Kitabı oku: «Dichtung und Wahrheit», sayfa 13

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Von Rei­neck, aus ei­nem al­tad­li­gen Hau­se, tüch­tig, recht­schaf­fen, aber starr­sin­nig, ein ha­g­rer, schwarz­brau­ner Mann, den ich nie­mals lä­cheln ge­se­hen. Ihm be­geg­ne­te das Un­glück, dass sei­ne ein­zi­ge Toch­ter durch einen Haus­freund ent­führt wur­de. Er ver­folg­te sei­nen Schwie­ger­sohn mit dem hef­tigs­ten Pro­zess, und weil die Ge­rich­te, in ih­rer Förm­lich­keit, sei­ner Rach­sucht we­der schnell noch stark ge­nug will­fah­ren woll­ten, über­warf er sich mit die­sen, und es ent­stan­den Hän­del aus Hän­deln, Pro­zes­se aus Pro­zes­sen. Er zog sich ganz in sein Haus und einen dar­an­sto­ßen­den Gar­ten zu­rück, leb­te in ei­ner weit­läu­fi­gen, aber trau­ri­gen Un­ter­stu­be, in die seit vie­len Jah­ren kein Pin­sel ei­nes Tün­chers, viel­leicht kaum der Kehr­be­sen ei­ner Magd ge­kom­men war. Mich konn­te er gar gern lei­den und hat­te mir sei­nen jün­gern Sohn be­son­ders emp­foh­len. Sei­ne äl­tes­ten Freun­de, die sich nach ihm zu rich­ten wuss­ten, sei­ne Ge­schäfts­leu­te, sei­ne Sach­wal­ter sah er manch­mal bei Ti­sche und un­ter­ließ dann nie­mals, auch mich ein­zu­la­den. Man aß sehr gut bei ihm und trank noch bes­ser. Den Gäs­ten er­reg­te je­doch ein großer, aus vie­len Rit­zen rau­chen­der Ofen die ärgs­te Pein. Ei­ner der ver­trau­tes­ten wag­te ein­mal, dies zu be­mer­ken, in­dem er den Haus­herrn frag­te: ob er denn so eine Un­be­quem­lich­keit den gan­zen Win­ter aus­hal­ten kön­ne. Er ant­wor­te­te dar­auf, als ein zwei­ter Ti­mon und He­au­ton­ti­moru­me­nos: »Woll­te Gott, dies wäre das größ­te Übel von de­nen, die mich pla­gen!« Nur spät ließ er sich be­re­den, Toch­ter und En­kel wie­der­zu­se­hen. Der Schwie­ger­sohn durf­te ihm nicht wie­der vor Au­gen.

Auf die­sen so bra­ven als un­glück­li­chen Mann wirk­te mei­ne Ge­gen­wart sehr güns­tig: denn in­dem er sich gern mit mir un­ter­hielt und mich be­son­ders von Welt- und Staats­ver­hält­nis­sen be­lehr­te, schi­en er selbst sich er­leich­tert und er­hei­tert zu füh­len. Die we­ni­gen al­ten Freun­de, die sich noch um ihn ver­sam­mel­ten, ge­brauch­ten mich da­her oft, wenn sie sei­nen ver­drieß­li­chen Sinn zu mil­dern und ihn zu ir­gend ei­ner Zer­streu­ung zu be­re­den wünsch­ten. Wirk­lich fuhr er nun­mehr manch­mal mit uns aus und be­sah sich die Ge­gend wie­der, auf die er so vie­le Jah­re kei­nen Blick ge­wor­fen hat­te. Er ge­dach­te der al­ten Be­sit­zer, er­zähl­te von ih­ren Cha­rak­teren und Be­ge­ben­hei­ten, wo er sich denn im­mer streng, aber doch öf­ters hei­ter und geist­reich er­wies. Wir such­ten ihn nun auch wie­der un­ter an­de­re Men­schen zu brin­gen, wel­ches uns aber bei­nah übel ge­ra­ten wäre.

Von glei­chem, wenn nicht noch von hö­he­rem Al­ter als er war ein Herr von Mala­part, ein rei­cher Mann, der ein sehr schö­nes Haus am Ross­markt be­saß und gute Ein­künf­te von Sa­li­nen zog. Auch er leb­te sehr ab­ge­son­dert; doch war er Som­mers viel in sei­nem Gar­ten vor dem Bo­cken­hei­mer Tore, wo er einen sehr schö­nen Nel­ken­flor war­te­te und pfleg­te.

Von Rei­neck war auch ein Nel­ken­freund; die Zeit des Flors war da, und es ge­sch­a­hen ei­ni­ge An­re­gun­gen, ob man sich nicht wech­sel­sei­tig be­su­chen woll­te. Wir lei­te­ten die Sa­che ein und trie­ben es so lan­ge, bis end­lich von Rei­neck sich ent­schloss, mit uns einen Sonn­tag Nach­mit­tag hin­aus zu fah­ren. Die Be­grü­ßung der bei­den al­ten Her­ren war sehr la­ko­nisch, ja bloß pan­to­mi­misch, und man ging mit wahr­haft di­plo­ma­ti­schem Schritt an den lan­gen Nel­ken­ge­rüs­ten hin und her. Der Flor war wirk­lich au­ßer­or­dent­lich schön, und die be­son­dern For­men und Far­ben der ver­schie­de­nen Blu­men, die Vor­zü­ge der einen vor der an­de­ren und ihre Sel­ten­heit mach­ten denn doch zu­letzt eine Art von Ge­spräch aus, wel­ches ganz freund­lich zu wer­den schi­en; wor­über wir an­de­ren uns umso mehr freu­ten, als wir in ei­ner be­nach­bar­ten Lau­be den kost­bars­ten al­ten Rhein­wein in ge­schlif­fe­nen Fla­schen, schö­nes Obst und an­de­re gute Din­ge auf­ge­tischt sa­hen. Lei­der aber soll­ten wir sie nicht ge­nie­ßen. Denn un­glück­li­cher­wei­se sah von Rei­neck eine sehr schö­ne Nel­ke vor sich, die aber den Kopf et­was nie­der­senk­te; er griff da­her sehr zier­lich mit dem Zei­ge- und Mit­tel­fin­ger vom Sten­gel her­auf ge­gen den Kelch und hob die Blu­me von hin­ten in die Höhe, so­dass er sie wohl be­trach­ten konn­te. Aber auch die­se zar­te Berüh­rung ver­dross den Be­sit­zer: von Mala­part er­in­ner­te, zwar höf­lich, aber doch steif ge­nug und eher et­was selbst­ge­fäl­lig an das o­cu­lis, non ma­ni­bus. Von Rei­neck hat­te die Blu­me schon los­ge­las­sen, fing aber auf je­nes Wort gleich Feu­er und sag­te mit sei­ner ge­wöhn­li­chen Tro­cken­heit und Ernst: es sei ei­nem Ken­ner und Lieb­ha­ber wohl ge­mäß, eine Blu­me auf die Wei­se zu be­rüh­ren und zu be­trach­ten; wor­auf er denn je­nen Gest wie­der­hol­te und sie noch ein­mal zwi­schen die Fin­ger nahm. Die bei­der­sei­ti­gen Haus­freun­de – denn auch von Mala­part hat­te einen bei sich – wa­ren nun in der größ­ten Ver­le­gen­heit. Sie lie­ßen einen Ha­sen nach dem an­de­ren lau­fen (dies war uns­re sprüchwört­li­che Re­dens­art, wenn ein Ge­spräch soll­te un­ter­bro­chen und auf einen an­de­ren Ge­gen­stand ge­lenkt wer­den); al­lein es woll­te nichts ver­fan­gen: die al­ten Her­ren wa­ren ganz stumm ge­wor­den, und wir fürch­te­ten je­den Au­gen­blick, von Rei­neck möch­te je­nen Akt wie­der­ho­len; da wäre es denn um uns alle ge­schehn ge­we­sen. Die bei­den Haus­freun­de hiel­ten ihre Her­ren aus ein­an­der, in­dem sie sel­bi­ge bald da bald dort be­schäf­tig­ten, und das klügs­te war, dass wir end­lich auf­zu­bre­chen An­stalt mach­ten; und so muss­ten wir lei­der den rei­zen­den Kre­denz­tisch un­ge­nos­sen mit dem Rücken an­se­hen.

Ho­frat Hüs­gen, nicht von Frank­furt ge­bür­tig, re­for­mier­ter Re­li­gi­on und des­we­gen kei­ner öf­fent­li­chen Stel­le noch auch der Ad­vo­ka­tur fä­hig, die er je­doch, weil man ihm als vor­treff­li­chem Ju­ris­ten viel Ver­trau­en schenk­te, un­ter frem­der Si­gna­tur ganz ge­las­sen so­wohl in Frank­furt als bei den Reichs­ge­rich­ten zu füh­ren wuss­te, war wohl schon sech­zig Jahr alt, als ich mit sei­nem Soh­ne Schreib­stun­de hat­te und da­durch ins Haus kam. Sei­ne Ge­stalt war groß, lang, ohne ha­ger, breit, ohne be­leibt zu sein. Sein Ge­sicht, nicht al­lein von den Blat­tern ent­stellt, son­dern auch des einen Au­ges be­raubt, sah man die ers­te Zeit nur mit Appre­hen­si­on. Er trug auf ei­nem kah­len Haup­te im­mer eine ganz wei­ße Glo­cken­müt­ze, oben mit ei­nem Ban­de ge­bun­den. Sei­ne Schlafrö­cke von Kal­mank oder Da­mast wa­ren durch­aus sehr sau­ber. Er be­wohn­te eine gar heitre Zim­mer­flucht auf glei­cher Erde an der Al­lee, und die Rein­lich­keit sei­ner Um­ge­bung ent­sprach die­ser Hei­ter­keit. Die größ­te Ord­nung sei­ner Pa­pie­re, Bü­cher, Land­kar­ten mach­te einen an­ge­neh­men Ein­druck. Sein Sohn, Hein­rich Se­bas­ti­an, der sich durch ver­schie­de­ne Schrif­ten im Kunst­fach be­kannt ge­macht, ver­sprach in sei­ner Ju­gend we­nig. Gut­mü­tig, aber täp­pisch, nicht roh, aber doch ge­ra­de­zu und ohne be­sond­re Nei­gung, sich zu un­ter­rich­ten, such­te er lie­ber die Ge­gen­wart des Va­ters zu ver­mei­den, in­dem er von der Mut­ter al­les, was er wünsch­te, er­hal­ten konn­te. Ich hin­ge­gen nä­her­te mich dem Al­ten im­mer mehr, je mehr ich ihn ken­nen lern­te. Da er sich nur be­deu­ten­der Rechts­fäl­le an­nahm, so hat­te er Zeit ge­nug, sich auf an­de­re Wei­se zu be­schäf­ti­gen und zu un­ter­hal­ten. Ich hat­te nicht lan­ge um ihn ge­lebt und sei­ne Leh­ren ver­nom­men, als ich wohl mer­ken konn­te, dass er mit Gott und der Welt in Op­po­si­ti­on ste­he. Eins sei­ner Lieb­lings­bü­cher war A­grip­pa de va­ni­ta­te scien­tia­rum, das er mir be­son­ders emp­fahl und mein jun­ges Ge­hirn da­durch eine Zeit lang in ziem­li­che Ver­wir­rung setz­te. Ich war im Be­ha­gen der Ju­gend zu ei­ner Art von Op­ti­mis­mus ge­neigt und hat­te mich mit Gott oder den Göt­tern ziem­lich wie­der aus­ge­söhnt: denn durch eine Rei­he von Jah­ren war ich zu der Er­fah­rung ge­kom­men, dass es ge­gen das Böse man­ches Gleich­ge­wicht gebe, dass man sich von den Übeln wohl wie­der her­stel­le und dass man sich aus Ge­fah­ren ret­te und nicht im­mer den Hals bre­che. Auch was die Men­schen ta­ten und trie­ben, sah ich läss­lich an und fand man­ches Lo­bens­wür­di­ge, wo­mit mein al­ter Herr kei­nes­wegs zu­frie­den sein woll­te. Ja, als er ein­mal mir die Welt ziem­lich von ih­rer frat­zen­haf­ten Sei­te ge­schil­dert hat­te, merk­te ich ihm an, dass er noch mit ei­nem be­deu­ten­den Trump­fe zu schlie­ßen ge­den­ke. Er drück­te, wie in sol­chen Fäl­len sei­ne Art war, das blin­de lin­ke Auge stark zu, blick­te mit dem an­de­ren scharf her­vor und sag­te mit ei­ner nä­seln­den Stim­me: »Auch in Gott ent­deck’ ich Feh­ler.«

Mein Ti­mo­ni­scher Men­tor war auch Ma­the­ma­ti­ker; aber sei­ne prak­ti­sche Na­tur trieb ihn zur Mecha­nik, ob er gleich nicht selbst ar­bei­te­te. Eine für da­ma­li­ge Zei­ten we­nigs­tens wun­der­sa­me Uhr, wel­che ne­ben den Stun­den und Ta­gen auch die Be­we­gun­gen von Son­ne und Mond an­zeig­te, ließ er nach sei­ner An­ga­be ver­fer­ti­gen. Sonn­tags früh um Zehn zog er sie je­des Mal selbst auf, wel­ches er umso ge­wis­ser tun konn­te, als er nie­mals in die Kir­che ging. Ge­sell­schaft oder Gäs­te habe ich nie bei ihm ge­se­hen. An­ge­zo­gen und aus dem Hau­se ge­hend er­in­ne­re ich mir ihn in zehn Jah­ren kaum zwei­mal.

Die ver­schie­de­nen Un­ter­hal­tun­gen mit die­sen Män­nern wa­ren nicht un­be­deu­tend, und je­der wirk­te auf mich nach sei­ner Wei­se. Für einen je­den hat­te ich so viel, oft noch mehr Auf­merk­sam­keit als die ei­ge­nen Kin­der, und je­der such­te an mir, als an ei­nem ge­lieb­ten Soh­ne, sein Wohl­ge­fal­len zu ver­meh­ren, in­dem er an mir sein mo­ra­li­sches Eben­bild her­zu­stel­len trach­te­te. Olen­schla­ger woll­te mich zum Hof­mann, Rei­neck zum di­plo­ma­ti­schen Ge­schäfts­mann bil­den; bei­de, be­son­ders letz­te­rer, such­ten mir Poe­sie und Schrift­stel­le­rei zu ver­lei­den. Hüs­gen woll­te mich zum Ti­mon sei­ner Art, da­bei aber zum tüch­ti­gen Rechts­ge­lehr­ten ha­ben: ein not­wen­di­ges Hand­werk, wie er mein­te, da­mit man sich und das Sei­ni­ge ge­gen das Lum­pen­pack von Men­schen re­gel­mä­ßig ver­tei­di­gen, ei­nem Un­ter­drück­ten bei­ste­hen und al­len­falls ei­nem Schel­men et­was am Zeu­ge fli­cken kön­ne; letz­te­res je­doch sei we­der be­son­ders tun­lich noch rat­sam.

Hielt ich mich gern an der Sei­te je­ner Män­ner, um ih­ren Rat, ih­ren Fin­ger­zeig zu be­nut­zen, so for­der­ten jün­ge­re, an Al­ter mir nur we­nig vor­aus­ge­schrit­te­ne mich auf zum un­mit­tel­ba­ren Nach­ei­fern. Ich nen­ne hier vor al­len an­de­ren die Ge­brü­der Schlos­ser, und Gries­bach. Da ich je­doch mit die­sen in der Fol­ge in ge­naue­re Ver­bin­dung trat, wel­che vie­le Jah­re un­un­ter­bro­chen dau­er­te, so sage ich ge­gen­wär­tig nur so viel, dass sie uns da­mals als aus­ge­zeich­net in Spra­chen und an­de­ren, die aka­de­mi­sche Lauf­bahn er­öff­nen­den Stu­di­en ge­prie­sen und zum Mus­ter auf­ge­stellt wur­den und dass je­der­mann die ge­wis­se Er­war­tung heg­te, sie wür­den einst im Staat und in der Kir­che et­was Un­ge­mei­nes leis­ten.

Was mich be­trifft, so hat­te ich auch wohl im Sin­ne, et­was Au­ßer­or­dent­li­ches her­vor­zu­brin­gen; worin es aber be­ste­hen kön­ne, woll­te mir nicht deut­lich wer­den. Wie man je­doch eher an den Lohn denkt, den man er­hal­ten möch­te, als an das Ver­dienst, das man sich er­wer­ben soll­te, so leug­ne ich nicht, dass, wenn ich an ein wün­schens­wer­tes Glück dach­te, die­ses mir am rei­zends­ten in der Ge­stalt des Lor­beer­kran­zes er­schi­en, der den Dich­ter zu zie­ren ge­floch­ten ist.

1 fremd­län­disch, be­son­ders ro­ma­nisch, süd­län­disch <<<

2 schlak­si­ger, hoch auf­ge­schos­se­ner (jun­ger) Mann <<<

3 Der Ka­te­chis­mus, Hand­buch der Un­ter­wei­sung in den Grund­fra­gen des christ­li­chen Glau­bens. <<<

4 Kon­tor, Nie­der­las­sung ei­nes Han­dels­un­ter­neh­mens <<<

Fünftes Buch

Für alle Vö­gel gibt es Lock­spei­sen, und je­der Mensch wird auf sei­ne ei­ge­ne Art ge­lei­tet und ver­lei­tet. Na­tur, Er­zie­hung, Um­ge­bung, Ge­wohn­heit hiel­ten mich von al­lem Ro­hen ab­ge­son­dert, und ob ich gleich mit den un­tern Volks­klas­sen, be­son­ders den Hand­wer­kern, öf­ters in Berüh­rung kam, so ent­stand doch dar­aus kein nä­he­res Ver­hält­nis. Et­was Un­ge­wöhn­li­ches, viel­leicht Ge­fähr­li­ches zu un­ter­neh­men, hat­te ich zwar Ver­we­gen­heit ge­nug und fühl­te mich wohl manch­mal dazu auf­ge­legt; al­lein es man­gel­te mir die Hand­ha­be, es an­zu­grei­fen und zu fas­sen.

In­des­sen wur­de ich auf eine völ­lig un­er­war­te­te Wei­se in Ver­hält­nis­se ver­wi­ckelt, die mich ganz nahe an große Ge­fahr und we­nigs­tens für eine Zeit lang, in Ver­le­gen­heit und Not brach­ten. Mein frü­he­res gu­tes Ver­hält­nis zu je­nem Kna­ben, den ich oben Pyla­des ge­nannt, hat­te sich bis ins Jüng­lings­al­ter fort­ge­setzt. Zwar sa­hen wir uns selt­ner, weil uns­re El­tern nicht zum Bes­ten mit­ein­an­der stan­den; wo wir uns aber tra­fen, sprang im­mer so­gleich der alte freund­schaft­li­che Ju­bel her­vor. Einst be­geg­ne­ten wir uns in den Al­leen, die zwi­schen dem in­nern und äu­ßern Sankt-Gal­len­tor einen sehr an­ge­neh­men Spa­zier­gang dar­bo­ten. Wir hat­ten uns kaum be­grüßt, als er zu mir sag­te: »Es geht mir mit dei­nen Ver­sen noch im­mer wie sonst. Die­je­ni­gen, die du mir neu­lich mit­teil­test, habe ich ei­ni­gen lus­ti­gen Ge­sel­len vor­ge­le­sen, und kei­ner will glau­ben, dass du sie ge­macht ha­best.« – »Lass es gut sein«, ver­setz­te ich: »wir wol­len sie ma­chen, uns dar­an er­get­zen, und die an­de­ren mö­gen da­von den­ken und sa­gen, was sie wol­len.«

»Da kommt eben der Ungläu­bi­ge!« sag­te mein Freund. – »Wir wol­len nicht da­von re­den«, war mei­ne Ant­wort. »Was hilft’s, man be­kehrt sie doch nicht.« – »Mit­nich­ten«, sag­te der Freund, »ich kann es ihm nicht so hin­ge­hen las­sen.«

Nach ei­ner kur­z­en gleich­gül­ti­gen Un­ter­hal­tung konn­te es der für mich nur all­zu wohl­ge­sinn­te jun­ge Ge­sell nicht las­sen und sag­te mit ei­ni­ger Emp­find­lich­keit ge­gen je­nen: »Hier ist nun der Freund, der die hüb­schen Ver­se ge­macht hat, und die Ihr ihm nicht zu­trau­en wollt.« – »Er wird es ge­wiss nicht übel neh­men«, ver­setz­te je­ner: »denn es ist ja eine Ehre, die wir ihm er­wei­sen, wenn wir glau­ben, dass weit mehr Ge­lehr­sam­keit dazu ge­hö­re, sol­che Ver­se zu ma­chen, als er bei sei­ner Ju­gend be­sit­zen kann.« – Ich er­wi­der­te et­was Gleich­gül­ti­ges; mein Freund aber fuhr fort: »Es wird nicht viel Mühe kos­ten, Euch zu über­zeu­gen. Gebt ihm ir­gend ein The­ma auf, und er macht Euch ein Ge­dicht aus dem Steg­reif.« – Ich ließ es mir ge­fal­len, wir wur­den ei­nig, und der drit­te frag­te mich: ob ich mich wohl ge­traue, einen recht ar­ti­gen Lie­bes­brief in Ver­sen auf­zu­set­zen, den ein ver­schäm­tes jun­ges Mäd­chen an einen Jüng­ling schrie­be, um ihre Nei­gung zu of­fen­ba­ren. – »Nichts ist leich­ter als das«, ver­setz­te ich: »wenn wir nur ein Schreib­zeug hät­ten.« Je­ner brach­te sei­nen Ta­schen­ka­len­der her­vor, worin sich wei­ße Blät­ter in Men­ge be­fan­den, und ich setz­te mich auf eine Bank, zu schrei­ben. Sie gin­gen in­des auf und ab und lie­ßen mich nicht aus den Au­gen. So­gleich fass­te ich die Si­tua­ti­on in den Sinn und dach­te mir, wie ar­tig es sein müss­te, wenn ir­gend ein hüb­sches Kind mir wirk­lich ge­wo­gen wäre und es mir in Pro­sa oder in Ver­sen ent­de­cken woll­te. Ich be­gann da­her ohne An­stand mei­ne Er­klä­rung und führ­te sie in ei­nem zwi­schen dem Knüt­tel­vers und Ma­d­ri­gal schwe­ben­den Sil­ben­ma­ße mit mög­lichs­ter Nai­ve­tät in kur­z­er Zeit der­ge­stalt aus, dass, als ich dies Ge­dicht­chen den bei­den vor­las, der Zweif­ler in Ver­wun­de­rung und mein Freund in Ent­zücken ver­setzt wur­de. Je­nem konn­te ich auf sein Ver­lan­gen das Ge­dicht umso we­ni­ger ver­wei­gern, als es in sei­nen Ka­len­der ge­schrie­ben war und ich das Do­ku­ment mei­ner Fä­hig­kei­ten gern in sei­nen Hän­den sah. Er schied un­ter vie­len Ver­si­che­run­gen von Be­wun­de­rung und Nei­gung und wünsch­te nichts mehr, als uns öf­ter zu be­geg­nen, und wir mach­ten aus, bald zu­sam­men aufs Land zu ge­hen.

Uns­re Par­tie kam zu stan­de, zu der sich noch meh­re­re jun­ge Leu­te von je­nem Schla­ge ge­sell­ten. Es wa­ren Men­schen aus dem mitt­lern, ja, wenn man will, aus dem nie­dern Stan­de, de­nen es an Kopf nicht fehl­te und die auch, weil sie durch die Schu­le ge­lau­fen, man­che Kennt­nis und eine ge­wis­se Bil­dung hat­ten. In ei­ner großen rei­chen Stadt gibt es vie­ler­lei Er­werbs­zwei­ge. Sie hal­fen sich durch, in­dem sie für die Ad­vo­ka­ten schrie­ben, Kin­der der ge­rin­gern Klas­se durch Haus­un­ter­richt et­was wei­ter brach­ten, als es in Tri­vi­al­schu­len zu ge­sche­hen pflegt. Mit er­wach­se­nern Kin­dern, wel­che kon­fir­miert wer­den soll­ten, re­pe­tier­ten sie den Re­li­gi­ons­un­ter­richt, lie­fen dann wie­der den Mä­k­lern oder Kauf­leu­ten ei­ni­ge Wege und ta­ten sich abends, be­son­ders aber an Sonn- und Fei­er­ta­gen, auf eine fru­ga­le Wei­se et­was zu gute.

In­dem sie nun un­ter­wegs mei­ne Lie­bes­e­pis­tel auf das bes­te her­aus­stri­chen, ge­stan­den sie mir, dass sie einen sehr lus­ti­gen Ge­brauch da­von ge­macht hät­ten: sie sei näm­lich mit ver­stell­ter Hand ab­ge­schrie­ben und mit ei­ni­gen nä­hern Be­zie­hun­gen ei­nem ein­ge­bil­de­ten jun­gen Man­ne zu­ge­scho­ben wor­den, der nun in der fes­ten Über­zeu­gung ste­he, ein Frau­en­zim­mer, dem er von fern den Hof ge­macht, sei in ihn aufs äu­ßers­te ver­liebt und su­che Ge­le­gen­heit, ihm nä­her be­kannt zu wer­den. Sie ver­trau­ten mir da­bei, er wün­sche nichts mehr, als ihr auch in Ver­sen ant­wor­ten zu kön­nen; aber we­der bei ihm noch bei ih­nen fin­de sich Ge­schick dazu, wes­halb sie mich in­stän­dig bä­ten, die ge­wünsch­te Ant­wort selbst zu ver­fas­sen.

My­sti­fi­ka­tio­nen1 sind und blei­ben eine Un­ter­hal­tung für mü­ßi­ge, mehr oder we­ni­ger geist­rei­che Men­schen. Eine läss­li­che Bos­heit, eine selbst­ge­fäl­li­ge Scha­den­freu­de sind ein Ge­nuss für die­je­ni­gen, die sich we­der mit sich selbst be­schäf­ti­gen noch nach au­ßen heil­sam wir­ken kön­nen. Kein Al­ter ist ganz frei von ei­nem sol­chen Kit­zel. Wir hat­ten uns in un­sern Kna­ben­jah­ren ein­an­der oft an­ge­führt: vie­le Spie­le be­ru­hen auf sol­chen My­sti­fi­ka­tio­nen und At­tra­pen. Der ge­gen­wär­ti­ge Scherz schi­en mir nicht wei­ter zu ge­hen: ich wil­lig­te ein; sie teil­ten mir man­ches Be­son­de­re mit, was der Brief ent­hal­ten soll­te, und wir brach­ten ihn schon fer­tig mit nach Hau­se.

Kur­ze Zeit dar­auf wur­de ich durch mei­nen Freund drin­gend ein­ge­la­den, an ei­nem Abend­fes­te je­ner Ge­sell­schaft teil­zu­neh­men. Der Lieb­ha­ber wol­le es dies­mal aus­stat­ten und ver­lan­ge da­bei aus­drück­lich dem Freun­de zu dan­ken, der sich so vor­treff­lich als poe­ti­scher Se­kre­tär er­wie­sen.

Wir ka­men spät ge­nug zu­sam­men, die Mahl­zeit war die fru­gals­te, der Wein trink­bar; und was die Un­ter­hal­tung be­traf, so dreh­te sie sich fast gänz­lich um die Ver­höh­nung des ge­gen­wär­ti­gen, frei­lich nicht sehr auf­ge­weck­ten Men­schen, der nach wie­der­hol­ter Le­sung des Brie­fes nicht weit da­von war, zu glau­ben, er habe ihn selbst ge­schrie­ben.

Mei­ne na­tür­li­che Gut­mü­tig­keit ließ mich an ei­ner sol­chen bos­haf­ten Ver­stel­lung we­nig Freu­de fin­den, und die Wie­der­ho­lung des­sel­ben The­mas ekel­te mich bald an. Ge­wiss, ich brach­te einen ver­drieß­li­chen Abend hin, wenn nicht eine un­er­war­te­te Er­schei­nung mich wie­der be­lebt hät­te. Bei un­se­rer An­kunft stand be­reits der Tisch rein­lich und or­dent­lich ge­deckt, hin­rei­chen­der Wein auf­ge­stellt; wir setz­ten uns und blie­ben al­lein, ohne Be­die­nung nö­tig zu ha­ben. Als es aber doch zu­letzt an Wein ge­brach, rief ei­ner nach der Magd; al­lein statt der­sel­ben trat ein Mäd­chen her­ein von un­ge­mei­ner, und, wenn man sie in ih­rer Um­ge­bung sah, von un­glaub­li­cher Schön­heit. – »Was ver­langt ihr?« sag­te sie, nach­dem sie auf eine freund­li­che Wei­se gu­ten Abend ge­bo­ten, »die Magd ist krank und zu Bet­te, kann ich euch die­nen?« – »Es fehlt an Wein«, sag­te der eine. »Wenn du uns ein paar Fla­schen hol­test, so wäre es sehr hübsch.« – »Tu es, Gret­chen«, sag­te der an­de­re: »es ist ja nur ein Kat­zen­sprung.« – »Wa­rum nicht!« ver­setz­te sie, nahm ein paar lee­re Fla­schen vom Tisch und eil­te fort. Ihre Ge­stalt war von der Rück­sei­te fast noch zier­li­cher. Das Häub­chen saß so nett auf dem klei­nen Kop­fe, den ein schlan­ker Hals gar an­mu­tig mit Na­cken und Schul­tern ver­band. Al­les an ihr schi­en aus­er­le­sen, und man konn­te der gan­zen Ge­stalt umso ru­hi­ger fol­gen, als die Auf­merk­sam­keit nicht mehr durch die stil­len, treu­en Au­gen und den lieb­li­chen Mund al­lein an­ge­zo­gen und ge­fes­selt wur­de. Ich mach­te den Ge­sel­len Vor­wür­fe, dass sie das Kind in der Nacht al­lein aus­schick­ten; sie lach­ten mich aus, und ich war bald ge­trös­tet, als sie schon wie­der­kam: denn der Schenk­wirt wohn­te nur über die Stra­ße. »Set­ze dich da­für auch zu uns«, sag­te der eine. Sie tat es, aber lei­der kam sie nicht ne­ben mich. Sie trank ein Glas auf uns­re Ge­sund­heit und ent­fern­te sich bald, in­dem sie uns riet, nicht gar lan­ge bei­sam­men zu blei­ben und über­haupt nicht so laut zu wer­den: denn die Mut­ter wol­le sich eben zu Bet­te le­gen. Es war nicht ihre Mut­ter, son­dern die un­se­rer Wir­te.

Die Ge­stalt die­ses Mäd­chens ver­folg­te mich von dem Au­gen­blick an auf al­len We­gen und Ste­gen: es war der ers­te blei­ben­de Ein­druck, den ein weib­li­ches We­sen auf mich ge­macht hat­te; und da ich einen Vor­wand, sie im Hau­se zu se­hen, we­der fin­den konn­te noch su­chen moch­te, ging ich ihr zu­lie­be in die Kir­che und hat­te bald aus­ge­spürt, wo sie saß; und so konn­te ich wäh­rend des lan­gen pro­tes­tan­ti­schen Got­tes­diens­tes mich wohl satt an ihr se­hen. Beim Her­aus­ge­hen ge­trau­te ich mich nicht, sie an­zu­re­den, noch we­ni­ger sie zu be­glei­ten, und war schon se­lig, wenn sie mich be­merkt und ge­gen einen Gruß ge­nickt zu ha­ben schi­en. Doch ich soll­te das Glück, mich ihr zu nä­hern, nicht lan­ge ent­beh­ren. Man hat­te je­nen Lie­ben­den, des­sen poe­ti­scher Se­kre­tär ich ge­wor­den war, glau­ben ge­macht, der in sei­nem Na­men ge­schrie­be­ne Brief sei wirk­lich an das Frau­en­zim­mer ab­ge­ge­ben wor­den, und zu­gleich sei­ne Er­war­tung aufs äu­ßers­te ge­spannt, dass nun bald eine Ant­wort dar­auf er­fol­gen müs­se. Auch die­se soll­te ich schrei­ben, und die schal­ki­sche Ge­sell­schaft ließ mich durch Pyla­des aufs in­stän­digs­te er­su­chen, al­len mei­nen Witz auf­zu­bie­ten und alle mei­ne Kunst zu ver­wen­den, dass die­ses Stück recht zier­lich und voll­kom­men wer­de.

In Hoff­nung, mei­ne Schö­ne wie­der­zu­se­hen, mach­te ich mich so­gleich ans Werk und dach­te mir nun al­les, was mir höchst wohl­ge­fäl­lig sein wür­de, wenn Gret­chen es mir schrie­be. Ich glaub­te al­les so aus ih­rer Ge­stalt, ih­rem We­sen, ih­rer Art, ih­rem Sinn her­aus ge­schrie­ben zu ha­ben, dass ich mich des Wun­sches nicht ent­hal­ten konn­te, es möch­te wirk­lich so sein, und mich in Ent­zücken ver­lor, nur zu den­ken, dass et­was Ähn­li­ches von ihr an mich könn­te ge­rich­tet wer­den. So my­sti­fi­zier­te ich mich selbst, in­dem ich mein­te, einen an­de­ren zum Bes­ten zu ha­ben, und es soll­te mir dar­aus noch man­che Freu­de und man­ches Un­ge­mach ent­sprin­gen. Als ich aber­mals ge­mahnt wur­de, war ich fer­tig, ver­sprach zu kom­men und fehl­te nicht zur be­stimm­ten Stun­de. Es war nur ei­ner von den jun­gen Leu­ten zu Hau­se; Gret­chen saß am Fens­ter und spann, die Mut­ter ging ab und zu. Der jun­ge Mensch ver­lang­te, dass ich’s ihm vor­le­sen soll­te; ich tat es und las nicht ohne Rüh­rung, in­dem ich über das Blatt weg nach dem schö­nen Kin­de hin­schiel­te, und da ich eine ge­wis­se Un­ru­he ih­res We­sens, eine leich­te Röte ih­rer Wan­gen zu be­mer­ken glaub­te, drück­te ich nur bes­ser und leb­haf­ter aus, was ich von ihr zu ver­neh­men wünsch­te. Der Vet­ter, der mich oft durch Lo­bes­er­he­bun­gen un­ter­bro­chen hat­te, er­such­te mich zu­letzt um ei­ni­ge Ab­än­de­run­gen. Sie be­tra­fen ei­ni­ge Stel­len, die frei­lich mehr auf Gret­chens Zu­stand, als auf den je­nes Frau­en­zim­mers pass­ten, das von gu­tem Hau­se, wohl­ha­bend, in der Stadt be­kannt und an­ge­se­hen war. Nach­dem der jun­ge Mann mir die ge­wünsch­ten Än­de­run­gen ar­ti­ku­liert und ein Schreib­zeug her­bei­ge­holt hat­te, sich aber we­gen ei­nes Ge­schäfts auf kur­ze Zeit be­ur­laub­te, blieb ich auf der Wand­bank hin­ter dem großen Ti­sche sit­zen und pro­bier­te die zu ma­chen­den Ver­än­de­run­gen auf der großen, fast den gan­zen Tisch ein­neh­men­den Schie­fer­plat­te, mit ei­nem Grif­fel, der stets im Fens­ter lag, weil man auf die­ser Stein­flä­che oft rech­ne­te, sich man­cher­lei no­tier­te, ja die Ge­hen­den und Kom­men­den sich so­gar No­ti­zen da­durch mit­teil­ten.

Ich hat­te eine Zeit lang ver­schie­de­nes ge­schrie­ben und wie­der aus­ge­löscht, als ich un­ge­dul­dig aus­rief: »Es will nicht ge­hen!« – »De­sto bes­ser!« sag­te das lie­be Mäd­chen mit ei­nem ge­setz­ten Tone, »ich wünsch­te, es gin­ge gar nicht. Sie soll­ten sich mit sol­chen Hän­deln nicht be­fas­sen.« – Sie stand vom Spinn­ro­cken auf, und zu mir an den Tisch tre­tend, hielt sie mir mit viel Ver­stand und Freund­lich­keit eine Straf­pre­digt. »Die Sa­che scheint ein un­schul­di­ger Scherz; es ist ein Scherz, aber nicht un­schul­dig. Ich habe schon meh­re­re Fäl­le er­lebt, wo un­se­re jun­gen Leu­te we­gen ei­nes sol­chen Fre­vels in große Ver­le­gen­heit ka­men.« – »Was soll ich aber tun?« ver­setz­te ich: »der Brief ist ge­schrie­ben, und sie ver­las­sen sich drauf, dass ich ihn um­än­dern wer­de.« – »Glau­ben Sie mir«, ver­setz­te sie, »und än­dern ihn nicht um; ja neh­men Sie ihn zu­rück, ste­cken Sie ihn ein, ge­hen Sie fort und su­chen die Sa­che durch Ihren Freund ins Glei­che zu brin­gen. Ich will auch ein Wört­chen mit drein­re­den: denn, se­hen Sie, so ein ar­mes Mäd­chen, als ich bin, und ab­hän­gig von die­sen Ver­wand­ten, die zwar nichts Bö­ses tun, aber doch oft um der Lust und des Ge­winns wil­len man­ches Wa­ge­hal­si­ge vor­neh­men, ich habe wi­der­stan­den und den ers­ten Brief nicht ab­ge­schrie­ben, wie man von mir ver­lang­te; sie ha­ben ihn mit ver­stell­ter Hand ko­piert, und so mö­gen sie auch, wenn es nicht an­ders ist, mit die­sem tun. Und Sie, ein jun­ger Mann aus gu­tem Hau­se, wohl­ha­bend, un­ab­hän­gig, warum wol­len Sie sich zum Werk­zeug in ei­ner Sa­che ge­brau­chen las­sen, aus der ge­wiss nichts Gu­tes und viel­leicht man­ches Un­an­ge­neh­me für Sie ent­sprin­gen kann?« – Ich war glück­lich, sie in ei­ner Fol­ge re­den zu hö­ren: denn sonst gab sie nur we­ni­ge Wor­te in das Ge­spräch. Mei­ne Nei­gung wuchs un­glaub­lich, ich war nicht Herr von mir selbst und er­wi­der­te: »Ich bin so un­ab­hän­gig nicht, als Sie glau­ben, und was hilft mir, wohl­ha­bend zu sein, da mir das köst­lichs­te fehlt, was ich wün­schen dürf­te!«

Sie hat­te mein Kon­zept der poe­ti­schen Epis­tel vor sich hin­ge­zo­gen und las es halb laut, gar hold und an­mu­tig. »Das ist recht hübsch«, sag­te sie, in­dem sie bei ei­ner Art nai­ver Poin­te in­ne­hielt, »nur scha­de, dass es nicht zu ei­nem bes­sern, zu ei­nem wah­ren Ge­brauch be­stimmt ist.« – »Das wäre frei­lich sehr wün­schens­wert«, rief ich aus: »wie glück­lich müss­te der sein, der von ei­nem Mäd­chen, das er un­end­lich liebt, eine sol­che Ver­si­che­rung ih­rer Nei­gung er­hiel­te!« – »Es ge­hört frei­lich viel dazu«, ver­setz­te sie, »und doch wird man­ches mög­lich.« – »Zum Bei­spiel«, fuhr ich fort, »wenn je­mand, der Sie kennt, schätzt, ver­ehrt und an­be­tet, Ih­nen ein sol­ches Blatt vor­leg­te und Sie recht drin­gend, recht herz­lich und freund­lich bäte, was wür­den Sie tun?« – Ich schob ihr das Blatt nä­her hin, das sie schon wie­der mir zu­ge­scho­ben hat­te. Sie lä­chel­te, be­sann sich einen Au­gen­blick, nahm die Fe­der und un­ter­schrieb. Ich kann­te mich nicht vor Ent­zücken, sprang auf und woll­te sie um­ar­men. – »Nicht küs­sen!« sag­te sie, »das ist so was Ge­mei­nes; aber lie­ben, wenn’s mög­lich ist.« Ich hat­te das Blatt zu mir ge­nom­men und ein­ge­steckt. »Nie­mand soll es er­hal­ten«, sag­te ich, »und die Sa­che ist ab­ge­tan! Sie ha­ben mich ge­ret­tet.« – »Nun vollen­den Sie die Ret­tung«, rief sie aus, »und ei­len fort, ehe die an­de­ren kom­men und Sie in Pein und Ver­le­gen­heit ge­ra­ten.« Ich konn­te mich nicht von ihr los­rei­ßen; sie aber bat mich so freund­lich, in­dem sie mit bei­den Hän­den mei­ne Rech­te nahm und lie­be­voll drück­te. Die Trä­nen wa­ren mir nicht weit: ich glaub­te ihre Au­gen feucht zu se­hen; ich drück­te mein Ge­sicht auf ihre Hän­de und eil­te fort. In mei­nem Le­ben hat­te ich mich nicht in ei­ner sol­chen Ver­wir­rung be­fun­den.

Die ers­ten Lie­bes­nei­gun­gen ei­ner un­ver­dor­be­nen Ju­gend neh­men durch­aus eine geis­ti­ge Wen­dung. Die Na­tur scheint zu wol­len, dass ein Ge­schlecht in dem an­de­ren das Gute und Schö­ne sinn­lich ge­wahr wer­de. Und so war auch mir durch den An­blick die­ses Mäd­chens, durch mei­ne Nei­gung zu ihr eine neue Welt des Schö­nen und Vor­treff­li­chen auf­ge­gan­gen. Ich las mei­ne poe­ti­sche Epis­tel hun­dert­mal durch, be­schau­te die Un­ter­schrift, küss­te sie, drück­te sie an mein Herz und freu­te mich die­ses lie­bens­wür­di­gen Be­kennt­nis­ses. Je mehr sich aber mein Ent­zücken stei­ger­te, de­sto we­her tat es mir, sie nicht un­mit­tel­bar be­su­chen, sie nicht wie­der se­hen und spre­chen zu kön­nen: denn ich fürch­te­te die Vor­wür­fe der Vet­tern und ihre Zu­dring­lich­keit. Den gu­ten Pyla­des, der die Sa­che ver­mit­teln konn­te, wuss­te ich nicht an­zu­tref­fen. Ich mach­te mich da­her den nächs­ten Sonn­tag auf nach Nie­der­rad, wo­hin jene Ge­sel­len ge­wöhn­lich zu ge­hen pfleg­ten, und fand sie auch wirk­lich. Sehr ver­wun­dert war ich je­doch, da sie mir, an­statt ver­drieß­lich und fremd zu tun, mit fro­hem Ge­sicht ent­ge­gen ka­men. Der jüngs­te be­son­ders war sehr freund­lich, nahm mich bei der Hand und sag­te: »Ihr habt uns neu­lich einen schel­mi­schen Streich ge­spielt, und wir wa­ren auf Euch recht böse; doch hat uns Euer Ent­wei­chen und das Ent­wen­den der poe­ti­schen Epis­tel auf einen gu­ten Ge­dan­ken ge­bracht, der uns viel­leicht sonst nie­mals auf­ge­gan­gen wäre. Zur Ver­söh­nung mö­get Ihr uns heu­te be­wir­ten, und da­bei sollt Ihr er­fah­ren, was es denn ist, wor­auf wir uns et­was ein­bil­den und was Euch ge­wiss auch Freu­de ma­chen wird.« Die­se An­re­de setz­te mich in nicht ge­rin­ge Ver­le­gen­heit: denn ich hat­te un­ge­fähr so viel Geld bei mir, um mir selbst und ei­nem Freun­de et­was zu gute zu tun, aber eine Ge­sell­schaft, und be­son­ders eine sol­che, die nicht im­mer zur rech­ten Zeit ihre Gren­zen fand, zu gas­tie­ren, war ich kei­nes­wegs ein­ge­rich­tet; ja die­ser An­trag ver­wun­der­te mich umso mehr, als sie sonst durch­aus sehr eh­ren­voll dar­auf hiel­ten, dass je­der nur sei­ne Ze­che be­zahl­te. Sie lä­chel­ten über mei­ne Ver­le­gen­heit, und der Jün­ge­re fuhr fort: »Lasst uns erst in der Lau­be sit­zen, und dann sollt Ihr das weitre er­fah­ren.« Wir sa­ßen, und er sag­te: »Als Ihr die Lie­bes­e­pis­tel neu­lich mit­ge­nom­men hat­tet, spra­chen wir die gan­ze Sa­che noch ein­mal durch und mach­ten die Be­trach­tung, dass wir so ganz um­sonst, an­de­ren zum Ver­druss und uns zur Ge­fahr, aus blo­ßer lei­di­ger Scha­den­freu­de, Euer Ta­lent miss­brau­chen, da wir es doch zu un­ser al­ler Vor­teil be­nut­zen könn­ten. Seht, ich habe hier eine Be­stel­lung auf ein Hoch­zeit­ge­dicht, so­wie auf ein Lei­chen­car­men. Das zwei­te muss gleich fer­tig sein, das ers­te hat noch acht Tage Zeit. Mögt Ihr sie ma­chen, wel­ches Euch ein Leich­tes ist, so trak­tiert Ihr uns zwei­mal, und wir blei­ben auf lan­ge Zeit Eure Schuld­ner.« – Die­ser Vor­schlag ge­fiel mir von al­len Sei­ten: denn ich hat­te schon von Ju­gend auf die Ge­le­gen­heits­ge­dich­te, de­ren da­mals in je­der Wo­che meh­re­re zir­ku­lier­ten, ja be­son­ders bei an­sehn­li­chen Ver­hei­ra­tun­gen dut­zend­wei­se zum Vor­schein ka­men, mit ei­nem ge­wis­sen Neid be­trach­tet, weil ich sol­che Din­ge eben so gut, ja noch bes­ser zu ma­chen glaub­te. Nun ward mir die Ge­le­gen­heit an­ge­bo­ten, mich zu zei­gen, und be­son­ders, mich ge­druckt zu se­hen. Ich er­wies mich nicht ab­ge­neigt. Man mach­te mich mit den Per­so­na­li­en, mit den Ver­hält­nis­sen der Fa­mi­lie be­kannt; ich ging et­was ab­seits, mach­te mei­nen Ent­wurf und führ­te ei­ni­ge Stro­phen aus. Da ich mich je­doch wie­der zur Ge­sell­schaft be­gab und der Wein nicht ge­schont wur­de, so fing das Ge­dicht an, zu sto­cken, und ich konn­te es die­sen Abend nicht ab­lie­fern. »Es hat noch bis mor­gen Abend Zeit«, sag­ten sie, »und wir wol­len Euch nur ge­ste­hen, das Ho­no­rar, wel­ches wir für das Lei­chen­car­men er­hal­ten, reicht hin, uns mor­gen noch einen lus­ti­gen Abend zu ver­schaf­fen. Kommt zu uns: denn es ist bil­lig, dass Gret­chen auch mit ge­nie­ße, die uns ei­gent­lich auf die­sen Ein­fall ge­bracht hat.« – Mei­ne Freu­de war un­säg­lich. Auf dem Heim­we­ge hat­te ich nur die noch feh­len­den Stro­phen im Sin­ne, schrieb das Gan­ze noch vor Schla­fen­gehn nie­der und den an­de­ren Mor­gen sehr sau­ber ins Rei­ne. Der Tag ward mir un­end­lich lang, und kaum war es dun­kel ge­wor­den, so fand ich mich wie­der in der klei­nen en­gen Woh­nung ne­ben dem al­ler­liebs­ten Mäd­chen.

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Hacim:
1161 s. 2 illüstrasyon
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9783962818869
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