Kitabı oku: «Zwangslektüre», sayfa 3
Gotthold Ephraim Lessing: Nathan der Weise (1779/1783)
Handlung
Thema des Dramas sind Toleranz und aufgeklärter Humanismus als Ausweg aus dem Absolutheitsanspruch der drei Weltreligionen.
Folgerichtig spielt das Stück in Jerusalem zur Zeit der Kreuzzüge. Judentum, Christentum und Islam prallen hier aufeinander.
Nathan, ein reicher jüdischer Kaufmann, dessen Frau und sieben Söhne einem christlichen Progrom zum Opfer gefallen sind, hat das Waisenkind Recha als Pflegetochter aufgenommen.
Eines Tages - Recha ist mittlerweile im heiratsfähigen Alter und Nathan gerade auf Geschäftsreise - fackelt jemand sein Haus ab. Recha wird von einem jungen Tempelherrn gerettet, der gerade aus der Gefangenschaft des Sultans Saladin entlassen worden ist. Der hatte ihn entgegen seiner Gewohnheit nicht hinrichten lassen, weil er Ähnlichkeit mit seinem toten Bruder hatte. Während es zwischen Recha und dem Tempelherrn zum ersten interreligiösen Flirt kommt, sucht Saladin das Gespräch mit Nathan. Nathan denkt, der Sultan wolle ihn anpumpen. Dabei geht es Saladin um Höheres, nämlich um die Frage, welche der drei Religionen "Die wahre" sei.
Nathan will nicht ins Fettnäpfchen treten und erzählt die berühmte Ringparabel:
In einer Dynastie wird ein Zauberring stets vom Vater auf den Lieblingssohn weitervererbt, um auf diese Weise schließlich bei einem König zu landen, dem alle drei Söhne gleich lieb sind. In seiner Not fertigt er zwei perfekte Duplikate. Die drei Söhne kriegen sich nach seinem Tode natürlich in die Wolle, weil jeder glaubt, er habe den echten Ring, dessen Zauberkraft darin besteht, beliebt zu machen, vor Gott und Menschen angenehm. Der Richter verweigert die Entscheidung, gibt aber den Hinweis, dass jeder der drei Söhne Gelegenheit habe, die Echtheit seines Rings durch praktizierte Menschlichkeit zu erweisen.
Saladin begreift. Beide werden Freunde.
Mittlerweile will der Tempelherr die schöne Recha heiraten. Klappt aber nicht, denn nach einigem hin und her stellt sich heraus, dass beide Geschwister sind. Und damit nicht genug: Der Tempelherr ist auch noch der Neffe Saladins. Als einziger, der nicht der Krypto-Großfamilie angehört, wird Nathan sozusagen als Seelenverwandter in den Clan aufgenommen. Und alle umarmen sich unter Tränen der Rührung.
Deutung
Jeder, der nach der Schulzeit die Erinnerungsreste des Deutschunterrichts zusammenzukramen versucht, wird auf die Assoziationskette "Lessing – Ringparabel - Religiöse Toleranz -Aufklärung" stoßen. Manche werden sich auch noch des Umarmungsfestes am Ende des Dramas erinnern, mit dem auch dem Schüler bzw. Theaterbesucher aus der letzten Reihe so sinnfällig klargemacht wird, dass wir, egal woran wir glauben, "irgendwo eine große Familie" sind.
Dabei geraten nicht nur Al Hafi als Aussteiger und der Patriarch von Jerusalem als Fundamentalist in den Hintergrund, sondern auch alle religiösen und philosophischen Traditionen, die nicht für sich in Anspruch nehmen, an der Offenbarung eines einzigen Gottes teilzuhaben.
Hier zeigt sich Lessings verborgene Tragik:
Auf der einen Seite tritt er für eine vorurteilsfreie Menschlichkeit ein und wird durch seinen Königsgedanken, dass sich die Tauglichkeit einer Religion durch praktische Bewährung erweisen muss, zu einem der Vorläufer des Kritischen Rationalismus.
Auf der anderen Seite betreibt er aber eine bedenkliche Beschränkung der religiösen Toleranz insofern, als er sie den drei Wüstenreligionen Judentum, Christentum und Islam vorbehält, also den drei monotheistischen Offenbarungsreligionen. Für all diejenigen, die trotz einer gewissen religiösen "Musikalität" das Gefühl nicht loswerden, unter einem leeren Himmel zu leben, ist in Lessings Familie kein Platz.
Ist diese Kritik unhistorisch insofern, als sie den Bewusstseinsstand der Epoche ignoriert, in der Lessing wirkte? Wird Lessing mit dieser Kritik überfordert? Keineswegs. Es gab Vertreter der Aufklärung und auch Exponenten geistiger Überlieferungen, auf deren Schultern die Aufklärung steht, die einen umfassenderen Toleranzbegriff hatten. In Lessings exklusivem Club war dagegen nicht einmal für die sogenannten Deisten Platz, also die Angehörigen einer im 18. Jahrhundert einflussreichen Bewegung, die Gott nur als erste Ursache der Welt anerkennen wollte und meinte, dass auf der Welt nur die von Gott unbeeinflussten Kräfte der Natur walteten.
Ist die Kritik deshalb ungerecht, weil ein Historiendrama als Parabel vereinfachen muss? Gebot nicht sogar die Struktur des Stückes, die Ausweitung der religiösen Toleranz auf die drei Religionen zu beschränken, die zur Zeit der Kreuzzüge relevant waren? Letzteres schon, doch beide Fragen sind vordergründig, denn die Auswahl des Stoffs und des historischen Ambiente ist ja schon das Ergebnis eines arg geschrumpften Toleranzverständnisses. Sonst hätte es nahegelegen, sich durch ein zeitgenössisches Drama der prallen Vielfalt der Weltreligionen, ihrer Verästelungen und ihrer Kritiker zu stellen, wie sie zur Zeit Lessings bestand.
Gegen den Nathan lässt sich weiter einwenden, dass Lessing die Religionen eindimensional betrachtet. Er stellt allein auf die Sozialethik ab, also auf die Gabe des Rings, "vor Gott und Menschen angenehm zu machen".
Auch ist die Familienmetapher einigermaßen halbherzig: Zu einem Wettstreit der Weltreligionen sollte auch die Möglichkeit gehören, dass sie sich wechselseitig befruchten, also voneinander lernen. Aber Recha und der Tempelherr können nicht heiraten. Sie sind Geschwister, und interreligiöse Blutschande findet bei Lessing nicht statt.
Die Geschwisterschaft weist nur auf eine bereits vorhandene Bindung und Abstammung hin, und auch insofern ist das Bild schief, denn die Eltern von Recha (Judentum) und dem Tempelherrn (Christentum) sind der Mohammedaner Assam und seine ungenannt gebliebene Frau. Nimmt man das ernst, steht die Religionsgeschichte auf dem Kopf.
Bei aller Kritik sollte jedoch nicht vergessen werden, dass Lessings Nathan ein kraftvolles Plädoyer für Toleranz darstellt, der praktischen Humanität den gebührenden Stellenwert gibt und nebenbei auch die verschüttete Tradition des Dialogs als Mittel der Wahrheitsfindung wiederbelebt.
Das ist schon eine ganze Menge und sicherlich genug, um Lessing gegen Angriffe wie diesen in Schutz zu nehmen:
Und Lessing mit seiner umständlichen Ringparabel im Nathan? Die Toleranz wird auf die Fälschung gegründet, kein Ring ist echt, keine Wahrheit wahr.
Diese Bemerkung stammt von dem konservativen Publizisten Johannes Gross. Schön knapp immerhin. Ein Literaturwissenschaftler hätte dafür mindestens 20 Seiten gebraucht. Aber die jeweilige Unsinnsmenge lässt sich durch Knappheit nicht verringern:
Die Parabel ist alles andere als umständlich. Die Toleranz ist nicht auf Fälschung gegründet, sondern entzündet sich zufällig an der Ungewissheit darüber, was echt und was imitiert ist. Und schließlich kommt es nicht auf die dogmatische Wahrheit an, sondern auf die Fähigkeit der Umsetzung der Offenbarung in praktische Menschlichkeit.
Über Lessing und seine Kritiker hinaus stellt sich hier die Frage, ob der Versuch der Verwirklichung der christlichen Offenbarung, etwa in der Form der Feindesliebe, nicht ein größeres Bemühen erfordert als der Versuch der Realisierung der anderen Offenbarungen im Diesseits. Ist die Ethik der Bergpredigt eine Überforderung des Menschen und hindert diese Überforderung die Bewährung der christlichen Moral?
Manche Dramen verdanken ihren Platz in der Weltliteratur nicht den Antworten, die sie geben, sondern den Fragen, die sich aus ihnen ergeben.
Nathan mit der Meise
Dritter Aufzug, siebenter Auftritt, Alternativentwurf
NATHAN. Der echte Ring, so fuhr der Richter fort,
Vermutlich ging verloren
Doch weiß ich' nicht
Und letztlich ist es gleich
Doch strebe von Euch jeder um die Wette ...
HOFNARR. (springt hinter einem Diwan hervor):
Ich bin des Märchenkönigs vierter Sohn
Und hätte auch gern einen Ring!
NATHAN. (erbleicht) So sagt mir, Sultan
Wer ist dieser Mensch?
SALADIN. Ein Hofnarr nur aus Griechenland
Er liebt es sehr, hereinzuplatzen
In philosophische Gespräche
Doch wenn er Euch zu sehr verdrießt
Kann ich ihn recht gern töten lassen.
NATHAN. Bewahre!
HOFNARR. Dank Euch, toleranter Jude
Doch sagt mir gradheraus, erlauchte Geister:
Wo bleibt das Ringlein für den Bastard?
SALADIN. (launig)
Für welche Religion steht denn der Hanswurst hier?
HOFNARR. Für keine! Heidentum und Atheismus!
Sollen denn drei Religionen nur
Ohn´ Konkurrenz sich die Medaillen teilen?
NATHAN. Mir schwant, der Narr hat nicht begriffen
Dass nur des einen Gottes Offenbarung
Die Menschlichkeit im Menschen stiften kann!
SALADIN. Ganz recht!
HOFNARR. So bleib ich denn ein schmutziger Barbar
Der außer Konkurrenz Euch Gläubige besiegt
Denn wenn nun der Verzicht, einander hinzuschlachten
Nur der Gefolgschaft dreier Religionen gilt
Seid Ihr vor Gott und Menschen nicht so angenehm
Wie Ihr vermeint ...
SALADIN. Es reicht, hast Du noch was
Zu sagen, eh' die Folterknechte kommen?
HOFNARR. Verzeiht, ich will auch wieder ulkig sein
Wie Ihr, mein Sultan, losgelöst von aller Religion
Mir gnädig seid, doch würd ich gern noch wissen
Wieso die Echtheit Eures Zauberringes
Sich zeigen soll im Drang, dem anderen gut zu sein,
Statt in der Fähigkeit, ans Jenseits fest zu glauben.
NATHAN. Er will den Keim der Zwietracht, Sultan, in uns säen!
SALADIN. So schweige, Krämer! Unser Paradies
Ist wahr - und um dort hinzukommen
Gilt es, die Christen auszurotten
Und auch die Juden ...
NATHAN. Genug jetzt Goj
Du wirst noch in der Hölle braten
Vereint mit jenem Tempelherrn, dem Ketzer!
HOFNARR. Hätt ich damit doch bloß nicht angefangen!
Friedrich Schiller: Die Räuber (1781/1782)
Handlung
Maximilian von Moor, ein Graf im Fränkischen, hat zwei Söhne, Karl und Franz.
Karl ist der Typ des gutaussehenden, intelligenten und großherzigen Draufgängers. Dem nachgeborenen Bruder dagegen - Franz heißt die Kanaille - hat einer in den Genpool gespuckt: Er ist hässlich, durchtrieben und fies.
Der Konflikt beginnt mit einer typisch schillerschen Intrige: Karl hat an den alten Moor einen Brief geschrieben, in dem er sich rückhaltlos dazu bekennt, als Student in Leipzig zum Aufreißer und Zocker verkommen zu sein. Diesen Brief ersetzt Franz, bevor ihn der Vater zu sehen bekommt, durch eine verschärfte Fassung, die er als Bericht eines Gewährsmanns ausgibt. In diesem Bericht wird Karl als gewissenloser Schwerverbrecher hingestellt. Der alte Moor, völlig fertig, lässt sich auf Franz' Bitte ein, für ihn eine betroffene, aber doch verzeihende Antwort zu verfassen, und Franz nimmt natürlich die Gelegenheit wahr, den ungeliebten Bruder im Namen des Vaters mitleidlos zu verfluchen und zu verstoßen.
Auch Karl fällt auf den Schwindel herein. Mittellos und verbittert lässt er sich von anderen studentischen Desperados zum Räuberhauptmann küren und zieht mit ihnen in die böhmischen Wälder. Sein Vater und dessen vermeintlicher Verrat werden zum Symbol für die Verkommenheit der Herrschenden, an denen er nun nach dem typischen Robin-Hood Muster Rache übt. Doch zum Revolutionär fehlt ihm die Skrupellosigkeit. Nachdem er, um in letzter Minute einen Komplizen vor dem Galgen zu retten, eine ganze Stadt eingeäschert hat, erstickt er schier unter seinen Schuldgefühlen.
Das dreifache Heimweh nach der verlorenen Unschuld, der glücklichen Kindheit im väterlichen Schloss und seiner geliebten Amalia treibt ihn schließlich dazu, sich in der "Larve" eines ausländischen Offiziers zu Hause einzufinden. Dort waltet der Horror: Franz stellt Amalia nach und lässt den greisen Vater im Hungerturm verschmachten. Amalia, die Franz´ Spiel durchschaut hat, aber auf seine Legende hereingefallen ist, Karl sei als Söldner gefallen, lässt keinen Zweifel daran, dass sie Karl noch liebt. Währenddessen hat Franz seinen Bruder erkannt und befiehlt einem Domestiken, ihn zu ermorden. Karl dagegen neigt dazu, die Sache umgekehrt zu gestalten, nachdem der Vater aus dem Hungerturm befreit worden ist. Alles klar zum Höhepunkt:
Franz, halb wahnsinnig vor Gewissensqualen und Todesangst, leugnet bis zum Schluss standhaft die Möglichkeit der göttlichen Vergebung und erdrosselt sich, als Karls Häscher kommen, ihn zu holen. Der greise Vater gibt, so wörtlich, seinen Geist auf, als Karl sich ihm als Räuberhauptmann zu erkennen gibt, und Karl ersticht Amalia, die auch nicht mehr leben will, als sie erfährt, was aus ihrem Geliebten geworden ist. Und dann liefert er sich einem armen Tagelöhner aus, um ihm die auf seinen Kopf ausgesetzte Belohnung zu verschaffen.
Deutung und Kritik
Nicht ohne Grund tauchen die "Räuber" noch heute auf den Spielplänen der Bühnen auf. Da ist nicht nur die zum Bruderkonflikt verschmolzene Doppelhandlung, die dem Drama Spannung und Tempo verleiht, sondern auch die Einfachheit und Nachvollziehbarkeit der Schillerschen Weltsicht - vor allem aber die geniale Kraft der Sprache, in der das Gefühl mit dem Verstand versöhnt wird und ein mitreißendes Pathos hinterlässt.
Die Wissenschaft hat ihre liebe Not mit der literaturgeschichtlichen Zuordnung des Dramas. Wenn ein Stück für die Kategorie-Schubladen eines Germanistik-Professors zu groß und zu sperrig ist, wird es meist mit schicken Paradoxien geschmeidig gemacht. Bezeichnend hierfür ist etwa der Satz, die Räuber seien die Erfüllung und zugleich die Überwindung des Sturm und Drang (Otto Mann).
Immerhin kann dieser professorale Hirnschwurbel das Interesse an Schillers Drama noch verstärken. Schauen wir uns die Sache näher an. Als das Stück erschien, also im Jahre 1781, war der Sturm und Drang schon im Abklingen. Was in den achtziger Jahren kam, waren Nachzügler, zu denen man übrigens auch "Kabale und Liebe", wenn auch mit Bedenken, noch zählen darf.
Aber sind die "Räuber" nun eine unverfälschte Verwirklichung des Sturm- und Drang-Stils und seiner Inhalte? Genauer: Tummelt sich hier das bürgerliche Individuum mit seinem unerschöpflichen Potential an verweltlichten Gefühlen? Vordergründig ja. Schillers Helden sprechen eine starke Prosa und kümmern sich einen Dreck um Versmass und Reime. Sprache und Gestik sind leidenschaftlich. Die Handelnden stampfen schäumend auf die Erde, werfen sich wild in einen Sessel, laufen wütend auf und nieder und so weiter. Sprache und Handlung werden durch wüste Leidenschaften vorangetrieben.
Typisch an dem Sturm und Drang ist auch der Tatendrang der Helden, die Überwindung moralischer Barrieren und ihr zum Teil ins Politische gewendeter Hass, der übrigens Schiller selbst mit samt seinen Folgen auch nicht ganz fremd war, denn immerhin musste er nach dem Erscheinen des Dramas vor dem vergrätzten Herzog Karl-Eugen, der ihm buchstäblich das Dichten verbieten wollte, nach Mannheim fliehen.
Wer genauer hinsieht, entdeckt gedankliche Elemente, die dem Sturm und Drang völlig fremd sind.
In Gedanken und Taten von Karl und Franz Moor zeigt Schiller nicht das unbeschränkte Eigenrecht der Persönlichkeit, sondern die "sittliche Weltordnung", die sich über ihnen wölbt und in der beide zugrunde gehen. Karl und Franz sind auch nicht etwa zufällige Individuen, sondern jeweils Verkörperung eines Prinzips. Franz ist die Verkörperung des Gegenmodells zu der von ihm geleugneten göttlichen Ordnung, während Karl für den hochmütigen Empörer steht, der das Scheitern des göttlichen Schöpfungsplans befürchtet und sich selbst als seinen Vollstrecker sieht.
Auch die Sprache ist nicht in erster Linie vom Gefühl beherrscht, sondern vom Verstand. Andernfalls wäre das Schillersche Pathos ungenießbar.
Analysiert man diese Elemente, so zeigt sich, dass das Drama drei geistesgeschichtliche Wurzeln hat:
1. Das Typen-Welttheater des Barock (der Böse, der Empörer mit dem guten Kern und Gott als oberster Richter).
2. Die Gefühlsbetontheit und das antiabsolutistische Pathos ("in tirannos") des Sturm und Drang.
3. Der Erkenntniswille der Aufklärung.
Nur durch das Zusammenspiel dieser unterschiedlichen Einflüsse konnte Schiller eine Figur wie Franz Moor entwerfen und in den Griff bekommen, einen Typen, der durch seine Hässlichkeit und seine Bösartigkeit, aber auch durch seinen Ausschluss von der Erbfolge (als Zweitgeborener!) allen Grund hat, über die Natur ungehalten zu sein. Franz Moor ist der erste Atheist der modernen Literatur. Er leugnet Gott, mehr noch: Er leugnet auch das Verpflichtende der christlichen Moral und das Gewissen. Er stirbt unversöhnt. Auch die eindringlichen Hinweise des Pfarrers Moser auf die Einsamkeit des bevorstehenden Todes führen nur zu dem Versuch eines Gebetes, das sich in Satire verwandelt: Ich bin kein gemeiner Mörder gewesen, mein Herrgott - hab' mich nie mit Kleinigkeiten abgegeben, mein Herrgott. Und dann gibt er seinen halbherzigen Versuch auf und erdrosselt sich.
Auch sein Bruder Karl scheitert, wenngleich ihm immerhin die Erlösung im christlichen Sinne winkt. Halb erstickt an der Scham über den von ihm verschuldeten Tod von Kindern, Frauen und Greisen, schließlich auch über den Tod seines Vaters und seiner Geliebten Amalia, die ihrerseits ein Sinnbild der Treue und Standhaftigkeit ist, beschließt er, sich als Selbstopfer darzubringen, das heißt sich auszuliefern, um die misshandelte Ordnung (zu) heilen.
Trotz des geradezu Shakespeareschen Leichenhaufens in der Schlussszene verbleibt für den, der Schillers religiöse Überzeugung zu teilen vermag, am Ende Hoffnung: Karls verzweifeltes ich habe keinen Vater mehr ist der Erkenntnis gewichen, dass sein Vater ihn nicht verraten hat, und damit ist zugleich und parallel dazu auf einer höheren Ebene der Zweifel an der göttlichen Allmacht geschwunden.
Schiller präsentiert einen gebrochenen Helden und seinen Antagonisten. Die Sympathie des Dichters für den gescheiterten Karl wird dabei ebenso deutlich sichtbar wie die Vertrautheit mit dem Atheismus des Antihelden. Ob es darauf ankommt, versöhnt zu sterben oder unversöhnt, lässt er offen.
Ein christliches Rührstück? Sicherlich nicht, denn der Riss in der sittlichen Weltordnung wird am Ende nur notdürftig gekittet, und man ahnt, dass der Schluss des Dramas Schillers Tribut an die Zeit war, die sich mit der Assimilierung des Stücks ohne Karl Moors Selbstopfer noch schwerer getan hätte. Denn auch mit dem versöhnlichen Schluss mündete die Uraufführung in einen beispiellosen Tumult.
Die neuen Räuber
- Letzte Szene -
Schauplatz: Sparsam möblierte Hochhauswohnung.
MOOR. (lässt sich erschöpft auf einen Sessel vor dem Fenster fallen) Hier bleib ich liegen. Meine Zunge ist trocken wie eine Scherbe. Ich wollt euch bitten, mir ein Glas Bier zu holen, aber ...
SPIEGELBERG. Der Kasten ist leer.
MOOR. Dabei strotzt der Hopfen. Seht nur, da beginnen die Felder. Und wie schön die Gerste steht!
GRIMM. Dein kleinbürgerlicher Ästhetizismus macht den Durst erst schön.
MOOR. (verträumt) Die Kirschen! Rot und glänzend wie die Zukunft!
GRIMM. Ja ja. Und die Amseln, die sie wegpicken. Schwarz wie die Konterrevolution. Lass den Scheiß.
MOOR. Warum mussten wir die Bank gerade hier in Raffhausen überfallen? Es gibt viele Banken, allüberall. Mit unbekannten Opfern ist es leichter.
SCHWEIZER. Mach dir keine Vorwürfe. Warum hat sie denn nicht aufgehört zu telefonieren? War laut genug, als ich "Hände hoch" schrie.
MOOR. Es war immerhin meine Frau, auch wenn ich sie drei Jahre nicht gesehen habe.
SCHWEIZER. Das konntest du doch von hinten nicht sehen.
SPIEGELBERG. Selbst schuld, wenn sie sich die Haare rot färben lässt.
MOOR. (wie in Trance) Da hinten ist der Stadtpark. Da habe ich sie zum ersten Mal geküsst. Nach Milch und Honig schmeckte sie.
ROLLER. Wir müssen den antiimperialistischen Kampf in die Metropolen tragen. Da helfen uns deine Bumsgeschichten nicht weiter.
SCHWEIZER. Gönn ihm seine Erinnerungen, Roller. Das ist so ziemlich das einzige, was wir noch nicht mit Blut bespritzt haben.
MOOR. (abwesend) Mein Elternhaus. Die grüne Villa da links mit dem großen Garten. Mutti wohnt da heute noch.
ROLLER. (steht auf und guckt gleichfalls aus dem Fenster) Schönes Anwesen. Warst ja ein richtiger Sahneprinz der Bourgeoisie.
GRIMM. Welcher Revolutionär war das nicht?
SPIEGELBERG. (im Hintergrund eine Pistole putzend) Wir hätten ein anderes Versteck nehmen sollen.
MOOR. Meine Teddybären, Schulranzen aus brüchigem Leder, weiße Schokolade, die ersten Micky-Mouse-Hefte ... und diese Unschuld. Wenn ich doch zurückkehren dürfte in den Mutterleib. (Bricht in Tränen aus.)
GRIMM. Motherfucker.
SCHWEIZER . (legt ihm die Hand auf die Schulter) Fass dich, Moor.
SPIEGELBERG. Ich sag's ja, wir hätten dieses Kaff meiden sollen. Er flennt, der gefürchtete Killer.
MOOR. (laut) Merkt ihr nichts? Wir sind Ungeheuer auf dieser herrlichen Erde.
ROLLER. (schreiend) Herrliche Erde? Das von dir? Hast du keinen Blick mehr für die Ausbeutung und Versklavung der dritten Welt durch das internationale Großkapital, für die Unterdrückung des Proletariats durch das Schweine-Regime, das uns verfolgt?
MOOR. (steht auf, mit flackerndem Blick) Genossen, wir sind schon jetzt schlimmer als die. Wie werden wir uns erst aufführen, wenn wir gewinnen?
GRIMM. Mach dir keine Sorgen, du bist nicht dabei.
MOOR. Sehr wahr. Ich mache Schluss.
SCHWEIZER. Das ist nicht dein Ernst. Wen soll ich denn jetzt beschützen?
MOOR. Pass auf dich selbst auf, Schweizer. Ich gehe mich ausliefern. Da ist noch der alte Gärtner, der mal bei meinem Vater angestellt war. Er könnte die Belohnung gebrauchen.
ROLLER. (gibt Spiegelberg ein Zeichen) Warum grad der?
MOOR. Er ist der einzige Proletarier, den ich kenne.
ROLLER. Du weißt aber doch, wie es Verrätern geht, Genosse Moor?
(Spiegelberg hebt seine Pistole. Vorhang.)
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