Kitabı oku: «Als Mariner im Krieg», sayfa 10
Minenmaat Klein und ich hatten mit fünfzehn Leuten von sechs Uhr abends bis halb sechs Uhr früh auf »Kondor« gearbeitet, hatten an neununddreißig Minen die Ankertaue ausgewechselt, und wir waren sehr müde, als wir beim ersten Sonnenglanz nach der Feste zurückmarschierten. Kaum hatten wir uns dort zum Schlafe ausgestreckt, so wurden wir wieder herausgepfiffen und mußten uns eiligst anziehen und antreten. Es handelte sich wieder einmal um eine Spinduntersuchung, weil einem Arbeiter auf »Kondor« ein Paar Schuhe gestohlen waren. Die Nachforschungen blieben umsonst. Wir büßten nur Schlafenszeit ein und mußten um zwölf Uhr schon wieder ins Minendepot.
Klein und ich aßen Makrelen. Klein sah aus wie ein gutmütiger, stiller und bescheidener Landsknecht. Er zerpflückte mit seinen sachlichen Fingern die Makrelen wie Blumen und erzählte mir dabei seine Schicksale bei Ausbruch des Krieges. Er hatte sich damals von Barcelona aus in einem Dampfer herübergeschmuggelt unter vielen Gefahren und Entbehrungen und dabei auch sein ganzes Geld zugesetzt. Fünf Tage lang hatte er zwischen Kisten verborgen im Raume gehockt, und ein zusammengeballter, in einem Kistenspalt eingeklemmter Hut hatte ihn vor den Dolchstößen der Franzosen gerettet. Als er endlich deutschen Boden erreichte, hatte man ihm nicht erlaubt, erst einmal seine besorgte Familie aufzusuchen.
Ein alter Zivilist und ehemaliger Sailor, der jetzt als Nachtwächter auf »Kondor« engagiert war, hörte Kleins Erzählungen mit sichtlichem Mißbehagen zu. Er ertrug es nicht, wenn andere redeten, er wollte selber reden, und besonders gern und amüsant realistisch sprach er über Leichen, die er auf hoher See mit eingenäht und ins Meer versenkt hatte.
Wenn wir im Minendepot arbeiteten, brieten wir uns manchmal Puffer aus Kartoffeln, die wir vom Felde stahlen. Ich hatte ein Reibeisen aus einer Konservendose verfertigt, und ein Heizer schmiedete aus einer Kohlenschaufel eine Bratpfanne. Als Fett nahmen wir bestes Maschinenöl. Mitunter hielt ich mich unter irgendwelchen Vorwänden in der Seitenstube des Schuppens III auf, wo Frauen an gewissen Minenteilen arbeiteten. Ihre Männer waren alle im Feld, woran sie sich aber wohl gewöhnt hatten, denn sie erwiderten unsere Schäkerwitze allzu gern.
Von Alten besuchte mich einmal auf »Kondor«, da wir während eines Gewitters Grundgewichte, Fahrwasserbojen und sonstiges für Libau bestimmtes Minensuchgerät in einen Leichter luden. Beim Schachspiel gewann ich nur deshalb, weil von Alten seine ganze Aufmerksamkeit in die Ohren geschoben hatte und höchst amüsiert einem Matrosengespräch über Alimente lauschte. Danach stieg ich eine Strickleiter hinab und durch eine Luke in den Bauch eines längsseits liegenden Unterseebootes. Ich bestaunte den maschinellen Wirrwarr in den engen Räumlichkeiten und schaute im Turm durchs Periskop. Die U-Bootsmatrosen waren zum größten Teil sehr ungern an Bord. Sie sagten, daß von den Leuten, die sich freiwillig auf U-Boote meldeten, nur selten jemand genommen würde. Es mochten technische, gesundheitliche und andere Gründe da mitsprechen, trotzdem schien mir doch viel gemeine Borniertheit an diesem starren Prinzip zu sein.
Als ich mit meiner Mannschaft um Mitternacht hungrig ins Fort zurückkehrte, lag dort für jeden von uns ein Bückling als Abendbrotzulage auf dem Tisch. Ein Matrose rief uns aus der Hängematte zu, in den Fischen wimmelte es von Maden, niemand hätte sie bisher angerührt. Der Matrose hatte, seinen Schlaf opfernd, darauf gewartet, uns wegen dieser Schweinerei aufzuputschen, und als wir nun laut schimpften, lief er mit den Bücklingen zum Küchenfeldwebel, um sich zu beschweren. Und nun geschah etwas Typisches. Der Feldwebel gab alles zu, ging auf alles Vorgebrachte zustimmend, beinahe kameradschaftlich freundlich ein und schenkte dem Matrosen — er hieß zufällig Schreier — zum Schluß noch fünfzehn Stück solcher verdorbener Fische zu. Und Schreier nahm sie, ging und fraß sich daran satt.
Der Verpflegungsapparat bei der Kaiserlichen Marine versagte und wurde mißbraucht. Man sprach davon, daß ganze Waggonladungen verdorbenen Fleisches oder verfaulter Kartoffeln insgeheim verscharrt würden. Wir konnten das natürlich nicht nachkontrollieren, wir wußten nur, wie schlecht wir selbst versorgt wurden. Der Staat setzte pro Mann pro Tag eine Mark und zwanzig Pfennige für Verpflegung aus. Hätte man uns das in bar gegeben, so wären wir sehr wohl damit ausgekommen. So aber waren die Feldwebel angewiesen, noch zehn Prozent Ersparnisse zu machen, und sie machten viel mehr, und niemand und jeder wußte, wohin das Geld ging. Von dem Rest kauften sie minderwertige Sachen und setzten uns Woche für Woche das gleiche, gehaltlose, unappetitliche Menü vor. Je ungenießbarer es war, je weniger wir davon anrührten, desto mehr Futter bekamen die Schweine des Kantiniers, woran die Küche nochmals verdiente.
Die »Deutschland« kam wieder zurück. Diesmal hatte sie unsere Minen nur bis Danzig befördert und dann einen für Libau bestimmten Panzerzug an Bord genommen.
In Düsternbrook lag das Minenschiff »Albatros«, von vier russischen Panzern zerschossen. Andermal, in Möltenort, sah ich »Prinz Adalbert« schwer beschädigt einlaufen. Das Schiff lag mit dem Bug tief im Wasser und mit dem Heck hoch heraus. Die Besatzung in langer Reihe an Steuerbord war mit irgendwelchen Notarbeiten beschäftigt. Interessiert sahen die Badegäste dem Schauspiel zu. Sie waren alle maritim so weit au fait, daß sie das Schiff schon von weitem an den Schornsteinen, an der Art seiner Türme und später am Bugzeichen erkannten. »Prinz Adalbert« hatte einen Torpedoschuß ins Vorderschiff erhalten, was zehn Tote kostete.
Auch mit »Derfflinger« schien etwas nicht in Ordnung. Er lag schon wieder in der Werft, aber ich konnte aus der Summe von Gemunkel und Berichten nicht heraussieben, ob er einen Torpedoschuß im Leibe hatte oder ob seine Maschinen nicht funktionierten, ob »Schaufelsalat« vorlag.
In einer belebten Kieler Straße stieß ich auf einen betrunkenen Matrosen, der allen Passanten das gangbarste Goethezitat zuschrie. Ein Kapitänleutnant winkte mich zu sich und gab mir Befehl, den Mann zu verhaften. Ich nahm den Trunkenbold mit — bis um die Ecke — dann, nachdem er mir versichert hatte, daß auch ich ihn könnte, ließ ich ihn laufen mit herzlichen, aber aussichtslosen Ermahnungen.
Ein Heizer, zwei Obermatrosen wurden mit mir abkommandiert. Wir mußten sofort unsere Kleider packen und wurden mit vier Minensuchgeräten auf die vier Fischdampfer »Wohldorf«, »Farmsen«, »Bremen« und »Bergedorf« überwiesen. Diese Boote hatten Steuerleute als Kommandanten und je siebenundzwanzig Mann Besatzung, die uns und das ihnen neue Suchgerät neugierig aufnahmen. Ich richtete mich meiner Instruktion gemäß auf »Wohldorf« ein und lernte dabei einen Maat kennen, der sich gleich damit wichtig tat, daß er einjährig gedient hätte, also gebildeter wäre als die anderen. Ich schwieg um so mehr über meine eigenen Personalien.
Man hatte auf den Booten einen offenen Respekt vor dem Minensuchen, zumal es bekannt war, daß gerade Fischdampfer wegen ihres Tiefganges wenig geeignet dafür waren. Da außer uns vier Minenleuten niemand etwas davon verstand und man mir als leitendem Unteroffizier am meisten vertraute, rissen sich die Kommandanten um mich. So ließ ich mich überreden, auf »Bergedorf« zu übersiedeln. Ich wurde mit tausend Fragen bestürmt und mußte bald auf dieses, bald auf jenes Boot, die teils in der Howaldt-Werft und teils bei Stock & Kolbe lagen. Außerdem stimmte das gelieferte Suchgerät nicht zusammen, es fehlten Teile davon. Als ich dieserhalb nach Friedrichsort geschickt wurde, erkundigte ich mich dort nach Post für mich und erfuhr dabei, daß inzwischen eine fremde Ordonnanz nach mir gefragt habe in Angelegenheit eines Gesuches an Seine Majestät. Aha! Jetzt, da ich eben fortkommandiert war, jetzt rührte sich was.
Ich besah mir »Bergedorf«. Es war ein ganz neues Schiff und daher alles blitzsauber. Trotzdem hätte ich nach dem Bau wetten mögen, daß es schon bei geringem Seegang stark rollen würde. Mir ward wieder mal seemännisch zumute, und da schlief ich denn — weil ich noch keine Matratze besaß — auf den nackten Kojenbrettern wie auf Kolibridaunen und ausgesuchten Mädchenschößen. Dabei hatte ich natürlich als zuletzt Gekommener die ungünstigste Koje und den schlechtesten Spind erwischt.
Ich verwahrte die feineren Teile des Suchgerätes sowie die neuen Stahltrossen im Turm, wo die Gewehre, und zwar erbeutete russische Gewehre lagen. Abends eilte ich auf Morastwegen nach dem Fort und erwischte wirklich noch das Schriftstück in Angelegenheit eines Gesuches an Seine Majestät. Es war mein Originalgesuch, das jetzt zahlreiche bedeutungsvolle Stempel trug, auch »Reichsmarineamt Berlin«. Der Chef der Ostseestation und Stadtkommandant von Kiel, Admiral Ingenol hatte mit Grünstift an den Rand geschrieben: »Kann ihm nicht geholfen werden?« Nun befielen mich Zweifel, ob es günstig oder ungünstig war, daß ich inzwischen auf jenen Fischdampfer gekommen war, über dessen Verwendung ich noch gar nichts Bestimmtes wußte.
Das Essen an Bord war gut. Ich wartete ungeduldig auf die Ausfahrt, aus Angst, ich könnte noch von Bord zurückgeholt werden. Aber die Funker waren noch nicht eingetroffen, und es machten sich einige Umbauten für unser Suchgerät nötig. Im übrigen redete ich mir ein, daß ich auf diesen Schiffen noch schlimmer dran sein würde als je zuvor, redete mir das absichtlich ein, um auf keinen Fall enttäuscht zu werden.
Wir stahlen uns einen Dackel für das Schiff, und wir Maate besorgten uns geblümten Gardinenstoff für die Kojen, denn es gab in dieser Beziehung ein gewisses Konkurrieren und Repräsentieren unter uns. Auch legten wir Geld zusammen für einen Lampenschirm und für ein Halsband für den Dackel Fidi. Außerdem hatte der Bürgermeister der Stadt Bergedorf dem Schiff »Bergedorf« eine Mandoline mit einem Begleitvers als Präsent gesandt.
Wir unternahmen eine Probefahrt, liefen aber zunächst auf Schlick fest, und da wir trotz Beistandes eines Schleppers nach zwei Stunden noch nicht freikamen und ich auf dem Minendepot dienstlich zu tun hatte, signalisierte ich eine vorbeisausende Privatpinasse an, die mich freundlich mitnahm. Als ich abends im Hansahotel dichtete, sprach mich Leutnant Kaiser an und erzählte mir, daß er einen Artilleriekursus durchmachte und sich ein Mädchen angeschafft hätte. Wir benahmen uns beide sehr versöhnlich zueinander, so daß ich Herrn Kaiser fragen konnte, warum er die Bemerkung in mein Führungsbuch gesetzt hätte: »muß energischer werden«. Er erwiderte, er habe das auf Befehl des Sperrkommandanten getan. Ich ging dann, um einen Schoppen Mosel zu trinken, in die Weinstube Monopol und merkte bald, daß ich in ein teures, vornehmes Flirtlokal geraten war. Dort saßen nur höhere Offiziere mit Kokotten, die aus und ein rauschten und einander in der Melodie der kaiserlichen Autohupe begrüßten »tatü-tata«. Zum Glück hatte ich noch das Geld, um mir eine halbe Flasche Burgunder zu bestellen, aber ich fühlte mich untergeordnet und von den Kellnern und Gästen mißachtet. Erst als ein Mädchen schön und zart Klavier spielte, ward ich besser gestimmt und dachte wehmütig an München, an herrliche Faschingstage.
Dann suchte ich lange nach dem Vorpostenboot »Bergedorf« und traf schließlich einen zweitklassigen Minenmatrosen, der mich auf sein Schiff »Royal« brachte, wo viele mir bekannte Matrosen mir schwuren, ich sei der beliebteste Bootsmannsmaat. Sie ruderten mich denn auch bereitwillig nach »Bergedorf«. Es war eine schöne Nacht. Lichterstreifen zitterten im Wasser. Von der Gefionbrücke, der Vinetabrücke und den anderen Ladungsstegen tönten laute Rufe herüber: »Derfflinger?« »Prinz Adalbert!«
Die Anlagen für unser Minensuchgerät wurden mit fieberhafter und pfuscherhafter Eile eingebaut. Ich erwarb mir dabei allerlei technische Kenntnisse, hatte aber viel Laufereien und langwierige Besprechungen mit Zimmerleuten, Schreinern, Schlossern und Werftbeamten. Ich wurde sehr nervös und entdeckte eines Tages, daß meine Haare anfingen grau zu werden.
Abermals unternahmen wir eine Probefahrt. Wir fuhren in See, erst in Kiellinie, dann in Rotten, und nun wurde zum ersten Male das Suchgerät ausgebracht. Das Manöver mißlang durchaus. Die Leinen verwickelten sich, die Schwimmbojen kamen nicht gleichzeitig zu Wasser. Alles verlor den Kopf, und die Steuerleute schrien die unsinnigsten Kommandos. Ich war indessen fix auf meinem Posten, so daß mein Boot noch am besten abschnitt. Hinterher konnte ich vor Heiserkeit nicht mehr reden, hatte mir die Hände an den Stahlleinen wundgerissen und meinen rechten Fußknöchel gegen einen eisernen Bolzen geschlagen. Trotzdem ging ich noch spät an Land, wozu ich zwei Kilometer im Laufschritt zurücklegen mußte. Ich hörte, daß jener zweitklassige Matrose von »Royal« inzwischen fahnenflüchtig geworden und offenbar mit einem schwedischen Segler entkommen war.
Der Kommandant der »Deutschland«, Herr Korvettenkapitän v. Rosenberg, nahm eine Vorbesichtigung unserer Boote vor, denn am nächsten Tag sollte ein Admiral die Hauptbesichtigung abhalten. Von Rosenberg pfiff uns scharf an. Er erwähnte, daß wir in nächster Zeit nach dem Osten gingen und prägte uns ein, wie wir morgen »Guten Morgen, Herr Admiral!« rufen sollten. Und als am nächsten Tage der Kontreadmiral v. Mischke uns zurief: »Guten Morgen, Leute!« tönte es prompt zurück: »Gunorgnerraal!« Dann ward dem hohen Herrn das Minensuchen vorexerziert. Leutnant Müller, der selbst nicht allzuviel davon verstand und vor dem Admiral verwirrt war, gab die komischsten Befehle und Signale, und wir, die wir instinktiv erfaßten, daß es jetzt nur darauf ankäme, nicht zu stocken, sondern dem Admiral etwas vorzuzaubern, warfen Leinen, Bojen und alles andere ganz falsch und quer durcheinander über Bord, aber mit viel Lärm und durchaus im Takt.
Der Admiral war zufrieden und hielt eine Ansprache: »— Ihr kommt nächste Woche nach dem Osten. Ihr sollt auf feindliche U-Boote aufpassen, sie rammen oder vernichten, wie Ihr nur könnt. Ihr sollt die deutsche Flotte vor Minen schützen... Fort deshalb mit dem Alkohol!... Ich freue mich, daß Ihr dahin kommt, wo wenigstens was los ist. Adieu, Leute!«
»Adieu, Herr Airraal!«
Der erste von uns, der das Schweigen brach, bemerkte: »Hm, adieu. — Auf Wiedersehen hat er nicht gesagt. Als wenn er dächte, wir kämen nicht zurück.«
Im Laufe der Inspektion hatte der Admiral einige Maate und so auch mich angesprochen. Wie lange und als was ich gedient hätte. Der Kommandant der »Deutschland« erwiderte für mich, ich sei als Instrukteur für Minensuchwesen auf die Vorpostenboote gekommen, worauf ihm der Adjutant ins Wort fiel: »Nein, Herr Admiral, das ist der Mann, der das Gesuch an die Front eingereicht hat.«
»An wen?« fragte der Admiral.
»An Seine Majestät direkt.«
Der Admiral runzelte die Stirn und wandte sich ab.
Mein Posten auf den Fischdampfern war vorläufig verhältnismäßig selbständig. Man estimierte mich als den besten Sachverständigen für Minensuch- und Räumwesen, und ich scheute auch kleine Lügen nicht, um dieses Ansehen zu befestigen und zu vertiefen. Aber ich hatte bald viele Neider und auch unter den Offizieren der »Deutschland« Mißgönner.
Eine Frau Rey hatte mir eine Dose Honig annonciert, die auch richtig eintraf. Ich fand aber lange keine Zeit, sie zu öffnen. Trotzdem schrieb ich der Dame, daß der Honig vortrefflich mundete. Er sei ganz besonders aromatisch, woraus ich schlösse, daß er aus der Lüneburger Heide stammte. Als ich dieses Dankschreiben längst expediert hatte, öffnete ich die Dose. Sie enthielt marinierte Heringe.
Unser Steuermann, im Zivilberuf Bahnassistent, war mir nicht sympathisch. Als ungedienter Landsturmmann glaubte er das Militärische besonders betonen zu müssen. »Ich brauche unbedingt einen Revolver«, äußerte er. Wenn es vor den Feind ginge, wollte er »unbedingt« jeden niederknallen, der nicht parierte. Der Steuermann trug einen langen roten Schnauzbart, hektische Röte auf den Backen und sprach »Swimmen« und »Sweinerei«.
Nun kam ein Leutnant an Bord, der des Steuermanns Kammer mit Beschlag belegte und eine Kiste Sekt mitbrachte. Er veranstaltete sofort eine Übungsfahrt bis zu den dänischen Gewässern, wobei ich mit meinen Leuten das Minensuchgerät vorführen sollte. Das fiel ziemlich kläglich aus, denn die Heckbauten auf unseren Schiffen waren zu hoch für das Gerät. Beim Ausbringen gerieten die Leute in Gefahr, von den sausenden und plötzlich sich straffenden Leinen mitgerissen zu werden. Es gab Ärger, Zank und blutige Hände. Vor der Lübecker Bucht gingen uns zwei Suchleinen verloren, worüber ich das übliche umständliche Protokoll aufnehmen mußte. Der Leutnant schimpfte viel und ließ uns strafexerzieren. Er dachte aber nur an die kommende Besichtigung durch den Admiral, und es kam auch ihm mehr darauf an, diesem etwas Lautes und Flinkes vorzumachen, als daß wir uns wirklich im Minenfischen übten. Erst nach einigen Tagen kam er auf die vernünftige Idee, sich von einem Fachoffizier einmal das Suchgerät erklären zu lassen.
Wir erhielten aus der Ferne als Liebesgaben zahlreiche Ziehharmonikas. Wenn unsere Boote nebeneinander lagen und diese Instrumente gleichzeitig gespielt wurden, klang es wie Jahrmarkt.
Wir hatten einen Zusammenstoß mit »Wohldorf«, bei dem beide Schiffe arg verbeult wurden.
Unser Dackel Fidi wurde sehr nervös. Jedermann an Bord dressierte ihn nach einer anderen Methode, und ein Matrose, der einmal über ihn gestolpert war, verfolgte ihn seitdem mit Haß und Seestiefeln. Als der Koch den Fidi einmal mit an Land nahm, begegnete ihm zufällig die frühere Besitzerin des Dackels, und sie entriß dem Koch das Tier.
Die Admiralsbesichtigung fand statt. Der Admiral erschien zwar nicht persönlich, sondern sandte seinen Adjutanten, aber ich freute mich, daß mit diesem endlich ein Offizier an Bord kam, der über das Minenwesen vorzüglich unterrichtet war. Er sprach sehr verständig und eingehend mit mir darüber. Ich machte ihn auf die Mängel unseres Materials aufmerksam, worüber ich aus dem angenehmen Gefühl der Wichtigkeit heraus bereits eine schriftliche Meldung eingereicht hatte. Beiläufig bemerkte der Adjutant, ich sei nur als Instrukteur an Bord gekommen und müßte von Libau aus wieder ins Minendepot zurückkehren. Dagegen protestierte ich, soweit ich das als Untergebener in militärischer Weise konnte. Ich berief mich auf die Protektion Seiner Majestät, schilderte, wieviel Arbeit ich mit der Einrichtung des Gerätes gehabt hätte und pochte auf meinen Anspruch auf Dank. Der Adjutant gab mir einige Hoffnung und fragte, zu dem Leutnant gewandt: »Können Sie den Minenmaat Hester gebrauchen?«
»Jawohl.«
Ich hatte wirklich am meisten dazu beigetragen, daß die Besichtigung so befriedigend ausfiel. Als aber der Adjutant von Bord war, fand unser Leutnant kein Wort der Anerkennung für mich oder meine Leute. Er schickte uns schroff zum Kohlen und ging selber in die Kajüte zum Sekttrinken.
Wir erhielten Gummischwimmwesten zum Aufblasen, warme Filzschuhe für den Winter und Totenmarken. Meine Marke trug die Nummer 25.
Abends an Land sprach mich im Automatenrestaurant ein Ehepaar auf mein Mützenband hin an. Ob ich den Furier Petersen in Cuxhaven kenne.
»Ja«, rief ich, »das ist ja mein Bruder. Also sind Sie meine Eltern.«
Der Bahnhofsplatz war abgesperrt. Man trug Verwundete nach einem Dampfer. Mich ließ man passieren, weil ich umgeschnallt hatte. Ich sah einen bleichen, auf einer Bahre eingeschnallten Mann vorübertragen. Neben seinem wächsernen Gesicht lagen zwei rote Rosen.
Fahrt nach dem Osten
Im letzten Augenblick war ein neuer Kommandant, ein Leutnant Kaiser, an Bord gekommen. Schon an der Ähnlichkeit glaubte ich zu erkennen, daß er ein Bruder jenes Kaiser sein müßte, unter dem ich auf »Blexen« und »Vulkan« gefahren war. Das bestätigte sich.
Dann liefen wir aus. Bei Fehmarn mußten wir im Zickzack durch Minengebiete gelotst werden. Der Kommandant des Sperrfahrzeuges »Prinz Waldemar« rief unserem Kommandanten entgegen: »Guten Abend, Herr Kaiser. Sie müssen sofort nach Kiel zurück. Haben Sie denn die Depesche nicht erhalten?«
Nach Kiel zurück?! Warum, das ward uns Mannschaften wieder verheimlicht. War dicke Luft draußen? Waren Friedensverhandlungen im Gange? Sollten unsere Fischdampfer außer Dienst stellen?
Vor der Holtenauer Schleuse lagen die Panzer ohne Beiboote unter Dampf, wahrscheinlich klar für eine Aktion im Osten oder in der Nordsee.
Wir blieben nicht lange in Kiel. Unsere Aufgabe war, den großen viermastigen Petroleumdampfer »Mannheim« nach Memel zu eskortieren. Wir nahmen ihn in unsere Mitte und dampften langsam dicht unter der Küste, um alle Leuchten auszunutzen. Die Ausgucksposten waren verstärkt.
Nachts gingen wir beim Leuchtturm Funkenhafen vor Anker. Der Leutnant begab sich an Bord der »Mannheim«, und ich ruderte dann mit einigen Leuten in der Dunkelheit umher, um unser Fischnetz auszubringen. Das ging uns aber an einem Wrack oder Felsenstück entzwei. Den Rest der Nacht verbrachte ich damit, mir auszurechnen, wer gestern meine grünen Socken aus dem Trockenraum gestohlen haben könnte.
Dann suchte uns ein heftiges Gewitter heim. Ein Fischerboot kam längsseits und verkaufte uns herrliche Fische.
Am siebenten August, in der Danziger Bucht, wurden wir davon verständigt, daß soundso viel Strich westlich von Helsternest drei Treibminen drohten. Das war mir wie eine Gratulation zu meinem Geburtstag, zu dem mir schon morgens einer der Maate in Glacéhandschuhen gratuliert hatte. Ich gab eine Flasche Rum zum besten.
Als die Kurische Nehrung in Sicht kam, gab es Alarm. Eine der Minen war gesichtet, dann stellte sich aber heraus, daß es eine Fischerboje war. Aber mittags, als ich gerade einen prächtigen Goldbutt entgrätete, bemerkten wir einen Passagierdampfer, der in auffälliger Weise plötzlich beidrehte und uns dann auch bald signalisierte: Nehmen Sie sich vor der Mine in acht.
Richtig: da trieb eine russische Kugelmine, zur Hälfte aus dem Wasser ragend. Wir näherten uns ihr auf etwa 500 Meter und eröffneten sofort ein heftiges Feuer aus unseren russischen Beutegewehren. Es wurde gut geschossen, aber es dauerte lange — mein Gewehr war zweimal heißgeschossen — ehe die Mine absackte. Und wie die Menschen in der Stadt vor einer Stelle stehenbleiben, wo kurz zuvor ein Mord passiert ist, von dem aber nicht eine Spur mehr zu sehen ist, so dampften wir nun der Stelle zu, wo die Mine verschwunden war. Das wäre uns beinahe übel bekommen, denn plötzlich gab es einen dumpfen Donner und vor uns stieg eine Wassersäule auf. Ich konnte dem Kommandanten zu meiner Befriedigung Aufklärung geben. Jene Mine war eine sogenannte Krängungsmine, so gedacht, daß, wenn ein Schiff sie überfuhr und sie dabei aus dem Gleichgewicht brachte, daß dann ein Pendel ihren Sprengstoff zur Entzündung brachte. Als wir ihren Auftriebsraum mit unseren Kugeln durchlöchert hatten, war sie senkrecht versunken und erst am Meeresboden — glücklicherweise in größerer Tiefe — hatte sie sich umgelegt und war explodiert.
Wenige Sekunden nach der Detonation bedeckte sich der Wasserspiegel in weitem Umkreis mit getöteten Fischen. Ich verzieh es dem Kommandanten nie, daß er aus einem sehr kurzsichtigen und überwichtigen Pflichtgefühl heraus uns nicht gestattete, diese köstliche und willkommene Proviantbereicherung aufzufischen, sondern eiligst Kurs aufnahm.
Als wir in Memel einliefen, standen wir alle in Urlaubsdreß an Deck, durften dann aber nicht an Land, weil einige Tage zuvor vier Matrosen von unserem Schwesternboot »Farmsen« dort desertiert waren. Auf dem Kai, wo wir anlegten, trieb sich eine neugierige und fidele Menge herum. Ich wechselte mit zwei Damen russische Sprachbrocken. Sportsboote fuhren vorbei, und dann liefen Torpedoboote und ein großer, mit abgekämpften Ulanen und Dragonern überfüllter Transportdampfer ein.
Am nächsten Vormittag erreichten wir Libau. Mein Herz schlug froh.
Am Eingang des Hafens lagen kleinere und größere Dampfer versenkt, von denen meist nur Schornsteine und Masten aus dem Wasser ragten.
Kaum lagen wir fest, so stürzte ich unter einem dienstlichen Vorwand an Land. Nacktbeinige Mädchen warteten am Kai und boten Früchte und Zigaretten an. Die Straßenbahn durften wir unentgeltlich benutzen, und Droschken waren spottbillig. Es trieb sich viel zerlumptes Bettelvolk herum.
Es gab nur bis zehn Uhr Urlaub. Der Ausschank alkoholischer Getränke war in Libau streng verboten. Die Bevölkerung bestand vorwiegend aus Juden und Letten, aber auf der Strandpromenade am Kurhaus begegneten mir auch deutschbaltische Gesichter. Die Landschaft dort weckte liebe Erinnerungen in mir.
Ich suchte meistens die dunklen Stadtteile auf, die von unseren Marinern und Infanteristen aus Angst vor lettischen Überfällen gemieden wurden. Bekannte aus Cuxhaven sprachen mich an. Der eine war mit einem Torpedoboot auf eine Mine gelaufen. Der andere gehörte zur zweiten Hilfsminensuchdivision, die vor Riga schwer beschossen war. Ich riß mich aber immer wieder schnell von den Bekannten los. Ich wollte allein sein und allein erleben.
Als Kapitän Robertson unsere Vorpostenboote inspizierte, verdroß es ihn sehr, daß ich die Konstruktion der U-Boot-Wasserbomben nicht erklären konnte. Niemand von uns konnte sie erklären. Als er indessen merkte, daß ich sonst orientiert und eifrig war, gewann ich seine Sympathie.
Es gab Personalveränderungen, die das übliche gereizte Durcheinander mit sich brachten. Leutnant Kaiser siedelte auf »Farmsen« über, wir erhielten dafür einen Herrn Wenzel, einen Deutschamerikaner zum Kommandanten. Von den vier Deserteuren von »Farmsen« war einer erwischt. Er wurde milde mit zehn Tagen strengem Arrest bestraft.
Ich wurde als Minen- und Bombensachverständiger dauernd bald von diesem, bald von jenem Kommandanten gewünscht und wurde, je unentbehrlicher ich wurde, desto selbständiger. Durch die gute Instandhaltung meines Gerätes, durch ausführliche Protokolle und sachverständige Meldungen erwarb ich mir das Vertrauen meiner Vorgesetzten, besonders des Flottillenchefs Robertson, und erreichte damit, daß man mich zum Verwalter des gesamten Such- und Sprenggerätes für alle zwölf Boote unserer Flottille einsetzte. Ich gehörte von nun an also zum Stab, wurde an Land im Hotel Petersburg verpflegt und durfte sogar an Land wohnen.
Der Stab hatte das ehemalige Zollgebäude für seine Bürozwecke requiriert. In einem Kellerraum dieses Hauses stand unser Gerät verwahrlost durcheinander. Ich sollte es wieder instandsetzen und verwalten. Man bot mir mehrere Heizer zur Hilfe an, ich begnügte mich aber mit einem. Auf den Booten ward ich natürlich sehr um meinen Posten beneidet. Ich selbst aber war halb deprimiert. Denn so viel Freiheit ich nun auch in meiner Selbständigkeit genoß, so schwand doch damit auch die Aussicht auf kriegerische Erlebnisse. Ich mietete mir im Hause Helenenstraße 28 ein möbliertes Zimmer bei einer jüdischen Wirtin. Ich fragte sie nach dem Preis. Sie sagte: »Im Frieden habe ich das Zimmer für dreißig Rubel vermietet. Aber jetzt ist Krieg. Zahlen Sie, was Sie können.« Ich zahlte ihr zehn Mark für einen Monat voraus. Unter den vielen Geburtstagssendungen, die ich in Libau vorfand, war auch eine Menge Geld gewesen.
In meinem Gerätekeller war ein wüstes Durcheinander von abscheulichen und schönen, zerschlagenen und verachteten Gegenständen, die die Russen zurückgelassen hatten. Körbe voll Gläser, Medikamente, mit denen wir nichts anzufangen wußten, weil sie russische Aufschriften trugen. Rahmenleisten, Möbel, Lampen, elektrische Artikel. Ich schaffte das alles fort und behielt für mein Büro nur einen Stuhl und ein altertümliches, geschnitztes Büfett, in dem ich gewisse Suchgerätsteile verwahren wollte, zu welchem Zwecke ich die entzückenden Büfettüren mit Fußtritten einschlug. Mit großer Liebe machte ich mich daran, die Gerätschaften zu ordnen und sie von Rost und Grünspan zu befreien. Ich ertüftelte mir sogar eine eigene Buchführung.
Es grenzte ein zweiter Raum an meinen Keller, den ich aber nicht benutzen durfte, weil dort in der Wand eine schwere Granate steckte, die, obwohl sie zuerst einen Pfeiler durchschlagen hatte, nicht krepiert war. Die Leute vom Stab hatten eine Heidenangst, daß sie bei Berührung noch nachträglich explodieren würde. Mich zog es immer wie mit magischer Gewalt zu dieser Granate. Ich hätte sie gar zu gern herausgezogen und eines Tages dem Chef des Büros überreicht, aber ich fürchtete einerseits den Zorn des Chefs und andererseits auch die Granate selbst. Immerhin berührte ich sie eines Morgens zaghaft, und am nächsten etwas fester und am dritten herzhaft, und am vierten Tage versuchte ich mit aller Kraft, sie herauszuziehen. Sie stak aber viel zu fest im Gemäuer, und so gab ich die Sache auf.
Es blühten in Libau noch die Linden. Kirschen, Stachelbeeren und Heidelbeeren wurden feilgeboten. Bis zehn Uhr trieb ich mich abends in den Limonadenbuden rum, bei Kerzenlicht, denn Petroleum war konfisziert, und ich aß billigen Kuchen mit unzähligen Fliegen.
Günstige Nachrichten trafen ein. London war bombardiert, Warschau eingenommen; die berühmte Bibliothek dort war in deutschen Händen. Meine Mutter schrieb unter anderem:
»Mein geliebter Gustav! Welche Freude hat mir heute Nacht Dein Eilbrief bereitet! Vier Tage ging ich mit halberstarrtem Herzen herum, seitdem ich am 11. August früh die Berichtigung der Admiralität las, daß nicht — wie die Russen gemeldet — zwei Torpedoboote, sondern nur zwei kleine Minensuchboote vor der Rigaer Bucht zerstört seien. — Ja, nur zwei kleine Boote! Und wieviel Menschen sind durch diese kleine Notiz in Unruhe und Angst versetzt. Gott sei Dank, nun weiß ich ja, daß es Dir sonst gut geht.«
Als die deutsche Verwaltung in Libau in Kraft getreten war, hatte sie gleich zweihundert Freudenmädchen zwecks ärztlicher Untersuchung festsetzen lassen. Es gab noch ein einziges Bordell, um ein einziges weibliches Wesen herum. An die Hunderte von Soldaten, die im Vorraum warteten, wurden Prophylaktika verteilt.