Kitabı oku: «Mindful Leadership»
JANICE MARTURANO
Mindful Leadership
Ein Weg zu achtsamer Führungskompetenz
Aus dem Amerikanischen von Lisa Baumann
Arbor VerlagFreiburg im Breisgau |
Dieses Buch ist jenen gewidmet,
die lernen wollen, mit Mut, Integrität und Mitgefühl zu führen.
© 2014 Janice Marturano
© 2015 der deutschen Ausgabe: Arbor Verlag GmbH Freiburg
by arrangement with Bloomsbury Publishing, Inc., New York
Die Originalausgabe erschien unter dem Titel:
Finding the Space to Lead. A Practical Guide to Mindful Leadership
Alle Rechte vorbehalten
E-Book 2017
Lektorat: Lothar Scholl-Röse
Hergestellt von mediengenossen.de
eBook-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
ISBN E-Book: 978-3-86781-196-5
Inhalt
Einführung
TEIL 1 Was ist Mindful Leadership?
KAPITEL 1 Führen inmitten des Chaos
KAPITEL 2 Raum schaffen, um zu führen
KAPITEL 3 Achtsamkeit und Führungsexzellenz
TEIL 2 Meditationen für Führungskräfte
KAPITEL 4 Über Sitzkissen, einen leeren Geist und andere Mythen
KAPITEL 5 Eine gezielte Pause machen
KAPITEL 6 Störgeräusche reduzieren und Signale empfangen
KAPITEL 7 Einfach gehen … Sinne und Empfindungen
KAPITEL 8 Entdecken Sie Ihre Führungsprinzipien
KAPITEL 9 Gedanken und Gefühle klar erkennen
KAPITEL 10 Über den Umgang mit Zeit: Dringendes von Wichtigem unterscheiden
TEIL 3 Ihr Potenzial als Führungskraft verwirklichen
KAPITEL 11 Wie Sie durch Inspiration statt durch Erwartungen führen
KAPITEL 12 Mehr als nur Fakten: Die Bedeutung von Gefühlen
KAPITEL 13 Mitgefühl und Freundlichkeit im Arbeitsleben
KAPITEL 14 Der Blick auf das große Ganze
KAPITEL 15 Entfalten Sie Ihr volles Potenzial als Führungspersönlichkeit
Danksagung
Index der Meditationen
Eine persönliche Praxis entwickeln
Über die Autorin
EINFÜHRUNG
Mentales Training zur Entwicklung
von Führungsexzellenz
Menschen zu führen, zählt zu den anspruchsvollsten Tätigkeiten überhaupt. Es erfordert eine geradezu schwindelerregende Vielzahl von Fertigkeiten, eine solide Ausbildung und echte Leidenschaft. Nehmen wir eine Führungsrolle ein, so tun wir das meistens, weil wir etwas bewirken möchten. Für Führungskräfte sind lange Arbeitstage ebenso selbstverständlich wie das Erbringen großer persönlicher Opfer und das Auf und Ab von Erfolg und Scheitern. Die Geschäftigkeit allerdings, die mit einer Führungsrolle in der heutigen, rund um die Uhr vernetzten Welt einhergeht, lenkt oft von den wirklich wichtigen Dingen ab. Sie schränkt die Fähigkeit ein, mit Exzellenz zu führen. Wer ganz ehrlich mit sich ist, muss sich möglicherweise eingestehen, sich zu oft so zu fühlen, als ob der Arbeitsalltag viel eher darin bestünde, Brände zu löschen oder Zeit zu verschwenden, als darin, sein Bestmögliches zu geben.
Muss das so sein? Glücklicherweise nicht.
Sie können lernen, exzellent zu führen, indem Sie die folgenden, Ihnen angeborenen Fähigkeiten kultivieren: sich auf das Wichtige konzentrieren, die Gegebenheiten klarer sehen, Kreativität fördern und Mitgefühl verkörpern. Wenn Sie dazu in der Lage sind, werden Sie mit größerer Wahrscheinlichkeit jene Art bewusster Entscheidungen treffen, die wir heutzutage von unseren Führungskräften so dringend brauchen. Solche Entscheidungen münden oft in ein Win-win-win-Szenario: gut für das Unternehmen, gut für die Mitarbeiter und gut für das weitere Umfeld.
Mein Weg zu Mindful Leadership
Ich selbst fand ziemlich unverhofft zu Mindful Leadership1, während ich Vizepräsidentin, Beraterin für Rechtsangelegenheiten und stellvertretende Syndikusanwältin bei General Mills war, einem der größten Konzerne der Welt. (Mehr über die Umstände, die mich zum Achtsamkeitstraining brachten und dessen transformativer Effekt auf mich persönlich im nächsten Kapitel.) Ich führte die Art von äußerst intensivem Leben, die den meisten leitenden Angestellten – und auch anderen viel beschäftigten Menschen, vom Minister bis zur Mutter – nur allzu bekannt ist, ein Leben voller stetiger Anforderungen am Arbeitsplatz und auch jenseits davon. Es brauchte eine persönliche Krise, damit ich im Achtsamkeitstraining das fand, was wir im Leben am allermeisten brauchen: Raum.
Mit „Raum“ meine ich nicht mehr Quadratmeter Bürofläche (auch wenn das hilfreich wäre). Ich meine mentalen und emotionalen Raum – „Bandbreite“, um eine Internetmetapher zu gebrauchen, also die Kapazität, zu sehen, fühlen, hören und darüber zu reflektieren, was sich um uns herum und in unserem Inneren abspielt. Wenn wir diesen Raum haben, können wir auch mit einem dringenden Problem auf ruhige, kreative und menschliche Weise umgehen, anstatt unter Druck und aus der Not heraus zu reagieren.
Zunächst organisierte ich das Training für eine Kerngruppe von Kollegen aus der Leitungsebene bei General Mills und später dann für Hunderte von Mitarbeitern aus dem gesamten Unternehmen. Es fand bei den Führungskräften und deren Arbeitsgruppen bei General Mills, einer Firma, die für ihre erstklassigen Leadership-Schulungen und ihr Engagement für soziale Verantwortlichkeit bekannt ist, großen Anklang. Schließlich entwickelte sich außerhalb von General Mills eine weltweite Nachfrage nach dem Training, was mich dazu brachte, 2010 das Institute for Mindful Leadership zu gründen (im Folgenden als Institut bezeichnet). Inzwischen haben Führungskräfte und Angestellte aus über sechzig verschiedenen Unternehmen aus aller Welt teilgenommen. Mitarbeiter von Fortune-500-Konzernen2, Unternehmer, Non-Profit-Akteure, Militärbeamte, akademische Verwaltungsangestellte, Juristen, Lehrer und Therapeuten haben gelernt, das Mindful-Leadership-Curriculum für sich zu nutzen. 2013 wurde das Institut eingeladen, einen Mindful-Leadership-Workshop bei der vielleicht prominentesten Zusammenkunft von Führungskräften der verschiedensten Branchen anzuleiten, dem Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos.
Wie Sie vom Mindful-Leadership-Training profitieren können
Bei Achtsamkeit geht es weder um Stressreduktion noch um besonders tiefe Atemzüge. Es ist auch keine Religion. Es ist eine Methodologie zum Training einer mentalen Fähigkeit, die im Allgemeinen wenig oder gar keine Schulung erhält. Genauso, wie wir wissen, dass unser Körper angeborene Fähigkeiten hat, die durch Training gestärkt werden können, wird aus inzwischen mehr als drei Jahrzehnten Forschung ersichtlich, dass auch der Geist trainiert und in seinen Fähigkeiten gefördert werden kann. Mindful Leadership: Ein Weg zu achtsamer Führungskompetenz soll Ihnen als Wegweiser durch dieses Training dienen und Sie darin unterstützen, mit Exzellenz zu führen und zu leben.
Teil I beschreibt, was Mindful Leadership ist, warum ich begonnen habe, mich darin zu üben und es dann weiterzugeben, und auch, warum es so effektiv für die Entwicklung von Führungsexzellenz ist.
In Teil II werden Sie eine Vielfalt an einfachen Methoden kennenlernen, die Ihre Fähigkeit fördern, exzellent zu führen. Das umfasst Meditationen, Reflexionen und gezielte Pausen (letzteres ist eine Methode des mentalen Trainings, bei der Sie den Momenten am Tag Aufmerksamkeit widmen, die entweder besonders routiniert oder besonders chaotisch sind). Sie alle wurden in den letzten Jahren in Mindful-Leadership-Workshops und Retreats ausprobiert, überprüft und weiter ausgefeilt. Viele der Meditationen und Reflexionen sind auch (in englischer Sprache) zum Anhören auf der Website www.findingthespacetolead.com verfügbar.
In Teil III sind Sie eingeladen, die Methoden in verschiedenen Bereichen anzuwenden und über Fragen zu reflektieren, die Sie auf Ihrem Entwicklungsweg von einem ausführenden Manager zu einer wirkungsvollen Führungspersönlichkeit unterstützen sollen.
In Anhang 1 lässt Sie eine Übersicht alle Meditationen, gezielten Pausen und Reflexionen dieses Buches schnell wiederfinden, wann immer Sie sie praktizieren möchten. In Anhang 2 finden Sie einen leicht nachvollziehbaren Vorschlag zur Erstellung eines persönlichen Programms anhand der in diesem Buch beschriebenen Elemente. Durch das gesamte Buch ziehen sich Geschichten von Menschen, deren Leben von Mindful Leadership berührt wurden. Alle Geschichten sind authentisch, wenn auch die Namen der Personen und Unternehmen zum Schutz von Privatsphären und Geschäftsgeheimnissen geändert wurden.
Wir alle haben das Potenzial, mit Exzellenz zu führen, und wir können es uns einfach nicht länger leisten, Entscheidungen zu treffen, ohne all unsere Fähigkeiten zugunsten der betreffenden Menschen, Fragestellungen und Möglichkeiten einzubringen. Und natürlich erfordert es mehr als gute Absichten, um etwas an unserem übermäßig vernetzten und ablenkungsreichen Lebensstil zu ändern.
Wir müssen die uns angeborene mentale Fähigkeit fördern, es zu bemerken, wenn wir im Modus des Autopiloten agieren oder durch Gedanken an Vergangenes oder Zukünftiges abgelenkt werden, und unsere Aufmerksamkeit wieder ungeteilt darauf richten, wem und was wir in diesem Augenblick begegnen. Wenn der Geist geübt ist, ganz und gar aufmerksam zu sein, selbst mitten im Chaos, entsteht Raum, um klügere und bewusstere Entscheidungen zu treffen. Ob Sie nun einen internationalen Konzern leiten, eine kleine Firma, eine Arbeitsgruppe, ein Krankenhaus, eine gemeinnützige Organisation oder eine Familie, Mindful Leadership: Ein Weg zu achtsamer Führungskompetenz wird Ihnen hierbei eine Hilfe sein.
1 Der Begriff Mindful Leadership bezeichnet das von der Autorin vorgestellte Konzept zur Entwicklung von Achtsamkeit im Führungskontext und wird daher in diesem Buch im englischen Original beibehalten. (Anm. d. Übers.)
2 Als Fortune-500- und Fortune-200-Konzerne bezeichnet man die 500 beziehungsweise 200 umsatzstärksten Unternehmen der Welt. (Anm. d. Übers.)
TEIL 1
Was ist Mindful Leadership?
KAPITEL 1
Führen inmitten des Chaos
Wir sind umgeben von Gelegenheiten, die Führung
zu übernehmen. Die Fähigkeit dazu liegt tief in unserem Inneren.
MADELEINE ALBRIGHT (EHEM. AUSSENMINISTERIN DER USA)
Nach einem langen Tag sitzen Sie endlich im Auto und fahren nach Hause. Sie stellen das Radio an, um die Nachrichten zu hören, und inmitten der üblichen Geschichten über die Wirtschaft und die neuesten Auseinandersetzungen in der Welt hören Sie den Sprecher sagen, dass eine landesweit vertriebene Lebensmittelmarke zurückgerufen wird, da sie möglicherweise Bakterien enthält, die ernste Magen-Darm-Erkrankungen verursachen. Und dabei handelt es sich ausgerechnet um Ihre liebsten Schokoladenkekse! Die restlichen Nachrichten hören Sie nur mit halbem Ohr, während Ihr Geist umherwandert: Sind diese Kekse zurzeit im Schrank? Habe ich gestern Abend welche davon gegessen? Hat mein Sohn sie mit in die Schule genommen? Letzten Sonntag war mir etwas übel; habe ich an diesem Tag Kekse gegessen?
Haben Sie sich schon einmal gefragt, wie über nationale Rückrufaktionen entschieden wird? Das zählt zu den schwierigsten Entscheidungen, denen sich eine Organisation gegenübersehen kann. Auf dem Spiel stehen die Sicherheit der Konsumenten, die hart erarbeitete Reputation der Firma, Millionen von Dollar und unter Umständen auch die Arbeitsplätze einiger Menschen. Eine Entscheidung muss in sehr kurzer Zeit gefällt werden, meistens innerhalb eines Tages. Wenn die Firma klare Nachweise für ein Qualitätsproblem hat, ist die Entscheidung einfach. Allerdings gibt es Fälle, in denen die Datenlage uneindeutig und die Führungsriege bezüglich dieser Entscheidung uneins ist. Was dann?
Vor einigen Jahren berichtete mir Jim, ein erfahrener Manager eines Fortune-500-Konzerns, von einem solchen Rückruf. Er erzählte auch, wie die Erfahrungen, die er und sein Team mit Mindful Leadership gemacht hatten, eine entscheidende Rolle in Ihrem äußerst herausfordernden Entscheidungsprozess spielten.
Mein Tag begann wie üblich: zu viele Termine, zu viele Prioritäten und zu viele Möglichkeiten. Dann bekam ich einen Anruf. Nicht irgendeinen Anruf, sondern die Art von Anruf, die den Tag völlig auf den Kopf zu stellen vermag. Die Termine in meinem Kalender hatten sich auf einen Schlag erledigt, und ich musste alle anderen Prioritäten sofort fallen lassen. Ein möglicherweise ernstes Problem in Form einer Kontamination einer wichtigen Produktlinie war aufgetreten. Wenn Bedenken bezüglich der Sicherheit eines Lebensmittels auftauchen, bin ich eine von drei Führungskräften in einem Team, das dafür verantwortlich ist, den CEO bezüglich eines Rückrufs zu beraten. Sue, Mark und ich waren erfahrene Kollegen und wir hatten das Team schon zuvor durch Situationen geleitet, bei denen ein Rückruf zur Debatte stand. Zum Glück waren solche Vorkommnisse selten in meiner Firma, und das verantwortliche Team hatte bereits seit vielen Jahre zusammengearbeitet. Wir kannten uns gut und respektierten gegenseitig unsere Expertise und Erfahrung sehr.
Binnen einer Stunde nach dem Anruf war unser Team mit Daten, Forschungsergebnissen, sachkundigen Meinungen und Fragen ausgestattet. Der erste Schritt bestand darin, das Ausmaß des Problems zu eruieren. Unglücklicherweise erfuhr ich, dass ein international vertriebenes Schokoladenprodukt möglicherweise Bakterien enthielt, die ernste Krankheiten verursachen, insbesondere bei älteren Menschen und kleinen Kindern.
In solchen Situationen ist der Druck einfach immens. Wir machten uns Sorgen wegen der gesundheitlichen Bedrohung der Konsumenten, der auf uns zukommenden Erklärungsnot und der Tatsache, dass ein Rückruf Millionen Dollar kosten sowie der betreffenden Marke erheblich schaden kann. Das Rückruf-Team begann, sich mit dem derzeitigen Wissensstand und zusätzlichen, durch Testungen gewonnenen Informationen zu befassen. Wir benachrichtigten die zuständigen Regierungsbehörden und informierten sie über den Stand der Untersuchung bezüglich des möglichen Problems, und wir versammelten außenstehende Experten, Mikrobiologen und Lebensmittelspezialisten, um uns bei technischen Fragen zur Seite zu stehen. Ich wusste, dass alles in den nächsten vierundzwanzig bis achtundvierzig Stunden erledigt sein musste. Wenn es tatsächlich ein Problem mit unserem Produkt gäbe, würden wir schnell unsere Empfehlung an den CEO aussprechen müssen, um unsere Verbraucher zu schützen.
Im Allgemeinen ermöglichen uns die Testergebnisse und Verbraucherrückmeldungen schnell, einen Konsens zu finden. Entweder bestätigen wir ein Qualitätsproblem oder wir widerlegen die Behauptung, damit ist die Entscheidung dann klar. Sie basiert auf Analysen und Fakten. Aber dieses Mal sollte es nicht so einfach sein. Obwohl unser Team rund um die Uhr arbeitete und stundenlang Berge von wissenschaftlichen Analysen und Testergebnissen untersuchte, blieb uns am Ende nur der nicht belegbare Verdacht, das Produkt könne die Ursache eines Krankheitsausbruchs in einer Gegend des Landes sein, in der bei einer durch Nahrung übertragenen Krankheit ein Anstieg zu verzeichnen war, und eines der möglicherweise involvierten Produkte war unsere Süßigkeit. Keine eindeutigen Daten. Keine rauchenden Pistolen. Keine unwiderlegbaren Beweise. Es war also klar, dass unsere Entscheidung dieses Mal auf noch etwas anderem als der Datenlage und den Expertenmeinungen beruhen musste. Sue, Mark und ich wussten, dass wir uns in diesem Fall auf unsere Erfahrung und Intuition verlassen mussten, um zu einer endgültigen Entscheidung zu gelangen.
Am frühen Abend des zweiten Tages war die Zeit beinahe abgelaufen. Sue, Mark und ich verließen unser Rückruf-Team und versammelten uns in einem leeren Konferenzraum, um uns zu beratschlagen. Als wir uns setzten, schlug Mark vor, jeder solle mit einem kurzen Monolog beginnen, um einander unsere jeweilige allgemeine Einschätzung der Situation und unsere Meinung zu dem Rückruf mitzuteilen. Ich erinnere mich an ein Gefühl der Erleichterung darüber, dass wir alle ein Training in achtsamer Kommunikation durchlaufen hatten und daher vertraut mit der Technik des Monologs und des tiefen Zuhörens waren. Als wir mit dem Prozess begannen, hoffte ich insgeheim auf einen Konsens unter uns. Aber dazu kam es nicht. Was nun?
Eine Option wäre gewesen, eine Diskussion über unsere Standpunkte anzufangen. Also diese Art Debatte, die meist enorm viel Zeit verschlingt und selten in eine wirklich gute Entscheidung mündet. Viel öfter endet sie in einem Kompromiss oder einer Wahl, die nur von einigen Beteiligten befürwortet wird. Hier allerdings stand zu viel auf dem Spiel, als dass dies unser nächster Schritt sein konnte.
Also schlug Sue vor, anstatt zu diskutieren, das Gehörte sinken zu lassen und etwas Zeit auf eine Reflexion zu verwenden. Wir kamen überein, uns in einer Stunde wieder zu treffen. Mark machte einen Spaziergang um das Gebäude. Sue fand einen ruhigen, leeren Raum, in dem sie sitzen konnte. Ich holte mir eine Tasse Kaffee und ging damit zurück in mein Büro, schloss die Tür und gestattete mir die Ruhe, die ich brauchte, um all das, was ich an diesem Tag gehört und gefühlt hatte, in mir wirken zu lassen – die Ruhe, die ich brauchte, um sorgfältig auf meine Intuition zu lauschen.
Eine Stunde später fanden wir uns wieder im Konferenzraum ein und tauschten nochmals unsere Meinungen aus. Dieses Mal erreichten wir einen klaren und starken Konsens. Es war eine unbequeme Entscheidung für viele im Unternehmen, aber für uns drei war nun klar, dass wir einen Rückruf empfehlen mussten.
Wie bei den meisten schwierigen Entscheidungen war es in Jims Geschichte äußerst wichtig, eine klare Position zu finden. Auf dem Boden gegenseitiger Unterstützung und einer einhelligen Entscheidung konnten Jim, Mark und Sue souverän in das Gespräch mit dem CEO und den anderen gehen. Es war eine Entscheidung, die nicht auf der Datenlage fußte, die uneindeutig blieb, sondern auf ihrer kollektiven Erfahrung und Intuition. Als sie ihre einstimmige Empfehlung an den CEO aussprachen, stellte dieser nur eine einzige Frage: „Vertrat jemand einen anderen Standpunkt?“ Sie verneinten, und er erklärte sich rasch mit der Empfehlung einverstanden. Ihre Klarheit half also auch dem CEO: Er konnte der Entscheidung vertrauen, den kostspieligen Rückruf zu veranlassen, weil alle seine Berater zu dem gleichen Schluss gekommen waren. Es war der richtige Weg.
Jetzt konnten alle Energien auf die effektivste und effizienteste Umsetzung des Rückrufs verwendet werden. Keiner hatte gewollt, dass dies passierte, doch die Entscheidung war einfacher umsetzbar und auf lange Sicht leichter zu akzeptieren, weil sie sich die notwendige Zeit genommen hatten, um Klarheit über die beste Option zu gewinnen. Es war keine schnelle Reaktion im Chaos der Verunsicherung. Auch war die Entscheidung nicht das Ergebnis von Erschöpfung nach einer langwierigen Debatte. Das Team traf diese Wahl in dem Wissen darüber, wann es wichtig ist, dem Geist zu erlauben, sich zu beruhigen, damit der beste Weg sich zeigen kann.
Als Manager, die das Mindful-Leadership-Training durchlaufen hatten, wussten Jim, Sue und Mark, wie sie ihre klassischen Business- und Leadership-Fertigkeiten sowie auch ihre hart erarbeiteten Erfahrungen mit ihrem mentalen Training verbinden konnten.
Die Mindful-Leadership-Praxis hatte sie gelehrt, den starken Drang, zu reagieren, ebenso zu erkennen wie die Tendenz des Geistes, unter Stress den Fokus zu verengen. Auch wussten sie um die Dynamik schwieriger Gespräche, die manchmal durch Einigung auf den kleinsten gemeinsamen Nenner statt durch wirklich angemessene Entscheidungen aufgelöst werden, sowie um die negativen Effekte von Informationsüberflutung. Das Training half ihnen zudem dabei, die Vieldeutigkeit des „Nicht-Wissens“ für eine Weile auszuhalten, und gab ihnen die notwendige Ruhe und den Raum, klarer zu sehen und adäquat zu reagieren. Weder ihr klassisches Businesstraining noch ihr mentales Training allein hätten ausgereicht, um zu einer optimalen Entscheidung zu gelangen. Die Kombination von beidem dagegen erwies sich als überzeugend.
Jim, Sue und Mark hatten den Mut, eine Weile innezuhalten, damit sich der aufgewirbelte Staub setzen konnte, und den Mut, alle Ihre Fähigkeiten in die Entscheidungsfindung mit einzubringen. Inmitten des Chaos bewiesen sie Führungsexzellenz. Allzu oft sind wir uns nicht bewusst, welchen Effekt Druck in einer Situation auf unsere Fähigkeit hat, mit Exzellenz zu führen. Zwar verfügen wir über die angeborene Fähigkeit, selbst bei sehr schwierigen Entscheidungen ganz präsent zu sein, dazu aber müssen wir es erkennen, wenn wir uns in einem reaktiven Modus bewegen, und Methoden erlernen, die uns bei bewussten Entscheidungsfindungsprozessen unterstützen.
Jeder hat das Potenzial, mit Exzellenz zu führen. Sie mögen sich im Moment in einer Position befinden, die Ihnen Entscheidungen abverlangt, die Ihr direktes und weiteres Umfeld betreffen, daher betrachten sowohl Sie selbst als auch andere Sie als Führungskraft. Oder aber Sie bekleiden keine Führungsrolle im engeren Sinne und berühren dennoch jeden Tag das Leben anderer auf eine einflussreiche Art. In welchem Fall auch immer, wir alle haben jene Gelegenheiten, die Führung zu übernehmen, die Außenministerin Albright in dem Zitat zu Beginn dieses Kapitels anspricht. Sie beschreibt diese Fähigkeit als „tief in unserem Inneren“ liegend und damit auch sehr treffend die Führungsqualitäten, die das Mindful-Leadership-Training fördert.
Warum brauchen wir Mindful Leadership?
Um diese Frage zu beantworten, lassen Sie uns einen Blick darauf werfen, was es bedeutet, achtsam zu sein.
Wenn Sie in diesem Moment achtsam sind, sind Sie präsent für Ihr Leben und Ihr Erleben, genauso, wie es ist …
nicht, wie Sie es sich erhofft haben,
nicht, wie Sie es erwartet haben,
nicht mehr oder weniger sehend als das, was da ist, nicht mit Urteilen, die Sie zu einer konditionierten Reaktion verleiten können,
… sondern präsent für genau das, was gerade da ist und sich entfaltet, jedem Moment mit Gleichmut begegnend.
Betrachten wir die Herausforderungen, denen sich Führungskräfte heute gegenübersehen, ist leicht ersichtlich, wie wichtig die Entwicklung von Achtsamkeit im Führungskontext ist. Die Umgebungen, in denen wir leben und arbeiten, entwickeln sich stetig weiter. Zeit wird inzwischen oft in Mikrosekunden gemessen. Unternehmen unterliegen neuen und komplexen wirtschaftlichen und ressourcenbedingten Beschränkungen. Wir sind rund um die Uhr mit einer Reihe technischer Geräte verbunden, die regelmäßig eine furchterregende Informationsüberflutung und ein Gefühl von Unverbundenheit auslösen, uns überwältigen und isolieren. Die Welt verändert sich so rapide, dass Menschen, die sich heute auf eine berufliche Laufbahn vorbereiten, diesen Weg bereits völlig verändert vorfinden, wenn sie dann bereit sind, ihn zu betreten. Ein Paradigma nach dem anderen wandelt sich. Der Umfang der verfügbaren Informationen führt in Wahrheit zu weniger statt zu mehr Gewissheit. Die Anzahl von Stimmen und Meinungen, die uns zu jedem beliebigen Thema zur Verfügung stehen, ist so einschüchternd groß, dass wir oft nicht wissen, wem oder was wir glauben oder folgen sollen.
Es ist allerdings auch so, dass diese turbulenten Zeiten großartige Gelegenheiten und reiche Möglichkeiten zu Innovation bieten. Die Welt wird kleiner, und langsam erkennen wir das Potenzial, das darin liegt, der täglichen Komplexität in wahrhaft kreativer, produktiver und mitfühlender Weise zu begegnen. Es ist an der Zeit, die Führung zu übernehmen und neu zu definieren, was es bedeutet, dies mit Exzellenz zu tun.
In meiner eigenen Erfahrung zunächst als Mitarbeiterin an der Wall Street, in meinem ehrenamtlichen Engagement, als Angestellte in drei großen Organisationen, in über fünfzehn Jahren in einem Fortune-200-Unternehmen und schließlich in meiner Arbeit mit dem Mindful-Leadership-Training mit Menschen aus aller Welt habe ich stets festgestellt, dass die besten Führungsqualitäten weit darüber hinausreichen, „den Job zu erledigen“. Die besten Führungskräfte sind Frauen und Männer, die sowohl eine erstklassige Ausbildung haben als auch einen hellen Verstand, die warmherzig sind und sich leidenschaftlich für ihre Aufgabe begeistern, eine starke Verbindung zu ihren Kollegen haben sowie Gemeinschaftssinn und den Mut, sich dem Leben zu öffnen. Sie empfinden einen Drang zu Exzellenz, zu Innovation und dazu, etwas zu bewirken.
Dennoch kommt es ihnen hin und wieder so vor, als seien all ihre Fähigkeiten und ihr Führungskräftetraining nicht genug. Sie erzählen mir, dass, obwohl sie ihre Sache gut machen und die Quartalsziele erreichen, sie einfach nicht spüren, dass sie ihr Leben auf die bestmögliche Weise leben – bei der Arbeit wie privat. Sie spüren, dass ihnen etwas fehlt. Aber was?
Die häufigste Antwort lautet:
Raum
Oft haben wir schlichtweg nicht den Raum, den Platz zum Atmen, der notwendig ist, um klar und konzentriert zu sein und uns selbst und den anderen wirklich zuzuhören. Wie wir in Jims Geschichte gesehen haben, erfordert es Mut und etwas Übung, um so einen Raum absichtsvoll zu schaffen.
Eine Möglichkeit, sich mehr Raum im Leben zu schaffen, ist die Teilnahme an einem Mindful-Leadership-Retreat. Auf einem Retreat, das ich kürzlich leitete, bezeichnete Sarah, Marketing Direktorin in der Mitte ihrer Laufbahn, ihren Tag als „Spießrutenlauf“. Wie viele andere jongliert sie mit einer jungen Familie und einer erfolgreichen Karriere. Nach einer früh-morgendlichen Meditationssitzung erzählte sie mir und den anderen Teilnehmenden, dass ihr Leben voll bis zum Anschlag sei: „Nach der Hälfte meines Arbeitstages fühle ich mich erfolgreich, weil ich denke, dass ich gerade etwas Großes vollbringe – schließlich bin ich doch von Termin zu Termin gerannt. Irgendwas Sinnvolles muss dabei ja herauskommen! Außerdem bekomme ich gutes Feedback von meinem Vorgesetzten.“
Später an diesem Tag, als Sarah die nicht verplante Zeit des Retreats dazu benutzte, innezuhalten und sich ihren Tagesablauf etwas genauer anzuschauen, begann sie zu verstehen, dass der Unterschied zwischen einem vollen Tagesplan und einem Leben in Fülle enorm sein kann. „Ich hake einfach meine To-do-Liste ab“, sagte sie, „aber ich bin nicht wirklich dabei. Nie habe ich genug Zeit, um so kreativ oder innovativ zu sein, wie ich es sein könnte. Und oft fühle ich mich so durch den Tag gehetzt, dass ich nur kurz meine Zustimmung gebe, um ein Projekt von meinem Schreibtisch zu kriegen, auch wenn ein Teil von mir weiß, dass ich mehr dazu hätte beitragen können, wenn ich nur etwas mehr Zeit hätte.“
Sarah erkannte, welchen Tribut das ständige Leben in der Tretmühle fordern kann. Jene Kreativität und Innovation, die Früchte einer gesunden Zusammenarbeit sind, leiden sehr oft: Wie können wir auch von gutem Kontakt zu unseren Kollegen und weiteren Kreisen ausgehen, wenn wir so beschäftigt sind, dass wir es gerade noch schaffen, die Dinge abzuhaken, im Vorbeigehen ein oberflächliches Hallo an unsere Kollegen zu richten und uns irgendwie durch die Termine und Telefonate des Tages zu manövrieren? Können wir realistischerweise exzellente Führungsleistungen erwarten, wenn wir ganze Tage im Autopilot-Modus verbringen – auf unsere Uhren schauend und uns fragend, wo der Tag hin ist; auf den Kalender schauend und uns fragend, wie es Frühling sein kann, wo es doch gestern erst Herbst war?
Ob unsere Führung Millionen, Hunderte oder nur eine Handvoll Menschen betrifft, wir können uns nicht länger ein Leben im Autopiloten leisten, egal, ob in unseren Familien oder bei der Arbeit. Wir können es uns ebenso wenig weiterhin leisten, den Anschluss an die Menschen zu verpassen, mit denen wir arbeiten, die wir lieben und für die wir uns einsetzen. Wir können nicht länger mit zerstreuten Geistern Entscheidungen treffen und blind agieren und reagieren. Ebenso wenig können wir immer weiter den Bezug verlieren zu dem, was uns ursprünglich einmal zur Einnahme einer Führungsrolle motiviert hat. Wir brauchen Achtsamkeit, um exzellent zu führen.
Bis jetzt haben wir die Notwendigkeit von Präsenz in Führungsrollen im Arbeitskontext beleuchtet. Doch Präsenz in den Führungsrollen im Privatleben ist mindestens ebenso wichtig. Exzellenz beinhaltet bewusste Entscheidungen nicht nur darüber, wie Sie arbeiten, sondern wie Sie Ihr Leben und die Beziehungen zu Ihrer Familie, Ihren Freunden und allen anderen gestalten. Wir brauchen achtsame Führungskompetenz, um exzellent zu leben.
Was genau macht eine achtsame Führungskraft aus?
Eine achtsame Führungskraft verkörpert Führungspräsenz, indem sie Konzentration, Klarheit, Kreativität und Mitgefühl zum Wohle anderer entwickelt.
Führungspräsenz ist eine erfahrbare Eigenschaft. Sie erfordert vollständige, nicht-urteilende Aufmerksamkeit im gegenwärtigen Moment. Diese Präsenz ist auch für andere sichtbar und fühlbar.
Ein Freund von mir nahm an einer Kundgebung teil, in der Hoffnung, vom damaligen Präsidentschaftskandidaten Bill Clinton eine Antwort auf eine wichtige Frage bezüglich des Gesundheitssystems zu bekommen. Natürlich traf er bei seiner Ankunft auf eine wuselige, laut rufende Menge, doch er manövrierte sich bis zur Polizeiabsperrung vor und wartete. Bald darauf erschien Clinton und begann, an der Barrikade entlang zu gehen und Hände zu schütteln. Als mein Freund seine Hand ausstreckte und Clinton sie nahm, brüllte er seine Frage heraus. Clinton hielt inne, sah ihn an und antwortete dann. Später erzählte mir mein Freund: „In den paar Momenten, in denen wir sprachen, wirkte es, als ob Clinton mit nichts anderem beschäftigt sei. Es war, als sei niemand außer uns da.“ Er fühlte sich gehört und respektiert. Das ist Führungspräsenz: Die volle Aufmerksamkeit auf das richten, was man gerade tut. Das entgeht niemandem.
Führungspräsenz ist machtvoll. Wahrscheinlich haben Sie es auch schon einmal selbst erlebt, sei es an Ihnen selbst oder jemand anderem. Vielleicht in einem Gespräch unter vier Augen oder auch in einem vollen Publikum sitzend. Präsenz spürt man, auch aus großer Distanz.