Kitabı oku: «Vorbild und Vorurteil»
Vorbild und Vorurteil
Impressum
Der Verlag Hier und Jetzt wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2016–2020 unterstützt.
Dieses Buch ist nach den aktuellen Rechtschreibregeln verfasst. Quellenzitate werden jedoch in originaler Schreibweise wiedergegeben. Hinzufügungen sind in [eckigen Klammern] eingeschlossen, Auslassungen mit […] gekennzeichnet.
Umschlagbild: Bettina Schelker, fotografiert von Matthias Willi
Porträtfotografie: Lilian Salathé Studler, Bern
Lektorat: Stephanie Mohler, Hier und Jetzt
Gestaltung und Satz: Simone Farner, Naima Schalcher, Zürich
ISBN Druckausgabe 978-3-03919-502-2
ISBN E-Book 978-3-03919-962-4
E-Book-Herstellung und Auslieferung:
Brockhaus Commission, Kornwestheim
© 2020 Hier und Jetzt, Verlag für Kultur und Geschichte GmbH, Baden, Schweiz
Inhalt
Auftakt von Sarah Akanji
Vorwort der Autorinnen
Über lesbische Heldinnen im Spitzensport, Marianne Meier
Katharina Sutter, Bob
Lara Dickenmann, Fussball
Christa Wittwer, Speerwurf
Sabina Hafner, Bob
Rosmarie Oldani, Handball
Tyna Fritschy, OL
Nathalie Schneitter, MTB Cross-Country
Monika Bühlmann, Turniertanz
Martina Aeschlimann, Ski Alpin
Evelyne Tschopp, Judo
Tatjana Haenni, Fussball
Eveline Lehner, Kickboxen
Emilie Siegenthaler, MTB Downhill
Maja Neuenschwander, Marathon
Ruth Meyer, Volleyball
Nora Häuptle, Fussball
Jasmin Hauck / Cecilia Wretemark, Tanz
Jacqueline Blatter, Handball
Ramona Bachmann, Fussball
Marianne Rossi, Triathlon
Barbara Ganz, Radsport
Tanya Ertürk, Unihockey
Renata Bucher, Cross-Triathlon
Bettina Schelker, Boxen
Isabel Jud / Simona Meiler / Carla Somaini, Snowboard
Nachwort von Patricia Purtschert
Autorinnen und Fotografin
Abbildungsverzeichnis
Dank
Vom Wert der Vorbilder
Sarah Akanji
Fussball sei ein Männersport, wurde mir als Kind immer gesagt. Obwohl sich mir nie ganz erschlossen hat, was den Sport «männlich» macht. Ich wusste schon damals, dass ich auf dem Fussballplatz unerwünscht war. Als eines der wenigen Fussball spielenden Mädchen kam ich früh mit Ausgrenzung und Diskriminierung in Kontakt. Man(n) habe keinen Platz für Mädchen und Frauen, die Fussball spielen wollen, hiess es. Für mehrere Hundert Jungs und Männer hingegen schienen die Fussballklubs keinen Aufwand zu scheuen.
Ich spielte jedoch zu gut, als dass man mich bei den Jungs hätte auf der Bank sitzen lassen können. Dies bekam ich mit harten Fouls zu spüren. Und für das später gegründete Juniorinnenteam spielte ich zu aggressiv. Ich passte in keine Kategorie. Das verunsicherte mich, und ich versuchte, so unauffällig wie möglich zu sein, was mir nicht gelang. Denn ich wollte ja nur den Sport ausüben, den ich so liebte.
Meine Vorbilder waren allesamt männlich: Zidane, Henry, Beckham. Thierry Henry und das französische Nationalteam begeisterten mich besonders, da in dieser Mannschaft Menschen mit unterschiedlicher Hautfarbe miteinander spielten, funktionierten und brillierten, was damals eine Seltenheit war. Die Diversität dieses Teams ermutigte mich im Glauben, dass der Fussball für alle da sei, egal, welche Hautfarbe oder welches Geschlecht. Erst viel später hatte ich mein erstes weibliches Sportidol: Marta. Ich wusste vorher von keiner Frau, die professionell Fussball spielte. Und ich wusste damals auch nicht, dass sie lesbisch ist.
Dass das Vorbildsein eine wichtige Aufgabe ist, hat mir einmal ein Mädchen gezeigt. Sie sagte mir, dass sie sich durch mein Auftreten stärker fühle und mehr an sich glaube. Wie nur kann eine Gesellschaft auf weibliche Vorbilder verzichten? Und wie kann man erwarten, dass der Frauensport ohne finanzielle Unterstützung populärer wird? Wenn sich die Strukturen in den Sportklubs nicht ändern, also wenn dem Frauensport nicht genügend Mittel zugesprochen werden, können die Sportlerinnen auch nicht besser und somit auch nicht bekannter werden.
Während im Männerfussball an veralteten Mustern und starren Idealen festgehalten wird, ist der Frauenfussball vorwärtsgewandt. Sexismus und Homophobie scheinen innerhalb des Frauenfussballs abwesend. Das Vorurteil, dass die Mehrheit der Fussballerinnen lesbisch sei, hat sich zu einer Stärke entwickelt: Die Toleranz und Offenheit gegenüber unterschiedlichen Sexualitäten führen zu Gemeinschaft, Kraft und Zusammenhalt innerhalb unseres Sports. Mit der wachsenden Popularität kann der Frauenfussball zu einem Motor für die Weiterentwicklung unserer Gesellschaft werden. Erfolgreiche, sichtbare, lesbische Sportlerinnen aus allen Sportarten spielen hier eine entscheidende Rolle – sie sind Pionierinnen und können gesellschaftlich etwas bewegen. Sie brechen mit starren Rollenbildern für Frauen und Männer, lassen uns die Heteronormativität hinterfragen und sind neben Vorbildern auch Quelle der Inspiration.
Sarah Akanji (*1993) spielte in der höchsten Schweizer Fussballliga und ist Spielerin und Mitbegründerin des ersten Frauenteams des FC Winterthur. Sie politisiert seit 2019 im Zürcher Kantonsrat.
Mehr Vorbilder, weniger Vorurteile
Die Autorinnen
Sind alle Fussballerinnen lesbisch? Nein, natürlich nicht. Es ist nur eines von tausend Vorurteilen. Aber was ist schlimm oder besonders daran, wenn eine Fussballerin Frauen liebt? Lesbische Spitzenathletinnen gibt es in allen Sportarten; auch dort, wo sie niemand vermutet. Doch ganz so selbstverständlich, wie man meinen könnte, ist diese Tatsache nach wie vor nicht. Dazu kommt, dass der jeweilige Umgang mit Homosexualität je nach Sport, aber auch Alter und Elternhaus der Frauen unterschiedlich ist. Das hat uns interessiert. Zu fünft haben wir uns auf Spurensuche begeben.
Unser erstes gemeinsames Treffen als Autorinnenquintett fand Anfang 2017 im Bahnhofbuffet Olten statt. Einige kannten sich bereits, andere lernten sich erst dort kennen. Doch die Idee, gemeinsam ein Buch über lesbische Vorbilder im Spitzensport zu schreiben, verband uns rasch. Aus einem Flämmchen wurde ein Feuer. Aus unserer Leidenschaft ein Projekt. Und wir wuchsen schnell zu einem Team zusammen.
Zu Beginn mussten wir die Sportlerinnen erst finden. Unsere grossen Netzwerke waren dabei sehr hilfreich. Aber nicht selten kam es zu diffizilen Anfragen per Mail oder Telefon, bei denen wir mit viel Fingerspitzengefühl erfragen mussten, ob das Gegenüber überhaupt der Zielgruppe angehört. Durch die Suche sind wir auf viele weitere spannende Athletinnen gestossen, sodass wir mehrere Bücher mit ihren Geschichten hätten füllen können.
Wir sind eine Gruppe von Journalistinnen, Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen, jede mit ergänzenden und unterschiedlichen Fähigkeiten. Gemeinsam arbeiteten wir an der Entstehung dieses Buches und waren oft übermütig, manchmal stark gefordert, meistens effizient und zwischendurch übermüdet. Wenn eine nicht mehr konnte, halfen die anderen aus. Jede konnte ihre individuellen Stärken einbringen und hat somit zu einer konstruktiven Arbeitsatmosphäre beigetragen. In unseren Sitzungen diskutierten wir intensiv über Inhalte. Gleichzeitig lachten wir viel und lernten uns auch persönlich immer besser kennen. Es entstanden Freundschaften.
Wir alle haben einen sportlichen Hintergrund. Uns allen haben weibliche Vorbilder im Sport gefehlt – auch lesbische Vorbilder. Mit diesem Porträtbuch soll es für kommende Generationen anders sein. Doch nicht nur junge Sportlerinnen sprechen wir mit diesem Projekt an, sondern alle, die sich für mehr als nur Normbiografien interessieren. Nur wenn lesbische Frauen im Sport wahrgenommen werden, können sie zu Vorbildern werden. Wenn dieses Buch nur schon einer Person Mut macht oder jemanden sensibilisiert, dann haben wir unser Ziel erreicht.
Noch immer gibt es viele Sportlerinnen, die sich nicht outen. Aus Angst vor negativen Reaktionen innerhalb der Familie oder des Sportklubs, aber auch, um Sponsoren nicht zu verlieren. Andere gehen mit ihrer Homosexualität offen um. Wir möchten mit diesem Buch aufzeigen, wie vielfältig die Biografien lesbischer Athletinnen sind. Jede Frau hat ihre eigene Geschichte, mit ihren schönen und schwierigen Momenten. Unser grosser Dank gilt jenen mutigen Sportlerinnen, die uns ihr Vertrauen geschenkt und uns in sehr persönlichen Interviews aus ihrem Leben erzählt haben, uns einen nahen und intimen Einblick gewährt haben. Hie und da flossen Tränen, weil das Erlebte auch Jahre später noch schmerzhaft sein kann. Das uns entgegengebrachte Vertrauen hat uns berührt und beeindruckt.
Dieses Buch ist eine Herzensangelegenheit, geschrieben und erarbeitet mit viel Leidenschaft und Freude. Dies wünschen wir nun auch Ihnen, liebe Leserin, lieber Leser – viel Freude bei der Lektüre.
Auf dass wir alle mehr Vorbilder haben – und weniger Vorurteile!
Über lesbische Heldinnen im Spitzensport
Marianne Meier
Tränen, Umarmungen und Küsse nach errungenen Siegen oder bitteren Niederlagen – Emotionen sind das Highlight einer jeden Sportberichterstattung. Solche öffentlichen Gefühlsbekundungen im Ziel oder auf der Tribüne sind häufig heterosexuellen Sportstars vorbehalten. Sport wird oftmals als Spiegel der Gesellschaft bezeichnet. Durch seine Popularität und die mediale Öffentlichkeit vermag er Trends zu setzen, aber auch Diskriminierungen wie Sexismus, Rassismus oder Homophobie zu thematisieren.
Diese Einführung ordnet frauenliebende Frauen und Spitzensport im wissenschaftlich-historischen Kontext ein. Nebst internationalen Richtlinien gegen Homophobie im Sport geht es auch um die Sichtbarkeit lesbischer Frauen im Spitzensport und deren Entwicklung in den letzten Jahren, mit speziellem Fokus auf die Schweiz. Zudem werden Voraussetzungen aufgezeigt, die sportliche Grössen zu Vorbildern werden lassen, und Funktionen dargelegt, die diese Personen einnehmen können.
Weshalb braucht es dieses Buch?
Die Sporthochschule Köln hat im Mai 2019 Resultate der Outsport-Studie veröffentlicht. Dabei wurden 5524 Menschen in 31 europäischen Ländern befragt. Es ging darum, herauszufinden, welche Massnahmen gegen Homophobie und Transphobie im Sport zu ergreifen sind. Die Studie kam zum Ergebnis, dass vor allem Sportstars, die offen zu ihrer Sexualität und/oder Geschlechtsidentität stehen, eine wichtige Rolle als Vorbild spielen können.1 Auch einige Autorinnen dieses Buches hätten sich in ihrer Jugend lesbische Sportvorbilder gewünscht, nur schon weibliche waren selten. Dabei ist es müssig zu spekulieren, ob es frauenliebende Athletinnen damals wirklich gab. Auf jeden Fall waren sie nicht sichtbar und sind es bis heute nur begrenzt. Entsprechend den gängigen Klischees sind die heute bekannten homosexuellen Topathletinnen in Sportarten wie etwa Fussball aktiv, die in unseren Breitengraden als «typisch männlich» bezeichnet werden. Dieses Buch zeigt auf, dass frauenliebende Protagonistinnen in allen Sportarten zu finden sind, und möchte diesen ein Gesicht und eine Stimme geben. Gerade im Sport dominieren immer noch starre Vorstellungen, wie man und frau zu sein hat. Insbesondere der Spitzensport wird von wirtschaftlichen Interessen sowie einem patriarchalen Weltbild beherrscht. Dagegen schreiben wir fünf Autorinnen an. Obwohl die Ablehnung von Lebensentwürfen, die nicht der althergebrachten Norm entsprechen, im Jahr 2020 in der Schweiz eigentlich kein Thema mehr sein sollte, ist dieses Anderssein nach wie vor mit Unbehagen, Befremden und Unwissen behaftet. Dieses Buch zeigt die Hintergründe und die Komplexität des Lesbischseins im Sportbusiness auf und stellt gleichzeitig die erfrischende Vielfalt einem breiteren Publikum vor. Die ehemalige stellvertretende Generaldirektorin der SRG, Ladina Heimgartner, bringt die Notwendigkeit dieser Publikation auf den Punkt: «Es braucht Bücher wie dieses, damit es Bücher wie dieses in Zukunft einmal nicht mehr braucht.»
Wer sind die Akteurinnen dieses Buches?
Dieses Buch befasst sich mit frauenliebenden Spitzensportlerinnen in der Deutschschweiz. Bewusst wurde darauf geachtet, dass möglichst verschiedene Sportarten und Altersgruppen vertreten sind. Als Methode haben sich die Autorinnen für die Oral History entschieden, um den eigenen Erzählungen und Sichtweisen der porträtierten Frauen in offen geführten Interviews möglichst viel Raum zu geben.2 Als Spitzensportlerin wurde eingestuft, wer jemals in der höchsten schweizerischen Liga einer Sportart aktiv oder Mitglied eines Nationalkaders war oder ist. Der Profistatus war dabei kein Kriterium. Insbesondere im helvetischen Frauensport gibt es sowieso nur wenige Athletinnen, die vom Sport leben können. Gerade in Randsportarten wie Orientierungslauf oder Kanu bedeuten sportliche Höchstleistungen für Frauen und Männer keine finanzielle Absicherung. Bei in der Schweiz beliebten Teamsportarten wie beispielsweise Fussball oder Eishockey haben nur die Männer in der obersten Liga finanziell quasi ausgesorgt. Als Paradebeispiel für diesen eklatanten Geschlechterunterschied im gleichen Sport sorgte im November 2018 der FC Basel. Während das Männerteam beim Galadinner sass, verkauften die FCB-Spielerinnen beim gleichen Jubiläumsanlass Tombolalose und erhielten danach in einem Nebenraum Sandwiches.3 Die Definition von Spitzensport muss also relativiert werden und unterscheidet sich, je nach Geschlecht, enorm bezüglich des gesellschaftlichen Stellenwerts und natürlich des Lohnes.
Nebst der sportlichen Höchstqualifikation wird die Gruppe der porträtierten Athletinnen auch durch ihre sexuelle Orientierung definiert. Dabei geht es um homosexuelle Menschen, die als Frauen gelesen werden möchten. In einer verkürzten Form wird im Buch von «lesbischen Frauen» geschrieben, aber dieses Kriterium ist sehr breit zu verstehen und beinhaltet zum Beispiel auch bisexuelle oder queere Frauen. Obwohl die porträtierten Sportlerinnen mit Frauen liiert sind oder waren, bezeichnen sich selbst nicht alle als lesbisch. Um eine Schubladisierung zu vermeiden, verwenden die Autorinnen daher auch den inklusiveren Begriff «frauenliebend».
Wie wurden die in diesem Buch porträtierten Frauen ausgewählt? Die genannten Kriterien der frauenliebenden Spitzensportlerin bildeten den Ausgangspunkt. Die Auswahl geschah nach dem Schneeballprinzip und stützte sich auf das breite Netzwerk der fünf Autorinnen. Es ging darum, mutige Frauen zu gewinnen, die bereit waren, ihre privaten Lebensgeschichten inklusive Fotoporträt einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Nebst Sportarten und Alter gab es grosse Bemühungen, zusätzliche intersektionale Aspekte zu berücksichtigen. Eine porträtierte Schweizer Athletin hat türkisch-italienische Wurzeln und stammt aus einem muslimisch-katholischen Elternhaus. Doch es ist wohl kein Zufall, dass beispielsweise lesbische Women of Colour im Schweizer Spitzensport kaum sichtbar sind respektive nicht sein möchten.
Bei der sogenannten Intersektionalität geht es um die Überschneidung verschiedener Formen der Diskriminierung und Privilegierung in einer Person. Die Realität einer lesbischen Spitzensportlerin könnte durch eine körperliche Beeinträchtigung oder das Tragen eines Kopftuches aufgrund der Religion anders aussehen. Die verschiedenen Formen der Diskriminierung oder der Bevorzugung sind miteinander verflochten und können sich gegenseitig auch abschwächen oder verstärken. Die Judo-Olympiasiegerin von Rio 2016, Rafaela Silva, sah sich zum Beispiel nach den verpatzten Sommerspielen in London 2012 in ihrem Heimatland Brasilien mit massiven Anfeindungen konfrontiert. Aufgrund ihrer Favela-Herkunft und Hautfarbe wurde sie in den Medien rassistisch verunglimpft.4 Zwei Tage nachdem sie 2016 in Rio die Goldmedaille gewonnen hatte, gab sie ihr Coming-out. Sie sagte, dass sie sich durch ihren Erfolg weniger angreifbar fühle.5 Trotz der klaren Notwendigkeit, über alle Facetten von Sport und LGBTIQ+ zu schreiben, haben sich die Autorinnen dieses Buches entschieden, den Fokus auf homo- und bisexuelle Spitzensportlerinnen zu legen, welche auf diese Weise sichtbarer werden und eine Vorbildfunktion einnehmen können.
Wer wollte sich in diesem Buch nicht porträtieren lassen?
Nebst spontanen oder gut überdachten Zusagen haben die Autorinnen auch zahlreiche Absagen erhalten. Die Motive dafür sind sehr individuell und zu respektieren. Die Gründe jener Frauen, die lieber nicht im Buch erscheinen wollten, lassen sich grob in vier Kategorien einteilen: Erstens gab es Absagen aufgrund der Tatsache, dass die eigene Familie, die Nachbarschaft oder das Berufsumfeld (noch) nicht offiziell über das Lesbischsein der Sportlerin informiert ist. Der Sportsoziologe Eric Anderson nennt diese Art des Umgangs «Don’t ask, don’t tell».6 Dies in Anlehnung an eine Richtlinie, die von der US-amerikanischen Armee jahrelang praktiziert wurde, um mit offen lebenden Homosexuellen in den eigenen Truppen umzugehen. Solche Absagen erhielten wir insbesondere von älteren Frauen, die zwar mit ihren langjährigen Partnerinnen mehr oder weniger offen liiert sind und teilweise auch zusammenleben, aber darüber trotzdem nicht explizit kommunizieren möchten. Eigentlich wissen alle Bescheid, aber es wird nicht benannt. Denn «was nicht sein darf, gibt es auch nicht», wie sich eine Sportlerin ausdrückte, die nicht im Buch erscheinen wollte.
Zur zweiten Kategorie gehören Absagen von Frauen, die überzeugt sind, dass eine solche Auflistung lesbischer Athletinnen dem Frauensport insgesamt eher schadet. Diese Personen haben sich zum Teil jahrzehntelang dafür eingesetzt, dass zum Beispiel Frauenfussball das «lesbische Label» verliert. Sie berichten über unzählige Gespräche als Trainerin mit Eltern, die Angst davor hatten, dass sich ihre Töchter beim Fussball «anstecken» und lesbisch werden würden. Insbesondere in der Gender-Fachliteratur zu «typisch männlichen» Sportarten ist diese Form der Homophobie gut dokumentiert. Die angefragten Personen, welche dem Frauensport mit einem Buchbeitrag «keinen Bärendienst erweisen» wollten, hatten ihre eigene sexuelle Orientierung als Trainerin, Funktionärin oder Athletin nie publik gemacht. Die Mädchen und insbesondere deren Familien sollten nicht noch mehr abgeschreckt werden. Sie wollten sich lediglich als sportliches Vorbild präsentieren. Ein Teil ihrer Identität sollte jedoch – mit bester Absicht, sozusagen zum «Schutz» der Kinder und Jugendlichen – verborgen bleiben. Dieses Verheimlichen kann signalisieren, dass Homosexualität schlecht und nicht nachahmungswert ist. Die Handhabung des Out-Seins, also offen zum eigenen Lesbischsein zu stehen, ist sehr kontextabhängig und persönlich.
Einige noch aktive Spitzensportlerinnen lehnten ein Porträt in diesem Buch ab, weil sie ihre aktuellen und künftigen Sponsoring-Verträge nicht gefährden wollten. Aus Respekt vor diesen jüngeren Frauen werden die spezifischen Sportarten an dieser Stelle nicht genannt. Der wohl bekannteste Sponsoring-Rückzug nach einem Coming-out im Frauensport ereignete sich vor knapp vierzig Jahren in den USA. Billie Jean King, die damals beste Tennisspielerin der Welt, beschloss nach Jahren der Vertuschung offen über ihre Homosexualität zu sprechen. Sie stand unter Druck und befürchtete, von jemandem geoutet zu werden. Entgegen allen Empfehlungen beschloss sie 1981 die Wahrheit zu sagen – mit fatalen Folgen: «Ich habe all mein Geld über Nacht verloren. Jeder einzelne meiner Sponsoring-Verträge wurde innert 24 Stunden aufgelöst. […] Ich musste wieder ganz von vorne beginnen.»7 Kaum zu glauben, dass frauenliebende Sportlerinnen im heutigen Europa solche Konsequenzen noch immer fürchten müssen.
Absagen der vierten und letzten Kategorie können mit der Befürchtung umschrieben werden, allein auf das Lesbischsein reduziert zu werden. In den Medien und der Öffentlichkeit würde nicht mehr die Athletin im Vordergrund stehen, sondern vor allem die «Lesben-Schublade», aus der kein Weg mehr herausführe. Dies beinhaltet auch die Angst vor einer Schmälerung der sportlichen Höchstleistung. Zudem kommt generell die Furcht dazu, als Lesbe als abnormal zu gelten und nicht mehr gemocht zu werden. Auch mit Goldmedaille würde da immer noch dieser «Homo-Makel» bleiben, wie sich eine Athletin ausdrückte, der auch eine mögliche Vorbildfunktion sowie den «Stolz der Nation» beeinträchtigen würde. Dies wirkt sich wiederum auf die Attraktivität und Vermarktbarkeit sowie auf eine damit verbundene finanzielle Unabhängigkeit aus. Nur sehr weiblich wirkende Athletinnen wie zum Beispiel die mit einem Mann verheiratete Skifahrerin Lara Gut-Behrami kommen als Werbeträgerinnen gewisser Produkte überhaupt infrage. Eher burschikos anmutende Sportlerinnen, ob lesbisch oder nicht, haben dabei das Nachsehen.8
Grosse Kluft zwischen Richtlinien und Wirklichkeit
Der olympische Gedanke steht für Fair Play, Frieden, Respekt und Solidarität. Dabei gilt die «Olympische Charta» als Schlüsseldokument für unzählige Sportverbände weltweit. Trotz Reformbestrebungen gilt das Internationale Olympische Komitee (IOC) nach wie vor als konservative, überalterte, elitäre, eurozentrische und von Männern dominierte Organisation. Die Charta sprach sich zwar gegen «jede Form von Diskriminierung eines Landes oder einer Person aufgrund von Rasse, Religion, Politik, Geschlecht oder aus sonstigen Gründen» aus, doch Homophobie wurde dabei nicht erwähnt. Auf diese Kritik antwortete das IOC stets beschwichtigend, dass die sexuelle Orientierung unter «sonstigen Gründen» natürlich mitgemeint sei. Der internationale Druck auf das IOC stieg weiter an. Die «Agenda 2020» sah in der Folge vor, «sexuelle Orientierung» explizit in den Anti-Diskriminierungsparagrafen aufzunehmen. Ende 2014 wurde die Charta entsprechend ergänzt. Ein wichtiger formaler Schritt war damit erreicht. Nach wie vor besteht aber der Widerspruch, dass sich unter den 204 IOC-Mitgliedländern immer noch Staaten befinden, welche Homosexualität mit der Todesstrafe sanktionieren.9 Gemäss Angaben von Amnesty International stellten 2015 insgesamt 76 Länder gleichgeschlechtliche Beziehungen und nicht geschlechtskonformes Verhalten unter Strafe.10 Mit denselben Herausforderungen muss sich auch der Weltfussballverband FIFA auseinandersetzen. Auch unter den 211 FIFA-Mitgliedern befinden sich Staaten mit homophober Rechtsprechung. Trotz des festgeschriebenen Diskriminierungsverbots aufgrund sexueller Orientierung in den FIFA-Statuten wirft dessen Umsetzung grosse Fragen auf. Wie kann es sein, dass die FIFA-WM 2022 in Katar stattfindet, wo Homosexualität mit dem Tod bestraft werden kann?11
In der Schweiz ereignete sich der wohl bekannteste Fall von Diskriminierung durch einen Fussballklub aufgrund sexueller Orientierung 1994 im Kanton Zürich. Der Vorstand des FC Wettswil-Bonstetten suspendierte seine Frauenabteilung mit der Begründung: «Der Verein wird ausgenützt für das Ausleben von abnormalen Veranlagungen.»12 Dem Team wurde vorgeworfen, dass zwei Drittel der Spielerinnen homosexuell seien und «jugendgefährdende lesbische Aktivitäten auf dem Spielfeld und in den Garderoben» stattfinden würden. Die Fussballerinnen legten beim kantonalen Verband Rekurs ein, worauf die Auflösung widerrufen wurde.13 Noch im April 1994 lautete der Titel der Fernsehsendung «Zischtigsclub»: «Lesben im Damenfussball: Angst vor homosexueller Ansteckung?». Und der Moderator formulierte die zu diskutierende Fragestellung: «Ist diese Angst berechtigt oder handelt es sich dabei um einen weiteren Akt der Diskriminierung?»14 Danach dauerte es mehr als zwanzig Jahre, bis Swiss Olympic in der Schweiz 2015 die Kampagne «Rote Karte gegen Homophobie im Sport» mit klaren Statements ins Leben rief: «Schwul oder lesbisch zu sein lässt einen nicht langsamer laufen, weniger weit werfen oder springen – die sexuelle Orientierung hindert niemanden an seiner sportlichen Leistungsfähigkeit – die Homophobie schon!»15 Durch internationale und nationale Richtlinien wird Homophobie von den wichtigsten Sportverbänden theoretisch nicht mehr geduldet. Doch zwischen diesen hehren Prinzipien und der realen Umsetzung besteht nach wie vor eine grosse Kluft.
Sichtbare Homosexualität im Sport
Im August 2016 stellte das deutsche Lesben-Magazin L.Mag die Frage: «Was haben sportliche Erfolge mit der sexuellen Orientierung zu tun?», und gab im Text gleich selbst die Antwort: «Gar nichts! Deshalb ist es umso schöner, dass immer mehr Lesben und Schwule bei Olympia nicht mehr das Gefühl haben, das verstecken zu müssen.»16 Die Tatsache, dass Lesben im Spitzensport immer selbstverständlicher werden, beweist auch die Präsenz des ersten verheirateten Frauenpaares in der olympischen Geschichte in Rio 2016. Helen und Kate Richardson-Walsh spielten gemeinsam im britischen Hockey-Nationalteam. Kate meinte in einem Interview: «Es freut uns, wenn sich Menschen bei uns melden und sagen, dass unsere offene Art ihnen geholfen hat, sich mit ihrer eigenen Homosexualität zu befassen oder sich gegenüber ihren Eltern zu öffnen.»17 Eine andere Geschichte wurde ebenfalls an den Olympischen Spielen in Rio 2016 geschrieben: Eine brasilianische Rugbyspielerin, Isadora Cerullo, erhielt vor laufender Kamera und über das Stadionmikrofon von ihrer Freundin einen Heiratsantrag mit rotem Herzluftballon, den sie mit einem Kuss annahm.18 Auch die Küsse der Fussballweltmeisterinnen aus den USA, welche ihren Partnerinnen auf der Tribüne galten, gingen im Juli 2019 von Frankreich aus um die Welt. Und mit dem US-Star Megan Rapinoe, einer Aktivistin für LGBTIQ-Rechte, wurde die beste WM-Spielerin auch zur Weltfussballerin 2019 ausgezeichnet. Sie nahm bei ihrer Dankesrede vor der versammelten Weltfussballprominenz kein Blatt vor den Mund und prangerte Sexismus, Homophobie und Rassismus im Sport an. Im Gegensatz dazu: Noch bei der FIFA-Nomination 2012 der Schwedin Pia Sundhage zur weltbesten Trainerin wurde die Kameraeinstellung bei der Liveübertragung sofort umgestellt, als sie ihre Partnerin küssen wollte. Die öffentliche Sichtbarkeit lesbischer Spitzensportlerinnen ist insgesamt zunehmend, aber noch lange keine Selbstverständlichkeit.
Gemäss L.Mag nahmen an den Olympischen Spielen 2016 «mindestens 64 offen lesbische und schwule Sportler» teil. Davon waren nur elf Männer, die fast ausschliesslich im Reit- und Wassersport starteten.19 Offen schwule Topathleten sind vor allem in Einzeldisziplinen und Randsportarten anzutreffen. Obwohl die Anzahl sichtbarer lesbischer Sportstars nicht sehr hoch ist, sieht es bei den schwulen Sportlern noch prekärer aus. Die Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling berät unter anderen schwule Profisportler, die ihre Homosexualität nicht öffentlich machen wollen. Eggeling meint, dass schwule Athleten noch ein grösseres Tabu brechen als lesbische Sportlerinnen.20 Bei Letzteren scheint Homosexualität weniger Verwunderung hervorzurufen als bei den Männern, da Sportlichkeit historisch gesehen eng mit Männlichkeit verknüpft ist. Das Schwulsein wird oftmals mit weiblichen Attributen beschrieben.21 Dieser Widerspruch führt zum Desinteresse der Massenmedien und des potenziellen Sponsorings.
Bei der Sichtbarkeit von Persönlichkeiten im Sport spielen Medien eine Schlüsselrolle. Dabei bietet die «Machtallianz zwischen Sport, Medien und Wirtschaft» – offenkundig oder subtil – einen idealen Nährboden für die patriarchale Vorherrschaft und Heteronormativität. Von der Norm abweichende Menschen, wie zum Beispiel lesbische Sportlerinnen, entsprechen den Mainstream-Medien und den damit verbundenen Prinzipien der Vermarktbarkeit nicht.22 Frauenliebende Athletinnen sollen entweder über ihre Sexualität offen kommunizieren, oder sie gelten automatisch als heterosexuell. Dazwischen gibt es kaum Optionen. Eher burschikos wirkende Athletinnen, die von einem weiblichen Idealbild abweichen, sind im glamourösen Sport- und Medienbusiness kaum sichtbar. Da ein heterosexuelles Publikum angesprochen werden soll, wird eine erfolgreiche Vermarktung dieser Athletinnen nicht erwartet. In einer Gesellschaftsordnung der quasi obligatorischen Heterosexualität geraten aber auch Athletinnen, die auf Männer stehen, unter Druck. Sie müssen sich einerseits vom Männlichsein und andererseits vom möglichen Lesbischsein distanzieren. Der sogenannte Kournikova-Effekt23 ist durch Studien in verschiedenen Ländern bestätigt. Dies bedeutet kurz gesagt: Je hübscher und sexyer sich eine Athletin präsentiert, desto mehr Zeitungsspalten, Werbefläche und Übertragungsminuten werden ihr gewidmet.24 Demnach wäre es vermessen, alle Sportlerinnen als Opfer der Werbebranche darzustellen, weil sie oftmals selbst zur Aufrechterhaltung der althergebrachten Stereotypen beitragen und davon profitieren.
In den letzten Jahren scheint sich diese heteronormative Sportphalanx auch in der Schweiz punktuell aufgeweicht zu haben. So war etwa der schwule Fussballschiedsrichter Pascal Erlachner 2018 für den Prix Courage nominiert.25 Dies kann einerseits als Durchbruch in der öffentlichen Wahrnehmung bewertet werden, aber verdeutlicht andererseits auch die Einordnung seines Coming-outs als äusserst mutiger Akt. Auch andere Homo- oder Bisexuelle der Schweizer Sportwelt rückten ins Rampenlicht der Medienaufmerksamkeit. Ramona Bachmann und Alisha Lehmann wurden zum Beispiel vom Boulevardblatt Blick wiederholt als «Schweizer Traumpaar des Frauenfussballs» bezeichnet. Weiter schrieb der Blick: «Was in der Welt des Männerfussballs noch undenkbar wäre, ist bei Ramona und Alisha inzwischen Realität: Frauen stehen offen zu ihrer homosexuellen Beziehung. Und die Fans liegen ihnen dafür zu Füssen.»26