Kitabı oku: «Der Bomber (Kunibert Eder löst keinen Fall auf jeden Fall 1)», sayfa 3
»Du?«, fragte Sandro noch einmal und dann brüllte er das dreckigste seiner Lachen, Meister Eder türmte ins Gebüsch und selbst im ersten Stock gingen die Lichter an. Das rüstige Froilein Schneider öffnete im Nachtgewand das Fenster und lachte herzhaft mit, denn sie war eine gut gelaunte alte Frau. Zumindest Letzteres hatte sich Kunibert aber nur vorgestellt. Das Fenster im ersten Stock war weiter geschlossen.
»Kuno«, ergänzte Sandro und rang nach Luft: »Also erstmal schon geil, dass der Bomber betrügen soll. Aber wenn dem wirklich so ist, dann willst du das aufklären? Entschuldige, Kuno. Du kannst nicht mal sauber geradeaus laufen!«
Kunibert wollte etwas erwidern, aber Sandro setzte noch einen drauf: »Und außerdem war das ein Flugzeug, keine Sternschnuppe!«
Und da hatte Kunibert den Salat. Man sagte das so, den Salat. »Was wirst du also tun«, war Sandro genüsslich zur Stelle, »damit dein Aufstiegswunsch in Erfüllung geht?«
»Ich werde …« Kunibert zögerte. So leicht würde er nicht klein beigeben. Auf seltsame Art und Weise war er sich jetzt sicher. »Ich werde … ich werde durch den Wald nach Brauberg fahren.« Wobei das etwas auffällig sein konnte und er sein Rad unterwegs besser irgendwo stehen lassen musste, dachte er und korrigierte: »Besser gehen, ich werde nach Brauberg gehen und mich beim Training von denen umschauen.«
Sandro pustete aus, offenbar nicht unbeeindruckt von diesem kunibertschen Aufklärungsvorhaben. »Der traut sich was«, sagte er.
Dann stießen beide an.
»Auf dein Vorhaben!«, sagte Sandro.
»Auf das Flugzeug!«, sagte Kunibert.
(33. Minute)
Stell dir vor, deine Klamotten sind nicht die besten, und du verstehst das Spiel nicht, doch du rückst dir deine Schienbeinschoner zurecht, steckst dein Trikot in die Hose und stürzt dich ins Geschehen.
Im Schlachtgraben
Nur wegen diesem Flugzeug, dachte Kunibert, und für Annabelle natürlich. Um den Hals baumelte ihm ein Fernglas, als er sich im Graben nahe des Brauberger Fußballplatzes gerade eine Kuhle zurechtschubberte. Dieser blöde Kack-Wald, fluchte er, wie er zwischen Weiden und Wiesen lag und daran arbeitete, eine annehmbare Lage zu finden und ihm das zusammengeholzte Stück Natur aus der Ferne dabei zusah. Ja, ein Kack-Wald war er – mit einem Kack-Teich! Was die von ihm wollten, fragte sich Kunibert. Der Weg durch den Wald war nun wirklich nicht verbindlicher Bestandteil der Abmachung mit Sandro gewesen. Das Training des SV Brauberg zu beobachten, das war wichtig, das mit dem Durch-den-Wald-Gehen, das war doch nur so dahingesagt gewesen. Das hatte Sandro sicher nicht einmal gehört, und wenn, dann noch weniger verstanden, was das für Kunibert überhaupt für eine Bedeutung hatte. Das Resultat jedenfalls war das Gleiche, befand Kunibert, Hauptsache er lag hier im Graben und fand etwas über den Bomber heraus. Und gemütlich war das wahrlich nicht, wie hinter ihm auf der Wiese die Kühe schmatzten und sich dann und wann ihres wiedergekauten Breies entledigten. Aber wegen der Gemütlichkeit war er nicht hier, dachte er, sonst hätte er zu Hause auf dem Sofa bleiben können. Nur das war er nicht, ermahnte sich Kunibert und schubberte weiter an seiner Kuhle. Er war ein Mann der Tat, also manchmal. »Scheiße!«, stieß er aus und zuckte zusammen. Eine dicke Wurzel drückte sich in seinen Oberschenkel. Noch hatte ihn niemand bemerkt, wie er in seinem alten Jogginganzug im Graben herumrutschte und die Brauberger noch in der Kabine waren. Tarnung, dachte Kunibert, Tarnung war das halbe Leben. Wie bei der Bundeswehr, da war man auch getarnt und die hätten ihm schon gezeigt, wo es langginge, wie sich Kuniberts Großvater mütterlicherseits, der strenge Theodor, auszudrücken gepflegt hatte. Da musste man sicher auch viel durch die Gegend robben, dachte Kunibert, während ihn das Grasgewächs überall am Körper pikste und die Fliegen um den Kopf schwirrten. Untauglich war er eingestuft worden, so untauglich, dass nicht einmal mehr das Zivi-Amt Interesse an seinen Diensten angemeldet hatte. Nur war das eine andere Zeit gewesen, dachte Kunibert. Jetzt musste er zu allen verfügbaren Mitteln greifen. So wie er auch seinen ersten Fall als Kind gelöst und das Froilein Schneider des Naschens aus der elterlichen Keksdose überführt hatte. Fingerabdruckpulver aus dem Mickey-Maus-Heft. Er hatte es nur aufklären wollen, aber manchmal tat die Wahrheit weh. Denn wenn das Froilein Schneider damals aus der Keksdose genascht hatte, ging es Kunibert mal wieder durch den Kopf, obwohl sie offiziell nicht zu Besuch gewesen war, gab das durchaus für Spekulationen Anlass. Kunibert wollte darüber nicht weiter nachdenken. Jetzt nicht und nie wieder.
Und nie wieder ginge er auch in diesen Kack-Wald! Da brauchte der gar nicht so zu gucken. Und erst recht nicht zu diesem vollgedreckten Kack-Teich, dachte Kunibert. Dieser Kack-Teich, der doch ein See war, dieser Kack-Teich, das dachte er nur so despektierlich, denn der hatte Sandro fast das Leben gekostet, und nur wegen dem hatte er jetzt den weiten Weg außen herum nach Brauberg laufen müssen.
Und Brauberg, fuhr Kunibert in Gedanken fort, wo er in Fahrt war. Was war das überhaupt für ein verhunztes Kaff? Es stank hier bis zum Himmel, und alles, was in Hennigsen zugrunde ging, war hier bereits zugrunde gegangen. Kein Supermarkt mehr, kein Imbiss, der Fußballplatz am Arsch statt im Herzen, und die erste Herren vom SV Brauberg spielte inzwischen dort, wo auch die Zweite des MTV zu Hause war – in der letzten aller Kreisklassen.
Genau, fiel es Kunibert ein, deshalb war er hier! Wegen des Aufstiegs und um das Flugzeug zu retten – was für ein Blödsinn! – für Balu, für Annabelle, und wegen Gerrit Gülle. Der Bomber, wie er getauft worden war, G.G.B., manche sprachen es englisch aus, der Königstransfer des SV Brauberg.
Das Aufheulen eines Motors riss Kunibert aus seinen Gedanken. Sofort tauchte er in seine Kuhle ab. Den getunten Mini, der den Feldweg entlang geholpert kam, hatte er im Ansatz noch erspähen können. Der hämmernde Bass aus dem Fahrzeug näherte sich, hielt direkt vor ihm inne und verstummte. Eine Autotür wurde aufgerissen und gleich darauf zugeschlagen.
»Hey, ihr Pisser!«, rief jemand in die stumme Landschaft. Kunibert hörte Schritte nur zwei Armlängen von ihm entfernt. Erste Schweißperlen bildeten sich unter seiner Baumwollmütze. Die hatte ihm seine Oma mütterlicherseits, die fleißige Hermine, gestrickt. Mit der Tarnung hätte er sich gleich an den Spielfeldrand setzen können, dachte Kunibert und zog sich die Mütze vom Kopf. Der Mini-Fahrer verschwand ohrenscheinlich Richtung Trainingsgelände.
Kunibert nahm das Fernglas in die Hand und in seiner nun annehmbaren Kuhlenform visierte er die Kabinentür der Brauberger an. Nur durch den Fangzaun hinter dem Tor und dem holprigen Feldweg getrennt, betraten die ersten Akteure den Rasen. Den Bomber erkannte Kunibert sofort. Diesen weißen Ailton von Brauberg, dessen Hals sich zwischen seinen Schultern verlor, mit dem Oberkörper einer Regentonne, aus der zwei kurze, rundliche, aber schussgewaltige Böcke ragten.
»Er nimmt Anlauf … schießt …«, kommentierte G.G., der Bomber im Reporterstil seine Aktionen auf dem Spielfeld. »Was für ein wunderbarer Treffer! Quadratisch, praktisch, gut. Das ist der Bomber! Es würde mich nicht wundern, meine Damen und Herren, wenn dieser Treffer bei der Wahl zum Tor des Monats ganz vorne landen würde! Und da läuft er wieder an … oh, vorbei! Auch er kann nicht immer treffen.«
Während sich die anderen Spieler warmliefen, schoss und lupfte der Bomber den Ball aus zwanzig Metern weiter Richtung Tor. Feines Füßchen, das musste man ihm lassen. Aber gegen Krücke, dachte Kunibert, würde G.G.B. keine Chance bekommen. Sein Freund schonte trotz oder gerade wegen seiner nur mangelhaft ausgeheilten Beinverletzung weder sich noch seine Gegner.
Auf dem Platz übernahm ein mittelalter Typ mit Vokuhila-Schnitt die Kommandos und bestimmte, den Torwart warmzuschießen. Die bunte Trainingstruppe verstolperte jedoch sämtliche Anläufe oder drosch die Bälle links und rechts am Tor vorbei ins Fangnetz.
»Leute, das ist nicht euer Ernst!«, erregte sich der gut gemähnte Übungsleiter und legte sich selbst einen Ball zurecht. »Ich zeig euch mal …!«, rief er als Nächstes, nahm Anlauf und zimmerte das Leder mit all seiner Kraft über den Fangzaun. Mit einem Rascheln schlug der Ball hinter Kunibert in der Wiese ein. Ein Muh ertönte, Kunibert kauerte sich dichter auf den Boden.
»Jimbo, Oberkörper über den Ball«, hörte Kunibert den Bomber flachsen.
Kurz darauf brandete anerkennender Applaus auf. Kunibert wagte wieder einen Blick auf den Platz. Ein Ball lag im Tor, der Bomber als letzter Schütze hatte ihn offenbar gewohnt treffsicher versenkt.
»Den Ball hole ich später«, knurrte Jimbo und turnte eine Übung vor. Ein Offensivspieler wurde mit dem Rücken zum Tor am Sechzehner angespielt und musste sich nach einer Drehung gegen einen Verteidiger durchsetzen und den Abschluss suchen.
Bei dieser Einheit wurde das ganze Elend des Bombers offenkundig, und da regte sich so etwas wie Ehrgeiz in Kunibert. Mit etwas Training, dachte er, könnte er mindestens genauso fit sein. Zwar schirmte G.G.B. den Ball im Stil eines Carsten Janckers hervorragend mit seinem massigen Körper ab, doch bei jedem seiner hilflosen Versuche, sich um die eigene Achse Richtung Tor zu drehen, wurde ihm der Ball vom Fuß gespitzelt.
Das stinkt, dachte Kunibert. Er bemerkte ein erstes Kribbeln in seinen Schnurrbarthärchen. 37 Tore in 19 Spielen! Gegen diese Bescheißerei, und damit zielte er jetzt nicht auf die ihn umgebene Jauche ab, gegen diese Bescheißerei musste er etwas unternehmen. Das war sein Fall, dachte Kunibert, und den würde er lösen. Wieder spürte er so ein Kribbeln, es wanderte bis in die Nase, und schnell presste Kunibert seinen Kopf in den angewinkelten Arm und spannte seine Kiefermuskeln an. Gerade noch konnte er den aufkommenden Nieser abfangen. Woher schon all die Gräser kamen, fragte er sich.
Auf dem Platz teilte Jimbo mit der Vokuhila-Mähne derweil zwei Mannschaften ein.
»Der ist gut«, rief dann einer der Brauberger Spieler bei der Bestimmung eines tauglichen Spielgeräts.
»Der ist viel zu platt!«, meinte ein anderer.
»Dann den hier!«
»Der ist zu hart!«, gab ein Dritter seine Meinung kund.
Dann wurde unter Einbeziehung aller verfügbaren Bälle und prüfenden Blicken der Akteure ein spieltauglicher Ball in diesem aufwendigen Auswahlprozedere bestimmt.
Noch würde er ungesehen davonkommen können, dachte Kunibert. Das Wichtigste hatte er beobachtet, und bald würde sich sicher jemand um den Ball hinter ihm auf der Wiese kümmern. Nur in welche Richtung sollte er verschwinden? Ganz außen herum wollte er nicht noch einmal, durch den Wald aber erst recht nicht. Dieser Kack-Wald, dachte er wieder, während die Kühe auf der Wiese hinter ihm den Ball weiter gleichmütig zur Kenntnis nahmen. Sie waren ihm da durchaus sympathisch, diese schwarz-weiß-gefleckten Brecher, wie sie immer nur aßen, zufrieden waren und sich kaum vom Fleck bewegten. Ja, dachte Kunibert, eine Weile würde auch er noch verharren können.
»Linksaußen: Gute Flanken«, notierte er in sein Büchlein, als auf dem Platz das Trainingsspiel begann. Gut, dass Krücke groß war und der Bomber sie nicht abnehmen könnte, dachte er. Auch der zu spät gekommene Mini-Fahrer stolperte inzwischen über den Acker. Sein langärmeliges Trainingsoberteil des FC Bayern München hatte er hochgekrempelt, wohl damit seine nach Profi-Vorbild komplett tätowierten Unterarme zur Geltung kamen. Seine beiden Beine dagegen verknotete er sich ständig selbst. »Tattoo: ungefährlich.«
Blieben die Verteidiger. Zwei von ihnen schienen passabel und ließen nicht viel anbrennen, wenngleich sie in der Doppel-Manndeckung des Bombers wenig gefordert waren. Auch der Torwart schien nicht mehr als solide und fiel vor allem durch sein grünes Stirnband auf, das ihm die langen Haare aus den Augen hielt.
»Durchschnitt«, schrieb Kunibert quer über die nächste Seite seines Buches. »Absoluter Durchschnitt.« Auch der Bomber agierte heute sehr behäbig. Vielleicht hatte der Wind bekommen, dass er beobachtet wurde. Oder aber er war ein reiner Spiel-Spieler, so wie die deutsche Nationalmannschaft eine reine Turniermannschaft war und dafür bekannt, ihr ganzes Können nur in Turnieren abzurufen. Das war Kunibert alles schleierhaft, wie der Bomber einen fußballerischen Schleier trug, um seine Fähigkeiten zu verstecken, und da kitzelte Kunibert wieder der Schnurrbart bis in die Nase. Erneut konnte er den Nieser unterdrücken. Das musste tatsächlich an den vielen Gräsern liegen, dachte er. So langsam sollte er verschwinden, bevor er sich verraten würde.
Kunibert zog sich die Mütze auf den Kopf und richtete sich auf. Da bemerkte er aus dem Augenwinkel eine Person auf dem Feldweg. »So war das nicht geplant gewesen«, murmelte er. Zu allem Überfluss führte die Gestalt einen kleinen Hund bei sich. Kunibert drückte sich wieder dicht auf den Boden. Sehen konnte er nichts mehr, er lauschte nur und hörte die sich nähernden Trippelschritte. Auf seiner Höhe hielten sie inne. Aufgeregtes Geschnüffel begann, und Kunibert erspähte über sich den Vierbeiner, dem er nun direkt in seine schwarzen Knopfaugen blickte. Geh weiter, zwinkerte Kunibert dem Schnüffelhund im weißen Fellgewand zu. Ein Spanier war das oder wie die hießen. Oder ein Cocker – wie aus dieser Cesar-Werbung. Mit Hunderassen hatte er es nie gehabt.
Er solle endlich gehen, wies Kunibert heftiger nickend die Richtung, aber da war nichts zu machen. Die Knopfaugen des Hundes glänzten, offenbar vor lauter Stolz, etwas Aufregendes entdeckt zu haben. Kunibert robbte zur Seite, der Blick des Hundes folgte ihm und zaghaft öffnete der Vierbeiner sein Mäulchen. Eine erste Drohung, dachte Kunibert, aber vielleicht meinte es der Hund auch nicht so und lächelte nur.
»Winfried! Bei Fuß!«, hörte er die Stimme des Halters. Der begann jetzt an der Leine des Hundes zu zerren, jedenfalls verlor Winfried zunehmend Halt und Blickkontakt.
»Winfried, komm schon!« Der Halter klang zunehmend ungehalten ob des Widerstandes seines Spaniers.
»Wuff!«, machte sich dieser Winfried mit seinem letztmöglichen Mittel verständlich. »Wuff!«
»Winfried, was ist denn da?«, war wieder die Männerstimme zu hören. »Hast du eine Maus entdeckt?«
Da gab es für Kunibert kein Halten mehr. Er sprang aus dem Graben, sein Fernglas baumelte ihm um den Hals und er stürmte in die Richtung, aus der er nicht gekommen war – geradewegs dem Wald entgegen.
»Wuff!«, klang es kleinlaut und dezent vorwurfsvoll hinter ihm.
»Du hast ja recht«, gab der Halter zurück, und »Bleib stehen!«, rief er Kunibert hinterher, aber Kunibert lief einfach weiter, bis er nicht mehr konnte, einfach weiter direkt in Richtung Wald.
»Bleib stehen!«, hörte Kunibert noch einmal, dann verstummte die Stimme und auch Winfrieds Bellen war nicht mehr zu hören. Die beiden Verfolger hatten wohl ein Einsehen, gegen diesen frischen Kunibert keine Mittel zu haben. Der passierte die ersten Reihen der applaudierenden Bäume, die ihre Ast-Arme voller Respekt im Wind schwenkten und ihm den Weg tiefer ins Gehölz bahnten.
Kunibert fühlte sich gut, so gut, als könne er ewig weiterlaufen und dieser Kack-Wald ihm nichts mehr anhaben. Er müsste nur dem Weg folgen, bis zur nächsten Gabelung, dort dann links und dann wäre er fast in Hennigsen. Zwei oder vielleicht drei Kilometer, rechnete er, vielleicht sogar an dem Kack-Teich vorbei, dann wären es vier oder fünf, und dass er dann gleich zu Sandro nach Willerse laufen könne. Auf fünf oder zehn oder fünfzehn Kilometer mehr oder weniger käme es dann auch nicht an, dachte er, und dass er ewig weiterlaufen könne. Es fühlte sich gut an. Zum nächsten Training der Zweiten des MTV könne er auch gehen, versprach ihm ein euphorisches Glücksgefühl, denn ewig könne er so weiterlaufen, dachte Kunibert noch, als sein Bauch unerbittlich zu krampfen begann.
(40. Minute)
Stell dir vor, du bist im Spiel, und du warst es auch vorher, doch jetzt hast du endlich den Ball am Fuß.
Disko
»Quid pro quo«, hatte Sandro gesagt, als Kunibert ihn aufgeregt angerufen hatte, um ihm von der Brauberger Trainingseinheit zu berichten. Wenn er sich den Mist über die kunibertschen Verschwörungstheorien anhören müsse, Zitat Sandro, dann müsse Kunibert schon nach Willerse ins Nepomuks kommen. Es würde schon nicht zu seinem Schaden sein. Sandro würde ihm dann zeigen, was er in den letzten Jahren alles verpasst habe. Nicht umsonst gälte das Nepomuks als Entertainment-Center der guten Laune, das sich je nach Uhrzeit und Programm von Restaurant in Sportsbar oder Club verwandle. So etwas hatte Kunibert befürchtet, und er hasste es.
Im Nepomuks stand man auf dem Präsentierteller und es war in der Vergangenheit mehr als einmal vorgekommen, dass er wegen seiner wenig zeitgemäßen Stoffauswahl und seiner ausgewachsenen Haarpracht belächelt worden war. Selbst die Zweitligaspiele des SV Willerse verfolgte er kaum mehr im öffentlichen Raum, aber da musste er durch, schließlich hatte er einen Fall. Da musste man sich in nicht einsehbares Terrain vorwagen.
Es war deutlich nach Mitternacht, und Kunibert lehnte alleine an der Theke und hatte das Gefühl, dass er das alles falsch verstanden hatte.
»Um zwölf am Zapfhahn«, hatte Sandro gesagt. Daran war normalerweise nichts falsch zu verstehen gewesen, aber irgendetwas hatte Kunibert wohl falsch verstanden, als er sich sein zerknittertes Hemd übergestreift und schnell das Wort Bügeleisen auf einem Zettel in der Küche notiert hatte.
»Ein Bier, bitte«, rief er den Bedienungen hinter dem Tresen zu. Niemand schenkte ihm Beachtung. Um ihn herum drängelten sich etliche Willerse-Anhänger, die zuvor das mühevolle 1:1 ihrer Mannschaft gegen das Erzgebirge aus Aue verfolgt hatten. »Ein Bier, bitte«, rief Kunibert noch einmal und winkte in Richtung einer Blondine, die kurz aufgeschaut hatte. Nun aber händigte sie einem der vielen Willerse-Anhänger das Bier aus.
»Ein Bier«, dachte Kunibert oder hatte er vielleicht noch mal gesagt. Nüchtern würde er es hier auf Dauer jedenfalls nicht aushalten, wie aus dem großen Nebenraum des Nepomuks laute Musik dröhnte, zu der sich das feierwütige Volk aus der Stadt und die noch anwesenden Fußballfans vermischten.
Bier, dachte er, er wollte doch nur ein Bier. Und wo blieb Sandro? Er musste ihm doch vom Training erzählen, wie schlecht der Bomber war, wie das dort alles stank, und wie er selbst tatsächlich durch den Wald gelaufen war. Am Ende mehr gegangen, okay, geschenkt. Er hatte das Flugzeug gerettet – und den Wunsch. Und beinahe wäre er sogar an ihrem alten See vorbeigelaufen. Dem Kack-Teich, aber so wollte er ihn nicht mehr nennen. Immerhin hatte er Sandro zu seinem besten Freund gemacht.
»Kuno, alter Zuchtbulle!« Kunibert spürte eine kräftige Hand auf seiner Schulter.
»Was?« Er fuhr herum und sah Sandro und an ihm vorbei in den sich geleerten Restaurantbereich des Nepomuks. Dabei machte Kunibert eine überraschende Entdeckung. An einem der Tische saß Annabelle.
»Jetzt tu nicht so. Du hast schon richtig gehört«, sagte Sandro. »Oder siehst du hier noch so einen Adonis außer dir?«
»Adonis … pff!«, machte Kunibert und dachte, dass das alles kein Zufall sein könne. Daran glaubte er sowieso nicht mehr. Spätestens seitdem er sich ein Haustier gewünscht hatte, sich aber nicht zwischen Hund oder Katze, Ratte oder Meerschweinchen, Nilpferd oder Wildgans hatte entscheiden können, und ihm ein abgemagerter Kater zugelaufen war, hatte er damit aufgehört. Zufälle, war Kunibert der Meinung, Zufälle konnten höchstens zufällig passieren, und dass Annabelle und er am gleichen Abend den Weg ins Nepomuks gefunden hatten, das war so einer. Ihr kesser Zopf aus braunem Haar streichelte ihren Nacken, ihre weite, weiße Bluse offenbarte nicht zu viel der nackten Haut. Das alles gefiel Kunibert. Er hielt sich auch lieber bedeckt mit dem, was er zu bieten hatte. Annabelle unterhielt sich mit einer Freundin und lächelte. Kunibert lächelte mit.
»Was ist los, Kuno? Warum grinst du so blöd? Bist du schon voll, oder was?« Sandro schaute ihn fragend an. »Da muss ich gleich mal nachziehen!« Sandro drängelte sich an die Theke und deutete mit seinen Fingern eine Zwei.
»Was hast du überhaupt für ein Hemd an?«, wandte er sich dann wieder an Kunibert. Er selbst trug ein eng sitzendes Shirt mit unleserlicher Aufschrift darauf. »Hast du kein Bügeleisen?«
»Das gehört zu meinem Gesamtkonzept«, verteidigte sich Kunibert.
»Gesamtkonzept? So wie dein Schnurrbart!« Sandro kam Kunibert näher, denn aus den großen Lautsprechern über der Theke schrie jemand »yeah« und »fuck« und »so what« in den Raum. Dazu hämmerte der Bass. »Find’ ich nicht schlecht, die Idee«, schrie Sandro gegen den Lärm an. »Find ich echt nicht schlecht. Markenbildung!«
»Was?«
»Mar-ken-bil-dung!«
»Boah … keine Ahnung.«
»Kuno, da kann man doch was draus machen. So mit deinem Schnurrbart und so. Da stehen die Mäuse drauf.«
»Hmm.«
»Hast du das Studentenfutter schon gesichtet?«
Kunibert runzelte die Stirn.
»Ich meine, ob ein paar leckere Rosinen dabei sind?«
»Ich mag keine Rosinen«, sagte Kunibert. Rosinen waren eh das Langweiligste im Studentenfutter. Jede war wie die andere, nur anders.
»Keine Rosinen. Wie wär’s mit Cashews?«
»Zu salzig.«
»Kuno, du bist mir so einer. Was ist mit Haselnüssen?«
»Die sind so stumpf innen drin.«
»Stumpf?«
»So matschig.«
»Matschig?«
»Du weißt schon.«
»Okay, dann die großen, dicken, wie heißen die noch?«
»Paranüsse.«
»Paranüsse, genau. Du bist ja ein richtiger Nussexperte.«
»Räume die jeden Tag ins Regal.«
»Sollen sehr gehaltvoll sein. Alter Tipp von Balu. Sind wirklich nicht schlecht. Stehe auch mehr so auf fest. Oder groß. Oder beides.« Sandro folgte Kuniberts Blick und zeigte auf die blonde Freundin, mit der Annabelle da war.
»Ich wette, sie sitzt genau in dieser Richtung.«
»Was?«, fragte Kunibert. Sandro sollte da besser nicht so hinzeigen, denn das tat man nicht. Aber da war es schon zu spät. Die Blondine erblickte Sandro und zwinkerte Annabelle zu, die sich halb drehte und sich ebenfalls in Richtung Tresen umschaute. Kunibert traf ihren Blick, und da lächelten sie beide kurz gemeinsam.
»Ach Kuno!« Sandro stieß ihn an. »Willst du mir noch erzählen, warum du hier bist, oder gleich rübergehen und sie ansprechen?«
Ja, genau, dachte Kunibert, er war wegen des Falles hier, und was wollte er gleich erzählen. Flugzeug, Bomber, Tore. Er hatte es vergessen. Ansprechen war gut, ansprechen war sogar sehr gut, nur hatte er keine Ahnung wie.
»Die Frau kann dir nur die Vorlage geben«, hörte er Sandro. »Reinschießen musst du selbst.«
»Ich stehe nicht mal auf dem Platz.« Kunibert umklammerte die Bierflasche, die Sandro ihm reichte. »Ich laufe mich noch warm.«
»Pass auf«, begann Sandro und suchte Blickkontakt zu Annabelles Freundin. »Regel Nummer eins: Wenn du eine Frau ansprechen willst, schau sie an.«
Kunibert kniff seine Augen zusammen, aber Annabelle saß halb mit dem Rücken zu ihm und zeigte ihm die kalte Schulter. Gut, dachte Kunibert, sie hatte eben gerade gelächelt, das konnte man als Anschauen werten. Der Blick der Blondine von gegenüber wanderte zwischen Sandro, Annabelle und dem Tisch hin und her. Immerzu lächelte sie nun zu Annabelles Worten.
»Und wenn sie zurücklächelt«, wusste Sandro, und Annabelles Freundin lächelte zurück, »dann greift Regel Nummer zwei: Du musst wissen, wo das Tor steht. Du darfst dir keinen Fehler erlauben! Nie! Du hast nur diese Chance.«
Kunibert nickte. Andererseits war das auch Quatsch. Ein Spiel dauerte immer 90 Minuten, dachte er, und nach einer Chance konnte es durchaus eine nächste geben, und noch eine, und noch eine. Irgendwann würde natürlich der Schiedsrichter die Nachspielzeit anzeigen, und dann gäbe es vielleicht noch eine letzte Chance oder eine vorletzte, aber dann wäre irgendwann auch Feierabend.
»Und Regel Nummer drei?«, fragte Kunibert.
»Regel Nummer drei«, erwiderte Sandro. »Vergiss Regel eins und zwei. Geh hin und sprich sie an.«
»Bin gleich wieder da.«
Kunibert löste sich vom Tresen, und ging – Richtung Toilette. Wie unfähig er doch war, dachte er. Gefühle waren ihm schon immer zu nervenaufreibend gewesen. Er hielt das nicht aus – und genauso war auch sein letzter Pflichtspieleinsatz in der zweiten Herren des MTV verlaufen, wobei von Einsatz nicht die Rede sein konnte. Kunibert hatte unmittelbar vor der Einwechslung gestanden und war beim Traben zur Seitenlinie über einen Maulwurfshügel gestolpert. Doppelter Bänderriss. Den hatte er bei seinem Glück erlitten und danach nie wieder gespielt. Unfähig, dachte er wieder. Er war unfähig, und was sollte er schon zu ihr sagen, war sein Gedanke, als er die Toilette betrat und Kunobert ein Stück erleichternde Freiheit erlangte. Ja, hallo, wir kennen uns doch, nuschelte er in seinen Schnurrbart. Du bist doch die mit dem Jungen, die ihn nicht abgeholt hat.
Nein, das wäre kein guter Anfang, dachte er, das Reden musste er besser ihr überlassen.
»Ach, der Bomber!«, hörte er da eine laute Stimme, als die Tür zur Toilette aufschlug und zwei Gestalten das vormals stille Örtchen betraten. Der eine war sportlich gebaut und überragte Kunibert um mindestens einen Kopf, der andere war eher klein und untersetzt. »Der fette Sack hält doch kaum eine Halbzeit durch.«
Warum er sich nur in die Mitte der drei Pissoirs gestellt hatte, dachte Kunibert, als sich die beiden um ihn herum positionierten und strahlweise auf das im Pinkelbecken angebrachte Fußballtor zielten. Hoffentlich zwei Schnellpinkler, dachte Kunibert. Er war nicht aufmerksam gewesen, und solch kleine Fehler …
Und hoffentlich waren sie nicht solche Langabschüttler, dachte Kunibert, das würde nur lange dauern. Er war nicht aufmerksam gewesen, und solch kleine Fehler …
Oder es waren solche Zweite-Luft-Pisser, dachte Kunibert. Die antäuschten fertig zu sein und dann wieder mit Volldampf loslegten. Er war nicht aufmerksam gewesen, und solch kleine Fehler …
Es gab auch diese Pausenpisser, dachte Kunibert. Die erlebten mehr als einen dritten Frühling und konnten immer weitermachen. Mehr Typen fielen Kunibert nicht ein.
Doch, dachte er. Genuss-Pinkler. Die, die nur ganz langsam ihr Werk verrichteten und sich dabei völlig konzentriert ihrem Gedankenfluss hingaben.
Damit schien Kunibert seine Aufzählung beendet zu haben.
Kunibert nickte, und da war ihm klar geworden, dass solch kleine Fehler bitter bestraft werden und in unangenehme Situationen führen konnten.
»Weißt du, was ich gehört habe?«, setzte der mit dem breiten Kreuz rechts von Kunibert wieder an.
»Nee, was denn?«, fragte dessen kleiner Kompagnon von links und sabberte vor Neugier. »Nee, was denn? Nee, was denn?«, spuckte er fröhlich vor sich hin.
»Der hat eine fiese Krankheit. Und bevor er ins Gras beißt, will er es nochmal allen zeigen.«
»Was?«
»Ja, hat Tulpe erzählt. Der hat das von irgendjemandem von Taunsbach. Als sie gegeneinander gespielt haben, meinte das irgendjemand. Sie sollten den Dicken mal ein paar Tore schießen lassen. Der würde nicht mehr lange machen.«
»Nicht dein Ernst?«
»Doch, doch!«
Kunibert verhielt sich so unauffällig wie möglich, doch er spürte bereits, wie er in seinem Tun zunehmend kritisch beäugt wurde. In der Mitte konnte er sich schlecht in Luft auflösen oder jetzt in seiner angestrebten Tätigkeit seinen Platz verlassen. Habsburgische Umklammerung, fiel ihm ein, aber das war nur so ein Begriff, den er mal in der Schule gehört hatte. Es begann ihm, in der Nase zu kitzeln. Chlorreiniger, bemerkte er, damit konnte man es übertreiben.
»Na, kannste nicht?« Der mit der lauten Stimme und dem breiten Kreuz schaute ungeniert auf die kunibertsche Bedürfnisverrichtung.
»Ähh … grbumpf.« Kunibert grunzte etwas Unverständliches. Diese elende Abschlussschwäche. Selbst hier vor dem Pinkeltor. Und dazu der Kampf gegen den sich anbahnenden Nieser.
»Kein Wunder bei der Siffe hier«, meinte nun der Kleinere von links. »Stell dir einfach vor, du bist zu Hause.«
»Bei dir sieht das auch so aus!«, brüllte der Große direkt vor Lachen. »Ich geb’ dir ’nen Tipp. Ist wie beim Elfmeter. Einfach drauf!«
»Ähh … ja, grbumpf.«
»Gut, wir lassen dich mal allein.«
Kunibert nickte und hörte, wie sich die beiden, die Hände waschend und föhnend, davonmachten.
»Hatschi!«, prustete Kunibert gegen die Wand, denn er hatte gerade keine Hand frei. Der Bomber krank, dachte er und verwandelte endlich zielsicher den Elfmeter im Pinkeltor.
Der Bomber krank, das musste er sofort Sandro erzählen. Er war nun ganz aufgeregt, als er kurz danach seine Hände unter diesen neumodernen Händetrockner hielt und dann zurück ins Nepomuks stürmte. Nur wo war Sandro hin? An der Theke stand er nicht mehr.
Kuniberts Blick wanderte vorsichtig dorthin, wo er seinen besten Freund vermutete. Das könnte er ihm nicht antun, dachte er. Tatsächlich saß Sandro am Tisch bei Annabelle und ihrer Freundin und sprang nun winkend auf. »Kuno, komm rüber!«, glaubte Kunibert von dessen Lippen abzulesen. Zu hören war dagegen nur irgendwelcher Techno-Kram mit vereinzelt eingeworfenen Wortbrocken eines rappenden Sängers. Sandro winkte noch einmal einladend herüber.
Kunibert blickte hinter sich, da stand niemand. Zaghaft winkte er zurück. Der freie Stuhl am Tisch war für ihn, auf der Wechseltafel leuchtete seine Nummer auf. Annabelle lächelte zu ihrer Freundin hinüber.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.