Kitabı oku: «Joe 9/11», sayfa 2
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E-Mail von: Peter Novak <peter.novak@hotmail.com>
an: Martty Bruce <bruce.lee.1975@yahoo.com>
Datum: 25.07.2001, 09.12 Uhr UTC-8
Hola Amigo!!
Ich kann nicht glauben, was ich da gerade gelesen habe. Das ist ja völlig irre! Mein Hirn fühlt sich wie Affenscheiße an! Und du hast allen Ernstes Spaß. Stimmt’s? Glaubst du nicht, dass es da eine Verbindung gibt? Eine ermordete Café-Inhaberin? Ein Foto, auf dem vermutlich ein Mord zu sehen ist? Ich bin ernsthaft verwirrt. Ich habe darüber nachgedacht und bin zu folgender Schlussfolgerung gekommen:
Das Foto beweist in der Tat rein gar nichts. Das ist bloß die Abbildung von Klippen, einem Sturm, einer Landschaft. Du kannst nichts darauf erkennen, wenn du es nicht vergrößerst. Schlussfolgerung Numero zwei also: Derjenige, der das Foto geschossen hat, kann nicht gewusst haben, was er da fotografiert hat. (Ich nehme bloß an, dass es sich beim Fotografen um einen Mann handelt.) Jeeesus, aber dann gibt es die Fotos, die nach dem Mord an der Café-Inhaberin gefunden wurden. Das ergibt doch alles keinen Sinn! Überhaupt keinen. Kannst du die Fotos beschaffen? Kannst du herausfinden, ob es sich um dieselbe Kamera handelt? Denselben Film? Das wäre eine äußerst wichtige Information. Sollte das der Fall sein, werde ich das Foto NICHT ausstellen. Wahrhaftig nicht! Dafür könnte ich in den Knast wandern. Und sollte der Fotograf mich ausfindig machen, wird er mich mit einer verdammten Bratpfanne erschlagen!!!!! Jeeesus, Martty, das ist eine üble Sache. Vielleicht solltest du nach Hause fliegen, und vielleicht sollte ich dieses verdammte Foto einfach verbrennen und die Sache vergessen. Ja?
Das ist nicht gut, Martty. Ich mag das nicht. In der Tat sollte ich mit diesem verdammten Foto zur Polizei gehen. Jeeesus, Martty, sag mir, was ich tun soll! Soll ich zur Polizei gehen? Das würde bedeuten, dass ich das Foto verlieren, die nächste, vielleicht die letzte Chance verpassen würde. Mein Leben verpassen und verlieren. Scheiße. Was ist, wenn auf diesem Foto ein Suizid zu sehen ist? Es ist nicht meine Schuld! Vielleicht ist alles bloß ein Zufall. Unzählige Fotografen fahren nach Sagres. Ich war auch dort, verdammt!
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Einen Tag später
– – – SMS von Martty an Peter:
Hey, Kumpel! Ich habe mich abermals mit den Polizisten hier unterhalten. Sie haben mir die Fotos gezeigt. Überraschung: Sie stammen NICHT von derselben Kamera! Du kannst das Foto ausstellen. No problemo … Cheers, Martty.
– – – – – – – – –
Martty drückt auf »SENDEN« und seufzt. Er hasst es, seinen besten Freund anzulügen. Bevor er am Vortag nach ein paar Stunden Flanierens durch Lagos in den Bus zurück nach Sagres gestiegen war, ist er noch einmal in das Internet-Café gegangen und hat Peters Antwort zu lesen bekommen. Er braucht die Fotos nicht zu sehen, um herauszufinden, dass sie von derselben Kamera stammen. Die Sache ist völlig klar. Das ist kein Zufall. Und nebenbei: Wie viele Menschen benutzen einen Schwarz-Weiß-Film in einer Polaroid? Aber Martty ist davon überzeugt, dass der Typ, der die Fotos von den Klippen und von der Frau im Café gemacht hat, niemals herausfinden wird, dass Peter im Besitz seines Klippen-Fotos ist. Dass er womöglich nicht einmal wusste, was tatsächlich darauf zu sehen ist, tut nichts zur Sache. Und Martty hat diese SMS geschrieben, weil er denkt, dass dies das Beste für Peter ist. Peter ist ein Feigling, und er sollte sich entspannen.
Das nächste, das es nun also zu tun gilt: ein Boot mieten und zu den Klippen hinausfahren. Darauf vorbereitet sein, eine Leiche zu finden. Also spaziert er in seinen Shorts von seinem Hotel aus durch das stille, verschlafene Dorf zum östlich gelegenen Hafen, etwas Geld in einer Hosentasche und die kleine Digitalkamera in der anderen. Er bewundert Peters Profession, aber er selbst hasst diesen alten, analogen Dreck.
Kurz vor dem Hafen entdeckt er ein Geschäft und traut seinen Augen nicht: ein kleiner Laden, der gebrauchte Kameras verkauft. In diesem kleinen Rattenloch! Und im Schaufenster drei, vier … FÜNF Polaroids!!
Martty: »Junge, Junge …«
Das ändert die Situation beträchtlich, denkt er. Die Chance, dass der Killer und der Klippen-Fotograf ein und dieselbe Person sind, ist schlagartig von hundert auf fünfzig Prozent oder noch weniger gesunken. Das würde immerhin bedeuten, dass er Peter gar nicht angelogen hätte — was allerdings das einzig Positive an seinen Ermittlungen darstellt.
Die Tür ist sperrangelweit offen und Martty betritt den Laden. Ein kleiner, älterer Herr sitzt hinter einem kleinen Tisch und sieht sehr lustig aus. Er trägt Brillen und einen großen Bauch unter seinen weiten Hosen, die ihm fast bis zur Brust reichen.
Mann: »Olá!«
Martty: »Hallo. Ahhmm … Sprechen Sie Englisch? Hawla ingleese?«
Mann: »Lamento muito, senhor!«
Martty: »Oh, scheiße …« (kurze Pause) »Also, ich bin auf der Suche nach einer Kamera. Camera, si?«
Mann: »Sim, tenho muitas câmaras!«
Martty: »Ich suche eine Polaroid 909 … Polaroid nuewe zero nuewe …«
Mann: »Nove-zero-nove? Pah!«
Der Mann sieht Martty an, als ob er verrückt wäre.
Mann: »Lamento muito senhor, nao tenho uma nove-zero-nove. É raro.«
Martty: »Okay, ja, verstehe schon. Sie ist sehr selten. Ich weiß, dass sie sehr selten ist. Sie haben also keine … Haben Sie jemals eine verkauft?«
Der Mann sieht Martty an und zuckt mit den Schultern.
Martty: »Haben Sie … Haben — Sie — jemals … oh, Jesus Christus …« (kurze Pause) »Senior … Haben Sie einen Schwarz-Weiß-Film? Polaroid negro y blanco?«
Mann: »Preto e branco? Nao nao nao senhor, … é raro. Compreende?«
Martty: »Ja, ich verstehe, sehr selten.« (Seufzt.) »Okay … danke trotzdem. Ich muss weiter. Gracias! Schönen Tag noch. Adios …«
Mann: »Lamento muito, senhor … Até logo!«
Martty (schon bei der Tür draußen): »Verdammte Scheiße, dieses verfluchte Rattenloch … Lernen die kein Englisch, diese portugiesischen Bastarde?«
Nach einer Weile geht der Ladenbesitzer nach draußen und überprüft, ob Martty noch in Sichtweite ist. Dann eilt er zurück in sein Geschäft und wählt eine Nummer. Jemand scheint abzuheben, und der Mann beginnt sehr aufgeregt und schnell zu sprechen — auf Portugiesisch natürlich.
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Sagres, eine Stunde später.
Martty sitzt in einem Boot mit einem kleinen Motor. Er kämpft gegen die Wellen an. Er versucht, nahe an die Klippen heranzukommen, doch es ist ziemlich mühsam, nicht allzu schnell zu werden, da sonst die Wellen das kleine Boot und Kapitän Martty an den Felsen zerschellen lassen würden. Er schwitzt und flucht. Immer wieder sieht er zu den Klippen hin und zur Ruine auf der anderen Seite der Bucht, um sich zu orientieren. Nach einem langen Kampf mit den Wellen sieht er über sich einen markanten Punkt in der Felsformation, den er vom Foto kennt. Einige Meter links davon müsste sich der Punkt befinden, an dem die Person aufgeschlagen sein musste. Er nähert sich den Klippen, kommt näher und näher. Scharfkantige Felsen befinden sich knapp unter der Wasseroberfläche, einige ragen aus dem Meer, aber er sieht nichts anderes. Wasser und Felsen. Wenn jemand bei Ebbe hier ins Wasser fällt, muss er von der Flut fortgespült werden, es sei denn der Kopf oder ein Arm verheddert sich irgendwo zwischen den Steinen. Martty weiß nicht einmal, ob gerade Ebbe oder Flut ist. Vielleicht ist der Leichnam zwei Meter unter dem Meeresspiegel, wenn gerade Flut ist …
Martty sucht mehr als zwanzig Minuten und gibt schließlich auf. Gerade als er zurück zum Hafen fahren will, erfasst ihn eine große Welle, die ihn zehn, zwanzig Meter in Richtung Klippen spült. Eine zweite Welle erfasst das Boot, und Martty bekommt es mit der Angst zu tun. Das Boot könnte jeden Moment kentern. Plötzlich kracht es gegen einen Fels, der sich nur wenige Zentimeter unter der Wasseroberfläche befindet.
Er entdeckt eine verweste Hand zwischen dem Boot und weiteren Felsen und kotzt das ganze Frühstück ins Meer. Von der Hand ist kaum mehr als Knochen übrig.
Die Wellen lassen plötzlich ein wenig nach und geben Martty genügend Raum, sich zu erholen. Er sitzt im Boot und starrt die Knochenhand an. Das Boot schlägt weiterhin knarrend und ächzend an den Felsen, der immer noch von jeder kleinen Welle überflutet wird. Er nimmt einen nassen Fetzen, der im Boot liegt, und bekommt damit die Hand zu fassen. Sie steckt fest, aber Martty zieht fest daran wie ein Matrose, und die Hand bricht schließlich ab, sodass er nach hinten und fast über Bord fällt. »Jeeeeeezzz!!!!! … Was zum Henker mache ich hier eigentlich?« Er flucht und schreit wild herum.
Er nimmt das Notruder und stößt sich vom Fels ab. Eine Welle befreit ihn aus seinem Gefängnis. Er startet den Motor und entfernt sich von den Klippen. Nach einer Weile, die ihm wie eine Ewigkeit vorkommt, erreicht er den Hafen, wo er jetzt das Boot wie der tollkühnste Matrose aller Zeiten parkt. Er schnappt sich den nassen Fetzen, in den er die Hand gewickelt hat, und betritt das Festland.
Er sieht sich um. Weit und breit niemand zu sehen. Er wickelt die Hand aus, legt sie auf den Boden und macht schnell ein paar Fotos mit seiner Kamera. Er sieht genauer hin und entdeckt einen Ring auf einem Finger, der mit Schleim und Hautgewebe bedeckt ist. Er ist abermals nahe daran, sich zu übergeben, aber er nimmt sich zusammen und zieht den Ring vom Finger. Es handelt sich um einen ziemlich gewöhnlichen Goldring. Auf der Innenseite ist ein Wort eingraviert, doch Martty kann das Wort nicht lesen, da es eine arabische Schrift ist. Er steckt den Ring in eine Tasche seiner Shorts und wickelt die Hand wieder in den Fetzen. Er steigt die steilen Gassen vom Hafen aufwärts, ins Dorf zurück, geht ins Hotel, sagt kein Wort zum Mann an der Rezeption.
»Aaaaaaah. Endlich. Was für ein Abenteuer. Wuuuuuuaa.«
Er legt den Fetzen mit der Hand in die Minibar und fällt ins Bett, Gesicht nach unten. Wilde Gedanken bemächtigen sich seiner. Aber nach wenigen Augenblicken schläft er erschöpft ein.
Klopf, klopf, klopf ……………
Martty schläft tief und fest, aber er hört das Klopfen.
Klopf, klopf, klopf ……………
Der Schlaf wird leichter, aber er ist zu müde, um aufzuwachen und sich zu erheben. Er fällt zurück in den Schlaf, in ein Traumland, das von Bier und Ladys bevölkert ist.
Zwei Stunden später.
»Llllllllllliiiiiiikkkkkaaa akka ooooooooo. Zeee!«
Martty springt aus dem Bett und beginnt mit einer Art Schattenboxen.
»Heeeeiiiilige Scheiße, was für ein Alptraum!«
Martty sitzt an der Bettkante und reibt sich die Augen. Er entdeckt einen Zettel, der unter der Tür hindurchgeschoben wurde. Er erhebt sich und hebt den Zettel auf:
DU FINDEST MICH IN DEM CAFÉ NEBEN DEM HOTEL, SOLLTE DIR LANGWEILIG SEIN, AMIGO. ICH BIN ES. GRUSS, J.
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Martty: »Woher wusstest du, dass ich auf Zimmer 207 bin?«
J: »Die Leute an der Rezeption können oft ein kleines Zusatzeinkommen brauchen.«
Martty: »Wer bist du?«
J: »Ich? Ein Tourist.«
Martty: »Und wie heißt du?«
J: »Ich heiße John.« … »Ich bin Jack.« … »Mein Name ist Janne.« … »J …«
Martty führt diese imaginäre Konversation, während er nach unten geht, um das Hotel zu verlassen. Beim Verfasser der Nachricht handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um den Mann, der wie Burroughs aussieht. Vor zwei Tagen noch wollte Martty mit diesem Fremden ein Glas Rotwein trinken. Aber die Nachricht war etwas seltsam. Ist er schwul? Er betritt das Café neben dem Hotel, und da sitzt er auch schon, in seinem grauen Anzug. Er sieht aus wie ein alter schwuler Junkie und betrachtet Martty beim Hereinkommen.
J: »Wollen wir gemeinsam ein Gläschen trinken?«
Martty: »Klar.«
J: »Schön! Nimm Platz, mein Freund.«
Martty setzt sich.
Martty: »Wie hast du die Nummer meines Zimmers herausgefunden?«
J: »Das ist recht unkompliziert in einem Hotel mit zehn Zimmern, von denen nur eines belegt ist.«
Martty: »Ich verstehe. Ich heiße übrigens Martty.«
J: »Martty. Schön, dich kennenzulernen. Ich bin Joseph. Du bist aus San Francisco, richtig?«
Martty: »Das ist richtig, ja.«
Joseph: »Tut mir leid, ich habe ein schlechtes Gedächtnis. Ich kann mich nicht an jedes Detail unseres kurzen Gesprächs erinnern, das wir letztens führten … Wann war das? Vorgestern? Es liegt wohl an der Hitze. Vielleicht werde ich auch langsam alt …«
Martty: »Schon in Ordnung, das macht nichts.«
Der Mann, »Joseph«, hat eine dunkle, verrauchte Stimme und lächelt andauernd etwas seltsam. So kommt es zumindest Martty vor, der skeptisch ist. Die beiden führen ein wenig Small Talk. »Joseph« scheint ein kultivierter Zeitgenosse zu sein und hat zu allem etwas Kluges zu sagen. Sie unterhalten sich über Portugal, die politische Situation in den Vereinigten Staaten, Bücher, Wirtschaft … Er erzählt Martty von seiner Zeit in Marokko, wo er fünf Jahre lebte. Während er spricht, fragt Martty sich, wovon Joseph lebt. Vielleicht entstammt er einer wohlhabenden Familie und muss keinem Broterwerb nachgehen? Vielleicht ist er deshalb so gebildet? Jedenfalls vergeht die Zeit in Anwesenheit dieses angenehmen Gesprächspartners wie im Flug, und ehe er es bemerkt, ist es spätabends, und die beiden haben beinahe zwei Flaschen vorzüglichen Rotweins miteinander getrunken. Es ist bereits dunkel, ein wundervoll lauschiger Sommerabend, und Martty ist schon etwas betrunken, wie er eben bemerkt. Er wird zusehends entspannter und offenherziger, was auch Joseph auffällt.
»Sollten wir noch ein letztes Fläschchen bestellen?«
»Absolut!«
»Also, Martty, du bist hier nicht auf Urlaub, habe ich recht?«
»Wie hast du das herausgefunden?«
»Nun ja, ich habe dich noch nie am Strand liegen gesehen.«
»Das ist wahr. Ich bin auf Geschäftsreise hier … Naja, mehr oder weniger.«
»Geschäftsreise? Und welches Geschäft bringt dich nach Sagres?«
»Ermittlungen.«
Der Kellner kommt an ihren Tisch.
»Mais uma garrafa, por favor … Ermittlungen? Du bist aber kein Polizist, nicht wahr? Haben diese Ermittlungen etwas mit einem Versicherungsfall zu tun?«
»Hahaha! Nein, nein … Also, genau genommen ist das nicht mein Job. Ich stelle hier Ermittlungen für einen meiner Freunde an. Er ist Fotograf.«
»Okay? Und?«
Martty denkt, dass er vor Joseph keine Geheimnisse zu haben braucht. Er vertraut ihm, und wer weiß, vielleicht kann Joseph ihm nützliche Tipps geben.
»Also die Sache ist die: Mein Freund war vor ein paar Wochen hier und besuchte dieses Café, dessen Besitzerin ermordet wurde. Du hast bestimmt davon gehört.«
»Natürlich. Schlimme Sache.«
»Wie lange bist du schon in Sagres?«
»Zwei Monate.«
»Wow. Wird dir hier nicht langweilig?«
»Nun ja, ich glaube, dass ich in naher Zukunft weiterziehen werde. Ich werde möglicherweise wieder einmal für einige Zeit in die Staaten reisen.«
»Verstehe. Aber, lass mich weitererzählen …«
»Selbstverständlich.«
»Peter, mein Freund, hat von dieser Frau ein Foto geschenkt bekommen. Es hat dort an der Wand gehangen. Es ist eine Abbildung der Klippen. Ein Polaroidfoto in Schwarz-Weiß, das mit einer raren Kamera gemacht wurde …«
Josephs Lächeln verschwindet für einen Augenblick aus seinem Gesicht, aber sogleich ist es wieder da.
»Ja?«
»Wieder zu Hause geht Peter in sein Studio, vergrößert das Bild und erkennt plötzlich ……………..«
Martty erzählt die ganze Story. Er hat bloß noch nichts von seiner heutigen Bootsfahrt erwähnt. Er wird zunehmend betrunkener, während Joseph noch immer nüchtern wirkt.
»Und dein Freund wird dieses Bild im September ausstellen?«
»Hoffentlich! Du musst wissen, dass Peter ein ziemlicher Hosenscheißer ist.«
»Glaubst du, es ist möglich, das Bild noch vor der Ausstellung zu sehen? Ich werde vielleicht nach meiner Rückkehr in die Staaten nach San Francisco reisen. Ich war dort das letzte Mal vor fünfundzwanzig Jahren.«
»Klar! Du musst uns unbedingt besuchen, Joe! Peter ist ein netter Kerl. Du wirst ihn mögen. Hier ist meine Karte. Ruf mich einfach an, wenn du in Kalifornien bist.«
»Danke.«
Er steckt die Karte in die Innentasche seines Sakkos.
»Und wird er das Bild verkaufen?«
»Ich weiß nicht. Vielleicht nach der Ausstellung.«
»Um den Wert zu steigern.«
»Genau.«
»Nun, wenn das Bild so gut ist, wie du es beschrieben hast … Ich wäre durchaus bereit, einen angemessenen Preis dafür zu bezahlen.«
»Im Ernst?«
»Möglicherweise.«
»Naja, ich … hicks … Ich werde das Peter … Ich muss ihm das erzählen! Er wird sich freuen, das zu hören … Jaaa! Joe, du musst uns besuchen … Du kannst dir Peters Studio ansehen. Du wirst ihn mögen …«
»Das klingt gut. Ich freue mich schon.«
»Hey, Peter … oh, entschuldige … Ich meine natürlich Joe … Du hast erzählt, dass du einige Jahre in Marokko warst.«
»Das ist richtig.«
»Sprichst du Arabisch? Kannst du Arabisch lesen?«
»Nun ja, ein klein wenig. Die Sprache ist sehr schwierig zu erlernen. Zunächst musst du dir die Schrift aneignen, die um einiges schwieriger ist als Griechisch oder Kyrillisch …«
Martty zieht den Ring aus seiner Hosentasche, während Joe spricht. Unnötig hart knallt er den Ring mit der flachen Hand vor Joseph auf den Tisch.
»Kannst du lesen, was da innen drinnen steht?«
Joseph betrachtet den Ring vor ihm. Das Lächeln ist abermals verschwunden, kommt nun aber nicht wieder. Er richtet den Blick auf Martty, dann wieder auf den Ring. Er nimmt das Schmuckstück mit zwei seiner langen Finger und betrachtet seine Innenseite, wo er die arabischsprachige Gravur entdeckt. Er starrt Martty wieder stichgerade an.
»WO ZUM TEUFEL HAST DU DIESEN RING HER!!!???????«
13
Martty öffnet die Augen. Er liegt auf dem Boden. In seinem Hotelzimmer.
»Oh, Mann … Aaahhh … Ooooohh … Wo bin ich? … Christus, was für Kopfschmerzen!«
Er erhebt sich langsam und vorsichtig. Er torkelt ins Badezimmer und steckt seinen Kopf unter das fließende Wasser.
»Aaaaaahh …«
Er betupft sein Gesicht mit einem Handtuch und legt sich aufs Bett, versucht sich zu erinnern, was am Vorabend geschehen ist. Okay, ich war in diesem Café, mit Joe, Joseph. Okay, wir haben uns unterhalten, haben uns unterhalten und … Hab ich ihm vom Foto erzählt? Vielleicht … Scheiße. Ich hab ihm davon erzählt. Das ist nicht gut.
Aber Joe scheint ein sympathischer Kerl zu sein. Vielleicht hat ihn das alles gar nicht so interessiert. Was hab ich noch erzählt? Gott, war ich besoffen. Zu besoffen. Natürlich interessiert er sich für das Foto. Wer würde sich nicht dafür interessieren? Mann, bin ich blöd!!! Wenn er schon Kontakt zu Peter aufgenommen hat? Habe ich Peter erwähnt? Seinen Namen? Hab ich ihm von der Hand erzählt? Meiner Entdeckung? Ich muss ihn sofort ausfindig machen und herausfinden, was er alles weiß und, und … Ahhh, mein Kopf! Ich brauche ein Bier. Wie spät ist es? Es ist heiß, es muss schon Mittag sein. Welchen Tag haben wir? Montag?? Vielleicht Montag …
Martty steht auf und sucht sein Mobiltelefon, kann es nirgends finden.
»Wo zum Teufel ist das Telefon?«
Er sucht überall. Vergebens. Er zieht sich seine Hosen an und geht hinunter in die Lobby, fragt den Rezeptionisten nach der Uhrzeit.
»Es ist 12 Uhr 38, Sir. Sir, geht es Ihnen gut?«
»Was meinen Sie damit?«
»Naja, Sie sind gestern Abend in einem ziemlich schlechten Zustand ins Hotel gekommen.«
»Tatsächlich? Wie schlecht?«
»Naja, Sie waren ziemlich betrunken, oder …«
»Was war ich?«
»Naja, um ehrlich zu sein, Sie haben ausgesehen, als hätten Sie Drogen zu sich genommen.«
»Drogen? Nehme ich Drogen? Okay, okay, danke für die Info, vielen Dank. Wie war Ihr Name noch mal?«
»Laszlo, Sir.«
»Okay, danke, Laszlo.«
Martty geht wieder in sein Zimmer hinauf. Die Kopfschmerzen werden von Minute zu Minute schlimmer. Er versucht angestrengt nachzudenken. Der Ring, habe ich den Ring erwähnt? Die Hand? Er sucht in den Taschen seiner Shorts und in seinen Jackentaschen. Der Ring ist verschwunden. Er öffnet die Minibar.
»Verfluchte Scheiße!!! Die Hand ist weg!«
Was zum Teufel …?? Wer zum Teufel …?? Er geht zu Boden und kauert sich neben die Minibar. Der Typ, Joe, er muss hier gewesen sein, er muss die Hand entwendet haben. Hat er auch mein Telefon geklaut? Und warum? Habe ich ihm von der Hand erzählt? Verdammte Scheiße. Das ist wahrhaftig nicht gut. Er läuft zur Rezeption hinunter.
»Hey, Laszlo, bin ich letzte Nacht allein gekommen? War jemand bei mir?«
»Nein, Sir, Sie waren alleine.«
»Bist du sicher?«
»Ja, positiv.«
»Okay. Ist es möglich, dass jemand in mein Zimmer kommen konnte, während ich schlief?«
»Naja …«
Laszlo atmet tief durch. Er hatte letzte Nacht ein paar Stunden geschlafen, obwohl ihm das verboten ist. Aber es gibt zurzeit nur einen Hotelgast und der Ort ist recht verschlafen.
»Nein, das ist nicht möglich. Ich war die ganze Nacht hier an der Rezeption.«
»Scheiße.«
Martty geht zurück ins Zimmer. Sein Denken läuft auf Hochtouren und die Kopfschmerzen sind extrem. Scheiße … Was zum Teufel ist hier los? Fuck. Ich muss mich zusammennehmen und nachdenken. Hoffentlich weiß Peter noch nichts davon. Und wo zum Teufel ist mein Telefon? Ich muss diesen Typen finden. Sofort!
Er nimmt eine kalte Dusche, zieht sich an, läuft abermals nach unten.
»Okay, Laszlo, kennst du diesen Amerikaner? Groß, schlank, weißer Schnurrbart …?«
»Ich glaube, ich weiß, wen Sie meinen. Aber kennen wäre übertrieben …«
»Okay, schon okay.«
Laszlo wirkt irgendwie schleimig, aber Martty glaubt ihm. Er verlässt das Hotel, geht ins Café, fragt nach Joseph, aber niemand hat ihn heute gesehen. Eine Zeit lang läuft er durch die Gassen und gibt schließlich auf. Er setzt sich in einen Gastgarten und bestellt ein Bier. Vielleicht ist Joseph bereits über alle Berge. Er hat den Ring gestohlen, er hat die Hand gestohlen, er hat mein Telefon gestohlen. Warum? Warum bloß? Und verdammt, ich bin verwirrt, mir scheint, er will mich aus dem Spiel haben, und ich habe das Gefühl, dass Peter in Schwierigkeiten steckt. Stecke ich in Schwierigkeiten? Womöglich will er den ganzen Ruhm für sich allein? Vielleicht ist er bloß auf der Suche nach einem Abenteuer. Vielleicht ist er ein Spieler. Ein verfluchter Freak ist er.
Es ist nun vier Uhr nachmittags. Martty weiß, dass er Joe nicht finden wird, und geht zurück zum Hotel. Er ist sehr müde. Was soll er nun tun? Er hat das Gefühl, dass seine Ermittlungen zu Ende sind. Er hat alles vermasselt. Er hat den Leichnam gefunden, einen Ring mit arabischer Inschrift. Aber nun ist alles verloren, und es ist allein seine Schuld. Er hat sogar den Laden mit den Kameras ausfindig gemacht und auch dort keine Antworten gefunden. »Was bin ich bloß für ein Idiot?« Er spricht mit sich selbst. Vor seinem inneren Auge sieht er Joe. Will er wirklich bloß spielen? War er am Mord bei den Klippen beteiligt? Wer hat das Foto geschossen, das Peter gefunden hat? Peter … Er muss Peter warnen. Wo ist das Telefon? Peters Telefonnummer ist darin gespeichert! Hat dieser Verrückte es gestohlen? Warum?? Martty ist zu verkatert, um einen klaren Gedanken fassen zu können. Sein Kopf fühlt sich wie ein schmerzender Sumpf an.
Er betritt das Hotel. Laszlo steht nach wie vor an der Rezeption.
»Hey, arbeitest du hier rund um die Uhr oder was?«
Laszlo sieht aufgeregt aus.
»Mr. Martty! Der Amerikaner war hier! Er hat Ihnen eine Nachricht hinterlassen!«
Martty läuft ein kalter Schauer über den Rücken, als er diese Neuigkeiten vernimmt. Laszlo überreicht ihm ein Kuvert. Martty öffnet es und entnimmt ihm ein Blatt Papier, auf dem mit Großbuchstaben geschrieben steht:
WIR SEHEN UNS BEI DER FESTUNG VON SAGRES, UM MITTERNACHT.
Grundgütiger, denkt Martty. Dieser Hurensohn ist noch immer hier. Um Mitternacht bei der Festung. Niemand hält sich dort um diese Zeit auf. Dieser Irre könnte ihn dort ohne Zeugen einfach abmurksen. Was sollte er unternehmen? Eine Waffe organisieren? Jemanden mitnehmen? Er kennt hier niemanden. Laszlo? Unmöglich. Oder doch?
»Du arbeitest hier also rund um die Uhr?«
»Ich? Oh nein, Sir. Ich mache nur eine Zusatzschicht, weil ein Mitarbeiter krank ist. Das ist eine einmalige 24-Stunden-Schicht. In zwei Stunden kommt Elena, meine Kollegin, und löst mich ab.«
»Okay. Und hast du heute Abend schon was vor?«
»Ich? Oh, nicht wirklich, Sir. Ich bin ziemlich müde und werde bald schlafen gehen. Ich muss um neun in der Früh wieder hier sein.«
Martty denkt nach. Nein, er kann Laszlo nicht fragen, ob er ihn um Mitternacht auf einen Spaziergang zur Festung hinaus begleiten möchte. Laszlo müsste denken, er sei schwul. Oder ein Verrückter. Wer weiß, welche Verrückten sich um diese Zeit da draußen herumtreiben.
»Ich habe vor, heute Nacht zur Festung zu spazieren, nach Einbruch der Dunkelheit.«
»Wirklich? Ja, das ist sehr schön dort draußen bei Dunkelheit.«
»Ist es auch sicher?«
»Aber natürlich! Sagres ist ein sicherer Ort. Und wenn Sie spät genug gehen, werden Sie zu 99 Prozent allein sein.«
Danke, Arschloch. Also werde ich sterben, ohne dass es jemand mitbekommt. Willst du mich begleiten, Laszlo? Ich verspreche dir auch, dich nicht in den Arsch zu ficken. Ich habe bloß Angst, musst du wissen. Martty geht in sein Zimmer hinauf, allein mit seinen wirren Gedanken. Er möchte schlafen, ein, zwei Stunden. Was aber, wenn er verschläft? Er hat keinen Wecker, weil sein Telefon weg ist. Da bemerkt er das hoteleigene Festnetztelefon am Nachttisch. Er wählt die Nummer der Rezeption.
»Hey, Laszlo, kannst du deiner Kollegin ausrichten, dass sie bitte um acht Uhr einen Weckruf machen soll?«
»Natürlich, Sir.«
»Danke. Ich wünsche dir einen angenehmen freien Abend.«
»Danke, Sir. Gute Nacht.«
Martty öffnet die Minibar. Die Hand ist noch immer verschwunden. Natürlich. Aber ein kaltes Bier ist da. Er schnappt sich die Flasche und nimmt einen großen Schluck. Jesus Christus, der ganze Bootsausflug, auf dem er fast ertrunken wäre, das Kotzen, als er den Leichnam entdeckte, das alles war umsonst. Alles ist verloren. Alles. Martty schläft ein.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.