Kitabı oku: «Arbeitsrecht», sayfa 7
B. Anfechtungsgrund nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB
Fraglich ist allerdings, ob A ein Anfechtungsgrund zusteht.
Ein Anfechtungsgrund könnte sich zunächst aus § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB ergeben. Danach steht demjenigen ein Anfechtungsrecht zu, der zur Abgabe seiner Willenserklärung durch arglistige Täuschung bestimmt worden ist.
I. Arglistige Täuschung
Erste Voraussetzung ist eine Täuschung des A seitens der B. Eine Täuschung ist jedes Verhalten, das bei dem anderen einen Irrtum hervorruft. Nach der Falschbeantwortung der Frage war A der Annahme, die B sei nicht schwanger. In Wirklichkeit stellte sich die Situation aber anders dar. A befand sich also aufgrund des Verhaltens der A über diesen Umstand im Irrtum. Eine Täuschung lag folglich vor. Diese Täuschung sollte A auch zum Abschluss des Arbeitsvertrages mit B veranlassen, was er bei richtiger Würdigung der Sachlage unterlassen hätte. B handelte also auch arglistig. Tatsächlich hat A die B auch deshalb eingestellt, weil er davon ausging, dass eine Schwangerschaft der B nicht vorliege, die erforderliche Kausalität zwischen Täuschung und Vertragsschluss ist mithin zu bejahen.
II. Widerrechtlichkeit der Täuschung
Zweifelhaft scheint allerdings, ob die Täuschung auch widerrechtlich war. Dies ist nur dann der Fall, wenn die Frage des A überhaupt zulässig war. Bei der Beantwortung der Frage, ob eine Frage zulässig ist, ist stets das Interesse des Arbeitgebers, sich ein persönliches und fachliches Bild vom Bewerber zu machen, gegen das Interesse des Bewerbers am Schutz seiner Persönlichkeitsrechte (Art. 1, 2 GG) abzuwägen.
Zwar hat der Arbeitgeber ein Interesse an der Beantwortung der Frage, gerade im Hinblick auf die Einsatzfähigkeit einer schwangeren Arbeitnehmerin. Dennoch ist die Frage nach der Schwangerschaft als unzulässig zu erachten. § 3 Abs. 1 S. 2 AGG regelt eindeutig, dass eine unmittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts auch bei einer ungünstigen Behandlung wegen Schwangerschaft oder Mutterschaft gegeben ist. A durfte die Frage demnach nicht stellen, die Lüge der B auf die Frage bleibt für sie daher ohne Konsequenz. Ein Anfechtungsrecht des A nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB besteht also nicht.
C. Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtum, § 119 Abs. 2 BGB
Es handelt sich bei der Schwangerschaft nicht um einen dauerhaften Faktor, eine verkehrswesentliche Eigenschaft ist darin also nicht zu sehen. Auch ein Anfechtungsrecht nach § 119 Abs. 2 BGB besteht daher nicht.
Ergebnis
A kann sich nicht durch Anfechtung vom Arbeitsvertrag mit B lösen.
5. Abwandlung zu Übungsfall Nr. 2
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„Die vorbestrafte Schmuckverkäuferin“
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A und B befinden sich – wie auch im Fall 2 – in einem Vorstellungsgespräch, nur fragt der A die B diesmal, ob sie vorbestraft sei. B beantwortet diese Frage mit „Nein, selbstverständlich nicht“. Dabei ist ihr durchaus bewusst, dass sie vor 27 Jahren wegen Ladendiebstahls und letztes Jahr wegen einer Trunkenheitsfahrt verurteilt wurde.
Nachdem der Arbeitsvertrag geschlossen ist und B einige Zeit im Schmuckgeschäft gearbeitet hat, erfährt der A von den Vorstrafen der B. Daraufhin teilt er ihr mit, dass er den Vertrag anfechte, denn bei Kenntnis der Tatsache hätte er sie keinesfalls eingestellt.
Hat A den Vertrag wirksam angefochten?
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Lösung
A. Anfechtung gemäß § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB
I. Arglistige Täuschung
Auch in diesem Fall kommt zunächst eine Anfechtung des Vertrages aufgrund arglistiger Täuschung der B in Betracht. B hat den A durch die falsche Beantwortung der Frage nach den Vorstrafen arglistig getäuscht.
Bezüglich der Verurteilung wegen Diebstahls ist jedoch zu beachten, dass diese schon 27 Jahre zurückliegt und B sich diesbezüglich als nicht vorbestraft bezeichnen darf (vgl. § 51 BZRG). Zumindest in dieser Hinsicht durfte die B die Verurteilung verschweigen.
II. Widerrechtlichkeit
Fraglich ist, ob die Täuschung bezüglich der Vorbestrafung wegen der Trunkenheitsfahrt rechtswidrig war. Es ist zu prüfen, ob die Frage zulässig war. Bei der Beurteilung der Zulässigkeit einer Frage ist stets das Interesse des Arbeitgebers daran, sich ein persönliches und fachliches Bild vom Bewerber zu machen, gegen das Interesse des Bewerbers am Schutz seiner Persönlichkeitsrechte abzuwägen. „Intimfragen“ sind grundsätzlich als unzulässig zu erachten. Zulässig können nur solche Fragen sein, an deren Beantwortung der Arbeitgeber ein berechtigtes, billigenswertes und schutzwürdiges Interesse hat. Darunter fallen nur Fragen, die in einer konkreten Beziehung zum Arbeitsverhältnis stehen.
Die Frage nach der Vorbestrafung ist für den Arbeitgeber grundsätzlich von Bedeutung, insbesondere, wenn sie im Zusammenhang mit der zu verrichtenden Arbeitstätigkeit steht. So wäre die Frage nach Vermögensdelikten sicherlich zulässig, wenn der Bewerber sich um einen Arbeitsplatz in seinem Schmuckladen bewirbt, bei dem er auch Zugriff auf die Kasse hat. Demgegenüber ist aber nicht ersichtlich, dass die Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt für den A von erheblichem schutzwürdigen Interesse ist. B benötigt nicht notwendigerweise einen Führerschein, um der Tätigkeit als Verkäuferin nachzukommen. Diesbezüglich steht die Frage nach den Vorstrafen nicht in konkretem Zusammenhang mit der Tätigkeit. Die Verurteilung wegen einer Trunkenheitsfahrt sagt nichts aus über die Fähigkeiten oder die Zuverlässigkeit der B als Verkäuferin. Die wahrheitswidrige Beantwortung der Frage begründet demnach kein Anfechtungsrecht des A nach § 123 Abs. 1 Alt. 1 BGB.
B. Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB
Ein Anfechtungsrecht des A könnte sich aus § 119 Abs. 2 ergeben. Dazu müsste sich A bei Vertragsschluss mit der B in einem Irrtum über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der B befunden haben.
Auch die Beziehung der Person zu ihrer Umwelt kann eine Eigenschaft i.S.d. § 119 Abs. 2 sein. Allerdings kann die Verkehrswesentlichkeit nur dann bejaht werden, wenn die Eigenschaft in einem konkreten Zusammenhang mit der geschuldeten Tätigkeit steht. Diesbezüglich gilt das soeben Gesagte. Eine Anfechtungsmöglichkeit des A besteht demnach nicht.
Ergebnis
Das Arbeitsverhältnis ist nicht wirksam angefochten worden.
6. Die AGB-Kontrolle
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In der Praxis werden Arbeitsverträge oftmals vom Arbeitgeber vorformuliert. Seit der Reform des Rechts über allgemeine Geschäftsbedingungen, bei der die Regelungen des AGBG in das BGB übernommen wurden, werden diese Vorschriften auch im Arbeitsrecht angewandt. Zuvor hatte das AGBG durch eine Bereichsausnahme das Arbeitsrecht außen vor gelassen.
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Derart vorformulierte Arbeitsverträge bzw. ihre Klauseln sind nur dann wirksam, wenn sie einer AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB standhalten.
Inhaltskontrolle von Arbeitsverträgen
I.Handelt es sich bei der Vertragsklausel um eine AGB i.S.v. § 305 Abs. 1 S. 1 BGB?
Einmalige Verwendung genügtRn. 133
II.Wirksamer Einbezug
Besonderheit des § 310 Abs. 4 S. 2 BGB Rn. 135
III.Überraschende Klausel?
IV.Verdrängung durch vorrangige Individualabrede § 305b BGB?
V.Unklarheitenregelung, § 305c Abs. 2 BGB
VI.Inhaltskontrolle
1.AGB-Prüfung eröffnet? § 307 Abs. 3 BGB
2.Prüfung der inhaltlichen Wirksamkeit der Klausel
a)Klauselverbot ohne Wertungsmöglichkeit (§ 309 BGB) unter Berücksichtigung der „arbeitsrechtlichen Besonderheiten“ (§ 310 Abs. 4 S. 2 BGB)
b)Klauselverbot mit Wertungsmöglichkeit (§ 308 BGB) unter Berücksichtigung der „arbeitsrechtlichen Besonderheiten“ (§ 310 Abs. 4 S. 2 BGB)
c)Generalklausel § 307 BGB
VII.Ergebnis: Klausel unwirksam?
a) Anwendung der AGB-Kontrolle auf Arbeitsverträge
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Die grundsätzliche Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB auf Arbeitsverträge ergibt sich aus § 310 Abs. 4 BGB. Der Anwendungsbereich erstreckt sich auf Einzelarbeitsverträge. Keine Anwendung finden die §§ 305 ff. BGB auf Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen (§ 310 Abs. 4 S. 1 BGB).
Hinweis
Zu differenzieren ist bei einer Bezugnahme auf einen Tarifvertrag. Handelt es sich um einen Gesamtverweis oder einen Verweis auf einen kompletten Regelungskomplex einer einschlägigen Branche, findet keine Inhaltskontrolle statt. Denn der Tarifvertrag ist das Verhandlungsergebnis zweier gleichstarker Partner, von einer Richtigkeitsgewähr aufgrund dieser Parität ist auszugehen. Bei einem Verweis nur auf einzelne Regelungen eines branchenfremden Tarifvertrags kann hingegen eine Angemessenheit der Regelung im Gesamtkomplex des Arbeitsvertrags nicht vermutet werden. Eine Inhaltskontrolle findet hier statt.
b) Allgemeine Geschäftsbedingung
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Die Anwendbarkeit der §§ 305 ff. BGB setzt voraus, dass es sich bei den zu überprüfenden Klauseln um allgemeine Geschäftsbedingungen handelt. Gemäß § 305 Abs. 1 BGB sind allgemeine Geschäftsbedingungen alle für eine Vielzahl von Verträgen vorformulierten Vertragsbedingungen, die der Verwender der anderen Partei bei Vertragsschluss stellt.
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Aus dem allgemeinen Zivilrecht wissen Sie, dass vorformulierte Vertragsbedingungen dann als AGB gelten sollen, wenn ihre dreimalige Verwendung beabsichtigt ist. Im Arbeitsrecht besteht hier die Besonderheit, dass die einmalige Verwendung genügt gem. § 310 Abs. 3 Nr. 2, da der Arbeitnehmer als Verbraucher zu werten ist.[34]
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Bei denjenigen Bedingungen, die zwischen den Vertragsparteien „ausgehandelt“ wurden, handelt es sich hingegen nicht um AGB, § 305 Abs. 1 S. 3 BGB. Von einem Aushandeln kann aber nur dann gesprochen werden, wenn dem Arbeitnehmer tatsächlich Gestaltungsfreiheit zur Wahrung eigener Interessen eingeräumt wurde und er die reale Möglichkeit hatte, die Vertragsbedingungen zu beeinflussen.[35]
c) Wirksamer Einbezug der AGB in den Vertrag
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Weitere Voraussetzung ist der wirksame Einbezug der AGB in den Vertrag. Nach § 310 Abs. 4 S. 2 BGB ist § 305 Abs. 2 BGB nicht anwendbar. Ob die Klausel Vertragsbestandteil geworden ist, ist daher allein nach den allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen, also nach §§ 145 ff. BGB. Eine Einigung dahin gehend kann auch konkludent erfolgen.
d) Verdrängung durch vorrangige Individualabrede?
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Weiter ist zu prüfen, ob vorrangige Individualabreden bestehen, die den AGB widersprechen.
Gem. § 305b BGB hat die individuelle Vereinbarung Vorrang, sodass die AGB-Klausel als abbedungen angesehen wird.
e) Keine überraschende Klausel im Sinne von § 305c Abs. 1 BGB
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Klauseln, die nach den Umständen, insbesondere nach dem äußeren Erscheinungsbild des Vertrages, so ungewöhnlich sind, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihnen nicht zu rechnen braucht, werden gem. § 305c Abs. 1 BGB nicht Vertragsbestandteil. Infolgedessen wird deren Inhalt im Rahmen der AGB-Kontrolle nicht weiter überprüft.
Eine überraschende Klausel liegt vor, wenn sie an versteckter Stelle steht, sodass der Durchschnittsarbeitnehmer nicht mit ihrer Einordnung in den tatsächlichen Regelungskreis rechnen muss.
Beispiel
In den Regelungen zur Krankmeldung findet sich mitten im Fließtext und ohne besondere Hervorhebung eine Klausel zur Vertragsstrafe bei rechtswidriger Kündigung durch den Arbeitnehmer.
f) Auslegung
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Auf die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB wird dann zurückgegriffen, wenn die Klausel mindestens zwei Auslegungsmöglichkeiten eröffnet, die beide rechtlich vertretbar sind. Diese Zweifel bei der Auslegung der Klausel gehen zulasten des Verwenders, also des Arbeitgebers. Die für den Arbeitnehmer günstigere Auslegung findet Anwendung.
g) Die Inhaltskontrolle am Maßstab der §§ 307 Abs. 1 und 2, 308 und 309 BGB
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Zur Inhaltskontrolle gem. §§ 307 Abs. 1 und 2, 308 und 309 BGB kommt es nur für diejenigen allgemeinen Geschäftsbedingungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden, § 307 Abs. 3 BGB. Klauseln, die nur das Gesetz zitieren oder in anderen Worten wiedergeben, unterfallen daher nicht der Inhaltskontrolle.
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Zu beachten ist, dass Abreden über den unmittelbaren Gegenstand der Hauptleistung aus Gründen der Vertragsfreiheit regelmäßig keiner Inhaltskontrolle unterliegen.[36]
Beispiel
Die Höhe des Entgelts wird nicht nach den Maßstäben der §§ 305 ff. BGB überprüft.
Vergegenwärtigen Sie sich hier den Katalog der §§ 308, 309 BGB.
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Zunächst werden die Klauselverbote ohne Wertungsmöglichkeit gem. § 309 BGB geprüft.[37]
Beispiele
Vertragsstrafenabreden (§ 309 Ziff. 6 BGB); Regelungen zu Zurückbehaltungsrechten (§ 309 Ziff. 2 BGB)
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Sodann erfolgt die Prüfung der Klauselverbote mit Wertungsmöglichkeit gem. § 308 BGB.[38]
Beispiel
Versetzungsklauseln oder Widerrufsvorbehalte (§ 308 Ziff. 4 BGB).
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Falls hiernach die Klausel als wirksam zu erachten ist, muss ergänzend die Generalklausel des § 307 BGB herangezogen werden.
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Nach § 307 Abs. 1 BGB sind Bestimmungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine unangemessene Benachteiligung kann sich daraus ergeben, dass die Bestimmung nicht klar und verständlich ist, etwa aufgrund schwieriger grammatikalischer Satzkonstruktionen oder der Verwendung von Fremdwörtern oder Fachbegriffen. Auch inhaltliche Unbestimmtheiten sind hierunter zu subsumieren.
Nach § 307 Abs. 2 BGB ist eine unangemessene Benachteiligung im Zweifel dann anzunehmen, wenn eine Bestimmung mit den wesentlichen Grundgedanken der gesetzlichen Regelung, von der abgewichen wird, nicht zu vereinbaren ist, oder wesentliche Rechte oder Pflichten, die sich aus der Natur des Vertrages ergeben, so einschränkt, dass die Erreichung des Vertragszwecks gefährdet ist. Eine solche gesetzliche Regelung im Sinne des § 307 Abs. 2 BGB stellen auch die von Rechtsprechung und Lehre aufgestellten ungeschriebenen Rechtssätze dar; keine gesetzlichen Regelungen sind hingegen spezielle Kollektivvereinbarungen.
Beispiel
Der Arbeitgeber behält sich vor, die Gegenleistung einzuschränken, z.B. bei jederzeitiger Widerruflichkeit der Leistungszulage.[39]
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Bei allen Prüfungsschritten ist die Kontrollüberlegung anzustellen, ob eine Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen aufgrund der im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten gerechtfertigt ist, § 310 Abs. 4 S. 2 BGB.
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Hier ist nicht erforderlich, dass die „im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten“ ausschließlich auf dem Gebiet des Arbeitsrechts anzutreffen sind, es reicht aus, dass ihnen dort im Vergleich zu anderen Rechtsgebieten besondere Bedeutung zukommt.[40] Unter diesen Besonderheiten versteht man beispielsweise
• | den Fixschuldcharakter der Arbeitsleistung, |
• | die Höchstpersönlichkeit der Arbeitsleistung, |
• | die fehlende Vollstreckbarkeit (§ 888 Abs. 3 ZPO) des Anspruchs auf Arbeitsleistung,[41] |
• | das besondere Bestreben nach einer schnellen Klärung und Bereinigung offener Streitpunkte.[42] |
h) Rechtsfolgen
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Liegt ein Verstoß gegen eines der Verbote der §§ 307 bis 309 BGB vor, ist die Vertragsklausel unwirksam. Der Vertrag als solcher bleibt im Übrigen wirksam, § 306 Abs. 1, Abs. 3 BGB. Eine geltungserhaltende Reduktion der Klausel auf das gerade noch zulässige Maß ist abzulehnen. Dem würde der Zweck der Inhaltskontrolle, nämlich den Rechtsverkehr vor überzogenen Klauseln freizuhalten, widersprechen. Unwirksame Klauseln könnten weitgehend ohne Risiko verwendet werden, was zu Nachteilen für den Arbeitnehmer führen und gleichzeitig den Arbeitgeber unbillig bevorzugen würde. Eine Ausnahme von diesem Prinzip stellt der sog. Blue-Pencil-Test dar. Kann der unwirksame Teil einer Klausel mit Hilfe eines imaginären blauen Stiftes derart durch Streichung getrennt werden, dass eine weiterhin eigenständig sinnige Klausel bestehen bleibt, so handele es sich laut BAG um zwei eigenständige Klausel. In diesem Fall könne dann auch die unwirksame Klausel gestrichen werden.[43]
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Lesen Sie zur AGB-Kontrolle die lehrreiche Entscheidung des BAG bezüglich der arbeitsvertraglichen Vertragsstrafenabrede in BAGE 110, 8-27.
Etwaige Lücken im Vertrag werden durch dispositives Recht (§ 306 Abs. 2 BGB) oder ergänzende Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) gefüllt.
7. Betriebliche Übung
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Der Arbeitsvertrag kann praktisch ergänzt werden durch die Grundsätze der so genannten betrieblichen Übung.
Lesenswert zur Thematik der Gleichförmigkeit: BAG NJW 2015, 3326-3328.
Betriebliche Übung nennt man die regelmäßige Wiederholung bestimmter Verhaltensweisen des Arbeitgebers, aus denen der Arbeitnehmer schließen kann, ihm solle eine Vergünstigung oder Leistung auf Dauer eingeräumt werden.[44]
Grundsätzlich kann dabei jeder arbeitsrechtliche Gegenstand durch betriebliche Übung geregelt werden.
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Von der ganz überwiegenden Meinung wird in dem Verhalten des Arbeitgebers ein konkludentes Angebot gesehen, das durch den Arbeitnehmer stillschweigend angenommen werden kann, § 151 BGB.[45] Nicht entscheidend ist, ob der Arbeitgeber einen diesbezüglichen Verpflichtungswillen hatte. Es reicht aus, wenn der verständige Empfänger auf einen entsprechenden Verpflichtungswillen schließen kann, §§ 133, 157 BGB. Nur bei eindeutig klar unmissverständlichem Freiwilligkeitsvorbehalt kann ein verständiger Empfänger mit Rücksicht auf Treu und Glauben und die Verkehrssitte nicht von einem verbindlichen Vertragsangebot ausgehen.[46]
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Ab welcher Anzahl von Leistungen der Arbeitnehmer erwarten darf, dass er auch künftig die Leistung erhält, bemisst sich nach Art und Inhalt der Leistung, Dauer und Intensität der Leistung. Handelt es sich um für den Arbeitnehmer bedeutsame Leistungen, sind an die Zahl der Wiederholungen niedrigere Anforderungen zu stellen als bei weniger bedeutsameren Leistungsinhalten.[47]
Beispiel
Zahlt der Arbeitgeber drei Jahre hintereinander vorbehaltslos eine Weihnachtsgratifikation, so hat der Arbeitnehmer in Zukunft einen Anspruch darauf.[48]
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Durch die betriebliche Übung wird ein Anspruch des Arbeitnehmers für die Zukunft begründet. Der Arbeitgeber kann sich, dem allgemeinen Vertragsrecht entsprechend, nicht mehr einseitig von seiner Verpflichtung lossagen. Lösungsmöglichkeiten sind daher nur die Änderungskündigung oder ein Änderungsvertrag.
Hinweis
Die Rechtsprechung zur sog. gegenläufigen betrieblichen Übung wurde vom BAG aufgegeben, vgl. BAG vom 18.3.2009[49] – unbedingt lesen! Nach der älteren Rechtsprechung des BAG konnte ein Arbeitgeber durch sog. gegenläufige oder negative betriebliche Übung, durch mehrmalige Nichtgewährung eines Vorteils – ohne Widerspruch des Arbeitnehmers – eine zuvor entstandene betriebliche Übung aufheben.
Will der Arbeitgeber das Entstehen einer betrieblichen Übung verhindern, so muss er einen entsprechenden Vorbehalt konkret zum Ausdruck bringen (Freiwilligkeitsvorbehalt[50]).