Kitabı oku: «Jochen Kleppers Roman "Der Vater" über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I - Teil 2»
Jochen Klepper
Jochen Kleppers Roman "Der Vater" über den Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I - Teil 2
Band 139 Teil 2 in der gelben Buchreihe
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Vorwort des Herausgebers
Beginn des Romans „Der Vater“
Teil eins: Die Hütte Gottes bei den Menschen endet:
Teil zwei beginnt hier: Die aufgehende Sonne
König Ragotins Schloss
Das Kind der Schmerzen oder die Galeere
Der Gott von Geldern
Die Hirtinnen
Gespräche aus dem Totenreich
Mijnheer van Hoenslardyck
Der Spiegel
Die gelbe Buchreihe
Weitere Informationen
Impressum neobooks
Vorwort des Herausgebers
Vorwort des Herausgebers
Zu den von mir bevorzugt gelesenen Büchern gehören Dokumentationen zur Zeitgeschichte und Biographien. Seit etwa zwei Jahrzehnten sammle ich Zeitzeugenberichte, zunächst von Seeleuten, mit denen ich über Jahrzehnte in meinem Beruf als Diakon und Dipl.-Sozialpädagoge in einem Seemannsheim in Hamburg täglichen Kontakt hatte.
So kam es, dass ich in etlichen Bänden Lebensläufe und Erlebnisberichte von Fahrensmännern aufzeichnete und zusammenstellte.
Menschenschicksale sind immer interessant und aufschlussreich, und wir können viel aus dem Erleben unserer Mitmenschen lernen.
Jochen Kleppers Lieder sang ich bereits in meiner Jugend, nachdem ich nach dem Kriegsende Mitte der 1940er Jahre in Mecklenburg den Weg zur Kirche gefunden hatte. Kleppers Bücher – sowohl seine Tagebuchaufzeichnungen, als auch seinen ‚Vater’ – las ich mit großer Anteilnahme bereits vor Jahrzehnten. Gerade die Tagebücher vermitteln einen sehr lebhaften und bildhaften Einblick in die Zeit, als die meisten Deutschen – geblendet durch die Erfolge eines Adolf Hitler – ihrem „Führer“ noch zujubelten. „Klepper bedient sich … einer bilderreichen Sprache.“ Er lebte in der Ambivalenz des deutschen Patrioten und dem ihm durch seine Ehe mit einer Jüdin auferlegten persönlichen Schicksal.
Hamburg, 2001 Jürgen Ruszkowski
Ruhestands-Arbeitsplatz des Herausgebers
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Jochen Kleppers Leben und Werk
Jochen Klepper wurde am 22. März 1903 in Beuthen an der Oder in Schlesien als Sohn eines evangelischen Pfarrers geboren. Er besuchte das Gymnasium in Glogau und studierte anschließend Evangelische Theologie in Erlangen und Breslau. Er war ein deutscher Schriftsteller, Theologe und einer der bedeutendsten geistlichen Liederdichter des 20. Jahrhunderts.
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Beginn des Romans „Der Vater“
Beginn des Romans „Der Vater“
Könige müssen mehr leiden können
als andere Menschen
Friedrich Wilhelm I
Der Vater: Preußenkönig Friedrich Wilhelm I.
Von Atelier / Werkstatt von Antoine Pesne - 1. Unbekannt 2. The Bridgeman Art Library, Object 384437, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1153850
Roman eines Königs
Zeittafel
1688: Geburt Friedrich Wilhelms, des späteren „Soldatenkönigs“ (Sohn des Kurprinzen Friedrich von Brandenburg, des nachmaligen ersten preußischen Königs, und seiner Gemahlin Sophie Charlotte)
1706: Vermählung Friedrich Wilhelms mit Sophie Dorothea von Hannover
1713: Thronbesteigung als Friedrich Wilhelm I. von Preußen
1740: Tod des Königs und Thronbesteigung seines Sohnes Friedrich als Friedrich II. (Friedrich der Große)
Seine 14 Kinder: Prinz Friedrich (* 1707 † 1708), Prinzessin Wilhelmine, die spätere Markgräfin von Bayreuth (* 1709 † 1758), Prinz Friedrich Wilhelm (* 1710 † 1711), Kronprinz Friedrich, der spätere König Friedrich II. (* 1712 † 1786), Prinzessin Charlotte (* 1713 † 1714), Prinzessin Friederike Luise (* 1714 † 1784), Prinzessin Philippine Charlotte, die spätere Herzogin von Braunschweig (* 1716 † 1801), Prinz Karl (* 1717 † 1719), Prinzessin Sofia, die spätere Markgräfin von Brandenburg-Schwedt (*1719 † 1734), Prinzessin Ulrike, die spätere Königin von Schweden (*1720 † 1782), Prinz August Wilhelm (* 1722 † 1758), Prinzessin Amalie (* 1723 † 1787 als Äbtissin in Quedlinburg), Prinz Heinrich, später einer der fähigsten Generale seines königlichen Bruders (* 1726 † 1802), Prinz Ferdinand (* 1730 † 1755)
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Teil eins: Die Hütte Gottes bei den Menschen endet:
Als wollte er neu beginnen vor Gottes leuchtendem Antlitz und näher bei Ihm – so war es im Herzen des Königs. Aber das verschwieg er; auch dachte er es nicht; er hatte Genüge am Bilde des Kirchbaus. Er wollte das Kirchtor ganz dicht am Portal seines Schlosses. Es sollte nur noch wie ein einziger Schritt sein durch ein einziges Tor vom Königsschloss zum Gotteshaus, vom Gotteshaus zum Königsschloss.
Sie überquerten die herbstliche Wiese hinter dem Schloss, die Wiese, auf der die erste Kirche seiner neuen Königsstadt Potsdam sich erheben sollte: eine Hütte Gottes bei den Menschen der Mark Brandenburg, ganz nahe dem Hause, in dem er nun unablässig wieder schaffen, rüsten und beginnen wollte gemäß dem neuen Bund mit Gott, der alle Rechnungen der Menschen durchkreuzt, aber auch jenen Schein zerreißt, auf dem die Schuld der Menschenkönige aufgeschrieben steht.
Das Wort, das König Friedrich Wilhelms heißes Herz mit einem Zittern erfüllte, das Wort des zwölfjährigen Jesus im Tempel, blieb unausgesprochen und wie in einem Schauer gemieden, obwohl er doch ein Mann war am Anfang der dreißiger Jahre, und das nannte der Herr eine starke, gute Zeit für einen Mann; aber er sagte es wie einer, der schon sehr tiefen Einblick in alle Schwäche und Vergänglichkeit besaß.
Das Wort, vor dem sein Herz erbebte, war: „Wisset ihr nicht, dass ich sein muss in dem, das meines Vaters ist?“
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Teil zwei beginnt hier: Die aufgehende Sonne
Teil zwei beginnt hier: Die aufgehende Sonne
Denn wer weiß,
was der für ein Mensch werden wird nach dem König,
den sie schon bereitgemacht haben?
Denn wer weiß, ob er weise oder toll sein wird?
Und soll doch herrschen in aller meiner Arbeit,
die ich weislich getan habe unter der Sonne.
Die Bibel
Der König hielt den kleinen Sohn auf den Knien. Das Mahl war beendet. Er hatte das Prinzlein einfach von dem Nachbarstuhl zu sich herübergehoben. Sein Hulla pflegte nämlich bei jeder Mahlzeit zur Linken des Vaters zu sitzen. Dieser Platz kam zwar dem Kronprinzen zu, und es gab viel Gerede über solch willkürliche Abänderung des Zeremoniells – aber Majestät ließ sich nun einmal nicht irremachen. Das Bürschlein August Wilhelm schwatzte gar zu süß. König Friedrich Wilhelm wollte sich in keinem Falle darum bringen lassen, ihm zu lauschen. Unterhaltungen mit dem großen Sohn waren während der Tafel nicht das Rechte.
Links Fritz, rechts die ältere Schwester Wilhelmine
Fritz war auch hier unablässig von der Vorbereitung auf das Amt des Königs von Preußen in Anspruch genommen. Hofmeister und Gouverneur saßen dem Thronfolger zur Seite. Der Hofmeister und der militärische Erzieher bewachten jedes Wort und die geringste Geste mit Güte, Strenge und Gerechtigkeit; denn solche Erzieher hatte der König seinem Nachfolger gegeben. Der blutjunge Major Friedrich von Hohenzollern war blass und schien ein wenig überanstrengt. Ernst und freundlich sah der Vater zu dem großen Sohn hinüber, während er, ein wenig gedankenlos, mit Friedrichs Brüderchen spielte.
„Kleiner Wicht, ich soll dir schon wieder erzählen? Ich muss doch aufs Pferd, muss nach den Bauten sehen! Ach, was nicht gar, schon wieder die dumme Geschichte, wie du in Berlin ankamst? Die ist doch schon abscheulich langweilig, närrischer Tropf! Hundert Kanonenschüsse haben den Papa zu Tode erschreckt, gerade als er in Potsdam zum ersten Mal in seinen neuen Garten ging. Was sollte der Papa da anders denken, als dass die Türken ihm Berlin zerschießen?! Aber wie er nun hinüberreitet mit dem großen Säbel –“, und nun fasste er das Bratenmesser, wischte es ungeniert an der Serviette ab und tat, als stäche er das Bürschlein in den Bauch – „da ist nur ein kleines, rosiges Ferkelchen da. Und gleich machte der Papa sich ans Schlachten!“
So, nun wussten sie es beide: Jetzt ging die Geschichte nicht weiter; hier war sie unwiderruflich zu Ende, und Papa brach zu den Bauten auf. Und die ganze Tafelrunde wusste es auch; und die Königin erhob sich nahezu befreit.
Sophie Dorothea
Sie liebte diese derbe kleine Komödie zum Dessert nicht sonderlich. Mitunter kam dann das Gespräch auf die Tage der Geburt ihrer Kinder überhaupt, und die entfernteste Anspielung auf die Geburt Anna Amaliens bereitete der Königin unsagbare Pein, obwohl nun schon an drei Jahre darüber hingegangen waren.
Die Königin hatte sich die fünfte Tochter nicht gewünscht. Damals, als sie nach der schweren Krankheit des Königs, die ihr die Einsetzung zur Regentin verhieß, nicht den ersehnten zweiten Sohn, sondern Luise Ulrike geboren hatte, war sie angesichts des bitteren Sohnessterbens ihrer vielen Töchter müde geworden. Den Sohn, den zweiten Sohn, begehrte sie, ihre machtvolle Stellung zu erhalten, zu befestigen.
Zwei Jahre später kündeten die hundert Böller dem Gatten in den Gärten Potsdams diesen zweiten Sohn. Von nun an verlangte Sophie Dorotheens Herz nach keinem Kinde mehr. Die hohe Pflicht am Hause Brandenburg war ganz erfüllt. Der toten Söhne ward nicht mehr gedacht. Die Königin wollte reisen, viel in England weilen, Band und Bote zwischen den Thronen ihrer Häuser zu sein.
Noch ehe sie die ungeduldig herbeigewünschte Fahrt übers Meer nach Britannien antrat, ein halbes Jahr nach ihrer Niederkunft mit August Wilhelm, fühlte sich die Königin von neuem schwanger; aber sie hielt es geheim. Sie wollte den Glanz ihres Vaters und Bruders zu London erleben; endlich, endlich!
Königin Sophie Dorothea schwieg von ihrem Zustand wie aus Trotz. Die Englandreise kam zwar nicht mehr zustande. Aber die Königin bewahrte auch weiterhin ihr Geheimnis. So geschah das Unerklärliche, dass die zu frühe Stunde der Geburt kam, ohne dass auch nur die geringste Vorbereitung getroffen war. Der König war an diesem Abend, da er am nächsten Tage eine Reise vorhatte, zeitiger als sonst zu Bette gegangen. Die Kabinette des Königspaares lagen Tür an Tür. Der erste Schrei der Wehen rief den König an das Bett der Gattin; geängstet und fassungslos hatte er nur den Schlafrock übergeworfen. Wenigstens kam nun die Ramen, die allzeit wachsame Kammerfrau; wenigstens hatte er diese als Botin zur Hand.
„Eine furchtbare Kolik“, rief er ihr zu, „schnell zu meinem Leibarzt! Er soll Ihr, noch ehe er kommt, schon ein Mittel mitgeben! Holt die anderen Frauen her! Macht Servietten heiß für den Leib! Macht Feuer!“
Er war allein mit der Stöhnenden; sie vermochte nicht zu sprechen, und noch immer kam niemand zu Hilfe. Der König umfasste die Königin eng; er wollte sie ganz an sich reißen, als vermöchte er ihr dadurch ihre Schmerzen abzunehmen oder ihr einen Halt zu geben. Es waren nur wenige Schläge des Herzens, in denen er alles begriff. Er war allein mit seiner Frau, das neue Leben zu erringen. Seine reinen, starken schönen Hände hielten seiner Frau die neue Menschenmutter entgegen, und er spürte es in der Verwirrung dieser Stunde dennoch in feierlicher Klarheit, was es hieß, das neue Leben, von dem Blute aller Menschenqual befleckt, mit eigener Hand aus der Quelle des Lebens zu empfangen, die Leiden der Geburt sich türmen und still werden zu sehen, in den gewaltigsten Ausbruch des Lebens einsam einbezogen zu sein. Nicht, dass er die Gedanken einzeln dachte. Aber ihn ergriff die Tiefe und Gewalt des Bildes, welches Gott ihm wies. König und Königin in ihrem Schloss waren in der nächtlichen Stunde der Niederkunft allein, wie Maria und Joseph im Stalle zu Bethlehem es waren. Die Hände des Königs waren noch von ferne überschattet von dem Wunder, das an Joseph geschah. Sie trugen in der Einsamkeit der Nacht das Leben ans Licht.
Dann freilich schwieg die Stille, das Wunder, die Andacht. Die Kammerfrauen in den langen, derben Hemden, Tücher und Röcke lose umgebunden, lärmten ins Zimmer. Der König schrie es ihnen gleich entgegen: „Einen Zuber zum Bade für das Kind! Leinentücher für die Königin! Die Schmerzen brauchen kein Mittel mehr, Herr Leibarzt!“
Der Ramen drückte er das Kind in die Arme: „Nicht wahr, das Gewicht ist doch gut? Ihr Frauen, glotzt doch nicht so dumm! Ein Kind ist da! Macht doch ein Körbchen mit Kissen zurecht!“
Schließlich musste der Vater in der Kammer der Wöchnerin noch ganz unbändig lachen, wie sie alle – er, des Landes Preußen Majestät, und die Kammerfrauen – im Hemd wie aufgescheucht ums Wochenbett tobten. Was anders auch als Lachen hätte die Wucht solcher Erschütterung überwunden –. Aber das vergaß er nicht: „Schickt zur Wache, dass sie den Prinzessinnensalut abfeuern!“
Es waren jene ärmlichen drei Salven, mit denen Königstöchter sich begnügen mussten. Dem König wären hundert Böller nicht genug gewesen. Die Königin stand nach wenigen Tagen wieder auf, blühender und schlanker denn je. Ihr zwölftes Kind schien sie mit neuer Schönheit zu beschenken, ihre Kraft und Gesundheit ans Rätselhafte zu grenzen. Sie verlangte zu reisen. Der König hat es ihr als Dank gewährt. Die Gründe verstand er noch nicht.
Die Gattin schämte sich der gar so absonderlichen Niederkunft. Sie vermied es, den Gemahl zu sehen. Sie begehrte, das durch ihre Schwangerschaften immer wieder aufgehaltene Werk, die Throne ihrer Häuser zu verbinden, endlich entscheidend durchzuführen. Sie wollte mit eigenen Ohren das Ja ihres Vaters zu ihrem ureigensten Plane vernehmen, dass ihre und ihres Bruders Kinder die Kronenträger dieses Erdteils werden sollten – die ältesten Söhne durch das gewaltige Gesetz des Erbes, die Töchter durch königliche Ehen, die weiteren Söhne, durch die verbündete Macht der beiden Häuser und ihrer Länder, auf den fremden Thronen Europas. Denn an umstrittenen Rechten war kein Mangel... Der Gatte ließ nur den einen, den ältesten Sohn zum König erziehen. Den anderen Kindern war er Vater, wie ein reicher Bürger Vaterpflichten erfüllt. Voller Ehrgeiz, Scham und Ungeduld reiste die Königin von Preußen zum König von England, der um diese Zeit auf seinem Jagdschloss Göhrde bei Hannover eintraf.
Die Art, in der sie reisen musste, erfüllte sie mit Bitterkeit; denn nur eine kleine Suite war ihr bewilligt: zur Oberhofmeisterin noch eine Gesellschaftsdame, zwei Kammerfräulein und zwei Kammerfrauen, zwei Kammerdiener, drei Pagen, sechs Lakaien. Wie sollte sie damit vor dem britischen Gefolge ihres Vaters bestehen!
Dem König lag in den ersten Tagen der Abwesenheit Ihrer Majestät der Minister Grumbkow damit in den Ohren, es sei unbedingt erforderlich, dass Seine Majestät der allerhöchsten Gemahlin bald nachfolgten.
Er gab dem König vieles zu bedenken: die geheimgehaltene Schwangerschaft; den im vergangenen Jahre unablässig geäußerten Wunsch der Gattin, nach England gehen zu dürfen; ihre ständige Versunkenheit in Gedanken, die ihm verborgen blieben. Auch das fand unter Grumbkows Einflüsterungen nun Eingang in das Grübeln des Königs: dass Sophie Dorothea schöner und belebter schien, wie beschwingt von neuer Liebe.
Der Hofrat und Vorleser Professor Gundling konnte wieder einmal seine ganze Fertigkeit erweisen, den gedankenvollen Potentaten zu zerstreuen. Sie waren als die ersten in der Tabagie erschienen, und Gundling zählte dem Herrn die Fülle all der Werke auf, die der König seit seiner Genesung vollbrachte. Aber mit unwirscher Gebärde wehrte der König solche Schmeicheleien ab. Nur als Gundling diese Taten herrliche Zeichen eines neuen Lebens nannte, da horchte König Friedrich Wilhelm für einen Augenblick auf; denn genau so hatte kurz zuvor Madame Montbail von den drei jüngsten Kindern gesagt, mit denen ihn die Königin seit den Tagen von Havelberg beschenkte; und die alte Montbail sprach so mahnend, so betont, als ahne sie den Verdacht, mit dem der König sich quälte.
Gundling kam sich überaus wichtig vor, allein mit dem Gebieter in dem seltsam stillen Saal der Tabagie zu weilen. Es belebte ihn ganz ungeheuer, genau wie die Menge des Trankes, der heute für ihn als einzigen Gast in steinernen, gekühlten Krügen bereitstand; es war eine Stunde, von neuem in seinen historischen Parallelen zu glänzen.
Von Frauen zu sprechen, ah, das schien vor ergrimmten Herren immer gut, und wäre es auch nur von hohen Frauen der Vergangenheit. Von Königinnen begann er zu berichten, die zu Zeiten schwerer Krankheit ihres Gatten in die Regentschaft vom Gemahl selbst eingesetzt wurden, als der die letzte Stunde gekommen glaubte. Von solchen Frauen weitvergangener Zeiten sprach der Historikus Gundling, und er erzählte König Friedrich Wilhelm, wie jene Herrscher, dem Tode schon nahe, von den Göttern ins Leben zurückgesandt wurden, um nun – nachdem sie die Gottheit fast von Angesicht zu Angesicht geschaut – noch Größeres denn zuvor zu vollbringen. Aber in den hohen Frauen, so sehr sie die Genesung des Gatten auch priesen, blieb eine allergeheimste Bitterkeit und Enttäuschung zurück. Sie, die in aller ihrer Glorie und Majestät doch immer nur im Schatten ihres mächtigen Gemahls verharren mussten, hatten sich für einen Augenblick dem Thron und der Krone endlich in Wahrheit nahe gedünkt. Alle Gewalt und Pracht sollte ihrer sein. Aber nun lebte der Gemahl, schuf in Kindern und in Taten herrliche Zeichen seines neuen Lebens – und der Traum der Königinnen versank und entschwand immer mehr. Den Verlust der Hoffnung auf die Macht aber vermochte manche von ihnen nicht mehr zu vergessen und begann am Hofe und im Reiche des Gemahls ihr eigenes Spiel mit dem zerflossenen und verwehten Traum.
Als Gundlings Phrasen und all sein Bramarbasieren zu diesem Punkt der Betrachtung gediehen waren, erhob sich König Friedrich Wilhelm und schenkte, wie es sonst die jüngeren Offiziere taten, dem schon halb Betrunkenen den größten Humpen mit dem schwersten Biere ein.
„Trinkt, dass es die Kehle ölt zum Plaudern!“ Das sagte der König. Doch wollte er nur den Narren, den Schwätzer, den unerbittlichen Weisen so umnebelt machen, dass am Morgen alles von ihm selbst vergessen wäre, was er vor seinem Herrn zu dieser Stunde ausgesprochen hatte.
Danach war König Friedrich Wilhelms Zorn verflogen. Er war durchaus wieder still. Sogar der Groll gegen Grumbkow verebbte. Es sollte an nichts mehr gerührt sein.
Und dennoch wollte das Gefühl der wachsendem Entfremdung nicht weichen.
Sophie Dorothea war ihm untreu geworden auf jene Weise, wie die Frauen weit vergangener Zeiten einen geheimen Verrat am genesenden Gatten und Herrscher begingen. Nicht eine neue Liebe hatte die kinderreiche Königin von Preußen schöner, jünger und beschwingter werden lassen. Die Kühnheit ihrer Entwürfe gab ihr neues Feuer.
Um diese Pläne der Gattin musste Friedrich Wilhelm wissen, als der Herr des Landes und ihr Mann. Er kam in der Nacht nach ihrer Rückkehr in ihr Zimmer und schlug den Vorhang ihres Bettes zurück. Er weckte sie und fragte. Da gab ihm die Gattin noch einmal die Möglichkeit beseligender, gütiger Täuschung. Sie sprach, ohne erschreckt und verwirrt zu sein, in der Stille der Nacht von ihrer heißen Sehnsucht, Band und Bote zwischen den Thronen der Hohenzollern und Welfen zu werden, Mutter gekrönter Söhne und Töchter, Ahnfrau ungezählter künftiger Könige und Königinnen.
Friedrich Wilhelm lächelte und lauschte. Ein weites Gefühl durchzog ihm das Herz. Er ahnte die Fruchtbarkeit der Kronen und glaubte das Wunder der Fügung zu erkennen. Seine Frau begehrte, ihrer beider Kinder zusammenzugeben mit den Kindern der einzigen, die er vor ihr liebte. Aus Abschied wurde Wiederkehr, aus Ende Anfang, das Leben wirkte ohne Ende immer wieder Leben. Es gab kein Nein, und alles wurde Ja und Amen –; Ja und Amen, das bedachte er sehr ernst. Denn immer wieder überfielen ihn die Gebete.
Die Wucht des Gedankens riss ihn nicht minder mit als die Weite des Gefühls: Mächte des Nordens, die Hüter evangelischen Glaubens verbanden sich in der Liebe der Kinder! Eine neue Zeit brach in dem neuen Geschlechte an! Die zwölfte Verbindung der Hohenzollern und Welfen sollte wahrlich dem Glockenschlage einer vollen Stunde gleichen, mit der ein denkwürdiges Zeitalter anhob der Gemeinsamkeit des Blutes, der Macht, der Würde und des Glaubens! Der König träumte mit der Königin den gleichen Traum und glaubte an die Fruchtbarkeit der Kronen ihrer Geschlechter.
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König Georg I. von Hannover – 1660 – 1727
Der König von England weilte wieder in seinen deutschem Landen. Seit er gemeldet war, hatte es der Königin von Preußen keine Ruhe gelassen, sich auch diesmal in die hannoverische Heimat aufzumachen; denn in den drei Jahren seit Anna Amaliens Geburt waren ihre Pläne der Verwirklichung nicht um einen Schritt nähergekommen. Der König wendete nichts dagegen ein, dass die Gattin ihre Abwesenheit von vornherein auf einen Monat auszudehnen gedachte. Sie wollte mit ihrem Vater für die Zukunft ihrer Kinder wirken. Wie hätte er sie daran hindern mögen! Er wisse wohl, so sagte er der Gattin freundlich, dass die Hannoveraner jetzt eine so schöne Figur in der Welt spielten.
Herrenhausen – Hannover
Solange nun die Königin von Preußen bei dem König von England auf Herrenhausen zu Gaste war, stand Prinzessin Wilhelmine bei ihrem Vater in besonderer Gunst. Er empfand mit einer gewissen Behaglichkeit den großen Reiz, eine Tochter zu besitzen, die bereits sehr annehmbar zu repräsentieren verstand. Wilhelmine gab sich auch die größte Mühe, getreu dem Gebot der Mama, den Vater von ihrer außerordentlichen Eignung, Königin von England zu werden, zu überzeugen. Der König ahnte nichts davon, dass seine beiden ältesten Kinder durch ihre Mutter längst in alle Geheimnisse eingeweiht waren, die er für seine und seiner Frau ureigenste Angelegenheit hielt. Wo Wilhelmine ihm die künftige Herzogin von Gloucester, Prinzessin von Wales und Königin von England demonstrierte, vermerkte er es dankbar und erfreut als liebevolle Aufmerksamkeit, die lediglich ihm selbst galt. Er fand seine älteste Tochter in jeder Weise reizend. Dabei war sie, namentlich der etwas spitzen Nase wegen, nicht eigentlich hübsch. Obwohl ihre Haare allmählich von Blond zu braun gedunkelt waren und das Blau der Augensterne sich von Jahr zu Jahr vertiefte, war sie der Mutter nicht ähnlich geworden und nach des Vaters Meinung keinesfalls eine zweite Sophie Dorothea.
Aber klug, verteufelt klug sah seine Tochter aus; König Friedrich Wilhelm stellte es mit Achtung fest. Während der Nachmittagsstunden plauderte er trotz aller seiner Arbeit immer wieder mit ihr, und am Abend speiste er regelmäßig auf ihrem Zimmer; er bezeigte ihr wiederholt ganz außerordentliches Vertrauen und unterhielt sich mit ihr sogar von Geschäften, denn Friedrich war unentwegt durch die Gouverneure beschäftigt, und jede Stunde seines Tages war fest eingeteilt. Um sechs Uhr wurde er geweckt. „Der Prinz“, so hieß es in der väterlichen Instruktion, „darf sich im Bett nicht nochmals umwenden. Er muss hurtig und sogleich aufstehen, alsdann niederknien, sein Morgengebet sprechen, sich dann geschwinde ankleiden, Gesicht und Hände waschen, aber nicht mit Seife, seinen Frisiermantel anlegen und sich frisieren lassen, aber ohne Puder. Während des Frisierens soll er Tee und Frühstück einnehmen. Um halb sieben Uhr tritt der Lehrer und die Dienerschaft ein zur Verlesung des großen Gebetes und eines Kapitels aus der Bibel, Gesang eines Kirchenliedes. Von sieben bis dreiviertel elf Uhr folgt der Unterricht. Darauf wäscht der Prinz sich geschwinde Gesicht und Hände, nur diese mit Seife, lässt sich pudern, zieht seinen Rock an und geht zum König, bei dem er von elf bis zwei Uhr bleibt. Dann nehmen die Stunden ihren Fortgang bis fünf Uhr –.“
Da fand der König es schön, eine erwachsene Tochter im Hause zu haben, und konnte es vor lauter Stolz und Freude mit einem Male gar nicht mehr erwarten, sie schon als große Dame zu behandeln. Wilhelmine sollte Appartement halten; er verlangte vom Hof, dass man der Prinzessin nahezu allen sonst der Königin schuldigen Respekt erwies. Die Hofmeisterinnen der kleinen Schwestern wurden angewiesen, ihr täglich Bericht abzustatten und keine Entscheidung ohne ihren Willen zu treffen. Der König gab seiner Tochter zum ersten Mal in seinem Hause Pflichten und Rechte. Der Vater entdeckte sein ältestes Kind. Die Prinzessin aber strebte in aller Aufmerksamkeit für ihn gerade von ihm weg. Herrlich schienen sich die Weissagungen zu erfüllen, die einst bei ihrer Taufe von bestellten Dichtern des Hofes aller Welt verkündet worden waren, damals, als drei Könige, der heiligen Geschichte vergleichbar, ihre Gaben an der Wiege der Prinzessin niederlegten.
Keine Mutter hat wohl ihren Kindern schönere Märchen erzählt als Königin Sophie Dorothea von Preußen. Denn auch Friedrich beschrieb sie die Wallfahrt der Königstöchter Europas zu seinem Throne des langen und breiten, und alle Welt war überstrahlt vom welfischen Glanz. Es war erstaunlich, wie die Königin an Märchen glaubte, seit ihr der Traum von der eigenen Regentschaft zerrann, der Traum, dessen Beglückungen sie sich niemals eingestanden hatte –; denn sie war um die Gesundheit ihres Gatten pflichtgemäß besorgt.
Manchmal, wenn Wilhelmine jetzt den Vater aufs gewandteste unterhielt, malte sie sich heimlich dabei aus, wie sie ihm dereinst als eine große Königin gegenübersitzen würde. Dummerweise fragte Papa sie gerade in solch glücklichem Augenblick einmal nach einem ganz abscheulichen blauen Fleck, den die Spitzen ihrer Ärmel und die sorgsam hochgeschobenen Armreifen doch nur höchst unzulänglich verdeckten. Dadurch stellte sich heraus, dass die künftige Königin von England von ihrer reizenden Erzieherin Léti mit Genehmigung der Mutter geknufft, gezwickt, geschlagen werden durfte, sobald sie etwas tat, das dem dereinstigen britischen Ruhm im Voraus auch nur im geringsten schaden konnte.
Prinzessin Wilhelmine
Siehe auch ihre Memoiren in Band 140e in dieser gelben Buchreihe!
Der König saß wie versteinert. Gerade weil er sah, dass Wilhelmine nicht übertrieb, sondern sich ängstlich bemühte, ihre Tränen zu unterdrücken, wurden ihm die Umstände doppelt verdächtig. Über das Verhalten der Gattin verlor er vor der Tochter kein Wort. Als er sich von Tische erhob, umarmte er sie, nannte sie ein armes, dummes Ding und redete ihr gut zu, die Mama werde schon wissen –.
Die Léti nahm er sich allein vor. Ein förmliches Zeugenverhör schloss sich an. Die Montbail beteuerte, unmöglich könne Ihre Majestät eine Ahnung gehabt haben. Dem König genügte die Feststellung, dass seine älteste Tochter in seinem Hause ohne sein Wissen ein jahrelanges Martyrium erduldet hatte. Die Léti ging. Die Tochter wurde krank. Etwas in den Phantasien der Mama musste doch ein böser Traum gewesen sein. Die Léti schrieb nach Hannover.
* * *
Die hübschen Abende, an denen der König sich bei seiner Tochter zu Gaste lud, waren nun sehr rasch vorüber, und sie fehlten ihm. Da fügte es sich gut, dass Minister von Grumbkow einen Plan verwirklichte, den er schon lange mit sich herumtrug. Er lud den König in sein Haus ein, mit dem Sohn, zu einem kleinen Herrenabend. Er fand den größten Beifall seines Herrn. Ja, der König schien dem Ereignis des ersten gemeinsamen Ausganges mit seinem Sohne eine gewisse Feierlichkeit beizumessen.
In der Runde seiner Generale und Minister richtete der Herr den Blick fest auf den Sohn und meinte ziemlich unvermittelt und vor allem unverständlich bedeutungsvoll: „Ich möchte wohl wissen, was in diesem kleinen Kopf vorgeht. Ich weiß, dass er nicht so denkt wie ich. Es gibt Leute, die ihm andere Gesinnungen beibringen und ihn veranlassen, alles zu tadeln. Das sind Schufte.“
Er wiederholte das Wort.
„Fritz“, fuhr er dann fort, „denke an das, was ich dir sage. Halte immer eine gute und große Armee; du kannst keinen besseren Freund finden und dich ohne sie nicht behaupten. Unsere Nachbarn wünschen nichts mehr, als uns über den Haufen zu werfen; ich kenne ihre Absichten. Du wirst sie auch noch kennenlernen. Glaube mir. Folge dem Beispiel deines Vaters bei den Finanzen und der Armee. Tu noch mehr, wenn du König bist. Aber hüte dich, mich in allem nachzuahmen, was Diplomatie heißt, denn davon hab' ich nie etwas verstanden.“
Diese Worte begleitete der König mit leichten Schlägen auf die Wange des Prinzen, zärtlichen, kleinen Klapsen, die aber immer stärker wurden, bis sie zuletzt richtigen Ohrfeigen glichen. Herr von Grumbkow war völlig betroffen. Man hatte geglaubt, der König würde sich an diesem Abend bei dem ersten gemeinsamen Ausgang mit seinem Ältesten in einem so intimen Kreise sehr vertraulich geben, und nun arteten die ersten Worte, die er hier an seinen Jungen richtete, zu einer offiziellen Erklärung und Mahnung von höchster Eigentümlichkeit aus. Und nun gar die wunderlichen kleinen, erst zärtlichen, dann immer heftigeren Schläge für den Prinzen –? Die Schläge, die mehr Warnung und Abwehr als Zurechtweisung bedeuteten –? Der Vorgang war umso merkwürdiger, als der König noch niemals eines seiner Kinder auch nur angerührt hatte. Ja, wenn Fritz und August Wilhelm einmal ungebührlich Unfug trieben – seit geraumer Zeit war Friedrich allerdings schon viel zu überanstrengt für Allotria –, so führte der König selbst den Missetäter zu Mama hin, damit sie dem Delinquenten einen kleinen Klaps erteilte. Auch hatte er ausdrücklich befohlen, dass seinen Kindern niemals Furcht vor ihm eingeflößt werden dürfe, da die zwiefache Autorität eines Königs und gestrengen Vaters zu bedrückend auf so junge Herzen wirken könnte.