Kitabı oku: «Mein Garten(buch)», sayfa 2
Ich finde es wunderbar, wenn die Dinge auf mich einstürmen, ich liebe die Dichte, das im Moment des Geschehens für alle Ewigkeit Zusammengedrängte, sodass der Versuch, es zu verstehen, dem Aufdröseln einer großen Stoffbahn gleichkommt, die man glatt hingelegt und gerahmt und als Wandbehang mit Bedeutung befrachtet hat. In diesem Sommer – jenem Sommer – kamen dann die Abende, und die Vögel sangen ihre Lieder, die ich – je nach Stimmung – ärgerlich oder fürchterlich oder heiter fand oder einfach vogelgemäß, sofern meine Stimmungslage mir erlaubte zu begreifen, dass so ein Vogel sich eben häufig vogelgemäß verhält. Eines Tages, als ich am Blauregen herumrätselte oder herumquengelte (was im Grunde auf das Gleiche herauskommt), hörte ich das laute Hämmern eines Spechtes, und als ich aufblickte, sah ich, wie er mit dem Schnabel den Dachrand meines Hauses bearbeitete. Vormittags schlafe ich gern lange, so lange, bis die Sonne fast senkrecht am Himmel steht, nicht ganz, nur fast, und manchmal weckte mich, wenn ich schlief und gerade einen besonders schönen Traum hatte, jenes Hämmern, nicht so wie das Hämmern eines Tischlers, der sich an meiner Hauswand zu schaffen machte, aber eindeutig ein Hämmern. Ein Mann – kein Tischler – kommt einmal im Monat zu mir, um die Nager in meinem Haus in Zaum zu halten (oder, anders ausgedrückt, dafür zu sorgen, dass keine Nager in meinem Haus leben oder aber, wenn sie es versuchen, bald sterben). Als dieser Mann mein Haus auf Stellen absuchte, durch die Nager eindringen könnten, sah er die Löcher, die der Specht gehämmert hatte, und sagte: »Da sitzen Insekten drin, die fressen alles auf.« »Was soll ich tun?«, fragte ich, und er sagte etwas, was ich absichtlich vergessen habe, denn wenn ich einen toten Vogel in der Nähe des Hauses und im Garten finde, überlege ich jetzt immer, ob er Insekten gefressen hat, die mein Haus auffressen. Ich habe den Specht tot in der gelben Rabatte gefunden, ich habe tote Rotkehlchen nicht weit von der gelben Rabatte gefunden. Was tun? Und als ich nicht mehr aus noch ein wusste und mit mir selbst im Streit lag wegen meiner Ängste und meiner Verantwortung anderen gegenüber (Vögeln, wohlgemerkt!), erschien der nächste Specht und hämmerte am Haus herum und war einmal so laut, dass ich mich nicht auf meine Lektüre konzentrieren konnte (ich las gerade Jeremias, den jüdischen Propheten). Und dann fand ich die zerbrochene Schale von einem Rotkehlchenei im Zwergkiefernbeet, und ein Vogel, dessen Namen ich nicht kannte, baute ein Nest hinter den roten Fensterläden und legte Eier hinein, und die Mutter war sehr rücksichtsvoll, aber ihre Kinder waren eine schreckliche Plage, besonders morgens um halb sechs.
Und in jenem Sommer – diesem Sommer –, in dem der Blauregen zur Unzeit blühte, regnete es zuerst zu viel und dann nicht genug und dann wieder zu viel und dann einfach gar nicht mehr. Es war keine Dürre, und mit Dürre meine ich das Ausbleiben von Regen und zugleich eine Hitze, die zielstrebig (bösartig) tief in den Boden hineinreicht und ihm so viel Feuchtigkeit entzieht, wie sie nur finden kann, so viel Feuchtigkeit, dass ich mich sorge und dann aufrege und dann ärgere. Wie viel Ärger so ein Garten bringt und wie viel Freude – denn es ist nicht die Art von Ärger, die uns überkommt, wenn wir nach längerer Zeit ein Lieblingskleid anziehen wollen und feststellen, dass die Knöpfe in der Taille oder am Ausschnitt oder an einer kritischen Stelle im Rücken fehlen oder sich nicht mehr mit den Knopflöchern vereinigen lassen. Ärger im Garten führt nicht zu Gesichtsverlust, sondern nur zu der Frage »Was tun?« – und damit zu großem Glück.
Die gelbe Rabatte ist problematisch, die Trompetenlilien sind zu … zu … ich weiß nicht, jedenfalls passen sie nicht in die gelbe Rabatte, sie wirken wie ein Fremdkörper, und ich habe nichts, was zur gleichen Zeit blüht und ihnen angemessen Gesellschaft leisten könnte. Die Fackellilie blüht zur gleichen Zeit, ist aber als Gegenstück ungeeignet, sie dürfte nicht so nah bei den Trompetenlilien stehen. Die gelben Stockrosen (Alcea ficifolia), die die Trompetenlilien überragen, machen sich gut, aber ich habe nicht genug von ihnen, und das hat seinen Grund – ich konnte mir nicht so viele leisten, wie ich gebraucht oder gern gehabt hätte. Kein Geld zu haben finde ich demütigend. Ich lege gar keinen Wert auf Geld, schön finde ich nur das Ausgeben, und wenn ich es ausgebe, kann ich manchmal meinen Mitmenschen eine Freude machen; mir selbst aber bringt das Geldausgeben oft Enttäuschungen, denn Befriedigung ist für mich ein nur schwer erreichbarer Zustand (aber gerade deshalb darf man nicht lockerlassen), wie im Fall des scheußlichen Sonnenhuts (Rudbeckia maxima), der in einem allgegenwärtigen Gelb blüht (manchmal ist das Allgegenwärtige ermutigend, erbaulich und inspirierend, ein andermal das genaue Gegenteil). Und in jenem Sommer – diesem Sommer –, als ich im Garten herumstrich und mir das misslungene gelbe Staudenbeet ansah (und begriff, wie sehr ich bestimmte Formen und Farben missverstanden hatte und die Wirkung der einzelnen Pflanzen, die zusammen ein Ganzes bildeten), war ich der Verzweiflung nahe (aber einer Verzweiflung der lustvollen Art, um die sich alle Menschen bemühen sollten, die in jenem Teil der Welt leben, der im Sudan anfängt und in Südafrika aufhört). Und während ich so herumging, in einer Haltung, die ihre eigene Integrität hat (und mit Sicherheit ganz anders ist als die, die ich in Pfadfinderuniform für richtig gehalten hatte, wenn ich jemandem gegenübertreten musste, der mir schon qua Geburt überlegen war), kam mir noch eins meiner Missverständnisse unter die Augen: Die Weißbuche ›Pendula‹ gedieh sehr erfreulich in der Mitte des Beetes, das ich ›Hispaniola‹ genannt hatte, aber ich hatte um diese schöne Pflanze mit dem Stamm, der einem kräftigen Rückgrat gleicht, mit den langen hängenden Zweigen und gerippten Blättern Wiesenraute und gelbe Skabiosen gepflanzt, Mädesüß ›Venusta‹ und Federmohn und Lobelien (gewöhnliches Blau) und Schildblumen (Pink) und ein paar Exemplare von Aster tataricus, spät blühenden Eisenhut und yukkablättriges Mannstreu; die arme Weißbuche ›Pendula‹ sah aus wie eine Waise, die man bei Pflegeeltern untergebracht hat, die ihr nicht so viel Zuwendung entgegenbringen, wie ihr ihrer Meinung nach zusteht.
Ich versetzte die gelbe Skabiose in das gelbe Beet – sie ist gelblich und groß und luftig und will überall da hin, wo sie glaubt, gern gesehen zu sein (fast wie ich, nur dass ich nicht gelb bin). Im nächsten Jahr, in der nächsten Saison, in kommenden Sommern (ich versuche, mich in kommenden Sommern zu sehen und glaube an meinen Fortbestand in kommenden Sommern weit weniger als daran, dass wieder Winter wird), sehe ich sie in luftiger, das heißt unaufdringlicher Bewegung vor den Kletterrosen (R. Filipes ›Kiftsgate‹, ›Paul’s Himalayan Musk‹ und anderen, deren Namen mir nicht mehr einfallen und deren Rechnungen ich verlegt habe) als Ersatz für die Rudbeckia; dann wird die Fackellilie Begehrlichkeiten wecken (»Die hätte ich auch gern!«, wird eine Freundin sagen), die Stockrosen werden wie eine neue Idee wirken, und die Pflanzung auf der anderen Seite des Weges (mehrjährige Wicken, Lobelien, Rittersporn, Eisenhut, Ballonblumen, Tigerglocke, die herbstblühende Clematis, die sich um die längst verwelkten Blütenstände des Meerkohls geschmiegt hatte und die im Frühherbst kleine weiße sternförmige Blüten hervorbringt, die nach Honig oder etwas ähnlichem duften, was man am liebsten essen oder worin man am liebsten baden würde) – diese Pflanzung, sage ich, wird ein völlig anderes Gesicht bekommen. Die gelben Skabiosen werden in all das, in meine Vision dieses Teils vom Garten, jene Ruhe bringen, die zu Befriedigung führt, einer Befriedigung, die einem Besinnung schenkt und Zufriedenheit (selbst wenn diese Zufriedenheit einen umtreibt; es ist eben die Art von Zufriedenheit, die zu Umtriebigkeit führt, zu einer Umtriebigkeit des Denkens). Die gelben Skabiosen stammen aus Ost- und Südeuropa und hatten sich bestimmt nicht träumen lassen, dass ihnen ein Platz in meinem Garten und meinem Gartenplan bestimmt war: Sie werden die Stockrosen zum Leuchten bringen, sagte ich mir (die auch so schon wunderschön anzusehen waren und das eigentlich gar nicht nötig hatten, aber warum nicht?). Ich versetzte die gelbe Skabiose; sie welkte schlagartig, von der Spitze bis hinunter zum Boden. Wenn ich im nächsten Jahr (jenem Sommer, diesem Sommer!) sehe, was bei meinem Wirken, bei meinem Ärger herausgekommen ist, wird mich bestimmt entweder meine Freude über den Erfolg verunsichern oder ich werde mich über das Ergebnis meiner Fehleinschätzungen schrecklich ärgern.
Das Haus
In dem Haus, in dem ich lebe, kann ich aus zehn der dreißig Fenster einen Berg sehen, den Mount Anthony. Nach wem er benannt ist, weiß ich nicht, aber als Name für einen Berg finde ich Anthony nicht besonders passend. Er verleitet zu Vertraulichkeiten, und bei einem solchen Berg sind Vertraulichkeiten fehl am Platz. Mount Tony … Solche Gedanken kommen mir, wenn ich im Haus sitze und den Berg betrachte. Im Freien nehme ich ihn so gut wie gar nicht wahr. Im Freien habe ich anderes zu tun.
Ich liebe das Haus, in dem ich lebe. Noch ehe ich es je betreten hatte, noch ehe ich auch nur das Mindeste darüber wusste, liebte ich es. Ich fuhr daran vorbei und sah es auf der kleinen Anhöhe stehen, scheinbar sehr fern (weil es mir – uns – damals nicht gehörte), geheimnisvoll mit seinen braunen Schindeln, den roten Fensterläden, umgeben von überaus unvornehmen Nadelbäumen (damals wusste ich noch nicht, dass sie unvornehm waren), ein Haus, das sich bescheiden gab und gerade durch diesen Anschein der Bescheidenheit die Aufmerksamkeit auf sich lenkte. Ich sehnte mich danach, in diesem Haus zu leben, ich wünschte es mir sehr. Ich war damals eine erwachsene Frau, hatte mein erstes Kind zur Welt gebracht und hätte längst die Frage klären müssen, wo und in was für einem Haus ich leben wollte, denn das Sesshaftwerden ist eine äußerliche Metapher für etwas, das sich im Inneren des Menschen vollziehen muss, ein zur Ruhe kommen, damit man sich auf dieses andere konzentrieren kann – darauf, das eigene Leben zu führen, ein Kind großzuziehen. Aber ich sah ständig dieses Haus und sehnte mich danach. Besonders gut zu sehen war es im Winter, denn dann hatten alle Bäume außer den unvornehmen Nadelbäumen ihr Laub verloren, und das Haus war deutlicher zu erkennen. Auch diese anderen Bäume waren gartenkundlich uninteressant, waren ganz gewöhnliche Ahornbäume, die sich überall aussäen, einander das Licht nehmen und dadurch schief und krumm wachsen, und Virginische Traubenkirschen. Besonderes schön ist das Haus im Winter, wenn alles verschneit ist und die kleine Anhöhe, auf der es steht, sich schneebedeckt zu einer Wiese hin senkt, und ich stellte mir vor, wie meine Kinder (als ich das Haus zum ersten Mal sah, hatte ich ein Kind, aber ich wusste, dass es dabei nicht bleiben würde, ich wollte immer mehr als ein Kind, aus durchaus eigensüchtigen Gründen, aber gibt es bei Kindern andere Gründe?) in Schneeanzügen auf Schlitten den Hang herunterrutschen würden. Diesen Anblick habe ich jetzt ziemlich regelmäßig an Wintertagen, wenn Schnee liegt, aus dem gleichen Fenster, von dem aus ich den nach einem Anthony benannten Berg betrachte.
Ein Haus definiert sich körperlich, das Zuhause definiert sich geistig. Mein Haus ist leicht zu beschreiben: Es ist aus Holz gebaut (die Balken aus Douglasfichte, die Schindeln aus Rotzeder), es hat vier Schlafräume, eine Veranda, auf der man auch schlafen kann, zweieinhalb Badezimmer, eine Küche, die in den großen Raum übergeht, in dem wir essen, ein Wohnzimmer, einen Wintergarten, ein Zimmer über der Garage, in dem mein Mann arbeitet, ein Zimmer, in dem ich arbeite. Das ist mein Haus. Mein Zuhause zu beschreiben ist schon sehr viel schwieriger; es setzt sich aus vielen, vielen Komponenten zusammen.
Das Haus, in dem ich jetzt lebe, wurde 1935 von einem gewissen Robert Woodworth für sich und seine Frau Helen und ihre drei Kinder gebaut. Ich bin mir dessen sehr bewusst, denn fast täglich erinnert mich etwas daran: Der Blick auf den Mount Anthony, die unspektakulären Nadelbäume, wenn irgendetwas – die Sanitäranlagen – kaputtgeht und repariert werden muss, die für ein so großes Haus geringen Heizkosten (es ist gut isoliert), das Zimmer, in dem ich schreibe. In diesem Zimmer ist er gestorben. Ein Barometer, auf das er vielleicht täglich einen Blick geworfen hat, hängt noch an dem Platz, an dem er es wohl vor vielen Jahren aufgehängt hat. Das Wetter interessiert mich nur insofern, als es sich auf meinen Garten auswirkt, deshalb ist das Barometer für mich eine Art Wandschmuck. Robert Woodworth war Botaniker und lehrte dieses Fach am nahe gelegenen College. Er hat die Zeitraffer-Fotografie erfunden. Ich weiß nicht, ob die aufregende und ungewöhnliche Kollektion von Wachslilien, Dreiblattgewächsen, Tränenden Herzen, Salomonssiegeln und Maiäpfeln in dem Beet vor dem Küchenfenster dieselbe ist, die man in seinen Filmen über Zeitraffer-Fotografie sieht. Er hatte einen Gemüsegarten und hielt Hühner. Neben dem Gemüsegarten stand ein Hühnerhaus, das ich habe abreißen lassen, nach langem inneren Ringen, denn es war ein schönes Gebäude im Vermonter Stil, das auffiel, weil es so schlicht war – genau wie das Haus. Ich liebte das Hühnerhaus. Ich glaube, ich war nicht da, als es abgerissen wurde.
Es gibt Menschen, die sich noch erinnern, wie Robert Woodworth das Haus ohne Hilfe eines Architekten selbst gebaut hat; seine drei Kinder zum Beispiel, damals Jungen, jetzt erwachsene Männer; ein Grundstücksmakler erinnert sich noch, wie er als kleiner Junge mit Robert Woodworth zur Gemeindeverwaltung ging, um sich einen Bagger zum Ausheben der Baugrube für das Fundament zu leihen. Es ist ein hervorragendes Fundament, wie mir Leute, die von diesen Dingen etwas verstehen, immer wieder versichern. Der mittlere Sohn erzählt von den Schwierigkeiten mit der Baugrube; Bagger waren damals noch nicht die kraftvoll-leichtgängigen Maschinen, in die mein Sohn Harold heute so verliebt ist, man brauchte zu ihrer Bedienung einige Muskelkraft. Außerdem ist der Boden in Vermont extrem steinig. Der jüngste Sohn erinnert sich, dass später, als das Haus fertig war und sie schon darin wohnten, sein Vater meinte, Helen – Mrs. Woodworth, die Mutter der drei Jungen – würde sich bestimmt über einen Wintergarten freuen, er hat zugesehen, wie sein ältester Bruder dem Vater dabei half, ihn zu bauen – einen Raum mit freiliegenden Balken und Steinboden, in dem seine Frau geschützt vor der heißen Sommersonne sitzen konnte. Von dort, dem Wintergarten aus, hat man einen hinreißenden Blick auf den Mount Anthony; der Wintergarten hat außerdem keine geraden, sondern gerundete Schiebefenster, Sonderanfertigungen. Die meisten Schreiner, sagte mir jemand, ein Architekt, hätten heutzutage mit solchen Fenstern Probleme. Komfort, das Geburtsrecht des modernen Menschen, darf man beim Öffnen und Schließen dieser Fenster nicht erwarten, aber ich könnte sie nie gegen andere austauschen, so wie ich es mit den Winterfenstern in den anderen Räumen gemacht habe. Die mussten im Sommer herausgenommen und im Winter wieder eingesetzt werden. Mein Mann und ich gerieten ständig darüber in Streit, wer diese unangenehme Aufgabe übernehmen sollte. Er ist in einer Stadtwohnung groß geworden und war daran gewöhnt, einen dienstbaren Geist für alles zu rufen, was in seiner Familie niemand machen konnte oder wollte; bei dem Klima, in dem ich aufgewachsen bin, machte man die Fenster auf oder zu, um Licht fernzuhalten oder einzulassen, und dieser Aufgabe waren alle gewachsen, selbst die Kinder.
Der Blick auf mein Haus wird für mich bestimmt durch die Empfindungen des jüngsten der drei Söhne, die in dem Haus aufwuchsen, in dem ich jetzt lebe, durch seine bleibende Bindung an dieses Haus. Er weiß noch, wann jene ganz gewöhnlichen Nadelbäume gepflanzt wurden, weiß noch, wie groß sie damals im Verhältnis zu seiner eigenen Größe waren. Dann sieht er sich die Bäume an, hebt die Hand ein Stück weit über seinen Kopf und sagt: So viel größer als er waren sie, als sie gesetzt wurden. Natürlich war er kleiner, als er jetzt ist, denn damals war er ein Junge, und jetzt ist er ein Mann, aber wenn er die Bäume ansieht und von ihnen spricht, spricht er von Dingen, die – ob er sich ihrer bewusst ist oder nicht – nie eindeutig kommuniziert werden können und auch nicht eindeutig kommuniziert werden dürfen. Er spricht von einem Geheimnis. Woher kamen die Bäume, und warum hat sein Vater sie gesetzt? Sie sind für mich nicht wirklich interessant, sie sind keine Raritäten. Ich habe einmal einen Botaniker kommen lassen, der sie sich ansehen sollte, den Nachfolger von Robert Woodworth an dem College, an dem er gelehrt hat. Der Botaniker befand, sie seien völlig unbeachtlich, ganz gewöhnliche Hemlocktannen, norwegische Fichten, Kiefern. Er meinte damit, die Bäume seien ohne botanisches Interesse; aber er hat nie erlebt, wie der jüngste Sohn Robert Woodworths sein erwachsenes Ich an dem erwachsenen Baum maß. Um heute den Wipfel des ausgewachsenen Baumes sehen zu können, muss er den Kopf zurücklegen, bis er sich mit dem Schlucken schwertut, und lange kann er es in dieser Stellung nicht aushalten. Irgendwann hatte ich einen Mann zum Abendessen eingeladen, der viel davon verstand, wie man Gärten gestaltet und ihnen ein modernes Gesicht gibt. Ihm gefiel nicht, wie ich meinen Garten angelegt hatte, die Bäume müssten weg, meinte er. Ich werde ihn wahrscheinlich nie wieder einladen, nur weiß er das noch nicht. Als er fort war, bin ich von Baum zu Baum gegangen und habe mich entschuldigt. Ich finde nichts Lächerliches dabei, mich bei einem Baum zu entschuldigen.
Von den Menschen, die in meinem jetzigen Haus Kinder waren, haben es einige sehr bedauert, dass es nicht in der Familie bleiben konnte. Das verstehe ich so gut, dass ich ihnen gesagt habe, sie könnten jederzeit kommen und sich das Haus anschauen, und ich habe ihnen auch gesagt, sollten wir es je verkaufen wollen, würden wir uns bei ihnen allen melden, bei den Kindern und Kindeskindern der Woodworths, und es ihnen zuerst anbieten. Wir, mein Mann und ich, glauben, dass wir, wenn es irgend möglich ist, nie irgendwo anders leben werden; natürlich wissen wir nicht, ob das möglich sein wird, aber glauben darf man so etwas immerhin. Als die Woodworths das Haus ausräumten, nachdem sie es an uns verkauft hatten, nahmen sie das eine und das andere mit, was ihnen etwas bedeutete. Eine Enkelin nahm ein Bett mit, in dem sie geschlafen hatte, wenn sie bei den Großeltern zu Besuch gewesen war, jemand anders nahm das Kamingeschirr mit, weil es etwas Besonderes war und bestimmte Erinnerungen daran hingen. Wer die Reproduktion eines Stiches mitgenommen hat, der die puritanische Legende von Miles Standish und Priscilla Alden zeigt, weiß ich nicht mehr. Als wir Mrs. Woodworths Küche abbauten, bat uns jemand nachzuschauen, ob vielleicht Rezeptkarten hinter die Anrichte gefallen waren, sie erinnerten sich an ein Rezept mit Baiser und fragten immer wieder nach, ob wir auch bestimmt nichts gefunden hätten. Einer der Woodworths nahm Ableger von Mrs. Woodworths Rosen mit, weil sie vor vielen Jahren aus dem Garten ihrer Mutter aus Maine gekommen waren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Kinder kurz nach meinem Tod (ich glaube, dass ich den Rest eines sehr langen Lebens hier verbringen werde) in dieses Haus kommen werden – denn meine Kinder sind Amerikaner, und Amerikanern ist es nicht gegeben, als Erwachsene dort zu leben, wo sie geboren wurden –, um nach Edna Lewis’ Kochbuch zu fahnden, in dem die Rezepte für Maispudding und Brathähnchen und Plätzchen stehen, Lieblingsgerichte unserer Familie; auch nach den vier Bänden von Elizabeth Davids Kochbüchern werden sie nicht fragen, in denen ebenfalls Rezepte stehen, die unsere Familie schätzt, nicht zuletzt das für den Sommerpudding, ein Dessert aus Beeren und altem Brot, wobei ich die Beeren erst als Erwachsene im eigenen Garten kennengelernt habe und gegen das Brot immer – allerdings nur aufgrund von Kindheitserinnerungen – eine Abneigung hegte –, oder nach dem immer wieder durchgeblätterten, aber in der Praxis nie benutzten Band Mrs. Beeton’s Guide to Household Management. Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Kinder je bereit wären, zuzugeben, dass sie von uns abstammen und nicht vom Himmel gefallen sind – ein Lieblingswunsch von mir, nachdem ich begriffen hatte, dass meine Eltern, um mich zu bekommen, miteinander hatten schlafen müssen. Erst neulich hörte mein Mann meine Tochter zu ihren Freundinnen sagen: »Da kommt mein Dad, der Dussel.« Als Dussel bezeichnet zu werden, fand er nicht eben schmeichelhaft und fragte die anderen Mädchen: »Hey, sehe ich denn so dusselig aus?«, und statt unisono zu beteuern: »Nein, du bist der wunderbarste Vater, den wir jemals das Glück hatten kennenzulernen«, starrten die Mädchen nur auf ihre Schuhspitzen, was er als wortlose Zustimmung auffasste. Aber unsere Kinder sind noch Kinder, eins ist sechs, das andere zehn. Sie denken vielleicht, dass wir ewig leben, dass wir nie fortgehen, dass sie nie die Möglichkeit haben werden, sie selbst zu sein, ohne dass wir sie an ihre Hilflosigkeit, ihre Abhängigkeit von uns erinnern. Vielleicht fehlen einem Torten mit Baiserüberzug und Sommerpudding nur, wenn man sie genau so nie wieder bekommen wird.
Wie geringfügige Begebenheiten verlaufen, interessiert nur geringe Geister. Aber geringfügige Begebenheiten sind immer auch häusliche Begebenheiten, und die findet man überall da, wo man ruhig einmal kleckern darf. Als häusliches Umfeld würde ich jeden Raum definieren, in dem es einem nicht peinlich zu sein braucht, Körperflüssigkeiten auszuscheiden. Dazu muss man aber natürlich erst das eine oder andere zu sich genommen haben – und in diesem Punkt leisten Edna Lewis und Elizabeth David und Mrs. Beeton wertvolle Hilfestellung. Die Welt kreist um die geringfügigen Begebenheiten. Jeder, der in irgendeiner Weise aktiv ist, verlässt früher oder später sein Zuhause. Dieser Schritt wirkt sich auf den oder die Zurückbleibenden und – manchmal besonders dramatisch – auf die neuen Bekanntschaften aus. Die geringfügigen Begebenheiten dagegen verändern – wenn sich die Welt denn um sie dreht – nur dich, nur du bist von ihnen betroffen.
An einem frühen Januarmorgen vor vier Jahren war ich mit meiner Freundin Meg beim Joggen, und unser Gespräch hatte einen Punkt erreicht, an dem wir wegen der darin zum Ausdruck kommenden Gefühle stehen bleiben mussten – es ging um unsere Kinder (ihre drei und meine zwei) im Besonderen und um die Welt im Allgemeinen –, als ich plötzlich das Haus, in dem ich jetzt lebe, aus dem jungen Tageslicht auftauchen sah. Ich stand etwa hundert Meter davon entfernt, aber in diesem Augenblick schien das Haus sehr fern, verborgen hinter einem Wald jener wenig spektakulären Nadelbäume (damals kamen sie mir vor wie ein Wald, in Wirklichkeit waren es nur wenige) und natürlich verborgen hinter dem Schleier des Unbekannten, denn ich hatte es ja nie betreten, hatte es nur von der Straße aus gesehen und mir sehr gewünscht, darin zu leben. Als ich es an jenem Morgen beim Laufen mit meiner Freundin Meg sah, sagte ich zu ihr: »In diesem Haus möchte ich gern wohnen«, und sie antwortete: »Das ist das Haus von Robert Woodworth, und mir ist, als hätte ich gerade gelesen, dass er gestorben ist. Ich wette, das Haus ist zu verkaufen. Ich wette, seine Kinder wollen es nicht behalten.« Erst jetzt kann ich ermessen, was für ein Luxus es ist, wenn nach dem Tod eines Menschen seine Kinder entscheiden können, sich von den großen Dingen, die er ihnen hinterlassen haben mag, zu trennen und nur die Rezepte für Kuchen und Ableger alter Rosen zu behalten, wenn sie nach den Erinnerungen greifen und nicht nach dem Materiellen, dem Haus. Die Kinder von Robert Woodworth wollten das Haus tatsächlich verkaufen. Es stimmte sie traurig, sie hatten ihren Vater geliebt, sie hatten ihre Mutter geliebt, sie hatten gern in diesem Haus gelebt, ihre Kinder hatten mit ihren Großeltern herrliche Sommer in diesem Haus verbracht. Aber die Kinder von Robert Woodworth sind Amerikaner. Amerikaner leben nicht in den Häusern, in denen sie ihre Kindheit verbrachten.
Der Erwerb von Robert Woodworths Haus stürzte uns, meinen Mann und mich, in eine Krise. Wir wohnten damals in einem Haus, das für uns zu klein geworden war: Wir hatten es als dreiköpfige Familie bezogen – Mutter, Vater, eine zweijährige Tochter. Als ich zu meiner Freundin Meg sagte, wie gern ich in Robert Woodworths Haus leben würde, waren wir zu viert. Dieses Haus war mindestens zwanzigmal so groß wie das, in dem ich aufgewachsen bin, ein Haus in einem armen Land mit tropischem Klima, aber ich lebte nun schon lange in Amerika und hatte mich den amerikanischen Gepflogenheiten angepasst, mindestens zwanzigmal so viel von den verfügbaren Ressourcen in Anspruch zu nehmen, wie wir brauchten. Dieser Wesenszug ist keine Habgier. Ein habgieriger Mensch ist häufig unwirsch und unleidlich. Amerikaner sind – zumindest soweit ich sie persönlich kenne – weder unwirsch noch unleidlich, sie bleiben, während sie mindestens zwanzigmal mehr von allem in Anspruch nehmen, als sie brauchen, immer heiter und vernünftig. Für vier Personen brauchten wir ein größeres Haus. Wir beschlossen, unser Haus zu verkaufen, um das von Robert Woodworth kaufen zu können, und setzten uns mit einer Grundstücksmaklerin in Verbindung, die uns riet, eine Summe zu fordern, die um ein Vielfaches über dem lag, was wir für unser Haus bezahlt hatten, höchstwahrscheinlich würden wir damit noch einen Gewinn machen, sagte sie. Aber niemand wollte unser Haus kaufen, weder für den Preis, den wir verlangten, noch für einen etwas geringeren oder einen wesentlich geringeren. Unser Haus stand da. Täglich beteten wir um einen Käufer, täglich beteten wir darum, niemand möge das leer stehende Woodworth-Haus bemerken, niemand möge erkennen, wie schön es war, wie glücklich man dort würde leben können. Ein kleines Plus hatten wir, meine Familie und ich: Allem Anschein nach wollten die Woodworth-Kinder das Haus am liebsten uns geben, denn mein Mann ist Komponist, und da in ihren Kindheitserinnerungen das Klavier ihrer Mutter Helen und das Banjo ihres Vaters Bob eine große Rolle spielten, stellten sie sich vor, dass bei uns das Haus wie in ihrer Kinderzeit voller Musik sein würde. Sie hatten recht. Das Haus ist oft voller Musik, auch wenn es manchmal die Musik der Lieblingsband von Annie und Harold ist, einer Gruppe, die sich Green Day nennt. Jedes Mal, wenn wieder ein Termin für jene wichtige Komponente der Hauskauf- und Hausverkaufszeremonie gekommen und verstrichen war, die sich »Eigentumsübertragung« nennt, riefen wir ängstlich die Woodworth-Kinder an und berichteten von unserem Dilemma, und jedes Mal beruhigten sie uns und versprachen, sie würden noch ein wenig damit warten, das Haus – auch das eine wichtige Komponente besagter Zeremonie – »auf den Markt« zu bringen.
Eines Tages – sieben Monate, nachdem ich frühmorgens mit Meg gelaufen war und Robert Woodworths Haus gesehen und ihr gesagt hatte, wie gern ich darin wohnen würde, besichtigten zwei junge Leute unser Haus (es war gelb gestrichen, gelb wie die Häuser in Finnland, nicht in dem Gelb der Karibik, wo ich herkomme; ich hatte mich für diese Farbe bewusst entschieden und brachte damit etwas zum Ausdruck, was sehr weit verbreitet ist, nämlich das zu mögen, was man selbst nicht ist). Sie boten eine Summe, die wir sofort akzeptierten, was ihren Argwohn erregte, denn sie hatten sich auf eine weitere Hauskauf- und -verkaufszeremonie eingestellt, das Gegenangebot. Ich hatte es mit dem Auszug so eilig, dass etliche Paeonia ›Festina Maxima‹ zurückblieben, die ich geschenkt bekommen hatte, gewonnen durch das Teilen einer fünfzigjährigen Pflanze. Wenn ich jetzt im Juni an meinem alten Haus vorbeifahre und sie so prachtvoll blühen sehe, tut es mir leid, dass ich den Käufern meines Hauses nicht gesagt habe: »Ja, der Preis ist in Ordnung unter der Bedingung, dass ich meine ›Festina Maxima‹ mitnehmen darf, denn es ist nicht nur die schönste Päonie, die es gibt, sondern es ist die erste Staude, die ich, als ich Gärtnerin wurde, selbst geteilt habe und die mir ans Herz gewachsen ist.«
Ich erinnere mich nicht mehr an den Tag, an dem unser früheres Haus verkauft wurde, auch nicht mehr an den Tag, an dem Robert Woodworths Haus unser Haus wurde. Ich weiß nur noch, dass bei keinem der Erben Platz genug war für Helens Flügel. Sie boten ihn uns zum Kauf an, aber wir konnten uns nur mit Mühe und Not die Anzahlung für das Haus leisten und mussten deshalb ablehnen. Jetzt steht er in unserem Wohnzimmer und wartet darauf, dass er auf Dauer bei einem von Helens Enkelkindern unterkommen kann. Meine Kinder üben auf Helens Flügel, und um Helens Flügel entbrennt oft Streit. Sie üben nicht gern, es sieht so aus, als ob kein Kind aus einer Kultur, in der Klavier gespielt und die Liebe zur Musik über das Klavier vermittelt wird, gern übt. Und so erinnert auch der Flügel uns immer wieder an die Menschen, die wir die Woodworths nennen.
Wenn man schon mit der Erinnerung an Menschen leben muss, die man nie kennengelernt hat, dann kann man sich niemand Besseres wünschen als Bob und Helen Woodworth. Zu dem Gedenkgottesdienst für Robert Woodworth kamen viele Leute aus dem Dörfchen North Bennington. Manche waren Kollegen vom College, andere Einheimische, mit denen er im Lauf der Zeit Bekanntschaft geschlossen hatte. Ich weiß nicht, ob sie bemerkten, wie oft es in ihren Erinnerungen an Robert Woodworth hieß: »Bob und ich haben zusammen Holz gehackt« oder »Ich habe Bob Holz gebracht« oder »An dem Tag, an dem mich Bob wegen der Sache mit dem Holz angerufen hat …« Ich glaube, ich war unter all diesen Menschen die Einzige, die Bob Woodworth nie persönlich kennengelernt hatte, und wohl deshalb fiel mir auf, wie viele Erinnerungen, die mit Holz zu tun hatten, sich mit einem Menschen verbanden, der Woodworth hieß. Ich wäre gern aufgestanden und hätte auf die Beziehung zwischen dem Holz – wood – und dem Namen des Mannes hingewiesen, der mit diesem Gedenkgottesdienst geehrt wurde. Ich tat es nicht. Wer über ihn sprach, erwähnte immer auch, wie nah Helen und er sich gestanden hatten und wie sehr sie auch Helen gemocht hatten. Dienstags spielte er immer mit ein paar Freunden Dixielandmusik. Als er sich an dem Dienstagabend vor seinem Tod von ihnen verabschiedete, sagte einer: »Wir sehen uns dann nächste Woche, Bob«, und Robert Woodworth gab zurück: »Ich glaube kaum …«. Und das hat sich bewahrheitet, nach jenem und vor dem nächsten Dienstag ist er gestorben. Der Freund, zu dem er das gesagt hatte, erzählte in dem Gedenkgottesdienst davon. Nachdem wir das Haus gekauft hatten, fanden wir im Keller eine große Menge fertig gehacktes Kaminholz. Im Keller stand auch ein Holzbrandofen, der an den Heizkessel angeschlossen war. Wir stellten fest, dass man das ganze Haus auch mit Holz beheizen konnte, aber niemand in unserer Familie kann Bäume fällen.
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