Kitabı oku: «Die Marokko-Show»
Jeremias Schulthess
Die Marokko-Show
Die zweite Marokkokrise 1911
Mit zahlreichen historischen Fotografien
Impressum
ISBN 978-3-86408-019-7 (epub) // 978-3-86408-020-3 (pdf)
Lektorat/ Korrektorat: Frank Petrasch
© Copyright: Vergangenheitsverlag, Berlin / 2011
Alle Rechte, auch die des Nachdrucks von Auszügen, der fotomechanischen und digitalen Wiedergabe und der Übersetzung, vorbehalten.
Coverfoto: Ausschnitt aus Bundesarchiv, Bild 102-12449 / CC-BY-SA
eBook-Herstellung und Auslieferung:
readbox publishing, Dortmund
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
Der deutsche Platz an der Sonne
Ein Hilferuf aus Marokko
„Hurrah! Eine Tat!“
Krieg oder Frieden?
Quellenteil
Quelle 1: Unterredung zwischen Kiderlen und Claß im Pfälzer Hof zu Mannheim am 19. April 1911 (aufgezeichnet von Claß)
Quelle 2: Denkschrift zur Vorlage der Marokko-Politik an den Kaiser
Quelle 3: Wilhelm Regendanz an Ernst Langwerth von Simmern zur Unterzeichnung des „Hilferufs“
Quelle 4: Kiderlen an an den Botschafter in Paris, von Schoen, bezüglich der Übergabe des „Aide-mémoire“
Quelle 5: Kölnische Zeitung, 14. Juli 1911 über „Kompensationen“
Quelle 6: Tagebucheintrag von Walther Rathenau zur Unterhaltung mit dem Kanzler Bethmann Hollweg
Quelle 7: Kölnische Zeitung, 9. September „Warum Krieg?“
Literatur
Einleitung
Am 1. Juli 1911 richteten sich die Blicke der Weltöffentlichkeit auf die marokkanische Hafenstadt Agadir. Das Kriegsschiff S.M.S. Panther hisste vor der Küste Marokkos die deutsche Flagge mit der Begründung, deutsche Unternehmen vor marokkanischen Aufständischen zu schützen. Agadir, eine Stadt im Süden Marokkos, in der es weder deutsche Unternehmen, noch Aufständische gab und von der kaum ein Europäer je gehört hatte, rückte auf einmal in den Fokus der internationalen Diplomatie. Seit Jahren war der Hafen für Handelsschiffe geschlossen. Dementsprechend war der Auftritt eines der reparaturbedürftigsten Schiffe der deutschen Marine vor der Küste Marokkos nicht mehr als inszenierte Symbolpolitik einer um Geltung kämpfenden Reichsregierung. Es ging darum, „mit der Faust auf den Tisch zu schlagen.“1 Man wollte von deutscher Seite zeigen, dass man – ebenso wie die anderen Kolonialmächte – Interessen in der Welt zu verteidigen habe. Der „Panthersprung nach Agadir“, wie die Aktion genannt wurde, sollte das angeschlagene Image des Kaiserreichs aufpolieren – eine inszenierte „Show“, mit realpolitischen Konsequenzen.
Während der Fokus der Öffentlichkeit auf Marokko lag, konnte die Reichsleitung abseits vom Scheinwerferlicht ihre eigentliche Kolonialpolitik vorantreiben. Seit längerem hatte man Gebiete in Zentralafrika ins Visier genommen. Das aggressive Vorgehen in Marokko entpuppte sich als Ablenkungsmanöver – Frankreich sollte mit der deutschen Drohgebärde lediglich an den Verhandlungstisch gezwungen werden. Die Rechnung ging auf, die französische Regierung sah ihre Interessen in Marokko gefährdet und trat mit Berlin in Gespräche ein, auch um einen möglichen Krieg mit Deutschland zu verhindern.
Das Ergebnis der deutsch-französischen Verhandlungen, das im November präsentiert wurde, gab jedoch Anlass für Kritik: Ein paar Landstriche an der Grenze zwischen Deutsch-Kamerun und dem französischen Kongo hatte der „Panthersprung“ den Deutschen eingebracht, was für viele als schmachvoller Rückzug wahrgenommen wurde – schließlich hatte die Reichsleitung doch Interesse an Marokko bekundet.
Die Kanonenbootpolitik vor Marokko markierte einen imperialistischen Höhepunkt der Vorkriegszeit. In einer Zeit, in der nicht die Frage am Horizont stand, ob, sondern nur wann ein Krieg ausbrechen würde, konnte ein derart waghalsiges Manöver wie es der „Panthersprung“ war, jederzeit einen europäischen Flächenbrand auslösen. Die bündnispolitische Konstellationen spitzten sich immer mehr zu. England und Frankreich hatten sich nach kolonialen Streitigkeiten im Sudan seit 1904 mit dem Abschluss der „Entente cordiale“ verbrüdert, während Deutschland mit Österreich-Ungarn seit 1873 ein immer fester werdendes Bündnis einging. Insofern war der „Panthersprung“ schließlich nicht nur gegenüber Frankreich, sondern auch England eine Provokation, der die „Entente cordiale“ auf eine Bewährungsprobe stellte. Die Eskalation eines kleinen, unverdächtigen Konflikts konnte somit jederzeit die Involvierung des ganzen Kontinents mit sich ziehen. Nur drei Jahre später, 1914, brachen die imperialen Gegensätze durch den Mord des österreichischen Thronfolgers, Franz Ferdinand, hervor – ein Umstand, vergleichbar mit der Situation in Marokko, die ebenfalls einen Weltkrieg hätte bedeuten können.
Als Drahtzieher des „Panthersprungs“ war der Staatssekretär des Äußeren, Alfred von Kiderlen-Wächter, maßgebend beteiligt. Seit seiner Einberufung im Jahr 1910 genoss er den Ruf, die deutsche Außenpolitik mit einer „starken Hand“ zu lenken. „Ein Mann von Mut und Entschlossenheit,“ der den Kanzler über sein politisches Vorgehen oft im Dunkeln ließ. Bethmann hätte ihm „feste zu trinken geben“ müssen, „damit er [Kiderlen] endlich sagt was er eigentlich will.“2 Eine solch selbstbewusste Haltung eines Staatssekretärs war neu. Verfassungsgemäß waren außenpolitische Fragen schließlich immer noch Angelegenheit des Kaisers. Praktisch hatte der Kaiser in diesem Bereich beinahe nur noch eine repräsentierende Funktion. Initiative und Verantwortung lagen beim regierenden Kabinett, dessen Handlungsfeld sich mehr oder weniger offen gestaltete. Die eigentliche Entscheidungskompetenz lag somit beim Kanzler und seinen Staatssekretären. Dass der erste Staatssekretär des Auswärtigen Amtes einen derartigen Coup wie den „Panthersprung“ landete, ohne dass alle Kabinettsmitglieder darüber informiert wurden, war für viele undenkbar. In der Tat waren mehr Vertreter aus hochrangigen Wirtschaftskreisen, als diplomatische Mitarbeiter in die Planung involviert.3
Die zweite Marokkokrise steht damit nicht nur für die Inszenierung eines weltpolitischen Ereignisses zur Realisierung des deutschen Weltmachtanspruchs, sondern auch exemplarisch für die enge Verbindung von Politik und Wirtschaft im späten Deutschen Kaiserreich. Interessenverbände buhlten bei den Entscheidungsträgern der auswärtigen Politik um Aufmerksamkeit. Das Auswärtige Amt verfolgte allerdings auch eigene Ziele. Eine vertrackte Konstellation, die sich im Verlauf der Krise immer mehr zu einer ausweglosen Situation entwickelte.
Im Folgenden soll es darum gehen, die allgemeine Ausgangslage des deutschen Kaiserreichs und die Marokkokrise als historisches Ereignis zu skizzieren. Insbesondere die Frage, wie das Vorgehen des Auswärtigen Amtes dargestellt und von der Öffentlichkeit wahrgenommen wurde, steht dabei im Vordergrund.
In der Forschungsliteratur ist die zweite Marokkokrise unter anderem von Emily Oncken minutiös untersucht worden.4 Zur Person Kiderlen-Wächters ist von Ralf Forsbach eine einschlägige Biografie erschienen, die die Marokko-Politik des Staatssekretärs sehr ausführlich und treffend beschreibt.5 Daneben sind ältere Forschungsbeiträge, wie die von Fritz Fischer, bis heute von Bedeutung – sie stellen die zweite Marokkokrise in einen größeren Kontext, einer imperialistischen Außenpolitik des Deutschen Reichs.6
Die Reihe „Geschichte kompakt“ beinhaltet – neben der komprimierten und auf dem aktuellen Forschungsstand beruhenden Darstellung relevanter Themen der Geschichte – ausgewählte Quellen sowie eine Sammlung der wichtigsten Literatur. Ergänzt wird die Reihe durch Bilder und multimediales Material. Damit bietet „Geschichte kompakt“ einen zeitgemäßen Zugriff auf Themen und Fragen der Weltgeschichte – geeignet für Schule und (Eigen-)Studium, zum Nachlesen, Nachschlagen, Lernen, auf den aktuellen Stand bringen und Bescheidwissen.
Der deutsche Platz an der Sonne
Die Weltpolitik Deutschlands zielte unter dem jungen Kaiser Wilhelm II. zusehends auf eine Weltmachtstellung, getragen vom Grundgedanken einen „Platz an der Sonne.“7
Kaiser Wilhelm II., Fotografie von ca. 1910
Voraussetzung für diesen Anspruch stellte ein erstes deutsches Wirtschaftswunder dar – Deutschland bildete nicht mehr die Nachhut, sondern drängte in die erste Reihe der führenden Wirtschaftsmächte. Ein überschwängliches Selbstbewusstsein prägte die politischen und gesellschaftlichen Prozesse. Es entstand eine neue Landschaft von Industriestädten, Werkstätten verwandelten sich in Weltkonzerne, neue Arbeiter- und Fabrikkulturen entwickelten sich. Jahrzehnte später schrieb Stefan Zweig über jene Zeit unmittelbar vor dem Kriegsausbruch:
„Je kühner, je großzügiger ein Unternehmen angelegt wurde, umso sicherer lohnte es sich. Eine wunderbare Unbesorgtheit war damit über die Welt gekommen, denn was sollte diesen Aufstieg unterbrechen, was den Elan hemmen, der aus seinem eigenen Schwung immer neue Kräfte zog?“8
Die „alten“ Industriezweige, wie Eisen- und Stahlproduktion, schnellten in den Jahren bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs in rasantem Tempo empor. Die Produktivität der Roheisenerzerzeugung verdreifachte sich von 1887 bis 1912, im Vergleich dazu hatte England einen Anstieg von nur 30 Prozentpunkten. „Neue“ Wirtschaftszweige, wie die chemische oder Elektroindustrie, kurbelten die deutsche Ökonomie weiter an. Bayer, AEG, Siemens und Bosch hießen die führenden Unternehmen der „New Economy“. Für seine Magnetzünder weltbekannt geworden, exportierte Bosch mehr als 80 Prozent seiner Produktion ins Ausland. Gleichzeitig stiegen die deutschlandweiten Einfuhren aus dem Ausland von 5,7 Mio. Mark im Jahr 1872, auf 161,3 Mio. Mark 1910.9 Der Welthandel florierte. Eine erste Globalisierungswelle lief an. Hand in Hand mit dieser ökonomischen Entwicklung ging eine zunehmende Abhängigkeit mit dem Ausland einher, die sich nun mehr auf die überseeische Welt ausweitete.
Neue Produktionsweisen der Schwerindustrie ermöglichten auch eine Ausweitung der militärischen Rüstung. Insbesondere der Flottenbau hatte unter Wilhelm II. eine neue Dimension angenommen. Die Firma F.A. Krupp lieferte einen neuen Typ von Panzerplatten, die eine einzigartige Abwehrkraft garantierten. Deutschland hatte sich in ein Wettrüsten mit England hinein gestürzt, bei dem der Flottenbau ein herausragendes Moment darstellte.10
Das neue deutsche Selbstbewusstsein zeigte sich auch in Form eines nationalistischen Gedankenguts rechtskonservativer Kreise. Der deutsche Imperialismus speiste sich ideologisch aus einer hierarchischen Vorstellung von Völkern. Man war den vermeintlich unterentwickelten Völkern überlegen, ergo stand man in einer zivilisatorischen Pflicht und konnte sich Kolonien aneignen, um den deutschen Weltmachtanspruch zu verwirklichen. Bei der Verteilung der Welt war Deutschland jedoch zu spät gekommen, was nun revidiert werden sollte.
In der Anfangsphase des neu gegründeten Kaiserreichs, in den 1870er Jahren, lag die Stoßrichtung der deutschen Außenpolitik vorwiegend in Europa. Auf eine Landkarte Europas deutend bemerkte Bismarck vielsagend: „Das ist meine Karte von Afrika.“11 Erst im Jahr 1884 begann das koloniale Abenteuer von deutscher Seite, mit dem Erwerb von Landstrichen in West- und Südafrika. Später kamen Kolonien an der afrikanischen Ostküste, Kiautschou (China), sowie kleinere Südseeinseln dazu. Es war ein sehr bescheidenes Kolonialreich, das die Deutschen aufbauten, in keiner Weise vergleichbar zu dem, was Engländer und Franzosen unter ihrer Gewalt hatten.
Es kristallisierten sich in dieser Zeit erste Interessengruppen für koloniale Angelegenheiten im Deutschen Reich heraus, die von der Fantasie angetrieben waren, mit den Kolonien nicht nur territorial an Geltung zu gewinnen, sondern auch wirtschaftlich zu profitieren. Die Deutsche Kolonialgesellschaft oder die Deutsch-Ostafrikanische-Gesellschaft vertraten direkte Wirtschafts- und Siedlungsinteressen in den neu erworbenen Kolonien. Mit der Gründung des Allgemeinen Deutschen Verbandes (ab 1894 Alldeutscher Verband) formierte sich eine breite Bewegung, die heterogene Gesellschaftskreise unter der Idee eines „völkischen Gedankens“ miteinander verband.12 Der Alldeutsche Verband (ADV) trat „für eine energische Kolonialpolitik“ des deutschen Kaiserreichs ein.13Er war ein Sprachrohr für viele rechtskonservative, nationalistische Stimmen und agierte abseits der politischen Bühne als antiparlamentarisches Propagandaorgan.
Für den Staat bedeuteten Kolonien einen immensen finanziellen Aufwand, der sich kaum durch wirtschaftliche Erträge aufwog. Von daher waren Kolonien größtenteils Prestigeobjekte einer Regierung, die im Kabinett der Großmächte und vor der eigenen Bevölkerung etwas vorweisen wollte. Für einzelne Wirtschaftsunternehmen hingegen konnten sich koloniale Errungenschaften durchaus auszahlen, etwa wenn reiche Bodenschätze auf dem Gebiet zu vermuten waren.
Zur Erschließung von Rohstoffvorkommen stellte der Eisenbahnbau einen entscheidenden Faktor dar. Keine Goldmine und keine Baumwollplantage konnte ertragreich ausgeschöpft werden, wenn nicht vorher Transportwege eingerichtet wurden. Es waren vorwiegend Banken, die in den kolonialen Eisenbahnbau investierten. Die deutsche Hochfinanz beteiligte sich in großem Umfang an einem Bahnprojekt von Deutschland über Südosteuropa bis in den Mittleren Osten. Die „Berlin-Bagdad-Bahn“ hatte nicht nur Prestigecharakter, sie stellte auch einen Kontrollfaktor durch Einflussmöglichkeiten auf Handels- und Transportwege dar. In Zentralafrika gab es ähnliche Projekte, die den Austausch und Abbau von Gütern durch Eisenbahnverbindungen fördern sollten. Die Deutsche Bank hatte Bergwerkskonzessionen im Gebiet um Katanga im Belgischen Kongo erworben und war daran interessiert, den Bahnbau in der Region voran zu treiben – eine „Transafrikanische Eisenbahn“, die den Kontinent von der Ost- und Westküste her erschließen sollte, war das längerfristige Ziel.14
Engagements deutscher Unternehmen gab es auch in Marokko, wo erhebliche Erz- und Kupfervorkommen vermutet wurden. Vertreter aus schwerindustriellen Kreisen liebäugelten seit den 1890er Jahren mit dem Gedanken, in Marokko Fuß zu fassen. Eine marokkanische Kolonie mit Deutschland als Schutzmacht zu errichten, hätte bedeutet, der eigenen Industrie den Vorzug vor ausländischen Montanunternehmen geben zu können. Den Franzosen, die als Kolonialmacht über Marokko verfügten, lag allerdings viel daran, diesen Status zu verteidigen. Konflikte waren hier vorprogrammiert sollten die Deutschen derlei Ziele verwirklichen wollen.
Dennoch war der Ruf nach Marokko Anfang des 20. Jahrhunderts zu hören und der Kaiser sah Handlungsbedarf, den Franzosen, die ihre Hand auf Marokko legten, in ihrer Kolonialpolitik einen Riegel vorzuschieben. Mit einem Besuch in der nordmarokkanischen Hafenstadt Tanger landete der Kaiser am 31. März 1905 einen demonstrativen Coup, der für internationales Aufsehen sorgte. Was hatte ein deutscher Kaiser auf feindlichem Kolonialgebiet verloren, fragten sich internationale Diplomaten. Für sie war die Landung des Kaisers in Marokko eine provozierende Geste, was auch von deutscher Seite so intendiert war – man wollte schlichtweg auf sich aufmerksam machen und gleichzeitig die Reaktionen der Großmächte prüfen. Die deutsche Provokation entwickelte sich zur ernst zu nehmenden Krise. „Es ging in der Marokko-Sache weniger um die Stellung des Reiches in diesem afrikanischen Staate, als mehr um die Deutsche Weltstellung“, schrieb der bayrische Gesandte, Graf von Lerchenfeld, im Rückblick auf diese erste Marokkokrise.15
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