Kitabı oku: «Danke, dass wir hier weiterleben dürfen», sayfa 2

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TEIL 1

Unsichere und besorgniserregende Zeit

Kapitel eins

Ausbruch des Völkermords

Liebe Ciana!

Ich habe alles versucht, was ich konnte, um Auskunft über dich und deine Familie zu bekommen. Ohne Erfolg. Ich hoffe, dass du irgendwo auf dieser Welt mit deiner Familie noch lebst. Heute nehme ich einen Stift, ein Blatt Papier und schreibe dir. Du fehlst mir so sehr! Du wirst diesen Brief bekommen. Ich werde ihn bewahren, bis ich von dir höre. Ich möchte dir gerne erzählen, was alles geschehen ist, seitdem wir uns nicht mehr gesehen haben.

Jetzt sind fünfundzwanzig Jahren vergangen seit unserer Trennung. Beim Ausbruch des Völkermordes, in der Nacht vom 6.4.1994, sind alle Menschen chaotisch, in allen Richtungen geflohen. Sie sind überall auf der Welt verstreut. Seitdem habe ich nichts mehr von dir und deine Familie gehört.

Marc und alle Soldaten müssen so schnell wie möglich das Kanombe-Militärlager erreichen. Sie sind einberufen worden. Marc hat einen Bekannten, der einen Pick-up hat. Er hat ihn gefragt, ob er uns dort absetzen kann. Ich suche schnell zusammen was wir mitnehmen können. Marc sagt: „Du brauchst nichts mitzunehmen. Wir sind spätestens nach einer Woche wieder hier“. Ich sehe die Situation anders, aber ich sage mir: „Na gut, ich kann sowieso nicht viel mitnehmen, weil ich es allein schleppen muss“. Das geht sowieso mit Lucien nicht! Marc muss in den Krieg ziehen. Ich nehme wenigstens Fotos mit, sie sind wertvolle Erinnerungen. Wir sind losgefahren. Während der Fahrt weine ich bitterlich. Wie wissen nicht, ob meine Schwester Pauline, ihr Mann Sylvestre und ihre beiden Kinder, Laurent und Julie noch am Leben sind. Obwohl nur in fünf Minuten von uns entfernt wohnen, es ist unmöglich was von denen zu erfahren. Sie ist hochschwanger und mehrmals haben die Extremisten angedeutet, dass sie sterben muss. Marc ist Soldat und besitz ein Gewehr, trotzdem kann er unser Viertel nicht verlassen. Die Militärs haben keinen Einfluss über das Geschehen. Die Milizen haben die Führung übernommen. Soldat sein ist kein Schütz, er könnt sterben, wenn es darauf ankommt. Im ganzen Land ist Ausgangssperre angeordnet worden, um Tutsis und alle gemäßigten Hutus zu töten. Von den Hutu-Milizen sind schon mehrere Barrikaden aufgestellt worden. So können sie jeden stoppen, der sich nach draußen traut. Wer nicht im Haus stirbt, stirbt auf der Straße. Um die Fahrt zu schützen, muss Marc sein Gewehr durch den Autofenstern bereithalten! Der Bekannte hat uns am Kanombe-Militärlager abgesetzt. Es ist morgens. Es herrscht Chaos. Man sieht und trifft am Eingang des Lagers jede Menge Leute. Soldaten, Zivilisten, Frauen, Kinder. Manche gehen raus, andere kommen rein, ohne oder mit Auto. Die Autos sind voll beladen wie bei einem Umzug. Die anderen Leute tragen alle möglichen Sachen auf den Armen, auf dem Kopf oder auf dem Rücken! Es ist beängstigend. Mir ist kalt im Bauch! Marc beobachtet die Szene. Er schaut mich verblüfft an und kriegt kein Wort raus.

Wir sind bei unseren Bekannten angekommen. Marie und Charles haben zwei Kindern.

„Wie habt ihr bis hier geschafft?“

Kurz danach wird Marc einberufen. Er soll nach Camp Kigali, Hauptquartier fahren, um sich da zu melden. Der Abschied ist schwer. Am frühen Nachmittag kommt jemand mit einer Nachricht von Marc. Auf den Zettel steht: „Fahr bitte mit der Person, die dir diesen Zettel bringt, bis zum Camp Kigali. Dort findest du einen Bus, der nach Cyangugu fährt. Fahr bitte mit“. Ich muss mich von den Bekannten verabschieden und Camp Kanombe verlassen. Lucien klebt an meinem Rücken. Er weigert sich, die Füße auf den Boden zu setzen. Von da nach Camp Kigali, in Innenstadt, die Fahrt dauert dreißig Minuten. Der besagte Bus ist fast voll. Marc kommt angelaufen, um zu sehen, ob wir drin sind. Wieder verabschieden wir uns voneinander. Er sagt: „Überlege während der Fahrt, wo du mit Lucien hingehen kannst“. Es besteht die Möglichkeit, zu meiner Familie oder zu seiner zu gehen, aber ich weiß nicht, ob sie noch leben oder schon geflüchtet sind. Meine Cousine Elvira wohnt dort, genau da, wo der Bus uns absetzen muss. Zu meiner Familie oder seiner zu gehen bedeutet für uns, vorher noch irgendwo übernachten zu müssen. Die beiden Familien wohnen weit weg, von dem Dorf wo der Bus uns absetzen wird. Wo können wir übernachten? Ich vertraue niemandem mehr. Ich weiß nicht mehr, wer ist Freund oder nicht. Ich vertraue mir selbst nicht mehr. Ich weiß nicht mehr, wer ich bin. Ich muss nur funktionieren. Ich fürchte mich zu den Familien zu gehen. Du weißt ja, Marc ist in seinem Geburtsort sehr bekannt. Ich habe Angst um unsere Leben. Ich bin entschlossen erst bei Elvira zu versuchen. Wir haben uns ewig nicht mehr gesehen.

Unsere Zufluchtsstadt

Der Bus erreicht Cyangugu am Abend, um achtzehn Uhr. In dieser Uhrzeit wird plötzlich dunkel. Der Tod schwebt in der Luft. Die Angst herrscht überall. Sie bedeckt das Land wie eine dicke schwarze Wolke an einem April-Unwettertag, die kein Licht durchlässt.

Glücklicherweise wohnt Elvira fünfhundert Meter entfernt von der Haltestelle, wo uns der Bus absetzt. Bei mir habe ich nur meine beiden Kinder. Eins auf dem Rücken, das andere im Bauch. Kein Mensch auf der Straße. Das Haus steht direkt an der Hauptstraße. Ich schaue nach oben, um zu sehen, ob zufällig jemand durch das Fenster guckt. Die Gardinen sind zugezogen. Keine Bewegung, kein Licht.

Ich gehe hin und klingle. Keine Reaktion! Ich bekomme unbeschreibliche Angst. Ich klingle wieder. Nichts!

Nach dem dritten Mal höre ich schleichende Schritte und eine leise Stimme: „Wer ist denn da?“ Ich antworte: „Deine Cousine Jada und ihr Kind“. Die Eingangstür öffnet sich einen Spalt. „Schnell, schnell, schnell!“, flüstert Elvira. Da ich schwanger bin und Lucien auf meinen Rücken trage, kann ich nicht schnell laufen. Dazu kommen Hunger, Angst, Müdigkeit. Ich ziehe mich wie eine Schlange hinein. Sie bietet uns einen Tee an. Ich kann nichts essen, kein Appetit. Lucien wird nur noch gestillt, so konnte er überleben.

Es gibt keine Geschäfte mehr, keinen Markt, keine Lokale. Und auch wenn es sie geben würden – ohne Geld nutzt alles nichts.

Elvira sagt: „Ihr dürft bei uns bleiben. Wir werden zusammen sterben oder überleben.“

Oh Ciana! Dieser ist einer von den Momenten, die für immer in mir geschrieben sind.

Die Momente, wo keine Worte und keine Geste der Dankbarkeit Ausdruck verleihen kann. Ich bin äußerst erleichtert und vom Herzen Dankbar.

Die Türen sind permanent geschlossen. Zwei Monate sind jetzt vergangen. Elvira hat ein kleines Lebensmittelgeschäft. Davon ernähren wir uns, jeden Tag ein bisschen. In zwischen es ist erschöpft. An dauernd hören wir eine Mischung aus Schreien, Hilferufe, Weinen von Menschen, die zum Töten fortgebracht werden. Rund um die Uhr, hören wir Lärme und Schreien von Milizen, die zu den Bewohnern marschieren, um sie fortzuschleppen und töten. Durch einen Zentimeter Vorhangöffnung können wir auf die Straße schauen. Wir sehen die immensen Flüchtlingsströme aus dem Inneren des Landes in das angrenzende Demokratische Republik Kongo. Es ist ein schrecklicher Anblick. Am Rand der Straße sitzen kleine Kinder, die von den Eltern verlassen worden sind. Die älteren Menschen liegen auf der Straße, weil sie nicht mehr laufen können. Die Entfernung ist für die kleinen Kinder zu Fuß nicht zu schaffen. Die Füße tun weh und bluten. Die Eltern basteln aus trockenen Bananenblättern eine Art Sandalen und laufen darauf! Alle möglichen Sachen liegen überall auf den Straßen. Die Toten liegen traurigerweise auch da! Ciana, ich sehe es, aber ich verstehe es nicht. Man kann es auch kaum verstehen. Mein Verstand kann es nicht erfassen. Menschen sind in dieser Zeit schlimmer als Tiere. Ich frage mich, was ist der Sinn der Bildung, wenn ein gebildeter Mensch keine Wertschätzung für das Leben anderer hat! Die Leute mit allen möglichen akademischen Titeln, die in hohen Positionen waren, die Führer des Volkes, haben diesem grausamen Schlachten ihrer Mitmenschen zugestimmt. Mitorganisiert und mitgemacht! Und die Geistlichen? Viele Menschen sind zu Kirchen geflohen. Sie hofften, dass ihnen dort nichts passieren würde. Man hat ihnen gesagt: „Wenn sie zur Kirche gehen, wird Ihnen kein Feind dorthin folgen“. Sie wurden dort von Milizen niedergemetzelt. Wir sitzen da. Plötzlich ein unbeschreibliches Geschrei! Die Milizen ziehen zur Kirche, sagt Elvira. Die Kirche ist hier hinten, nicht weit. Das Ganze dauert ewige Minuten. Die Gruppe nähert sich der Hauptstraße. Elvira traut sich einen Blick durch das Fenster zu werfen. Sie lässt einen kurzen Schrei los. Da ist unsere bekannter! Wir haben uns angeschaut und nur geweint. Wir kannten uns von klein auf! Der Cousin meines Vaters, seine Frau und seine Kinder sind auch so schrecklich getötet worden. Er baute am Haus und hatte ein tiefes Loch im Hof gegraben. Die Milizen haben die siebenköpfige Familie hineingeworfen und dann lebendig begraben. Schrecklich! Die vier Jahre, die ich in Kigali gewohnt habe, habe ich keinen Mut gefunden, zu ihrem Grab zu gehen. Ich könnte es nicht ertragen. Meine Patentante ist mit ihrer neunköpfigen Familie mit Macheten ermordet worden. Sie sind nur einige von vielen, die uns nahestanden und die wir kannten. Ciana, unser Wiedersehen wird erst einmal nur traurig sein.

Du hast bestimmt auch fürchterliche Dinge erlebt!

Marc wusste nicht, wo wir sind. Er hat nach uns gesucht und uns schließlich bei Elvira gefunden. Er hat gerade die vollständige Evakuierung der Hauptstadt Kigali überlebt. Er erzählt mir, dass er mit ein paar anderen noch im Kigali war, als sie feststellten, dass sie den Krieg verloren haben. Sie hatten keine Munition mehr. Da der Strom ausgefallen war, lag die ganze Hauptstadt im Dunkeln. Sie fürchteten den Überfall der oppositionellen Armee. Sie sind einfach losgelaufen. Jeder seinen eigenen Weg. Er ist gelaufen, ohne zu wissen, wohin der Weg wirklich führte. Er lief einfach weiter und weiter. Er wusste nicht, wer neben, vor, hinter, rechts, links von ihm lief. Die Soldaten des abgesetzten Regimes, die Menschen, die in den Städten geblieben waren, die Soldaten der oppositionellen Armee, alle liefen durcheinander. Er versuchte, sich zu orientieren. Plötzlich hörte er das Rauschen eines Flusses. Er befand sich an der Nyabarongo Brücke. Tage und Nächte ist er 240 Km zu Fuß gelaufen, bis er Cyangugu erreichte. Dank des milden ruandischen Klimas konnte er seine Uniform ausziehen, um nicht aufzufallen. Tagsüber im Busch, die Nacht auf der Straße. Das war Ende April 1994. Ein paar Wochen sind schon vergangen.

Die oppositionelle Armee hat den Krieg gewonnen. Wir hängen die ganze Zeit am Radio. Wir wissen nicht, was auf uns zukommt. Ciana, jetzt, ist es neunzehn Uhr. Die Nachricht lautet, dass sich die Soldaten der abgesetzten Regierung, die noch im Land sind, an bestimmten Orten sich melden müssen! Die Liste der Orte wird im Radio vorgelesen. Sie müssen so schnell wie möglich dahin kommen. Marc muss nach Rubona. Ciana, kannst du dir vorstellen, wie es mir geht! Ein kalter Strom fließt durch meinen ganzen Körper. Mein Mund trocknet aus, kein Speichel mehr. Wir haben uns alle angeschaut, kein Wort. Panik in den Augen. Meine Liebe, ich kann nicht mal weinen. Es ist, als würde mir die ganze Welt auf den Kopf fallen. Die Erde rutscht unter meinen Füßen. Marc richtet seinen Blick auf Lucien, auf meinen Bauch, auf mich, kein Wort. Elvira, ihr Mann Onesphore, schauen uns an, kein Wort. Wir wissen nicht, was auf ihn wartet, ob er jemals zurückkommt. Eigentlich wissen wir es schon. Jeder weiß, was dieser dringende Appell bedeutet. Vier Jahre lang haben wir schon beobachtet, wie die Rebellen die Menschen behandelten, die in ihre Armen gefallen waren. Erneut, mit schwerem Herzen, nimmt er Abschied von uns.

Tage, Monate vergehen. Keine Nachricht.

Das Kind in meinem Bauch wächst. Glücklicherweise ohne Schwierigkeiten. Ciana, ein Wunder ist geschehen. Herr Doktor, mein Gynäkologe ist hier. Es beruhigt mich. Ich bin sehr erleichtert. Die Ärzte ohne Grenzen haben zusammen mit dem Roten Kreuz ein provisorisches Krankenhaus errichtet. Ich habe mich da untersuchen lassen. Ich habe am 22.11.1994 einen Entbindungstermin bekommen. Du weißt, dass ich immer ernste Probleme mit der Schwangerschaft hatte, überraschungsweise, dieses Mal nicht. Die Geburt ist mit Kaiserschnitt. Ich möchte keinen Kampf mit Wehen führen. Kämpfe habe ich mehr als genug. Ich habe keine Kraft dafür. Es so weit, heute ist der Tag. Ich habe bis heute nichts von Marc gehört. In einem kleinen Raum. Rechts und links von mir stehen Ständer, an denen ein weißes Tuch festgebunden ist. Es soll verhindern, dass ich sehe wie die Operation durchgeführt. Ich habe eine PDA bekommen. Die untere Partie wird betäubt. Ich kann alle Gesten des Gynäkologen sehen. Nach einer Weile merkte ich, dass er das Baby aus dem Bauch zieht. Es schreit laut. Der Gynäkologe sagt: „Sie haben ein Mädchen geboren“. Ciana, ich bin glücklich, dass es gesund ist. Ich freue mich so sehr trotz, die schwierige Situation. Es ist eine unbeschreibliche Überraschung. Lucien hat eine kleine süße Schwester bekommen und ich ein gesundes Töchterchen! Alles ist gut gegangen. Ich bin entschlossen, meine beiden Kinder zu beschützen, egal was kommen mag. Niemals ohne sie! Marcs Situation sieht nicht gut aus!

Heute noch bin ich sehr dankbar, dass es solche Menschen gibt, die bereit sind, ihr Leben zu riskieren, um anderen zu helfen. Es ist sehr gefährlich. Der Krieg ist noch nicht zu Ende, die Bomben und Kugeln fliegen plötzlich in alle Ecken.

Elvira hat Lucien gebracht, um seine Schwester zu sehen. Er will unbedingt an meine Brust. Ich habe ihn während der ganz Schwangerschaft gestillt. Er versteht die Situation nicht, aber er merkt, dass etwas anders ist und klebt an mir. Ich erkläre ihm, dass jetzt die kleine Schwester gestillt wird und er nicht mehr, weil er jetzt ein großer Junge geworden ist. Er ist richtig sauer und will nicht mehr zu mir kommen! Nach einer Weile lässt er sich trösten.

Nur diese Nacht bleibe ich im Krankenhaus. Die Hygiene ist prekär. Heute bin ich zu Elvira zurück. Die Schmerzen sind groß. Die Wunde ist noch frisch. Der Kaiserschnitt heilt glücklicherweise schnell und ohne Komplikationen.

Elvira hat gute Kenntnisse im medizinischen Bereich, sie steht mir bei. Es ist angenehm, mit Elviras Familie zusammen zu wohnen. Ein Jahr lang haben wir bei ihnen gewohnt. Ich habe nicht ein einziges Mal ein negatives Wort oder eine unangebrachte Bemerkung. Elvira und ich führen tiefe und intensive Gespräche. Sehr bereichernd. Ein wunderschönes Geschenk. Es ist tröstend für mich, in so einer merkwürdigen Zeit bei einer solchen Familie wohnen zu dürfen.

Das Baby ist ein Monat alt. Marc ist überraschend wieder da. Er wusste ungefähr, wann das Baby kommen sollte. Er hat versucht ein paar Tage Urlaub zu bekommen. Er hat ausnahmsweise drei Tage erhalten. Alles könnte passieren. Es gibt keine Kommunikationsmöglichkeit. Er erzählt, dass die Soldaten von der abgesetzten Regierung in einem Internierungslager eingesammelt wurden. Sie dürfen nicht rausgehen. Es ist in Wirklichkeit ein Gefängnis. Er freut sich, Lucien und das Baby gesund zu sehen. Lucien kann schon ein bisschen sprechen. Das Baby hat jetzt einen Familiennamen bekommen. Gewöhnlich, in Ruanda der Vater ist der Namensgeber. Bis dahin hatte es keinen. Marc macht mir eine große Freude, ich darf ihr einen Vornamen geben. Ich möchte sie, „Joy“ nennen. Die drei Tage sind schnell vorbeigeflogen. Er muss uns leider wieder verlassen. Mit schwerem Herzen verabschiedet er sich wieder von uns. Er ist mit dem Bus weggefahren. Das Leben im Lager ist jeden Tag unsicher. Er fürchtet um sein Leben.

Wir haben nichts außer den Klamotten, die wir anhaben. Elvira hat für alles gesorgt, so gut wie es möglich ist in diesen schwierigen Zeiten. Möge Gott ihr und ihrer Familie die Güte, die Liebe, die sie uns für längere Zeit geschenkt haben, vergelten. Die wahre Liebe ist selten, aber es gibt sie noch! Ich erlebe sie deutlich in dieser Zeit. Ich habe eine Zeit lang schon daran gezweifelt, dass sie wirklich existiert. Von jetzt an schwöre ich mir, auch anderen zu helfen. Wenn sich eine Situation ergibt, in der ich helfen kann, will ich es tun, ohne auf die Materialmenge und die Länge der Zeit zu gucken. Geduld zu üben ist auch ein Lernprozess, dem ich mich widme.

Sechs Monate sind schon vergangen nach Joys Geburt. Ich bin fest entschlossen, nach Kigali zurückzukehren. Wir können nicht ewig bei Elvira wohnen. Ich bin von Angst voll beladen. Da mein Mann bei Militär war, weiß ich nicht, wie die überlebenden die uns kennen, auf uns reagieren werden. Wir sind mehr als drei. In der Zwischenzeit habe ich erfahren, dass meine Schwester Monique und ihre Tochter Evelyn noch am Leben sind. Elvira hat sich bereit erklärt, sie auch in ihrem Haus aufzunehmen. Wir wohnen alle fünf bei Ihr! Zurück nach Kigali bedeutet, für fünf zu sorgen. Ich habe keine Arbeit. Wo werden wir wohnen mit zwei Kindern und einem Baby? Wovon werden wir leben? Eine außergewöhnliche Herausforderung! Trotzdem, Hand auf das Herz. Ich möchte versuchen, in einem normalen Leben zurückzukehren. Also verabschiede ich mich von Elvira, ihrem Mann und ihren lieben Kindern.

Was ist eine medizinische PDA?

Die PDA ist ein Betäubungsverfahren, das häufig bei Geburten eingesetzt wird, um die oft sehr intensiven Schmerzen der Frauen zu lindern. Der Arzt spritzt ein Medikament nahe dem Rückenmark ein und unterdrückt so für eine gewisse Zeit die Signalweiterleitung der Nerven. (www.netdoktor.de)

Kapitel zwei

Abenteuer in der Hölle

Zurück nach Kigali – 1 Jahr später

Wir sind heute am frühen Morgen gefahren. Die Fahrt dauert fünfeinhalb Stunden. Auf der langen Fahrt realisiere ich, wie schwer das Land vom Krieg geschädigt ist. Das Land ist verwüstet! Seit einem Jahr bin ich nirgendwo gewesen!

Ich muss mich um eine Übernachtungsmöglichkeit bemühen. Zufällig haben wir erfahren, dass Marianne und ihr Mann Jean und ihre Kinder in Kigali sind. Freundlicherweise nehmen sie uns für ein paar Tage auf, während ich versuche, nach unserem Haus zu fragen. In unserem Haus wohnt ein Soldat, der aus Uganda kam.

Das Land.

Tränen über meine Heimat.

Requiem an das Land, das mich zu Welt kommen sah.

Requiem an das Land, das mich aufwachsen sah.

Blauer Kivu See – adieu den Spaziergängen an deinen Ufern. Du verlorst deine Schönheit an dem Tag, an dem du das Blut deiner eigenen Kinder trankst und ihre Leichen in deinem Inneren behalten hast.

Adieu, Frieden und Harmonie.

Adieu, Lachen und freudige Schreie der Kinder, die in den Straßen der Nachbarschaft spielten.

Adieu, Sommerabende, draußen im Mondlicht.

Der Tag in deinen tausend Hügeln wacht nicht mehr mit Vogelgezwitscher auf.

Die Hähne krähen nicht mehr in deinen Höfen.

Ruanda, du traumatisiertes Land.

Ruanda, du Stadt im Chaos.

Ruanda, menschenleere Stadt.

Ruanda, du Land des Grauens und Schreckens.

Eine Stadt, in Blut und Leichen.

Eine Stadt, voller Hunde!

Bomben, Waffen und Geschreie versetzen die Tiere in Angst und sie fliehen. Die Hunde sind die einzigen Tiere, die übrig geblieben sind.

Du kannst es dir nicht vorstellen, Ciana. Der Gestank von toten Menschen. Das Geräusch von Hunden, die sie fressen. Ihr Geheul Nacht für Nacht. Unerträglich! Es macht das Herz krank und frisst mich innerlich auf! Die Bewohner jagen die unermüdlich, um die auszurotten.

Eine Stadt des Schreins. Hilferufe von unschuldigen Kindern, Frauen und Männern. Die Flüchtlinge, die nach und nach zurückgekehrt sind, steht der Schrecken noch auf ihrer Stirn gemalt. Sie sind obdachlos. Ihre Häuser sind von Bomben weggefegt oder von Extremisten, Ziegelstein für Ziegelstein, abgebaut worden bis zum Fundament. Viele Häuser sind von den Menschen, die neu ins Land gekommen sind, besetzt. Sie kamen mit dem Militär, die das Land eroberte. Der Tod ist überall präsent, wie ein Schatten am sonnigen Tag, der jemand die ganze Zeit begleitet. Das Land ist voller Kinder jeden Alters. Manche sind Waisen. Andere sind von den Eltern während der Flucht getrennt worden. Von anderen sind die Eltern im Gefängnis.

An Kirchen gehen Witwen mit Kindern auf dem Rücken umher. Sie haben nichts mehr. Kein Zuhause, keinen Mann, keine Familie. Viele Menschen haben erschreckende Verletzungen. Anderen fehlen Körperteile, amputiert von Macheten oder Bomben. Ein schmerzen Augenblick.

Das Land ist voller Soldaten, darunter auch Kindersoldaten, so genannt „kadogo“. In Wirklichkeit weiß Man nicht genau, wer ist ein staatlich anerkannter Soldat. Eine Uniform kann sich jeder besorgen. Die, die andere entführen haben nichts zu beweisen, dass sie auf eine Arbeitsmission sind. Hauptsache „Macht“, „Autorität“. Ständisch verschwinden unzählbare Menschen ohne jede Spur. Etwas zu besitzen ist eine Gefahr für jemanden, der vor dem Krieg im Land lebte. Jeder mit Uniform kann kommen und befehlen, ihm zu folgen. „Nein“ könnte jederzeit zu Tod führen. Es gibt kein Gesetz. Sie nehmen in allen Geschäften, Cafés, Restaurants, usw. alles, was sie wollen, ohne Bezahlung. Soviel sie wollen. Dazu gehören Frauen. Sie übernachten, bei wem sie wollen. Sie kommen unangemeldet! Es gibt keine Moral mehr. Unzählige Menschen sterben an HIV. Viele Frauen nehmen andere Männer und dann kommen ihre Ehemänner aus dem Exil zurück. Es führt zu bitteren Auseinandersetzungen, Mord oder Gefängnis. Bloß nicht nach seinem Besitz fragen. Die Menschen, die auf dem Land wohnen, wollen nicht mehr dort leben und Landwirtschaft betreiben. Sie wollen in den Städten leben. So bleiben viele Landgrundstücke unbearbeitet. Infolgedessen sind vermehrt gefährliche Krankheiten wie Malaria aufgetaucht. Der Alkoholkonsum ist nicht mehr zu kontrollieren. Die Überlebenden trinken und essen nach dem Motto: „Wir haben es geschafft! Wer weiß, vielleicht sind wir morgen nicht mehr da!“

Es gibt keine Dokumente, keine Bücher über irgendwas. Sie sind entweder von der abgesetzten Regierung mitgenommen oder von den Eroberern vernichtet worden! Obwohl ich jetzt wieder vier Jahre in Kigali wohne, kann ich keine Dokumente bekommen, um meine schulische Laufbahn nachzuweisen.

Das Land ist ins Chaos gesunken! Viele, die an hohen Posten in verschiedenen Bereichen sitzen, sind nicht ausgebildet. Es ist erschreckend, zu sehen, dass viele weder schreiben noch lesen können.

Die Straßen sind sehr schmutzig. Unkraut wächst wild überall.

Die offiziellen Gefängnisse sind überfüllt. Jedes Haus, jeder Keller, jede versteckte Ecke ist ein improvisiertes Gefängnis. Die Konzentration von Millionen Flüchtlingen inklusive Milizen in den Lagern bei Bukavu und Goma (Zaire) bedroht die Stabilität und Ruhe. Sie kommen schleichend ins Land und suchen Personen, die sie schon früher kannten. Sie zwingen sie, mit ihnen zu kooperieren, um die Regierung zu destabilisieren. Wenn sie im Land sind, brauchen sie Platz, zu schlafen, etwas zu essen, wo ihr Material verstecken und sie brauchen über alles Informationen. Sie suchen hauptsächlich die Frauen von früheren Militärs. Sie wissen schon, dass sie im Land im Visier der neuen Regierung sind. Sie werden von den neuen Landbewohnern bedroht. Aufgrund dessen würden sie die neue Regierung hassen und würden mit denen kooperieren, um Unruhe zu stiften. Wenn jemand ahnt, dass du Kontakt mit denen hast, dein Tod ist sicher. Ebenfalls, wenn du mit Milizen nicht kooperieren willst, dein Tod ist garantiert. Sie haben oft Menschen mit Öl verbrannt. Vorher war ich weder von Tutsis noch von Hutus akzeptiert. Heute das gleiche, ich bin im Visier der Regierung und der Milizen. Was dann?

Weißt du, Ciana, ich habe schreckliche Angst, dass sie mich finden. Ich versuche, jeden Kontakt zu vermeiden, außer mit meiner Familie. Ich muss ständig überlegen, wie ich mich verstecken kann, um von wenigen Leuten gesehen zu werden. Sie wissen nicht, wer in Ruanda ist, sie müssen suchen. Nicht wenige haben die Suche zu ihrem Hobby gemacht. Die hassen die Menschen, die im Land geblieben sind. Wir sind Verräter, sagen sie. Am liebsten würden sie alle töten. Die Soldaten der neuen Regierung durchsuchen Häuser von bestimmten Personen oft und überraschend. Die Durchsuchungen werden sehr früh am Morgen durchgeführt.

Ich besitze fast nichts mehr, aber immer wieder taucht etwas auf, was darauf hindeutet, dass ich mit einem Militär zu tun hatte. Wenn so eine Kleinigkeit bei jemand gefunden wird, ist das Gefängnis die nächste Station. Die Hoffnung, da rauszukommen, ist sehr gering. Die Gefängniswächter sind meistens Kindersoldaten. Die Frauen, die da hingebracht werden, bleiben nicht von Vergewaltigungen verschont. Das ist für mich ein zusätzlicher beunruhigender Faktor.

Die Angst, die in mir wohnt, ist wie ein Mammutbaum mit unzähligen Ästen. Sie meiner permanenten Begleiter.

Die Menschen

Ciana, ob du es glaubst oder nicht, ich suche eine Arbeit. Ich bin den ganzen Tag in verschiedene Viertel gelaufen und habe keinen Menschen getroffen, den ich kenne! Sie sind alle Fremde. Sie sind von verschiedenen Ländern zurückgekommen. Sie sind in anderen Ländern geboren und aufgewachsen. Das macht die Lage noch schlimmer! Sie sprechen verschiedene Sprachen. Die großen gesprochenen Sprachen sind: Englisch, Swahili, Französisch, Lingala, Luganda, Kirundi. Die militärische Umgangssprache kommt dazu, sie ist eine Mischung aus allen. Aus diesen verschiedenen Sprachen entsteht eine neue Kinyarwanda Sprache. Ich nenne die Pidgin Kinyarwanda, weil sie von allen diesen verschiedenen Sprachen abgefärbt worden ist.

Ciana, jetzt ist die französische Sprache nicht mehr die Bürokratie- und Bildungssprache. Sie wird langsam, aber sicher durch Englisch ersetzt.

Es gibt keine Kultur mehr. Die gebildeten, intelligenten Menschen sind fast alle ermordet worden. Es gibt aktuell keine Künstler, Musiker, Autoren, Lehrer, … Es ist alles fremd, ich denke bei mir: „Das ist ein fremdes Land, das ist nicht meine Heimat“. Wie du weißt Ciana, ich gehöre zu keinem Stamm! Wie vor dem Völkermord, ich war weder von Tutsi noch von Hutu akzeptiert! Das gleiche Szenario wiederholt sich.

Habgier, Unehrlichkeit, Bosheit, Gewalt, Rache herrschen in allen Lebensbereichen. Das sind Hauptgründe dafür, dass viele Menschen verschwinden oder tot gefunden werden. Für viele Menschen ist es grausam, jemand nicht begraben zu haben. Sie wissen nicht, ob er gestorben ist oder noch lebt. Sie warten, warten, aber bis wann?

Jetzt, im Oktober 1996, startet die Ruandische Patriotische Front (FPR) eine Offensive gegen die ruandischen Flüchtlinge an der Westgrenze des Landes. Ciana, sie sind umgeben, sie sind gezwungen, nach Ruanda zurückzukehren. Sie müssen nach dem Völkermord beurteilt werden. So eine Menschenmenge erinnert mich an den Exodus im Juni 1994 nach der Einnahme von Kigali. Hast du es gesehen oder miterlebt? Von allen Ecken, auf all den kleinen Wegen, die sich um die Hügel Ruandas schlängeln, läuft eine Menschenmenge in gemischter Formation wie Ameisen. Es ist unmöglich, jemandem zu erkennen! Stelle dir vor, manche sind über zwei Jahre hin und her gelaufen, ohne zu wissen, wohin. Viele sind in den Wäldern tot zurückgeblieben. Die anderen fielen nachts in die Sümpfe. Von Hunger, Krankheiten, Kälte, Hitze, Ängste, Müdigkeit. Sie sind Lebende Tote.

Bei der Ankunft dürfen sie sich nicht mit den anderen Menschen vermischen, die auf dem Land leben. Sie müssen zuerst an einen besonderen Ort, in bestimmte Räume.

Da werden sie mit DDT desinfiziert. Haare werden wegrasiert, Nägeln geschnitten, eine lange Dusche wird genommen. Ihre Klamotten werden gesammelt und an einem geeigneten abgelegenen Ort verbrannt. Das sind die Vorsichtsmaßnahmen, die von der Regierung getroffen worden sind. Diese Menschen so zu sehen und unter denen, die man schon vor dieser Tragödie kannte, ist für mich ein zusätzliches Trauma!

Es gibt jetzt landesweit eingerichtet Dorfgerichte, die sogenannten „Gacaca“. Da trifft sich die Dorfgemeinschaft. Die Täter müssen ihre Taten öffentlich zugeben und die Überlebenden um Vergebung bitten. Wer neu im Dorf ankommt, muss sich beim Dorfvorsteher melden. Wir mussten uns auch melden. Den folgenden handgeschrieben Bescheid haben wir erhalten:

Bescheid

Die Verantwortlichen der Gikomero Zelle bestätigen, dass die Frau Jada Grisky vor April 1994 in der Gikomero Zelle, Sektor Remera, wohnte. Sie und ihre zwei Kinder Lucien Shimwa und Joy Gihozo sind noch am Leben.

Nyumbakumi - Zonenaufseher - Aufseher - Remera Sektorrat

Unterschrift - Unterschrift - Unterschrift - Unterschrift

den 10.6.95

Ich habe versucht, den Bescheid genauso wiederzugeben, wie wir ihn bekommen haben. Es ist mit der Hand geschrieben. Es dient auch als unser Ausweis.

Im Gacaca endet nicht alles. Es gibt diejenigen, die vor Gericht erscheinen müssen. Wie kann man an das Ganze glauben, vorgeben, gerecht zu sein, wenn die Gerechtigkeit nicht auf einem Gesetz, auf sicheren und fundierten Beweisen beruht? Manche, die diese Gacaca-Dorfgerichte bilden, waren während der Kriegszeit nicht da. Andere, die in dieser Zeit im Land waren, sind absolut nicht geeignet, so eine schwierige, bedeutungsvolle Aufgabe zu übernehmen. Letztendlich entscheiden sie über jemandes Leben oder Tod, Freiheit oder Gefängnis. Das Geschehen zeigt jeden Tag, dass es vor allem darum geht, den Besitz von anderen zu behalten oder den Arbeitsplatz. Vorzugsweise Häuser, Grundstücke, Geschäfte, Autos, Last Kraft Wagen … Das ist ein Teufelskreis. Die ethnischen Konfliktsituationen gab es schon 1959 und wieder 1973. Die Frage bleibt: „Ist die Versöhnung unter dem ruandischen Volk möglich?“

DDT: Dichlordiphenyltrichlorethan ist ein Insektizid, das seit Anfang der 1940er-Jahre als Kontakt- und Fraßgift eingesetzt wird.

(de.m.wikipedia.org)

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