Kitabı oku: «Ich will brennen», sayfa 3
Kapitel 7
„Wenn das Liebe ist, warum bringt es mich um den Schlaf?“ - Glashaus
Aber noch war es nicht so weit und ich lebte weiter mein stürmisches Leben. Gemeinsam mit Miri – und auch ohne sie – verbrachte ich geniale Abende im Jugendtreff Hängematte und im Happy Rock, bei denen wir uns den ein oder anderen Typen quasi teilten und ich darüber hinaus immer auf der Suche nach neuen „Verehrern“ war. Dass ich aber eigentlich vergeben war, spielte dabei nur eine sehr geringe Rolle. Meine Knutschereien liefen zwar heimlich ab, ein schlechtes Gewissen hatte ich jedoch überhaupt nicht. Im Gegenteil: ich war sehr stolz auf meine zahlreichen Knutsch-Eroberungen und auch, dass wir inzwischen zu den richtig „Coolen“ gehörten. Es waren viele verrückte Aktionen, wie mit älteren Jungs, die wir natürlich vom Sehen kannten, von Party zu Party durch die Gegend zu fahren, immer mit dem Ziel, im Happy Rock zu landen. Letzten Endes erkannte ich aber selbst, dass mein ganzes Leben ein Witz sei. Vermutlich hatte Felix von meinen heimlichen Aktionen dann doch mehr mitbekommen als ich dachte und beendete unsere „Beziehung“. Zunächst war ich gekränkt, dann aber auch erleichtert. Ich war wieder frei und es gab doch schließlich noch so viel zu erleben. Wenngleich mein Herz sowieso nur einem gehörte.
Die nächste Party fand bei mir zu Hause statt, zu meinem 17. Geburtstag. Die ganze Clique inklusive Neu-Single Vincent war bei mir versammelt und ich suchte mir dennoch wieder einen meiner Happy Rock-Jungs aus zum Knutschen und nahm ihn sogar mit in mein Zimmer. Da ich aber zu viel getrunken hatte, mussten wir unser Schäferstündchen frühzeitig beenden und nachdem ich etwas geschlafen hatte, gesellte ich mich wieder zu den anderen. Miri schlief in meinem Zimmer und die verbliebenen Partygäste waren mein Cousin, Alex und Vincent. Sie suchten sich ihre Schlafplätze und ich stand mit Vincent vor einer Matratze. Schüchtern fragte ich ihn, ob wir da beide zusammen darauf passen würden. Anstelle einer Antwort umarmte er mich, sah mir lang in die Augen, hielt inne und dann küsste er mich. Wow! Endlich! Mein Herz klopfte und die Schmetterlinge in meinem Bauch tanzten wie verrückt.
Leider sollte dies aber noch nicht das lang ersehnte Happy End unserer Geschichte sein. Mir fiel es immer noch sehr schwer, mich einer monogamen Beziehung hinzugeben. Ich spürte viel zu sehr den Drang nach Freiheit und – wie Vincent es nannte - „Ausleben“. In mir herrschte ein Zwiespalt: ich wollte ihn wirklich, andererseits war ich noch nicht bereit, weil ich das Gefühl hatte, ich würde dadurch eingeschränkt sein. Meine lang erkämpfte Freiheit und Unabhängigkeit wären dann verloren. So hing ich eine Zeitlang zwischen zwei Welten: meiner Party-Welt im Happy Rock und der Vincent-Welt. Wir verbrachten wunderschöne Abende zu zweit in seiner Wohnung mit leckerem Essen, Filmen und unschuldigen, zögerlichen Berührungen. Ich genoss es wirklich sehr und sehnte mich nach mehr. Vielleicht war es doch langsam an der Zeit, dem alten Leben Auf Wiedersehen zu sagen und den Sprung ins Neue zu wagen. Ich hoffte darauf, an seinem Geburtstag meinem Ziel einen Schritt näher zu kommen. Während der Feier hatten wir wenig Gelegenheit zu reden oder uns näher zu kommen. Als guter Gastgeber war er sehr beschäftigt und ich unterhielt mich mit anderen Gästen. Miri war natürlich auch da und verbreitete miese Stimmung, wie so häufig in letzter Zeit. Ich vermutete, dass sie nicht damit klarkam, dass ich inzwischen zu einer eigenständigen Person geworden war und auch sehr gut ohne sie zurechtkam. Als dann bereits der Morgen graute, nahm mich Vincent bei der Hand und wir gingen eng umschlungen in sein Bett. Dort redeten wir noch lange über unsere wachsenden Gefühle füreinander und die Schwierigkeiten, die uns im Wege standen. Vor allem sahen wir es problematisch, wie Miri darauf reagieren könnte (warum das damals so war, kann ich heute überhaupt nicht mehr nachvollziehen). Wir kamen dann zu dem Schluss, dass wir uns liebten, es die Umstände aber im Moment nicht zulassen würden. Beim Abschied später küssten wir uns sogar vor den verbliebenen Übernachtungsgästen. Plötzlich war mir klar: ich liebte ihn, ich wollte eine feste, monogame Beziehung mit ihm führen und würde ab sofort damit aufhören, mich für andere Jungs zu interessieren. Es dauerte noch einige Wochen, bis wir es dann endlich offiziell machten und unseren Freunden, auch Miri, davon erzählten. Ich schwebte im siebten Himmel und war verliebt wie nie. Das erste Mal in einem Leben wurde meine Liebe erwidert und es war das Schönste, was ich mir nur vorstellen konnte.
Heute
Beim Gedanken an unsere fantastische Liebesgeschichte müssten mir eigentlich die Tränen kommen. Ich bin zwar sehr traurig über das Ende unserer Liebe, kann aber nicht weinen, ich fühle mich leer und abgestumpft. Um die Geschichte zu verarbeiten und damit abzuschließen, verfasse ich einen Brief an Vincent, den ich natürlich nie abschicken werde. Vielleicht kann ich so meinen Frieden damit schließen. Es plätschert weiter mit verschiedenen Therapien dahin: nun muss ich statt Gymnastik zur Gestalttherapie, was mir überhaupt nicht passt. Darin sehe ich kein Talent bei mir und das macht mich wütend, sodass überwiegend Bilder mit rot-schwarzen Wutspritzern Ergebnis der Therapiestunden sind. Mein Gewicht klettert weiter nach oben und ich beschäftige mich mit meinen Ängsten, allen voran der Angst vor dem Dicksein, gefolgt von der Angst vor der Zukunft, das Studium nicht zu schaffen, keinen Job zu bekommen oder überhaupt in meinem Leben zu scheitern. In der Freizeit gehe ich mit den Mädels ins Kino, an den See oder einfach nur so in der Stadt spazieren oder wir gucken gemeinsam „Desperate Housewifes“ und „Deutschland sucht den Superstar“.
Mit Andi, der ja aktuell mein Freund ist, gibt es jetzt immer häufiger Streit am Telefon. Er macht mir Vorwürfe, dass ich egoistisch sei und er daran kaputt ginge. Auch im Chefarztgespräch thematisiere ich das und dieser ist der Meinung, dass Andi immer eine Art Retter oder Held für mich war und nun kann ich mir selbst ganz gut helfen, also brauche ich ihn nicht mehr. Das könnte in ihm ein Gefühl der Nutzlosigkeit auslösen und die ganze Beziehung in Frage stellen, weil er mit der neuen Situation nicht zurechtkommt. Je gesünder ich werde, desto gleichberechtigter werden wir sein. Das ist für uns beide eine neue Erfahrung und wir müssen uns damit erst einmal zurechtfinden. Als Andi mich an einem Samstag besuchen kommt, versuchen wir uns auszusprechen. Wir entspannen im Erlebnisbad und können endlich offen über alles reden. So offenbart er mir, dass er Angst hätte, zurückzufallen in frühere Verhaltensweisen (Drogenmissbrauch), weil er sich sehr labil fühle. Er versichert mir zwar, das habe nichts mit mir zu tun, aber dennoch fühle ich mich schuldig und habe ein schlechtes Gewissen. Ich weiß aber auch, dass es nichts bringt, wenn ich mir den Kopf darüber zerbreche: jeder muss sich selbst helfen! Schon zwei Tage nach unserem Treffen streiten wir uns wieder am Telefon. Es geht ihm sehr schlecht und eigentlich müsste er für seine Klausuren lernen; was genau sein Problem ist, kann er mir aber nicht sagen. Immer öfter habe ich jetzt den Gedanken, dass er die Beziehung beenden könnte. Um das zu vermeiden, vereinbaren wir, etwas auf Abstand zu gehen und weniger Kontakt zu haben, schließlich geht es uns beiden immer schlechter damit. Viel lieber möchte ich mich ganz meinem Klinikleben widmen, wo ich mich mit den vielen lieben Menschen um mich herum immer wohler fühle.
Kapitel 8
„Ihr tretet mich vom Himalaya und ich kletter wieder rauf.“ -
Jennifer Rostock
Als Exposition (wie es von den Therapeuten genannt wird, wenn man eine Aufgabe erfüllt, die einem meist Schwierigkeiten bereitet) ziehe ich mich heute mal so an, wie für einen Happy Rock Abend. Mein Standard-Weggeh-Outfit besteht immer aus einem kurzen Rock und einem knappen Top, damit meine schlanke Figur besonders gut zur Geltung kommt. Gleich fühle ich mich ganz anders. Wie beim Weggehen in sicherer Umgebung: arrogant und unglaublich cool. Ich genieße den Tag und kann mit meinem selbstbewussten Auftreten sogar den Chefarzt beeindrucken! Er meint, ich wäre eine Bereicherung für die Klinik Roseneck. Am nächsten Tag stehen neben den anderen üblichen Therapien auch Spiegelübungen gemeinsam mit meiner Therapeutin an. Das soll mir helfen, meinen Körper besser wahrzunehmen, wie er tatsächlich ist und nicht, wie er in meinem Kopf durch die Essstörung aussieht. Ich erkenne, dass es nicht so schlimm ist, wie ich befürchte. Meine Aufgabe besteht vor allem darin, meinen Körper zu akzeptieren. Das ist auch der Lieblingsspruch meiner Therapeutin, der in vielen Situationen angewandt werden kann: „Sie müssen es nicht schön finden, Sie müssen es nur akzeptieren!“ Nun ja, das klingt aber trotzdem weitaus einfacher als es dann in der Realität ist. Nach der erfolgreichen Therapiestunde gehe ich in die Stadt und suche mir eine Notfallbox mit Leopardenmuster aus, die ich auch gleich befülle mit verschiedenen Gegenständen, die mir helfen sollen, wenn ich den Druck verspüre, mich zu verletzen. Ich packe ein Gummiband hinein, einen Igelball, Duftöl, Entspannungsbad, Gesichtsmaske und noch vieles mehr. Außerdem telefoniere ich am Ende dieses erfolgreichen Tages mit meiner Patin und Leif, einem gemeinsamen Freund von Andi und mir. Gestärkt gehe ich aus diesen Gesprächen heraus und erkenne, dass ich mich jetzt erst einmal um mich kümmern muss. Für Andi kann ich im Moment wirklich nicht mehr tun.
Am darauffolgenden Wochenende hält meine gute Stimmung an und ich glaube, dass ich sogar glücklich bin. Ein sehr ungewohntes Gefühl, deshalb bin ich mir gar nicht so sicher, ob es wirklich da ist! Aber ja, ich bin zufrieden und verbringe einen schönen Tag mit Daniela und einer weiteren Mitpatientin in Rosenheim. Wir ziehen durch die Geschäfte, kaufen ein, essen Döner und haben viel Spaß. Ganz vergessen kann ich meine Beziehungskrise aber nicht und ich schreibe eine schöne Karte an Andi, weil ich mir einbilde, ich müsste jetzt auch mal etwas geben in unserer Beziehung. Wirklich echt fühlt es sich nicht an, aber ich möchte meine Freude über den schönen Tag teilen und wünsche mir, dass es ihm auch endlich wieder besser geht. Den nächsten Tag unternehme ich mit zwei anderen Mädels einen Schwimmbadbesuch und lasse es mir gut gehen.
Doch schon ein paar Tage später geht es wieder los: Andi und ich streiten uns am Telefon, bis es eskaliert und ich von ihm eine Entscheidung einfordere, ob er weiter mit mir zusammen sein will oder nicht. Wutentbrannt stürme ich danach aus dem Zimmer und reagiere mich bei einem Spaziergang in eisiger Januar-Kälte ab. Kaum bin ich wieder zurück, klingelt das Festnetztelefon in meinem Zimmer erneut, obwohl ich keinen weiteren Anruf an diesem Abend wollte. In diesem Gespräch schafft Andi es, die Tatsachen zu verdrehen und mich als die „Böse“ hinzustellen und ich hätte Glück gehabt, dass er seine Mutter angerufen hat, sonst hätte er für nichts garantieren können. Wofür lässt er offen, ich nehme aber an, er spricht von Drogenkonsum oder Alkohol. Also wenn DAS nicht mal Erpressung ist? Ich fühle mich ungerecht und unfair behandelt und das kann ich überhaupt nicht ertragen. Wie soll ich denn mit ihm umgehen? Am liebsten würde ich gar nicht mehr mit ihm telefonieren, weil mich das nur herunterzieht und ich Angst habe, etwas zu sagen, was dann wieder völlig anders ausgelegt wird, als ich es meine. Zusätzlich wächst in mir der Verdacht, dass er auffällig oft etwas mit einer gewissen Marie unternimmt. Noch beobachte ich aber nur und spreche es nicht an. Ich weine und weine, bis die Augen brennen und geschwollen sind und ich schließlich erschöpft einschlafe. Ein paar Tage später erreicht mich ein Brief, in dem Andi seinen Standpunkt erklärt, welcher nur aus Vorwürfen gegen mich besteht. Obwohl sich das alles sehr unfair anfühlt, mache ich mir die Mühe und beantworte den Brief sogar. Allerdings gibt mir unsere gemeinsame Freundin Anne Recht und sagt, dass ich gerade nichts richtig machen könne und er immer etwas finden wird, worüber er „meckern“ könne.
Im Laufe der nächsten Tage beruhigt sich die angespannte Situation wieder. Vielleicht liegt es auch daran, dass mein Geburtstag bevorsteht und Andi mich gemeinsam mit unserer Freundin Anne und deren einjähriger Tochter Lara besuchen kommen will. Nun kann ich den Fokus wieder ganz auf das Hier und Jetzt richten und mich auf meine Entwicklung konzentrieren. Es tut sich schließlich einiges: mein Gewicht klettert weiter nach oben und ich erreiche einen BMI von 18, somit bin ich laut Definition fast nicht mehr anorektisch, was ich auf der einen Seite schade finde (es macht Angst!), auf der anderen Seite ist mir klar, dass dies der einzige Weg ist, wieder ganz gesund zu werden und die Essstörung zu besiegen. Weiter muss ich meine Essensmengen steigern und gehöre nun an den „Familientisch“. Das bedeutet, ich muss beim Mittagessen meine Menge selbst portionieren. An diesem Tisch fühle ich mich nicht so wohl, ich vermisse meine Clique, mit der ich sonst immer so viel Spaß hatte, und fühle mich etwas einsam. Aber da ich so gute Fortschritte gemacht habe, bin ich jetzt an der Reihe für die Aufnahme an diesen Tisch.
Die Zeit vergeht und dann ist auch schon mein Geburtstag da. Heute werde ich 23 Jahre alt. Schon gleich am Morgen werde ich herzlich von meinen Mädels empfangen, habe nur einen Termin zur Massage und Chef-Einzelgespräch. Eigentlich war auch ein Gespräch mit meiner Therapeutin gemeinsam mit meiner Mutter geplant, aber das scheiterte dann an der zeitlichen Organisation. Beim Abendessen im italienischen Restaurant mit meiner Mama versuche ich ihr klarzumachen, dass ich tatsächlich an einer Krankheit leide und dass ich nicht zum Spaß eine Essstörung gewählt habe. Ich bin mir nicht sicher, ob sie das wirklich verstehen kann, zudem geht es meist nur um sie, ihr Leben, ihr Schicksal und überhaupt. Empathie und Verständnis für andere stehen auf ihrer Liste leider ganz unten. Auch mein Vater meldet sich, um mir zum Geburtstag zu gratulieren und sagt am Telefon, er freue sich darüber, wenn ich wieder zu Hause bin. Komisch. Ich weiß nicht so recht, wie ich mit diesem regelrechten Gefühlsausbruch seinerseits umgehen soll, denn für mich ist klar, dass es mir lieber ist, ihn nicht um mich zu haben. Den weiteren Abend feiern wir mit fast allen meinen Mitpatientinnen der Station in einer Kneipe. Wir haben Spaß, lachen viel und ich werde reich beschenkt. So einen tollen Geburtstag hatte ich wirklich schon lange nicht mehr und ich bin froh, dass ich diese wunderbaren Menschen in der Klinik kennen lernen durfte! Auch der Samstag nach meinem Geburtstag ist ein schöner Tag: ich bekomme Besuch von Andi, Anne und Lara. Wir gehen am See spazieren, essen Kuchen und ich führe sie stolz durch meine Station und in mein Zimmer. Als sie wieder weg sind, gehe ich noch schwimmen und beende den Tag beim gemeinsamen Fernsehen. Ich bin rundum zufrieden. Der nächste Tag ist ein Sonntag und ein weiterer Geburtstagsbesuch steht auf dem Plan. Heute von meinem Bruder mit einem gemeinsamen Freund. Wieder fühle ich mich wohl und freue mich über den Kontakt außerhalb meines Kliniklebens. Allerdings hält mein Hochgefühl nicht lange an: Andi meint abends am Telefon, ich wäre gestern „komisch“ gewesen. Ich kann absolut nicht verstehen, was er meint. Schließlich war ich einfach nur fröhlich und ausgelassen. Er macht mir Vorwürfe und zählt auf, was ich alles „falsch“ gemacht habe. Beispielsweise hätte ich mich aufgespielt, sei nicht oft genug zu ihm hingegangen und außerdem habe ich erst noch etwas aufräumen müssen, bevor ich mich zu ihm aufs Bett gesetzt habe. Puh, das ist so anstrengend! Schließlich haben wir eine Beziehung und das ist kein Wettbewerb, bei dem einer gewinnt und der andere verliert. Aber irgendwie kommt es mir so vor. Wütend beende ich das Telefonat und die nächsten zwei Tage herrscht einmal Funkstille, auch wenn mir das richtig schwerfällt. Denn ich bin nach wie vor der Meinung, nichts falsch gemacht zu haben und diese Ungerechtigkeit steigert meine Wut und Anspannung. Es kommt sogar so weit, dass ich mich wieder ritze, weil ich dem Druck nicht standhalten kann. So langsam stelle ich mir die Frage, ob ich in meinem Leben gute Entscheidungen getroffen habe. War es richtig meinen „Vince-Schatz“ für Andi aufzugeben? Wie kam es überhaupt dazu, wo ich doch Vincent wirklich geliebt habe und es so schön mit ihm war?
Kapitel 9
„Summer heat, boy and girl meat, but oh, oh the summer nights.“ -
aus Grease
Rückblick
Die ersten Monate unserer Beziehung (also der von Vincent und mir) waren wirklich himmlisch und ich genoss es unwahrscheinlich, zum ersten Mal in meinem Leben eine Person zu lieben, die mich auch zurück liebte. Ich war sogar in der Lage, diese Liebe auszusprechen und konnte gar nicht oft genug hören, dass es schön mit mir sei und er froh sei, mich gefunden zu haben. Es war schlichtweg perfekt, in jederlei Hinsicht. Wir waren anfangs auch bei verschiedenen Veranstaltungen: Konzerte, Feiern mit Freunden oder Treffen im Rahmen meines Schüleraustausches mit Frankreich. Dabei war für mich das wichtigste, in seiner Nähe zu sein und auch, dass alle sehen konnten: „Er gehört zu mir!“
Nach und nach verbrachten wir immer mehr Abende zu Hause bei ihm und oft kamen Freunde zu Besuch, sodass mir schon fast die Zeit allein mit ihm fehlte. Fast zwei Monate waren vergangen und wir hatten noch nicht miteinander geschlafen. Ich wollte es so sehr, hatte aber Angst davor, weil mein bisheriger Erfahrungsschatz gegen Null ging. Eines Abends fasste ich all meinen Mut zusammen und sprach das Thema an. Vincent reagierte sehr einfühlsam auf meine ehrliche Äußerung und sagte, dass es aus Liebe passieren wird, wenn ich so weit bin und er würde niemals Druck in diese Richtung aufbauen. Ich war beinahe fassungslos von dieser Reaktion, es schien mir alles zu perfekt um wahr zu sein! Als ich dann ein paar Wochen später bei ihm übernachtete, kam es aber doch schon zu unserem ersten mal Sex und ich fand Gefallen daran, sodass es mir gar nicht genug sein konnte. Ich hoffte jedes Mal, wenn ich bei ihm war, dass wir nicht gestört wurden und weiter „üben“ konnten. Vincent war ebenfalls zufrieden mit unserem beginnenden Sexleben und machte mir immer wieder Komplimente, die mir sehr schmeichelten.
Als das Schuljahr zu Ende war, fuhren wir zusammen mit einem befreundeten Pärchen ein paar Kilometer von zu Hause weg und zelteten an einem Fluss. Wir grillten und saßen dann klassisch mit Gitarre am Lagerfeuer und stimmten uns auf die Sommerferien ein. Endlich können wir so richtig viel Zeit miteinander verbringen! Auf diesen idyllischen Abend folgte ein wunderbarer Sommer bei Rekordtemperaturen. Höhepunkt war definitiv das Chiemsee Reggae Summer Festival. Vier Tage weg von zu Hause, chillige Musik, wunderbares Wetter, Baden am Fluss auf dem Festivalgelände, Alkohol, Drogen und Sex. Wow! So stellte ich mir mein Leben vor, ein Traum!
Leider endete auch der schönste Sommer einmal und der Alltag kehrte wieder ein. Vincent ging nun auch zur Schule, er wollte auf der Fachhochschule sein Abitur nachholen, ich war in der Kollegstufe mit meinen gewählten Leistungskursen Latein und Sozialkunde/Geschichte. So hatten wir unter der Woche nur wenig Gelegenheit uns zu treffen. Ich war gut ausgelastet mit meinem Hobby, dem Singen im Chor und dem Lernen für Klausuren. Immer wieder spürte ich aber den Drang nach Ausgleich und da reichte es mir nicht immer, das Wochenende im Wohnzimmer von Vincent vor dem Fernseher zu verbringen. So langsam zog es mich wieder raus. Ich wünschte mir wieder mehr Party und vor allem das Abtanzen im Happy Rock fehlte mir. Es fühlte sich so an, als würde mein „altes Ich“ zurückkommen, ich vermisste mein „geiles Schlampenleben“. Dennoch wollte ich mich beherrschen und das laute Schreien nach Freiheit und Ausgelassenheit in mir unterdrücken. Mir war klar, dass der Weg mit Vincent der Richtige sei, das echte Leben. Schließlich waren wir ja wirklich glücklich miteinander.
Allerdings bekam unser Glück langsam Risse. Das Thema Sex entwickelte sich immer mehr zum Streitthema. Er kam meiner unstillbaren Gier nicht nach und ich wurde immer öfter mit Ausreden enttäuscht. Mal war er müde, mal krank, mal total fertig vom Lernen und und und. Es schien, als würden ihm die Gründe nie ausgehen. Diese Zurückweisung nagte natürlich an meinem Selbstwertgefühl. War ich mal wieder nicht gut genug? Hatte ich etwas falsch gemacht? Ich sehnte mich wieder nach Bestätigung und Komplimenten von anderen Männern, besonders von denen, die ich attraktiv und interessant fand. Plötzlich war auch mein 18. Geburtstag da und ich durfte endlich wieder ins Happy Rock. Die letzten Monate war das eher schwierig, weil sehr strenge Kontrollen von Securities durchgeführt worden waren, mit dem Ziel, Minderjährigen den Zutritt zu verwehren. Ich fühlte mich nun frei, hatte ein Auto und konnte jederzeit dorthin fahren, wo ich wollte, mit wem ich wollte. In mir entstand ein innerer Zwiespalt, der langsam wuchs. Es drängte mich wieder nach draußen, ins nächtliche Partyleben mit Tanzen, Alkohol und Flirten. Auf der anderen Seite hatte ich meinen sicheren Hafen: das brave Leben mit Vincent, den ich wirklich von ganzen Herzen liebte. Jedoch hatte dieser sich zu einem Langweiler entwickelt und er wollte nie mit, wenn ein Konzert stattfand und ins Happy Rock schon gar nicht. Sogar an unserem Gymball, den in diesem Jahr wir als 12. Klasse des Gymnasiums ausgerichtet hatten, fuhr er früh nach Hause und ließ mich alleine zurück. Mir blieb also nichts anderes übrig als einen Kompromiss zu finden, denn ich wollte weder Vincent noch das Happy Rock oder sonstige Partys aufgeben. Also verbrachte ich den Freitag- oder Samstagabend zuerst bei Vincent und fuhr anschließend ins Happy Rock, um Spaß zu haben. Dabei entwickelte sich mit einem Jungen, der eine Jahrgangsstufe über mir an der Schule war, eine enge Freundschaft, die sich bereits zuvor bei einem Austausch in Spanien angebahnt hatte. Dort waren wir im Rahmen einer Konzertreise mit der Musikschule zu Gast. Maximilian war der Stargeiger des Jugendorchesters, während ich mit meiner Blockflötengruppe auftrat. Mit ihm konnte ich endlich über all das reden, was mich belastete und er erzählte mir im Gegenzug seine Probleme.
Mit der Zeit unternahm ich immer mehr mit Maximilian und seiner Clique, der auch einige meiner Freundinnen angehörten. Mein Freundeskreis erweiterte sich laufend, wodurch ich fast nur noch unterwegs war, meist ohne Vincent. Es störte mich aber nicht allzu sehr; pro Forma ja, wenn ich aber ehrlich zu mir selbst war, genoss ich es ohne ihn. Die vielen Komplimente und „Liebesbeichten“ in die Richtung: „damals wollte ich ja eigentlich was von dir, aber ich habe mich nicht getraut...“ bauten mich auf und stärkten mein Selbstbewusstsein, was ich angesichts meiner leicht kriselnden Beziehung sehr gut brauchen konnte. Im Sommer bei meiner „Sturmfrei-Party“, die stattfand, als Vincent mit einem Freund in Irland unterwegs war, küsste ich sogar einen Anderen. Ich hatte danach zwar ein schlechtes Gewissen, versuchte es aber bestmöglich zu verdrängen.
Inzwischen hatte ich mich auch mit Nicole angefreundet. Sie war eine Klasse über mir, hatte also gerade ihr Abi gemacht und war überglücklich, weil sie nach langem Suchen endlich ihren „Traumprinzen“ kennenlernen durfte. Natürlich stellte sie mir ihren Andi auch vor, der mich nicht die Bohne interessierte. Er sah normal und langweilig aus, zwar ganz süß, aber nicht mein Fall – ich hingegen seiner schon. Er verhielt sich nicht unbedingt prinzenmäßig ihr gegenüber – im Gegenteil. Immer wieder suchte er das Gespräch mit mir und war mir sehr zugewandt. So etwas konnte ich jetzt aber wirklich nicht brauchen, denn ich hatte sowieso schon genug zu kämpfen mit meinem Leben. Ganz meinem inneren Impuls zum Trotz versuchte ich verzweifelt, die Beziehung mit Vincent am Leben zu halten, klammerte mich an unseren ersten traumhaften Sommer. Aber es ist schwer, Vergangenes wiederbeleben zu wollen. So waren der diesjährige Ausflug zum Zelten sowie das Festival am Chiemsee zwar schön, aber kamen niemals mehr an die Erinnerung an das letzte Jahr heran. Dagegen wuchs mein Drang nach Freiheit. Um den ganzen Kämpfen in meinem Inneren noch eins drauf zu setzen, begann mein letztes Schuljahr, das mit dem erfolgreichen Bestehen des Abiturs enden sollte.
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