Kitabı oku: «Der schweizerische Robinson», sayfa 23
Zehntes Kapitel
Nach zehn Jahren. Jack unterliegt im Kampf mit einem Eber; Löwen werden erlegt. Fritz löst das Rätsel der rauchenden Klippe. Miß Jenny wird gerettet.
Nach einem langen, langen Gedankenstrich, nach tiefem, etwa achtjährigem Verstummen schlage ich unser Erinnerungsbuch wieder auf. Ich durchblättere die schon geschriebenen Kapitel, ich durchdenke die ungeschriebenen, die gefolgt wären. Sie gleichen den ersten, wie ein Jahr dem andern geglichen hat. Jagd- und Streifzüge reihten sich an Stunden schwerer Arbeit; Entdeckungen und Erfolge wechselten ab mit Enttäuschungen. Scharfer Blick und sichere Hand, ruhiger Herzschlag in Augenblicken der Gefahr, fröhliche Zuversicht im Ungemach und immer wache Dankbarkeit für alle Geschenke der freigebigen Mutter Natur – das sind die Früchte, die uns unser seltsames Schicksal gezeitigt hat. Wahrlich, eine gesegnete Ernte. Zehn Jahre sind an uns vorübergerauscht, zehn Jahre der Einsamkeit, zehn Jahre harten, mühevollen Schaffens, zehn Jahre des Friedens, des Glückes. Auch ihre Spuren haben sie zurückgelassen. Silberfäden durchziehen mein Haar, rauh, hart und schwielig sind die arbeitgewohnten Hände. Mutterchen ist fast schneeweiß; an ihrem zarteren Bau haben die Unbilden der Witterung, die manchmal recht drückenden Mühseligkeiten unsres tatenreichen Einsiedlerlebens am stärksten gerüttelt. Auch einige Anfälle hitzigen Fiebers haben uns zeitweilig um ihr Leben bangen gemacht. Aber heute schaut sie doch mit dem gewohnten Blick friedlicher Heiterkeit aus ihren guten Augen zu mir herüber. »Mutterchen!« sage ich, »du siehst prächtig aus. Wie schön dein braungebranntes Gesicht mit den gesunden Farben zu dem weißen Haar paßt. Wirklich ein erquicklicher Anblick, zumal wenn ich bedenke, wie kümmerlich du voriges Jahr nach deiner letzten Krankheit warst.« – »Ja«, sagt sie, behaglich lächelnd, »damals war ich nicht sehr munter, aber heute nehm ich‘s noch mit euch allen auf.«
Aus meinen vier Knaben sind vier junge Männer geworden. Der Kampf um den Lebensunterhalt, der bei uns kaum je bildlich, sondern ganz wörtlich als solcher zu verstehen war, hat ihre Kräfte früh entwickelt und gestählt, hat alle körperlichen Fähigkeiten zu seltener Vollkommenheit ausgebildet. Der stetige Verkehr mit der herrlichen Natur ringsum, die in lebhaftem Wechsel sich ihre Gaben entweder abringen ließ oder sie freiwillig gnadenreich spendete, hat ihre Seelen frisch und fröhlich, ihre Augen wachsam erhalten. Was in ihnen an überschäumender Lebenskraft unter diesen ungewöhnlichen Verhältnissen leicht hätte zur Roheit ausarten können, das bändigte und sänftigte die Gegenwart der Mutter, dieser besten Freundin des heranwachsenden Jünglings. Die liebevolle Ehrfurcht, mit der sich meine vier Wildlinge stets, auch in ihren widerspruchvollsten Launen unter dem sanften, ernsten Blick der Mutter beugten, gibt mir die Gewähr, daß in ihren jungen Herzen die tiefe Achtung vor der edlen und echten Weiblichkeit als wohlbehütetes Samenkorn Wurzel geschlagen hat und sie auch im späteren Leben als schützende Erinnerung begleiten wird. – Ein wirksames Gegengewicht zur Betätigung der rein mechanischen Körperkraft bot uns zudem von jeher die Beschäftigung mit den Wissenschaften. Unser herrlicher Bücherschatz ist uns im Laufe der Jahre immer mehr eine wahre Fundgrube an Genuß und Erbauung geworden. Das Gemeinschaftliche der Arbeit, das Verschmelzen oder Abmessen der sehr verschiedenen Fähigkeiten in unsrer kleinen Genossenschaft war besonders geeignet, unsre Studien zu kräftigen und das Interesse stets wach zu erhalten. Unser kleines naturgeschichtliches Museum weist heute eine Reihe von Sammlungen und Merkwürdigkeiten auf, um die uns mancher europäische Professor beneiden könnte. – So in der Stille aufgewachsen am großmütigen Herzen der Natur, fern vom Getriebe der lärmenden Welt, deren gute oder schlimme Einflüsse hier völlig schweigen mußten, hat sich auch die religiöse Entwicklung meiner Kinder zu einer besonders innigen gestaltet. Sie sind ihrem »lieben Gott« gewissermaßen stets näher gewesen als die Hunderte ihrer Genossen, die im Staub und Häusergewimmel, im ruhelosen Hasten und Treiben der großen Städte aufwachsen. Nirgends spricht Gott lebendiger, liebreicher, ernster und erschütternder zu seinen Kindern als durch die tönende, flüsternde oder brausende Stimme der Natur. Ihrem Liebreiz, ihrer majestätischen Schönheit erschließt sich das Herz; ihrem Drohen, ihren Schrecknissen beugt sich zitternd der Geist. Überall ist es der Allmächtige, Allgütige, Allgerechte, dessen Gegenwart wir empfinden, dessen Weisheit wir uns fügen. – Noch in einem andern Sinn hat das Heranwachsen in unsrer tiefen Einsamkeit auf die Entwicklung meiner Söhne von Einfluß sein müssen. Was man unter »jungen Herren« versteht, sind sie nicht geworden. Sie können nicht Walzer tanzen, sie können keinen Kratzfuß und keine höflichen Redensarten machen. Sie verstehen auch nicht, was ja in Gesellschaften manchmal vonnöten sein soll, über ein kleines Garnichts eine lange Unterhaltung aufzubauen. Wenn sie nichts zu sagen haben, so schweigen sie. Ihr ganzes Wesen hat neben der erquicklichen Frische blühender Männlichkeit den unverkennbaren Hauch des Knabenhaften behalten. Sie sind rüstiger und kraftvoller, aber begreiflicherweise auch wilder und unlenksamer, als sie es in Europa geworden wären. Die Zeiten, in denen sie mich für jeden Ausflug um Erlaubnis fragten, sind längst vorbei. Oftmals weiß ich halbe oder ganze Tage nicht, wo besonders die zwei Ältesten herumschwärmen. Denn auch Ernst kann sich gewaltig ermuntern, wenn seine Wißbegier angeregt wird.
Er hat die Trägheit und Genußsucht seiner Kinderjahre kräftig bekämpft und stellt jetzt an Kaltblütigkeit so gut seinen Mann wie Fritz, der mit seinen sechsundzwanzig Jahren, seinem schwarzen Schnauzbart, seiner dunkellockigen Mähne, unter der die braunen Haselnußaugen hervorblitzen, ein Bild männlicher Kraft geworden ist. Der blonde Ernst, obwohl zwei Jahre jünger, hat ihn an Länge überholt. Sein Gliederbau ist schlanker, gestreckter und schmächtiger; seine körperliche Ausdauer erreicht nicht entfernt die des Bruders. In Jack, dem dreiundzwanzigjährigen, zeigt sich wieder Fritzens kleiner Wuchs bei noch feineren Gliedern, die mehr auf Anstelligkeit und Beweglichkeit als auf eigentliche Kraftanstrengungen eingerichtet sind. Bei Franz endlich, der nun zwanzig Jahre alt ist, findet sich eine gewisse Mischung verschiedener körperlicher und geistiger Eigenschaften seiner Brüder. Er hat viel Empfindlichkeit wie Fritz und Ernst, die Pfiffigkeit Jacks aber ist bei ihm zur Klugheit geworden, da er als der Jüngste sich öfters gegen die Bevorteilung von Seiten der Brüder hat verteidigen müssen. Als der Jüngste ist er, wie sich das nach Jacks Ausspruch »von selbst versteht«, der einzige, dem der Schmuck des Bartes einstweilen noch versagt ist. Jack streicht mit nicht geringem Stolz seine »männliche Zier«, die bislang noch aus einem bescheidenen, aber deutlichen schwarzen Fläumchen besteht; wenigstens braucht er nicht mehr tatenlos zuzusehen, wie Ernst seinen schönen, weichen, blonden Schnurrbart durch die Finger zieht.
Was nun unsere land- und wirtschaftliche Umgebung betrifft, so hat diese ihren eigentlichen Charakter völlig gewahrt, nur haben sich im Laufe der Jahre Verbesserungen und Verschönerungen mannigfacher Art herausgebildet. Felsenheim ist nach wie vor unsre Winterresidenz oder, wenn man will, unser Regierungspalast, während Falkenhorst uns als Sommerwohnung, als Lustschloß dient. Ausgedehnte Stallungen für allerlei Vieh, die sehr vergrößerte Bienenzucht, die Anlage einer Reihe von Taubenschlägen zur Aufzucht europäischer Ansiedler sind die Dinge, auf denen dort unser Hauptaugenmerk ruht. In Felsenheim gibt es manche neue Bequemlichkeiten.
An der ganzen Vorderseite der Wohnung läuft jetzt eine offene Galerie entlang mit einem Dach, das schräg von der Felswand auf vierzehn stattliche Baumsäulen herabreicht. An diesen winden sich Vanille und Pfefferranken empor und schlängeln sich über das ganze Dach hinauf. Ein Versuch mit Weinreben ist der anprallenden Sonnenhitze wegen nicht gelungen. Unter der offenen Galerie oder Veranda, zunächst bei einem laufenden Brunnen, der sein Wasser in die bekannte große Schildkrötenschale ergießt, sitzen wir gewöhnlich, um von der Arbeit auszuruhen, besonders am Abend zum Nachtessen. Auf dem anderen Flügel der Veranda – man könnte sie auch Laubengang nennen – ist ebenfalls ein fließender Brunnen angebracht, der jedoch einstweilen seinen Strahl in einen Trog von Bambus sprudelt. Vermittels Rinnen von Bambusrohr können wir je nach Bedürfnis den Ablauf beider Brunnen zur Bewässerung unserer zunächstgelegenen Pflanzungen benutzen. Die beiden äußersten Enden des Laubenganges, da wo er die Brunnen bedeckt, haben ein höheres Dach von einigermaßen chinesischem Zuschnitt bekommen, so daß sie als Abschluß besonders hübsch wirken. Zwei stattliche, breite Stufen führen längs der Veranda von außen hinein. In der Mitte vor dem Haupttor unserer Wohnung werden sie natürlich von einer sanft ansteigenden Einfahrt unterbrochen. – Von der reizlosen Schroffheit, mit der uns zu Anfang unseres Aufenthaltes die Küste der Rettungsbucht schreckte, ist heute nichts mehr zu sehen. Unermüdliche Arbeit, begünstigt durch das herrliche Klima und den guten Boden, hat im Laufe der Jahre aus diesem ehemals so wilden und kahlen Fleck ein kleines Paradies geschaffen, das, zur Rechten durch den brausenden Schakalbach, zur Linken durch die unersteiglichen Flühe und den weithinlaufenden Gänsesumpf begrenzt, in ungestörter Glückseligkeit für Menschen und Tiere den köstlichsten Zufluchtsort bietet. Auch die Haifischinsel jenseits der Bucht ist schon längst nicht mehr die öde Klippe, die einst durch ihren traurigen Anblick den Aufenthalt zu Felsenheim unerfreulich machte. Kokospalmen und Pinien schaukeln ihre grünen Häupter im Seewinde; dichte Manglebäume am Strande entlang schützen den Sandboden gegen die anspülenden Meereswellen, und lustig schaut das Wachthäuschen neben seinem drohend aufgepflanzten Vierpfünder und dem hochragenden Flaggenstock in die unabsehbare Weite hinaus. – Zwischen unsrer Höhle und dem Schakalbache bis hinauf an dessen Quelle liegen unsre mittlerweile recht ansehnlich gewordenen Pflanzungen und Gärten samt dem kleinen Acker. Der größere jenseits des Baches befindet sich ebenfalls noch in unserm Gesichtskreis. Ein Palisadenzaun von Bambus nebst einer Reihe stachliger Feigen zieht sich in gerader Linie mit den Säulen unsrer Galerie am Schakalbache hin; er schützt die Anlagen auf derjenigen Seite, wo die Felswand und der Bach nicht genug Sicherheit gewähren. Den innern Raum dieses Dreiecks füllen dann außer dem kleinen Getreidefeld und der noch kleinern Baumwollpflanzung eine Anzahl von Küchengewächsen, ein Feldchen von Zuckerrohren, ein Beet mit Cochenillepflanzen und der bekannte Baumgarten von europäischen Fruchtbäumen. Mit dem Gedeihen dieser letzteren hat sich‘s in der Hauptsache recht gut gemacht. Besonders schön geraten Pistazien, Mandeln, Walnüsse, Pfirsiche, Pomeranzen und Zitronen, während die Trauben nur in ganz geringer Anzahl und nur von mittelmäßigem Wert erzielt werden. Vorzüglich schön ist der Baumgang von Felsenheim nach Falkenhorst gediehen, weil die Bäume hier mehr auseinanderstehen und von der Seeluft die höchstnötige Kühlung empfangen. Ich muß aber eingestehen, daß wir einen Teil der europäischen Früchte hauptsächlich aus Anhänglichkeit ans liebe Vaterland pflegen und in Ehren halten; denn den Äpfeln, Birnen, Kirschen und Pflaumen ist der heiße Himmelsstrich so ungünstig, daß sie nur einen sehr geringwertigen und kleinen Ertrag liefern. Pomeranzen, Zitronen, Ananas und Zimmetäpfel ersetzen jedoch diesen Abgang reichlich. – Eine Anzahl neuer Geräte und Anstalten zur Ausnützung der verschiedenartigen Ernten ist natürlich auch im Lauf der Jahre dazugekommen. Sie lassen alle manches zu wünschen übrig, müssen aber genügen und erfüllen auch vollständig ihren Zweck.
Da ist zunächst die Zuckerrohrpresse, deren Teile wir mühselig aus den vom Wrack gefristeten Sachen zusammengestellt haben und die mittels eines angespannten Zugviehs getrieben wird. Vier kupferne Kessel, zum Zuckersieden bestimmt, die anfangs zur Aufbewahrung des Schießpulvers gedient hatten, mit der Zeit aber leer geworden waren, sind nebeneinander in eine Art Kunstofen eingemauert worden. Eine Reibe und Presse zur Gewinnung des Öles aus Nüssen, Mandeln und Oliven ersetzt uns jetzt die alte, langweilige Apothekerpresse, mit der wir uns nicht länger plagen mochten. Eine andere Reibe dient verschiedenen Zwecken; einmal, um mit einem runden Rollstein unsern Flachs zu reiben, anstatt ihn durch Schlagen wie früher weich zu machen; dann, um mit einem sich wälzenden hölzernen Läufer bei der jedesmal sehnlich erhofften Traubenernte die Beeren auszudrücken; endlich, um mit einem flachen, langsam gehenden Reibstein den Kakao zu zerreiben. Die Unterlage oder der Kessel zu dieser Reibe ist ein großer, etwas ausgehöhlter Speckstein, der, frisch aus seiner Lagerung genommen, sehr leicht zu bearbeiten war, bald aber, an Luft und Feuer getrocknet, eine außerordentliche Härte angenommen hat. Dieser Unterlagestein hat einen etwa neun Zoll hohen Rand und ruht auf einem in die Erde gebauten Ofen, wodurch er je nach Bedürfnis erwärmt werden kann. Durch die Erfahrung belehrt, haben wir diese im Freien festliegenden Anstalten nach und nach mit Schutzdach und Einwandung versehen, so daß wir uns auch während der Regenzeit ganz ungestört dort beschäftigen können. Alle unsauberen, übelriechenden Zubereitungen, wie Gerberei und Lichterziehen aus Unschlitt, werden nach wie vor auf der Walfischinsel erledigt. Die Werkstätte zu diesen Arbeiten ist mit der Zeit unter einer Hervorragung des Felsens eingesprengt worden und liegt so ziemlich gegen alle Unbilden der Witterung geschützt. In Waldegg ist eine regelmäßige Baumwollpflanzung errichtet und der dortige Reissumpf in ein ordentliches Reisfeld verwandelt worden, welch letzteres unsre Bemühungen mit ganz prachtvollen Ernten lohnt. Auch Hohentwiel wird nicht außer acht gelassen. Von dort holen wir uns regelmäßig beträchtliche Vorräte von Knospen des Kapernstrauches, die in Essig, mit Pfeffer verschärft, zu künftigem Gebrauch aufbewahrt werden. Jedesmal kurz nach der Regenzeit schlagen dann auch die Blätter des Teestrauches im Überfluß aus, die mit nicht minderem Eifer gesammelt, getrocknet und luftdicht verwahrt werden. Unmittelbar vor der Regenzeit hinwieder geht es allemal den reifen Zuckerrohren und der Moorhirse zu Leibe. Von Hohentwiel aus wird zuweilen wohl auch nach der Klus ein Abstecher gemacht, um zu untersuchen, ob Elefanten oder andere gefährliche Tiere durchgebrochen seien und ob keines sich in unsern Schlingen und Wolfsgruben gefangen habe. – Unsere Haustiere, geflügelte wie vierbeinige, sind in vortrefflichem Zustande und haben sich ansehnlich vermehrt. Besonders gilt dies von Tauben und Hühnern, welch letztere durch Veredlung mit Hilfe des prächtigen einheimischen Geflügels sich zu einem wahren Staatsvolk ausgewachsen haben. Unser Mittagstisch ist nie um die köstlichsten gebratenen Hähnchen und Tauben verlegen, und um den immer erneuten Eiervorrat möchte uns mancher Gutsbesitzer beneiden. Von den alljährlich bescherten Kälbern haben wir nur zwei aufgezogen, einen Bullen von großem Mut und ungeheuren Kräften und eine hübsche, brave Melkkuh. Sie heißt Blaß, ihrer hellen Farbe wegen, während der Stier nach seiner dröhnenden Stimme den Namen Brüll erhalten hat. Beide sind natürlich zum Reiten wie zum Ziehen und Lasttragen abgerichtet, ebenso wie Pfeil und Flink, zwei junge Esel, mit denen der muntre Rasch uns erfreut hat. Die Schweine haben sich natürlich riesig vermehrt, und wir sind schon längst genötigt gewesen, die älteren Stücke aus dem Küstenrevier landeinwärts in die Steppe zu versetzen. Auch das übrige kleine Vieh hat sich entsprechend vervielfältigt, und wir können nicht nur unbesorgt davon schlachten, so daß unsere Tafel mit zahmem und wildem Fleisch in angenehmer Abwechslung bestellt ist, sondern wir haben einen Teil von ihnen schon in die Wildnis ziehen lassen, wo wir sie nun, vermischt mit den Gazellen, auf unsern Jagdzügen wieder antreffen. Mit großer Vorliebe schonen und pflegen wir zarte, reizende Antilopen auf der Haifischinsel, die sich nur langsam vermehren. Kürzlich haben wir uns ein Pärchen in den reichbebuschten Hof von Felsenheim herübergeholt, um uns an den niedlichen Gestalten und possierlichen Sprüngen zu ergötzen. Unter den Hunden haben wir einstweilen nur einen Sprößling des gewandten Jager am Leben gelassen. Er verspricht ein vorzüglicher Spürhund zu werden. Jack hat ihn Koko genannt. Das sei ein kurzer und doch fernhintönender Name und wecke ein prachtvolles Echo in den Wäldern und an Felsklüften.
Nach diesem Rück- und Rundblick nehme ich endlich den Faden meiner Erzählung wieder auf.
Ich habe schon erwähnt, daß meine Söhne sich mit Beziehung auf die Freiheit ihrer Bewegungen so ziemlich von meiner väterlichen Gewalt losgelöst hatten. Im großen und ganzen war mir das schon recht. Sie waren keine Kinder mehr, und ich mußte darauf bedacht sein, ihnen beizeiten Selbständigkeit zu sichern. Wer mochte wissen, wie unser Leben sich noch gestalten würde und wie lange sie noch Vater und Mutter um Rat fragen könnten.
So hatte sich denn auch Fritz einmal schon vom frühen Morgen an von Felsenheim verloren. Erst gegen Abend bemerkten wir an der Abwesenheit seines Kajaks, daß er wohl einen Ausflug in See gemacht habe. Gleich begaben wir uns auf die Hochwache der Haifischinsel, um uns so weit als tunlich nach dem Flüchtling umzusehen, wobei wir auch die Flagge lustig in dem Wind flattern ließen und unsere Alarmkanone zum Salutieren luden. Eine Weile zwar entdeckten wir nichts; endlich unterschieden wir jedoch einen kleinen, schwarzen Punkt auf der besonnten Wasserfläche, und nicht lange, so konnten wir schon durch ein Fernglas unsern Herrn Grönländer in seinem Kahn unterscheiden. Er schlug taktmäßig mit dem Ruder auf den Meeresspiegel und näherte sich, wiewohl etwas langsamer und schwerfälliger, als ich erwartet hatte, der Küste von Felsenheim.
»Numero eins, Feuer!« kommandierte jetzt Ernst als wachthabender Offizier, und Jack brannte alsbald los. Dann erhoben wir alle noch ein frohes Hurra und eilten flugs von der Höhe nach dem Strand, um womöglich in unserem Boote Fritz zuvorzukommen und ihn bei unserer Wohnung am Lande zu empfangen.
Kaum hatte er die Rettungsbucht erreicht, so erkannte ich gleich, was seinen Lauf verzögert haben mochte; denn eine gewichtige Beute schwamm angebunden an der Seite des Kajaks. Hinter dem Fahrzeug im Wasser ward überdies noch ein beträchtlicher Sack bugsiert, der ebenfalls hinderlich sein mußte.
»Willkommen, Fritz, willkommen!« rief ich ihm schon aus der Ferne zu; »woher des Landes, oder woher des Meeres? Du hast, scheint es, gute Beute gemacht, denn du bist beladen wie ein Frachtwagen. Wo hast du dich herumgetrieben, du Schlingel? Na, die Hauptsache ist, daß man dich wohlbehalten wieder hat!«
»Ja«, erwiderte Fritz, »es geht mir ausgezeichnet. Ich habe allerlei Beute gemacht und Entdeckungen – das sag‘ ich euch, die werden uns bald genug wieder anlocken.«
Kaum saß das Kajak auf dem Strand, als das Schifflein samt dem Ruderer darin von den drei übrigen Brüdern unter Jubelgeschrei gezogen und bis zu unserer Wohnung hin fortgeschoben wurde, worauf alsbald noch ein unförmliches, gleich einer Kröte aufgeblasenes Seetier und ein Sack voll großer, flacher und dicker Muscheln auf einer Tragbahre nachgeholt wurden. Dann aber setzten wir uns alle um den zur Ruhe gelagerten Fritz her, begierig, den Reisebericht zu vernehmen, der ihm schon gleichsam über die Lippen hervorguckte.
»Du bist hoffentlich nicht ärgerlich gewesen, lieber Vater«, so fing er an, »daß ich ausgezogen bin, ohne mich zu verabschieden. Es reizte mich nämlich ganz riesig, einmal einen Streifzug jenseits jener Klippen, an denen ich mein Walroß erlegt habe, zu unternehmen. Ich war deiner Zustimmung durchaus nicht sicher, da der Ausflug so völlig ins Ungewisse ging. Daher beschloß ich, lieber heimlich auf und davon zu gehen und dich dann nachträglich durch meinen Erfolg zu versöhnen. Ich richtete demnach mein Kajak in aller Stille mit Mundvorrat, Trinkwasser, Schießbedarf, Fangvorrichtungen verschiedener Art ein und lauerte so auf die nächste passende Gelegenheit.
Der heutige schöne Morgen und die stille See lockten mich unwiderstehlich, meinen Plan auszuführen. Ich schlich mich davon, während ihr noch in der Felsenhöhle beschäftigt wart, ergriff zuletzt noch ein gutes Handbeil, rief meinen Adler, schiffte mich ein und überließ mich der Strömung des Schakalbaches, die mich auch in kurzem aus eurem Gesichte trug. Ich beobachtete jedoch genau den Strich meines Kompasses, um den Rückweg wieder auffinden zu können.
Als ich über die Stelle unseres weiland gesprengten Wrackes fuhr, sah ich in nicht sehr großer Tiefe, weil das Wasser besonders hell und ruhig war, viele unserer größeren Kanonen, Eisenstangen, Kugeln und dergleichen auf dem Grund liegen. Schade, daß es uns an allen Vorrichtungen fehlt, um sie heraufzuholen.
Von da wandte ich mich wieder schräg und westlich nach der Küste, mitten durch die Riffe eines gleichsam zertrümmerten Vorgebirges, wo sich bald Tafeln und Blöcke von Felsgestein aufeinandertürmten, bald einzelne Klippen und Felsbrocken zerstreut aus dem Meere hervorragten oder zunächst unter der Wasserfläche verborgen staken. Auf den unzugänglichsten hatten sich eine Menge Seevögel angesiedelt, die dort ihre Brutplätze haben mochten und mit rasendem Geschrei herumschwärmten. Wo dagegen eine Klippe flacher und zugänglicher lag, da zeigten sich große Seetiere, die teils in der Sonne liegend schnarchten, teils ordentlich betäubend quiekten, schrien, schnaubten und brüllten. Gewöhnlich lagen sie, Art bei Art, rudelweise aneinander; namentlich Seelöwen, Seebären und See-Elefanten, besonders aber Walrosse.
Ich muß bekennen, daß es mir unter all diesen Riesentieren nicht eben wohl zu Mute war, und somit suchte ich mich durch die Klippen ihres Aufenthalts mehr unbemerkt durchzustehlen, als ritterlich und offen durchzuschlagen. Erst nach anderthalb Stunden etwa war ich jedoch gänzlich geborgen und befand mich jetzt gerade vor einem prächtigen Felsentor, das die Natur in stolzem gotischem oder altdeutschem Geschmacke erbaut zu haben schien. Es öffnete sich wie der Schwibbogen einer ungeheuren Brücke; der Fels aber lief noch jenseits als ein Vorgebirg von beträchtlicher Höhe in die See hinaus.
Ich fuhr bedachtsam und vorsichtig hindurch, fand aber nichts Bedeutendes, und als ich mich durch das hohe Felsengewölbe hindurchgearbeitet hatte, befand ich mich sofort in einer prächtigen Bai, am niedrigen und lieblichen Strand einer fast unabsehbaren Steppe, die mit verschiedenen anmutigen Holzungen unterbrochen, links von ungeheuren Felsenmassen begrenzt, rechts von einem sanften Strome durchzogen und bewässert war. Jenseits des letztern schien sich vieles Sumpfland auszubreiten, und ein mächtiger Zedernwald verhinderte endlich alle fernere Aussicht.
Während meiner Fahrt an einem schönen Ufer hin, bei spiegelglatter See, bemerkte ich in verschiedener Tiefe, zumal auf steinigem Grund, bald mehr, bald minder ausgedehnte Lager beträchtlich großer Muscheln von der Art der Bivalven oder zweiklappigen wie die Austern. Das muß doch ein fetteres und ergiebigeres Essen sein, dachte ich, als die kleinen Austern in der Rettungsbucht. Hiermit riß ich einige der Muscheln mit meinem Bootshaken von dem felsigen Grunde los, faßte sie in mein Sackgärnchen auf und fuhr gleich damit an das Land, wo ich sie bloß hinwarf, ohne aus meinem Kajak zu steigen; denn ich fuhr alsbald zurück, um eine zweite Ladung zu holen, die ich nach Felsenheim zu führen beschloß und deswegen zu besserer Erhaltung, eingepackt in meinen gewöhnlichen Reisesack, hinten an meinem Kajak im Wasser nachschleppte.
Als ich dann wieder an die vorige Stelle zurückkam und mich nach den vorhin ans Land geworfenen Muscheln umsah, fand ich alle an der brennenden Sonne auf dem Strande schon verschmachtet und vollkommen offen, wodurch mir natürlich jede Eßlust auf der Stelle verging. Hingegen war ich doch neugierig, die Dinger etwas näher zu untersuchen. Ich schnitt also in den Körper der Tiere an verschiedenen Stellen ein und fand ihn allerorten so zäh, daß ich an der Eßbarkeit des Fleisches, auch wenn es gekocht würde, durchaus zweifelte. Hin und wieder aber war mein Schnitt auf etwas Hartes geraten, dem ich weiter nachgrübelte; und siehe da, bald hob ich mit der Messerspitze ein paar größere und kleinere Erbsen hervor, die völlig aus Perlmutter gedrechselt zu sein schienen. Jetzt untersuchte ich der Reihe nach alle Muscheln. Die niedlichen Erbschen lagen meist zwischen dem Fleisch und der äußern Schale, ein solches Kügelchen war sogar von der Größe einer halbreifen Haselnuß. – Hier habe ich alle die Dingerchen in meiner Bambusbüchse beisammen, soviel ich nur in den Austern vorfand. Sieh sie dir an, Vater, und wenn das nicht die schönsten orientalischen Perlen sind, will ich Matz heißen.«
»Laß sehen Fritz«, riefen die Brüder, »laß sehen! Alle Wetter, wie schön, wie glänzend! Das war aber mal ein herrlicher Fund!«
»Ja«, sagte ich, »du hast hier einen wahren Schatz entdeckt, mein lieber Sohn, um den uns ganze Völker beneiden würden, wenn sie es erführen. Ohne Handelsverkehr freilich nützen uns diese Herrlichkeiten wenig; dennoch wollen wir baldigst den Fundort dieser Muscheln besuchen, die Entdeckung könnte doch noch folgenreich für uns werden. – Aber nur weiter!«
»Nachdem ich mich«, fuhr Fritz fort, »mit Speise und Trank etwas gelabt hatte, setzte ich meine Fahrt aufs Geratewohl an dem ebenen Strande fort, der immer mehr mit mannigfaltigen kleinen Buchten eingeschnitten war. Wegen des im Wasser nachschleppenden Austernbündels rückte ich jedoch nicht sonderlich vor. Ich kam an dem beobachteten Strome vorüber, der nur sehr wenig Fall hatte und mit den schönsten Wasserpflanzen bedeckt war, so daß er mir beinahe wie eine schön begraste Wiese vorkam, zumal verschiedene Wasservögel, besonders eine Art von langzehigen, wie auf trockenem Boden darüber wegliefen. Nachdem ich meinen Vorrat von Trinkwasser daselbst erneuert hatte, eilte ich, meine Grenzbesichtigung der großen Bai zu beendigen, und beschloß, diese mit dem Namen der großen Perlbai zu beehren. Bald erreichte ich dann das jenseitige Vorgebirge, das dem mit dem Schwibbogen fast symmetrisch gegenüberstand; beide mochten anderthalb bis zwei Stunden weit voneinander stehen, wenn man die gerade Linie ihres Abstandes betrachtete, und beide ragten weit in die See hinaus; innerhalb ihrer Spitze aber lief ein Felsenriff von dem einen zu dem andern hin und trennte die Bai von der offenen See mit Ausnahme einer einzigen Stelle, die zu einer bequemen Durchfahrt offen blieb. Das übrige schien mir durch die Klippen und durch Sandbänke vollkommen wohl gesichert und bildete somit einen prächtigen natürlichen Seehafen, dem nur eine Stadt fehlte.
Ich versuchte, die neuentdeckte Einfahrt sogleich zum Hinausfahren zu benutzen. Die Strömung der gerade stark angewachsenen Flut war mir aber so gewaltig entgegen, daß ich, um nicht umzuwerfen, mein Vorhaben schlechterdings aufgeben mußte. Demnach zog ich mich an dem Riffe fort gegen das äußere Vorgebirge, bis ich dieses erreichte und an der gewaltigen Felswand mich wieder landwärts hielt, ohne jedoch auf ein Tor zu stoßen wie auf der entgegengesetzten Seite. Dagegen spürte ich dort bald eine Menge vierfüßiger Tiere auf, die mir von der Größe eines gewöhnlichen Seehundes zu sein schienen. Ich sah sie bald auf den Klippen herum, bald im Wasser miteinander scherzen, sich necken, verfolgen, untertauchen und wieder hervorkommen. Ich war riesig begierig, sie näher kennenzulernen; das beste wäre gewesen, eines zu erlegen und mitzunehmen. Aber noch war ich zu weit außer dem Schuß und fürchtete auch, nicht unbemerkt genug hinschleichen zu können oder auch meine Beute nur zu verwunden, die dann doch durch Untertauchen mir wieder entgehen dürfte. Deswegen legte ich meinen Kahn hinter einem Felsenvorsprunge fest, nahm Blitz und warf ihn nach dem Trupp jener Tiere hinaus in die Luft; er flog auch hin wie ein Pfeil, schoß nieder auf ein schönes erwachsenes Geschöpf, und hatte es fast im Hui geblendet. Schnell lief ich in Sprüngen über einzelne Steinblöcke nach dem Kampfplatze hin und schlug das Tier mit dem Bootshaken tot, während ich mit Erstaunen von allen übrigen keine Spur mehr bemerken konnte, denn sie waren sämtlich wie durch einen Zauber verschwunden.«
»Aber wie hast du es angefangen«, fragte ich ihn jetzt, »deine Beute so geschickt heimzubringen; denn für dein schwaches Fahrzeug war sie doch viel zu schwer.«
»Ja, das kostete mich Mühe und Nachdenken genug«, antwortete er, »denn zurücklassen wollte ich sie unter keiner Bedingung, und obschon mir freilich das Kunststück der Grönländer, das Tier aufzublasen, in den Sinn kam, so mochte ich doch den Mund nicht zwischen Balg und Fleisch des getöteten Tieres stecken, da ich ohnehin keinen sonderlichen Erfolg voraussah; etwas Röhrenartiges hatte ich aber nicht bei mir, und es war weder Schaft noch Haken auf der öden Klippe des Riffes aufzutreiben.
Indem ich so etwas stumpfsinnig in die Welt hinausschaute, fielen mir die Menge Seevögel auf, die mich näher und immer näher mit Gekreisch umschwirrten. Möwen, Seeschwalben, Albatrosse, Fregatten und dergleichen flatterten mir unverschämt zu Leibe, daß ich zuletzt ungeduldig ward und mit meinem Bootshaken blindlings unter sie schlug. Zum Glück traf ich einen großen Vogel so gut, daß er mit ausgebreiteten Flügeln betäubt hinstürzte. Es war ein stattlicher Albatros, den, glaube ich, die Seeleute auch das Schaf oder das Kriegsschiff nennen. Während er nun so vor mir lag, sprang mir‘s plötzlich in die Augen, daß die Kiele seiner Schwungfedern meinem Bedürfnis ganz vortrefflich abhelfen könnten. Schnell raufte ich mir einige der größten aus, bediente mich ihrer zum Aufblasen der Seeotter und hatte sie bald in schwimmfertigem Stande. Dann war es aber auch Zeit, mich auf den Heimweg zu begeben; ich zog das Kajak hinüber an die Außenseite des Riffs, band meine gewonnenen Schätze sorgfältig auf und an, fuhr in Gottes Namen durch die Brandung glücklich hinaus in die hohe See und befand mich in kurzem wieder auf wohlbekannten Gewässern, wo ich denn bald aus weiter Ferne schon unsere Flagge spielen sah und nicht lange darauf auch den Knall unserer Alarmkanone zum Zeichen eurer willkommenen Nähe vernahm.«