Kitabı oku: «Pünktlich wie die deutsche Bahn?», sayfa 4

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5. Alles Aussteigen

Einen bemerkenswert glaubwürdigen und empfindsampräzisen Einblick in die Welt der Eisenbahnreisenden zwischen den 1840er und 1870er Jahren vermittelt der Journalist und Schriftsteller Friedrich Wilhelm Hackländer in seinen Berichten, Erzählungen und Romanen.54 In der Erzählung Reiselust rückt der auf Basis des eigenen Erlebens schreibende Autor mit dem fiktiven Oberrevisor (bzw. Chefcontroller) Schmauder einen Zeitzeugen in die Mitte des Geschehens, »dem wir folgen wollen […] denn vom Bahnhof her vernehmen wir schon zuweilen das gellende Pfeifen einer Lokomotive; wir brauchen uns deshalb aber nicht zu beeilen, denn wir sind sicher, daß der Zug erst um fünf Uhr abgeht und unsere Taschenuhr haben wir gestern auf’s Sorgfältigste gerichtet: das Gepfeife dort bedeutet die Zusammenstellung der Züge – wir kennen das und haben es oft genug erlebt: zwei Wagenlängen – eine Wagenlänge – eine halbe – einen Fuß, dann ein gelinder Anprall.«

Friedrich Wilhelm Hackländer schildert in seiner humoristischen Erzählung aus dem Jahre 1866 gleichsam exemplarisch eine Reise im Gemeinschaftsabteil der dritten Klasse. Die anschauliche Beschreibung einer sonntäglichen Fahrt mit der Eisenbahn widmet sich den Mitreisenden und ihren Geräuschen und Gesprächen untereinander sowie dem Bahnhofsleben und den strengen Eisenbahnbeamten. Es folgt eine Kostprobe aus der von mir stark eingekürzten Reiselust. Und schon verlässt Schmauder, Oberrevisor bei der Königlichen Domänenverwaltung, sein Haus und findet sich flugs im Bahnhof wieder …

»Da sind wir endlich gegenüber der Eisenbahnkasse, doch wird es noch eine Zeitlang dauern, ehe wir glücklich unser Billett gelöst haben. Eine gewaltige Menschenmenge hat sich davor zusammengedrängt: der aufgestellte Portier hat genug zu erinnern, daß man von rechts an den Schalter tritt, um nach links wieder zu verschwinden; auch ermahnt er, nicht vorwärts zu drängen, was aber ziemlich fruchtlos bleibt; denn so oft drinnen ein Glockenton erschallt, oder irgend eine Lokomotive pfeift, so preßt sich der Menschenknäuel wieder um so fester zusammen, da Jeder die Befürchtung hat, zu spät zu kommen. Herr Schmauder hat sich, bewaffnet mit dem Grundsatze, daß es ohne Mühe kein Vergnügen gibt, muthig in diesen Strudel gestürzt und steht nun da, eingekeilt zwischen einem wohlbeleibten Herrn, der noch obendrein sehr unnöthiger Weise immer etwas in seinen hintern Rocktaschen zu suchen hat, und einer umfangreichen Dame, welche ihre beiden Fäuste, mit Sonnenschirm und einem kleinen Nachtsacke bewaffnet, vor sich hält und auf diese Art in unangenehme Berührung kommt mit dem Rücken des Oberrevisors. So geht es langsam Zoll um Zoll vorwärts, und es würde viel rascher gegangen sein, wenn nur alle Leute so diskret wären, sich mit kleinem Gelde zu versehen, oder wenn sie nicht bei dem geplagten Eisenbahncassier Erkundigungen über die Länge irgend einer Fahrzeit oder anderer Dinge einziehen wollten. […]

Endlich verlangte Herr Schmauder seine Karte und händigte dafür dem Kassier mit einer rührenden Genauigkeit das abgezählte Geld in gangbarer Landesmünze ein, wofür ihn der betreffende Eisenbahnbeamte mit einem gnädigen Kopfnicken entließ. Es war doch schon etwas spät geworden und Diejenigen, welche jetzt noch mit dem Zuge fort wollten, mußten sich zu einem kleinen Dauerlaufe bequemen. […] Da saß unser Reisender endlich, tief und glücklich aufathmend und hatte einen außerordentlich schönen Platz rückwärts am Fenster, Schattenseite. – Auch war es nicht übermäßig voll, hie und da noch ein Platz frei, und lange zu warten brauchte man auch nicht: die Glocke gab ihre üblichen Zeichen, die Lokomotive pustete asthmatisch und dann ging’s aus dem dunkeln Bahnhof in den freien Sonnenschein hinaus. […]

Leider fliegen die glücklichsten Augenblicke am raschesten vorüber – kaum gedacht, war der Lust ein End’ gemacht: da pfiff schon die Lokomotive, da verminderte der Zug seine Schnelligkeit und hielt auf dem Bahnhofe einer ehemaligen Reichsstadt […]. Leute gab es genug auf dem Trottoir, doch war bei dem allgemeinen Durcheinander noch schwer zu unterscheiden, wer von diesen wirklich Selbstreisender war oder nur Begleiter. […]

Eingestiegen wurde nun auf den Ruf der Kondukteure, aber sehr mäßig und dabei blieb höchst angenehmer Weise der Wagen, in welchem unser Reisender saß, gänzlich verschont; verdächtig waren indeß immer noch die beiden Gruppen, die sich streng abgeschlossen hielten, und dieser Verdacht wurde zur fürchterlichen Wahrheit, als der Kondukteur ihnen zurief: ›Meine Herren, es ist die höchste Zeit, wenn Sie mitfahren wollen, der letzte Wagen ist noch ganz unbesetzt‹, worauf sich die eine Gruppe rasch in Bewegung setzte, den Wagen des Herrn Schmauder bestieg und die Seite, auf der er sich befand, vollständig einnahm. […] So fuhr man dahin und ziemlich beengt – Herr Schmauder hatte sogar seinen kleinen Reisesack unter die Bank legen müssen, da Einer der neu Angekommenen dieses harmlose Geräth und hierauf den Besitzer desselben mit dem gewissen fragenden und auffordernden Blicke angesehen hatte – auch brummte dieser, als er sich niederließ: ›Es ist eigentlich überflüssig, sich für eine so kleine Tour noch mit Gepäck zu belästigen.‹ […]

›Pflaumloch!‹ sagte der Zugmeister und setzte hinzu, indem er einen Blick auf seine Uhr warf, ›es ist rein zum Davonlaufen, jetzt haben wir schon zwanzig Minuten Verspätung – na, die Bayern werden uns wieder auslachen – einsteigen nach Nördlingen und rasch, wenn’s gefällig ist.‹ […] Allein, allein auf weiter Flur, / Und eine Morgenglocke nur, / Sonst Stille nah und fern. Das dachte er aber nicht in seinen Träumen, sondern es schlug vielstimmig an sein Ohr, als der Zug auf dem Bahnhof in Nördlingen hielt. Gerechter Himmel! Welches Menschengewühl, welche Unmasse nichtssagender Gesichter mit aufgesperrten Mäulern, an denen er nun vorüberfuhr und die wie zum Hohne auf seinen Gemüthszustand und auf ihr eigenes lärmendes Getriebe von Stille nah und fern sangen und von Alleinsein auf weiter Flur. In langen Reihen standen sie da auf dem Trottoir, überragt von bunten Fahnen, Eichenzweigen an Hüten und Mützen, in festtäglicher Kleidung und festtäglicher Stimmung – eine Sängerfahrt von zwanzig verschiedenen Männergesangvereinen und Liedertafeln. […]

›Wird der Zug, mit dem wir nach Nürnberg fahren, wohl stark besetzt sein?‹ erlaubte sich der Oberrevisor schüchtern zu fragen.

›Stark besetzt sein? – Fragen Sie lieber, ob unsere Wagen ausreichen werden, um Alles das fortzubringen.‹

›Du, mein lieber Gott – wir werden doch nicht die sämmtlichen Sänger von da drüben mitnehmen?‹

›Nun das fehlte uns noch – wir werden an unseren Schützen gerade genug haben.‹

›An unseren Schützen?‹ frug Herr Schmauder mit einer matten Stimme.

›Ja, wissen’s denn nit, daß in Nürnberg das Schützenfest abgehalten wird?‹

Der Oberrevisor warf einen matten Blick gen Himmel: Scylla und Charybdis – dort schwäbische Sänger, hier bayerische Schützen.‹ […]

Der Oberrevisor hatte bis hieher noch nicht viel von der Hitze zu leiden gehabt, jetzt aber rann der Schweiß in hellen Tropfen von seiner Stirne herunter und nicht allein der Wärme oder des engen Sitzens wegen, sondern er konnte sich auch eines unbehaglichen Gefühls nicht erwehren beim Anblick all’ der Schußwaffen, die sich im Wagen befanden, der gefüllten Pulverhörner und des beispiellosen Leichtsinns, mit welchem man hier die brennenden Zündhölzchen und glimmenden Cigarren zu behandeln pflegte – welch’ gräßliches Unglück stand da in Aussicht: der ganze Zug war mit Schützen besetzt, von denen jeder Munition in hinreichender Menge mit sich führte, vielleicht war auch noch ein Packwagen mit Schießpulver angehängt für das Schützenfest in Nürnberg. […]

Und dabei hatte auch dieser Zug seine gehörige Verspätung und auf Stationen, wo man fünf Minuten hätte halten sollen, um ein wenig Luft zu schöpfen oder sich die Glieder wieder gelenkig zu machen, öffneten die Schaffner eilfertig die Thüren, um sie in der nächsten Sekunde wie zum Hohne wieder zuzuschlagen und zu verriegeln – […] da sauste man an Pleinfeld, Roth, Schwabach vorüber, da zuckte der wahrheitsliebende Schaffner die Achseln, wenn man ihn um die Länge des Aufenthaltes in Nürnberg befragte, und setzte hinzu: ›Nach Bamberg und Würzburg wird es augenblicklich weiter gehen, wir kommen eine halbe Stunde zu spät.‹

In der Richtung der ersteren Stadt lag auch das Ziel unseres Reisenden […] ›Alles aussteigen!‹ rief der betreffende Beamte auf dem Nürnberger Bahnhofe den Schützen zu, bei denen sich auch unser Reisender befand, ›diese Wagen werden abgehängt und nach Bamberg und Würzburg wird weiter vornen eingestiegen – doch bitte ich, sich möglichst zu beeilen, der Zug wird im Augenblicke abgehen.‹

Also […] und nun von Schweiß triefend in einem animirten Hundetrab durch die ganze Länge des Bahnhofs, wo sich die neue Lokomotive zischend und rauschend so ungeberdig und ungeduldig anstellte, als habe sie nur darauf gewartet, daß Herr Schmauder einsteigen werde […], daß er schneller, als dieses sonst wohl geschehen wäre, auf den einzigen noch freien Platz befördert wurde. […] Der Schaffner, der jetzt erst an der Thüre des Coupé’s erschien, um die Karten zu löchern oder abzunehmen, machte beim Betrachten derjenigen unseres Reisenden ein sehr verwundertes Gesicht und rief: ›Mein Herr, Sie befinden sich auf einem falschen Zuge – Sie wollen nach Bamberg und dieser geht nach Würzburg.‹

Jetzt aber war die Geduld des unglücklichen Eisenbahnschlachtopfers erschöpft, und was er lange nicht gethan, er fluchte […]. Hinter der Fürther Kreuzung erschien der Zugmeister in eigener Person mit dem tröstlichen Ausspruche, daß er von einer nochmaligen Zahlung absehen wolle, ersuchte aber den Reisenden, sich künftig den richtigen Zug auszusuchen, damit nicht er selbst, sowie auch die Beamten in Verlegenheit kämen. […]

Endlich – ›Neustadt!‹ – ein kleiner unbedeutender Bahnhof, heute mit einer großen bedeutenden Menschenmenge – und welch’ verschiedenartiges Leben: vor der Restauration sah man ein gewaltiges Bierfaß, grün bekränzt, und daneben hohe, kräftige Gestalten jubelnd und singend; die meisten waren gekleidet in graue und blaue saubere Tuchjacken, hatten breiträndrige, steife, schwarze Filzhüte auf dem Kopfe und an den Füßen hohe Wasserstiefeln, die ihnen bis über die Mitte der Schenkel reichten […]. ›Vorwärts Ihr Mannen!‹ rief eine weithin schallende Stimme, ›da ist der Zug‹; worauf ein paar Andere antworteten: ›Nur Geduld, die werden schon warten, bis wir unser Bier ausgetrunken haben – da bringt einmal dem Zugmeister das Maßkrugl.‹ […]

Da der Zug dieses Mal keine Verspätung hatte, auch das Bier vortrefflich war, so beeilte sich der kommandirende Beamte nicht mit der Abfahrt, und erst als die singende Schuljugend, einer Unmasse schwarzer Herren, die den Wagen entstiegen waren, voranschreitend, hinter dem Bahnhofgebäude verschwunden war, gab die Glocke das zweite Zeichen.

Herr Schmauder hatte sich in eine Ecke gedrückt und sah nun mit Besorgnis, wie die riesenhaften Gestalten mit den hohen Stiefeln jubelnd und jauchzend förmlich den Wagen stürmten; ihrer Acht hatten im Augenblick das Coupé eingenommen, in welchem er sich bereits befand und wo er von dem zuerst Eingetretenen mit einem fast erstaunten Blicke entdeckt worden war. Der scheint das Aussteigen vergessen zu haben‹, rief der Flößer, wobei indessen ein gutmüthiges Lachen das Derbe in diesem Anrufe ein wenig milderte. […] Wir brauchen kaum zu sagen, daß sich Herr Schmauder schon bereitwillig erhoben hatte und nun dankend seinen Nachtsack ergriff und dem Wagen enteilte. […] Da stand er auf dem Bahnhofe von Neustadt, so unbeweglich, so vollkommen ergeben und dabei so überdrüssig alles Reisens, daß er es nicht einmal vermochte, den Schaffner um einen anderen Platz zu ersuchen, und doch wurde schon das dritte Zeichen laut und vernehmlich gegeben, während vom Städtchen her harmonisch die Glocken läuteten.

›Ihr werdet auch froh sein, von dem Gelärme wegzukommen‹, hörte er eine angenehm klingende Stimme neben sich sagen und sah, als er sich umschaute, einen älteren Mann in wohlhabender Bauerntracht […]. ›Ich glaube, Ihr habt Recht‹, antwortete unser Reisender kleinlaut, ›zudem habe ich in Würzburg auch durchaus nichts verloren‹.

›Ah, Ihr reist also zu Eurem Vergnügen?‹

›Ja, ich hab’s erfahren und genossen, dieses Vergnügen‹, seufzte Herr Schmauder.«55

6. Anschluss an Modernität und Fortschritt

»Die Eisenbahnen, auch in Deutschland, sind ein Werk des Kapitalismus«, statuierte vor hundert Jahren mit Werner Sombart der so umstrittene wie bedeutende Theoretiker des kapitalistischen Systems. »Er hat zu ihrer Erbauung den Anstoß gegeben – die Staaten waren auffallend zurückhaltend – er hat die ersten Jahrzehnte hindurch die Ausgestaltung und Festigung des neuen Verkehrsmittels sich angelegen sein lassen, bis dann der Staat sich in das vom privaten Kapital bereitete Nest hat setzen können. Die erste Staatseisenbahn in Preußen wurde 1843 erbaut, als bereits 866,6 km Privatbahnen bestanden. Dann hat zwar das Staatsbahnsystem sich ununterbrochen weiter ausgedehnt, aber bis in die 1870er Jahre hinein lag der Schwerpunkt doch (in Preußen wie in den übrigen Bundesstaaten) bei den Privatbahnen. Namentlich die Periode des Ausbaus des Vollbahnnetzes – von 1865 bis 1875 – wird vornehmlich von der privaten Initiative beherrscht.«56

Der ab den 1840er Jahren massiv vorangetriebene Aufbau des deutschen Eisenbahnwesens verschlang wahnsinnig viel Kapital. Schon weil viele deutsche Staaten aus finanziellen wie auch wirtschaftsliberalen Gesichtspunkten heraus die Eisenbahnprojekte zunächst lieber privaten Gesellschaften überließen, waren diese nachgerade gezwungen, ihren enormen Kapitalbedarf, den kein privater Investor mehr allein hätte finanzieren können, durch die Ausgabe von Aktien sowie durch Anleihen zu stillen. Den Anfang machte die königlich privilegierte Ludwigs-Eisenbahn-Gesellschaft. Nachdem im November 1833 die Aktien im Wert von 132 000 Gulden von 207 Aktionären gezeichnet worden waren, notierte die Hundert-Gulden-Aktie bei der Bahneröffnung im Dezember 1835 zwar nur mit achtzig Prozent – gewiss auch ein Ausdruck für die Skepsis, mit der weite Bevölkerungskreise dem Projekt noch gegenüberstanden. Das von Anfang an gute Fahrgastaufkommen erweckte jedoch schnell das Vertrauen der Aktionäre und ließ den Aktienkurs schon im März 1836 auf vierhundert Prozent steigen. Zudem entwickelte sich auch die Verzinsung des Kapitals viel besser als gedacht. Für das Jahr 1836 zahlte die Gesellschaft eine Dividende von zwanzig Prozent, in den darauf folgenden Jahrzehnten von nie weniger als zwölf Prozent.

Die Aktien der neuen Bahnen erlebten einen raschen Kursanstieg. In der Deutschen Börsengeschichte heißt es: »So wurde im Juli 1843 die Magdeburg-Leipziger-Bahn zu einem Kurs von 170 gehandelt. Diese Gesellschaft hatte im Eröffnungsjahr (1840) 4 Prozent Dividende und bis 1843 auf 10 Prozent steigende Dividenden gezahlt, während festverzinsliche Papiere bisher üblicherweise 4 Prozent brachten. Besonders lukrativ mußte der Aktienmarkt erscheinen, als Preußen 1842 seine zu 4 Prozent verzinslichen Staatsschuldscheine auf 3 ½ Prozent herabsetzte.«57

Das Eisenbahnfieber beförderte die Aktienspekulation ebenso wie das moderne Bankwesen überhaupt. Der sich nach den Napoleonischen Kriegen herausbildende Mittelstand verfügte zwar über anlagebereite Gelder, fühlte sich aber wirtschaftlich nicht sachverständig genug und ließ die Börsengeschäfte im wachsenden Maß durch Bankiers ausführen. Das Interesse der Anleger an den Eisenbahnaktien wurde durch gezielte politische Entscheidungen weiter angefacht. So garantierte ab 1842 der preußische Finanzminister den Aktionären der bereits genehmigten Eisenbahnen eine Mindestverzinsung von 3,5 Prozent auf den Nominalwert der von ihnen gehaltenen Titel. Die Wirkung auf die Spekulanten blieb nicht aus, viele verkauften ihre Rentenpapiere, investierten in Bahnaktien und starteten Börsianern zufolge »eine Periode tollster Spielwut, wie man sie in Deutschland bis dahin noch nicht erlebt hatte. Alles drängte sich zur Börse, ohne Unterschied des Standes und Vermögens; jene Excesse einer dem momentanen Gewinn blind nachjagenden Spekulation, die in Amsterdam, London und Paris schon seit Jahrhunderten bekannt waren, wiederholten sich jetzt ganz ebenso auch in dem kühlen, vernünftigen Berlin, in dem reichen, soliden Leipzig; an den Fondsbörsen dieser beiden Städte concentrirte sich das Eisenbahnfieber, das indess auch Süddeutschland nicht gänzlich verschonte.«58

Das Interesse der damals von der Börse noch nicht erreichten Bevölkerungsschichten stieg umgehend, als 1843 den Eisenbahnaktien, die bereits eine Dividendengarantie hatten, zusätzlich eine Mündelsicherheit zugesprochen wurde. Damit waren Wertverluste der Geldanlage praktisch ausgeschlossen. Die Einzahlungen am deutschen Aktienmarkt nahmen daraufhin eine rasante Entwicklung. Bei den Neuemissionen der Eisenbahngesellschaften, etwa der Köln-Krefelder und der Thüringischen, kam es prompt zu Überzeichnungen von bis zum Einundzwanzigfachen des Ausgabewertes. Als das Spekulationsfieber 1844 einen ersten Höhepunkt erreichte, neu emittierte Eisenbahnaktien mit einem Agio von zwanzig bis vierzig Prozent gehandelt wurden, erließ der preußische Finanzminister zwar einen »Maßhalteappell« für Zeitgeschäfte; doch 1845 erreichten diverse Eisenbahnaktien wieder ihren höchsten Kurs. Zu einem heftigen Kurssturz kam es das erste Mal ab 1848, als Missernten, politische Unruhen und die heraufziehende Revolution den Eisenbahnbau bremsten. 1849 hatten die deutschen Eisenbahnwerte die Hälfte ihres Höchstkurses eingebüßt.

Nachdem sich die Privatbankiers durch die Eisenbahnspekulation einen festen Platz im Börsenhandel gesichert hatten, fachten ab den 1850er Jahren in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft gegründete Banken das Spekulationsgeschehen erneut an. Als 1870 der deutsch-französische Krieg vom Zaun gebrochen wurde – die preußische Heeresführung beförderte damals vor allem auf den sechs bereits ausgebauten Ost-West-Bahnstrecken mehr als 460 000 Soldaten in die Aufmarschgebiete – fielen an der Berliner Börse die meisten Papiere zwar um bis zu dreißig Prozent. Schon während sich die Nachricht vom deutschen Sieg verbreitete, schossen die Aktienkurse aber noch steiler nach oben.

Die in den 1830er Jahren einsetzende politökonomische Geschichte der deutschen Eisenbahn glich bis zum Ende des Jahrhunderts einer Achterbahnfahrt. Denn die den Deutschen Bund tragenden »souveränen Fürsten« und Freien Städte frönten zumal in Verkehrsfragen der Kleinstaaterei. Dem neuen maschinellen Verkehrsmittel standen sie zunächst relativ reserviert gegenüber. Aussagen wie die des badischen Staatsrats Carl Friedrich Nebenius von 1833 sprechen für sich: »Die Eisenbahn steht noch in weitem Felde; sie gehört nicht zu den dringendsten Bedürfnissen in unserem Lande.«59 Die politischen Weichenstellungen für den Eisenbahnbau erfolgten in den deutschen Bundesstaaten je nach der jeweiligen Präferenz der Herrschenden und nicht zuletzt der jeweiligen Kassenlage. Einige Staaten überließen die Initiative den wie Pilze aus dem Boden schießenden Eisenbahnkomitees und privaten Aktiengesellschaften, andere entschieden sich nach einigem Zögern für den Betrieb von Staatsbahnen. Zunächst das Herzogtum Braunschweig, dann das Großherzogtum Baden (Gesetz vom März 1838) und das Königreich Württemberg, das im April 1843 gesetzlich bestimmte, die Eisenbahnen »in die Verwaltung des Staates« zu übernehmen »oder auf Kosten des Staates« zu bauen. Nur Nebenbahnen konnten auch von Privatunternehmen gebaut und betrieben werden.

Im Königreich Bayern wurden durch das Staatsbahngesetz von 1843 mit Ausnahme der Ludwigsbahn alle Privatbahnunternehmen übernommen. Darunter die München-Augsburger Eisenbahn-Gesellschaft, die 1840 die Strecke von München nach Augsburg gebaut und in Betrieb genommen hatte. Entschädigt wurden sie durch speziell aufgelegte Staatsanleihen. Fortan beherrschte die Königlich Bayerische Staats-Eisenbahn zwar das Geschehen, ab 1856 konzessionierte die Regierung mit den Bayerischen Ostbahnen jedoch das damals größte Privatbahnunternehmen in deutschen Landen, weil ihr die Belastung für das Staatsbudget zu groß schien. Als die Ostbahnen 1875 rund 770 Kilometer in Betrieb genommen und weitere zweihundert in Bau hatten, kaufte sie der Staat kurzerhand auf. Das Kapital dafür verschaffte sich Bayern mit Obligationen, die mit vier Prozent verzinst wurden.

Auch im mächtigen Königreich Preußen gab es in den Ministerien viele Anhänger des Staatsbahngedankens, allerdings verhinderten verfassungsrechtliche Gründe hinsichtlich der Aufnahme von dafür notwendigen Krediten bzw. Anleihen eine Zeitlang die Umsetzung. Das im November 1838 erlassene preußische Gesetz über die Eisenbahnunternehmungen beinhaltete notgedrungen vor allem aufsichtsrechtliche Bestimmungen für die Konzessionierung, die Hoheitsrechte und nicht zuletzt die Bahnpolizei. Es sah eine Sonderbesteuerung vor, behielt der Krone das Recht vor, das Gesetz einseitig zu ändern und schrieb die Möglichkeit des Ankaufs privater Eisenbahnunternehmungen fest – vorsichtshalber freilich erst dreißig Jahre, nachdem eine Bahn erbaut war.

Als die Lok »Adler« Ende des Jahres 1835 dampfschnaubend Fahrt aufnahm, schien an Eisenbahn-Aktiengesellschaften kein Gleis vorbeizuführen. Das änderte sich allmählich, als ab den 1840er Jahren weitere Staatseisenbahnen in Fahrt kamen – die Königlich Sächsischen, Königlich Hannöverschen, Großherzoglich Oldenburgischen und andere mehr. Auch die Preußen setzten nun prinzipiell auf den Bau von Staatsbahnen, wobei es allerdings durch politische Richtungswechsel zu bedingten zeitweiligen Unterbrechungen kam. Der sowohl privat aktiengesellschaftliche wie staatliche Bahnbau und -betrieb prägten das Geschehen bis zum Ersten Weltkrieg, wobei das Staatsbahnprinzip ab der Reichseinigung 1871 prinzipiell durchgesetzt war und im frisch etablierten Kaiserreich mit den sogenannten Länderbahnen sieben größere in sich geschlossene und selbstständig nebeneinander bestehende Staatsbahnsysteme existierten. Vor allem Bismarck betrieb die Entwicklung hin zu einem einheitlichen Staatsbahnsystem – nicht zuletzt aus militärstrategischen Gründen. Die vielfachen Maßnahmen, eine gemeinsame deutsche Staatseisenbahn ins Rollen zu bringen, scheiterten jedoch am Länderwiderstand. Die Fusion kam erst durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg und die dadurch entstandene desolate wirtschaftliche Situation in Fahrt.

Aus heutiger Sicht bemerkenswert ist der Zeitraum zwischen 1879 und 1913, als zahlreiche Privatbahnunternehmen den Regional- und Nahverkehr in bis dahin vernachlässigten Gebieten ausbauten, weil die Länder trotz hoher Überschüsse ihrer Staats-Eisenbahnen keine Mittel für den Bau vielerorts noch fehlender lokaler Bahnen bereitstellen wollten. Die Grundlagen dafür bildeten Gesetze über sogenannte »Kleinbahnen und Privatanschlußbahnen«. In der Folge kam es zum raschen Neubau von insgesamt mehr als dreihundert Eisenbahnstrecken. Zum bedeutendsten privaten Neben- und Kleinbahn-Konzern in Deutschland entwickelte sich ab 1892 die Eisenbahnbau- und Betriebsunternehmung Lenz & Co. GmbH, die in den Bau und Betrieb von fast hundert Strecken involviert war. Sie existiert nicht mehr.

Unter anderem Namen im Geschäft ist nach wie vor die 1879 von Herrmann Bachstein (1834–1908) in Berlin gegründete »Centralverwaltung für Secundairbahnen«. Sie baute und betrieb zunächst insgesamt sechzig Eisenbahnstrecken in ganz Deutschland. Nachdem 1947 die Enteignung der Betriebe in der sowjetischen Besatzungszone vollzogen und der Sitz der Gesellschaft in den britischen Sektor verlegt worden war, erfolgte »die schwierige Phase der Konsolidierung« – einschließlich der Stilllegung von Eisenbahnlinien wegen »mangelndem Aufkommen an Fahrgästen«. 1965 verschwand auch das Wort Secundairbahnen aus dem in Verkehrsbetriebe Bachstein GmbH umbenannten Firmennamen, weil sich das Unternehmen fortan auf den straßengebundenen Verkehr mit Bussen konzentrierten wollte.

Der staatlichen Förderung von privaten Neben- und Kleinbahnen am Ende des 19. Jahrhunderts entspricht eine im Zuge der Bahnreform am Ende des 20. Jahrhunderts eingeführte Neuerung. Durch ein 1996 in Kraft getretenes Gesetz ging die Aufgaben- und Ausgabenverantwortung für den Schienennahverkehr vom Bund auf die Länder über, die seitdem eigenverantwortlich darüber entscheiden, wie viel Geld sie für die Schienenverkehre einsetzen. Die von ihnen etablierten Zweckgesellschaften entscheiden auch darüber, welches Eisenbahnverkehrsunternehmen für einen festgelegten Zeitraum den Zuschlag für den Betrieb bestimmter Linien erhält.

Der Sieg der deutschen Armeen im Deutsch-Französischen Krieg ermöglichte die staatliche Einigung der deutschen Länder unter Führung der preußischen Monarchie. Nachdem am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles das Deutsche Reich proklamiert und Kaiser Wilhelm I. gekrönt worden war, handelte Bismarck den Nachbarn fünf Milliarden Goldfranken (= 1450 Tonnen Feingold) als Reparation ab. Die Franzosen finanzierten damit gezwungenermaßen einen in der deutschen Geschichte bis dahin einzigartigen Wirtschaftsaufschwung und verzehnfachten das deutsche Nationalvermögen. Die ökonomische Besonderheit dieser bis 1873 anhaltenden »Gründerjahre« war die massenhafte Gründung von Aktiengesellschaften. »Insbesondere die bedeutende Zunahme der Eisenbahnen während der 1870er Jahre ist wohl im Wesentlichen als eine Wirkung des ›Milliardensegens‹ anzusehen: man kann sagen, daß uns Frankreich als Kriegsentschädigung unser Vollbahnnetz ausgebaut hat«, kommentierte Werner Sombart das Geschehen und fügte hinzu: »Fragen wir nun nach den Wirkungen, die die Eisenbahnen auf die Volkswirtschaft ausgeübt haben, so erscheint als greifbarste ihr Einfluß auf die Gestaltung unseres Effektenmarktes. Man kann getrost sagen, dieser habe sich im wesentlichen aus dem Handel mit Eisenbahnaktien und Obligationen entwickelt. Noch 1870 bestand die Hälfte aller an der Berliner Börse gehandelten Werte aus Eisenbahnwerten. Also hat natürlich auch das moderne Bankwesen einen beträchtlichen Teil seiner Nahrung aus den Eisenbahnen gesogen.«60

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildete der Eisenbahnbau in fast allen mitteleuropäischen Ländern das Herzstück der modernen Industrie, trieb die Entwicklung der Montan- bzw. Kohlen-, Eisenhütten- und Stahlindustrie sowie des Maschinenbaus nachhaltig an und wurde zugleich deren Großkunde. Der Eisenbahnboom sorgte für eine Kapitalkonzentration eines bis dahin unerreichten Ausmaßes und begünstigte die Gründung industrieller Großunternehmen – zum Beispiel von Krupp, Thyssen und Siemens sowie nicht zuletzt der nun vorzustellenden Unternehmen. Der Reigen beginnt mit der 1835 etablierten Eisen-Gießerey und Maschinen-Fabrik von Georg Egestorff (1802–1868) in Linden bei Hannover. Sie gewann als ersten Großkunden die Hannoverschen Staatseisenbahnen, die mangels deutscher Fabrikate zunächst Lokomotiven aus England importiert hatten. Im Juni 1846 verließ die erste in Handarbeit hergestellte Lok die Hallen, ein Jahrzehnt später waren bereits mehr als 324 Loks ausgeliefert worden.

Georg Egestorff war ein philanthropisch engagierter Unternehmer. Er richtete für seine Belegschaft eine konfessionsübergreifende Freischule nebst Kindergarten sowie eine Kranken-, Sterbe- und Unterstützungskasse ein. Nach seinem Tod wurde die Maschinenfabrik 1868 an den legendären »Eisenbahnkönig« Bethel Henry Strousberg (1823–1884) veräußert, der sie erheblich ausbaute und die Massenproduktion einführte. In Werksnähe schuf er die damals größte deutsche Arbeitersiedlung für zweitausend Bewohner. Sie wurde »Klein-Rumänien« genannt, weil der Eisenbahnmagnat im großen Stil Loks nach Osteuropa exportierte. Binnen drei Jahren wuchs die Belegschaft auf 3200 Arbeiter. Nach einem skandalös gescheiterten Eisenbahngeschäft in Rumänien musste Strousberg 1871 die Lokomotivbaufabrik an ein Bankenkonsortium verkaufen. Fortan firmierte sie als Hannoversche Maschinenbau Actien-Gesellschaft vorm. Georg Egestorff, Linden vor Hannover; ab 1912 unter dem Kürzel Hanomag (heute: Komatsu-Hanomag GmbH).

Im bayerischen München-Hirschau reüssierte ab 1838 die Lokomotivfabrik von Josef Anton Ritter von Maffei (1790–1870). Die erste Lok dieses namhaften Wegbereiters der Eisenbahn in Bayern wurde nach englischem Vorbild gebaut; der Durchbruch im Lokomotivbau gelang dem Unternehmen 1851 mit der »Bavaria«. 1864 wurde bereits die fünfhundertste Maschine ausgeliefert. Georg Krauß (1826–1906), einer der Schlosser von Maffei, arbeitete später als Lokomotivführer für die bayerischen Staatseisenbahnen und betreute als Obermaschinist die Lokomotiven der Schweizerischen Nordostbahn. 1866 gründete er in München die Krauss & Comp. Ein Jahr später kam seine erste Lokomotive zur Auslieferung. Diese errang bei der Weltausstellung in Paris gleich eine Goldene Medaille. Dieser Erfolg bedeutete den Durchbruch für Krauß, dessen Unternehmen sich insbesondere auf kleine Dampflokomotiven für Industrie und Nebenbahnen spezialisierte, die auch im Ausland begehrt waren. 1904 verließ schon die fünftausendste Maschine die Werkhallen. Die letzte Dampflok wurde 1956 an die Deutsche Bundesbahn ausgeliefert; allerdings von der Firma Krauss-Maffei, denn die Weltwirtschaftskrise hatte Maffei 1931 in den Bankrott gezogen.

Nicht zu vergessen die ab 1837 ins Geschäft gekommene Borsigsche Maschinenbau-Anstalt in Berlin. Johann Friedrich August Borsig (1804–1854) brachte die erste Lok 1840 auf die Gleise. Bei einer Wettfahrt auf der Anhalter Bahn ließ er sie am 21. Juli von Berlin nach Jüterbog gegen eine von George Stephenson gebaute Lokomotive anrennen. Da die »Borsig« mit zehn Minuten Vorsprung gewann, stand zu jener Zeit kräftig dampfend fest, dass der deutsche Maschinenbau trotz fehlender Erfahrung und einiger Verzögerung Anschluss an die bis dahin führenden britischen Unternehmen gefunden hatte. Die Berliner Borsig-Werke wurden umgehend zum Haupt- und Hoflieferanten der preußischen Eisenbahnen; ab 1850 entwickelten sie sich durch die Integration vorgelagerter Produktionsbereiche (Kohle, Schmiedeeisen, Stahl) zum größten deutschen Unternehmen. 1858 – anlässlich der Fertigstellung der tausendsten Lokomotive – beschäftigte Borsig bereits 2800 Arbeiter. In der Folgezeit expandierte das Unternehmen weiter, ab 1872 konnte es sich als größtes europäisches und – hinter den Baldwin Locomotive Works in den USA – weltweit zweitgrößtes Dampflokomotivenwerk rühmen.

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22 aralık 2023
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9783866747128
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