Kitabı oku: «Unsere heimischen Göttinnen neu entdecken», sayfa 2
DIE GREISIN
Wenn die Tage kürzer und dunkler werden und die Natur sich zurückzieht, nimmt die Göttin ihre Gestalt als Greisin an. Ihr Fest ist Samhain, der Winteranfang im Jahreskreis. Bei den Kelten nehmen die Dinge in der Dunkelheit ihren Anfang: der Tag beginnt mit dem Abend, das Jahr mit dem Winter und das Leben mit dem Tod. Daher beginnt die Priesterinnenausbildung jährlich in der Zeit von Samhain, und entsprechend beginne ich auch die Beschreibung des Göttinnenrades mit der Göttin in ihrem Greisin-Aspekt zu Samhain.
Die Göttin in der Gestalt der Greisin hat auf dem Jahresrad mehrere Namen: sie ist Matrona, die Verwandlerin, im Nordwesten. Sie wandelt sich von der Greisin zum Mädchen zur Mutter zur Greisin – ohne Unterlass. Sie verkörpert die Spirale des Lebens, das zyklische Weltbild der Göttin: Alles was stirbt, wird aus ihrem Schoß wiedergeboren. Sie ist Hel, die Göttin der Unterwelt, Todesgöttin und Königin des Schattenreiches unserer Seelen. Sie ist Baba Yaga, die Initiatorin, Aufgabenstellerin und Schenkerin von Gaben, deren Herausforderungen uns zu unserer wahren Kraft führen.
Da der Tag mit der Nacht beginnt,5 beginnt das Fest Samhain mit der Abenddämmerung des 31. Oktobers und endet am Abend des 1. November. Die Göttin wandelt sich zur Alten, die die Dunkelheit bringt und deren graue Haarsträhnen als Nebelschwaden über dem Land hängen. Ihre Tiere sind der Kranich, die Krähe und die Wildsau, aber auch der Schmetterling. Ihre Farbe ist schwarz. Ihr Symbol ist der Kessel, die abnehmende Mondin, die Sense und die Sichel.
Die Greisin ist die alte Frau, die das Leben gesehen und ihre Erfahrungen gemacht hat – und die Todesbotin. Die Eibe, die oft auf Friedhöfen gepflanzt ist, ist ihr Baum. Wenn die Bäume ihre Blätter abwerfen und kahl und schwarz in graue, regnerische Novemberhimmel ragen, kehren wir uns nach innen und gedenken unserer Ahninnen. Wir lassen die Dinge sterben, die unserem Leben nicht mehr dienlich sind, und säen die Saat unserer Absichten für das neue Jahr. Bei den Kelten stand der Tod nicht am Ende: unvermeidlich, bedrohlich und schreckenerregend. Vielmehr war er der Beginn eines neuen Kreislaufs, untrennbar mit dem Leben verwoben und das Leben mit ihm. Die Greisin schenkt uns den Tod und die Wiedergeburt, das Sprengen der Ketten und die Transformation.
Matrona
Göttin der Transformation
Matrona ist uns heute durch römische Inschriften und Weihesteine aus der südlichen Germania Inferior6 bekannt. Dort werden drei Frauen nebeneinander sitzend abgebildet, die in ihren Schößen mit Obst und Brot gefüllte Körbe halten. Die beiden Äußeren tragen Hauben, groß und rund wie der volle Mond, während die Frau in der Mitte mit offenem glatten Haar dargestellt wird. Es gibt keinerlei erhaltene Schriftquellen.
Matrona wird auf den Weihesteinen in ihrer Erscheinung als Greisin-Mädchen-Mutter abgebildet. Dies verraten uns die Hauben, die, der germanischen Tracht der Ubierinnen entsprechend, nur von verheirateten Frauen getragen wurden. Dies bedeutet, dass in der Mitte eine junge Frau sitzt. Allgemein interpretieren Archäologen diese drei Frauen als eine Dreiergruppe von Muttergöttinnen, die Drei Matronen. Tatsächlich zeigt sich hier jedoch die Große Göttin in ihren drei Aspekten selbst.
Weihestein mit Gaben für Matrona auf der Görresburg oberhalb von Nettersheim, Nordrhein-Westfalen
Die römischen Weihungen sind grammatikalisch uneinheitlich: Mal ist von den Göttinnen im Plural die Rede, dann im Singular und manchmal sogar gemischt (Dea Matronae).7 Auch die vielfältigen Beinamen dieser Matronae weisen darauf hin, dass die Macht der Göttin alles umfasste: sie beziehen sich manchmal auf die Familiennamen oder Stammeszugehörigkeit der Stifter der Steine (z. B. die suebischen Matronen), manchmal auf regionale Landschaftsmarken (z.B. Flüsse, Bäume, Dörfer usw., vgl. Renahenae = die rheinischen Matronen) und beschreiben manchmal das Wesen der Göttin: die Gebenden, die Hohen, die Heilenden oder die Matronen des Schicksals.
Wir haben es hier also mit einer Göttin zu tun, deren Machtwirken alle Lebensbereiche durchdringt, die in drei Erscheinungsformen abgebildet ist und die sich ewig wandelt. Die vollen Körbe betonen ihren fruchtbaren Schoß. In den Körben finden sich Äpfel und Birnen. Äpfel stehen für die Unsterblichkeit, die der ewige Kreislauf der Göttin – von Leben, Tod und Wiedergeburt – schenkt. Die Birne bildet in ihrer Form die Gebärmutter ab, in der das neue Leben entsteht. Beide Früchte sind somit weibliche Ursymbole, die Leben, Sterben und Wiedergeburt versinnbildlichen. In den Schoß der Göttin kehrt alles zurück, was stirbt, und aus ihrem Schoß werden wir wiedergeboren. Darum wird Matrona auf dem deutschen Jahresrad der Göttin vor allem im Nordwesten in ihrem Aspekt als Greisin, als Todesbotin und Verwandlerin, verehrt.
Die drei Gesichter Matronas (auf einem Weihestein auf der Görresburg)
Hel
Die Göttin der Unterwelt
Die Göttin der Unterwelt ist Hel. Ihre eine Körperhälfte ist weiß, die andere schwarz. Sie reitet auf einem Pferd oder fährt in einem Wagen über das Land und sammelt die Toten ein. Hel, oder Helja, ist die Göttin, der wir am Ende unseres Lebens alle begegnen. Ihr Name bedeutet bergend.8 Wer einmal in ihr Reich Niflheim eingegangen ist, kann dieses nicht wieder verlassen.9 Niflheim ist eines von mehreren Jenseitsreichen der nordischen Mythologie, die alle mehr oder weniger auf eine bestimmte Gruppe von Menschen eingestellt sind.10 Das Totenreich Heljas allerdings steht allen offen, die an Alter oder Krankheit sterben. Sie ist der Inbegriff der Totengöttin, die uns alle am Ende in ihre leuchtende Dunkelheit in Empfang nimmt und dem Sterben den Schrecken nimmt.
Hel hat, wie wir alle, zwei Seiten, die sie deutlich zeigt.11 Sie ist gleichzeitig erschreckend und wohlmeinend – der Tod ist nicht immer schrecklich. Hel lehrt uns, unsere eigenen zwei Seiten anzunehmen. Oft lernen wir in unserem Leben, eine Hälfte von uns abzulehnen – bestimmte Dinge, die wir fühlen oder die wir getan haben. Wenn wir das tun, können wir seelische Krankheiten entwickeln, und dann müssen wir die Reise nach Niflheim antreten. Auch Schlimmes, das uns widerfährt, und woran wir keine Schuld tragen, kann ein Auslöser für einen Sturz in die Unterwelt sein. Dann ist Niflheim der Inbegriff der trostlosen Totenwelt.
Der Name bedeutet Nebelheim, und man gelangt über den Hellweg dorthin. Niflheim liegt unter den Wurzeln der Weltesche Yggdrasil, in dessen Mitte sich der Brunnen Hwergelmir, das bedeutet rauschender Kessel oder alter Kessel, befindet. Aus diesem Brunnen ergießen sich zwölf eisige Flüsse, von denen Gell am dichtesten an Hels Wohnung vorbeifließt. Dies ist nicht der Ort der Anderswelt, an dem die Seele sich auf die Wiedergeburt vorbereitet. Auch ist dies nicht die angsteinflößende Hölle der Christen. Zwar wurde der Name dieser Vorstellung von Hels Namen abgeleitet, doch hat dieses brennende Inferno nichts mit Hels düsterem Reich gemein.
Niflheim ist ein finsterer, kalter Ort fernab der Welt der lebendigen Menschen, ohne Ausweg, Hoffnung oder Freude. Es ist der Ort tiefster Depression und Einsamkeit, das unterirdische Totenreich eine innere, psychische Unterwelt. Hel ist die Königin dieser Unterwelt, in die große Traurigkeiten, Schicksalsschläge und Ähnliches uns hinabstürzen können. Wie die sumerische Inanna in die Unterwelt ihrer Schwester Ereshkigal hinabsteigt, so steigen auch wir im Laufe unseres Lebens mindestens einmal, meistens jedoch öfter, in die Unterwelt hinab, um uns selbst zu finden. Diese Zeiten in der Dunkelheit sind oft schmerzhaft und schwierig, doch ist Hel bei uns, ohne uns zu quälen und ohne Grausamkeit. Sie ist einfach nur anwesend, Halterin dieser seelischen Unterwelt und Zeugin.
Und dann zeigen sich auch in Niflheim die zwei Seiten der Hel. In diesem finsteren Reich gibt es auch goldene Säle, in denen Met getrunken wird, und es öffnet sich ein Ausweg: In Hels leuchtender, nährender Dunkelheit, sind wir bei ihr, und wenn wir uns lang genug in Niflheim aufgehalten und das Zentrum dieser Dunkelheit gefunden haben, stoßen wir auf den rauschenden Kessel.
Der Kessel ist ein altes Symbol für die Göttin. In den keltischen Mythologien besitzen die Göttinnen zahlreiche magische Gefäße, aus denen ihre Gaben fließen. Der Kessel ist das mächtigste von ihnen, denn in ihm geschieht Veränderung. Die Göttin rührt in ihm und zerstört dadurch das alte Gerüst, das das Leben zusammenhält und die Realität definiert. Wie in einer Spirale werden wir herumgewirbelt, wenn wir uns in Hels Unterwelt befinden, verlieren den Boden unter den Füßen und erkennen uns selbst nicht mehr. Doch die Bausteine werden neu zusammengesetzt. Der Kessel steht für den Bauch und die Gebärmutter der Göttin, aus der wir wiedergeboren werden; und wenn für uns die Zeit kommt, dass die Dinge und wir selbst verwandelt wurden, kehren wir aus der Unterwelt zurück: freier, stärker und mehr wir selbst als zuvor. Hels Dunkelheit ist nicht grausam und bedrohlich, sondern leuchtend und nährend. Wie in der Dunkelheit im Mutterschoß sind wir in ihr geborgen, und jede Geburt findet immer aus der Dunkelheit heraus statt.
Hel ist auch ein anderer Name für den Unterweltsaspekt der Großen Holle. Ein Abstieg nach Niflheim und eine Wiederkehr von dort, aus Holles Totenhöhle,12 sind kraftvolle Erfahrungen, einschneidende Initiationen, die uns für unser weiteres Leben formen. In Berlin Tempelhof gibt es einen natürlichen See, der aus der Eiszeit stammt und Blanke Helle oder Hellpfuhl genannt wird. Es ranken sich viele Legenden um ihn, und er gilt als einer der Eingänge zur Unterwelt.
Baba Yaga
Die Initiatorin
Baba Yaga ist die slawische Göttin in ihrem Aspekt als Greisin. Sie erscheint als magere und hässliche alte Frau mit eisernen Zähnen, die im Wald in einer Hütte lebt, die auf Hühnerbeinen steht.
In den variantenreichen Geschichten erscheint Baba Yaga einerseits als unberechenbar und sehr gefährlich. Man sagt von hr, dass sie Menschen isst und ihre Schädel auf ihren Gartenzaun steckt. Andererseits gibt sie gute Ratschläge und macht kostbare Geschenke. In den ältesten Geschichten kann Baba Yaga ihr Heim nicht verlassen, da ihre Zauberkraft an diesen Ort gebunden ist. Später reitet sie auf einem eisernen Ofen, der auf Hühnerbeinen läuft, fliegt in einem Mörser, den sie mit dem Mörsterstößel lenkt oder streift mit ihrer gesamten Hütte durch den Wald. Es heißt, dass sie damit die sterbenden Menschen verfolgt und zu sich holt.
Baba Yaga ist die Hüterin des Wassers des Lebens und des Todes. In manchen Geschichten lebt sie mit zwei Schwestern zusammen. Stirbt eine der Schwestern, so besprenkeln die anderen sie mit dem Wasser des Todes, wodurch ihre Wunden heilen und sie von den Toten wieder aufersteht. Hier zeigt sich, dass Baba Yaga wie Matrona als Greisin Teil der Dreifachen Großen Göttin ist, die über die Kraft des Todes und der Wiedergeburt verfügt.
In Märchen, Legenden und Erzählungen tritt die Greisin oft in der Gestalt der Stiefmutter, Hexe oder Ähnlichem auf, die der Hauptfigur, dem jungen Mädchen, eine Aufgabe stellt, die vielfach grausam oder unmöglich zu erfüllen scheint. Tatsächlich aber wächst die junge Heldin daran, entwickelt Fähigkeiten, erkennt das wahre Ausmaß ihrer eigenen Stärke und kann nur durch die Aufgabe der »bösen Hexe« ihr volles Potential entfalten. In der bekanntesten Erzählung über Baba Yaga tritt sie der jungen Vasilisa gegenüber als Lehrerin und Initiatorin auf, erschreckend und bestärkend zugleich, die klassische Rolle der Greisin. Baba Yaga fordert uns auf, uns zu verwandeln.
Frauen werden in unserer Gesellschaft meistens nicht dazu erzogen, intuitiv und ungezähmt zu sein. Baba Yaga nimmt all das, was bremst und einengt, alles, was uns nicht länger dient, in ihren Mörser und verwandelt es. Der Mörser ist, wie der Kessel der Göttin, ein Gefäß, in dem die Dinge transformiert werden. Das Alte wird zerstört, stirbt und wird zu etwas Neuem. Baba Yaga ist die Greisin als Aufgabenstellerin und Schenkerin von Gaben. Sie fordert uns heraus und gibt uns dadurch die Möglichkeit, zu wachsen, über unsere Grenzen hinauszugehen und weiterzukommen, als wir je für möglich hielten. Wenn wir uns von unseren Ängsten nicht bremsen lassen und uns ihrer Führung anvertrauen, führt sie uns zu unserer eigenen Kraft, Intuition und Wildheit (im Sinne von Unbezähmbarkeit und Freiheit). Wir erkennen, dass wir unser eigenes Potential unterschätzt haben, und lassen uns auf das Abenteuer ein zu erforschen, wie weit wir noch gelangen können.
Die Hexe und die Weise Alte
Es scheint, dass eine alte Frau – eine Greisin mit all ihren Ecken und Kanten – den Menschen heute eine unerträgliche Vorstellung ist. Ich habe beobachtet, dass sie deshalb in zwei Gegensätze aufgespalten wurde: die idealisierte, wohlmeinende (und damit harmlose) »weise Alte« und die »böse Hexe«. Beide Aspekte sind unvollständig, und so schwächen sie die Greisin.
Ich lehne den Begriff weise Alte für den Greisin-Aspekt der Göttin, der im New Age, in Hexenkreisen und in der Göttinnenverehrung oft gebraucht wird, ab, da er der einzige Aspekt der Göttin ist, der mit einem Adjektiv versehen und daher mit einer Bewertung verbunden ist. Wer entscheidet, ob eine Greisin Weisheit hat oder nicht? Wenn sie in meinen Augen nicht weise ist, brauche ich sie dann nicht zu würdigen und zu respektieren? Die Göttin in ihrem Aspekt als Greisin ist Weisheit, aber sie ist zugleich viel mehr. Sie ist die wunderbare Verschrobenheit der Alten, die Lebenserfahrung, und sie hat die Freiheit, sich nicht rechtfertigen und erklären zu müssen und muss niemandem gefallen. Sie kann uns als weise, liebevolle Großmutter in der Dunkelheit halten. Sie kann völlig verrückt und irrational sein. Sie hat die Schönheit und die Härte des Lebens erlebt und kann hart sein: Die Greisin sieht, was getan werden muss, und sie tut es.
Im zweiten Aspekt ist die Schwächung der Greisingöttin ganz offensichtlich: Die ursprüngliche Göttinnenkraft wird in der krass negativ bewerteten bösen Märchenhexe, der bösen Stiefmutter heute kaum noch gesehen. Stattdessen bekommt sie ihre »gerechte Strafe«, wird besiegt und meistens getötet. Einhergehend damit wurde die alte Frau, die menschliche Greisin, mit der Patriarchalisierung und dem Christentum zur irrationalen, nutzlosen Alten degradiert.
Da man ihre Weisheit und die Macht ihres Wissens und ihrer Erfahrungen nicht völlig verschwinden lassen konnte, machte man sie zur gefährlichen, bösen Alten. Die alten Symbole der Göttin, der Kessel und der Mörser, sind alltägliche Gebrauchsgegenstände im Leben einer alten Frau, die damit sowohl ihr Mittagessen als auch magische Medizinen und Heiltränke herstellt. Der Besen, mit dem die alte Frau ihr Heim auskehrt, wurde zum Hexenbesen, das heilige Tier der Göttin, die Katze, zum Begleittier der Hexe. Den Höhepunkt der Angst vor der Macht der Frauen und des Frauenhasses stellt die europäische Hexenverfolgung dar, die im 13. Jahrhundert begann und sich bis in 18. Jahrhundert hinzog. Heutzutage geht man von etwa 60.000 Opfern aus, von denen 75 Prozent weiblich waren. In Deutschland loderten die Feuer der Scheiterhaufen am schlimmsten, weshalb die kollektive Wunde der Greisin und die Angst vor einer starken Alten bei uns besonders tief geht: Allein in Deutschland wurden 25.000 Menschen, beinahe die Hälfte aller Opfer insgesamt, als Hexen hingerichtet.13
Im Bild der Hexe lässt sich noch viel von der Göttin als Greisin finden, und es ist unsere Aufgabe, das Lebensalter als alte Frau und Greisin heute wieder als machtvolles, kraftvolles Lebensalter für uns zu beanspruchen. In unserer Gesellschaft wird noch immer vermittelt, dass wir nette, folgsame Mädchen sein sollen; dass Frauen einem oberflächlichen Schönheits- und Jugendbild entsprechen müssen; und es herrscht eine regelrechte Angst davor, alt zu werden, als ob dieser Lebensabschnitt geradezu furchtbar sei. Außerdem sind unsere Familien auseinandergezerrt, und unsere Alten werden in Pflegeheime verfrachtet. Wir müssen die Greisin und die Hexe zurückfordern, ihre Weisheit wie auch ihre Irrationalität, müssen ihre Verschrobenheit würdigen. Sie kann uns lehren, unangepasst zu sein und frei zu bleiben, um als Frauen gesund und kräftig zu werden und zu bleiben und unsere Töchter zu starken gesunden Frauen zu erziehen. Dies geht nur, wenn die Alten sichtbar sind: in den Familien, in den Medien und überall.
Hier ist eine Frau, die sehr impulsiv geleitet wird
Dies ist die Greisinnenpracht von Old Silverhead
Sie durchschneidet die Rationalität mit ihrem Verstand, der wie schnelle Klingen ist
Das unlogische Denken der Greisin erhält sie glücklich und gesund
Die Vorsicht ist niedergerissen, es gibt nichts zu verlieren
Sie wird sich dazu entscheiden, dem Unvorhersehbaren nachzujagen
Dies ist die Greisinnenpracht von Old Silverhead.
(nach Carolyn Hillyer)
Es lebe die Greisin!
Rückkehr in den Schoß der Göttin
Matrona als Todesbotin hat per se nichts Erschreckendes, Bedrohliches. Wie die indische Kali ist sie eine Göttin, die beide Aspekte, Leben und Tod, Licht und Dunkel und alle Polaritäten verkörpert, und beide Seiten müssen gleichermaßen akzeptiert und geliebt werden. Anstatt Angst vor ihr zu haben und den Blick nur aufs Diesseits zu richten und jeden Gedanken an sie zu vermeiden, ist Matrona uns allen zugänglich, und wir können eine persönliche, intime Beziehung zu ihr pflegen.
In Matronas heiligen Schoß kehren wir nach dem Tod zurück. Dieser Gedanke war in vorchristlicher Zeit weit verbreitet, als die Grabarchitektur die regenerative Göttin abbildeten: ihr Bauch und Geburtskanal waren die Tore zur Wiedergeburt. Die halbkugelförmigen Grabhügel unserer Vorfahren stellen den schwangeren Bauch der Göttin dar, aus dem wir wieder geboren werden. In vielen neolithischen Grabhügeln hat man neben ihrem Bauch auch die Gebärmutter und den Geburtskanal errichtet:
Über die Jahrhunderte hinweg haben Regen und Wind den Erdhügel abgetragen, der diese Anlage der Sieben Steinhäuser in der Lüneburger Heide, Niedersachsen, ursprünglich bedeckte.
Die Verstorbenen wurden in Grabkammern tief in der dunklen Erde bestattet, zu denen man durch lange Gänge gelangt. Ein besonders beeindruckendes Beispiel für diese Art, wie die Menschen früher ihre Verbundenheit mit der Göttin durch sakrale Architektur sichtbar gemacht haben, ist der Grabhügel von Newgrange im Boynetal in County Meath in Irland (etwa 3500 v.d.Z.). Die hier Bestatteten wurden am Morgen der Wintersonnenwende wiedergeboren, wenn die Strahlen der aufgehenden Sonne durch ein eigens dafür über dem Eingang eingelassenes Fenster durch den Geburtskanal (Gang) kriechen und die Gebärmutter (Grabkammer) mit Licht füllen.
Noch älter sind die Bestattungsplätze in Lepenski Vir in Serbien (6500 – 5500 v.d.Z.). Der dreieckige Grundriss gibt den Schoß der Göttin, die Böden aus rotem Kalkstein ihr lebenspendendes Mondblut wieder. Während der Ausgrabungen wurden in diesen Gräbern mehrere Steine mit Vulvendarstellungen gefunden.14
Matrona nimmt uns auf nach dem Tod, birgt uns sicher in ihrem Bauch, bis es Zeit für uns wird, wiedergeboren zu werden. Im Rheinland und in der Eifel haben Archäologen große Matrona geweihte Kultzentren und Tempelanlagen ausgegraben. Zum Teil wurden sie rekonstruiert, so dass Matrona an ihnen heute wieder verehrt wird. Die Görresburg bei Nettersheim ist eine solche Anlage, die auf einem Gipfel liegt, wo der Wind weht und man das umgebende Land überblickt. Dieser Tempel der Matrona hält eine Ruhe, Zeitlosigkeit und Größe, die für jeden spürbar ist. Ganz ähnlich ist der Matronentempel von Pesch, im Volksmund Heidentempel genannt, nur dass dieser Gipfel bewaldet ist und das Heiligtum versteckter liegt, wodurch sich die Energie subtil von der auf der Görresburg unterscheidet. Die Anlage von Pesch hat einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen, denn dies war der erste Matronentempel, den ich besuchte, als ich 2002 ins Rheinland kam. 2013 haben mein Mann und ich dort geheiratet.
Offen ist das Land und weit ist der Himmel über der Görresburg.
GöttinnenverehrerInnen legen ihre Weihegaben in Matronas Schoß, vor den Weihesteinen oder oben auf dem Altar ab, oder sie knoten ihre Gaben in die Zweige.
Still und verwunschen ruht der Matronatempel in Pesch, Nordrhein-Westfalen, im Licht der untergehenden Wintersonne geborgen im Wald.
Diese zwei Kultplätze sind nur die berühmtesten vieler solcher Tempel und liegen dicht beieinander. Man kann gut beide am selben Tag besuchen und sich in die subtilen Unterschiede in der Energie beider Orte einfühlen. Beide Tempelanlagen sind friedliche, positive Orte, die täglich von zahlreichen Göttinpilgerinnen und -pilgern besucht werden. Äpfel, Blumen, Räucherstäbchen, Münzen, Kerzen und bunte Bänder sind die Gaben, die sie hinterlassen. Das Zentrum der Matronenverehrung lag aller Wahrscheinlichkeit nach in der Bonna, der keltischen Stadt, die die Vorgängersiedlung des heutigen Bonns ist. Bei Ausbesserungsarbeiten der Krypta fand man unter dem Bonner Münster nicht weniger als 50 Weihesteine an die Matronen, die dort vermauert worden waren. Dies ist eines von zahlreichen Beispielen für christliche Kirchen, die über älteren Plätzen der Göttinverehrung errichtet wurden.