ihn anzuhalten. Er hatte keine Gesetze gebrochen. Er war ein gut gekleideter Mann in einem dunklen Anzug und italienischen Lederschuhen, mit einem glatt rasierten Gesicht. Er könnte ein Geschäftsmann sein oder der Eigentümer dieser Mietshäuser in seiner Umgebung. Er war nicht der Typ, den die Polizei wahllos anhalten und durchsuchen würde. Trotzdem war Jamal schon vorher in die Hände der Behörden gefallen – nicht hier in Belgien, sondern an anderen Orten. Seine Erfahrungen waren, um es milde auszudrücken, unerfreulich gewesen. Einmal hatte er zwölf Stunden damit verbracht, sich selbst unter Qualen schreien zu hören.

Er schüttelte den Kopf, um diese dunklen Gedanken loszuwerden, atmete dreimal tief ein, ignorierte die Mülltonne und warf seinen Zigarettenstummel auf den Boden. Er bog in die Gasse ein. Er ging an einem runden roten Schild mit einem horizontalen weißen Streifen vorbei – KEINE EINFAHRT. Die Straße war zu eng für Autos. Wenn die Polizei plötzlich beschließen würde, ihn doch zu verfolgen, wären sie gezwungen, dies zu Fuß zu tun. Entweder das oder einen Kreis um mehrere Blöcke fahren. Bis dahin wäre er schon längst weg.

Nach fünfzig Metern bog er in den Eingang eines besonders baufällig aussehenden Gebäudes ein. Er stieg über eine schmale Treppe drei Stockwerke hinauf, bis er an einer dicken, stahlverstärkten Tür stand. Die Treppe war alt, aus Holz und ziemlich verzogen. Das ganze Treppenhaus schien verdreht zu sein, was ihm das Gefühl gab, in einem Zirkuskabinett zu sein.

Jamal klopfte mit der Faust gegen die schwere Tür, wobei seine Schläge einem präzisen Rhythmus folgten:

BANG-BANG. BANG-BANG.

Er pausierte einige Sekunden.

BANG.

Ein Guckloch öffnete sich und ein Auge blickte ihn an. Der Mann auf der anderen Seite grunzte, als er erkannte, wer er war. Jamal hörte zu, wie die Wache die Schlüssel im Schloss drehte und dann die Stahlstange entfernte, die unten in der Tür und im Boden verkeilt war. Die Polizei würde es schwer haben, diese Wohnung zu betreten, falls ihr Verdacht jemals auf sie fallen würde.

„As salaam alaikum“, sagte Jamal, als er eintrat.

„Wa alailkum salaam“, antwortete der Mann, der die Tür öffnete. Er war von großer, kräftiger Statur. Er trug ein schmutziges, ärmelloses T-Shirt, eine Arbeitshose und Stiefel. Ein dicker ungekämmter Bart bedeckte sein Gesicht und ging nahtlos in die lockigen schwarzen Haare auf seinem Kopf über. Seine Augen waren trübe. Er war das genaue Gegenteil des dünnen Mannes, der gerade eingetreten war.

„Wie schlagen sie sich?“, fragte Jamal auf Französisch.

Der große Mann zuckte die Achseln. „Gut, denke ich.“

Jamal trat durch einen Vorhang aus Perlen, ging den kurzen Flur entlang und betrat einen kleinen Raum – das, was das Wohnzimmer sein würde, wenn eine Familie an diesem Ort wohnen würde. Der schmuddelige Raum war voll mit jungen Männern, die meisten trugen T-Shirts oder Trikots ihrer Lieblingsfußballmannschaften, Trainingshosen und Turnschuhe. Es war heiß und feucht in dem Raum, vielleicht dadurch, dass so viele Menschen auf engem Raum miteinander verbrachten. Es roch nach nassen Socken und Schweiß.

In der Mitte des Raumes, auf einem breiten Holztisch, stand ein patronenförmiges Gerät aus silbernem Metall. Es war etwa einen Meter lang und weniger als einen halben Meter breit. Jamal hatte Zeit in Deutschland und Österreich verbracht und das Gerät erinnerte ihn an ein kleines Bierfass. Abgesehen von seinem Gewicht – es war ziemlich leicht – war es eine nahezu perfekte Nachbildung eines amerikanischen W80-Nuklearsprengkopfes.

Zwei junge Männer saßen am Tisch, während die anderen um sie herum standen und zusahen. Einer von ihnen stand vor einem kleinen Laptop, der in einem Stahlkoffer montiert war. Der Koffer hatte eine Steuereinheit, die sich neben dem Laptop befand – es gab zwei Schalter, zwei LED-Leuchten (eine rote und eine grüne) und ein in die Steuereinheit eingebautes Ziffernblatt. Ein Draht verlief von der Hülle zu einer Platine entlang der Seite des Sprengkopfes. Das gesamte Gerät – der Koffer und der sich darin befindliche Laptop – war als UC 1583-Controller bekannt. Es handelte sich um ein Gerät, das nur eine einzige Aufgabe hatte – mit einem Nuklearsprengkopf zu kommunizieren.

Der zweite Mann war über einen weißen Umschlag auf dem Tisch gebeugt. Er trug ein teures digitales Mikroskop, das er mit seinem Auge festgekniffen hatte, und scannte langsam den Umschlag ab, um nach dem zu suchen, von dem er wusste, dass es dort sein musste – ein winziger Punkt, nicht größer als der Punkt am Ende eines Satzes, in dem der Code eingebettet war, der den Sprengkopf scharf stellen und aktivieren würde.

Jamal rückte näher, um zuzuschauen.

Der junge Mann mit dem Mikroskop suchte langsam den Umschlag ab. Alle paar Sekunden bedeckte er das Mikroskop mit der Hand und sah sich den Umschlag als Ganzes an, wobei er nach Tintenflecken, Dreck und anderen potenziell verdächtigen Punkten suchte. Anschließend blickte er wieder durch das Mikroskop.

„Moment“, flüsterte er. „Ich glaube…“

„Komm schon“, sagte sein Partner, ein Hauch von Ungeduld in seiner Stimme. Sie wurden nicht nur nach Genauigkeit, sondern auch nach ihrer Zeit beurteilt. Wenn der Ernstfall eintreten würde, mussten sie schnell handeln können.

„Hab es.“

Nun war sein Partner dran. Aus dem Gedächtnis tippte der junge Mann eine Sequenz ein, die dem Laptop mitteilte, dass sie nun den Scharfschaltungscode eingeben würden. Seine Hände zitterten, während er tippte. Er war so nervös, dass er sich beim ersten Versuch verschrieb, die Sequenz löschte und neu begann.

„Okay“, sagte er. „Ich bin so weit.“

Sehr langsam und deutlich las der Mann mit dem Mikroskop eine Folge von zwölf Zahlen vor. Der andere Mann tippte mit. Nach der zwölften sagte der erste Mann: „Fertig“.

Nun ging der Mann am Laptop eine weitere kurze Sequenz durch, legte die beiden Schalter um und drehte den Wählschalter. Die grüne LED-Leuchte auf der Steuereinheit leuchtete auf.

Der junge Mann lächelte und wandte sich an seinen Ausbilder.

„Bewaffnet und startbereit“, sagte er. „So Gott will.“

Auch Jamal lächelte. Er war hier nur Beobachter – er war gekommen, um zu sehen, wie die neuen Rekruten vorankamen. Sie waren wahre Gläubige, die sich auf eine wahrscheinlich selbstmörderische Mission vorbereiteten. Wenn die Codes falsch eingegeben wurden, würden sich die Sprengköpfe wahrscheinlich einfach abschalten – aber vielleicht würden sie sich auch sofort selbst zerstören, eine tödliche Strahlungswolke freisetzen und alles Leben in ihrer Nähe auslöschen.

Niemand war sich sicher, was im Falle einer falschen Codeeingabe geschehen würde. Es war alles nur Hörensagen und Spekulation. Die Amerikaner hielten diese Geheimnisse streng verschlossen. Aber die Details waren unwichtig. Diese jungen Männer waren bereit zu sterben und das würden sie wahrscheinlich auch tun. Abgesehen von den Codes würden die Amerikaner nicht gerade freundlich reagieren, wenn sie entdeckten, dass ihre wertvollen Atomwaffen entwendet worden waren. Nein. Das riesige Biest würde um sich schlagen, seine Tentakeln würden umherfliegen und alles zerstören, was sich ihm in den Weg stellte.

Jamal nickte und sagte ein stilles Dankesgebet. Es war eine ziemliche Aufgabe gewesen, dieses Projekt auf die Beine zu stellen. Sie hatten genug Mudschahedin – aber junge Männer zu finden, die bereit waren, für ihren Glauben zu sterben, war auch vergleichsweise einfach gewesen.

Die anderen Bestandteile waren schwieriger gewesen. Bald schon würden sie die Startplattformen und die Raketen haben – Jamal würde sich selbst darum kümmern. Die Codes waren ihnen versprochen worden und er war sich sicher, dass sie sie auch tatsächlich erhalten würden. Dann bräuchten sie nur noch die Sprengköpfe selbst.

Und bald, so Allah es wollte, würden sie auch sie bekommen.

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Yaş sınırı:
16+
Litres'teki yayın tarihi:
19 ekim 2020
Hacim:
352 s. 5 illüstrasyon
ISBN:
9781094306032
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