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Hofrat
Franz
Grillparzer

EIN ÖSTERREICHISCHER

NATIONALDICHTER

ÖSTERREICHISCHER DRAMATIKER. Der Dichter des neunzehnten Jahrhunderts mit großem Nachruhm, Franz Grillparzer, wurde am 15. Jänner 1791 in Wien geboren, wo er am 21. Jänner 1872 gestorben ist. Bekannt geworden ist er vor allem als Dramatiker. Heute bezeichnet ihn die Literaturgeschichte als österreichischen Nationaldichter, weil seine Werke für unsere Nation Identität gestiftet haben.

Grillparzer war der Sohn des Rechtsanwalts Wenzel E. J. Grillparzer (1760 – 1809) und seiner Ehefrau Franziska, geborene Sonnleithner (1767 – 1819). Franz war der älteste von vier Söhnen. Seine Kindheit und Jugend waren traurig, zumal der strenge Vater die Erziehung Dienstboten überließ. Er studierte an der Universität Wien Rechtswissenschaften und war Zeit seines Lebens im Nebenberuf Dichter, wozu ihn Joseph Schreyvogel (1768 – 1832), der damalige Direktor des Burgtheaters, anregte.

Nach Abschluss seines Studiums im Jahr 1811 verdingte er sich zuerst als Privatlehrer, was für die damalige Zeit nicht ungewöhnlich war. 1813 wurde er Beamter und trat als Konzeptspraktikant bei der k. k.1 Hofkammer2 in den österreichischen Staatsdienst ein.

ARCHIVDIREKTOR. Im Jahr 1821 bewarb sich der Schriftsteller ohne Erfolg um die Stelle eines Skriptors in der kaiserlichen Privatbibliothek. Er wurde 1821 ins Finanzministerium versetzt und 1832 schließlich Archivdirektor der k. k. Hofkammer.3 Damals war Grillparzer schon ein bekannter Dichter. Das Amt bekleidete er bis zur Versetzung in den Ruhestand.

Das Direktorenzimmer des Wiener Hofkammerarchivs in der Johannesgasse 6. Hier arbeitete Franz Grillparzer als Direktor von 1832 bis zu seiner Pensionierung 1856.

Zu Grillparzers Tätigkeit sei ausgeführt, dass ein Archivar Schriftgut, das einem Archiv von öffentlichen und privaten Verwaltungen zur langfristigen Aufbewahrung übergeben wird, bewertet, erschließt und sichert. Die Bewertung des archivreifen Materials erfolgt nach wissenschaftlichen Kriterien. Übernimmt das Archiv Schriftgut, ändert sich die Rechtseigenschaft desselben, aus dem Registratur- wird Archivgut. Nach der Übernahme wird das Material inhaltlich erschlossen. Zu Grillparzers Zeiten wurde das Material – im Gegensatz zu den heutigen Computerprogrammen – naturgemäß händisch bearbeitet.

SCHRIFTGUT. Der Dichter konnte als Archivdirektor seinem Nebenberuf nachgehen, zumal sich seine Amtsgeschäfte in Grenzen hielten, was seine Tagebucheintragungen belegen. Am 18. Februar 1829 vermerkte er beispielsweise, dass er vor dem Mittagessen zwei Stunden gearbeitet habe. Und am nächsten Tag hieß es, er habe keine Arbeit vorgefunden. In dieser Zeit schreibt Grillparzer seine wichtigsten Werke und nimmt sich vor, im Amt auch poetisch zu arbeiten.

Die Tätigkeit als Archivar beziehungsweise Direktor konnte sogar gefährlich sein. So berichtet der Dichter ganz unpoetisch von einem Vorfall am 7. April 1832, bei dem er aus einem Faszikel in der obersten Reihe der Akten ein Dokument entnehmen wollte. Dabei geriet er aus dem Gleichgewicht und stürzte von der obersten Sprosse der Leiter zu Boden. In seinem Tagebuch schrieb er dann, dass es einem Wunder gleiche, nur einige Hautabschürfungen und Quetschungen erlitten zu haben.

Die geistige Bildung Franz Grillparzers erfolgte in der Zeit der Französischen Revolution und der Napoleonischen Epoche, als in Österreich noch der Josephinismus4 fortlebte. Persönlich neigte er dem Konservatismus zu, bemerkte jedoch den geistigen Druck und die Errungenschaften des Sturm und Drang.

BEETHOVEN. Grillparzer stand in Kontakt mit dem Komponisten Ludwig van Beethoven (1770 – 1827), die Künstler begegneten sich mehrmals. Im Jahr 1823 verfasste Grillparzer für ihn das Opernlibretto „Melusine“, das der Komponist allerdings nicht vertonte. Die Erinnerungen Grillparzers an den großen Künstler zählen in der Beethoven-Biografik zu den relevantesten Quellen. Als Beethoven starb, verfasste der Dichter die Trauerrede, die während der Beerdigung von Heinrich Anschütz, einem Hofburgtheater-Schauspieler, vorgetragen wurde.

In diesem Zusammenhang sei erwähnt, dass sich Grillparzer während seines ganzen Lebens mit Musik befasst hat. In Aufzeichnungen und Tagebüchern finden sich viele Gedanken zur Musik und über Komponisten seiner Zeit, so über Liszt, Rossini, Wagner und Weber. Seine Novelle „Der arme Spielmann“ ist ein Schlüsseltext zur Musikästhetik des neunzehnten Jahrhunderts.

POETISCHE ANFÄNGE. Die Romantik beeinflusste die poetischen Anfänge Grillparzers. Bezeichnend war seine Vorliebe für die spanischen Dramatiker. Der Schicksalstragik ist seine „Ahnfrau“ geschuldet. Von diesen Einflüssen konnte sich der Dichter bald emanzipieren, die Verhältnisse in seiner Heimat waren jedoch prägend. „Die Ahnfrau“ wurde im Jahr 1817 mit großem Erfolg aufgeführt und auf allen deutschen Bühnen gespielt. Schon 1818 folgte mit „Sappho“ ein völlig andersartiges Werk.

Die menschliche Leidenschaft als edle und ungeahnte Kraft ist in Grillparzers Weltsicht ausgeschlossen, weshalb er in die Tradition der Stoffgestaltung und Formenschönheit der klassischen Dichtung treten konnte. Seine dichterische Stärke lag in der Darbietung und Erklärung der Liebe, so in „Des Meeres und der Liebe Wellen“.

TRILOGIE. Grillparzer zählte etwa ein Jahrzehnt lang zu den wichtigsten österreichischen Dramatikern, als vom Jahr 1821 an im Wiener Hofburgtheater seine Trilogie „Das Goldene Vlies“ mit großem Erfolg aufgeführt wurde.

Am Hofburgtheater feierte er in dieser Zeit einige weitere große Erfolge. Ab dem Jahr 1825 wurden die Tragödien „König Ottokars Glück und Ende“, „Ein treuer Diener seines Herrn“, „Des Meeres und der Liebe Wellen“ und das Drama „Der Traum ein Leben“ aufgeführt. Außerhalb der Reichshauptstadt stieß er auf eine weniger günstige Rezeption. Die nach dem Jahr 1830 in den deutschen Staaten maßgebliche Kritik war dem Wiener Dramatiker feindlich gesonnen. Die Vorzüge seiner Dichtung wurden nicht besprochen, die Mängel hingegen scharf hervorgehoben.

EWIGER BRÄUTIGAM. Der Autor „Des Meeres und der Liebe Wellen“ ehelichte seine Jugendliebe Katharina Fröhlich nie, er blieb bis zum Tod ihr Bräutigam. Grillparzers Cousin Hippolyt von Sonnleithner attestierte ihm, dass ihm zum Heiraten der Mut fehle. Der „ewigen Braut“ hinterließ er sein gesamtes Eigentum und sie übergab seinen literarischen Nachlass der Stadt Wien.

Im familiären Umfeld ist Grillparzer nicht von Schicksalsschlägen verschont geblieben. Im Jahr 1817 nahm sich sein Bruder Adolf das Leben, während der Dichter im Nebenzimmer an der „Sappho“ arbeitete. Zwei Jahre später erhängte sich seine Mutter in der gemeinsamen Wohnung.

Grillparzer unternahm – wie vor ihm schon Goethe – größere Reisen: nach Italien im Jahr 1819, nach Deutschland 1826, nach Paris zehn Jahre später und schließlich 1843 nach Athen und Konstantinopel. Während dieser Reisen verglich er die heimatlichen Zustände mit jenen in den besuchten Ländern.

ERGEBENHEIT. Die Loyalität des Dichters stand immer außer Zweifel, dennoch hatte er mit dem Druck unter dem Wiener Polizeipräsidenten und Verantwortlichen für die staatliche Zensur, Josef von Sedlnitzky (1778 – 1855), zu kämpfen. Viele seiner Gedichte wurden sozusagen verhindert, der Kaiser selbst versuchte sogar, den Druck des Dramas „Ein treuer Diener seines Herrn“ zu hintertreiben.

Der Dichter hatte zum Theaterleben seiner Heimatstadt ein zwiespältiges Verhältnis und war in seinem Wesen ein Eigenbrötler, was sich beispielhaft anhand der Ereignisse rund um die Uraufführung seines Stücks „Der Traum ein Leben“ im September 1834 belegen lässt. Dazu hält Karl Ludwig Costenoble in seinem Tagebuch fest: „Graf Czernin hat die Besetzung von ‚Traum ein Leben‘ dem Ermessen Grillparzers überlassen, der für die Rolle des Intriguanten den Heldenvater Anschütz in Vorschlag brachte. Als Deinhardstein ihn auf diesen Missgriff aufmerksam machte und meinte, dass die Rolle dem La Roche gebühre, erwiderte Grillparzer: ‚I kenn’ den La Roche nit. Seit zehn Jahr’n geh i in kein Theater. I wähl’ nur die Schauspieler, die i kenn!‘“5

ABFUHR. Im Jahr 1838 erlebte der Dramatiker gleichsam eine große Niederlage. Das Lustspiel „Weh dem, der lügt“ fiel bei der Uraufführung im Hofburgtheater durch, worauf Grillparzer beschloss, nicht mehr öffentlich in Erscheinung zu treten, aber weiterzuarbeiten. Danach verfasste er noch die Dramen „Libussa“, „Die Jüdin von Toledo“, „Ein Bruderzwist in Habsburg“ sowie das Fragment „Esther“ und zahlreiche lyrische Dichtungen. Erwähnt seien auch die Erzählungen „Das Kloster bei Sendomir“ und „Der arme Spielmann“. Einzelne Texte veröffentlichte Grillparzer seit dem Jahr 1848, beispielsweise das Lobgedicht „An Radetzky“6.

Das Bewusstsein, wie groß Franz Grillparzer als Dichter war, entstand in Österreich erst um 1850, hingegen nicht im übrigen deutschen Sprachraum. Erst als alterndem Mann wurden ihm Anerkennungen und Ehrungen zuteil. Zum Mitglied der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften wurde er 1847 ernannt, ebenso wurde er mit Orden ausgezeichnet. Ein Ehrendoktorat der Universität Leipzig wurde ihm 1859 anlässlich des „Schillerfests“ verliehen. Zum lebenslangen Mitglied des österreichischen Herrenhauses wurde er 1861 und 1864 zum Ehrenbürger von Wien.

HOFRAT. Als er in den Ruhestand versetzt wurde, wurde ihm der zutiefst österreichische Titel Hofrat verliehen. Neben Anton Wildgans ist er bis heute der einzige – namhafte – Schriftsteller mit diesem Amtstitel. Er war wohl ein treuer Diener seiner Herren …

Der Titel „Hofrat“ war in den Jahren von 1765 bis 1850 für die höchsten österreichischen Beamten vorgesehen. In den Ministerien wurde er in der Folge abgeschafft und im Jahr 1873 für leitende Beamte der nachgeordneten Dienststellen neuerlich eingeführt. Heute wird er als ehrende Auszeichnung beispielsweise an Gymnasialdirektoren oder Richter verliehen.

Interessant ist, dass der Hofrat sowohl das Ende des Kaiserreichs als auch des Zweiten Weltkriegs überstanden hat. Den kaiserlichen Hof gibt es nicht mehr, wohl aber die österreichischen Hofrätinnen und Hofräte.

Hofrat Franz Grillparzer wurde einundachtzig Jahre alt und starb 1872 in seinem Wohnhaus in Wien, Spiegelgasse 21. Begraben wurde er auf dem damaligen Währinger Ortsfriedhof, dem heutigen Schubertpark. Nachdem der Friedhof aufgelöst worden war, überführte man Grillparzers Gebeine auf den Friedhof Hietzing, wo sie in einem Ehrengrab wiederbestattet wurden.

ANMERKUNGEN

1

Die Bezeichnung „kaiserlich-königlich“, kurz „k. k.“, stand im Kaisertum Österreich bis zum Österreichisch-Ungarischen Ausgleich im Jahr 1867 für die Ämter des gesamten Reichs. In der Österreichisch-Ungarischen Monarchie bezog sich die Abkürzung nur noch auf die westliche Reichshälfte (Cisleithanien). Für gemeinsame Einrichtungen beider Reichshälften wurde in den Jahren von 1867 bis 1918 die Bezeichnung „k. u. k.“ verwendet, wobei das erste k. („kaiserlich“) für den „Kaiser von Österreich“ und das zweite k. („königlich“) für den „König von Ungarn“ stand. Der Monarch führte beide Titel in Personalunion.

2

Im Frühjahr 2015 wurde im ehemaligen Hofkammerarchiv das Literaturmuseum der Österreichischen Nationalbibliothek eröffnet. Das Amtszimmer des k. k. Archivdirektors Franz Grillparzer ist mit seinen Biedermeiermöbeln erhalten. Siehe: Die Presse (Wien), 18. April 2015, S. 25

3

Die „Hofkammer“ war die Vorgängerin des Finanzministeriums, wurde aber erst ab dem Jahr 1848 mit diesem Begriff bezeichnet.

4

Der Begriff wird von Kaiser Joseph II. (1741 – 1790) abgeleitet, der im Sinn des aufgeklärten Absolutismus herrschte und viele Reformen einleitete.

5

Carl Ludwig Costenoble: Aus dem Burgtheater. 1818 – 1837. Band 2. Wien 1889. S. 205

6

„Glück auf, mein Feldherr, führe den Streich!/​Nicht bloß um des Ruhmes Schimmer,/​In deinem Lager ist Österreich,/​Wir andern sind einzelne Trümmer.“


Journalistin
Berta
Zuckerkandl

DIE SALONIÈRE

DES WELTOFFENEN WIEN

BEMERKENSWERTE PERSÖNLICHKEIT. Studiert man die Geschichten und Handbücher der österreichischen oder deutschen Literaturhistoriker, auch der namhaften und jener, die sich spezifisch mit der österreichischen Literatur um die vorletzte Jahrhundertwende befassen, wird man Berta Zuckerkandl, eine interessante Figur und eine der bemerkenswertesten Persönlichkeiten der Wiener Moderne, nicht finden, was darin begründet sein mag, dass diese Geschichtswerke von Männern geschrieben worden sind. Anders in der digitalen Parallelwelt, in der Professor Google in weniger als einer Sekunde zwölftausendfünfhundert Ergebnisse liefert, wobei sich viele Inhalte naturgemäß überschneiden oder überhaupt kongruente Dubletten sind.

Verwunderlich, zumal Berta Zuckerkandl ihrem einundsiebzigjährigen Leben erstaunlich viele Inhalte gegeben hat, war sie doch nicht nur Schriftstellerin, sondern vor allem Journalistin und sozusagen nebenbei noch Friedensaktivistin, Geheimdiplomatin, Kritikerin und insbesondere die letzte bedeutende Wiener Salonière. Dazu notierte sie einmal: „Auf meinem Diwan wird Österreich lebendig.“1

MULTIPLE DAME. Bekannt ist die vielseitige Wiener Dame, surft man im Internet alle Kurven ab, nicht nur unter dem geläufigen Namen Berta Zuckerkandl, sondern noch unter anderen: Weitere Namensformen sind Berta Szeps, Berta Zuckerkandl-Szeps, Bertha Szeps und Berthe Szeps. Geboren wurde sie jedenfalls und urkundlich nachgewiesen als Bertha Szeps.

Zur Welt kam Berta Zuckerkandl am 13. April 1864 als Tochter des assimilierten Juden und liberalen Zeitungsverlegers Moritz Szeps (1835 – 1902), der das Neue Wiener Tagblatt leitete, und seiner Ehefrau Amalia (1836 – 1912), geborene Schlesinger, in Wien. Berta war die Zweitälteste und hatte zwei Brüder sowie zwei Schwestern.

UMFASSENDE BILDUNG. Unterrichtet wurden sie und ihre ältere Schwester Sophie von Hauslehrern. Die Bildung war wegen der engagierten Pädagogen umfassend. Berta Zuckerkandl wuchs sehr früh mit dem Beruf ihres Vaters auf, wodurch ihre Nähe zum Journalismus entstand. Sie begleitete ihn zu seinen Terminen und war für die Notizen darüber zuständig. Bei diesen Gelegenheiten lernte sie in- und ausländische Persönlichkeiten kennen, mit vielen baute sie Freundschaften auf.

Moritz Szeps war ein Freund und Vertrauter des Kronprinzen Rudolf. Berta Zuckerkandl konnte nach dem Zerfall der Monarchie berichten, Rudolf hätte in Prag eine Affäre mit einer jungen Jüdin gehabt. Seine Enkelin, Stephanie Windisch-Graetz, bestätigte die Beziehung und bezeichnete sie sogar als seine einzige und große Liebe. In Österreich-Ungarn wäre es allerdings unvorstellbar gewesen, dass der habsburgische Thronfolger eine Jüdin ehelicht.

Einige der Feinde Moritz Szeps’ waren nicht weniger berühmt: Einer der leidenschaftlichsten war der Fackel-Herausgeber Karl Kraus.

HEIRAT. Als Zweiundzwanzigjährige heiratete Berta Szeps am 15. April 1886 Emil Zuckerkandl (1849 – 1910), einen österreichisch-ungarischen Anatomen und physischen Anthropologen, nach dem das „Zuckerkandl-Organ“, die „Zuckerkandl-Faszie“2 sowie die retrotrachealen Schilddrüsenanteile, das „Zuckerkandlsche Tuberculum“, benannt sind. Zur Zeit der Heirat war er Universitätsprofessor in Graz, weshalb die junge Ehefrau zu ihm in die steirische Landeshauptstadt zog.

Die Braut wollte vom Professor vor der Heirat wissen, weshalb er seinen seltsamen Namen nicht ändere. Er soll entgegnet haben, dass es dafür längst zu spät sei, weil er schon als Neunzehnjähriger und angehender Anatom im menschlichen Körper einen bis dahin unbekannten Knochen3 entdeckt habe, der nach ihm benannt worden sei. Die Namensfrage war damit eine für allemal erledigt.

Als Zuckerkandl im Jahr 1888 eine Professur für Anatomie in Wien erhielt, kehrte Berta in ihre Geburtsstadt zurück. In Wien angekommen, führt sie in ihrem Haus wie ihre Mutter die Tradition des Salons fort. In ihren gastlichen Gesellschaftsräumen traf sich die kultivierte Wiener Oberschicht, die fortschrittlich gesinnt war und gegen geistiges Banausentum auftrat. Am Programm standen Gespräche, Lesungen und Musik. Wien kannte damals nicht nur den literarischen, sondern auch den politischen und wissenschaftlichen Salon – Einrichtungen, die vom achtzehnten bis zum zwanzigsten Jahrhundert gepflegt wurden. Eingeladen waren Maler, Musiker, Politiker und Schriftsteller sowie manch anderer interessante Geist.

Die Veranstalterinnen der Salons galten als Mäzene. Als Gastgeberinnen betätigten sich wohlhabende Frauen, die meist adelig waren. Eine dieser bekannten Salonièren war eben Berta Zuckerkandl, weshalb sie auch „Mäzenin und Muse“ genannt wurde.

SALONIÈRE. Ihren ersten Salon eröffnete sie in der Villa ihres Ehemanns in der Döblinger Nußwaldgasse. Döbling wurde erst im Jahr 1892 als neunzehnter Wiener Bezirk eingemeindet. Ab dem Jahr 1917 verlegte sie den literarisch-intellektuellen Treffpunkt in das Palais Lieben-Auspitz in der Oppolzergasse beim Burgtheater. Heute befindet sich am Haus eine Gedenktafel4, die darauf hinweist, dass sie als Tochter jüdischer Eltern flüchten musste, als Hitler-Deutschland Österreich 1938 „anschloss“, was Zigtausende Österreicherinnen und Österreicher am nahe gelegenen Heldenplatz bejubelten. Es ist nicht bekannt, ob Berta Zuckerkandl in ihrem Salon das frenetische Gejohle akustisch miterleben musste.

In ihrem Salon verkehrte ein anderes Österreich: das geistige, gebildete und künstlerische. Hier fanden sich unter anderem die Schriftsteller Franz Theodor Csokor und Arthur Schnitzler ein sowie der Regisseur Max Reinhardt, der Komponist Johann Strauß (Sohn), Gustav Klimt und die Kärntner Maler des „Nötscher Kreises“, Sebastian Isepp und Anton Kolig.

ALMA UND GUSTAV. Im Jahr 1901 lernte Alma Mahler-Werfel bei ihr Gustav Mahler kennen. Alma und Berta waren über lange Jahre engste Freundinnen.5 Eine exemplarische Begegnung ihres Salons war auch das Treffen Gustav Klimts und Auguste Rodins. Besonders verbunden war Berta Zuckerkandl mit der „Secession“ und „Wiener Werkstätte“, weil sich deren Entstehung auch auf ihre journalistische Unterstützung gründete. Ihr Salon war sozusagen eine Schaltstelle des Fin de Siècle.

Berta Zuckerkandl war nicht nur mit der Wiener Gesellschaft verwoben. Ihre Schwester Sophie heirate Paul Clemenceau, den Bruder des späteren französischen Ministerpräsidenten Georges Clemenceau. Bei ihren Besuchen in Paris lernte sie im Salon ihrer Schwester neben anderen Maurice Ravel und Auguste Rodin kennen.

SIXTUS-AFFÄRE. Berta Zuckerkandl hatte besonders gute Verbindungen nach Frankreich, wodurch sie selbst sogar in die sogenannte „Sixtus-Affäre“6 verwickelt wurde. Im Jahr 1917 traf sie in geheimer Mission in Genf zweimal ihre Schwester Sophie, die ihren Schwager Georges Clemenceau und den Kriegsminister Paul Painlevé darüber informierte, dass Österreich-Ungarn über einen Separatfrieden verhandeln wolle. Den Fortgang des Kriegs konnten die beiden Schwestern aber nicht verhindern.

Nicht nur die Monarchie erbat ihre Dienste. Auch die Erste Republik der Zwischenkriegszeit und der Ständestaat bemühten Berta Zuckerkandls Kontakte in Paris. Österreich war daran interessiert, für das verarmte Land französische Investoren zu finden. Die Bundeskanzler Ignaz Seipel und Engelbert Dollfuß wandten sich an sie um Hilfe. Erwähnt werden muss, dass sich Berta Zuckerkandl journalistisch gegen die Zerschlagung der Arbeiterbewegung durch Engelbert Dollfuß im Jahr 1934 gewandt hat, was für ihre Haltung selbstverständlich war.

KULTURJOURNALISTIN. Berta Zuckerkandl, die wegen ihrer Verbindungen als Geheimdiplomatin eingesetzt werden konnte, schrieb für das Neue Wiener Journal und die Wiener Allgemeine Zeitung. Ihre Ressorts waren die Kunst und das Theater. In der Wiener Allgemeinen Zeitung veröffentlichte sie eine täglich erscheinende Kunstkolumne. Besonders engagierte sie sich für Gustav Klimt. Zuckerkandl galt als publizistische Wegbereiterin der „Secession“ und der „Wiener Werkstätte“ sowie als Mitbegründerin der „Salzburger Festspiele“.

Hugo von Hofmannsthal hat in ihrem Salon zum ersten Mal öffentlich aus seinem „Jedermann“ gelesen. Neben dem deutschsprachigen Theater galt ihr Interesse der französischen Dramatik. Sie übersetzte Theaterstücke Marcel Achards, Jean Anouilhs, Jacques Bosquets und Paul Géraldys ins Deutsche.

ÖSTERREICH INTIM. Als beispielhaftes Werk der Schriftstellerin sei auf ihre Erinnerungen mit dem Titel „Österreich intim“7 verwiesen, die im Jahr 1970 von Reinhard Federmann postum herausgegeben und 2013 neu aufgelegt wurden. Sie schreibt über die Welt, in der sie lebte und in deren kulturellem Zentrum sie ein Faktor war. In direkter Rede wird festgehalten, was beispielsweise Gustav Mahler und Arthur Schnitzler, der sie zum Schreiben der Memoiren animiert hatte, gesagt haben. Sie verkehrte in den Kreisen des Kaiserhauses und konnte etliche intime Details festhalten. Viele berühmte Namen fallen, Sigmund Freud, Gustav Klimt, Arnold Schönberg, Otto Wagner, Franz Werfel, Stefan Zweig, kein großer fehlt. Das Buch ist keine kontinuierliche Erzählung, sondern eine Zusammenstellung einzelner Artikel, die sich zu einem Mosaik über eine reiche Epoche fügen. Berta Zuckerkandls Erzählweise ist pointiert. Die Charaktere zeichnet sie mit wenigen Worten lebendig. Die vielen Anekdoten sind so etwas wie literarische Zeitgeschichte.

Im unseligen Jahr 1938 half Paul Géraldy Berta Zuckerkandl bei der Flucht nach Paris, wozu er eigens nach Wien kam. Zehn Jahre davor hatte der damals höchst renommierte Wiener Zsolnay Verlag seine „Dramen“8 in der Übersetzung Berta Zuckerkandls veröffentlicht. Die geschickte Netzwerkerin konnte ihr Talent auch in der französischen Hauptstadt nutzen und hielt engen Kontakt zu vertriebenen Österreicherinnen und Österreichern, so zu Franz Werfel, bis er in die Vereinigten Staaten von Amerika übersiedelte.

WIDERSTAND. Berta Zuckerkandl war in Frankreich als Trägerin des Ordens der Ehrenlegion9 vor einer Internierung geschützt. Ihr Sohn Fritz war bereits nach Algier emigriert, die Mutter folgte ihm im Jahr 1940. In der algerischen Hauptstadt konnte sie als Rundfunkjournalistin arbeiten und rief über den Sender die Daheimgebliebenen zum Widerstand gegen Hitler und die Nationalsozialisten auf.

Die beabsichtigte Emigration in die Vereinigten Staaten von Amerika gelang ihr nicht. Auch ihre Heimatstadt sah sie nie wieder. Im Jahr 1945 kehrte sie, nachdem sie die Niederlage der nationalsozialistischen Barbarei noch erleben durfte, nach Paris zurück, war jedoch schwer krank und starb am 16. Oktober 1945. Berta Zuckerkandl wurde auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise beigesetzt.

Wien dachte ihr eine späte, jedoch schöne Ehre zu. Im Jahr 2009, einhundertfünfundvierzig Jahre nach ihrer Geburt, wurde im neunten Gemeindebezirk der „Berta-Zuckerkandl-Weg“ nach ihr benannt.

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22 aralık 2023
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