Kitabı oku: «Jesus in Bern», sayfa 2

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Gottesglaube ja, Christus- und Trinitätsglaube nein.

Das Warten auf eine Katastrophe sei aber wahrscheinlich nicht die beste Idee, die Zeit fehle, und es brauche wohl keine Lückenbüßerreligion nur für schlechte Zeiten.

Fanaticus will nicht aufgeben. Man habe zu viel in den Aufbau des Christentums investiert. Man könne doch nicht einfach zweitausend Jahre Herzensblut in den Sand setzen. Man müsse nur einmal radikal anders denken und zum Beispiel ein neues theologisches Konzept ins Auge fassen, vielleicht eine neue Botschaft vom Reich Gottes. Er könne sich doch einmal hinsetzen und sich eine neue Botschaft ausdenken, eine Botschaft, welche den Bedürfnissen der heutigen Menschen entsprechen würde und vor allem auch für Jugendliche verständlich und spannend sein könnte.

Ebenso der Turbator fände es schade, jetzt aufzugeben und die religiösen Bedürfnisse, die gewisse Menschen halt immer noch hätten, einfach dem Islam, dem Buddhismus und Hinduismus oder dem Judentum zu überlassen. So wie Fanaticus über einen neuen Glauben nachdenke, könne er sich eine neue Kirche ausdenken, eine mit einer schlanken, glaubwürdigen Organisation und einem fehlbaren Papst an der Spitze. Paupertas, Humilitas und Simplicitas wären dann wieder die Anforderungen an die Kardinäle und Bischöfe. Er schaut Gregor vorwurfsvoll an. Vielleicht könne man so auch die beiden großen Kirchenspaltungen rückgängig machen und die römisch-katholische Kirche mit den Reformierten und den Orthodoxen im Osten wieder vereinen. Die Maestra macht sofort das Victory-Zeichen mit der rechten Hand. Sie sagt lachend, ein neuer Glaube, eine neue Kirche und als Beigabe eine Weltkatastrophe wären tatsächlich das absolute Superding. So könne man das Christentum vielleicht doch noch retten. Aber eben, für sie sei der Zug endgültig abgefahren. Selbst eine neue Botschaft und eine neue Kirche würden die Menschen nicht mehr zu Gott zurückbringen.

Gregor hat plötzlich einen Asthmaschub. Er keucht und atmet schwer. Seine großen Ohren laufen rot an, und das Doppelkinn zittert. Er holt mit einer raschen Bewegung seinen Asthmaspray hervor, nimmt diesen in den Mund und drückt zweimal auf den Sprühkopf. Die anderen schauen ihn erschrocken an. Gregor erholt sich schnell wieder und besänftigt sie. Es sei alles wieder okay. Dann fordert er Pietro, den obersten Glaubenshüter des Christentums, auf, zu den Vorschlägen von Fanaticus und dem Turbator doch selbst einmal Stellung zu nehmen.

Die Idee von Fanaticus hat Pietro fast vom Stuhl gehauen. So radikal hat er selbst noch nie gedacht. Eine neue Kirche ja, aber ein neuer Glaube? Pietro ist völlig überrascht, wie unbeschwert und locker Fanaticus gesprochen hat. Der selbst nippt zufrieden an seinem Kelch und schaut gelangweilt in die Runde, so als hätte er gerade über das Wetter gesprochen. Unglaublich! Fanaticus will die ganze christliche Tradition über Bord werfen und eine Revolution starten. Hat ihn Gregor deshalb nach Frascati eingeladen, weil er weiß, dass Fanaticus zu allem fähig ist und vor nichts zurückschreckt? Fanaticus hat schon einmal radikal neu angefangen, damals auf der Straße nach Damaskus. Dort hat er kurzerhand das Gewand des knallharten Pharisäers in den Graben geworfen und den Stab der Barmherzigkeit aufgenommen, um christliche Nächstenliebe zu predigen. Schneller kann man das Ufer nicht wechseln. Pietro ist fasziniert von Fanaticus und der Idee, man könne das Christentum retten, indem man einfach ein neues Glaubenskonzept auf die Beine stellen würde.

Pietro sagt schließlich, er finde die Idee von Fanaticus hervorragend. Der Papst nickt mit dem Kopf und sagt, er werde die Sache auch unterstützen. Pietro und Fanaticus sollten doch einmal hier in Frascati eine Woche zusammensitzen und über ein neues Glaubenskonzept nachdenken. Man werde sich dann wieder hier treffen und über die Vorschläge diskutieren. Der Turbator hebt protestierend die Hand hoch. Man dürfe die Kirchen nicht vergessen. Sonst würden die weitermachen wie bisher. Gregor beschwichtigt ihn. Zuerst einmal sollten Pietro und Fanaticus dem Glauben zu Leibe rücken. Er werde später dann mithelfen, auch die Kirchen zu reorganisieren. Die anderen schweigen. Sie glauben nicht an das Versprechen des Papstes.

Ein sechster Anwesender, der allerdings nicht sichtbar ist, sitzt in einer Zimmerecke und hört schmunzelnd zu. Es ist Jeschua ben Josef, auch Jesus von Nazaret genannt. Jesus kann die modernen Menschen voll und ganz verstehen. Er selber wollte ja auch keine Religion und keine Kirche gründen. Er hat zudem nie zu Petrus gesagt:

Du bist Petrus, und auf diesen Felsen werde ich meine Kirche bauen, und die Tore des Totenreichs werden sie nicht überwältigen.

Der Evangelist Matthäus hat ihm diesen Satz ganz einfach in den Mund gelegt, so wie vieles andere, das nicht der Wahrheit entspricht. Viele Jahre nach seinem gewaltsamen Tod auf Golgatha haben Schreiberlinge wie Markus, Matthäus, Lukas und Johannes eine neue Rolle für ihn erfunden, die Rolle des Jesu Christi, des von Gott zur Erlösung der Menschen gesandten Messias und Sohn Gottes. Sie haben einen religiösen Roman geschrieben und mit ihm, dem gekreuzigten Juden, die christliche Religion gegründet und dabei viel Fantasie aufgebracht. Es läuft Jesus eiskalt die Schulter hinunter. So ist er nicht in Bethlehem geboren, sondern in Nazaret. Er stammt auch nicht von Abraham ab oder ist vom Heiligen Geistes gezeugt worden. Er hat ebenso keine Wunder getan oder ist am Kreuz gestorben, um die Menschen von ihren Sünden zu erlösen. Er wollte ja gar nicht sterben. Und dann die schillernde Idee, dass er außerdem Gott sein könnte, allerdings nicht alleine, sondern zusammen mit zwei anderen Personen, dem Vater und dem Heiligen Geist. Da kamen doch tatsächlich dreihundert Jahre nach seinem Tod fast alle Bischöfe der damaligen Welt in Nicäa zusammen und behaupteten, Gott würde aus drei Personen bestehen. Jesus hat immer an seinen einzigen Gott geglaubt, an den barmherzigen, freudvollen und dankbaren Gott. Das ungeheuerliche Gotteswesen der christlichen Religion, der Mischmasch aus Vater, Sohn und Heiligem Geist, stößt ihn ab. Schließlich ärgert er sich darüber, dass unzählige Päpste, Kaiser, Könige und Diktatoren in seinem Namen ganze Völker unterworfen, gefoltert und getötet haben.

Jesus will weiterhin in Frascati bleiben und die Gespräche von Pietro und Fanaticus mitverfolgen. Er lehnt sich in seinem Stuhl zurück und schaut zur Decke hoch. Gregor erklärt den anderen gerade die Unterschiede zwischen den Weinen hier in Frascati und jenen seiner Heimat, dem Kanton Wallis in der Schweiz. Jesus hört nicht mehr zu. Ein Film zieht plötzlich über ihn hinweg. Der Film zeigt verschiedene Szenen aus seinem Leben in Galiläa. Erinnerungen kommen zurück.

Der Film beginnt in der ersten Szene mit dem einfachen Lehmhaus der Eltern Maria und Josef. Jesus blickt in seine Jugendzeit hinein, in das abgelegene Bergdorf Nazaret, weit ab von Judäa und dem lärmigen Jerusalem. Er sieht sich zusammen mit den Brüdern und Schwestern herumrennen. Das Haus hat nur einen einzigen großen Raum, der gleichzeitig Ess-, Wohn- und Schlafraum ist. Eine Ziege und fünf Hühner leben auch im Raum, getrennt nur durch ein kleines Podest. Jesus erinnert sich an seine religiöse Ausbildung mit der Tora und an die Schriften der Propheten. Als frommer Knabe glaubt er an den Gott Israels, an den einzigen, wahren und ewigen Gott. Leise spricht er seinen Lieblingssatz vor sich hin:

Höre Israel, der Herr allein ist Gott. Und du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben von ganzer Seele und mit all deinen Kräften.

In der zweiten Szene sieht Jesus einen römischen Soldaten in einem braunen Waffenrock. Er trägt einen Lederhelm auf dem Kopf und ein Visier aus Metall. Er hält einen Speer in der Hand, der drohend auf ihn gerichtet ist. Es ist keine heile Welt, in der Jesus aufwächst. Die Römer herrschen zusammen mit Herodes Antipas, ihrem Statthalter in Galiläa, und unterdrücken brutal die Menschen. Folter, Mord an Aufständischen, hohe Steuern, bittere Armut und Hoffnungslosigkeit gehören zum Alltag. Die Eindrücke und Erfahrungen aus dieser schwierigen Zeit haben ihn tief geprägt und zu einem Gegner der Reichen und Mächtigen gemacht.

In der dritten Szene erblickt Jesus Johannes den Täufer, der am Jordan steht und ihm mit der rechten Hand lachend zuwinkt. In der linken hält er eine Heuschrecke, die er wohl gleich essen wird. Johannes trägt ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel um die Hüfte. Er erwartet das endgültige Gericht Gottes und fordert die Menschen zu sofortiger und radikaler Buße auf. Jesus schämt sich noch heute. Als erwachsener Mann verlässt er seine Familie in Nazaret völlig unerwartet, um sich der Täuferbewegung des Johannes anzuschließen. Seine Eltern halten ihn damals für verrückt. Na ja, vielleicht ist er das ja auch ein wenig gewesen. Johannes tauft ihn im Jordan. Er selber wird nie Menschen taufen. Die Taufhandlungen überlässt er seinen Jüngern. Von den Sakramenten, welche die christlichen Kirchen später einführen werden, und zu denen ebenso die Taufe gehört, hält er ohnehin nicht viel.

In der vierten Szene sieht Jesus sieht sich selber wieder, ein Rabbi auf Wanderung durch die Dörfer am See Gennesaret. Er hat Freude an der Szene und findet, er sehe eigentlich ganz gut aus, zwar etwas klein gewachsen, dafür aber kräftig gebaut, braun gebrannt, mit dichtem Bart und dunklen Haaren. Er dürfte auf dem Bild etwa fünfunddreißig Jahre alt sein. Er trägt ein elegantes weißes Gewand aus Leinen mit einem braunen Umhängetuch. Die hässlichen Ledersandalen gefallen ihm allerdings gar nicht. Er zieht mit einer kleinen Schar von Jüngern durch die Dörfer und spricht in Synagogen und auf Märkten vor einfachen Bauern, Tagelöhnern, Fischern, Schafhirten, Eseltreibern, Kamelführern, Zöllnern, Bettlern und vor allem vor vielen Frauen. Sie wandern durch ein Land mit Weinstöcken, Feigen- und Ölbäumen, aber auch durch ein Land mit unwirtlichen Gegenden. Sie lassen sich in Kafarnaum am See Gennesaret nieder, wo Jesus Petrus kennenlernt. Kafarnaum ist ein kleiner Grenzort mit einem Zollamt, einem Militärposten und selbstverständlich einer Synagoge.

In der fünften Szene sitzen viele Menschen um ihn herum und hören ihm zu.

Sein Charisma und seine Überzeugungskraft haben sich herumgesprochen. Der Evangelist Markus wird später über ihn schreiben:

Und sie waren überwältigt von seiner Lehre, denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, und nicht wie die Schriftgelehrten.

Jesus ist stolz auf sich. Er verkündet keinen strafenden Gott, sondern einen Gott der Barmherzigkeit, der Gerechtigkeit, des Friedens und der Liebe. Er verkündet die Botschaft vom Reich Gottes mit einem einfachen Satz:

Erfüllt ist die Zeit, und nahegekommen ist das Reich Gottes. Kehrt um und glaubt an das Evangelium!

Jesus will den Hungernden und Weinenden unter die Arme greifen und dem allgegenwärtigen Schmerz und Leid ein Ende setzen. In der Nähe von Kafarnaum steigt er mit seinen Jüngern auf den Berg und verkündet den Willen Gottes. Gott fordere einen ganz neuen Menschen, einen, der gerecht sei, Frieden stifte und den Nächsten liebe. Irgendwann kommen aber immer weniger Menschen, um ihm zuzuhören, und etliche Jünger wollen nicht einmal mehr mit ihm wandern. Er entscheidet sich deshalb, Galiläa zu verlassen und nach Jerusalem zu gehen. Er hofft, dort neue Zuhörer zu finden, vor allem während der Zeit der großen Feste. Auf seiner Reise nach Judäa begleiten ihn viele Frauen, darunter auch Maria aus Magdala, Maria, die Mutter des Jakobus des Kleinen, und Simone.

In der sechsten Szene erscheint Pontius Pilatus, Statthalter des Kaisers Tiberius, in der römischen Amtstracht mit weißem Gewand, weißer Toga und mit purpurfarbener Borte, glatt rasiert und mit kurzem Haarschnitt. Jesus eilt der Ruf eines unbequemen Unruhestifters voraus. Die Behörden des Tempels befürchten einen Volksaufstand während des Passahfestes und zeigen ihn bei den Römern an. Pontius Pilatus will auch keine Unruhen und macht kurzen Prozess. Er wirft Jesus vor, sich König der Juden zu nennen, und verurteilt ihn deshalb in einem Schnellverfahren zum Tod am Kreuze. Das Tragen von Königstiteln ist im Römischen Reich strengstens untersagt. Niemand darf in Konkurrenz zum Kaiser in Rom treten. Für Jesus ist der Urteilsspruch natürlich völliger Unsinn. Er selbst hat sich nie als König der Juden bezeichnet.

In der siebten und letzten Szene stirbt Jesus am Kreuz zwischen zwei Verbrechern. Auf das Kreuz haben die Römer INRI geschrieben:

Iesus Nazarenus Rex Iudaerorum

Jesus von Nazaret, König der Juden

Jesus erinnert sich noch gut an die schmerzhafte Kreuzigung. Nachdem er gestorben ist, ist er wie alle anderen Menschen sofort in den Himmel gekommen, in einem geistlichen Leibe, so wie es Paulus später im 1. Brief an die Korinther geschrieben hat:

Gesät wird ein natürlicher Leib, auferweckt wird ein leiblicher Leib.

Alles, was sonst noch in der Bibel steht, ist falsch. Er ist weder in das Reich des Todes hinabgestiegen, noch hat er weitere vierzig Tage auf der Erde verbracht.

Jesus sitzt jetzt alleine im dunklen Zimmer. Die anderen haben die Villa und Frascati bereits verlassen. Jesus spricht noch lange mit Gott über die Gespräche hier in Frascati. Dann zieht auch er sich zurück.

Der Workshop von Pietro und Fanaticus dauert fast eine Woche. Sie arbeiten jeden Tag hart bis in die Mitternacht. Dann rufen sie Gregor an, sie seien jetzt so weit. Es könnten alle wieder nach Frascati kommen. Dort sitzen sie dann an einem runden Tisch, diesmal nicht im gemütlichen Arbeitszimmer des Papstes, sondern in einem geschäftsmäßig eingerichteten Besprechungsraum. Ebenso ist Jesus wieder da. Er sitzt unsichtbar in einer Ecke, gleich neben der Espressomaschine. Von da aus hat er einen großartigen Blick auf den wundervoll angelegten und sehr gepflegten Garten der Villa. Kräftige Winde vom Atlantik haben Feuchtigkeit und milde Temperaturen in die Albaner Berge gebracht und dem kalten und trockenen Wetter der Vorwoche ein Ende bereitet.

Gregor saugt zweimal kräftig an seinem Asthmaspray und begrüßt dann die anderen mit einem herzlichen Morgengruß. Sie sollten sich von den Früchten und den Cornetti auf dem Tisch bedienen. Gregor lehnt sich entspannt zurück. Man sei jetzt gespannt auf das, was Pietro und Fanaticus ihnen zu berichten hätten. Zu seiner Überraschung fängt Pietro an zu reden und nicht Fanaticus. Dieser sieht den fragenden Blick des Papstes, zieht die Schultern hoch und entschuldigt sich. Dabei zeigt er auf die vielen technischen Hilfsmittel, die auf dem Tisch stehen, an den Wänden hängen und von der Decke herunterkommen. Die Maestra grinst. Fanaticus sei nun definitiv in der Gegenwart angekommen.

Pietro setzt sein Pokergesicht auf. Er und Fanaticus hätten viel diskutiert und häufig bis spät in die Nacht gestritten. Sie hätten unzählige Varianten besprochen, aber am Schluss seien sie sich doch einig gewesen. Der Glaube könne, so wie sie es bereits vor einer Woche gesagt hätten, nur mit einem kompletten Neuanfang, mit einem ganz neuen Konzept, gerettet werden. Eigentlich sei alles ganz einfach. Vor zweitausend Jahren sei Jesus als jüdischer Rabbi durch ein unterdrücktes und leidendes Galiläa gewandert und habe die Botschaft vom Reich Gottes, in dem absolute Gerechtigkeit und Frieden herrschen würden, verkündet. Die Menschen hätten auf ein besseres Leben gehofft und seien Jesus gefolgt. Mit dieser Botschaft könne man aber heute keinen Menschen mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Die Maestra habe die Gründe ja bereits sehr schön aufgezeigt. Fanaticus und er hätten sich deshalb die folgende Frage gestellt. Was würde Jesus machen, wenn er nochmals zur Erde käme und den Auftrag bekäme, die Menschen zu Gott zurückzubringen? Er würde wohl zuerst einmal in die Gesellschaft hineinsehen und sich ein Bild von den heutigen Menschen machen. Er würde Frieden, Wohlstand und Gerechtigkeit sehen, vielleicht nicht überall, jedoch immer noch viel mehr als in Galiläa. Er würde allerdings auch Entwicklungen vor die Augen bekommen, die ihm gar nicht gefallen würden. Er würde verschwendungssüchtige und größenwahnsinnige Menschen sehen, die ihr eigenes Leben kaputt machen würden. Und er würde Menschen sehen, die immer mehr vereinsamen und keine richtige Lebensorientierung mehr hätten. Er würde deshalb sofort wieder den Wanderstab in die Hand nehmen und anfangen zu predigen:

He Leute! Ihr wollt euch über Gott, die Seele und die Natur stellen. Das ist ein falscher Weg. Ihr zerstört euch dabei selber. Kehrt um und ändert euer Leben radikal!

Jesus würde eine neue Botschaft vom Reich Gottes verkünden, und die sei eine sehr einfache. Es werde ein Reich Gottes kommen, in dem sich kein Mensch mehr über Gott, die Seele und die Natur stellen würde. Mehr als diese Botschaft brauche es nicht. Es brauche vor allem keine Kirchen, die Jesus aus eigenen Interessen heraus unterstützen wollten.

Pietro hat überzeugend gesprochen. Der Turbator ergreift als erster das Wort. Er finde die Idee mit der neuen Botschaft sehr gut. Die fatale Entwicklung in den westlichen Gesellschaften erinnere ihn an den Turmbau in Babylon. Die Menschen hätten damals an den Ufern des Euphrats eine Stadt bauen wollen, mit einem Turm, dessen Spitze bis in den Himmel hätte reichen sollen. Sie hätten versucht, Gott gleichzukommen. Sie hätten sich in ihrem Machstreben und ihrer Ruhmsucht über alles hinwegsetzen wollen. Und das habe Gott nicht akzeptieren wollen. Er habe deshalb die Sprachen verwirren lassen, sodass keiner die Sprache des anderen mehr habe verstehen können. Mit dem Turmbau sei es damit fertig gewesen.

Die Maestra meldet sich. Sie finde das Beispiel Babylon als Vergleich spannend. Die Menschen seien halt nun einmal so. Sie würden immer nach mehr streben wollen und seien nie zufrieden. Das liege in ihrer Natur. Die neue Botschaft vom Reich Gottes, so wie sie Pietro vorgestellt habe, gefalle selbst ihr gut. Sie sei einfach, verständlich und entspreche der heutigen Wirklichkeit. Sie erfülle die Sehnsucht nach einer besseren Welt und habe auch eine ethische Forderung. Eine Ethik, die sich an Gott orientiere, brauche es aber in der modernen Welt nicht mehr, sie habe das schon mehrere Male gesagt. Sie halte deshalb an ihrer ursprünglichen Prognose fest, Religionen hätten in den westlichen Gesellschaften nichts mehr zu suchen.

Jetzt spricht Fanaticus. Er verstehe ja bekannterweise etwas von Marketing. Er habe dem Christentum das theologische Fundament gegeben und dieses mit einem cleveren Missionsplan zum Laufen gebracht. Er sei deshalb fest davon überzeugt, dass man mit dem schlagkräftigen Slogan nicht höher als Gott, nicht höher als die Seele, nicht höher als die Natur eine gute Marketing-Strategie entwickeln könne. Er wolle die Ausführungen von Pietro auch noch etwas ergänzen. Dieser habe gesagt, die Menschen müssten ihr Leben radikal ändern. Das heiße aber nicht, dass man gegen die Prinzipien der Aufklärung oder gegen den Fortschritt und die Globalisierung sei. Die Errungenschaften der modernen Gesellschaft dürften nicht aufs Spiel gesetzt werden. Es gehe darum, die Maßlosigkeit und Arroganz zu stoppen, die Natur zu retten und den Menschen einen neuen Lebenssinn zu geben. Dann möchte er noch darauf hinweisen, dass man zwar die neue Botschaft vom Reich Gottes klar im Visier habe, aber natürlich noch nicht wisse, wer die neue Botschaft überhaupt verkünden solle. Jesus von Nazaret stehe ja nicht mehr zur Verfügung.

Nun kommt Gregor ins Spiel, der sich bisher zurückgehalten hat. Er könne das Gesagte nachvollziehen und sei mit dem Inhalt der neuen Botschaft fürs Erste einmal einverstanden. Er sehe allerdings die Gefahr, dass die ganze Sache ohne Unterstützung durch die Kirchen aus dem Ruder laufen könnte. Die vielen Kirchen würden dann noch schneller verschwinden, als sie es jetzt bereits tun würden. Pietro und Fanaticus schauen sich gegenseitig in die Augen. Gregor konnte nicht wissen, dass sie gerade dies wollen, die totale Befreiung von allen Kirchen mit ihren machtbesessenen Institutionen, vor allem von diesem Papst, dem habgierigen und skrupellosen Gregor, und zwar möglichst schnell.

Gregor nickt langsam mit dem Kopf. Er habe keine weiteren Einwände. Pietro und Fanaticus sind überrascht, wie schnell Gregor auf ihr Konzept eingegangen ist. Sie konnten allerdings ihrerseits nicht wissen, dass Gregor selbst einen Plan im Kopf hat. Und noch ein dritter hat Gefallen an der Idee von einer neuen Botschaft vom Reich Gottes. Es ist Jesus selber, der unsichtbar in der Ecke sitzt und aufmerksam zuhört.

Mit Ausnahme von Rosa sind alle für die Weiterführung des Projektes. Pietro und Fanaticus wollen nochmals eine Woche in Frascati bleiben. Sie möchten das Konzept verfeinern und vor allem darüber nachdenken, wer denn überhaupt als neuer Prediger in Frage kommen könnte.

Elfenbeinkugeln

Gregor ist zurück im Vatikan und geht gedanklich nochmals das Gespräch in Frascati durch. Ein neuer Prediger könnte ihm tatsächlich sehr nützlich werden, allerdings nicht, um das Christentum zu retten, sondern um ihm bei der Suche nach zwei verschollenen Elfenbeinkugeln zu helfen. Vom Slogan nicht höher als Gott, nicht höher als die Seele, nicht höher als die Natur hält er ohnehin nicht viel. Der töne zwar auf den ersten Blick sehr gut, würde aber nicht genügen, um als Glaubenskonzept im Haifischbecken der Religionen überleben zu können. Ein Glaube brauche eben mehr als nur etwas Marketing-und Weichspüler-Blabla. Es brauche ein fundiertes philosophisches und theologisches Konzept und dann vor allem die Kirchen, die den Glauben unter das Volk bringen müssten. Die neue Botschaft sehe vor allem keine Sanktionen vor, falls sich die Menschen nicht an diese halten würden. Dabei zeige die gesamte Menschheitsgeschichte doch klipp und klar, ohne Sanktionen würden sich die Menschen an gar nichts halten. Das Ganze sei deshalb zum Scheitern verurteilt.

Franceso Ricci, den der Papst mit der Suche beauftragt ist, steckt in einer Sackgasse. Er hat viel gemacht, um die Elfenbeinkugeln zu finden. Er hat in Frankreich, in Vienne und Dijon, recherchiert, dann in der Schweiz, in Grandson und schließlich in Bern. In Bern ist er steckengeblieben. Gregor will aber nicht aufgeben. Die Kugeln bedeuten ihm viel. Sie sind ihm Symbol für die abgründige Bosheit des Menschen, für den Sündenfall im Paradies und für eine schreckliche Tat im schweizerischen Grandson. Gregor möchte die Reliquien unbedingt finden und ihre schmerzhafte Geschichte im Petersdom dramatisch zur Schau stellen. Die Menschen sollten in aufwühlender Weise daran erinnert werden, dass sie eben nicht nur gut sind, sondern immer auch böse. Gregor hat allerdings noch einen anderen Gedanken im Kopf, einen sehr eigennützigen. Er möchte sich mit den beiden Kugeln aus der langen Liste der Päpste hervorheben und hofft, nach dem Tod möglichst schnell heiliggesprochen zu werden. Er weiß jedoch, dass die Suche nach den verschollenen Reliquien auch ein Wettlauf mit der Zeit ist. Eine reiche Familie aus Bern soll angeblich mit großer Verzweiflung ebenfalls nach den Augen suchen.

Vor zwei Jahren finden Bibliothekare durch Zufall unter den mehr als zwei Millionen Büchern und Manuskripten des Vatikans eine verstaubte, in Vergessenheit geratene Handschrift aus dem sechsten Jahrhundert. Sie erzählt in lateinischer Sprache eine aufregende Geschichte. Sie beginnt bei Judas Iskariot im alten Jerusalem. Judas, der Kassenwart von Jesus und den Aposteln ist, trägt ständig irgendwelche Wertgegenstände mit sich herum, darunter ebenso zwei Elfenbeinkugeln aus Ägypten. Die Schrift beschreibt detailliert die Kugeln. Auf jede von ihnen ist eine ebenbildliche, winzige Schlange gemalt, die eine in roter Farbe, die andere in schwarzer. Der Betrachter sieht sofort, dass die beiden Kugeln zusammengehören. Nach der Verhaftung Jesu auf dem Ölberg gelangen die beiden Kugeln in den Besitz von Pontius Pilatus, dem römischen Präfekt von Judäa. Dieser wird später wegen Bestechung und Gewalttätigkeit von Rom abgesetzt und in die südfranzösische Stadt Vienne verbannt, welche von den Römern besetzt ist. In seinem Gepäck befinden sich die beiden Elfenbeinkugeln. Hier endet die Geschichte der Handschrift aus dem sechsten Jahrhundert.

Francesco fotografiert die beiden Kugeln mit dem Handy und fängt an zu recherchieren, zuerst in Vienne und dann in Dijon. In der Bibliothek des Erzbischofs von Dijon findet er eine neue Spur aus der Herrschaftszeit Karls des Kühnen, des Herzogs von Burgund. Vienne liegt wenige Tagesritte von Dijon entfernt und gehört zum Herrschaftsgebiet des Herzogs. Die beiden Kugeln gelangen vierhundert Jahre nach dem Tod von Pontius Pilatus in den Besitz des Herzogs und werden schnell berühmt am Hofe. Der Herzog hält die beiden Kugeln mit den Schlangenmotiven ständig in der rechten Hand und rollt sie mit den Fingern. Er will die Hand für den Einsatz mit dem Schwert beweglich und kräftig halten. Bei einem Brand in der Kathedrale von Dijon verliert der Erzbischof Martin de Louard seine beiden Augen und erblindet. Der Herzog schenkt ihm die Elfenbeinkugeln. Der Erzbischof ist sein Beichtvater und loyaler Berater in den Regierungsgeschäften. Dieser setzt sich die Kugeln von nun an als künstlichen Augenersatz ein, wobei er die Schlangenmotive nach innen dreht.

Die weitere Spur wird von da an ziemlich hässlich. Francesco liest in den alten Schriften der bischöflichen Bibliothek, dass der Erzbischof bei den Feldzügen und Schlachten des Herzogs meistens dabei ist. Bei der Niederlage im schweizerischen Grandson fällt den siegreichen Eidgenossen eine riesige Beute in die Hände, darunter auch eine Sakristei. Dort hat sich der Erzbischof versteckt gehalten. Die wütenden Eindringlinge finden ihn, reißen ihm die wertvollen Elfenbeinkugeln aus und enthaupten ihn. Sie spießen den abgetrennten Kopf mit den leeren und blutenden Augenhöhlen auf eine Lanze und tragen ihn als Trophäe durch die Tore von Grandson.

Francesco kommt mit den Bibliothekaren ins Gespräch. Sie erzählen ihm, der Herzog habe getobt und geschrien, als er von der brutalen Tat erfahren habe. Er habe sich angeblich zu einem Fluch hinreißen lassen und die Übeltäter und ihre Nachkommen zu ewiger Blindheit verdammt. Sie sollten dasselbe Schicksal erleiden wie der Erzbischof. Es gebe allerdings keine schriftlichen Beweise für die Verfluchung. Der Herzog sei noch zwei weitere Male gegen die Eidgenossen gezogen, um Rache zu nehmen, das erste Mal nach Murten, das zweite Mal nach Nancy. Er habe auch diese beiden Schlachten verloren. In Murten hätten die Eidgenossen noch größere Beute gemacht als in Grandson. In Nancy sei dann der Herzog, der halt etwas überheblich und größenwahnsinnig gewesen sei und gerne König geworden wäre, gestorben. Das sei am 5. Januar 1477 geschehen.

Francesco reist von Dijon nach Bern. Er vermutet, die Kugeln müssten irgendwo in der Schweiz versteckt sein, und recherchiert weiter. Im Staatsarchiv von Bern findet er Hinweise, dass vor allem Infanteristen aus Bern und deren Hauptleute, mittellose Bauern und verarmte Adlige, reiche Beute gemacht hätten. Nach ihrer Heimkehr haben sie mit dem vielen Geld in den Taschen geprahlt und ihre Häuser und verfallenen Burgen renoviert. Francesco nimmt nun an, dass die beiden Elfenbeinkugeln in die Region Bern gelangt sind. Aber es sind nur Vermutungen, konkrete Hinweise hat er keine.

Francesco forscht weiter und findet schließlich den Namen einer der Hauptleute, der an der Schlacht in Grandson teilgenommen hat und reich heimgekommen ist. Sein Name ist Robert von Gunten. Die Nachfahren des Mannes leben heute noch in Bern. Sie sind sehr reiche Leute mit großem politischen und wirtschaftlichen Einfluss bis hinauf zur Schweizer Regierung. Francesco hat in den Straßen von Bern herumgehört. Die Leute erzählen hinter vorgehaltener Hand von einem Fluch, der über der Familie liegen müsse. Immer wieder würden Kinder blind zur Welt kommen.

Weiter kommt Francesco mit seinen Nachforschungen nicht. Er müsste jetzt mit der Familie von Gunten Kontakt aufnehmen. Würden seine Vermutungen zutreffen? Wie aber sollte er mit der Familie in Kontakt treten? Francesco weiß, dass der Berner Gideon von Gunten das derzeitige Familienoberhaupt ist. Gideon ist ein großer Mäzen des Alexanderklosters Paix in Paix an der Ach. Und genau in diesem Kloster hat Francesco vor langer Zeit als Mönch gelebt.

Francesco nimmt das Handy in die Hand und ruft seinen Chef in Rom an.

Comeback

Pietro und Fanaticus diskutieren in Frascati über den Einsatz eines Predigers für die Verkündigung der neuen Botschaft. Wie müsse eine solche Person überhaupt sein, und woher solle man sie nehmen? Jesus von Nazaret ist auch wieder da. Er sitzt neben der Espressomaschine und hört den beiden aufmerksam zu.

Für Fanaticus ist das Profil klar. Der neue Prediger müsse mit offenem Herzen zu den Menschen gehen und ihnen die neue Botschaft vom Reich Gottes charismatisch und glaubwürdig vermitteln können. Er müsse selbstverständlich an Gott glauben und von der neuen Botschaft fest überzeugt sein. Ansonsten müsse er sich aber unabhängig und frei bewegen können und über ein gewisses Maß an Unverschämtheit und Hartnäckigkeit verfügen, um den kirchlichen und anderen Autoritäten die Stirn bieten zu können. Er müsse kämpferisch und furchtlos sein und die Gesellschaft in Frage stellen können. Beruflich solle er kein Akademiker sein, vor allem kein Theologe oder Philosoph, sondern eher ein Handwerker, so wie es auch Jesus gewesen sei, oder, wie es Pietro vorschlägt, ein Bauer wie Niklaus von der Flüe, also bodenständig und gut fassbar. Gregor habe ihm viel vom Schweizer Mystiker Niklaus erzählt, der auch das wunderschöne Gebet Mein Gott geschrieben habe:

Mein Herr und mein Gott,

nimm alles von mir,

was mich hindert an dir.

Mein Herr und mein Gott,

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