Kitabı oku: «Als Mariner im Krieg», sayfa 19
Ich erhielt folgendes Schreiben: »Eisenach, Burgstr. 16.d.27.11.16. Lieber Gustav Hester. Längst wollte ich an Sie schreiben, aber ich konnte den rechten Ton nicht finden. Ich möchte, daß Sie mich recht verstehen. Seitdem Sie zum erstenmal Gast in meinem Hause gewesen sind, hat jede innere Gemeinschaft zwischen uns aufgehört. Sie wissen gar nichts von mir. Ich bin Ihnen noch unbekannter, wie ein ganz fremder Mensch. Das kommt vielleicht daher, daß sich unsere Interessen zu sehr befehden. Sie wollen sich hier amüsieren, so viel es geht und tun es ohne jede Verantwortlichkeit, ich kann diesen Geist der Unordnung und Revolution nicht dulden. Er bedroht meine Existenz, mehr noch, er vernichtet mich innerlich vollständig. Ich muß Sie darum bitten, nie mehr herzukommen, wenn die jungen Mädchen hier sind. Es wird mir dies ganz furchtbar schwer, Sie sehen, ich habe ein halbes Jahr gebraucht, um die Bitte auszusprechen, daß ich sie dennoch ausspreche, beweist Ihnen, daß es mir um Sein und Nichtsein geht. Ich verstehe Sie auch in Ihren albernsten Stunden und möchte Sie dann manches Mal in den Arm nehmen und Sie bitten: ›Wüten Sie doch nicht so gegen sich selbst.‹ Aber was nützt das Ihnen? Mir aber schadet es und läßt sich nicht wiedergutmachen. Ich wollte, wir könnten einmal noch den alten Ton zueinander finden, aber hier im Kreise der jungen Mädchen wird das nie geschehen. Vielleicht können wir einander einmal am dritten Ort begegnen, wenn Ihnen überhaupt etwas an einer Verständigung mit mir liegt. — Wie geht es Ihnen sonst? Tilly sagt, Sie machten einen Offizierskursus durch oder Sie gehen mit dem Gedanken daran um. Schreiben Sie mir doch mal, damit ich sehe, daß Sie wenigstens dieses eine Mal einen Funken von Verständnis für mich haben. Ach, Gustav, wie schlecht sind Sie doch mit meiner warmen Freundschaft für Sie umgegangen! — Herzlichen Gruß Frau Dora Kurs.«
Auf Scherz- und Strafwegen sammelten wir R.-O.-A.s Gelder für die kommende Weihnachtsfeier der Rekruten. Ich hatte die Kasse zu verwalten. Das war nicht sehr erfreulich, denn es gab da Burschen unter uns, die in bezug auf Geld ein sehr merkwürdiges Benehmen an den Tag legten.
Ich schrieb eine Novelle und noch eine und noch eine, aber sie mißlangen, und ich mußte sie wieder vernichten. Ich schrieb sie zu eifrig, weil ich dringend Geld brauchte. Dazwischen war uns R.-O.-A.s ein schwieriger Aufsatz aufgegeben über das Thema: »Verhaftung — vorläufige Verhaftung — Waffengebrauch.«
Der Abteilungskommandeur v. Hippel nahm eine Stubenmusterung vor. Er erkannte mich wieder und frug mich, ob ich R.-O.-A. geworden sei und welches mein bester Mann wäre. Er sprach sich befriedigt über die Besichtigung aus. Sein gütiges und ruhiges Wesen gefiel mir sehr.
Wir exerzierten öfter an den Geschützen in Thomsen. Dann unternahmen wir wieder einen dienstlich kameradschaftlichen Ausflug nach Otterndorf, wobei sich sogar der sonst so enthaltsame Pfohl einen Schwips holte.
Bukarest war gefallen. Bertelsmann hielt beim Appell wieder eine seiner langsamen, stockenden, lang überdachten Reden. Er sprach blasiert, wippte dabei auf den Fußballen und er redete sehr, sehr gern.
Ich war verschuldet und wurde dabei häufig noch angepumpt. Gebert sprach mich an: »Ihnen liegt doch daran, bald Offizier zu werden?«
»Jawohl.«
»Nun, da werde ich Sie zu Weihnachten zur Beförderung zum Vizefeuerwerker vorschlagen und gleichzeitig Ihre Abkommandierung an die Front beantragen. Sie wollen doch gern an die Front?«
»Jawohl.«
»Es werden aber noch einige Wochen nach Weihnachten vergehen, ehe Sie Vize werden.«
Die große letzte Rekrutenbesichtigung stand vor der Tür. Ich wußte, man würde mir besonders auf die Finger sehen. Ich sollte vor allen Offizieren und in Gegenwart des Abteilungskommandeurs selbständig den dritten Zug vorführen.
Ich verfaßte ein fünfstrophiges — in den Rahmen passen müssendes — Gedicht, das ich bei der Weihnachtsfeier der Rekruten vortragen wollte. Gebert hatte mir diesen Auftrag gegeben. Er ahnte nicht, wie schwer mir das in meiner sorgenvollen Zerrissenheit ankam.
Von einer anstrengenden Schießübung zurückgekehrt, wollten wir hungrig über das Essen herfallen, als man uns und alle Kasernenbewohner auf den Hof pfiff. Laut Telefonspruch sollten sämtliche Mariner um zwölf Uhr angetreten sein, um eine kaiserliche Order anzuhören. Natürlich ließ man uns eine Stunde hungrig und frierend stehen. Dann wurde das Friedensangebot an unsere Feinde verlesen. Gebert teilte anschließend daran gewisse Personalverschiebungen mit und sagte zu mir, ich könnte leider doch nicht so bald zum Vizefeuerwerker befördert werden, wie er gedacht hätte, da ich in meiner artilleristischen Ausbildung noch zu weit zurück sei. Er müsse also seine diesbezüglichen Versprechungen wieder zurücknehmen. Wahrscheinlich würde ich aber bald zur Luftabwehrabteilung abkommandiert. Diese Mitteilungen hüllten meine Vorweihnachtsstimmung in düsteres Grau. Ich war drauf und dran, meine Karriere durch irgendwelche oppositionelle Tat zu zerbrechen, um wieder der kleine, aber freiere Minenobermaat zu werden. Abends saß ich trübselig in der Stadthalle mit Leutnant Hammer, der mir in rührenden Worten sein Beileid ausdrückte. Auch Pfohl bedauerte mich und suchte mich zu trösten. Ich würde glänzend bei der L.A.A. eingeführt werden und sollte froh sein, daß ich nicht wieder nach Thomsen zurück müßte. Denn — im Vertrauen gesagt — der Kompanieführer Bertelsmann könnte mich nicht leiden. Als ich damals von der Minenabteilung nach Thomsen kommandiert worden wäre, hätten die Offiziere einen großen, langlockigen Dichter erwartet, und als mich der Kompanieführer dann erblickte, hätte er geäußert: »Dieser Kröpel wird auf keinen Fall Offizier.« Pfohl fügte noch hinzu, bei der L.A.A. hätte ich Aussicht, in einem Vierteljahr befördert zu werden.
Ich ließ mich nicht trösten. Dann rief mich Bertelsmann, hielt mir ebenfalls eine Trostrede und schloß so: ich sollte mir bis Weihnachten meine Vizefeuerwerkeruniform bereithalten.
Ich glaubte meinen Ohren nicht zu trauen, dann aber schlug meine Traurigkeit in Seligkeit um. Also wollte man mich doch schon zu Weihnachten befördern. Das wäre ein Fall von selten schnellem Avancieren bei der Artillerie gewesen. Man zog wohl dabei mein Alter in Berücksichtigung.
Ein rosiger Tag. Ich widmete mich freiwillig den Vorbereitungen für die Weihnachtsfeier in eifrigster, aber nervös konfuser Weise. Ich bestellte meine Uniform. Der Säbel sah aus wie alle Marinesäbel. Der Löwenkopf am Knauf hatte ein grünes und ein rotes Auge. Aber das Elfenbein war Knochen und das Gold war nur leicht vergoldetes Eisen. Dafür kostete er allerdings auch weniger als die Friedenssäbel.
Daß mir der Simplizissimus eine Novelle zurückschickte — »die Zensur würde das keinesfalls passieren lassen« — bekümmerte mich diesmal nicht sonderlich. Ich war ja in fieberhafter Stimmung. Nachts schlief ich nicht vor vielen aufgeregten Gedanken.
Die Vorbesichtigung fand statt. Ich führte meinen Zug Rekruten vor. Bertelsmann war einigermaßen mit mir zufrieden. Pfohl aber drehte völlig durch und machte beim Melden eine sehr komische Säbelbewegung.
Beim Ausdenken und Aussuchen der Weihnachtsgeschenke mußte ich immer mit meinem Rat herhalten. Die R.-O.-A.s hatten auch für die Offiziere kleine lustige Gaben besorgt. Leutnant Geben hatte sich verlobt, und da galt es nun, ihm ein größeres und in jeder Beziehung passendes Geschenk zu überreichen. Mein Hühnerauge peinigte mich sehr. Meine Stimme war total heiser und sollte doch morgen bei der großen entscheidenden Besichtigung weithin über den Kasernenplatz tönen. Und meine Schulden drückten mich ebenso wie das Hühnerauge. Und wenn ich zu Weihnachten Vize würde und auf Urlaub führe, dann mußte ich meine Bahnfahrt selber bezahlen.
Die große Besichtigung. Wir exerzierten und kommandierten und marschierten vor dem Korvettenkapitän v. Hippel. Ich mußte erst meine Korporalschaft und dann einen ganzen Zug vorführen. Ich schwitzte in der Kälte vor Aufregung und beging mehrere Fehler. Z.B. ließ ich die Leute (markiert) schießen, ohne daß sie den Mündungsschoner abgenommen hatten. Aber im großen und ganzen machte ich wohl meine Sache gut. Und der gütige v. Hippel äußerte sogar, ich habe das sehr gut gemacht.
Abends bei der R.-O.-A.-Kneipe verteilten wir unsere Geschenke an die Offiziere. Auch Bertelsmann war zugegen und stichelte anfangs ein wenig gegen mich. Als er aber merkte, daß ich konsequent in korrekter, ernster Reserve blieb, lenkte er freundlich ein.
Am nächsten Nachmittag wurde den Rekruten beschert. Die Offiziere und Unteroffiziere, zum Teil mit ihren Frauen, waren dabei und als höchste Person der herrlich unbeholfene v. Hippel, für den ich restlos schwärmte, der mein ganzes Herz besaß. Gebert hielt eine staunenswert fließende Rede und trug ein von ihm selbst verfaßtes, schon vielfach umgearbeitetes Gedicht vor. Dann trat ich, als Weihnachtsmann verkleidet, auf. Ursprünglich hatte ich auf einem Esel in den Saal reiten sollen, aber das Tier war dann weder mit Güte noch mit Gewalt eine Treppe hoch zu bringen. Ich verteilte Geschenke mit scherzhaften Versen und trug dann das Gedicht vor, das ich mir so schwierig abgerungen hatte.
An meinen Rekrut, Weihnacht 1916
Matrosenartillerist!
Laß dir noch einmal ins Auge schaun.
Und nimm ein grades Wort nicht krumm:
Ich hätte dich, der du so dumm,
So dumm wie eine Gurke bist,
Gar oft von Herzen gern verhaun.
Und wenn dir manche Träne rann
Und ich der Tränen lachte,
Geschah‘s im Zwang, der dich zum Mann,
Zum deutschen Manne machte.
Nicht glaube ich, daß du mir grollst,
Ich bog dein Rückgrat und trieb dein Blut.
Nun blick mich an so gradezu,
Wie jedem Freund und Feinde du
Ins Auge ehrlich blicken sollst.
Bedenk: auch ich war einst Rekrut.
Es kommt der Tag, da du erkennst
Dies Muß aus rechter Ferne.
Dein Blick wird leuchten, wenn du nennst
Die Kiautschoukaserne.
Auch ich hab Schemel gestreckt,
Hab mich mit Griffen und Marsch gequält.
Doch heute dank ich tausendmal
Dem groben, starren Korporal —
— Gott weiß, welch fernes Grab ihn deckt —
Der meine schwache Brust gestählt.
Nur Männer hart und felsengleich,
Nicht Weiber und nicht Knaben,
Will unser giftumkochtes Reich
An seinen Fronten haben.
Sei, Kerl, ein ganzer Soldat,
Dem Kaiser treu und dem Vaterland.
Wenn Flamme dich und Donner einst
Umtobt, daß du zu bersten meinst,
Dann denke an dein Mützenband.
Und fielest du, sei‘s im Hurra.
Dann soll von einem Helden
Mit Stolz die 4.M.A.A.
An deine Heimat melden.
Heut soll dein Weihnachten sein
Da uns die Stunde des Scheidens naht.
Lies heute deiner Mutter Brief,
Die um dich bangt. Und fühle tief
Das rauhe Glück, Soldat zu sein
Im großen Krieg, mein Kamerad.
Der Spruch, der auf dem Koppel steht,
Wird rechten Weg uns zeigen.
Bis wir uns einst zum Dankgebet
Für Sieg und Frieden neigen.
Der Korvettenkapitän drückte mir die Hand und sagte: »Ihre Beförderung zum Vizefeuerwerker kommt noch heute abend heraus.«
Der Saal war wirklich schön geschmückt. Links und rechts vom Weihnachtsbaum lagen auf den langen Tafeln die Gaben für die Rekruten. Weihnachtslieder wurden gesungen. Ich nahm von meiner Korporalschaft Abschied. Die Leute jubelten mir zu und dankten mir, so jeder auf seine Weise. Und am nächsten Morgen weckten sie mich auf meinen Wunsch mit dem Liede
»Und alle dürren Blätter
Die fallen schwer auf mich —«
und mir war wohl und weh ums Herz.
Vizefeuerwerker und die H.M.S.D.
Meine Beförderung kam heraus. Ich mietete sofort in der Villa »Kik in See« zwei Zimmer, die vorher Pfohl bewohnt hatte. Der war nun auf Urlaub gefahren und hinterließ mir warme Worte und eine Flasche Wein.
Ach, und das war ein Gefühl: von Offizieren höflich und von den Mannschaften respektvoll gegrüßt, und von den Frauen auf einmal beachtet. Und nachts nicht eingesperrt sein, sondern frei durch die Straßen gehen dürfen. Überdies war ich gleich stellvertretender Kompanieführer, weil Bertelsmann und die anderen Offiziere sofort nach der Bescherung in Urlaub gefahren waren. Als stellvertretender Kompanieführer hatte ich in der Kaserne die Essensprobe vorzunehmen, und das war am ersten Weihnachtsfeiertag meine einzige Nahrung, denn in der Kaserne durfte ich nun nicht mehr essen, und im Offizierskasino war ich noch nicht eingeführt. Ich verlebte den Abend anfangs einsam, aber dankbar und glücklich. Dann ging ich in Dölles Weinrestaurant. Dort saßen nur zwei Leute, ein Leutnant und ein Oberingenieursaspirant. Denen erwies ich meine militärische Ehrenbezeugung, die bei einem Vize so ein Mittelding zwischen Offiziersgruß und Mannschaftsgruß war. »Ach, lassen Sie doch solche Geschichten!« rief mir der Leutnant zu und lud mich an seinen Tisch zum Sekt. Er hieß Conrad Hagitte und war der Kommandant des U-Bootes C <sub>43</sub>, das tags zuvor vor einem Orkan in den Hafen flüchten mußte. Wir tranken sehr viel. Es war nicht gerade eine weihnachtliche aber doch eine sehr reizvolle Feier. Wir torkelten dann über drei oder fünf oder sechs Minensuchboote hinweg an Bord des U-Bootes, wo wir das Gelage fortsetzten. Es war so eng dort, daß, wenn ich das Glas hob, ich mich vor einer Matrosenzehe in acht nehmen mußte, die aus einer Koje heraus bis über den Tisch ragte. Als ich mich schließlich verabschiedete, wurde ich auf den drei oder fünf oder sieben Minensuchbooten von Bekannten zu neuen Zechereien eingefangen.
Mit den Weihnachtsbriefen kamen betrübliche Nachrichten. Das gute Eichhörnchen war sehr krank. Und nun hatte man auch meinen Bruder eingezogen, der bisher unabkömmlicher Bergmann und wegen seiner schlechten Augen vom Dienst befreit war. Es tat mir leid, daß er nun auch nur einen Bruchteil der Strapazen mitmachen müßte, die ich erlebt hatte. Denn er war nicht so zähes Leder wie ich. Außerdem würde ich ihn nun auf Urlaub nicht sehen.
Meine Eltern waren auf meine baldige Beförderung nicht vorbereitet. Nun saß ich mit der Vorfreude der Überraschung im D-Zug in einem Abteil zweiter Klasse. Ich dachte an das arme Eichhörnchen und an Bahre. Der war auch krank, und ich hatte ihn in Cuxhaven noch im Lazarett besucht. Aber ich war eigentlich nicht so nett zu ihm gewesen, wie ich‘s wünschte und wie es seine schöne Treue zu mir verdiente.
Und verlebte goldene Tage in Leipzig, Merseburg, Halle, Berlin und unerlaubterweise sogar noch in Rostock und Hamburg. Überall bestens aufgenommen und mitunter mit Truthahn, Gänsebraten und Sekt bewirtet. Ich überschritt meinen Urlaub um zwölf Stunden. Bang und fröstelnd kehrte ich zurück. Aber alles fügte sich glatt. Am fünften Januar erhielt ich die telefonische Mitteilung, daß ich zur Hilfs-Minen-Such-Division abkommandiert wäre und mich dort sofort melden sollte. Das war mir sehr recht. Man lebte an Bord billiger als an Land. Ich begab mich also in den Hafen und meldete mich auf dem Führerschiff der H.M.S.D. beim wachehabenden Offizier. Das war Leutnant Bobby. Er begrüßte mich höflich: »Ich heiße Sie im Namen der Division willkommen.« Dann ging er mit mir zu einem Trunk in das nahebei gelegene Restaurant Fischereihalle. Bobby hatte in München Philosophie studiert. »Sie wohnen, wie wir alle, an Land«, sagte er, »haben Sie schon eine Wohnung? — Wieviel zahlen Sie? — Sechzig Mark?! Das ist nicht allzuviel. — Verpflegt werden wir an Bord. — Ich rate Ihnen übrigens ohne Gepäck, so wie Sie sind, an Bord zu bleiben, denn wir unternehmen heute nacht eine Scheinwerferübung, die Sie vielleicht interessiert.«
So ließ ich mich auf das Boot 6 bringen. Während der Fahrt stand ich auf der Brücke neben dem Kommandanten, einem Leutnant, der sehr fror.
Die H.M.S.D. war das Cuxhavener »Filzlausgeschwader«.
Ihre Boote, kleine Schlepper, durften sich nicht allzu weit hinauswagen. Sie trugen zum Teil englische Namen, »Fairplay I«, »Fairplay II« usw. Zu der Scheinwerferübung liefen vier von diesen Schleppern aus. Sie sollten versuchen, unter dem Schutze der Dunkelheit an den Festungswerken Kugelbake, Grimmerhörn und Alte Liebe vorbei unbemerkt in den Hafen zu gelangen. Aber die Scheinwerfer der Batterien entdeckten uns dann rasch und auch unsere Gegenblendungen nützten uns nichts.
Als Mutterschiff dieser Schlepper diente der geräumige Luxusdampfer »Scharhörn«, der in Friedenszeiten dem Hamburger Senat zur Verfügung stand. Er lag meist im Hafen als Wachschiff und Messeschiff. Dort im Salon meldete ich mich am nächsten Morgen beim Divisionschef Kapitänleutnant Reye. Der schnauzte mich hart an, warum ich mich nicht früher gemeldet hätte. Später aber bestellte er Sekt anläßlich der Beförderung eines Vizefeuerwerkers. Und er trank auch einmal zu meiner Begrüßung auf mein Wohl. Etwa fünfzehn Offiziere oder Vizefeuerwerker oder Vizesteuerleute waren dort in der Messe versammelt. Sie knobelten Chartreuse aus, wobei ich mittun mußte. An der Schmalseite der Tafel schrieb der Divisionschef. Ihn schien die laute, mir reichlich zotig und hohl vorkommende Unterhaltung nicht zu stören.
Ich wurde »Fairplay IX« zugeteilt, dessen Kommandant, Oberleutnant Klinke, ein Mann mit spitzem Gesicht und vielen Schmissen darauf, mich ebenfalls liebenswürdig willkommen hieß. Er führte mich durch sein Boot und durch die Büros, stellte mich verschiedenen Personen vor und übergab mir die Geheimbücherei und Geheiminstruktionen. Dabei erzählte er höflich und freundlich allerlei, was mich interessieren konnte. Ich hätte bei der Division Gelegenheit, Bohnenkaffee, Erbsen, Sahne und anderes zollfrei zu kaufen.
Ich hatte den Eindruck, daß die Offiziere der H.M.S.D. ein ebenso freies wie schwelgerisches Leben führten. Mittags gab es allerdings nur einen Gang, und zwar von demselben Essen, das die Mannschaften bekamen, und da die Messe, wo wir speisten, große Glasfenster hatte, konnten die Leute von draußen uns beobachten. Natürlich wurde uns auf besserem Geschirr serviert.
Nachmittags war ich in der Privatwohnung bei dem Vizefeuerwerker Otto eingeladen, einem hübschen, frischen Burschen, auch Leutnant Bobby und Oberleutnant Klinke waren dabei. Abends ging ich mit den Offizieren ins Kasino zum Kegeln, und, weil ich mich bei dem Spiel sehr ungeschickt anstellte, hatte ich viel zu berappen.
Als ich mich anderen Morgens um elf Uhr im Fischereihafen einfand, war die ganze Division ausgelaufen. Nur mein »Fairplay« lag an der Pier. Er sollte Postboot sein, konnte aber wegen des Nebels nicht auslaufen. Und des Nebels wegen kehrten denn auch die anderen Boote bald zurück. Die Kommandanten setzten sich auf »Scharhörn« am Messetisch zusammen, unterschrieben die Divisionsbefehle und erledigten sonstige schriftliche Arbeiten und rauchten dazu und tranken Kaffee und Schnäpse. Ich kaufte zu billigen Preisen Kognak, Rum, Bohnen und mehr, womit ich besonders meine Eltern zu erfreuen gedachte. Und auf »Fairplay IX« befragte ich die Maate und Leute nach ihren Funktionen, ihrer Ausbildung und besonderen Wünschen.
Meine Wohnung in der Villa »Kik in See« bei den Geschwistern Rohde bestand aus zwei hübsch möblierten, warmen Zimmern. Ich hatte den Blick auf die See, die derzeit kalt und grau war. Manchmal sah ich Boote meiner Division vorüberfahren. Wenn ich in der Frühe nach dem Hafen ging, mußte ich den Exerzierplatz der Minenabteilung queren, und da präsentierten die Posten, und Maate machten vor mir stramm, die noch kürzlich verträgliche oder bösartige Kameraden von mir gewesen waren. Einmal schlich ich mich abends durch die einfachen Kneipen, die ich früher besucht hatte, wie z. B. die Sonne.
Und ein Mädchen gefiel mir. Nach und nach fügte es sich so, daß ich bei den Eltern eingeführt wurde. Sie hieß Grete Prüter, ein rundbackiges, schwarzhaariges Mädchen. Ihr Vater besaß die größte Drogerie am Ort und war ein Mann von erfreulichem norddeutschen Humor. Er plauderte ebenso amüsant über seine Apothekerstudienjahre und über alles, was sein Fach betraf, wie über maritime Sachen und besonders über Cuxhavener Hafenangelegenheiten.
Die ganze Division lief aus, in zwei Gruppen, »Scharhörn« voran, zusammen zehn Boote. Die See stand hoch. Es war eisig kalt. Oberleutnant Klinke und ich, in wollene Schals und dicke Mäntel eingehüllt, wurden auf der Brücke von schweren Brechern durchnäßt. Die Kommandanten verständigten sich von Boot zu Boot durch Winksprüche und sonstige Signale. Man war wegen der Rückfahrt besorgt, da wir dann Windstärke neun gegen uns hatten. Helgoland kam in Sicht, als wir wendeten und unser Suchgerät ausbrachten. Der Sturm warf unsere Nußschalen toll umher, daß mitunter die Kiele sichtbar wurden und alles an Bord krachte und zitterte. Oberleutnant Klinke stand am Sprachrohr und rief abwechselnd »Stopp« und »Äußerste Fahrt«, nach Wellentälern und Wellenbergen. Von Zeit zu Zeit steckten wir uns eine Zigarette an, doch nur für einen Zug, dann ward uns der nasse Tabak weggerissen. Wir empfanden alle das Wetter als höchst bedenklich. Aber ich persönlich freute mich, gleich bei dieser ersten Fahrt meine Seefestigkeit beweisen zu können, und je heftiger die gelbgrauen Wutseen gegen uns anspien, desto vergnügter ward ich.
Leutnant Bobbys Boot blieb zurück. Es war total voll Wasser und drohte unterzuschneiden. »Scharhörn« kam ihm zu Hilfe und übergab unserem »Fairplay« die Führung.
Um zwei Uhr trafen alle Boote wieder in Cuxhaven ein. Bei uns war die Kommandantenkammer und die angrenzende Mannschaftskajüte überschwemmt. Das Wasser hatte das Feuer im Ofen gelöscht. Eine Kiste voll Zigarren schwamm aufgequollen umher. Die Kommandanten zogen sich um, und in der Messe wurde dann die wilde Fahrt lebhaft diskutiert, wobei man wieder mit »Schere, Stein, Papier« Schnäpse ausknobelte. Dann gingen die Offiziere heim, aber ich war Wachhabender und setzte mich müde und zufrieden in die Messe, ließ mir von der Ordonnanz Bohnenkaffee bringen und studierte Geheimbücher und Seekarten. Dann schrieb ich Briefe und Tagebuch. Der Salon auf »Scharhörn« war sehr bequem eingerichtet. Auf den Schleppern dagegen war es erbärmlich eng, und die Leute, die dort tags und nachts hausten, je siebzehn Mann auf einem Boot, das in Friedenszeiten höchstens 4 Mann geführt hatte, waren in dieser Beziehung zu bedauern. Dafür wurden sie aber sonst gut behandelt, erhielten kräftige und reichliche Kost, erhöhte Löhnung und hatten gewisse sonstige Vergünstigungen. Die meisten waren schon seit Kriegsbeginn in der Division. Das galt auch für die meisten Offiziere. Diese kamen fast alle von der Matrosenartillerie. Berufsseeleute waren nur wenige darunter. Einer von diesen war Vizesteuermann Krommes. Der war etwas bange und leicht seekrank.
Ich besuchte Leutnant Kaiser auf einem Torpedoboot. Wir tauschten beim Kakao Erinnerungen an »Vulkan«.
Es folgten eisig kalte und manchmal stürmische Fahrten. Ich stand am Ruder oder auf der Brücke. Umschichtig kam jedes Boot einmal an die Reihe, als Prielboot draußen auf Wache zu bleiben. Ich schlief dann dort für eine Nacht mit Klinke in der engen Kammer. Doch mußten wir häufig aufstehen, weil die Gefahr bestand, daß wir auf den Groß-Vogelsand abgetrieben würden. Ich kümmerte mich eifrig um Wind und Strömung und Ebbe und Flut und benutzte die Zwischenzeit, um im Signalbuch zu studieren. Es war ein köstliches Gefühl, nach solcher Prielnacht in meine behagliche Wohnung zurückzukehren.
Im Hafen erteilte Leutnant Schütte mir und dem Vize Otto und dem R.-O.-A.-Maat Döring Unterricht in Navigation.
Der D.-Chef war in Hamburg gewesen und hatte einen deutschen Spion gesprochen, der schon mehrmals während des Krieges als holländischer Zigarrenhändler in London gewesen war und seine Nachrichten an Deutschland durch verschlüsselte Zeitungsannoncen übermittelte. — Ich wurde der Frau des Kapitänleutnants Drache vorgestellt. Drache war ein hochgewachsener bedächtiger Herr und Kommandant von »Scharhörn«, außerdem nahm er dem Divisionschef gewisse Verwaltungssachen, besonders Proviantangelegenheiten, ab.
Oberleutnant Erfling hatte seinen Assessor bestanden. Das gab eine Divisionsfeier im Kasino, die sehr stürmisch verlief. Erfling war keck im Witz und nahm uns Vize gern aufs Korn, aber zu anderen Zeiten genierte er sich wieder vor höheren Offizieren, mit uns Vizes intim zu sein. — Kapitänleutnant Drache hatte einen kleinen Mund. Er war ein guter Kegler. Wenn er mit der Kugel langsam und wohlberechnend ausholte, nahm er eine drollige charakteristische Stellung ein. — Klinke galt als der gutmütigste, zuverlässigste und gewissenhafteste Kommandant. Er stammte aus Braunschweig, war einst Seekadett gewesen und dann Beamter im Baufach geworden. Er hatte, wie man so sagt, eine praktische Ader, und daheim, in seinen Mußestunden, arbeitete er an der Erfindung eines neuartigen Flugzeuges. — Bobby war ein etwas leichtsinniger und liederlicher, aber sehr unterhaltsamer und gesellschaftlicher Offizier. Er spielte gut Musik, interessierte sich für Literatur und Künste und hatte diesbezüglich eine mich überraschende geschmackvolle Kritik. Ich sollte ihm durchaus ein Buch von mir schenken.
Wir waren nach der Assessor-Feier alle sehr besoffen. Manche von uns fielen unterwegs zu Boden, und es ward viel geschweinigelt. Ich mußte an Eichhörnchen denken, die in einem Seeoffizier nur eine ideale makellose Heldengestalt erblickte, worüber ich oft mit ihr stritt.
Ich geriet noch unter andere sehr animierte Offiziere. Auf irgendeinem Zimmer zechten wir weiter. Die Unterhaltung war sehr frei. Es stellte sich heraus, daß wir alle einmal das Marmorweib kennengelernt hatten. Das war eine sehr häßliche Kokotte, die ihre Opfer in schamloser Weise ausbeutete. Marmorweib wurde sie genannt, weil sie die Kavaliere folgendermaßen ansprach: »Faß mal meine Brüste an. Wie Marmor!«
Danach kam eine Wette zustande betreffs der Dichtigkeit gewisser Gewebe. Herr X. hatte absichtlich das Thema heraufbeschworen und sagte zu Herrn Y.: »Taschenfutter z.B. ist vollkommen wasserdicht. Ich wette mit Ihnen um eine Flasche Sekt, daß ich Ihnen ein Glas Bier in die Hosentasche gießen kann, ohne daß ein Tropfen durch das Futter sickert.« Die Wette galt. Das Bier stand schon bereit und ward rasch in die Hosentasche gegossen. Der untere Teil von Herrn Y. war im Nu durchnäßt und wir lachten alle. Denn eine Flasche Sekt war vom Kasino ganz billig zu beziehen.
Fünf Tage lang suchte die Gruppe, der Klinkes Boot angehörte, Minen. Nun sollte die andere Gruppe uns für ebenso lange Zeit ablösen. Da kam aber der Befehl: »Morgen läuft die ganze Division aus.« Solche Durchquerungen unserer Programme traten häufig ein. Ich als Rangjüngster mußte auch häufig in Vertretung erkrankter oder sonstwie verhinderter Offiziere die Hafenwache übernehmen. Da hatte ich Parole auszugeben und je nach Situation gewisse Maßnahmen zu veranlassen, z.B. daß bei einem starken Nordost eine Achterleine ausgebracht würde. Man überanstrengte sich nicht. Ich kaufte Schnäpse und Wein und schmuggelte sie peu à peu durch den Zoll in meine Wohnung. Denn ich erhielt viel Besuch und ward auch selber viel eingeladen, so daß ich, wenn ich an Land schlief, jede Nacht erst spät ins Bett kam. Mein Bursche und die Schwestern Rohde hatten es nicht leicht, mich morgens zu wecken.
Pfohl kam vom Urlaub zurück. Da ich inzwischen seine Wohnung eingenommen hatte, bezog er im selben Hause ein anderes kleineres Stübchen, doch stellte ich ihm mein Wohnzimmer zur Verfügung und bemühte mich überhaupt, dankbar und aufmerksam zu ihm zu sein, obwohl seine ganze Erscheinung, mit der unserer Divisionsoffiziere verglichen, mir plötzlich recht kleinlich und milchern vorkam.
Die Lebensmittel wurden knapper und knapper. Täglich hatten wir Befehle zu verlesen, wie »über die Ausnutzung der Steckrübe« oder »Sparsamkeit im Verbrauch von Kerzen«. Die Steckrübe dominierte, gekocht, gedämpft, gebraten, gebacken, gerieben, paniert. Statt Zucker gab es künstlichen Süßstoff. Die Münchner Neuesten Nachrichten priesen einen neuen Kriegskuchen an, zu dessen Herstellung man weder Butter noch Eier benötigte. Eine Probe des Kuchens wäre in der Vorhalle der Redaktion ausgestellt. Auch das Maschinenöl taugte nichts mehr. Künftig sollte es keine Stärke für Hemden und Kragen mehr geben. Durch Prüters erhielt ich manchmal Seife und dergleichen, was von dänischen Schiffen herstammte.
Nach einer Nachtwache mußte ich morgens gleich wieder mit in See. Die meisten Kommandanten waren noch nicht nüchtern und trieben beim Ablegen allerlei Possen. Aber das ging nicht so weit, daß die Pflicht darüber verletzt worden wäre. Im Gegenteil wußten alle die Grenze zwischen Dienst und Vergnügen scharf einzuhalten und entwickelten auf beiden Seiten ihren besten Eifer. Und dieses lebendige Pendeln zwischen beiden Gegensätzen hatte für mich und wohl für alle von uns etwas Berauschendes. Nach der Suchfahrt, bei der uns zweimal die Leinen ausschlippten, ohne daß wir revidierend etwas fanden, blieben wir noch anderthalb Stunden draußen bei Helgoland und brachten ein Fischnetz aus. Aber die Zeit war nicht günstig zum Fischen. Wir fingen nur ein Dutzend Schollen. Auch hielten wir umsonst unsere Flinten bereit. Nichts zeigte sich, was eines Schusses wert gewesen wäre. Klinke traktierte mich mit Schnäpsen und überhörte mich dabei über Navigatorisches. Auf der Rückfahrt fanden wir leider die Hafeneinfahrt gesperrt, weil das Fort Kugelbake Schießübungen abhielt. So ward es fünf Uhr, bis wir festmachten, und dann hatte ich auch noch Befehle durchzulesen und eine Zeichnung anzufertigen. Meine Uniform wurde vom Schornsteinruß und Öl und Dreck übel mitgenommen.