Kitabı oku: «Fußball»

Yazı tipi:

Jenen Sommerabend, an dem Argentinien und die Niederlande um den Einzug ins Finale der Fußballweltmeisterschaft spielen, verbringt Jean-Philippe Toussaint in seinem Arbeitszimmer auf Korsika. Draußen tobt ein Unwetter, es ist dunkel, der Strom ist ausgefallen. Aus einem kleinen Transistorradio tönt die aufgeregte Stimme eines italienischen Kommentators, es gibt Elfmeterschießen, Maxi Rodriguez setzt zum Schuss an, die Fans jubeln … lebensnahe, dem Autor eigentlich wesensfremde Bilder beginnen, sich mit seinen Romanwelten zu überlagern, in die poetische, zerbrechliche Allgegenwart der Literatur einzudringen und verlorengegangenen Empfindungen und vergrabene Erinnerungen wachzurufen: An grünen Rasen im Flutlicht, einen gebrochenen Arm und kindliche Tränen, Puplic Viewing in Japan – fünf Weltmeisterschaften.

»Fußball« ist eine schlaglichtartige, hochunterhaltsame und mit autobiographischen Abschweifung versehene Liebeserklärung eines Intellektuellen an eine der wenigen Leidenschaften, die neben der Literatur Bestand hat: Fußball.

Ausgezeichnet mit dem Grand Prix Sport et Littérature 2015.




Inhalt

1998

Frankreich, 1998

Korea/Japan, 2002

Deutschland, 2006

Südafrika, 2010

Brasilien, 2014

Zitatverweise

Dieses Buch wird niemandem gefallen,

den Intellektuellen nicht, die sich nicht

für Fußball interessieren, den Fußballliebhabern nicht,

die es zu intellektuell finden werden.

Aber ich musste es schreiben, ich wollte nicht

den zarten Faden zerreißen, der mich noch

mit der Welt verbindet.

1998

Diese Geschichte beginnt im Jahr 1998, mit der Jahreszahl, die mir plötzlich wie in weite Ferne gerückt scheint, versunken in der Vergangenheit und bereits tief vergraben in dem zu Ende gegangenen 20. Jahrhundert, das künftigen Generationen wie ein anderes Zeitalter vorkommen wird. Es ist eine ausgesprochen alberne Ziffer, 1998, mit dieser Eins und dieser Neun am Beginn des Datums, das unseren heutigen Augen bereits verfallen anmutet, als ob dieses 1998, das uns noch so nah, so eng verbunden mit unseren Leben ist, mit unserer Zeit, unserem Fleisch und unserer Geschichte, unseren Küssen und unseren Sorgen, fatalerweise den Rand des vorigen Jahrhunderts angeknabbert und versehentlich den Fuß in die Vergangenheit gesetzt hätte. Wir können nichts dafür, sind aber bloßgestellt durch diese Vergangenheit, vor der wir Abstand hätten wahren wollen. Wir wissen instinktiv, dass der Vergangenheit, wenn wir auf alten Fotografien oder Archivbildern auf sie stoßen, immer etwas Linkisches, Rührendes, ja sogar Lächerliches innewohnt, während die Gegenwart – obwohl sie nichts anderes als deren genaue Antizipation darstellt – als ernst, verlässlich und respektabel gilt. Aber gerade im Jahr 1998 beginnt diese Geschichte. Mein Sohn Jean war neun Jahre alt, meine Tochter Anna vier. Es war 1998, um genau zu sein, am 10. Juni 1998, dass ich das erste Mal in meinem Leben in ein Fußballstadion ging, um mir ein Spiel der Fußball-Weltmeisterschaft anzusehen. Die Jahreszahlen der darauffolgenden Weltmeisterschaften – 2002, 2006, 2010, 2014 – sind allesamt Daten, die man als Synonyme von 1998 bezeichnen könnte, aber sie sind bedeutungsverschieden, entziehen sich dem Verwelkten, Veralteten und Bizarren dieser Eins und Neun, die sie gleichsam wie Brandmale kennzeichnen, wie die Lilie auf der Schulter von Milady de Winter, und sie unwiderruflich in die Vergangenheit einschreiben. Ja, 1998 ist ein seltsam aus der Mode gekommenes, ein schlecht gealtertes Datum, »zu Lebzeiten abgelaufen«, um einen Ausdruck aus einem meiner Romane zu verwenden, ein Datum, »das das Leben schnell mit seiner Patina überziehen würde, denn wie ein schleichendes Gift barg es schon den Keim des eigenen Verschwindens und der endgültigen Auslöschung in diesem umfassenden Lauf der Zeit in sich.«[1]

Entzücken

Der Fußball ist, wie nach Leonardo da Vinci die Malerei, eine cosa mentale, er lässt sich in der Vorstellungswelt begreifen und schätzen. Das Wesen des vom Fußball hervorgerufenen Entzückens rührt aus den Fantasien von Triumph und Allmacht, die er in unserem Geist erzeugt. Gleich welchen Alters oder welcher körperlichen Konstitution, sobald ich die Augen schließe, bin ich der Stürmerstar, der das Siegtor schießt, oder der Torhüter, der sich in Zeitlupe in den Äther wirft, um den spielentscheidenden Ball zu halten. Als Kind habe ich die unglaublichsten Treffer erzielt (na gut, in meinem tiefsten Inneren). Die Arme, die ich dann im leeren Wohnzimmer meiner Eltern jubelnd gen Himmel reckte, gehörten ebenso zum Ritual und zur Feier wie das eigentliche Tor, das ich soeben geschossen hatte. Gerade dieses Zelebrieren – die Gratulationen, das Hinknien auf dem Rasen, die Mitspieler, die sich auf mich werfen und umringen, mich umarmen, mich feiern und hochleben lassen – genieße ich am meisten, mehr als die Aktion selbst, es ist dieser Triumph der Selbstverliebtheit, der mir das Hochgefühl bringt, und keinesfalls die Tatsache, dass sich das eines Tages wirklich ereignen könnte, dass ich selbst eines Tages ebenso traumhaft sicher mit dem Fuß einen Ball kontrollieren könnte, um ihn kaltblütig und meisterlich in einem richtigen Stadion, angesichts wirklicher Gegner, auf echtem Rasen mit einem harten Schuss aus fünfundzwanzig Metern in das obere Eck des gegnerischen Tores zu hämmern, trotz der verzweifelten Parade des Torhüters, der schicksalhaft in der Luft am Ball vorbeifliegt. Das ist sicherlich eine verführerische Vorstellung, aber ich habe im Leben andere Ambitionen, als geschickt mit dem Fuß zu sein. Für mich zählt da eher die Hand, und das nicht nur in der Kunst. Die Wirklichkeit ist fast immer enttäuschend, das wird Ihnen nicht entgangen sein. Mit dreizehn war es dann vorbei, meine Fußballerkarriere war beendet. Meine letzten Träume vom Ruhm stammen aus dem Frühjahr 1970, das war in Brüssel in der Wohnung in der Rue Jules-Lejeune. Meine Eltern hatten mir gerade eröffnet, dass wir nach Paris ziehen würden, und ich betrachtete traurig den Türrahmen, der das Wohnzimmer vom Speisezimmer trennte und mir als Tor für meine imaginierten Schüsse und zur Schaffung meiner letzten Momente fußballerischen Ruhms gedient hatte. Eine Epoche ging zu Ende. Die Wirklichkeit für mich war jetzt diese unbekannte Zukunft in Paris, der Schulbeginn 1970, mit dem ich in die achte Klasse kommen würde als Internatsschüler einer Oberschule in Maisons-Laffitte. Das bedeutete Entwurzelung, Ende der Kindheit und der glücklichen Stunden in Brüssel. Schluss mit meinen schönsten Jahren. Auf die Kindheit folgt immer die Jugend, und das Leben lässt in der Wirklichkeit nicht mit sich reden, der Ball, auch wenn er rund ist, ist widerspenstig und geht wunderliche Wege, er widersetzt sich, ärgert uns, verrät und demütigt uns.

Fußballstadien

Ich gehe nicht regelmäßig ins Stadion, es gibt in meiner Familie nicht die sonntägliche Tradition, ins Stadion zu gehen, mein Vater hat mich nie zu einem Fußballspiel mitgenommen, auch nicht meine Großväter, und ich hätte es gerne gewollt, als Dreikäsehoch in meinem kleinen Mantel und mit meiner kleinen Mütze von einem Erwachsenen ins Stadion mitgenommen zu werden, der mir in der Halbzeitpause einen Hotdog gekauft hätte. Ich habe ein altes Kindheitsfoto wiedergefunden, aufgenommen bei den Teichpromenaden von Ixelles, auf dem ich mit meinem Großvater Juoazas Lanskoronskis zu sehen bin. Man hätte meinen können, wir beide wären auf dem Weg ins Stadion von Anderlecht gewesen oder in das von Union Saint-Gilloise, aber nein, an dem Tag sind wir nicht ins Stadion gegangen, wir sahen auch nicht wirklich wie Fußballfans aus, eher wie Schriftsteller auf einem Spaziergang, mein Großvater, der mein heutiges Alter gehabt haben dürfte, mit dem strengen Aussehen eines Homme de Lettres, und ich in seiner Begleitung, wohl vier Jahre alt, ernst an seiner Seite wie einer seiner ehrwürdigen Kollegen. Ja, man könnte sagen, ich besaß bereits vor fünfzig Jahren das strenge und verschlossene Wesen, das man allgemein Schriftstellern unterstellt, auch schon den kahlen Kopf und das – in gewisser Hinsicht – kahle Herz, aus Solidarität mit meinem litauischen Großvater, dem Colonel Lanskoronskis, der von der Physis an Vladimir Nabokov erinnerte und vom Intellekt her an General Dourakine, und der ebenfalls einen »Hutkopf« hatte, diese schamhafte Umschreibung für eine Glatze. Ich war nur ein einziges Mal im Brüsseler Stadion, in das ich meinen Sohn während der Europameisterschaften 2000 zu einem Spiel Belgien gegen Italien mitgenommen hatte, und ich besitze einige bruchstückhafte Erinnerungen an Fußballspiele im Parc des Princes und im Stade de France. Besonders an ein Pokalendspiel 2002 zwischen Lorient und Bastia erinnere ich mich, zu dem wir mit der ganzen Familie gegangen sind, mit Figatellu-Würsten und der Fahne mit dem Maurenkopf. Es gibt eine ferne Erinnerung an ein Abendspiel auf Korsika, in Bastia, das ich mir zusammen mit meinem Schwiegervater Charles Santandrea angesehen habe, das muss Anfang der 1980er Jahre gewesen sein, ich erinnere mich an das Flutlicht, das auf die alten Holztribünen des Armand-Cesari-Stadions fiel. Am Getränkestand waren wir überraschend auf den Abbé Stra getroffen (sieh an, der Herr Abbé!), der ein kleines Kreuz am Kragen und einen Schal von Sporting um den Hals trug. Der Abbé Stra – den Namen hätte ich gerne erfunden, bin aber schon zufrieden, ihn sorgsam für einen möglichen zukünftigen Text aufgehoben zu haben – war mit unserer Eheschließung beauftragt. Aber das ist eine andere Geschichte, die Vorbereitung meiner Hochzeit mit Madeleine in einem Hotel in Calacuccia in der Region Niolu, wo uns am Ende des Essens der Abbé Stra mit ernster Miene gefragt hatte: »Darf ich Ihnen eine indiskrete Frage stellen?« Madeleine und ich, wohl gerade beim Käse angekommen, sozusagen zwischen Feige und Käse, senkten züchtig unseren Blick auf die Teller und nickten schweigend (ich sah, wie Madeleine insgeheim vor Lachen fast platzte), und er fragte dann mit bedächtiger Stimme: »Kennen Sie sich schon seit langem?« Hätte ich die Schlagfertigkeit besessen, hätte ich ihm mit Gide antworten können: »Es gibt keine indiskreten Fragen, nur die Antworten können indiskret sein.« Aber ich beschränkte mich darauf, die Wahrheit zu sagen, dass wir uns seit zwei Jahren kannten. Aber ich entferne mich vom Thema, trödele herum und schweife ab, ohne allerdings mein Ziel aus den Augen zu verlieren, man möge beruhigt sein. Nein, um zu meinem Punkt zu kommen: Wenn ich zu Hause bin, in den Städten, in denen ich wohne, ob nun in Brüssel oder auf Korsika, gehe ich niemals in ein Stadion. Sonst wäre ich 1985 im Heysel-Stadion und 1992 in Furiani dabei gewesen.

Die Trikots

Ich liebe den Moment, wenn ich das Stadion betrete, um meinen Platz einzunehmen, und inmitten der Menge der Zuschauer die Betonstufen zu den Tribünen emporsteige, dann ins Freie trete und vor mir die stufenförmig angelegten Sitzreihen und darunter das absolute Grün des Spielfelds unter den mächtigen Flutlichtlampen erblicke. Ich schaue nicht mehr mit den Augen des Kindes, aber ich nehme immer noch mit der unschuldigen Unbefangenheit der Kindheit den Zauber der Farben des Fußballs wahr, das Grün des Rasens seit unvordenklicher Zeit, und die Trikots der Spieler: die zeitlosen Trikots der Nationalmannschaften, das Blau Frankreichs oder Italiens, das Rot Spaniens, das Orange der Niederlande, nicht zu vergessen das himmelblau-weiß gestreifte Trikot Argentiniens. Alles gerät wieder in seine Ordnung, und das Natürliche wird unverrückbar und beruhigend, wenn wie im Finale 2002 in Yokohama die Deutschen in schwarzen Hosen und weißen Hemden gegen die Brasilianer in Grün und Gelb spielen, aber es versetzt mir ein leichtes Unbehagen, ein ästhetisches Missbehagen, ja eine metaphysische Unruhe, wenn ich die Brasilianer in Dunkelblau spielen sehe, oder schlimmer noch: die deutschen Spieler in diesen grauenhaften, rot-schwarz quergestreiften Rugby-Trikots (von Toulouse oder von Toulon?), die sie beim Halbfinale der Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien trugen. Dann fühle ich mich verletzt, nicht ich selbst (ich habe da schon Schlimmeres erlebt), aber als Kind, das ich einst war und das um das einfache, ein Gefühl von Sicherheit gebende Glück betrogen wird, die Deutschen auf den Fußballplätzen der ganzen Welt in alle Ewigkeit in schwarzen Hosen und weißen Hemden spielen zu sehen.

Kindheit

In Brüssel, auf dem Hof unserer Brüsseler Grundschule Nr. 9, spielten wir in der Pause Fußball, und das Kriterium, nach dem wir die beiden Teams auswählten, war nicht Kleine gegen Große oder Blonde gegen Braune oder eine Klasse gegen die andere, sondern »Moral« gegen »Religion«. Am Anfang des Schuljahrs musste in dieser konfessionslosen Schule in der Rue Américaine in Ixelles tatsächlich zwischen den Fächern Moral und Religion entschieden werden, je nachdem, ob unsere Eltern oder wir selbst wünschten, am Religionsunterricht teilzunehmen oder nicht. Während man im Fach Religion in erbauliche Episoden aus dem Leben Jesu und in die Bibellektüre eingeführt wurde, wurde den anderen eine Art rudimentäre gemeinschaftskundliche Grunderziehung zuteil, die mit dem etwas hochtrabenden Wort Moral benannt war, dessen ganze Bedeutung ich erst viele Jahre später erfassen sollte. Jedenfalls haben wir Schüler unsere Mannschaften in der Pause immer nach dieser Methode eingeteilt, die uns von biblischer Einfachheit erschien und obendrein den Vorteil hatte, generationsübergreifend zu sein (genauso viel Gläubige wie Ungläubige bei den Kleinen wie bei den Großen, bei den potentiellen Verteidigern und vermeintlichen Stürmern), und so trugen wir im Pausenhof an der Rue Américaine unsere Matches Moral gegen Religion aus – und die Religion, bei denen ich mitspielte (ich war immer sehr für Religion, zumindest bis zur sechsten Klasse), waren verteufelt gut am Ball.

Avenue Louise

Ich befinde mich in Brüssel, es ist ein weit zurückliegendes Bild, vielleicht in der Avenue Louise, ich bin zusammen mit einigen Freunden aus der achten Klasse des Gymnasiums Athénée-Robert-Catteau mit Schwerpunkt Latein und Mathematik, bei mir Thierry Degulne, Dominique Deredde, Philippe Warneck, womöglich auch Alain Van Vinck und Éric Peeters, und wir stehen mit unseren Schulranzen auf dem Rücken vor dem Schaufenster eines Elektrogeschäfts und amüsieren uns mit jugendlichem Hochmut und der Unverschämtheit der Jugend in Pennälerlaune über die ersten Farbfernsehgeräte, auf denen Spiele der Fußball-Weltmeisterschaft von 1970 übertragen wurden. Bei uns zu Hause haben wir noch keinen Farbfernseher, und wir machen uns lustig über die Spieler auf dem Bildschirm, die zu schnell für ihre Trikots sind, als ob der Fußballspieler beim Rennen über den Rasen durch die Geschwindigkeit und Schnelligkeit seines Dribblings sich von seiner Hülle lösen und seine Aktion in Schwarzweiß fortsetzen würde, die Farbe seines Trikots hinter sich herziehend, die ihm nur mit Verzögerung folgen kann. Das brachte uns vor dem Schaufenster des Geschäfts zum Lachen, diese noch nicht besonders ausgereifte Technologie. Auch wenn die Art, wie die Spieler in ihrem Kielwasser in einer verlangsamten Dehnung die Farben ihrer Trikots gleichsam einem Lichthof ihrer selbst hinter sich ließen, eine unleugbar poetische Dimension hatte. Kürzlich im Pariser Grand Palais sah ich eine Videoarbeit von Bill Viola, die mit solch einem Übergang von Schwarzweiß zu Farbe spielt, drei Frauen, die in derselben Einstellung aus einem grobkörnigen Schwarzweißbild in die Welt der Farben hinübergehen, eine unsichtbare Grenze überschreitend, einen virtuellen Vorhang, eine Art von symbolischem Checkpoint zwischen dem Sein und dem Nichtsein, zwischen der Geburt und dem Tod.

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