Kitabı oku: «Knochenfeuer», sayfa 7

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9

Saki
Prüfung


Nachdem mein Ziel klar war, trainierte ich härter. Und langsam wurden aus Tagen Wochen. Mein Körper zitterte nicht mehr unkontrolliert in der Kälte. Meine Finger und meine Haut waren nicht mehr blau, sondern hatten stellenweise einen etwas natürlichen Ton angenommen. Die Blutergüsse bedeckten nicht mehr nur mich, sondern auch die anderen Männer, mit denen ich trainierte. Meine Muskeln wuchsen und mein Hass auf die Eisendynastie loderte weiter.

Entschlossen reckte ich das Kinn und starrte auf den Trainingsplatz. Einige Krieger standen in der Mitte und führten die Techniken vor, die wir in den letzten Wochen gelernt hatten. Es war eine stupide Prüfung. Nichts, was ich nicht perfekt beherrscht hätte. Doch ich nahm nicht teil.

Das Herz brannte heiß in meiner Brust. Während der letzten vier Wochen hatte ich meine Ungeduld kaum zügeln können. Warum nahmen mir die Hüter kostbare Zeit, von der ich doch so wenig hatte? Nachts sah ich Kindra in meinen Albträumen, die mich fast zur Verzweiflung trieben.

Doch ich riss mich zusammen. Drohte die Ungeduld aus mir heraus­zuplatzen, trainierte ich doppelt so hart. Schreckte ich morgens aus dem Schlaf auf, stemmte ich Gewichte auf dem Trainingsplatz, egal wie früh es war. Ich versuchte mich mit allen Mitteln abzulenken. Denn die Gedanken an Kindra schmerzten in meiner Brust. Zu lange verharrte ich in diesem Dorf, ohne ihr näher zu kommen. Meine Vernunft mahnte mich, dass ich für die Spionage am Königshof vorbereitet sein musste. Aber meinem Herz war das egal. Es sehnte sich nach Kindra.

Heute stand ich am Rand des Trainingsplatzes und sah den Männern zu, wie sie die unterschiedlichen Übungen zeigten und Kämpfe austrugen. Am liebsten hätte ich Arnen zu Boden geschlagen. Auch wenn ich wusste, dass es alles nur schlimmer machen würde. Tief in meinem Innern flüsterte mir eine Stimme zu, dass ich Kindra mit jedem Tag ein weiteres Stück verlor.

Ich öffnete meine Fäuste und ließ meine Schultern hängen. Für ein paar Herzschläge schloss ich die Augen und sah ihr Gesicht vor mir. Wie sie lachte und strahlte. An dieses Bild klammerte ich mich und atmete tief durch, dann hob ich den Blick und ging zu meinem Quartier zurück, ohne ein Wort mit Arnen gewechselt zu haben.

Am nächsten Tag bat er mich um ein Gespräch. Insgeheim stellte ich mich darauf ein, dass er mir meine Ungeduld unter die Nase reiben würde. Dabei hatte ich mit mir selbst gekämpft. Vergeblich, so wie es aussah.

»Glückwunsch«, sagte er. »Du hast deine erste Prüfung bestanden.«

Irritiert zog ich die Augenbrauen zusammen und sah Arnen an. »Was meinst du?«

Er räusperte sich und legte mir die Hände auf die Schultern. »Deine erste Prüfung bestand darin, deine größte Schwäche zu überwinden. Dich unseren Entscheidungen zu beugen und vernünftig alle Möglichkeiten abzuwägen, egal was du dabei empfindet. Es ging um Selbstdisziplin.«

Mein Mund klappte auf und ich schloss ihn wieder. Adrenalin schoss durch meine Adern und mein Herz raste. Ich hatte meine erste Prüfung bestanden.

Arnen erhob sich. »Von nun an wirst du auch in deinem Wissen geschult. Neben dem körperlichen Training benötigst du auch mehr Informationen über die Eisendynastie. Wir sind uns jetzt sicher, dass du dich beherrschen kannst und für den Kampf trainieren wirst, auch wenn du nicht mehr den ganzen Tag auf dem Trainingsplatz verbringst.« Er deutete mir an, ihm zu folgen. Gemeinsam gingen wir durch das Dorf und bis zu einer Höhle, die nicht weit vom Eingang zum Ältesten entfernt lag.

Wir traten ein und schummriges Fackellicht umhüllte uns, das die Wände nur spärlich beleuchtete. Der kreisrunde Raum war kahl, doch es roch angenehm nach Gebäck. Eine alte Frau saß auf einem Sessel in der Mitte des Raumes. Ihr gegenüber stand ein weiterer Sessel.

»Hallo, Sendra«, begrüßte Arnen sie.

»Willkommen«, sagte sie und deutete auf den leeren Platz. »Bitte setz dich, Saki.«

Ihr gegenüber ließ ich mich in den Sessel sinken und musterte sie. Sie war alt, das Gesicht faltig und das schwarze Haar von silbrigen Strähnen durchzogen. Statt Augen blickten mich nur leere, vernarbte Höhlen an.

»Du kannst gehen, Arnen«, sagte sie und wedelte mit der Hand Richtung Ausgang.

Er verabschiedete sich knapp und ließ uns allein.

Sendra beugte sich etwas vor und steckte ihre Arme aus. »Zuerst lass mich dein Gesicht sehen.« Sie winkte mich heran und ich führte ihre Hände an meine Wangen. Nach einer Weile grinste sie und lehnte sich zurück. »Du bist sehr entschlossen. Dein Wille brennt stark in dir.«

»Woher wisst Ihr das?«, fragte ich und starrte auf ihre Narben.

»Ich sehe mehr mit meinen Händen und meinem Geist, als du je mit deinen Augen zu erkennen vermagst«, antwortete sie und faltete die Hände in ihrem Schoß. »Aber wir sind nicht hier, um über mich zu sprechen, nicht wahr?« Sie drückte den Rücken durch. »Dir steht eine beschwerliche Reise bevor. Viele Hindernisse wirst du überwinden müssen, um das zu finden, was du suchst. Es gibt viel, was du vorher lernen musst.«

»Und das wäre?«, fragte ich.

»Na, was schon? Dialekt, Aussprache, Sitten, Bräuche, Geo­grafie. Um unter den Eisenmännern nicht aufzufallen und dich in der Eisendynastie wie einer der ihren einzugliedern, musst du das alles beherrschen. Aber viel wichtiger ist, dass du verstehst, was Kindra ist. Und warum der Krieg tobt.« Ihre Stimme war keine Spur tadelnd, sondern sprühte vor Energie. Einen kurzen Moment schwieg sie und die Spannung in der Luft schien zu vibrieren. »Bitte erzähle mir alles, was du über die Goldkinder zu wissen glaubst.«

Obwohl ich Geschichten liebte, waren nur wenige nach Grün­frey durchgedrungen. Dafür hatten wir zu abgeschieden gelebt. Aber ich erinnerte mich an jede, die jemals die Lippen eines Bewohners verlassen hatte. »Ich kenne die gängigen Geschichten und Legenden, in denen die Goldkinder als magisches Volk dargestellt werden. Ihre Körper besitzen Kräfte, die Männer zu Magiern machen oder Waffen verstärken können. Die Eisendynastie jagt die Goldkinder seit Jahrhunderten und versucht dadurch an Macht zu gelangen.« Ich stutzte kurz. »Das ist eigentlich schon alles.«

Die Alte schüttelte den Kopf und lächelte. »Das ist nur ein winziger Teil der Wahrheit«, antwortete sie. »Es begann alles viel früher. Als das Gezeitenreich von der Magie der fünf Urdrachen errichtet wurde. Jeder Drache formte einen Teil des Gezeitenreiches. Immerwährender Sommer, Tiefer Winter, Beständiger Herbst, Keimender Frühling und Ewiger Regen. Doch die Macht des fünften Drachen konnte sich an den prächtigen Jahreszeiten der anderen Drachen nicht messen. Eifersucht, Hass und Missgunst verdarben ihn. Seine blauen Schuppen verfärbten sich schwarz und er wurde von den anderen Drachen aus dem Gezeitenreich verbannt. Der fünfte Drache hatte von da an viele Namen. Der gefallene Drache, der schwarze Drache, der Eisendrache sind nur ein paar davon. Er formte sich ein eigenes Reich, die Eisendynastie. Sein Hass übertrug sich auf alles Leben, das er erschuf. Die Blutlinie der Königsfamilie entstammt aus einer Liebschaft zwischen dem fünften Drachen und einer Frau. In ihrer Erbschaft wurde der Hass weitergetragen.«

»Die Schöpfungsgeschichte«, flüsterte ich.

»Ja, sie enthält Teile der Wahrheit.«

Aber warum sprachen wir über die Urdrachen? »Wie hängt das mit den Goldkindern zusammen?«, fragte ich.

Sendra strich sich die ergrauten Strähnen hinter die Ohren. »Die anderen vier Drachen lebten glücklich und abgeschieden im Gezeiten­reich. Auch sie verliebten sich in die Menschen, die ihr Reich bevölkerten. Doch sie untersagten sich, Bindungen mit den Menschen einzugehen. Der Sommerdrache brach dieses Versprechen. Über Jahre hinweg nahm auch er hin und wieder seine menschliche Form an und vereinte sich mit den schönsten Frauen. Anders als die Frau des Eisendrachen gebaren die Frauen des Sommerdrachen keine Kinder, sondern goldene Dracheneier. Der Sommerdrache versteckte diese Eier vor den anderen Drachen und führte seine heimlichen Lieb­schaften fort, da er dachte, sie würden unentdeckt bleiben.

Ein Jahrhundert nachdem das erste Drachenei geboren wurde, schlüpfte ein Goldkind aus einem der Eier. In dem Kind steckte die schöpfende Kraft des Urdrachen, die angeblich in der Schale der Eier schlummerte und so in die Goldkinder überging. Diese Kinder brachten das Gleichgewicht der Welt durcheinander und wurden von den anderen Drachen entdeckt. Sie waren entrüstet über den Verrat des Sommerdrachen, stritten und bekämpften sich und verschwanden schließlich aus dieser Welt. Manche munkeln, sie seien in die Magie von Odre zurückgekehrt, um den Verfall zu verhindern.«

Ich runzelte die Stirn. »Dracheneier? Liebschaften zwischen den Urdrachen und Menschen? Ein Königshaus, dessen Blutlinie von einem Drachen abstammt.« Das war doch absurd. Diesen Teil der Geschichte hörte ich zum ersten Mal. Aber war das vielleicht der Grund, warum Noba, Kork und Kindra sich über ihre erste Begegnung stets vage ausgedrückt hatten?

Stammte Kindra von einem Drachen ab?

Sendra nickte. »Du hast sie gesehen, die goldenen Augen. Sag du mir, ob es so abwegig ist.«

Eine Erwiderung lag mir auf der Zunge, doch ich schwieg. Sie hatte recht. Kindra strahlte so viel Mythisches und Geheimnis­volles aus. War es unvorstellbar, dass sie aus einem Ei geschlüpft war? »Wie kann es sein, dass es dann noch junge Goldkinder gibt? Dass sie immer wieder auftauchen?«

»Es ist nicht klar, ob die Eier Jahrzehnte oder Jahrhunderte benötigen, um auszureifen, oder ob das Kind schlüpft, sobald es sich bereit fühlt oder gebraucht wird. Es ist auch nicht bekannt, wie viele Drachen­eier des Sommerdrachen existieren. Oder ob es wirklich die einzigen Eier sind.«

Langsam schüttelte ich den Kopf. »Das heißt, Kindras Vater ist einer der Urdrachen?«

»So ist es«, antwortete die Frau.

Ein kurzes Lachen entfuhr meiner Kehle. »Tut mir leid, aber ich weiß nicht, ob ich das wirklich glauben kann.«

»Ob du daran glauben kannst oder nicht, die Wahrheit existiert und ist unabänderlich. Die Goldkinder kennen ihre Namen, sobald sie geschlüpft sind. Kindragon Goldkind, oder wie du sie nennst, Kindra. Sie ist die Tochter des Sommerdrachen. Und eine meiner Schwestern.«

10

Kindra
Ein letzter Augenblick


Du bist so stur!«, zischte jemand. Blinzelnd öffnete ich mein linkes Auge, brauchte einige Herzschläge, um mich zu orientieren. Die muffige Luft des Verlieses drang in meine Nase und die Erinnerungen kehrten zurück. Die Wachen hatten mich hierher­gebracht, nachdem …

Eiseskälte pumpte durch meine Adern. Ruckartig hob ich die Hand und berührte meine linke Gesichtshälfte. Jene, die noch intakt war. Während mein rechtes Auge von nun an geschlossen bleiben würde. Angst, was die Zukunft für mich bereithielt, betäubte alle weiteren Gefühle in mir.

In der Dunkelheit erkannte ich eine schlanke Gestalt, die die Gitterstäbe meiner Zelle umfasste. Es dauerte eine Weile, bis sich mein Auge an das dämmrige Licht gewöhnt hatte und ich meine Umgebung erkannte. Den winzigen, eingezäunten Bereich und den schummrig beleuchteten Gang. Erneut war ich in dieser Zelle gelandet, weil ich den König mit meinem Widerstand gegen den Eingriff verärgert hatte.

Jaden stand im dämmrigen Licht und zu viele Emotionen huschten über sein Gesicht, als dass ich sie erfassen konnte. Seine Mundwinkel verzogen sich und ich erkannte, wie er die Gefühlsregungen von seinem Gesicht verdrängen wollte. Seine Nase kräuselte sich, wie viele Male in den letzten Wochen, wenn er die Maske aufsetzen wollte, es ihm aber nicht mehr gelang. Seine Hände zitterten. »Du bist selbst schuld!«

Versuchte er es auf mich zu schieben?!

Wut loderte tief in meinen Eingeweiden auf und weckte mich vollends aus meinem schlaftrunkenen Zustand. »Ich bin schuld?!«, wiederholte ich. »Was soll daran denn meine Schuld sein? Dass ich mich nicht freiwillig ausschlachten lasse? Dass ich mein Auge gern behalten hätte?« Den letzten Satz schrie ich ihm entgegen.

Jaden senkte den Blick und schüttelte den Kopf.

Ich durchquerte die kleine Zelle mit zwei Schritten und packte Jadens Schultern durch die Gitterstäbe und schüttelte ihn, bis er mich ansah. Seine Lippen waren zu einer schmalen Linie zusammengepresst. »Ich habe das nicht verdient! Ihr könnt euch nicht einfach nehmen, was ihr wollt!« Tränen rannen mir über meine linke Gesichtshälfte. Die rechte blieb trocken. Das war die Realität: Sie hatten mein Auge bei der Ernte entfernt.

»Du hättest tun müssen, was er sagt«, setzte Jaden an. »Du wusstest, dass sie es sich sowieso nehmen. Du müsstest nicht hier sein, wenn du dich einfach gefügt hättest.« Sein Blick huschte über mich und durch die Zelle. »Du könntest in deinen Gemächern sein.«

Hysterisch lachte ich auf. »Du verstehst es nicht! Ich hätte den Eingriff ruhig über mich ergehen lassen sollen? Friedlich zustimmen, dass der Medi mein Auge entfernt?«

»Nein, du verstehst es nicht!«, rief Jaden. »Du bist verbohrt, stur. Du erkennst nicht, dass du das Beste aus der Situation machen solltest. Sie nehmen es sich sowieso.«

Schnaubend packte er meine Hände. Schmerz zuckte durch meine Handgelenke und ich löste den Griff um seine Schultern. Dennoch biss ich die Zähne zusammen und hielt seinem Blick stand. Er fixierte mich mit seinen Augen. Einen Moment sagte keiner von uns etwas.

Dann schüttelte Jaden den Kopf. »Du bist so stur«, flüsterte er, ließ meine Hand los und drehte sich um. Seine Schultern bebten und sein Kopf zuckte, als würde er mir noch mal einen Blick zuwerfen wollen.

Ich erwartete, dass er davonmarschierte und mich zurückließ. Doch er überlegte es sich anders. Als er sich umdrehte, lag Traurigkeit in seinem Blick. »Wenn du hier unten bist …«, raunte er und seine Stimme versagte. »Es bricht mir fast das Herz, dich im Verlies zu sehen.«

Einen Augenblick lang nahm ich nur die Herzschläge in meiner Brust wahr.

Er trat näher an die Gitterstäbe und zögerte. Als er die Hand hob und meine Wange berührte, hielt ich den Atem an. Sah er in diesem Moment Ardra in mir?

»Ich wünschte, ich könnte es dieses Mal richtig machen. Ardra habe ich verloren …«

Fest umschloss ich seine Hand. Aufregung flatterte in meinem Magen. »Das kannst du. Beende die Ernte.«

Jaden lachte bitter. Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. »Glaubst du wirklich, ich habe so viel Macht?«

»Du bist der Anführer der Goldmagier. Der fähigste Magier, wenn es nach dem König geht.«

Er schüttelte den Kopf. »Was bringt das mir? Kindra, mein Titel ist eine Farce. Mein Vater regiert und das Volk dürstet nach Gerechtigkeit, nachdem der Eisendrache von den anderen verstoßen wurde.«

Seine Worte jagten mir einen Schauer über den Rücken. Der König hatte die Macht über die Ernte und seinen Sohn. War Jaden nicht mehr als eine Spielfigur, die der König lenkte? Hatte er keine Freiheiten und war in seine Rolle gezwungen, weil er als Prinz geboren wurde?

»Wir haben mehr gemeinsam, als du ahnst«, sagte ich und ein bitteres Lächeln breitete sich auf meinem Gesicht aus. »Wir beide hadern mit dem, was wir sind.«

Als er die Hand sinken ließ, schmunzelte er. Er trat einen Schritt zurück und sein Blick wanderte durch den Kerker. »Kannst du dich bei meinem Vater entschuldigen, um in deine Gemächer zurück­zukönnen?«

Bei dem Gedanken, mich vor dem König zu beugen, krampfte mein Magen. Meine Schultern spannten sich an. Der trotzige Teil in mir begehrte auf, wollte den Widerstand, den ich geleistet hatte, mit Stolz tragen. Doch Jadens Offenheit ließ mich zögern. Tief in seinem Innern empfand er Liebe und Reue. Ergeben schloss ich die Augen und nickte. »Ich werde mich entschuldigen.«

»Danke«, hauchte Jaden und verschränkte seine Finger mit meinen. Er drückte sie leicht, ehe er sich umdrehte und mich zurückließ.


Kurze Zeit später kehrte Jaden mit dem König und einigen Wachen zurück. Auf Jadens Gesicht lag die kalte Fassade des eisernen Prinzen. Die Gefühle, die er mir vorhin offenbart hatte, wirkten weit entfernt. Als mich sein Blick aus dunklen Augen traf, wusste ich aber, dass sie real waren. Seine flehende Bitte lag für mich deutlich erkennbar darin.

Der König schritt an Jaden vorbei und blieb vor meiner Zelle stehen. Um in sein Gesicht sehen zu können, legte ich den Kopf in den Nacken. Die Gitterstäbe wirkten in seiner Gegenwart kleiner, zerbrechlicher. Als wäre die Zelle mit mir geschrumpft.

»Mein Sohn informierte mich, du hättest es dir anders überlegt.« Seine Stimme dröhnte in meinen Ohren und pulsierte durch meinen Brustkorb.

Kurz schielte ich zu Jaden, der links hinter seinem Vater stand. Er hatte den Blick gesenkt und trug seine gelangweilte Maske.

»Ja, Eure Majestät«, presste ich hervor. Schwer schluckte ich gegen den Kloß in meinem Hals an. Mich vor dem König zu beugen gefiel mir nicht. Doch ich trieb mich weiter an. »Ich habe meine Lektion gelernt.«

Der König legte den Kopf schräg und tippte sich mit einem Finger ans Kinn.

»Bitte verzeiht mein Verhalten. In Zukunft werde ich gehorchen«, log ich und presste im Anschluss die Zähne aufeinander, bis mein Kiefer schmerzte.

»Ich begrüße deine Entschuldigung«, antwortete der König und nahm damit eine Last von meinen Schultern. Wieder huschte mein Blick zu Jaden, der mich ansah. Dankbarkeit lag in seinem.

»Ja, ich bin wahrlich erleichtert über deinen Sinneswandel«, fuhr der König fort. »Aber wirst du dich tatsächlich zügeln?« Mit seinen Augen musterte er mich intensiv.

»Das werde ich.«

Kopfschüttelnd breitete er die Arme aus. »Du solltest noch einige Tage darüber nachdenken.« Er drehte sich um und entfernte sich.

Unsicher tastete ich nach dem Gitter, dessen Entfernung ohne mein zweites Auge schwierig einzuschätzen war, und schlang die Finger um die Stäbe. »Bitte«, flehte ich und sah dabei Jaden an, der widerwillig seinem Vater folgte. »Lasst mich nicht hier zurück. Ich verspreche es.« Mit jedem Wort, das ich aussprach, kam ich mir schmutziger vor.

Doch der König kehrte nicht zurück.

Jaden besuchte mich jeden Tag im Kerker, doch je länger ich hier unten war, desto qualvoller schien der Besuch für ihn zu sein. Mit jedem Tag erdrückte mich die Kälte und Dunkelheit mehr, und mit jedem Besuch wünschte ich mir mehr, Jadens Qualen lindern zu können.

Wenn er sich mir öffnete, erkannte ich, wer er wirklich war. Nur ein Junge, der in eine Rolle gezwängt worden war, die er nicht wollte.

Während ich in der Zelle saß, auf den staubigen Boden starrte und an ihn dachte, wurde mir klar: Es gab viel mehr in ihm. Etwas Gutes. Etwas Zerbrochenes. Einen Teil, der Ardra liebte.


Als ich drei Tage nach meiner Entschuldigung in meine Gemächer zurückgebracht wurde, legte ich mich als Erstes ins Bett und vermied es, Richtung Spiegel zu sehen. Ich war nicht bereit, mein Gesicht zu sehen. Den Verband und das … was fehlte. Die Eisenmänner hatten mir ein Auge entnommen und sosehr ich auf meine Selbstheilungskräfte hoffte – das Auge würde nicht ohne Weiteres nachwachsen. Das spürte ich.

Mit geschlossenem Auge wickelte ich mich fester in die Decke, gab mich der Erschöpfung hin und versank in einem traumreichen Schlaf. Dort fand ich mich auf einer Wiese in Grünfrey wieder und starrte in den Himmel. Saki lag neben mir und nahm meine Hand. Die Berührung durchflutete mich mit einem Gefühl von Heimat.

Als ich erwachte, verschwand das Wohlgefühl und zurück blieb ein schlechtes Gewissen. Für Jaden hatte ich mich beim König entschuldigt und versprochen, gehorsam zu sein. Was würde Saki von mir denken, wenn er das wüsste?

So schräg es auch war, im Prinzen hatte ich einen Freund gefunden. Jemanden, der mich verstand.

Ein Klopfen ließ mich aufschrecken, ich richtete mich auf und starrte zur Tür. Erleichtert atmete ich aus, als nicht der König, sondern Jaden mit einem magischen Licht ins Zimmer trat.

Jadens Kiefer war angespannt und als sein Blick meinen traf, trat ein gequälter Ausdruck in seine Augen. Er gab sich keine Mühe, seine Gefühle vor mir zu verstecken.

Mit schnellen Schritten durchquerte er den Raum und blieb vor mir stehen. Das Licht wärmte meine Wangen und ich begrüßte den kurzen Anflug von Wohlgefühl. Jaden schüttelte leicht den Kopf.

»Dein Verband!«, sagte er in einem tadelnden Ton. »Setz dich!«, forderte er mich auf und zeigte auf einen der Sessel.

Schweigend gehorchte ich und ließ ihn dabei nicht aus dem Auge. Er ging zu meinem Nachttischschränkchen und holte einen frischen Verband und einige Salben heraus. Natürlich gehörte dies zur Grundausstattung eines Zimmers, in dem ein Goldkind einquartiert war. Vorsichtig legte er mir Tiegel mitsamt Stoffbahnen in den Schoß und wickelte mir den Verband vom Kopf. An einigen Stellen klebte er an meiner Haut. Die Wunde pochte, aber es war nicht das gewohnte Kribbeln, das die Heilung andeutete. Es war anders. Mein Körper hatte genug. Genau wie ich.

Jaden sog scharf die Luft ein, als er die Höhle erblickte, in der sich früher mein rechtes Auge befunden hatte. Schmerz und Wut loderten in seinem Gesicht auf und er trug vorsichtig eine Salbe auf. Dann legte er einen neuen Verband an. Als er fertig war, stand er auf und flüsterte: »Es tut mir so leid.«

Erschöpft sah ich zu ihm empor und schüttelte leicht den Kopf. Ich konnte ihm nicht die Schuld an der Ernte geben. Nicht mehr. »Du kannst nichts dafür«, sagte ich und meinte es so. Dafür erinnerte er mich zu sehr an mich selbst. Er war Teil der Ernte, weil seine Geburt es besiegelt hatte.

Kurz rieb er sich mit einer Hand über das Gesicht. Als er mich wieder ansah, war es, als würde ich ihn das erste Mal sehen. Den echten Jungen, den Jaden, der er wirklich war. Mit klarem Blick, die Augen nicht pechschwarz wie alles verschlingende Finsternis, sondern wie ein ausgebranntes Feuer, das langsam zu Asche zerfiel. Seine Stimme war rau: »Es ist für mich.«

Erst verstand ich nicht, was er damit meinte. Dann weitete sich mein linkes Auge, bevor meine Schultern zu beben begannen. »Das Auge ist für dich.«

Er nickte, unfähig zu sprechen.

»Wann setzen sie es dir ein?«, fragte ich und konnte mich nicht gegen die Übelkeit wehren, die in mir aufwallte.

»Morgen«, krächzte er und ließ sich vor mir im Schneidersitz auf den Boden sinken, den Blick zu mir erhoben. »Ich will es nicht«, sagte er leise. »Aber mein Vater meint, ich soll das erste erhalten. Es ist eine Premiere, es ist …« Seine Stimme versagte und er schluckte. »Es ist ein neuer Versuch.«

»Wie meinst du das?«, raunte ich. »Kann es schiefgehen?«

Er antwortete nicht, aber das musste er nicht.

»Der König nimmt sich das zweite, wenn ihr Erfolg habt?«, fragte ich.

Wieder nickte Jaden. In seinen Augen kämpften Scham, Schmerz und Wut miteinander. Er streckte die Hand aus und packte meinen Knöchel. Eine Weile strich er mir mit den Fingern über die Haut. Es war die erste Berührung, das erste Mal seit Monaten, dass mir jemand körperliche Nähe schenkte.

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, trotzdem konnte ich nicht anders, als es zu genießen. Waren wir uns emotional schon so nah? Das Mädchen mit der Magie und der Junge, der sie sich einverleibte?

»Danke«, flüsterte er.

»Wofür?«

»Dass du dich bei meinem Vater entschuldigt hast.«

Ich senkte den Blick und kämpfte gegen die Schuldgefühle an. »Dich so zu sehen …«, stotterte ich und dachte an Ardra. An Jadens Gefühle für sie und seinen Schmerz. »Es gibt jemanden, dem mein Herz gehört. Daher kann ich dich verstehen.« Die Worte kamen über meine Lippen, bevor ich sie aufhalten konnte.

»Ist er umgekommen? Bei dem Überfall?« Jadens Stimme bebte.

Mein Blick verlor sich in der Ferne, während meine Gedanken an einen Tag zurückkehrten, den ich gern aus meinem Gedächtnis streichen würde. »Ich weiß es nicht. Er war bei mir, als die Flut kam. Aber ich spüre, dass er da draußen irgendwo ist.«

»Wie war er?«

Sein tiefes Lachen dröhnte in meinen Ohren, begleitet von der Erinnerung an warme Sonnenstrahlen auf meiner Haut. »Fröhlich und gutherzig.« Ich stockte. »Saki liebt Geschichten.«

»Saki«, wiederholte Jaden. »Ein ungewöhnlicher Name.«

Tränen stiegen in mir auf und ich blinzelte erfolglos dagegen an. Sie bahnten sich einen Weg über meine Wange und hinterließen eine kalte Spur auf meiner linken Gesichtshälfte. »Ein außergewöhnlicher Junge.« Ich schluchzte und vergrub das Gesicht in den Händen.

Jadens Kleidung raschelte. Fahrig wischte ich mir über das Auge und sah zu ihm, wie er im Zimmer auf und ab schritt.

Nach einer Weile stoppte er und wandte sich mir zu. »Ich will, dass du fliehst«, sagte er nach einer gefühlten Ewigkeit, doch mit so viel Nachdruck in der Stimme, dass mein Herz einen Schlag aussetzte. »Das bin ich euch schuldig. Dir, Ardra und allen Goldkindern.«

Ein bitteres Lachen entschlüpfte meiner Kehle. »Wie stellst du dir das vor? Dass ich hier rausspaziere und einer fremden Stadt und einem fremden Land entkomme, ohne dass jemand mich an meinem Auge als ein verdammtes Goldkind erkennt!« Mein Ton war schärfer als beabsichtigt.

Jaden mahlte mit den Kiefern, hielt meinem Blick jedoch stand. »Wir finden einen Weg. Ich werde dir helfen.«

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9783959915106
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