Kitabı oku: «Schläfst du Mutter?; Ruth. Novellen», sayfa 5
Am andern Tag kam Peter ins Wohnzimmer, um zu lesen. Als ihn Tante Regina sah, lächelte sie voll Trauer und Güte, und sie sagte, daß die Mutter sehr krank sei. Sie hatte die Thür zum Schlafzimmer nicht ganz geschlossen, darum dämpfte sie ihre Stimme. Aber die Kranke hatte sie trotzdem gehört, und sie rief mit erloschener Stimme, Peter solle hinein kommen.
Es war halbdunkel drinnen. Es roch nach Karbol und nach jener abgelagerten, aufgespeicherten Wärme, die den Krankenzimmern eigen ist. Weiche Teppiche bedeckten den Boden, und Peter beschaute neugierig die vielen Flaschen und Fläschchen und Schachteln und Schüsseln. Er empfand nicht Mitleid mit der Mutter, sondern nur Neugierde und Ehrfurcht erfüllten ihn. Ja, er wünschte auch einmal so krank zu werden, damit man so besorgt um ihn sei, und damit er alles so schön habe. Und die Mutter legte nun ihren Arm um seinen Hals und küßte ihn auf den Mund. Da hatte sie auf einmal jenen Zug der Unerbittlichkeit, den die Mutter als die strafende Macht in seiner Vorstellung besaß, verloren. Und das machte ihn traurig. Er hätte ihr gern sein armes Herz ausschütten mögen. Er hätte ihr sagen mögen, wie verhaßt ihm die Schule war und der dumme Lehrer, und daß niemand da sei, der ihn verstehe und der ihn so recht von ganzer Seele lieb habe, und daß er die Mutter schrecklich lieb habe und es nur nicht sagen könne .... Er brachte kein Wort über die Lippen. Die Mutter reichte ihm eine der Aprikosen, die auf dem kleinen Tischchen am Bett lagen, und er konnte ihr nicht einmal danken.
»Willst du denn ein guter Mensch werden, Peter?« fragte Frau Agnes leise. »Schau, du mußt später immer an mich denken, wenn dir etwas nicht recht erscheint. Ach, und du mußt kein solcher Träumer sein, das mußt du mir versprechen. Du mußt nicht den Kopf immer hängen lassen. Du mußt froh sein, du mußt dir was Großes vornehmen im Leben und mußt immer deine Pflicht erfüllen. Nur nicht so viel träumen; schau, ich hab’ auch mein Leben verträumt und es ist nichts daraus geworden.«
Erschöpft hielt sie inne, und dann kamen die Ärzte, und Tante Regina schob ihn hinaus. Immerfort mußte er an die Mutter denken und an das, was sie ihm gesagt. Er vermochte nicht eigentlich darüber nachzudenken, sondern es war nur ein dumpfes Hinträumen; er fragte sich furchtsam, was das wohl sei, dies geheimnisvolle »Leben«, daß man sich so sorgen mußte darob. Er dachte auch wieder daran, daß er bis jetzt noch keine Schulaufgaben gemacht und daß er alle Ferientage verbummelt und verträumt habe. Doch der Abend nahte schon, und er war so müde vom Grübeln, daß er ins Bett ging. Stundenlang hatte er schon geschlafen, da hatte er folgenden Traum.
Er fuhr in einer Karosse und neben ihm saß die Mutter. Und sie blickte mit ihren großen, wundervollen Augen nachdenklich vor sich nieder. Durch eine weite Wüste fuhren sie, in der man nichts als Sand und Steine und die rote Sonne sah. Und hinter der Kutsche lief der Vater und schwang die Peitsche. Sein Gesicht war ganz rot und aufgequollen, ganz häßlich und er schrie immer und konnte nicht nachkommen. Die Mutter aber lächelte verächtlich und streichelte Peters Haar langsam und liebevoll und flüsterte: verträumt hab’ ich mein Leben, verträumt … Plötzlich aber traf sie die Peitsche des Vaters mitten ins Gesicht, und das helle Blut floß aus ihren Wangen und aus ihrer Stirn. Sie wurde immer bleicher, aber der Vater schrie immerzu, und die Karosse stand nicht still. Peter fühlte, wie die Hand der Mutter auf seinem Kopf erstarrte, wie sich die Finger ins Haar einkrampften, als sie sich zurücklehnte, seufzend und bleich .....
Da erwachte er mit einem halberstickten Schrei. Es war anfangs so völlig Nacht um ihn, daß er nicht einmal das Fenster sehen konnte, gerade wie wenn seine Augen im Traum durch eine grelle Lichtflut geblendet worden wären. Eine unbestimmte Angst erfaßte ihn, jenes Gefühl, das gar oft in der Finsternis der Nacht kommt, und das den Menschen unerbittlich zwingt, Schreckbilder zu sehen und an sie zu glauben. Und dann ging diese Angst wieder in jene allgemeine und beklemmende Furcht vor dem Leben über und er kam sich so hilflos vor, so allein. Sein Herz klopfte laut … Doch plötzlich war es, als ob ein wilder und ungestümer Entschluß in seiner Seele erwacht sei. Ich will nicht träumen, sagte er sich, ich will ein Mann werden. Und jetzt muß ich auch meine Schulaufgaben machen, ja heute Nacht noch, und die Mutter soll sehen, daß ich nicht so ein Herumträumer bin. Feldmarschall werden, das ist ja Unsinn; Baumeister will ich werden, da kann man viele schöne Häuser bauen, und man kann über alle Maurer befehlen und hat auch viel Geld. Da kann ich dann der Mutter was davon geben. Ich will ihr ein großes, marmornes Schloß am Meer bauen, darinnen soll sie wohnen, ganz allein mit mir. Und ihm wurde das Leben plötzlich golden und heiter in seiner Wirklichkeit, nicht mehr wie früher im Traum. Und eine ganz fremde Glut erwärmte nun seinen Körper, so, als ob er vorher hätte leiden müssen durch Frost, und als ob man ihn an nun ein wärmendes Feuer getragen hätte. Ein ganzes Weltbild spiegelte sich in seinem kindlichen Geist, und er sah wohl, daß er noch im Thal wandere, wo es düster war, in der Schlucht, dahin der Tag noch nicht dringen könne; doch oben auf dem Kamm der Berge, da war das Licht und da war Helligkeit, so daß man die Augen zumachen mußte davor. Glück war da oben und Frohheit und Jauchzen und frischer Kampf und keine Träume, sondern der Weg lag da so klar und bestimmt, daß man nicht fehltreten konnte. Und eine schöne Frau stand da. Sie lächelte ihm zu, sie warf ihm Blüten ins Gesicht, und sie neckte ihn, wenn er den Kopf hängen ließ und grübeln wollte. Blühende Landschaften sah er und Flüsse, die vom Gold der Sonne glänzten, und er gewahrte nichts mehr von der Finsternis ringsumher. Ach, wenn er doch jetzt groß wäre und stark, dann hätte er heiraten können, und ein Schloß würde er sich bauen mitten im Wald, und lauter Schlösser in der Runde so herrlich, wie die Residenz des Königs … Was wollte er alles ausrichten im Leben, was alles vor sich bringen! Wie große Augen würde Lizzi machen, wenn er ihr dies alles berichtete! Und nun mußte er zur Mutter, jetzt gleich, und mußte ihr sagen, daß er kein Träumer mehr sei und kein Kopfhänger, daß er froh sein werde und gut, und gegen alle Menschen freundlich ....
Er sprang aus dem Bett und eilte in das Zimmer der Mutter. Im Wohnzimmer war es finster und ihm schien, als klänge vom Sofa her ein Stöhnen. Er blieb stehen und betastete sich und knöpfte das Hemdchen, das über der Brust offen stand, wieder zu. Denn es fror ihn, barfüßig und im Hemd, wie er war.
Im Krankenzimmer brannte Licht. Aber die Lampe war so tief heruntergeschraubt, daß von der Schwelle aus kaum noch die Gardinen sichtbar waren. Dem Knaben erschien alles anders, gleichsam starrer, lebloser. Er wußte nicht, wie weit die Nacht vorgerückt war, und ihm graute auf einmal vor dieser Einsamkeit und vor der Stille. Wo war Tante Regina? Wo war Barbara? Indem er ins Wohnzimmer zurückschaute, sah er sich selbst im Spiegel, – nur einen weißen Fleck, düster und gespensterhaft.
Dort lag die Mutter. Sie rührte sich nicht. Er flüsterte: »Mutter!« Aber sie blieb trotzdem unbeweglich. Er ging näher heran. Kaum konnte er sich aufrecht erhalten, so sehr hatte ihn eine unbestimmte Furcht ergriffen, eine Furcht, die ihm heiß machte, die sein Herz beschwerte, die ihn daran denken ließ, ob es nicht gut wäre, niederzuknieen und zu beten. Er hatte sehr große Lust zu weinen, aber es umwehte ihn wie ein Schauer unsichtbarer Fittiche, so daß er mit weit aufgerissenen Augen vergeblich der Thränen harrte … Da stand er nun am Bett. Die Aprikosen lagen noch auf dem Tischchen. Wie leicht hätte er nun eine nehmen können und niemand würde was merken. Und die Arzneiflaschen standen da, rot beklebt.
Die Mutter war bleicher, als er je an einem Menschen gesehen. Er sah sie gar nicht atmen, und er fragte sich neugierig, wie es komme, daß sie so unnatürlich starr dalag, mit dieser wächsernen Farbe des Angesichts. Die Augenlider waren ja nicht einmal völlig geschlossen; das Dunkel des Augapfels schimmerte durch die Wimpern, – so, als wäre sie über irgend einen Gegenstand in sehr tiefe Gedanken gefallen, so daß sie alles um sich her vergessen mußte. Aufgelöst waren die Haare und sie flossen hinab über den Bettrand .... Jetzt hörte er ganz deutlich, daß Jemand im Wohnzimmer draußen stöhnte! Das mußte wohl Tante Regina sein. Aber weshalb sollte sie wohl weinen? Sie war doch schon so alt. So alte Leute weinen doch nicht mehr.
Peter berührte die Hand der Mutter und erschrak. Wie kalt fühlte sich das Fleisch an! So kalt wie ein Stein. Er beugte sich zu ihr. Er näherte die Lippen ihrem Ohr und fragte: »Schläfst du Mutter?«
Ruth
Abgespannt und unbeweglich saß Formes, der Student in seiner Kammer und starrte mit verglasten Blicken zu Boden. Ein Leben der Eintönigkeit und der Demütigungen, wie er es führte, ein Leben des Nichtsthuns und der Jagd nach schalen Genüssen hat freilich seine Augenblicke der Zerknirschung, in denen man jene guten Vorsätze faßt, welche später zertrümmert und zerschellt sich wiederfinden, gleichwie die Fetzen eines vom Packeis zerrissenen Kahnes. Lange Zeit saß der hagere Student so, dem schmerzlichen Anschauen eines leeren Daseins hingegeben, und der Regen fiel vom Himmel und benetzte die Scheiben und klatschte auf den Pflastersteinen der Gasse mit seltsamer Geschwätzigkeit, und nebenan lärmten die Kinder und eines sang ein Lied und das andere knallte mit einer Peitsche und ein drittes blies in ein Trompetchen, so daß es schrill und durchdringend in alle Ecken des Hauses scholl. Die Bälge verbittern mir auch noch das Leben, dachte Formes und blickte finster in den grauen Himmel hinein. Wie traurig, daß die Mutter auf die Verpflegung fremder Kinder angewiesen ist. Und wie kläglich ist der Gewinn daraus! Meist waren es Bauernkinder aus den umliegenden Ortschaften, die in der Stadt die Schule besuchten und nur am Sonnabend zu ihren Eltern gingen, um den Feiertag zu Hause zuzubringen. Und als die Dämmerung hereinbrach, erhob sich Formes, froh, von seinen Grübeleien abgelenkt zu sein, und betrat das Zimmer, wo die sechs Kinder wie sechs Vögelchen in heiterem und lautem Spiel umhertollten. Sie haschten einander mit Jauchzen und Händeklatschen; ihre Augen leuchteten und ihre Wangen waren frisch gerötet. Eine düster brennende Lampe stand auf dem Tisch; um die Lampe herum lagen in krausem Wirrsal Schiefertafeln und Fibeln und Griffel, und die kleinen, braunen Rechenbüchelchen von Heuner.
In dem Augenblick, wo Formes den Raum betrat, wurde es mäuschenstill unter dem kleinen Völkchen. Jedes der Kinder blieb an seinem Platz wie angewurzelt stehen und jedes schaute zu Boden, – so, als ob es genascht hätte und dabei ertappt worden wäre. Manche blinzelten scheu von unten herauf an dem »Mann« empor, und zwei lächelten sich sogar verstohlen zu.
Mit den Händen in den Hosentaschen blieb Formes an der Thüre stehen und versuchte, kindlich unbefangen zu lächeln. Aber er fühlte selbst, wie schlecht ihm das gelang, und aus Ärger darüber, wohl auch aus Ärger, daß er sich bei Kindern mit einem Lächeln einschmeicheln wollte, klapperte er heftig mit den Schlüsseln in seiner Tasche. Und er forderte die Kleinen mit rauher Stimme auf, weiter zu spielen, und dazu nickte er jovial und zwinkerte mit den Augen. Die Kinder begannen sich wieder zu bewegen; sie gingen umher, plauderten miteinander, aber es lastete gleichsam wie ein Druck auf ihren Herzen. Kein frohes Spiel wollte sich mehr gestalten, und Formes gewahrte mit einem Zorn, der ihn selbst betroffen machte, wie sie immer stiller und scheuer wurden, wie sie sich schließlich um den Tisch gruppierten, um mit etwas trotziger und herausfordernder Geschäftigkeit ihre Schulaufgaben zu vollenden. Formes runzelte die Stirn und blies den Atem durch die gespitzten Lippen. Er fühlte sich überflüssig und beschämt und wußte durchaus nicht weshalb. Er errötete (wie lange schon war er nicht mehr errötet!), und auch hiervon wurde ihm der Grund nicht klar. Er versuchte, kindlich mit den Kindern zu reden, aber was er sagte, war nur kindisch, so daß die vier Mädchen leise darüber kicherten und sich viel verständiger dünkten als er.
Da gewahrte er in einer Ecke, dicht an die bunte Gardine geschmiegt, ein Kind, das ihm gänzlich fremd war. Und er war bestürzt durch den Anblick, der sich ihm bot. Ein bleiches Gesichtchen sah in süßen Ovallinien aus einer Flut glänzend schwarzer Haare hervor. Die gelbliche Blässe dieses Antlitzes war so fremdartig, und die großen, dunkelen Augen, die wie Sterne aus der finsteren Ecke herüberleuchteten, waren von so seltner Glut erfüllt, daß Formes hinüberstarrte wie auf eine Erscheinung. Das Kind rührte sich nicht. Es hatte die Blicke unverwandt auf den langen, hageren Menschen gerichtet, voll Furcht und zugleich voll Wildheit. Und die Nasenflügel zitterten leicht, und die kleinen schmalen Händchen klammerten sich fest an die Gardine und hinter diesem Bild voll Zauber lugte die matte Nacht herein, durchzittert und durchwogt von letzten Dämmerlichtern. Formes fragte sich beklommen, wo das Mädchen herkomme, denn er hatte es noch nicht gesehen unter den übrigen. Aber unter den Blicken des Kindes verwirrten sich seine Gedanken. Sein Herz öffnete sich plötzlich einer Bitterkeit, die ihm ganz neu war, und die ihn auf sein vergangenes Leben schauen ließ, wie auf eine einzige durchschlemmte Nacht. Eine brennende Sehnsucht nach Frieden und friedlicher Arbeit erfüllte ihn plötzlich und ein sonnenvolles Land öffnete sich plötzlich seiner Seele, und ein Haus stand davor mit weißgetünchten Mauern und grünen Fensterläden und ein Park, an dessen Wegen die Bäume wie Brautpaare standen und sich die Äste reichten. Doch dies währte kaum länger, als man braucht, es zu erzählen. Er wollte hingehen, um das Mädchen anzureden, aber siehe, seine Glieder waren wie gelähmt. Er wagte es nicht, das Kind anzureden. Darüber war er sich völlig klar, daß er zu feig war, den furchtsamen und doch unbefangenen, durchbohrenden Blicken des seltsamen Geschöpfes stand zu halten, und er ging, – er flüchtete aus dem Zimmer. Draußen fragte er die Schwester nach dem Neuankömmling. »Aus der werden wir auch nicht klug,« erwiderte Cenci etwas hastig. »Das Kind spricht nicht, es lacht nicht, es spielt nicht, wenn sie alle spielen. Seine Mutter ist ein armes, armes Mädchen, das sich kümmerlich mit Nähen fristet. Kaum ein paar Pfennige kann sie für das Wurm zahlen.«