Kitabı oku: «Dr. Katzenbergers Badereise»
JEAN PAUL
wurde 1763 in Wunsiedl geboren und starb 1825 in Bayreuth. Seine literaturgeschichtliche Einordnung fällt bis heute schwer. Er steht eher in der Tradition der englischen Satiriker wie Swift oder Sterne. Jean Pauls Werk war und ist extrem modern, seine Sprachbehandlung verspielt und luxuriös. Es wundert daher wenig, dass seine Zeitgenossen Goethe und Schiller nicht viel mit ihm anfangen konnten. Doch viele Romantiker - und vor allem die weibliche Leserschaft seiner Zeit - waren von seinen Schriften begeistert.
Jean Pauls‘ schwarzhumorige Gelehrtensatire liest sich, als wäre sie im 20. Jahrhundert entstanden: selbstreflexiv bis zum Geht-nicht-mehr, dadaistisch anmutender Sprachgebrauch und irrwitzige Wortneuschöpfungen. Jean Pauls Werke leben vor allem von seinem - beinahe verschwenderisch anmutenden - Umgang mit Sprache und Phantasie und seinem zwischen charmant-putzigem und skurril-grotesk changierendem Ton. Damit war der Autor schlicht zu modern für seine Zeit.
Zum Buch
Im Mittelpunkt dieser meisterhaften humoristischen Erzählung steht der verschrobene Professor Dr. Katzenberger mit seiner Faszination für in Spiritus eingelegte Missgeburten. Eine Badereise nach Bad Maulbronn dient dem Exzentriker als Vorwand, um den Verriss eines seiner kuriosen Bücher durch Prügel am Rezensenten zu rächen. Seine Tochter Theoda, die ihn begleitet, verliebt sich in den jungen Dichter Theodobach, der ein Geheimnis hat ...
Eine ironische Lovestory und als Hauptfigur einer der komischsten „Verrückten Professoren“ der Literaturgeschechte.
Mit einem Vorwort
von Ulrich Holbein
"Einer von den Zwanzig, für die ich mich mit der ganzen Welt prügeln würde." Arno Schmidt über Jean Paul
Jean Paul
Dr. Katzenbergers Badereise
Jean Paul
Dr. Katzenbergers
Badereise
Erzählung
Mit einem Vorwort von
Ulrich Holbein
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Der Text basiert auf der Ausgabe marixverlag, Wiesbaden 2013
Der Text wurde behutsam revidiert
nach der Ausgabe Breslau, 1823
Korrektorat: Dr. Markus Lorenz, Bonn
und David Zettler, marixverlag GmbH
Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH
Bildnachweis: akg-images GmbH, Berlin/Peter Weiss
eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main
ISBN: 978-3-8438-0335-9
INHALT
EIN VORWORT VON ULRICH HOLBEIN
ERSTES BÄNDCHEN
Vorrede
Vorrede zur zweiten Auflage
ERSTE ABTEILUNG
Anstalten zur Badreise
Reisezwecke
Ein Reisegefährte
Bona
Herr von Nieß
Fortsetzung der Abreise durch Fortsetzung des Abschieds
Fortgesetzte Fortsetzung der Abreise
Beschluss der Abreise
Halbtagfahrt nach St. Wolfgang
Mittags-Abenteuer
Wagen-Sieste
– die Avantüre –
Theodas ersten Tages Buch
Missgeburten-Adel
Hasenkrieg
Ankunft-Sitzung
Werkchen
ZWEITES BÄNDCHEN – ZWEITE ABTEILUNG
Bloße Station
Männikes Seegefecht
Mondbelustigungen
Zweiten Tages Buch
Hemmrad der Ankunft im Badeorte – Dr. Strykius
Nießiana
Ein Brief
Mittagtischreden
Musikalisches Deklamatorium
Neuer Gastrollenspieler
Nachtrag
Darum
Herr von Nieß
Tischgebet und Suppe
Aufdeckung und Sternbedeckung
Erkennszene
Abendtisch-Reden über Schauspiele
Brunnen-Beängstigungen
Theodas Brief an Bona
Herzens-Interim
Neue Mitarbeiter an allem – Bonas Brief an Theoda
Werkchen
DRITTES BÄNDCHEN – DRITTE ABTEILUNG
Wie Katzenberger seinen Gevatter und andere traktiert
Doktors Höhlen-Besuch
Theodas Höhlen-Besuch
Drei Abreisen
Theodas kürzeste Nacht der Reise
Präliminar-Frieden und Präliminar-Mord und Totschlag
Die Stuben-Treffen – der gebotene Finger zum Frieden
Ende der Reisen und Nöten
Werkchen
EIN VORWORT VON ULRICH HOLBEIN
Kotsasse... Hintersasse... Eingeweidewürmerkabinett... Fangkloben... Milchschwestern... Stockscheide... Schnepfendreck... Streitflegel... scheidekünstlen... triplizieren... blitzwunderlich... mausig... -- seltsame Worte läßt Jean Paul im ‚Dr. Katzenberger‘ und anderswo auf seine Nachgeborenen los, altertümliche Unförmlichkeiten wie „Schwanzstern“ statt Komet, oder Haarstern oder Blutzähre. Sodann: hemmungslose Fremdwörter wie Poetasterei, Haruspizien, Karyatiden, Incroyable, Sokkus, bisweilen sogar halbwegs verständliche wie homöpathisch, Gourmand oder Serenissimus, sehr gern anatomische Termini wie Bolus, melphigisches Schleimnetz oder Sphinkter, und stets a priori kuriose Eigen- und Ortsnamen: Mehlhorn, Strykius, Flex, Semmelmann, Fugnitz, Besau, Wampfe, Lumpelbach, Galgenbach, Potzneusiedl, Sterzel, Kratza und Huhl. Erwähnt wird – neben König Ninus – auch mal der heilige Stropinnus, über den selbst Wikipedia und Google noch nichts Genaueres weiß. Fast bleibt ‚Brehms Tierleben‘ zurück hinter den Tiernamen Jean Pauls nur allein im ‚Katzenberger‘, als da Säbelschnäbler, Dachsschliefer, Windfisch, Hasengeier aufzuzählen wären; mit Blutigel meint er Blutegel. Wunderliche Wortzusammenschiebungen wie Maschinen-Götter oder Stachelkomödien, süperbe Neologismen und Genitivmetaphern tummeln sich: Nettodreck und Bruttodreck, oder „das flüchtige Salz des Komischen“, „das Kindergärtchen des Verliebens“. Ergänzend zu Feindseligkeiten, Liebhaber und Edelknabe kreierte Jean Paul „Freundseligkeiten“, „Haßhaber“ und „Unedelknabe“, sowie auch nie gehörte Diminutive wie „föderative Staatkörperchen“, „Fürstchen“ (nicht mit Würstchen zu verwechseln), „Tyrannchen“, „Walfischchen“ oder „Wesenchen“ (offenbar kleine Wesen). Sein Plural von Korken lautet bevorzugt: „Körke“. Hinzu kommen schöne verrückte Adjektive: literarisches Schmiervieh, chaotische Anamorphosen, organischer Kolossus, nervöser Überzug, rinnende Blutkugeln, chemische Traktätchen, verpönter Knochendiebstahl, asiatischer Papst, womit er den Dalai Lama meint, kurzes Erwürgen, doppelte Unsterblichkeit, tröstender Himmel, trostloser Mensch, untergepflügter Dichter, durchwühlter Nachthimmel, zerstückte Gestalten, durchbohrte Bilder, zerschlagne Gebirge, eingefrorne Leichenheere, entseelte Masken, eingeäscherte Geschwister, eingedrückte Herzen, dicker Schlaf, wimmelnde Kugelschatten umlaufender Welten, dazu so anregend paradoxe Klöpse wie tödliche Freudenträne und angeborene Wunde. All diese Bausteine schießen zu wundersam absurden Satzfetzen zusammen: „schöne Natur, die schon dalag“, oder: „Die Einsamkeit der abwechselnden Wiedergeburt“, oder: „sein erstes Dagewesensein“, und zu Sätzen, Formulationen und Weisheiten wie: „Was sonst aus dem Nilschlamm halb lebendig aufwuchs, waren nur Leute“, oder: „Gott weiß, wo die Göttin jetzt ihre Ziegen melkt“, oder: „Eine Frau, die so lang ist als ein Mann, ist länger als ein Mann“ – alles Worte und Sätze, wie sie bei Dichterfürsten namens Goethe oder beliebig maßlosen Romantikern entweder nicht vorkommen oder undenkbar wären. Auch die vielen Ekel- und Trash-motive wie „das häßliche Stinken fauler Eier“ gingen vielen Normaldichtern gegen den guten Geschmack, oder gegen den ästhetischen Strich, und Goethe kanzelte literarische Produkte von Kollegen, die den Riß in der Schöpfung plus Weltschmerz überbetonten, ausfällig als „Lazarettpoesie“ ab, deren große Stunde dann erst viel später schlug, im 20. Jahrhundert, sobald Mann und Frau durch die Krebsbaracke gingen. Dinge, die Goethe selber recht kräftig ausdrückte wie „Auch so das Glück tappt unter die Menge, faßt bald des Knaben lockigte Unschuld, bald auch den kahlen schuldigen Scheitel“, drückte Jean Paul noch deutlich deftiger und saftiger aus und nannte den besagten Scheitel auch viel drastischer beim Namen: „Auf ihr sprang wohl der Todesblitz regellos unter den sorglosen Völkern umher, bald auf das heiße Mutterherz, bald auf die glatte runde Kinderstirn, bald auf die kalte Glatze oder auf die warme Rosenwange.“ Sie könnte romantischer Kitsch sein, wenn die kalte Glatze dies nicht a priori bombardierte.
Querbezüge zu späteren Zeiten und zur Gegenwart hageln reichlich: Wer Katzenberger googelt, muß erst mal krempelüberkleckert hinwegsteigen über die millionenfach angefragte Kosmetik- und Gastronomieexpertin und Kult-Blondine Daniela Katzenberger. Allerlei Jean-Paul-Experten liegen sich in den Frisuren über der These, daß man Dr. Katzenberger durchaus mit des Dritten Reiches Dr. Mengele vergleichen könne, oder eher doch nicht mit der späten Extremform der Vivisektion, mit ihrer perversen Experimentierfreude und Hang zum Erschröcklichen, die dann Lampenschirme mit Menschenhaut bespannt und Schrumpfköpfe herstellt, derweilen Katzenberger noch arglos und stimmig beweist, daß Zerrgeburten, wie er Mißgeburten auch mal abwandelt, innerhalb der Natur nichts Widernatürliches seien. Gewagte Assoziationen kann keiner stoppen, doch auch hier mag gelten: Was ihr hinein nicht gelegt, ziehet ihr nimmer heraus, und wie es sich Richard Wagner und Oscar Wilde gefallen lassen müssen, von Antisemitismusjägern herbeigezerrt und von der Schwulenbewegung vereinnahmt zu werden, so hängen auf Wunsch und Knopfdruck auch die Doktoren Katzenberger und Mengele zusammen – reine Ansichtssache.
Daß Katzenberger gern über Details beim Einspeicheln von Speisebreibrocken extemporiert oder hemmungslos Insekten verzehrt wie archaische oder zukünftige Völker, also sich „reife Kanker auf die Semmelschnitte“ legt, da zeigen sich eher Tendenzen wie beim heutigen Survival-Mann Rüdiger Nehberg, der in Talkshows brave Hackfleischklöße-Verzehrer damit schockiert, daß er problemlos Würmer und Insekten vervespert, einfach nur zwecks lebenswichtiger Proteinzufuhr. Sodann: Heutige Medizinstudenten des zweiten Semesters, die beim Sezieren in der Pathologie auch nur das allergeringste Witzchen über daliegende Leichen sich erlauben, fliegen wegen Pietätlosigkeit sofort aus dem Studium raus und dürfen nimmermehr Arzt werden, obwohl: Wo sollen sie denn alle hin, die galgenhumorigen Ärztewitze und Medizinzynismen, wenn nicht hinein in die Internistenpraxen, Kreiskankenhäuser und OP-Säle, wo Herren und Damen über Leben und Tod auch Milliardäre nicht retten können und dann recht schnell selber drankommen; auch Ärzte müssen mal zum Arzt. Jean Paul schrieb sich Menschenliebe aufs Panier, entwarf von sich das Bild eines unendlich menschenfreundlichen, hundenärrischen, tierlieben, kinderlieben Dauereuphorikers und Philantrophen, der sogar übelwollende Rezensenten manierlich behandelt, hatte also trotz satirischer und satyrischer Tendenzen und immensen Wortkeulen und Sprachknüppeln eigentlich wenig bis keine Neigung zu beißendem Spott oder ewig unversöhnlichem Sarkasmus -- wieso aber vermag dann das humane Unschuldslamm im ‚Dr. Katzenberger‘ einen waschecht geborenen Zyniker so plausibel und von innen heraus zu schildern? Und später im ‚Luftschiffer Giannozzo‘ sah er auch nicht just äußerst gnädig und konziliant aufs ameisenhaft verkleinerte Menschengewimmel herab. Wohnte etwa auch in diesem ewigen Sonnyboy und Jasager ein heimlicher Misantroph? Sowohl Jean Paul wie Arthur Schopenhauer bevorzugten die altertümliche Form „etwan“ statt „etwa“.
By the way: Daß Schopenhauer in seinem Paralipomenon ‚Über Lerm und Geräusch‘ jene Fledermäuse erwähnt, die ihre Ohren mit einer Hautklappe schließen können, wird wohl, falls das damals nicht sowieso alle zoologischen Spatzen von den Dächern pfiffen, eine Reminiszenz an seine Katzenberger-Lektüre gewesen sein?! Apropos Lärmempfindlichkeit: Richard Wagner, der in Bayreuth als Platzhirsch gern Jean Paul in die Ecke drückt, schüttete Glasscherben vor seinem Fenster aus, damit Kinder ihn dort nicht beim Komponieren stören, was Jean Paul ihm nie verziehen hätte, der vor Hauslärm und Stadtlärm in die stille Rollwenzelei flüchtete, und siehe, bei seinen elf Ratgebertipps, wie man besser durchschlafen und einschlafen könne, nennt er einen zarten bescheidenen Lärm, der in kaum industrialisierten Zeiten aber doch sehr auffallen konnte und der dadurch entsteht, dass Hunde, die auf wackligen Stühlen schlummern, sich kratzen und den Stuhl damit zu rhythmischem Klappern bringen.
Jean Pauls pausenloser Faible für Absonderlichkeiten wie den doppelten Hasen findet sich auch in anderen Nebenwerken wie des ‚Geburtshelfers Vierneissels Fötusidealen‘, wo es sehr katzenbergerisch heißt: „Ein solcher Doppelhase (mehr wollt‘ ich oben nicht sagen ohne Bild) ist nun der gute Jetzo-Mensch von Bildung: immer kehrt er vier Läufe und zwei Löffel nach oben, um seinen Wandel im Himmel zu führen, indes er mit den entgegenstehenden auf der Erde umhersetzt und satt wird.“ Goethe hat das etwas unkurioser ausgedrückt: „Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust, die eine will sich von der andern trennen, die eine hält in derber Liebeslust sich an die Welt mit klammernden Organen, die andre hebt gewaltsam sich vom Dust zu den den Gefilden hoher Ahnen.“
Peter Handkes aktuellen Meditationen über den stillen Ort (Jean Paul koppelt auch gern mal „Ort“ und „Örtchen“) kommen eigentlich bereits im ‚Katzenberger‘ vor, wo darüber nachgedacht wird, was für Gefühle man beim Sitzen auf einer Klobrille gebären würde, bei der Vergegenwärtigung, daß eine VIP, alias: „ein großer Mann“ wie die Dichter Kotzebue, Schiller oder Theudobach auf diesem Lokus gesessen hätte.
Arno Schmidts Terminus „Halbtrauer“ steht bereits im ‚Katzenberger‘.
Auch im ‚Katzenberger‘ weicht Jean Paul wie immer sehr ab von dem Bild, das man sich später und jederzeit von ihm machte. Seit Heinrich Heine und vorher besteht die Übereinkunft, daß Jean Paul über Gebühr prüde sei, und wenn man bedenkt, was frühere und spätere Schriftsteller von Marquis de Sade bis Henry Miller so alles über Feuchtgebiete und Schoßgebete losließen, können die Klassiker tatsächlich vergleichsweise als etwas betreten und verklemmt erscheinen, sodaß man dann selber der Ansicht zuneigt, daß Jean Paul an verfrühtem Puritanismus gelitten habe. Wieso aber mokiert er sich dann in der Vorrede zum ‚Katzenberger‘ über die „keuschen Deutschen“ und verwendet auch mehrmals das Wort „Geschlecht“, zu welchem dazumal noch keiner „Sex“ sagte? Da England und Frankreich etwas freizügiger mit solcher schönen Materie umgingen, fordert er das frivole Welschland förmlich dazu auf, die keuschen Deutschen etwas aufzulockern in diesen Dingen: „Man bessre uns.“
Jean Paul konnte sich so ungeheuer in Frauenseelen hineinversetzen, daß er sich bemüßigt fühlte, aus angeblich weiblicher Sicht einen ziemlich göttlichen Gedankengang hervorzugebären, den eine Frau vielleicht dann doch nicht so formuliert hätte: „Ich wollt‘, es gäbe gar keine Männer, sondern die göttlichsten Sachen würden bloß von Weibern geschrieben; warum müssen gerade jene einfältigen Geschöpfe so viel Genie haben, und wir nichts?“
Geschwürhaft eingekapselt in den ‚Katzenberger‘ liegt dann noch das unübersehbare, tiefgreifende Intermezzo ‚Die Vernichtung‘, wie ein unverdaulicher Albtraum mitten in einer kuriosen Erzählung. Die ganze Vernichtungsmaschinerie der Natur kommt vollrohr zum Zug, Leichenberge, Verwesungsschauder, Lazarettpoesie, eingesargte Säuglinge, aus denen sich eine Wesenheit hervorhebt, die dies alles verursacht und also Gott sein muß, ehe dann die Schleier auffliegen und ein angehängtes Quasi-Paradies für Pseudo-Aufhellung sorgt.
Zur Rezeptionsgeschichte: ‚Katzenberger‘ und ‚Rheingold‘ wurden öfter und lieber gesendet, nachgedruckt, eingespielt als ‚Götterdämmerung‘ und ‚Der Titan‘, weil sie besser auf eine CD oder in ein kleines Buch passen.
Ulrich Holbein
im Januar 2013
ERSTES BÄNDCHEN
VORREDE
zum ersten und zweiten Bändchen der ersten Auflage
Mit den Taschenkalendern und Zeitschriften müssen die kleinen vermischten Werkchen so zunehmen – weil die Schriftsteller jene mit den besten Beiträgen zu unterstützen haben –, dass man am Ende kaum ein großes mehr schreibt. Selber der Verfasser dieses Werks (obwohl noch manches großen) ist in acht Zeitschriften und fünf Kalendern ansässig mit kleinen Niederlassungen und liegenden Gründen.
Dies frischte im Jahre 1804 in Jena die Voigtische Buchhandlung an, »kleine Schriften von Jean Paul Friedrich Richter«, ohne mich und ihr Gewissen zu fragen, in den zweiten Druck zu geben.
Sie frischt wieder mich an, ihre kleinen Schriften von J. P., gleichfalls ohne zu fragen, hier ans Licht zu stellen. Gelassen lass‘ ich hier die Handlung über Nachdruck des Nachdrucks, über Nachverlag des Nachverlags schreien und mache mit diesem Sünden-Bekenntnis gern das Publikum zum heiligen Stroppinus, welcher der Beichtvater Christi ist.1 Denn will Voigt klagen, dass ich ihm seinen Verlagartikel unbrauchbar gemacht und verdorben hätte durch völlige Verbesserung und Umarbeitung desselben: so versetz‘ ich, dass nur ein Sechstel dieses Buchs aus jenem genommen ist. Das zweite Sechstel sammelte ich aus Zeitschriften, woraus er noch nichts von mir gesammelt.
Das zweite und das dritte Drittel dieses Buchs sind ganz neu, nämlich Dr. Katzenbergers Badreise und Geschichte, so wie die Schluss-Polymeter; aber hierüber sei ein Beichtwort an den Leser vergönnt, würd‘ es ihm auch schwerer, zum zweiten Male der heilige Stroppinus zu sein. Und doch sind über das Folgende leichter vergebende Beichtväter zu haben als Beichtmütter. Es betrifft den Zynismus des Doktors Katzenberger.
Es gibt aber viererlei Zynismen. Der erste ist der rohe in Betreff des Geschlechts, wie ihn Aristophanes, Rabelais, Fischart, überhaupt die alten, obwohl keuschen Deutschen und die Ärzte haben. Dieser ist nicht sowohl gegen Sittlichkeit als gegen Geschmack und Zeit.
Der zweite Zynismus, den die Vernunftlehre annimmt, ist der subtile der Franzosen, der, ähnlich dem subtilen Totschlag und Diebstahl der alten Gottesgelehrten, einen zarten subtilen Ehebruch abgibt; dieser glatte nattergiftige Zynismus, der schwarze Laster zu glänzenden Sünden ausmalt und welcher, die Sünde verdeckend und erweckend, nicht als Satiriker die spanischen Fliegen etwan zu Ableitschmerzen auflegt, sondern welcher als Verführer die Kanthariden zu Untergangs-Reizen innerlich eingibt; dieser zweite Zynismus nimmt freilich, wie Kupfer, bei der Ausstellung ins Freie bloß die Farbe des Grüns an, das aber vergiftet, indes der erste schwere, gleich Blei, zur schwarzen verwittert.
Von dem zweiten Zynismus unterscheidet sich überhaupt der erste so vorteilhaft-sittlich, wie etwan (um undeutlicher zu sprechen) Epikurs Stall von der Sterkoranisten Stuhl, worin das Gottgewordne nicht Mensch wird; oder auch so wie boue de Paris (Lutetiae) oder caca du Dauphin von des griechischen Diogenes offizinellem album graecum verschieden ist.
– Beinahe macht die Rechtfertigung sich selber nötig; ich eile daher zum
dritten Zynismus, welcher bloß über natürliche, aber geschlechtlose Dinge natürlich spricht, wie jeder Arzt ebenfalls. Was kann aber hier die jetzt-deutsche Prüderie und Phrasen-Kleinstädterei erwidern, wenn ich sage: dass ich bei den besten Franzosen (z. B. Voltaire) häufig den cul, derrière und das pisser angetroffen, nicht zu gedenken der filles-à-douleur? In der Tat, ein Franzose sagt manches, ein Engländer gar noch mehr. Dennoch wollen wir Deutsche das an uns Deutschen nicht leiden, was wir an solchen Briten verzeihen und genießen, als hier hintereinander gehen: Butler, Shakespeare, Swift, Pope, Sterne, Smollet, der kleinern wie Donne, Peter Pindars und anderer zu geschweigen. Aber nicht einmal noch hat ein Deutscher so viel gewagt als die sonst in Sitten, Sprechen, Geschlecht- und Gesellschaft-Punkten und in weißer Wäsche so zart-bedenklichen Briten. Der reinliche, so wie keusche Swift drückte eben aus Liebe für diese geistige und leibliche Reinheit die Patienten recht tief in sein satirisches Schlammbad. Seine Zweideutigkeiten gleichen unsern Kaffeebohnen, die nie aufgehen können, weil wir nur halbe haben. Aber wir altjüngferlichen Deutschen bleiben die seltsamste Verschmelzung von Kleinstädterei und Weltbürgerschaft, die wir nur kennen. Man bessere uns! Nur ists schwer; wir vergeben leichter ausländische Sonnenflecken als inländische Sonnenfackeln. Unser salvo titulo und unser salva venia halten wir stets als die zu- und abtreibenden Rede-Pole den Leuten entgegen.
Der vierte (vielleicht der beste) Zynismus ist der meinige, zumal in der Katzenberger‘schen Badgeschichte. Dies schließ‘ ich daraus, weil er bloß in der reinlichsten Ferne sich in die gedachten britischen Fußstapfen begibt und sich wenig erlaubt oder nichts, sondern immer den Grundsatz festhält, dass das Komische jene Annäherung an die Zensur-Freiheiten der Arzneikunde verstatte, verlange, verziere, welche hier, wie natürlich, in der Badgeschichte eines Arztes nicht fehlen konnte. Schon Lessing hat in seinem Laokoon das Komisch-Ekle (das Ekel-Komische ist freilich etwas anderes) in Schutz genommen durch Gründe und durch Beispiele, z. B. aus des feinen Lord Chesterfield Stall- und Küchenstück einer hottentottischen Toilette.
Genug davon! Damit mir aber der gute Leser nicht so sehr glaube: so versichere ich ausdrücklich, dass ich ihn mit der ganzen Einteilung von vier Zynismen gleichsam wie mit heilendem Vierräuberessig bloß vorausbesprenge, um viel größere Befürchtungen vor Katzenberger zu erregen, als wirklich eintreffen, weil man damit am besten die eingetroffnen entschuldigt und verkleinert.
Gebe der Himmel, dass ich mit diesen zwei Bändchen das Publikum ermuntere, mich zu recht vielen zu ermuntern.
Bayreuth, den 28. Mai 1808
Jean Paul Fr. Richter