Kitabı oku: «Desert Hearts», sayfa 2

Yazı tipi:

Evelyn setzte sich an den Schreibtisch und machte sich eine Liste der Leute, denen sie schreiben müsste. Evelyns Korrespondenz war seit dem Tod ihrer Schwester zwei Jahre zuvor auf ein Nichts zusammengeschrumpft – Weihnachtskarten an ein halbes Dutzend alter Freundinnen und Freunde, mehr nicht. Von denen war Carol die Einzige, der sie wirklich schreiben wollte, aber den anderen musste sie auch ein paar Zeilen zukommen lassen. Es würde kaum möglich sein, mit der Nachricht von ihrer Scheidung hinter dem Berg zu halten, um sie dann an die Weihnachtsgrüße anzuhängen. Irgendjemand sollte einen Formbrief entwerfen oder wenigstens zivilisierte Vorschläge für eine Scheidungsanzeige machen. »Mr. und Mrs. George Hall haben das Vergnügen …« Oder »Mrs. Evelyn Hall« – das war jetzt die korrekte Form, oder nicht? – aber nicht »hat das Vergnügen«. Bedauerte sie es? »… bedauert die Scheidung von ihrem Ehemann George«? »Schämt sich«? »Lässt unglücklich zu«? Bei einseitiger Scheidung könnte der nicht einverstandene Partner die Formel »Weigert sich zuzulassen … benutzen. Evelyn legte die Hände auf die Augen, weigerte sich, die unvermittelten Tränen zuzulassen.

Sie wollte eine Zigarette. Sie hatte keine. Wunderbar. Sie würde gehen und sich welche kaufen müssen. Es war erst acht Uhr, noch früh genug, um die nähere Umgebung zu erkunden.

Draußen auf der Straße wandte Evelyn sich – es war ein schöner Abend, und die Straßen, durch die sie gekommen war, waren unerfreulich gewesen – nach Osten, um tiefer in das einzudringen, was eine Wohngegend sein musste. Es gelang ihr zunächst, langsam zu gehen, während sie die Namen der Bäume und Blumen nannte, den feinen Sprühregen der Rasensprenger gegen Gesicht und Arme wehen spürte, überall ein schwingendes Pulsieren von Tönen, wie Abendgrillen. Früher als ihr recht war, fand sie einen Laden, aber da sie fürchtete, er könnte am Sonntagabend nicht mehr lange geöffnet haben, trat sie ein. Eine schweigsame, müde Frau bediente sie unverzüglich, und Evelyn kaufte mehrere Packungen Zigaretten und eine Flasche Sherry. Als sie wieder auf die Straße trat, wollte sie noch nicht umkehren. Hinter der nächsten Kreuzung wurde die Straße, die sie gekommen war, enger und stieg steil an, so dass ihr der Ausblick versperrt war. Neugierig ging sie weiter. Oben auf dem kleinen Hügel blieb sie, seltsam atemlos, stehen. Die Straße verzweigte sich jenseits der Hauptstraße hin zu drei kurzen Reihen fahler Backsteinbungalows, kein Baum mehr. Am Ende war die Wüste, unvermittelt eben, leblose Meilenweite, bis sie sich anhob und in die Berge überging. Eine unsinnige Angst, Evelyn so wesensfremd wie ein Hitzeblitz am Sommerhimmel, durchfuhr ihren Körper. Einen Augenblick lang konnte sie sich nicht rühren. Dann drehte sie sich, das Verlangen zu laufen unterdrückend, langsam um und ging zum Haus zurück.

Frances Packer war in der Diele, doch Evelyn schlug die Tasse Tee, die sie ihr anbot, aus.

»Möchten Sie nicht die Zeitung mit nach oben nehmen?«, schlug Frances vor. »Wir sind damit durch.«

»Danke, aber …«

»Nehmen Sie sie doch.«

Es war zu geringfügig, um abzulehnen; also trug Evelyn die unerwünschte Zeitung die Treppe hinauf in ihr Zimmer. Sie riskierte einen Blick auf den Reisewecker neben ihrem Bett, nahm ihn auf und hielt ihn ans Ohr. Sie hatte nicht vergessen, ihn aufzuziehen. Er tickte mit präziser Regelmäßigkeit an ihrem Ohr. Wie war das möglich, dass sie nur zwanzig Minuten fortgewesen war? Unwirsch stellte sie den Wecker wieder hin und begann sich auszuziehen.

Gebadet und bettfertig stand Evelyn am Fenster und sah durch den dichtbelaubten Baum hinaus in den Himmel, der noch transparent war vom letzten anhaltenden Abendlicht. In Sicherheit nun, den Tag wie eine Tür sorgfältig hinter sich abgeschlossen, konnte Evelyn über sich selbst lächeln. Sie konnte sich an keine Nacht der letzten Jahre erinnern, in der sie vor Mitternacht im Bett gewesen wäre. Jetzt war es noch nicht einmal neun Uhr, und sie wehrte sich gegen den Schlaf wie ein Kind im Sommer, das nicht einschlafen will, bevor es dunkel ist. Warum? Es war ihr gutes Recht, müde zu sein. Es war ein langer Tag gewesen, dieser letzte Tag der langen sechzehn Jahre, die sie hierher gebracht hatten. Sicher konnte sie jetzt schlafen. Daran war nichts Unrechtes.

2

Ann überließ Walter den Wagen und ging den Weg hinauf zum Angestellteneingang. Innen stand die schale Hitze des Tages, es stank nach Messingaschenbechern, nach Schweiß und Schuhen. Aber die Angestellten der Nachtschicht, die sich um das Schwarze Brett drängten, vor der Stechuhr Schlange standen oder in den brüchigen Ledersesseln saßen, waren nach dem Tagschlaf ausgeruht, frisch rasiert oder geschminkt, in sauberen Hemden, gebügelten Hosen und auf Hochglanz gewichsten Stiefeln. Lärmendes Stimmengewirr, Geschichten aus der vergangenen Nacht, weil Samstag gewesen war; Erleichterung wegen der kommenden Nacht, weil Sonntag war. Gemeinsam entspannten sie sich, die Wechselmädchen, die Auszahler, die Kassiererinnen, die Spielhalter und die Abteilungsleiter.

»Wir sind wieder im Corral, Schätzchen!«, rief Silver Kay vom Cola-Automaten quer durch den Raum.

»Gott sei Dank nicht bei den Dollarautomaten«, sagte Ann, als sie sich zu Silver gesellte und einen Schluck von der Cola trank, die Silver ihr anbot.

»Für dich alles gut und schön. Du bist wieder auf der Rampe. Ich bin, verdammt, wieder unten.«

»Das magst du doch«, sagte Ann.

»Ich mag das. Ich mag das. Du bist nie unten.«

»Ich bin nicht groß genug«, sagte Ann.

»Das wäre kein Problem. Du bist bemerkenswert genug, Darling.«

»Danke«, sagte Ann und sah zu Silver auf, die in ihren hochhackigen Stiefeln über eins achtzig maß, fast ohne Hüften und mit unverschämtem Busen, ihr gebleichtes Haar fast so weiß wie der Zehn-Gallonen-Hut, der wie ein aufgehender Mond über ihren Schultern schwebte, »aber ich spiele nicht in deiner Liga.«

»Warum meldest du dich nicht an?«, schlug Silver vor. »Heute Nacht zu ermäßigten Preisen.«

»Tatsächlich?«

»Hm-hm.«

»Joe ist nicht da?«

»Und ich habe eine Flasche Scotch deiner Lieblingsmarke«, sagte Silver lächelnd.

»Vielleicht bin ich zu müde«, sagte Ann, aber sie spürte Silvers Augen von ihrem Hals bis zu ihren Schenkeln wandern – eine aufreizende und erlösende Verlockung. »Ich habe letzte Nacht wenig geschlafen.«

»Schlaf mit mir.«

»Gehst du runter in den Umkleideraum?«

»War ich schon.«

»Ich seh dich dann später«, sagte Ann.

Im Kellergeschoss traf sie Janet Hearle, die schon an dem offenen Spind stand, den sie gemeinsam benutzten.

»Ich war gerade oben im Lager und habe dir einen besseren Schurz mitgebracht«, sagte Janet. »Hier.«

»Danke. Wie ist die Lage?«

»Wir haben einen Termin für die Operation bekommen. Morgen in einer Woche.«

»Das sind gute Nachrichten«, erwiderte Ann. »Hast du dir schon freigenommen?«

»Meinst du, ich sollte fragen, Ann? Die könnten doch glatt sagen, ich bräuchte gar nicht wiederzukommen.«

»Aber du musst bei dem Baby sein«, protestierte Ann. »Frag Bill. Der wird das verstehen. Er setzt sich für dich ein.«

»Ich bin letzte Woche zweimal zu spät gekommen.«

»Dann bist du eben zu spät gekommen.«

»Ich kann es mir nicht leisten, den Job zu verlieren, Ann. Ich brauche das Geld. Und Ken kann sich freinehmen. Er hat das schon mit seinem Chef geregelt. Er kann zehn Tage freinehmen.«

»Zehn Tage sind doch nicht genug, oder?«

»Nein, aber dann wissen wir Bescheid. Wenn er dann noch lebt, wird er weiterleben.«

»Er wird leben«, sagte Ann.

»Dein Namensschild sitzt schief.« Janet löste das Plastikkärtchen: FRANK’S CLUB STELLT VOR (Bild eines Planwagens) ANN. Sie steckte es ordentlich über Anns linker Hemdtasche fest. »So.«

»Du siehst Bill doch heute Nacht. Fragen kostet nichts.«

Janet nickte unentschlossen. Sie schloss den Schrank ab. »Na, dann wollen wir mal.«

Ann hätte selbst mit Bill gesprochen, wenn es einfach nur die Beurlaubung gewesen wäre, die Janet schwanken ließ, aber zehn Tage nicht zu arbeiten, das bedeutete einen Verlust von rund hundert Dollar. Sie und Ken hatten die Operation vom letzten Jahr noch nicht abbezahlt. Sie kauften das Leben ihres Kindes auf Raten und hatten nicht einmal dreißig Tage Garantie. Ja, Frances hatte recht. Ann mochte das Glücksspiel nicht, aber die Leute, die ihm in FRANK’S CLUB frönten, waren wenigstens harmlos, auch wenn sie mehr verloren, als sie sich leisten konnten. Und schließlich kannten sie hier ihre Chancen. Große Schilder in den Waschräumen verkündeten: »Vergiss nicht: Wenn du lange genug spielst, verlierst du.« Und auf Handzetteln, die den Kunden gegeben wurden, wurden sorgfältig die Nachteile des jeweiligen Spiels erklärt. Natürlich war das alles PR, mit deren Hilfe das Establishment so tat, als sei dies nicht der TEMPEL DES MAMMONS in der Stadt von Dis. Trotzdem war es ehrliche Werbung. Keine Universität veröffentlichte die Chancen gegen das Lernen, kein Krankenhaus die Chancen gegen das Überleben, keine Kirche die Chancen gegen die Errettung der Seelen. Hier wenigstens wurden die Leute nicht für dumm verkauft. Man ließ sie wissen, dass niemand intelligent genug oder stark genug oder begnadet genug sei, um errettet zu werden. Dennoch spielten sie.

Als Ann und Janet den letzten Treppenabsatz erreichten, war ihnen der Weg von einer kleinen Gruppe von Angestellten versperrt, die beobachteten, wie Silver eine neue junge Frau einwies.

»Hör zu, Kindchen, in den Stockwerken ist es höllisch. Kannst alle fragen. Stimmt’s etwa nicht?« Mehrere nickten amüsiert. »Da wird’s zum Beispiel so voll, dass eine Frau, die ohnmächtig wurde, mit der Rolltreppe zwei Stockwerke runterfahren musste, ehe sie einen Platz zum Umkippen fand. Ich verkohle dich nicht! Verkohle ich sie etwa?« Die anderen schüttelten den Kopf. »Eines Samstagnachts halfen uns einige äußerst kooperative Gäste, zehn Betrunkene rauszuschleppen. Wir haben erst eine Stunde später bemerkt, dass diese zehn Betrunkenen Spielautomaten waren, gekleidet in Hut und Mantel. Trickreich, was? Aber worauf du wirklich scharf aufpassen musst, das sind die Taschendiebe. Und weißt du, wie du gehen musst, um Taschendiebe abzuschrecken?«

Die Neue schüttelte den Kopf. Sie sah Silver an und versuchte, ihre Ängstlichkeit hinter gelinder Skepsis zu verbergen.

»Du hakst deine Daumen so ein, siehst du?« Silver machte es vor, die Daumen in den Hosentaschen, die Hände auf den Hüftknochen. »Und setz die Ellenbogen ein, um sie zu verscheuchen.« Sie ging ein paar Schritte. »Nun du. Versuch’s.« Die junge Frau zögerte. »Na los! Du musst es lernen.«

»Sie hat recht«, sagte Ann. »Niemand könnte es dir besser beibringen. Silver war Taschendiebin, bevor sie herkam.«

»Nur als Hobby«, übertönte Silver das Gelächter, »nur als Hobby.«

»Und sie ist stolz auf ihren Amateurstatus, denn nächstes Jahr geht sie zu den Olympischen Winterspielen.«

»Ann?«

Ann drehte sich um und sah Bill hinter sich stehen. »Ja, Bill.«

»Ich möchte, dass du die Neue heute Nacht mitnimmst.«

»Das habe ich gern!«, sagte Silver. »Hier stehe ich und biete freiwillig meine langjährige Erfahrung … aber du bist in guten Händen, Herzchen. Ann wird sich gut um dich kümmern.«

»Das ist Joyce, Ann«, sagte Bill. »Ihre Sachen hat sie alle. Ihre Karte ist abgestempelt. Ann zeigt dir genau, was du zu tun hast, Joyce. Und ich komme später vorbei, um zu sehen, wie’s dir geht.«

Joyce, vorerst gerettet aus der alles überragenden Burleske Silvers, wandte sich dankbar und erleichtert der schutzbietenden männlichen Stattlichkeit Bills zu. Und da sie offensichtlich nicht wollte, dass er sie verließ, begleitete er Ann und Joyce den Flur entlang.

»Du darfst dich von Silver nicht verschrecken lassen«, sagte er. »Es ist nicht schwer. Ann wird’s dir zeigen …«

Als er Anns Namen aussprach, hatte er nicht vorgehabt, seine Gefühle, wie schon so oft, öffentlich kundzutun, aber er konnte nicht anders. Ann wich ein wenig aus, um außer Reichweite seiner Zärtlichkeit zu sein, die ihr jetzt, da sie sie nicht mehr ertragen konnte, unter die Haut ging wie Schmerz oder gar wie Angst.

Als sie zur Tür kamen, blieb Bill stehen und drehte sich zu Ann um. »Ich habe mein Hauptbuch vergessen«, sagte er. »Bis später.«

»Ist er verheiratet?«, fragte Joyce.

»Nein«, erwiderte Ann.

Sie stemmte sich gegen die Tür, stieß vor in die kalte klimatisierte Luft, in das Scheppern und Schleifen der Spielautomaten, die durch Lautsprecher verstärkten Stimmen der Spielhalter, die gedämpften Menschenmassen. Sie nahm Joyce beim Arm und führte sie durch den Irrgarten von Automaten und Spieltischen zur Rolltreppe, auf der sie, neben einem halben Dutzend anderer Leute, zum ersten Stock hinauffuhren. Dort war es nicht so voll, aber der Krach war maßlos.

»Hast du schon irgendetwas davon gelesen?«, fragte Ann und deutete mit dem Kopf auf die fotokopierten Blätter und das Buch in Joyces Hand. »Ich meine nicht Wie man Freunde und Einfluss auf Menschen gewinnt. Das einzig Wichtige an diesem Buch ist, dass der alte Hiram O. Dicks meint, er sehe aus wie Dale Carnegie. Also, wenn du ihm mal zufällig über den Weg läufst – in Wirklichkeit sieht er aus wie einer der Hausmeister –, dann sag ihm, wie gern du sein Buch gelesen hast und wie sehr es dir bei deiner Arbeit geholfen hat. Aber das andere Zeug ist wichtig.«

»Ich hatte noch keine Zeit«, gestand Joyce. »Ich habe gerade mit diesem angefangen.«

Ann sah auf den ersten Absatz:

Hallo! Willkommen in FRANK’S CLUB. Vielleicht fühlst Du Dich gerade jetzt ein bisschen unwohl, wenn Du Dich umsiehst und begreifst, dass Du Mitglied der berühmten Familie von FRANK’S CLUB bist. Ja, Du bist ein Greenhorn im Corral, und Du weißt nicht GENAU, was man von Dir erwartet. Nur nicht nervös werden. Locker bleiben. Alle um Dich herum sind Mitglieder Deiner Familie, bereit, Dich einzuarbeiten. Und jeder von ihnen war selbst mal ein Greenhorn. Denk daran, sie alle haben ihren ersten Tag durchgemacht …

»Na ja«, sagte Ann, »wenn du mit dem Mist durch bist – in dem da stehen Dinge, die du wissen musst. Nun geh rauf in den nächsten Stock. Trink eine Tasse Kaffee. Und lies etwas von dem Zeug. Komm in einer halben Stunde wieder runter. Ich bin gleich da drüben. Dann checke ich dich ein.«

»Wo?«

»Gleich da drüben, bei den Wagen. Wenn du dich verläufst, kannst du jeden nach dem Corral fragen.«

Am Kassenschalter bat Ann um den Schlüssel für ihr Schließfach im ersten Stock, wo sie ihre Handtasche wegschließen konnte. Als der Schlüssel an ihrem Hemd genau unter ihrem Namensschild befestigt war, der grüne Wechselschurz hoch um ihren Brustkorb geschnallt und der Münzspender an seinem Platz eingehakt war, ging Ann zurück zum Kassenschalter, um ihr Geld zu holen. Janet war schon da.

»Fünfhundert heute Nacht«, sagte die Kassiererin und schob jeder den vorbereiteten Stapel, den Auszahlungsbeleg und eine Gratispackung Zigaretten zu. »Wie geht’s dem Kleinen?«

»In einer Woche kommt er ins Krankenhaus«, sagte Janet, die das Geld sorgfältig zählte, bevor sie den Schurz damit belud.

»San Francisco?«

»Ja.«

»Na, dort ist er bestens aufgehoben. Ich habe gehört, du hattest letzte Nacht mit meiner Mutter zu kämpfen, Ann?«

»Stimmt«, sagte Ann. »Ich hätte nicht gedacht, dass sie es von sich aus erzählen würde.«

»Sie fand es lustig. Sie sagt immer: ›Wenn ich getankt habe, bleibe ich in Anns Nähe. Sie bringt Pech wie die Hölle, aber sie hält mich aus allem Ärger raus!‹«

Ann lächelte. Sie hatte ihr Geld gezählt und unterschrieb ihren Auszahlungsbeleg. »In ungefähr einer halben Stunde bin ich wieder da, um eine Neue einzuchecken. Okay?«

»Klar.«

Silver trat an den Kassenschalter, als Ann und Janet gerade losgehen wollten.

»Na, du wirst die Zeit heute Nacht ja angenehm verbringen«, sagte sie zu Ann.

»Ich brauche die Neue nicht. Ich wünschte, Bill hätte sie dir gegeben.«

»Aber sie braucht dich, Darling. Entspann dich und genieße sie.« Silver griff nach dem Schlüssel, den die Kassiererin ihr hinhielt. »Wehe, du gibst mir das unterste Fach, dann …« Ann zog Janet außer Hörweite dessen, was sich zu einer von Silvers plastischen Verwünschungen auswachsen würde.

»Also echt«, sagte Janet, »es wundert mich nicht, dass sie sie von den Spieltischen abgezogen haben. Sie gehört gefeuert.«

»O nein. Silver ist in Ordnung.«

»Sie ist vulgär.«

»Sicher.«

»Ann, warum lässt du es zu, dass sie immer diese Bemerkungen macht?«

»Was für Bemerkungen?«

»Sie hat’s immer mit dir … macht Andeutungen.«

»Das hier ist kein kirchliches Nähkränzchen, Janet. Es ist ein Spielcasino.«

»Schon, aber es gibt auch ein paar anständige Leute hier. Dich zum Beispiel.«

»Weil ich ein begrenztes Analvokabular habe? Scheiße«, sagte Ann sanft und grinste. »Ich mag Silver.«

Janet lächelte widerwillig und schüttelte den Kopf. »In Ordnung. Ich bin eben prüde. Ich weiß. Ich mag sie nicht. Ich mag sie überhaupt nicht.«

Natürlich nicht. Janet war mit einem Dozenten eines kleinen, abgelegenen College gleich hinter der Grenze zu Kalifornien verheiratet. Nirgends wurde Anstand mehr honoriert und hochgehalten als auf diesen kleinen Außenposten der Kultur, die auf den Ruinen alter Goldgräberstädte in den rauen, wilden Bergen errichtet worden waren. Die einzige Art und Weise, wie Janet die Demütigungen dieses Jobs ertragen konnte, war zu leiden; sie erlitt nicht nur die Neunzigmeilenfahrt durch die leere Wüste, das Fünfzigpfundgewicht, das sie jede Nacht acht Stunden lang quer über dem Bauch trug, und den Mangel an Schlaf, sondern sie litt auch unter der Welt des Clubs, unter deren ganzer Korruptheit, und das mit märtyrerhafter Entrüstung. Ann war ihre einzige Freundin, aber auch unter Ann litt sie, da sie sich nicht einmal so viel von Anns Gesellschaft gönnte, wie es braucht, um an der Bar ein Glas Tomatensaft zu trinken. Natürlich hasste sie Silver, die in Virginia City ein Bordell geführt hatte und zu sagen pflegte: »Ich wurde vor lauter Verwaltung ganz krank. Ich hatte jeden Kontakt zu den Leuten verloren.« Aber Silver war gegenüber Janets Missbilligung genauso empfindlich wie Janet gegenüber Silvers Vulgarität. Dennoch, Silver bewunderte Janet, vielleicht liebte sie sie sogar mit ihrer derben Sentimentalität für alles Leiden. Alles, was Silver dachte oder fühlte oder sagte, war derb, und sie wusste es. Daher war sie sich selbst gegenüber von hilfloser Nachsichtigkeit, die wiederum auf Anns Einstellung ihr gegenüber abgefärbt hatte.

Janet und Ann trennten sich, um auf den ihnen zugewiesenen Rampen ihre Posten einzunehmen.

»Wie war’s?«, fragte Ann die Frau, die sie ablöste.

»Mäßig«, antwortete diese, als sie herunterkam. »Ich hätte nicht gern jeden Tag Samstag, aber acht Stunden sind verteufelt langweilig, wenn nichts los ist. Ich würde lieber unten arbeiten.«

»Wie lange ist der schon hier?« Ann wies mit dem Kopf auf einen einzelnen Spieler in der Nähe, einen jungen Mann, der an drei Vierteldollarautomaten gleichzeitig spielte.

»Der? Drei Stunden vielleicht.«

»Wie viel hat er verloren?«

»Oh, der hat ’ne Menge Geld. Er hat ein paar Fünfziger gewechselt, seit er hier ist. Aber er gibt kein Trinkgeld. Sagt auch nichts. Echt freundlich.«

Ann stieg, auf die Pendelbewegungen ihres gewichtigen Schurzes achtend, auf die Rampe hinauf. »Denk dran, sie alle haben ihren ersten Tag durchgemacht …« Niemand hatte Ann an ihrem ersten Tag gesagt, dass eine schnelle Bewegung mit dem pendelnden Gewicht von fünfzig Pfund einen umreißen konnte. Nur ein Spielautomat hatte sie gerettet. Und noch Wochen danach hatte sie Alpträume gehabt: In einem prasselnden Platzregen von sechshundert Dollar Wechselgeld stürzte sie die Rolltreppe hinunter auf einen Abteilungsleiter (Bill?) zu, der unten stand und mit ihrem Auszahlungsbeleg wedelte. Hatte dieser Angsttraum mehr Bedeutung, als sie gedacht hatte? Oder war er ein Vorzeichen?

Ann schaute auf den jungen Mann hinunter, der seine Hand hochhielt, aber nicht aufblickte. Mit seiner freien Hand spielte er an zwei der drei Automaten weiter. Ann ging zu ihm und beugte sich zu dem Spielautomaten hinunter, um den Gewinnanzeiger und die Nummer zu kontrollieren. Dann ging sie zur Mitte der Rampe zurück, griff nach dem Mikrofon und rief den Jackpot an die Zentrale aus. Während sie sprach, hörte sie über die Lautsprecher ihre Stimme, losgelöst von ihr, laut über dem allgemeinen Krach. Ein Auszahler kam. Ann fungierte als Zeugin.

»Möchten Sie noch weiterspielen, Sir?«

Der junge Mann, der immer noch keinen von beiden ansah, stopfte sich die Banknoten in die Tasche, steckte einen Vierteldollar in die Glücksmaschine und nahm den alten Rhythmus seines Spiels wieder auf.

»Man könnte meinen, er kriegt dafür bezahlt, wie er da rangeht«, sagte der Auszahler zu Ann.

»Vielleicht sieht er das so.«

»Vielleicht.«

Wieder allein, lehnte Ann sich gegen einen Spielautomaten, um ihren Rücken zu entlasten. Über den jungen Mann hinweg blickte sie auf die Gewehre, die an der Wand entlang aufgehängt waren, ausrangierte Gewalttätigkeit einer anderen Zeit. Die Waffen interessierten sie nicht an sich, nur als Formen; aber bei anderen, die sie oft intensiv betrachteten, hatte Ann Nostalgie, Besitzgier und Ehrfurcht entdeckt und diese Reaktionen in ihren Zeichnungen als Haltungen von Körpern fixiert, die in fremdartigen Kleidern stecken. Manchmal hörte sie zufällig Bemerkungen zwischen Touristenehemännern und -ehefrauen mit an, die Freud Vergnügen bereitet hätten und die ihr später wieder einfielen. Sie waren zu Titeln von zwei oder drei erfolgreichen Cartoons geworden, die Ann an die Saturday Evening Post verkauft hatte. Jetzt aber, ohne Betrachter, bot die Wand ein sinnleeres Muster. Ihre Augen glitten weiter, nur um sich plötzlich in einem Deckenspiegel zu fangen. Da war ihr eigenes Gesicht, losgelöst von ihr, aber nicht größer, wie vorher ihre Stimme lauter, sondern verkleinert. Was für eine Gewissensprüfung war dieser Spiegel, denn hinter ihm konnte sich zu jeder Zeit das unbekannte Gesicht eines Sicherheitsbeauftragten befinden, lauernd und urteilend, und doch konnte man ihn nicht sehen. Du kannst nicht hinter dein eigenes verkleinertes Spiegelbild gelangen. »Ich sehe aus wie Evelyn Hall«, dachte Ann, »und was heißt das?«

»Ich bin fertig.«

Ann fuhr zusammen, verlegen. »Gut. Ich weise dich jetzt ein.« Sie gab Janet ein Zeichen, ihre Rampe ein paar Minuten mit im Auge zu behalten, und führte Joyce zur Kasse. »Einiges von den Hinweisen gelesen?«

»Das ist so viel«, klagte Joyce, »das behalte ich nie.«

»Ich gebe ihr nur dreihundert für heute«, sagte die Kassiererin. »Nun zähl es, Kleine. Unterschreibe nie einen Beleg, ohne nachgezählt zu haben.«

»Was passiert, wenn ich was davon verliere?«, fragte Joyce.

»Nichts«, sagte Ann, »wenn’s mehr als zehn Dollar sind, muss der Abteilungsleiter das abzeichnen, aber du musst es nicht ersetzen.«

»Und das ist Bill?«

»Solange du auf diesem Stockwerk arbeitest«, antwortete Ann.

»Bleibe ich nicht in diesem Stock?«

»Vielleicht. Vielleicht auch nicht.«

»Zähl dein Geld«, sagte die Kassiererin.

Joyce passte die Anweisung nicht, aber sie gehorchte. Ann tat sie leid. Sie war die Art von Mädchen, die nicht lernen würde, den Kassiererinnen den Respekt zu zollen, den sie verlangten. Im Gegenzug würden sie ihr die Arbeit unmöglich machen. Sie würde immer das unterste Schließfach erhalten. Sie würde auf das Wechselgeld warten müssen. Und sie würde beim Ein- und Auschecken immer die Letzte sein. Wenn sie mit ihrer Arbeit zurücklag, würde sie von den anderen Wechselmädchen kritisiert werden. Die Auszahler würden ihre Jackpots mit Verzögerung bedienen. Die Kunden würden sich beschweren. Ann beobachtete, wie sie ihr Geld nachzählte, und gab ihr einen Monat, bevor sie aufgeben oder gefeuert werden würde.

Als sie zur Rampe zurückkamen, standen zwei oder drei Kunden bei dem jungen Mann, der sie genauso wenig beachtete, wie er Ann beachtet hatte.

»Wie alt, glaubst du, ist Bill?«

»Die Lady da drüben will Wechselgeld.«

Joyce war unbeholfen und unaufmerksam. Zweimal gab sie dem jungen Mann Fünf-Cent-Stücke statt Vierteldollars. Sie konnte keine Automatennummern behalten und rief daher der Zentrale falsche Jackpots aus. Aber sie mochte das Mikrofon. Es erinnerte sie an einen Film, in dem eine junge Frau die Züge ansagte und ein junger Mann ihre Stimme hörte, sie nicht vergessen konnte und einfach zum Bahnhof zurückging und die ganze Zeit zuhörte und sich vorzustellen suchte, wie sie wohl aussähe. Als Joyce das vierte Mal einen Jackpot ausrief, wurde ein Auszahler heruntergeschickt, um sie zurechtzuweisen.

»Hör mal, Kleine, du machst hier keine Mitternachtsshow. Du sollst nicht flüstern. Sprich laut. Und sag das nächste Mal die richtige Nummer.«

»Was ist denn mit dem los?«, fragte Joyce.

Der ältliche Herr, der den Jackpot hatte, kniff Joyce in den Schenkel, zwinkerte ihr zu und gab ihr fünf Dollar. Sie entblößte ihre Zähne für ihn und ließ die Banknote in die Tasche gleiten.

»Hol sie wieder raus«, sagte Ann leise.

»Was?«

»Die fünf Dollar. Die musst du bei der Kassiererin abgeben. Die teilt die Trinkgelder am Ende der Schicht auf.«

»Na, glaubst du nicht, dass ich die verdient habe?«, fragte Joyce und musterte Ann. »Warum nicht einfach nur mit dir teilen?«

»Hör mal«, sagte Ann, »siehst du nicht die Spiegel? Hinter jedem von ihnen könnte ein Sicherheitsbeauftragter sein, der dich beobachtet. Wirst du jemals dabei erwischt, wie du Geld in deine eigene Tasche steckst, lassen sie dir nicht mal Zeit, irgendwas zu erklären. Du bist draußen, und das war’s dann. Und du kriegst für keinen anderen Job in der Stadt eine polizeiliche Arbeitserlaubnis.«

»Ganz schön hart, was?«

»Geh und bring den Fünfer zur Kasse«, sagte Ann.

»Wie du willst.«

Als die Ablösung für Anns halbstündige Pause kam, sehnte sich Ann nach ein paar Minuten für sich allein, aber sie nahm Joyce mit. Joyce hatte solche Mühe, den Wechselschurz abzulegen und im Schließfach zu verstauen, dass sie nur für eine schnelle Cola in der Bar Zeit hatten, bevor sie zur Arbeit zurück mussten.

»Eine halbe Stunde!«, sagte Joyce. »Wohl eher nur zehn Minuten!« Sie kämpfte mit dem Gewicht des widerspenstigen Schurzes, während Ann den ihren anlegte. »Es sieht so leicht aus, wie du das machst.«

»Man braucht Übung. Hier. Dreh dich um und lehn dich gegen den Schrank. Zuerst einmal sitzt er bei dir zu tief.«

»Zu tief? Wo soll ich ihn denn tragen, um den Hals etwa?«

»Er rutscht runter. Du kannst keine fünfzig Pfund auf den Nieren tragen.« Sie hob den Schurz an, ihre Hände streiften die unteren Rundungen von Joyces vollen Brüsten. Sie schnallte den oberen Riemen um ihren schmalen, zerbrechlichen Brustkasten. Dieses Gewicht zu tragen, war Joyce nicht gebaut. »Okay, versuche nun, den unteren selbst festzumachen.«

Als Joyce sich umdrehte, sah Ann die feuchten Haare an ihren Schläfen, ihr weißes Gesicht.

»Setz dich hin! Setz dich auf den Boden!« Joyce gehorchte ihr sofort. »Leg den Kopf auf die Knie!« Ann sah auf sie nieder. Nach einem Augenblick hob Joyce den Kopf. »Besser?«

»Ja. Woher wusstest du?«

»Die erste Nacht ist immer hart.« Aber wenn sie so hart ankam, wurde die Neue gewöhnlich entlassen. Joyce sah wieder besser aus. Sollte Ann es riskieren, sie wieder mit auf die Rampe zu nehmen? Wie dringend brauchte sie den Job? »Komm. Es wird schon gehen.«

Ihre Abteilung war jetzt stärker bevölkert. Der junge Mann musste seine Spielautomaten vor Touristen beschützen, die nicht wussten, dass es nach der Spieletikette ein größerer Affront war, Hand an eines Mannes Automaten zu legen, als an seine Frau. Ann war dankbar, dass sie Joyce ständig beschäftigt halten konnte. Solange sie etwas zu tun hatte, würde sie sich nicht selbst bedauern. Aber Ann, die sich zurückhielt, um Joyce arbeiten zu lassen, hatte Zeit, etwas zu bedauern. Herausforderndes Benehmen und Zickigkeit waren verflogen. Joyce war zu schäbig aussehenden Großmüttern genauso zuvorkommend wie zu reichen Geschäftsmännern. Anstatt zu schwatzen, hörte sie mit verzweifelter Ausdauer Anns Anweisungen zu. Ann beobachtete sie mit wachsendem Respekt. Joyce hatte nicht nur Angst, dass ihr schlecht werden könnte. Sie war entschlossen, sich nicht zu blamieren. Aber sie war kalkweiß. Und es war Ann, die Bill in ihre Abteilung kommen und ihr ein Zeichen geben sah, von der Rampe herunterzukommen.

»Ann«, sagte Joyce, als sie ihn auch gesehen hatte, »sag ihm nichts, bitte. Mir geht’s jetzt wieder gut. Ehrlich.«

»Ich sage ihm nichts«, sagte Ann. »Ich bin gleich zurück.«

»Wie macht sie sich?«, fragte Bill.

»Gut.«

»Da gab’s ein paar Klagen, oben in der Zentrale.«

»Nur anfangs«, antwortete Ann, »jetzt nicht mehr. Sie wird’s schaffen. Sie ist schnell.«

»Was macht ihr Rücken?«

»Bringt sie um, möchte ich meinen, aber sie hat sich nicht beklagt.«

»Sie sieht ziemlich blass aus«, sagte Bill. »Und sie ist nicht dafür gebaut. Ich habe überlegt, ob ich sie nicht für eine Weile in den Fahrstühlen einsetze.«

»Nun, tu es nicht, bevor du sie nicht überzeugt hast, dass es ein besserer Job ist.«

»In Ordnung. Ich lasse sie eine Woche bei dir«, sagte Bill. »Aber für diese Nacht hat sie genug. Ich werde sie auschecken.«

»Okay.« Ann wandte sich ab, um ihren Posten wieder einzunehmen.

»Ann?« Sie sah zu ihm zurück. »Wie wär’s nachher mit einem Drink?«

»Danke. Aber ich habe Silver gesagt, ich käme mit zu ihr. Joe ist heute Nacht weg.«

»Ich könnte dich dort später absetzen.«

»Sie möchte Gesellschaft haben, Bill.«

»Sicher, natürlich«, erwiderte er schnell. »Gut, schick Joyce zu mir runter, ja?«

»Trotzdem danke.«

»Ein andermal«, sagte Bill.

Er war verärgert. Es war das dritte Mal in zwei Wochen, dass Ann ihn abgewiesen hatte, aber sie hatte keine andere Wahl. Sie hatten bereits versucht, zu ihrer alten Freundschaft zurückzufinden, aber es ging nicht. Unbeholfene Höflichkeit ging über in Auseinandersetzung, Auseinandersetzung in Gefühlsausbruch, und dann waren sie wieder in dem vertrauten Bett, wieder mit einem weiteren unmöglichen Morgen konfrontiert. »Wenn du unbedingt eine Ehefrau willst«, hatte sie zu ihm gesagt, »dann geh auf Ehefrauenjagd.« Aber Bill erkannte jagdbares Wild nicht, wenn er es sah. Wenn die Wälder auch nicht voller Jungfrauen waren, so gab es zumindest eine Anzahl erkennbarer Liebhaberinnen. Aber Bill wechselte von Huren zu Homosexuellen und wieder zurück zu Ann. Er war außerstande, eine Frau zu verstehen, die nicht heiraten wollte, die den Mann nicht heiraten wollte, den sie liebte. Und Ann liebte ihn. Und nun wollte sie sich nicht mit ihm treffen. Natürlich war er verärgert.

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