Kitabı oku: «Traumfänger»

Yazı tipi:

Jason Brügger

Traumfänger

Jason Brügger

Traumfänger

Ein Leben zwischen Höhen und Tiefen


Copyright ©2018 Cameo Verlag GmbH, Bern

Alle Rechte vorbehalten.

Redaktion: Franziska Keller, Einsiedeln

Lektorat: Katja Völkel, Dresden

Umschlaggestaltung: Cameo Verlag GmbH, Bern

Umschlagabbildung: Remo Neuhaus, Rubigen

Layout und Satz: Cameo Verlag GmbH, Bern

ISBN: 978-3-906287-48-5

Printed in Switzerland

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Meine Träume

Der kleine Rebell

Eine Löwenfamilie

Eine schwierige Verwandschaft

Niveauwechsel auf eigene Faust

Coming-out mit 16

Ich folge meinem Traum - oder doch nicht?

«Step by step»

Zirkusschule Kanada

Meine persönliche Lebensschule

Der Traum wird wahr

Beim Cicus Monti

Ein unerwartetes Abenteuer

Das große Casting

«Run boy run»

Ikarus

Plötzlich stehst du in der Öffentlichkeit

Motivation für andere

Freunde kommen und gehen

Da sind noch mehr Träume in mir

Die Zeit danach

Ich lebe in zwei Welten

Beim Circus Knie

Meine Höhenangst

Das Spiel mit dem Leben

Mein Körper ist mein Kapital

Mentale Stärke und positive Energie

Entgegen der Scheinwelt

Bombo, mein kleiner Sportmops

Das Leben leben

Im Libanon

Mein Wohlfühlort

Auch du bist ein Traumfänger

Mein Dank

In Liebe für meine Löwenfamilie

Vorwort

Vor der Bodenseearena kämpfe ich mich durch die vielen angereisten Fans, welche sich schon Stunden vor dem Finale von «Die grössten Schweizer Talente» versammelt haben und auf das große Spektakel warten. Die Hauptproben sind bereits in vollem Gang. Als ich die Halle durch den Seiteneingang betrete, sehe ich den jungen Artisten mit seinen großen Kunst-Flügeln zum ersten Mal live auf der Bühne. Was für ein majestätischer Anblick! Obwohl ich schon viele Jahre im Showbusiness tätig bin, läuft es mir kalt den Rücken herunter. Was gerade meine Augen erblicken, ist einfach nur unglaublich. Was für eine Inszenierung! Was für ein Talent! Eine Show mit so viel Kraft und gebündelter Emotion habe ich schon lange nicht mehr gesehen.

Der Abend in der Arena war voller spannender Momente. Die Konkurrenz war riesig und äußerst stark aufgestellt, die Spannung schier unerträglich. Würde Jason seine Nummer an den Strapaten ohne Fehler abrufen können? Würde er mit der gleichen Energie wie bei den Proben vor einem Millionenpublikum am Fernseher bestehen?

Es kam tatsächlich so: Jason Brügger begeisterte mit seiner Ikarus-Nummer auf der ganzen Linie und gewann die beliebte Casting-Show sogar mit riesigem Vorsprung. An der anschließenden Siegesfeier wurde er derart belagert, dass ich ihm nicht mal persönlich gratulieren konnte.

Ein paar Tage später bekam ich einen Anruf von Jonny Fischer, welcher mir am Telefon eindrücklich schilderte, dass Hunderte von Anfragen an Jason eingingen und dass er mich als seinen Manager empfohlen habe. Das eine führte zum anderen und ich traf mich kurz darauf mit Jason Brügger an seinem Wohnort in Basel. Ich erlebte Jason vom ersten Augenblick an als eine Persönlichkeit mit starkem Charakter und gleichzeitig als einen bescheidenen Menschen, der das Herz am rechten Fleck trägt. Wir beide haben uns auf Anhieb gut verstanden.

Jason Brügger hat sich schnell entschieden, den Künstlervertrag bei meiner Firma «Plan B Entertainment GmbH» zu unterschreiben. Damit begann ein neues Kapitel in der Karriere von Jason Brügger. Er hatte eine Casting-Show gewonnen, was jedoch nicht immer bleibenden Erfolg verheißt. Im Gegensatz zu anderen Gewinnern blieb er aber keine Eintagsfliege, an die sich schon bald niemand mehr erinnern konnte. Seine dreijährige Ausbildung zum Zirkus-Artisten in Montreal gab Jason das nötige Fundament. Es bot ihm die Möglichkeit, sich zu einem der besten Artisten weltweit zu entwickeln. Der Weg war bereitet: Jason trat an den größten Events in ganz Europa auf, feierte Erfolge im Varieté-Theater GOP sowie im Circus Flic Flac in Deutschland und wurde schließlich vom Schweizer National-Zirkus Knie für eine Tournee engagiert. Sogar der oft unzimperliche Dieter Bohlen war derart begeistert, dass er Jason an der deutschen TV-Show «Das Supertalent» auf RTL auffallend lang lobte.

«Traumfänger – Ein Leben zwischen Höhen und Tiefen» ist nicht nur der Buchtitel, sondern gleichzeitig Inhalt und Programm. Jason Brügger zeigt den Lesern in seinem Werk eindrücklich auf, wie man persönliche Ziele erreicht, welche für nicht wenige als unerreichbar gelten. Er hat in seinem Leben gelernt, sich allen Widerständen zu stellen und sich durchzukämpfen. Je unmöglicher ein Ziel war, desto beharrlicher hat Jason darauf hingearbeitet. Die Kindheit von Jason war nicht nur eitel Sonnenschein, sondern auch durch negative Erlebnisse geprägt. Diese Tatsache hat aus ihm den Menschen gemacht, der er heute ist. Seine Geschichte zeigt auf, wie ein Artist trotz Höhenangst unter der Zirkuskuppel oder in einem Ballon in mehr als 30 Meter Höhe schweben kann. Oder wie man Schwindelanfälle kontrollieren kann, die bei vielen Menschen zu einem beruflichen oder persönlichen Stillstand führen.

Trotz des Erfolgs in den Lüften ist Jason als Mensch auf dem Boden geblieben. So genießt er es, wenn immer möglich, Zeit mit seiner Familie zu verbringen. Und wo Jason ist, ist auch sein Hund Bombo. Er ist ein Mensch, der gerne und viel lacht, und er liebt es, mit seinen Freunden herumzualbern. Trotz all der Herausforderungen und des Stresses konnte er sich seine sprichwörtliche Fröhlichkeit bewahren. Was ursprünglich als Geschäftsbeziehung zwischen mir und Jason begann, ist heute zu einer tragfähigen Freundschaft gewachsen.

Jason ist ein ausgesprochen sensibler Künstler. Ich bin überzeugt, dass es nur feinfühlige Menschen fertigbringen, mit einem Auftritt die Emotionen bei anderen derart intensiv zu wecken. Wenn man Jason in der Manege zuschaut, spürt man diese außergewöhnliche Energie sofort und das macht ihn ganz klar zu einem Ausnahmeartisten. Er versteht es wie kein anderer, die Herzen der Zuschauer zu berühren.

Mit seiner persönlichen Geschichte macht Jason allen Menschen Mut, welche ähnliche Schicksale erlebt haben oder die gerade durch schwere Zeiten gehen. Jason möchte den Menschen so viel wie möglich zurückgeben von seinem Erfolg. Dazu gehört auch sein Projekt im Libanon, wo er traumatisierten Flüchtlingen mit Gehörproblemen durch sein Engagement Mut machen will. Jason Brügger kann für viele Menschen ein Vorbild sein. Er beweist mit seiner unbeirrbaren Tatkraft, dass man sein Leben meistern kann. Das bedeutet auch, dass man sein Schicksal nicht immer vollumfänglich akzeptieren muss, sondern es selber in die Hand nehmen kann.

Ich habe in all den Jahren im Showbusiness die Erfahrung gemacht, dass nur authentische Menschen mit einem außergewöhnlichen Talent und mit dem richtigen Charisma als Künstler langfristig Erfolg haben werden. Jason Brügger verfügt über all diese Eigenschaften, und deshalb werden wir auch in Zukunft noch viel vom ihm hören und sehen, sei es in der Schweiz oder auf der ganzen weiten Welt.

Ich wünsche Ihnen allen viele spannende Momente bei der Lektüre seines ersten Buches.

Edgar P. Lehmann

Meine Träume

Eigentlich waren sie schon immer da, schlummerten tief in mir drin: Meine Träume – kleine und große. Einzelne verhielten sich ganz still, andere regten sich und wollten gelebt werden. Einer von ihnen war besonders groß: Der Traum, als Artist um die Welt zu reisen und auf den ganz großen Bühnen zu stehen. Und dann war es meine Schwester, die mir den ersten Schritt zu diesem Weg vormachte. Sie war bereits Mitglied im Jugend Circus Basilisk und durfte fleißig auf das große Ziel hintrainieren. Denn während des Winters bereiteten sich die Kinder und Jugendlichen auf eine richtige Zirkustournee vor. Ich, der zwei Jahre jüngere Bruder, war eigentlich noch zu klein, um auch dabei zu sein. Doch das hielt mich nicht davon ab, es auch zu probieren. Und als ich das Einrad meiner Nachbarn ausleihen durfte, übte ich stundenlang. Da war wohl schon damals dieser Ehrgeiz in mir, zu üben, bis ich es konnte. Ich stieg auf, schaffte eine Umdrehung, fiel wieder hin, stieg wieder auf – dies hunderte von Malen. Bis ich zum ersten Mal oben blieb. Es war ein wunderbares Gefühl. Von diesem Tag an war das kleine rote Einrad mein ständiger Begleiter.

Ich war zu diesem Zeitpunkt gerade mal vier Jahre alt. Und als ich meine Schwester Stephanie einmal in ihrer Zirkusprobe besuchte, beobachteten mich die anderen Kinder, wie ich behände auf meinem kleinen Einrad in der Gegend herumkurvte und ich durfte von nun an – obwohl ich noch etwas zu jung war – bei ihnen mitmachen. Erst einmal pro Woche, dann mehrmals. Ja, und da war es um mich geschehen.

Im Sommer gingen wir auf Tournee. Dann die erste Aufführung vor Publikum. Ich als Kleinster inmitten der anderen Einradfahrerinnen und Einradfahrer mit silbrigen Rädern und ich mit dem roten. Ich war so glücklich – unbewusst fühlte ich schon damals, dass ich angekommen war: im Zirkus. Dahin wollte ich und nirgendwo anders. Sehr gerne nehme ich euch mit auf dieses Abenteuer meines jungen Lebens zwischen Höhen und Tiefen.

Ein sensibles Kind

Doch da lag halt erst noch die obligatorische Schulzeit dazwischen. Und die war nicht so einfach für mich. Ich sei ein sensibles Kind, hörte ich immer wieder. War das jetzt eine gute oder eine schlechte Eigenschaft? Weil ich das selbst nicht richtig einordnen konnte, erachtete ich meine Sensibilität als negativ. Ich spielte gerne mit einem Mädchen, sie war meine beste Freundin, und die anderen Jungs der Klasse lachten mich deshalb aus. Sie betitelten mich als «Schwuler». Und nicht nur einmal wurde ich deshalb auch verprügelt. Nur weil ich gerne mit Mädchen spielte? War ich denn so anders als die anderen?

So begann ich Fußball zu spielen, um den anderen Jungs ähnlich zu scheinen. Spaß daran hatte ich mittelmäßig, aber ich gehörte wenigstens dazu. Nein, eigentlich gehörte ich nicht richtig dazu, die anderen merkten bald, dass es um meine Ballkünste nicht allzu hoch stand. In den Zeiten, als sich meine Mitschüler über mich lustig machten, fühlte ich mich elend und war überzeugt davon, dass alle anderen Menschen tausendmal besser wären als ich. Ich war ein wunderbares Mobbingopfer und ich brauchte lange, bis ich realisierte, dass nicht nur ich das Problem für sie war – sie selbst hatten ein Problem. Eines, das sie veranlasste, einen anderen Menschen seelisch zu zerstören, einen Jungen, «der halt anders ist, so anders, der Gefühle zeigt und mit Mädchen spielt, die Schwuchtel halt».

Ich fühlte mich nicht mehr wohl in meiner eigenen Klasse, fraß alles in mich hinein, wurde schweigsam, und als ich realisierte, dass auch meine Primarlehrerin mit mir extrem Mühe bekam, entwickelte sich dies zu einer richtiggehenden Abwärtsspirale nach unten. Einmal auf dem Nachhauseweg ging ich einigen meiner Mitschüler, da wir denselben Heimweg hatten, in einem gewissen Abstand hinterher, wollte aber nicht von ihnen bemerkt werden. Da zog plötzlich einer von ihnen eine «Käpselipistole» hervor und schoss damit durchs offene Fenster unseres Klassenzimmers. Leider wurden sie in dem Moment vom Hausmeister beobachtet und am nächsten Tag von der Lehrerin vor die ganze Schulklasse zitiert – zur großen Freude der Mitschüler wurde aber auch mein Name genannt. Ich musste darauf dieselbe Strafe wie die anderen Jungs ausführen. Dies empfand ich als ungerecht und es war bei mir der Anlass, welcher das Fass zum Überlaufen brachte. Ich begann, mich zum allersten Mal zu wehren.

In einem Brief an alle Eltern der gesamten Schulklasse schrieb die Lehrerin daraufhin, dass die fünfte Klasse aus diversen Gründen für Schülerinnen und Schüler nicht einfach sei, vor allem die Buben würden vermehrt Grenzen und Orientierung suchen und aus einer Unsicherheit heraus Kräfte messen. Meine Lehrerin erkannte man schon immer von weitem an ihrem zackigen Schritt. Stets trug sie eine rote Baskenmütze, unter der ihre kurzen grauen Haare hervorlugten. Ihr Blick erschien stets leer, da war kein Strahlen in ihren Augen, und ihre Stimme war irgendwie tonlos, was bei mir ein unbeschreiblich unangenehmes Gefühl auslöste.

All ihre Erfahrungen wusste sie aus ihrer langen Tätigkeit als Lehrerin und schließlich waren alle Jungs ja so. Mit mir konnte sie gar nicht umgehen, stellte mich vermehrt bloß und ich wurde immer mehr zu einem Außenseiter. Ich, der Kleinste aus der ganzen Klasse, mit einem Selbstwertgefühl unter null.

Der kleine Rebell

Nach unzähligen weiteren Ungerechtigkeiten, vielen ungelösten Problemen und tiefer Frustration hatte ich kurz vor meinem elften Geburtstag eine Art Nervenzusammenbruch. Ich weinte nur noch und erklärte meiner Mutter, dass ich nicht mehr leben wolle, wenn ich nur noch einmal in diese Schule zurückgehen müsste. Meine Eltern nahmen diese Äußerung sehr ernst. Trotzdem durfte ich aber nur einen einzigen Tag daheimbleiben und ließ mich nur mit gutem Zureden umstimmen, nachdem mir meine Mutter versichert hatte, dass sie mich in die Schule begleiten und mit meiner Lehrerin reden würde. Sie würde ihr von meinem ungeheuerlichen Leidensdruck erzählen, den wahrscheinlich niemand, schon gar nicht meine Lehrerin, abschätzen konnte.

Als meine Mutter gegangen war, schaute die Lehrerin mich streng an. Ich spürte in dem Moment ganz tief in mir: Diese Frau mag mich nicht. Und vor der ganzen Klasse sagte sie, meine Mutter sei böse, so kam es bei mir an. Ich fühlte mich gedemütigt und splitterfasernackt vor der ganzen Klasse – meine Seele schrie. In ihrem Verhalten mir und meiner Mutter gegenüber bestärkte sie die Ungerechtigkeiten, die meine Mitschüler mir gegenüber all die Jahre gezeigt hatten. Und da kam er: der Moment, als ich zum kleinen Rebell wurde.

Ich stand auf, alle schauten mich an, ich blickte zur Tür und rannte los. Rannte so schnell meine kleinen Beine mich trugen und so schnell, wie ich nie zuvor gerannt war. Mein Gesicht war nass von meinen Tränen und mein einziger Gedanke war: «Dahin geh ich nie mehr zurück!»

Ich wollte nicht mehr existieren, war absolut zerstört. Ich wollte nicht mehr da sein; weder in der Schule, noch sonst wo. Mit Sorge bemerkten meine Eltern zu genau dieser Zeit, wie ich, der Kleine, Schüchterne auch daheim begann, meine Geschwister zu ärgern, um meine innere Unzufriedenheit an ihnen rauszulassen. Es folgten Abklärungen und Gespräche mit einem Arzt, dem Schulpsychologen, meinen Eltern und der Lehrerin. Als es wieder eskalierte und die Situation irreparabel geworden war, wurde ich kurzfristig freigestellt: drei Monate vor dem Übertritt in die Oberstufe.

Um zwischenzeitlich nicht noch eine andere Klasse besuchen zu müssen, bis alle Abklärungen getroffen waren, entschieden sich meine Eltern für ein Beschäftigungsprogramm zuhause; ich verbrachte viel Zeit draußen in der Natur, mit unseren Tieren, freute mich aufs Trainieren im Circus Basilisk, wo man mich so nahm und genauso schätzte, wie ich war, und spielte stundenlang am Tag Playmobil. Mit meinen Figuren zusammen konnte ich mir eine eigene Welt aufbauen – in dieser Fantasiewelt fühlte ich mich aufgehoben und geborgen. Da war keine Lehrerin, die mich bis ins Innerste traf, da waren keine Mitschüler, die mich mobbten oder verprügelten, weil ich eine beste Freundin anstelle eines besten Freundes hatte. Hier in dieser Fantasiewelt war ich in Ordnung. Ich schätzte diese Wochen daheim sehr und kämpfte mich Schritt für Schritt wieder nach oben – und zu mir selbst. Ohne Einflüsse von außen.

Casting für Ovomaltine

Zur selben Zeit rief eine Sachbearbeiterin von Ovomaltine beim Circus Basilisk an, auf der Suche nach einem Jungen, der einen Salto machen konnte. Die Zuständige vom Jugendzirkus schlug zwei Jungs vor – einer davon war ich. Das war gerade in der Zeit, als es mir so richtig schlecht ging. Ich hatte null Selbstbewusstsein und hätte vor der Kamera stehen und etwas aufführen sollen, wofür mich meine Mitschüler ständig ausgelacht hatten. Nur schon die Tatsache, dass ich überhaupt die Chance bekam, meinen Salto vorzuzeigen, erfüllte mich mit einer unglaublichen Freude. Fremde Menschen wollten etwas von mir sehen, das ich gut konnte.

Ich machte es. Zusammen mit meinem Vater fuhren wir ins Tessin, wo das Casting stattfand, und sie waren mit meiner Leistung zufrieden. Sie waren mit meiner Leistung tatsächlich zufrieden! Da war jemand außerhalb meiner Familie, der anerkannte, was ich konnte. Und ich bekam den Auftrag.

Klar war das eigentlich nur ein kleiner Erfolg, aber für mich bedeutete dies immens mehr. Ich war innerlich so froh, glücklich und dankbar. Nicht nur für mich, sondern in erster Linie für meine Eltern. Sie hatten durch mich in der vergangenen Zeit so viel Ärger und Leid gehabt, hatten sich so sehr für mich eingesetzt, mich unterstützt und angenommen, obwohl ich anscheinend so anders war als andere Jungs. Und doch hatten sie durch all die Probleme und Anfechtungen hindurch immer an mich geglaubt.

Dieser Salto bei Ovomaltine war ein kleiner Teilerfolg, durch den ich ihnen beweisen konnte: Ich kann das. Ich kann mit meiner Liebe zur Akrobatik einen kleinen Erfolg haben. Und ich verdiente durch dieses Casting sogar mein erstes Taschengeld. Die Ovomaltinewerbung wurde daraufhin im Fernsehen ausgestrahlt und man sah mich etwa eine hundertstel Sekunde lang auf dem Bildschirm. Man musste mich fast suchen – trotzdem war ich sehr stolz darüber.

Eine Löwenfamilie

Durch meine Eltern spürte ich während der ganzen schlimmen Schulzeit immer, dass ich nicht falsch war. Ja, ich war wohl anders als andere Kinder, viel sensibler. Ich spürte Dinge und wusste Sachen, über die sich die anderen Kinder wahrscheinlich noch gar keine Gedanken machten. Ich war immer sehr kreativ und einfallsreich, hatte viel Energie und konnte meine eigenen Ideen umsetzen. Und ich wurde nach meiner Auszeit von der Schule daheim wieder angenehm, vertrug mich auch wieder mit Stephanie, der Ältesten, und den jüngeren Brüdern Dennis und Tim.

Wir vier waren ein wunderbares Gespann und zu sechst bildeten wir «die Löwenfamilie». Wir konnten wieder viel unbeschwerter die Freizeit zusammen erleben – mit und ohne Streit, manchmal wegen lächerlicher Kleinigkeiten. Es lief bei uns eben immer etwas. Meine Eltern schafften es, mir die unbeschwerte Kindheit wieder zurückzubringen.

Die Trainingsstunden im Circus Basilisk wurden für mich zum Highlight der Woche. Nach der Nummer mit dem Einradfahren kamen Boden- und Luftakrobatik dazu. Ich durfte in die Luft und fühlte mich frei und glücklich am Trapez. Außer vielleicht in dem einzigen Moment, als während einer Aufführung meine Hose riss, oops … Die Trainer gaben mir, wie den etwa vierzig anderen Kindern und Jugendlichen, die Gelegenheit, alles Mögliche auszuprobieren.

Neben meiner älteren Schwester Stephanie kamen irgendwann auch meine beiden jüngeren Brüder zum Basilisk. Es war für mich mein zweites Zuhause. Eigentlich schon erstaunlich, dass wir vier diese Zirkuseuphorie in uns trugen, obwohl weder Mutter noch Vater aus einer Zirkusfamilie abstammen – da fließt kein Tropfen Zirkusblut in ihren Adern – oder vielleicht doch? Wer weiß …

Mit 14 Jahren bewarben sich drei meiner Zirkusfreunde und ich an einem internationalen Zirkusfestival in Dresden. Große Aufregung und Vorfreude herrschte auf unseren Auftritt hin. Es war ein einzigartiges Erlebnis und wir gewannen den unglaublichen zweiten Platz. Wie war das Seelenbalsam für mich, im Sinne von: «Ich kann doch etwas.» Ich durfte zum ersten Mal in meinem jungen Leben auf einer riesigen Bühne stehen. Die Auftritte im Jugend Circus Basilisk fanden ja eher im kleinen Rahmen statt. Und als ich da im Scheinwerferlicht auf dieser immensen Bühne stand, wusste ich, ich will das. Genau das.

Wir vier

Wir vier sind so verschieden wie die vier Jahreszeiten und trotzdem sind wir eine Einheit. Mit meinen Geschwistern erlebte ich bisher meine schönsten, aber auch meine schwierigsten Zeiten. Sie sind wohl das schönste Geschenk, das mir meine Eltern gemacht haben. Nie wäre ich ohne sie das geworden, was ich jetzt bin. Sie machen mein Leben so viel besser.

Wir sind mehrere Male während meiner Kindheit umgezogen. Die schönsten Erinnerungen haben wir jedoch alle an unser Zuhause in einem dreihundertjährigen Riegelbau mit grünen Fensterläden am Arishofweg im Dorfkern von Allschwil. Hinter dem Haus lag unser Garten, vorne plätscherte ein alter Brunnen, der stets von unserer krummen Birke beschattet wurde, und durch den benachbarten Wald schlängelte sich der kleine Bach, an dem wir vier uns stundenlang vergnügten. Eine Holztreppe führte zu unserer Eingangstür, die nie abgeschlossen war und dadurch irgendwie auch zeigte: Herzlich willkommen. Die Holzböden knarrten unter unseren Schritten und anhand des Knarrens erkannten wir Kinder immer, wer die Treppe hochkam.

In den kalten Wintermonaten hielten wir uns gerne gemeinsam in der Stube auf, da unsere einzige Heizquelle der Holzofen war. Dort entzündete Vater frühmorgens das Feuer, um unser Heim zu wärmen. Wir mussten uns während dieser Zeit trotzdem einen Pullover und ein paar Socken mehr überziehen.

Viel lieber mochte ich den Sommer. Da konnte ich durch das kleine Fenster meines Zimmers klettern, um auf dem Nachbardach die Aussicht zu genießen und zu träumen. Herrlich, wie ich die wärmenden Sonnenstrahlen auf meiner Haut spürte. Ich beobachtete von dort, wie die Sonne langsam unterging und die Schatten immer länger wurden. Da saß ich gedankenversunken so lange, bis der Nachbar meine Eltern anrief: «Jason sitzt mal wieder auf unserem Dach!» Da war nichts, kein Anschein von Höhenangst. Ängste entwickeln sich oft erst mit der Zeit.

Manchmal heckte ich da oben neue Ideen aus, die ich dann zusammen mit Dennis und Tim ausprobieren musste. Stephanie hatte mich schneller durchschaut und ließ sich nicht mehr so einfach für all meine verrückten Ideen begeistern wie die zwei Kleinen. Beispielsweise wollte ich meinen eigenen kleinen Gemüsegarten mit Tomaten, Bohnen und verschiedenen Kräutern anlegen, aber da ich mich fürchterlich vor Würmern und Schnecken ekelte, mussten meine beiden Brüder diese schleimigen Viecher dann für mich aus dem Weg räumen. Als wir unser neues Gummiboot im Bach testen wollten, waren es wieder Dennis und Tim, die als Erste einsteigen mussten. Schließlich wollte ich nicht untergehen. Aber immer passte ich auf uns auf.

Wir vier ließen uns in dieser besonderen Umgebung neu inspirieren. Wir lachten zusammen, hatten Spaß und spielten gerne Streiche – eine unserer Nachbarinnen war unser Lieblingsziel. Inmitten unserer Nachbarschaft fühlten wir uns sehr wohl, nur sie nannten wir «die alte Hexe», weil sie jeweils hinter dem Vorhang auf uns lauerte und das Fenster öffnete, sobald wir in die Nähe kamen. Doch wir waren schneller und schon landete wieder einer unserer Wasserballone in ihrer Stube.

Unsere Eltern bekamen während unserer Kinder- und Jugendjahre wohl viele Anrufe und mussten sich oft für unsere Streiche entschuldigen, welche aber nie aus böser Absicht waren. Sie hatten wirklich enorm viel Geduld mit uns und ließen uns große Freiheit. Wir vier wuchsen in einer Zeit auf, in welcher Kinder noch Kinder sein durften. Das hat uns enorm zusammengeschweißt und ein festes Band um uns gelegt. Wir vier – eine wilde Truppe mit viel Herz.

Ich und mein Name

Interessanterweise habe ich den englischsten Namen von uns vier Kindern. Manchmal fragen mich Leute, ob Jason mein Künstlername sei. Und weil er in der Schweiz nicht so geläufig ist, wird er auch oft falsch ausgesprochen. Aber ich wurde auf genau diesen Namen getauft: Jason Lukas. Lukas, wie mein Vater. Ich denke oft, dass der Name viel über einen Menschen aussagt und vielleicht gar einen Einfluss auf dessen Werdegang hat, auch wenn ich mich noch nie eingehend damit auseinandergesetzt habe. Aber ich frage mich doch, was aus mir geworden wäre, wenn ich Urs oder Paul geheißen hätte.

Als kleiner Junge klebte ich immer an meiner Mutter, erzählt man mir immer wieder. Ich war eben ein richtiges Mami-Kind. Wir beide sind uns sehr ähnlich, pflegen denselben englischen Humor und können uns über Situationen kaputtlachen, die für andere gar nicht lustig sind – eben den schwarzen Humor. Meine Mutter ist gebürtige Engländerin, hatte da oft die Schule und den Wohnort gewechselt. Als sie mit 17 Jahren in die Schweiz gekommen war, hatte sie kein einziges Wort Schweizerdeutsch gesprochen, und dies, obwohl ihr Vater Schweizer ist – ohne den sie aber bei ihrer Mutter in England aufgewachsen ist. Und weil sie durch das ständige Umziehen selbst erfahren hatte, wie schwierig es ist, als Außenseiterin zu leben, sprach sie mit uns Kindern fast kein Englisch. Wir sollten dazugehören – überall. Das wünschte sie sich. Auch für mich. Leider gehen im Leben nicht alle Wünsche in Erfüllung. Vielleicht warten dafür aber umso größere …?

Gemeinsam können sich meine Mutter und ich uns über Dinge amüsieren, welche unsere Umwelt nicht versteht. Beispielsweise über einen gewöhnlichen Kokosnusskuchen, der halt auch nach dem Backen noch immer einen schwimmenden Teig darstellt und Mama und mich dadurch zum Tränenlachen bringt. In Momenten, in denen wir ernst und schweigsam sein sollen, schauen wir uns dann besser nicht an. Diese Vertrautheit in der Familie ist für mich unglaublich wertvoll. Da ist dieser Zusammenhalt, dieses Verständnis, eine unglaublich starke Familienbande – eben Löwenfamilie.

Die Beziehung zu meinem Vater veränderte sich im Laufe der Jahre sehr. Er hatte sich immer für uns eingesetzt, trotzdem war er viel ernster und etwas strenger mit uns. Vor ein paar Jahren brach meine Familie den Kontakt zu Mutters Ursprungsfamilie ab. Wenige Zeit später dann auch zur Ursprungsfamilie meines Vaters. Es gab leider schwerwiegende Probleme in der Verwandtschaft, aber dazu möchte ich mich später noch äußern. Seit diesem Bruch war mein Vater auf jeden Fall viel unbeschwerter, hatte keinen Druck mehr durch seine Familie, und von diesem Zeitpunkt an hatte auch ich ein viel besseres Verhältnis zu ihm. Er durfte endlich glücklich und er selbst sein. Es fühlte sich an wie eine Befreiung für uns alle. Dafür gratuliere ich meinen Eltern, aber speziell meinem Vater.

Mein Herz für Tiere

Neben meiner Familie fand ich Halt und Geborgenheit bei anderen Wesen: bei den Tieren. Zu ihnen hatte ich auch während der ganzen schlimmen Primarschulzeit immer eine gute Verbindung. Bei ihnen musste ich mich nie rechtfertigen oder erklären – bei ihnen durfte ich so sein, wie ich war. Vor allem bei Bibo, unserem herzenslieben Hund, einer Straßenmischung aus Italien, der uns irgendwann einfach adoptierte. Denn eigentlich gehörte er einem Nachbarn in unserer Straße, aber eines schönen Tages kam Bibo daher, spazierte in unsere Küche und bewegte sich nicht mehr weg. Der Nachbar, ein älterer Herr, meinte dazu: «Der hat sich euch ausgesucht!», und schenkte ihn uns daraufhin. Bibo gehörte zu uns und wir konnten uns ein Leben ohne ihn alsbald überhaupt nicht mehr vorstellen. Er war es, der mich neben meiner Mutter am besten trösten konnte. Bibo spürte immer, wenn es mir schlecht ging, kuschelte sich neben mich, als wollte er mir zeigen: «Ich mag dich, komm, bei mir darfst du einfach sein.» Später kam dann noch Charlie in einer Schuhschachtel zu uns. Damals war er noch klein und trug ein Glöckchen um den Hals, und auch er wurde zu einem lieben Freund. Ich glaube, es gibt keine treuere Seele als die des Hundes.

Als ich dann Max und Moritz, zwei kleine Hamster, geschenkt bekam, eröffnete sich für mich ein neues Hobby. Ich freute mich und pflegte die beiden, bis sich herausstellte, dass Max eine Maxine ist und eines schönen Morgens zehn kleine Babys im Käfig lagen. Erst erschraken wir, als wir die nackten, noch blinden Würmchen sahen – also vor allem meine Eltern –, doch dann beruhigte ich sie und versicherte ihnen, mich gut um die Tiere zu kümmern. So wurde ich mit gerade mal elf Jahren zum Hamsterzüchter.

Ich schaute Dokumentationen, las Bücher darüber, wollte Hintergründe zu den einzelnen Stammbäumen erfahren und züchtete verschiedene Kreuzungen. Dahinter steckte eine richtige Wissenschaft, die mich faszinierte. Ja, ich weiß, irgendwie war ich schon ein kleiner Freak. Ich telefonierte und belieferte etwa fünf Jahre lang praktisch alle Zoohandlungen in der Umgebung und besserte dadurch mein Taschengeld auf. Pro Hamster verdiente ich nämlich zwei Franken.

Einmal passierte beinahe ein Unfall während einer Lieferung. Mein Vater fuhr uns, eine Kollegin, mich und die kleinen Hamster, zur nächsten Zoohandlung. Aus Jux nahm die Kollegin ein kleines Pelztier aus der Schachtel, hielt es meinem Vater ans Ohr und konnte nicht ahnen, dass er sich vor meinen geliebten Hamstern etwas ekelte. Er erschrak furchtbar und fuhr uns fast in den Straßengraben. Wir kamen jedoch glimpflich davon. Diese Kollegin ist auch heute noch als «Nicole, der Hamsterschreck» bei uns bekannt.

Durch meine Hamsterzucht konnte ich meiner Familie zeigen, dass ich Verantwortung übernehmen konnte. Ich war nicht nur im Zirkus geschickt, sondern bewies, dass ich auch sonst ein ideenreiches Kind war. Diese lustige Geschichte erzähle ich heute noch gerne.

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