Kitabı oku: «Dichtung und Wahrheit», sayfa 2

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Be­deu­ten­der noch und in ei­nem an­de­ren Sin­ne frucht­ba­rer blieb für uns das Rat­haus, der Rö­mer ge­nannt. In sei­nen un­tern ge­wöl­b­ähn­li­chen Hal­len ver­lo­ren wir uns gar zu ger­ne. Wir ver­schaff­ten uns Ein­tritt in das große, höchst ein­fa­che Ses­si­ons­zim­mer des Ra­tes. Bis auf eine ge­wis­se Höhe ge­tä­felt, wa­ren üb­ri­gens die Wän­de so wie die Wöl­bung weiß, und das Gan­ze ohne Spur von Ma­le­rei oder ir­gend ei­nem Bild­werk. Nur an der mit­tels­ten Wand in der Höhe las man die kur­ze In­schrift:

Ei­nes Manns Rede

Ist kei­nes Manns Rede:

Man soll sie bil­lig hö­ren Bee­de.

Nach der al­ter­tüm­lichs­ten Art wa­ren für die Glie­der die­ser Ver­samm­lung Bän­ke rings­um­her an der Ver­tä­fe­lung an­ge­bracht und um eine Stu­fe von dem Bo­den er­höht. Da be­grif­fen wir leicht, warum die Rang­ord­nung uns­res Se­nats nach Bän­ken ein­ge­teilt sei. Von der Türe lin­ker Hand bis in die ge­gen­über­ste­hen­de Ecke, als auf der ers­ten Bank, sa­ßen die Schöf­fen, in der Ecke selbst der Schult­heiß, der ein­zi­ge, der ein klei­nes Tisch­chen vor sich hat­te; zu sei­ner Lin­ken bis ge­gen die Fens­ter­sei­te sa­ßen nun­mehr die Her­ren der zwei­ten Bank; an den Fens­tern her zog sich die drit­te Bank, wel­che die Hand­wer­ker ein­nah­men; in der Mit­te des Saals stand ein Tisch für den Pro­to­koll­füh­rer.

Wa­ren wir ein­mal im Rö­mer, so misch­ten wir uns auch wohl in das Ge­drän­ge vor den bur­ge­meis­ter­li­chen Au­di­en­zen. Aber grö­ße­ren Reiz hat­te al­les, was sich auf Wahl und Krö­nung der Kai­ser be­zog. Wir wuss­ten uns die Gunst der Schlie­ßer zu ver­schaf­fen, um die neue, heitre, in Fres­ko ge­mal­te, sonst durch ein Git­ter ver­schlos­se­ne Kai­ser­trep­pe hin­auf­stei­gen zu dür­fen. Das mit Pur­pur­ta­pe­ten und wun­der­lich ver­schnör­kel­ten Gold­leis­ten ver­zier­te Wahl­zim­mer flö­ßte uns Ehr­furcht ein. Die Tür­stücke, auf wel­chen klei­ne Kin­der oder Ge­ni­en, mit dem kai­ser­li­chen Or­nat be­klei­det, und be­las­tet mir den Reichs­in­si­gni­en, eine gar wun­der­li­che Fi­gur spie­len, be­trach­te­ten wir mit großer Auf­merk­sam­keit und hoff­ten wohl auch noch ein­mal eine Krö­nung mit Au­gen zu er­le­ben. Aus dem großen Kai­ser­saa­le konn­te man uns nur mit sehr vie­ler Mühe wie­der her­aus­brin­gen, wenn es uns ein­mal ge­glückt war, hin­ein­zu­schlüp­fen; und wir hiel­ten den­je­ni­gen für un­sern wahrs­ten Freund, der uns bei den Brust­bil­dern der sämt­li­chen Kai­ser, die in ei­ner ge­wis­sen Höhe um­her ge­malt wa­ren, et­was von ih­ren Ta­ten er­zäh­len moch­te.

Von Karl dem Gro­ßen ver­nah­men wir man­ches Mär­chen­haf­te; aber das His­to­risch-In­ter­essan­te für uns fing erst mit Ru­dolf von Habs­burg an, der durch sei­ne Mann­heit so großen Ver­wir­run­gen ein Ende ge­macht. Auch Karl der Vier­te zog uns­re Auf­merk­sam­keit an sich. Wir hat­ten schon von der gol­de­nen Bul­le und der pein­li­chen Hals­ge­richts­ord­nung ge­hört, auch dass er den Frank­fur­tern ihre An­häng­lich­keit an sei­nen ed­len Ge­gen­kai­ser, Gün­ther von Schwarz­burg, nicht ent­gel­ten ließ. Ma­xi­mi­lia­nen hör­ten wir als einen Men­schen- und Bür­ger­freund lo­ben, und dass von ihm pro­phe­zeit wor­den, er wer­de der letz­te Kai­ser aus ei­nem deut­schen Hau­se sein; wel­ches denn auch lei­der ein­ge­trof­fen, in­dem nach sei­nem Tode die Wahl nur zwi­schen dem Kö­nig von Spa­ni­en, Karl dem Fünf­ten, und dem Kö­nig von Frank­reich, Franz dem Ers­ten, ge­schwankt habe. Be­denk­lich füg­te man hin­zu, dass nun aber­mals eine sol­che Weis­sa­gung oder viel­mehr Vor­be­deu­tung um­ge­he: denn es sei au­gen­fäl­lig, dass nur noch Platz für das Bild ei­nes Kai­sers üb­rig blei­be; ein Um­stand, der, ob­gleich zu­fäl­lig schei­nend, die Pa­trio­tisch­ge­sinn­ten mit Be­sorg­nis er­fül­le.

Wenn wir nun so ein­mal un­sern Um­gang hiel­ten, ver­fehl­ten wir auch nicht, uns nach dem Dom zu be­ge­ben und da­selbst das Grab je­nes bra­ven, von Freund und Fein­den ge­schätz­ten Gün­ther zu be­su­chen. Der merk­wür­di­ge Stein, der es eh­mals be­deck­te, ist in dem Chor auf­ge­rich­tet. Die gleich da­ne­ben be­find­li­che Türe, wel­che ins Con­cla­ve führt, blieb uns lan­ge ver­schlos­sen, bis wir end­lich durch die obe­ren Be­hör­den auch den Ein­tritt in die­sen so be­deu­ten­den Ort zu er­lan­gen wuss­ten. Al­lein wir hät­ten bes­ser ge­tan, ihn durch un­se­re Ein­bil­dungs­kraft, wie bis­her, aus­zu­ma­len: denn wir fan­den die­sen in der deut­schen Ge­schich­te so merk­wür­di­gen Raum, wo die mäch­tigs­ten Fürs­ten sich zu ei­ner Hand­lung von sol­cher Wich­tig­keit zu ver­sam­meln pfleg­ten, kei­nes­wegs wür­dig aus­ge­ziert, son­dern noch oben­ein mit Bal­ken, Stan­gen, Gerüs­ten und an­de­rem sol­chen Ge­sperr, das man bei­sei­te set­zen woll­te, ver­un­stal­tet. De­sto mehr ward un­se­re Ein­bil­dungs­kraft an­ge­regt und das Herz uns er­ho­ben, als wir kurz nach­her die Er­laub­nis er­hiel­ten, beim Vor­zei­gen der gold­nen Bul­le an ei­ni­ge vor­neh­me Frem­den auf dem Rat­hau­se ge­gen­wär­tig zu sein.

Mit vie­ler Be­gier­de ver­nahm der Kna­be so­dann, was ihm die Sei­ni­gen so wie äl­te­re Ver­wand­te und Be­kann­te gern er­zähl­ten und wie­der­hol­ten: die Ge­schich­ten der zu­letzt kurz auf ein­an­der ge­folg­ten Krö­nun­gen. Denn es war kein Frank­fur­ter von ei­nem ge­wis­sen Al­ter, der nicht die­se bei­den Er­eig­nis­se, und was sie be­glei­te­te, für den Gip­fel sei­nes Le­bens ge­hal­ten hät­te. So präch­tig die Krö­nung Karls des Sie­ben­ten ge­we­sen war, bei wel­cher be­son­ders der fran­zö­si­sche Ge­sand­te, mit Kos­ten und Ge­schmack, herr­li­che Fes­te ge­ge­ben, so war doch die Fol­ge für den gu­ten Kai­ser de­sto trau­ri­ger, der sei­ne Re­si­denz Mün­chen nicht be­haup­ten konn­te und ge­wis­ser­ma­ßen die Gast­frei­heit sei­ner Reichs­städ­ter an­fle­hen muss­te.

War die Krö­nung Franz des Ers­ten nicht so auf­fal­lend präch­tig wie jene, so wur­de sie doch durch die Ge­gen­wart der Kai­se­rin Ma­ria The­re­sia ver­herr­licht, de­ren Schön­heit eben so einen großen Ein­druck auf die Män­ner scheint ge­macht zu ha­ben als die erns­te, wür­di­ge Ge­stalt und die blau­en Au­gen Karls des Sie­ben­ten auf die Frau­en. We­nigs­tens wett­ei­fer­ten bei­de Ge­schlech­ter, dem auf­hor­chen­den Kna­ben einen höchst vor­teil­haf­ten Be­griff von je­nen bei­den Per­so­nen bei­zu­brin­gen. Alle die­se Be­schrei­bun­gen und Er­zäh­lun­gen ge­sch­a­hen mit heitrem und be­ru­hig­tem Ge­müt: denn der Aach­ner Frie­de hat­te für den Au­gen­blick al­ler Feh­de ein Ende ge­macht, und wie von je­nen Fei­er­lich­kei­ten, so sprach man mit Be­hag­lich­keit von den vor­über­ge­gan­ge­nen Kriegs­zü­gen, von der Schlacht bei Det­tin­gen, und was die merk­wür­digs­ten Be­ge­ben­hei­ten der ver­flos­se­nen Jah­re mehr sein moch­ten; und al­les Be­deu­ten­de und Ge­fähr­li­che schi­en, wie es nach ei­nem ab­ge­schlos­se­nen Frie­den zu ge­hen pflegt, sich nur er­eig­net zu ha­ben, um glück­li­chen und sor­gen­frei­en Men­schen zur Un­ter­hal­tung zu die­nen.

Hat­te man in ei­ner sol­chen pa­trio­ti­schen Be­schrän­kung kaum ein hal­b­es Jahr hin­ge­bracht, so tra­ten schon die Mes­sen wie­der ein, wel­che in den sämt­li­chen Kin­der­köp­fen je­der­zeit eine un­glaub­li­che Gä­rung her­vor­brach­ten. Eine durch Er­bau­ung so vie­ler Bu­den in­ner­halb der Stadt in we­ni­ger Zeit ent­sprin­gen­de neue Stadt, das Wo­gen und Trei­ben, das Ab­la­den und Auspa­cken der Wa­ren er­reg­te, von den ers­ten Mo­men­ten des Be­wusst­seins an, eine un­be­zwing­lich tä­ti­ge Neu­gier­de und ein un­be­gränz­tes Ver­lan­gen nach kin­di­schem Be­sitz, das der Kna­be mit wach­sen­den Jah­ren, bald auf die­se, bald auf jene Wei­se, wie es die Kräf­te sei­nes klei­nen Beu­tels er­lau­ben woll­ten, zu be­frie­di­gen such­te. Zu­gleich aber bil­de­te sich die Vor­stel­lung von dem, was die Welt al­les her­vor­bringt, was sie be­darf, und was die Be­woh­ner ih­rer ver­schie­de­nen Tei­le ge­gen­ein­an­der aus­wech­seln.

Die­se großen, im Früh­jahr und Herbst ein­tre­ten­den Epo­chen wur­den durch selt­sa­me Fei­er­lich­kei­ten an­ge­kün­digt, wel­che um de­sto wür­di­ger schie­nen, als sie die alte Zeit, und was von dort­her noch auf uns ge­kom­men, leb­haft ver­ge­gen­wär­tig­ten. Am Ge­leits­tag war das gan­ze Volk auf den Bei­nen, dräng­te sich nach der Fahr­gas­se, nach der Brücke, bis über Sach­sen­hau­sen hin­aus; alle Fens­ter wa­ren be­setzt, ohne dass den Tag über was Be­son­de­res vor­ging; die Men­ge schi­en nur da zu sein, um sich zu drän­gen, und die Zuschau­er, um sich un­ter ein­an­der zu be­trach­ten: denn das, wor­auf es ei­gent­lich an­kam, er­eig­ne­te sich erst mit sin­ken­der Nacht und wur­de mehr ge­glaubt als mit Au­gen ge­se­hen.

In je­nen äl­tern un­ru­hi­gen Zei­ten näm­lich, wo ein je­der nach Be­lie­ben Un­recht tat oder nach Lust das Rech­te be­för­der­te, wur­den die auf die Mes­sen zie­hen­den Han­dels­leu­te von We­ge­la­ge­rern, ed­len und un­ed­len Ge­schlechts, will­kür­lich ge­plagt und ge­plackt, so­dass Fürs­ten und an­de­re mäch­ti­ge Stän­de die Ih­ri­gen mit ge­waff­ne­ter Hand bis nach Frank­furt ge­lei­ten lie­ßen. Hier woll­ten nun aber die Reichs­städ­ter sich selbst und ih­rem Ge­biet nichts ver­ge­ben; sie zo­gen den An­kömm­lin­gen ent­ge­gen: da gab es denn manch­mal Strei­tig­kei­ten, wie weit jene Ge­lei­ten­den her­an­kom­men, oder ob sie wohl gar ih­ren Ein­ritt in die Stadt neh­men könn­ten. Weil nun die­ses nicht al­lein bei Han­dels- und Mess­ge­schäf­ten statt­fand, son­dern auch, wenn hohe Per­so­nen in Kriegs- und Frie­dens­zei­ten, vor­züg­lich aber zu Wahl­ta­gen, sich her­an­be­ga­ben, und es auch öf­ters zu Tät­lich­kei­ten kam, so­bald ir­gend ein Ge­fol­ge, das man in der Stadt nicht dul­den woll­te, sich mit sei­nem Herrn her­ein­zu­drän­gen be­gehr­te, so wa­ren zeit­her dar­über man­che Ver­hand­lun­gen ge­pflo­gen, es wa­ren vie­le Re­zes­se des­halb, ob­gleich stets mit bei­der­sei­ti­gen Vor­be­hal­ten, ge­schlos­sen wor­den, und man gab die Hoff­nung nicht auf, den seit Jahr­hun­der­ten dau­ern­den Zwist end­lich ein­mal bei­zu­le­gen, als die gan­ze An­stalt, wes­halb er so lan­ge und oft sehr hef­tig ge­führt wor­den war, bei­nah für un­nütz, we­nigs­tens für über­flüs­sig an­ge­se­hen wer­den konn­te.

Un­ter­des­sen ritt die bür­ger­li­che Ka­val­le­rie in meh­re­ren Ab­tei­lun­gen, mit den Ober­häup­tern an ih­rer Spit­ze, an je­nen Ta­gen zu ver­schie­de­nen To­ren hin­aus, fand an ei­ner ge­wis­sen Stel­le ei­ni­ge Rei­ter oder Husa­ren der zum Ge­leit be­rech­tig­ten Reichs­stän­de, die nebst ih­ren An­füh­rern wohl emp­fan­gen und be­wir­tet wur­den; man zö­ger­te bis ge­gen Abend und ritt als­dann, kaum von der war­ten­den Men­ge ge­se­hen, zur Stadt her­ein; da denn man­cher bür­ger­li­che Rei­ter we­der sein Pferd noch sich selbst auf dem Pfer­de zu er­hal­ten ver­moch­te. Zu dem Brück­en­to­re ka­men die be­deu­tends­ten Züge her­ein, und des­we­gen war der An­drang dort­hin am stärks­ten. Ganz zu­letzt und mit sin­ken­der Nacht lang­te der auf glei­che Wei­se ge­lei­te­te Nürn­ber­ger Post­wa­gen an, und man trug sich mit der Rede, es müs­se je­der­zeit, dem Her­kom­men ge­mäß, eine alte Frau dar­in sit­zen; wes­halb denn die Stra­ßen­jun­gen bei An­kunft des Wa­gens in ein gel­len­des Ge­schrei aus­zu­bre­chen pfleg­ten, ob man gleich die im Wa­gen sit­zen­den Pas­sa­gie­re kei­nes­wegs mehr un­ter­schei­den konn­te. Un­glaub­lich und wirk­lich die Sin­ne ver­wir­rend war der Drang der Men­ge, die in die­sem Au­gen­blick durch das Brück­en­tor her­ein dem Wa­gen nach­stürz­te; des­we­gen auch die nächs­ten Häu­ser von den Zuschau­ern am meis­ten ge­sucht wur­den.

Eine an­de­re, noch viel selt­sa­me­re Fei­er­lich­keit, wel­che am hel­len Tage das Pub­li­kum auf­reg­te, war das Pfei­fer­ge­richt. Es er­in­ner­te die­se Ze­re­mo­nie an jene ers­ten Zei­ten, wo be­deu­ten­de Han­dels­städ­te sich von den Zöl­len, wel­che mit Han­del und Ge­werb in glei­chem Maße zu­nah­men, wo nicht zu be­frei­en, doch we­nigs­tens eine Mil­de­rung der­sel­ben zu er­lan­gen such­ten. Der Kai­ser, der ih­rer be­durf­te, er­teil­te eine sol­che Frei­heit da, wo es von ihm ab­hing, ge­wöhn­lich aber nur auf ein Jahr, und sie muss­te da­her jähr­lich er­neu­ert wer­den. Die­ses ge­sch­ah durch sym­bo­li­sche Ga­ben, wel­che dem kai­ser­li­chen Schult­hei­ßen, der auch wohl ge­le­gent­lich Ober­zöll­ner sein konn­te, vor Ein­tritt der Bar­tho­lo­mäi-Mes­se ge­bracht wur­den, und zwar des An­stands we­gen, wenn er mit den Schöf­fen zu Ge­richt saß. Als der Schult­heiß spä­ter­hin nicht mehr vom Kai­ser ge­setzt, son­dern von der Stadt selbst ge­wählt wur­de, be­hielt er doch die­se Vor­rech­te, und so­wohl die Zoll­frei­hei­ten der Städ­te als die Ze­re­mo­ni­en, wo­mit die Ab­ge­ord­ne­ten von Worms, Nürn­berg und Alt-Bam­berg die­se ur­al­te Ver­güns­ti­gung an­er­kann­ten, wa­ren bis auf un­se­re Zei­ten ge­kom­men. Den Tag vor Ma­riä Ge­burt ward ein öf­fent­li­cher Ge­richts­tag an­ge­kün­digt. In dem großen Kai­ser­saa­le, in ei­nem um­schränk­ten Rau­me, sa­ßen er­höht die Schöf­fen, und eine Stu­fe hö­her der Schult­heiß in ih­rer Mit­te; die von den Par­tei­en be­voll­mäch­tig­ten Pro­ku­ra­to­ren un­ten zur rech­ten Sei­te. Der Ak­tua­ri­us fängt an, die auf die­sen Tag ge­spar­ten wich­ti­gen Ur­tei­le laut vor­zu­le­sen; die Pro­ku­ra­to­ren bit­ten um Ab­schrift, ap­pel­lie­ren, oder was sie sonst zu tun nö­tig fin­den.

Auf ein­mal mel­det eine wun­der­li­che Mu­sik gleich­sam die An­kunft vo­ri­ger Jahr­hun­der­te. Es sind drei Pfei­fer, de­ren ei­ner eine alte Schal­mei, der an­de­re einen Bass, der drit­te einen Pom­mer oder Ho­boe bläst. Sie tra­gen blaue, mit Gold ver­bräm­te Män­tel, auf den Är­meln die No­ten be­fes­tigt, und ha­ben das Haupt be­deckt. So wa­ren sie aus ih­rem Gast­hau­se, die Ge­sand­ten und ihre Beglei­tung hin­ter­drein, Punkt zehn aus­ge­zo­gen, von Ein­hei­mi­schen und Frem­den an­ge­staunt, und so tre­ten sie in den Saal. Die Ge­richts­ver­hand­lun­gen hal­ten inne, Pfei­fer und Beglei­tung blei­ben vor den Schran­ken, der Ab­ge­sand­te tritt hin­ein und stellt sich dem Schult­hei­ßen ge­gen­über. Die sym­bo­li­schen Ga­ben, wel­che auf das ge­naus­te nach dem al­ten Her­kom­men ge­for­dert wur­den, be­stan­den ge­wöhn­lich in sol­chen Wa­ren, wo­mit die dar­brin­gen­de Stadt vor­züg­lich zu han­deln pfleg­te. Der Pfef­fer galt gleich­sam für alle Wa­ren, und so brach­te auch hier der Ab­ge­sand­te einen schön gedrech­sel­ten höl­zer­nen Po­kal mit Pfef­fer an­ge­füllt. Über dem­sel­ben la­gen ein paar Hand­schu­he, wun­der­sam ge­schlitzt, mit Sei­de be­steppt und be­quas­tet, als Zei­chen ei­ner ge­stat­te­ten und an­ge­nom­me­nen Ver­güns­ti­gung, des­sen sich auch wohl der Kai­ser selbst in ge­wis­sen Fäl­len be­dien­te. Da­ne­ben sah man ein wei­ßes Stäb­chen, wel­ches vor­mals bei ge­setz­li­chen und ge­richt­li­chen Hand­lun­gen nicht leicht feh­len durf­te. Es wa­ren noch ei­ni­ge klei­ne Sil­ber­mün­zen hin­zu­ge­fügt, und die Stadt Worms brach­te einen al­ten Filz­hut, den sie im­mer wie­der ein­lös­te, so­dass der­sel­be vie­le Jah­re ein Zeu­ge die­ser Ze­re­mo­ni­en ge­we­sen.

Nach­dem der Ge­sand­te sei­ne An­re­de ge­hal­ten, das Ge­schenk ab­ge­ge­ben, von dem Schult­hei­ßen die Ver­si­che­rung fort­dau­ern­der Be­güns­ti­gung emp­fan­gen, so ent­fern­te er sich aus dem ge­schlos­se­nen Krei­se, die Pfei­fer blie­sen, der Zug ging ab, wie er ge­kom­men war, das Ge­richt ver­folg­te sei­ne Ge­schäf­te, bis der zwei­te und end­lich der drit­te Ge­sand­te ein­ge­führt wur­den: denn sie ka­men erst ei­ni­ge Zeit nach ein­an­der, teils da­mit das Ver­gnü­gen des Pub­li­kums län­ger dau­re, teils auch weil es im­mer die­sel­ben al­ter­tüm­li­chen Vir­tuo­sen wa­ren, wel­che Nürn­berg für sich und sei­ne Mit­städ­te zu un­ter­hal­ten und je­des Jahr an Ort und Stel­le zu brin­gen über­nom­men hat­te.

Wir Kin­der wa­ren bei die­sem Fes­te be­son­ders in­ter­es­siert, weil es uns nicht we­nig schmei­chel­te, un­sern Groß­va­ter an ei­ner so eh­ren­vol­len Stel­le zu se­hen, und weil wir ge­wöhn­lich noch sel­bi­gen Tag ihn ganz be­schei­den zu be­su­chen pfleg­ten, um, wenn die Groß­mut­ter den Pfef­fer in ihre Ge­würz­la­den ge­schüt­tet hät­te, einen Be­cher und Stäb­chen, ein paar Hand­schuh oder einen al­ten Rä­der-Al­bus zu er­ha­schen. Man konn­te sich die­se sym­bo­li­schen, das Al­ter­tum gleich­sam her­vor­zau­bern­den Ze­re­mo­ni­en nicht er­klä­ren las­sen, ohne in ver­gan­ge­ne Jahr­hun­der­te wie­der zu­rück­ge­führt zu wer­den, ohne sich nach Sit­ten, Ge­bräu­chen und Ge­sin­nun­gen un­se­rer Alt­vor­dern zu er­kun­di­gen, die sich durch wie­der auf­er­stan­de­ne Pfei­fer und Ab­ge­ord­ne­te, ja durch hand­greif­li­che und für uns be­sitz­ba­re Ga­ben auf eine so wun­der­li­che Wei­se ver­ge­gen­wär­tig­ten.

Sol­chen alt­ehr­wür­di­gen Fei­er­lich­kei­ten folg­te in gu­ter Jahrs­zeit man­ches für uns Kin­der lus­t­rei­che­re Fest au­ßer­halb der Stadt un­ter frei­em Him­mel. An dem rech­ten Ufer des Mains un­ter­wärts, etwa eine hal­be Stun­de vom Tor, quillt ein Schwe­fel­brun­nen, sau­ber ein­ge­fasst und mit ur­al­ten Lin­den um­ge­ben. Nicht weit da­von steht der Hof zu den gu­ten Leu­ten, eh­mals ein um die­ser Quel­le wil­len er­bau­tes Ho­spi­tal. Auf den Ge­mein­wei­den um­her ver­sam­mel­te man zu ei­nem ge­wis­sen Tage des Jah­res die Rind­vieh­her­den aus der Nach­bar­schaft, und die Hir­ten samt ih­ren Mäd­chen fei­er­ten ein länd­li­ches Fest, mit Tanz und Ge­sang, mit man­cher­lei Lust und An­ge­zo­gen­heit. Auf der an­de­ren Sei­te der Stadt lag ein ähn­li­cher, nur grö­ße­rer Ge­mein­de­platz, gleich­falls durch einen Brun­nen und durch noch schö­ne­re Lin­den ge­ziert. Dor­thin trieb man zu Pfings­ten die Schaf­her­den, und zu glei­cher Zeit ließ man die ar­men, ver­bleich­ten Wai­sen­kin­der aus ih­ren Mau­ern ins Freie: denn man soll­te erst spä­ter auf den Ge­dan­ken ge­ra­ten, dass man sol­che ver­las­se­ne Krea­tu­ren, die sich einst durch die Welt durch­zu­hel­fen ge­nö­tigt sind, früh mit der Welt in Ver­bin­dung brin­gen, an­statt sie auf eine trau­ri­ge Wei­se zu he­gen, sie lie­ber gleich zum Die­nen und Dul­den ge­wöh­nen müs­se und alle Ur­sach habe, sie von Kin­des­bei­nen an so­wohl phy­sisch als mo­ra­lisch zu kräf­ti­gen. Die Am­men und Mäg­de, wel­che sich selbst im­mer gern einen Spa­zier­gang be­rei­ten, ver­fehl­ten nicht, von den frühs­ten Zei­ten, uns an der­glei­chen Orte zu tra­gen und zu füh­ren, so­dass die­se länd­li­chen Fes­te wohl mit zu den ers­ten Ein­drücken ge­hö­ren, de­ren ich mich er­in­nern kann.

Das Haus war in­des­sen fer­tig ge­wor­den, und zwar in ziem­lich kur­z­er Zeit, weil al­les wohl über­legt, vor­be­rei­tet und für die nö­ti­ge Geld­sum­me ge­sorgt war. Wir fan­den uns nun alle wie­der ver­sam­melt und fühl­ten uns be­hag­lich: denn ein wohl­aus­ge­dach­ter Plan, wenn er aus­ge­führt da­steht, lässt al­les ver­ges­sen, was die Mit­tel, um zu die­sem Zweck zu ge­lan­gen, Un­be­que­mes mö­gen ge­habt ha­ben. Das Haus war für eine Pri­vat­woh­nung ge­räu­mig ge­nug, durch­aus hell und hei­ter, die Trep­pe frei, die Vor­sä­le luf­tig, und jene Aus­sicht über die Gär­ten aus meh­re­ren Fens­tern be­quem zu ge­nie­ßen. Der in­ne­re Aus­bau, und was zur Vollen­dung und Zier­de ge­hört, ward nach und nach voll­bracht und diente zu­gleich zur Be­schäf­ti­gung und zur Un­ter­hal­tung.

Das ers­te, was man in Ord­nung brach­te, war die Bü­cher­samm­lung des Va­ters, von wel­cher die bes­ten, in Franz- oder Halb­franz­band ge­bun­de­nen Bü­cher die Wän­de sei­nes Ar­beits- und Stu­dier­zim­mers schmücken soll­ten. Er be­saß die schö­nen hol­län­di­schen Aus­ga­ben der la­tei­ni­schen Schrift­stel­ler, wel­che er der äu­ßern Über­ein­stim­mung we­gen sämt­lich in Quart an­zu­schaf­fen such­te; so­dann vie­les, was sich auf die rö­mi­schen An­ti­qui­tä­ten und die ele­gan­te­re Ju­rispru­denz be­zieht. Die vor­züg­lichs­ten ita­liä­ni­schen Dich­ter fehl­ten nicht, und für den Tas­so be­zeig­te er eine große Vor­lie­be. Die bes­ten neus­ten Rei­se­be­schrei­bun­gen wa­ren auch vor­han­den, und er selbst mach­te sich ein Ver­gnü­gen dar­aus, den Keyß­ler und Ne­meiz zu be­rich­ti­gen und zu er­gän­zen. Nicht we­ni­ger hat­te er sich mit den nö­tigs­ten Hilfs­mit­teln um­ge­ben, mit Wör­ter­bü­chern aus ver­schie­de­nen Spra­chen, mit Re­al­le­xi­ken, dass man sich also nach Be­lie­ben Rats er­ho­len konn­te, so wie mit man­chem an­de­ren, was zum Nut­zen und Ver­gnü­gen ge­reicht.

Die an­de­re Hälf­te die­ser Bü­cher­samm­lung, in sau­bern Per­ga­ment­bän­den mit sehr schön ge­schrie­be­nen Ti­teln, ward in ei­nem be­son­dern Man­sard­zim­mer auf­ge­stellt. Das Nach­schaf­fen der neu­en Bü­cher, so wie das Bin­den und Ein­rei­hen der­sel­ben, be­trieb er mit großer Ge­las­sen­heit und Ord­nung. Da­bei hat­ten die ge­lehr­ten An­zei­gen, wel­che die­sem oder je­nem Werk be­son­de­re Vor­zü­ge bei­leg­ten, auf ihn großen Ein­fluss. Sei­ne Samm­lung ju­ris­ti­scher Dis­ser­ta­tio­nen ver­mehr­te sich jähr­lich um ei­ni­ge Bän­de.

Zu­nächst aber wur­den die Ge­mäl­de, die sonst in dem al­ten Hau­se zer­streut her­um­ge­han­gen, nun­mehr zu­sam­men an den Wän­den ei­nes freund­li­chen Zim­mers ne­ben der Stu­dier­stu­be, alle in schwar­zen, mit gol­de­nen Stäb­chen ver­zier­ten Rah­men, sym­me­trisch an­ge­bracht. Mein Va­ter hat­te den Grund­satz, den er öf­ters und so­gar lei­den­schaft­lich aus­sprach, dass man die le­ben­den Meis­ter be­schäf­ti­gen und we­ni­ger auf die ab­ge­schie­de­nen wen­den sol­le, bei de­ren Schät­zung sehr viel Vor­ur­teil mit un­ter­lau­fe. Er hat­te die Vor­stel­lung, dass es mit den Ge­mäl­den völ­lig wie mit den Rhein­wei­nen be­schaf­fen sei, die, wenn ih­nen gleich das Al­ter einen vor­züg­li­chen Wert bei­le­ge, den­noch in je­dem fol­gen­den Jah­re eben so vor­treff­lich als in den ver­gan­ge­nen könn­ten her­vor­ge­bracht wer­den. Nach Ver­lauf ei­ni­ger Zeit wer­de der neue Wein auch ein al­ter, eben so kost­bar und viel­leicht noch schmack­haf­ter. In die­ser Mei­nung be­stä­tig­te er sich vor­züg­lich durch die Be­mer­kung, dass meh­re­re alte Bil­der haupt­säch­lich da­durch für die Lieb­ha­ber einen großen Wert zu er­hal­ten schie­nen, weil sie dunk­ler und bräu­ner ge­wor­den, und der har­mo­ni­sche Ton ei­nes sol­chen Bil­des öf­ters ge­rühmt wur­de. Mein Va­ter ver­si­cher­te da­ge­gen, es sei ihm gar nicht ban­ge, dass die neu­en Bil­der künf­tig nicht auch schwarz wer­den soll­ten; dass sie aber ge­ra­de da­durch ge­wön­nen, woll­te er nicht zu­ge­ste­hen.

Nach die­sen Grund­sät­zen be­schäf­tig­te er meh­re­re Jah­re hin­durch die sämt­li­chen Frank­fur­ter Künst­ler: den Ma­ler Hirt, wel­cher Ei­chen- und Bu­chen­wäl­der und an­de­re so­ge­nann­te länd­li­che Ge­gen­den sehr wohl mit Vieh zu staf­fie­ren wuss­te; des­glei­chen Traut­mann, der sich den Rem­brandt zum Mus­ter ge­nom­men und es in ein­ge­schlos­se­nen Lich­tern und Wi­der­schei­nen, nicht we­ni­ger in ef­fekt­vol­len Feu­ers­brüns­ten weit ge­bracht hat­te, so­dass er eins­tens auf­ge­for­dert wur­de, einen Pend­ant zu ei­nem Rem­brand­ti­schen Bil­de zu ma­len; fer­ner Schütz, der auf dem Wege des Sacht­le­ben die Rhein­ge­gen­den flei­ßig be­ar­bei­te­te; nicht we­ni­ger Jun­ckern, der Blu­men- und Frucht­stücke, Still­le­ben und ru­hig be­schäf­tig­te Per­so­nen nach dem Vor­gang der Nie­der­län­der sehr rein­lich aus­führ­te. Nun aber ward durch die neue Ord­nung, durch einen be­que­mern Raum und noch mehr durch die Be­kannt­schaft ei­nes ge­schick­ten Künst­lers die Lieb­ha­be­rei wie­der an­ge­frischt und be­lebt. Die­ses war See­katz, ein Schü­ler von Brin­ck­mann, darm­städ­ti­scher Hof­ma­ler, des­sen Ta­lent und Cha­rak­ter sich in der Fol­ge vor uns um­ständ­li­cher ent­wi­ckeln wird.

Man schritt auf die­se Wei­se mit Vollen­dung der üb­ri­gen Zim­mer, nach ih­ren ver­schie­de­nen Be­stim­mun­gen, wei­ter. Rein­lich­keit und Ord­nung herrsch­ten im gan­zen; vor­züg­lich tru­gen große Spie­gel­schei­ben das Ih­ri­ge zu ei­ner voll­kom­me­nen Hel­lig­keit bei, die in dem al­ten Hau­se aus meh­rern Ur­sa­chen, zu­nächst aber auch we­gen meist runder Fens­ter­schei­ben ge­fehlt hat­te. Der Va­ter zeig­te sich hei­ter, weil ihm al­les gut ge­lun­gen war; und wäre der gute Hu­mor nicht manch­mal da­durch un­ter­bro­chen wor­den, dass nicht im­mer der Fleiß und die Ge­nau­ig­keit der Hand­wer­ker sei­nen For­de­run­gen ent­spra­chen, so hät­te man kein glück­li­che­res Le­ben den­ken kön­nen, zu­mal da man­ches Gute teils in der Fa­mi­lie selbst ent­sprang, teils ihr von au­ßen zu­floss.

Durch ein au­ßer­or­dent­li­ches Wel­ter­eig­nis wur­de je­doch die Ge­müts­ru­he des Kna­ben zum ers­ten Mal im tiefs­ten er­schüt­tert. Am 1. No­vem­ber 1755 er­eig­ne­te sich das Erd­be­ben von Lissa­bon und ver­brei­te­te über die in Frie­den und Ruhe schon ein­ge­wohn­te Welt einen un­ge­heu­ren Schre­cken. Eine große präch­ti­ge Re­si­denz, zu­gleich Han­dels- und Ha­fen­stadt, wird un­ge­warnt von dem furcht­bars­ten Un­glück be­trof­fen. Die Erde bebt und schwankt, das Meer braust auf, die Schif­fe schla­gen zu­sam­men, die Häu­ser stür­zen ein, Kir­chen und Tür­me dar­über her, der kö­nig­li­che Palast zum Teil wird vom Mee­re ver­schlun­gen, die ge­bors­te­ne Erde scheint Flam­men zu spei­en, denn über­all mel­det sich Rauch und Brand in den Rui­nen. Sech­zig­tau­send Men­schen, einen Au­gen­blick zu­vor noch ru­hig und be­hag­lich, ge­hen mit­ein­an­der zu Grun­de, und der Glück­lichs­te dar­un­ter ist der zu nen­nen, dem kei­ne Emp­fin­dung, kei­ne Be­sin­nung über das Un­glück mehr ge­stat­tet ist. Die Flam­men wü­ten fort, und mit ih­nen wü­tet eine Schar sonst ver­bor­gner, oder durch die­ses Er­eig­nis in Frei­heit ge­setz­ter Ver­bre­cher. Die un­glück­li­chen Üb­rig­ge­blie­be­nen sind dem Rau­be, dem Mor­de, al­len Miss­hand­lun­gen bloß­ge­stellt; und so be­haup­tet von al­len Zei­ten die Na­tur ihre schran­ken­lo­se Will­kür.

Schnel­ler als die Nach­rich­ten hat­ten schon An­deu­tun­gen von die­sem Vor­fall sich durch große Land­stre­cken ver­brei­tet: an vie­len Or­ten wa­ren schwä­che­re Er­schüt­te­run­gen zu ver­spü­ren, an man­chen Quel­len, be­son­ders den heil­sa­men, ein un­ge­wöhn­li­ches In­ne­hal­ten zu be­mer­ken ge­we­sen; um de­sto grö­ßer war die Wir­kung der Nach­rich­ten selbst, wel­che erst im All­ge­mei­nen, dann aber mit schreck­li­chen Ein­zel­hei­ten sich rasch ver­brei­te­ten. Hier­auf lie­ßen es die Got­tes­fürch­ti­gen nicht an Be­trach­tun­gen, die Phi­lo­so­phen nicht an Trost­grün­den, an Straf­pre­dig­ten die Geist­lich­keit nicht feh­len. So vie­les zu­sam­men rich­te­te die Auf­merk­sam­keit der Welt eine Zeit lang auf die­sen Punkt, und die durch frem­des Un­glück auf­ge­reg­ten Ge­mü­ter wur­den durch Sor­gen für sich selbst und die Ih­ri­gen umso mehr ge­ängs­tigt, als über die weit­ver­brei­te­te Wir­kung die­ser Ex­plo­si­on von al­len Or­ten und En­den im­mer meh­re­re und um­ständ­li­che­re Nach­rich­ten ein­lie­fen, viel­leicht hat der Dä­mon des Schre­ckens zu kei­ner Zeit so schnell und so mäch­tig sei­ne Schau­er über die Erde ver­brei­tet.

Der Kna­be, der al­les die­ses wie­der­holt ver­neh­men muss­te, war nicht we­nig be­trof­fen. Gott, der Schöp­fer und Er­hal­ter Him­mels und der Er­den, den ihm die Er­klä­rung des ers­ten Glau­bens­ar­ti­kels so wei­se und gnä­dig vor­stell­te, hat­te sich, in­dem er die Ge­rech­ten mit den Un­ge­rech­ten glei­chem Ver­der­ben preis­gab, kei­nes­wegs vä­ter­lich be­wie­sen. Ver­ge­bens such­te das jun­ge Ge­müt sich ge­gen die­se Ein­drücke her­zu­stel­len, wel­ches über­haupt umso we­ni­ger mög­lich war, als die Wei­sen und Schrift­ge­lehr­ten selbst sich über die Art, wie man ein sol­ches Phä­no­men an­zu­se­hen habe, nicht ver­ei­ni­gen konn­ten.

Der fol­gen­de Som­mer gab eine nä­he­re Ge­le­gen­heit, den zor­ni­gen Gott, von dem das Alte Te­sta­ment so viel über­lie­fert, un­mit­tel­bar ken­nen zu ler­nen. Un­ver­se­hens brach ein Ha­gel­wet­ter her­ein und schlug die neu­en Spie­gel­schei­ben der ge­gen Abend ge­le­ge­nen Hin­ter­sei­te des Hau­ses un­ter Don­ner und Blit­zen auf das ge­walt­sams­te zu­sam­men, be­schä­dig­te die neu­en Mö­beln, ver­derb­te ei­ni­ge schätz­ba­re Bü­cher und sonst wer­te Din­ge und war für die Kin­der umso fürch­ter­li­cher, als das ganz au­ßer sich ge­setz­te Haus­ge­sin­de sie in einen dunklen Gang mit fort­riss und dort auf den Kni­en lie­gend durch schreck­li­ches Ge­heul und Ge­schrei die er­zürn­te Gott­heit zu ver­söh­nen glaub­te; in­des­sen der Va­ter, ganz al­lein ge­fasst, die Fens­ter­flü­gel auf­riss und aus­hob, wo­durch er zwar man­che Schei­ben ret­te­te, aber auch dem auf den Ha­gel fol­gen­den Re­gen­guss einen de­sto off­nern Weg be­rei­te­te, so­dass man sich, nach end­li­cher Er­ho­lung, auf den Vor­sä­len und Trep­pen von flu­ten­dem und rin­nen­dem Was­ser um­ge­ben sah.

Sol­che Vor­fäl­le, wie stö­rend sie auch im gan­zen wa­ren, un­ter­bra­chen doch nur we­nig den Gang und die Fol­ge des Un­ter­richts, den der Va­ter selbst uns Kin­dern zu ge­ben sich ein­mal vor­ge­nom­men. Er hat­te sei­ne Ju­gend auf dem Ko­bur­ger Gym­na­si­um zu­ge­bracht, wel­ches un­ter den deut­schen Lehr­an­stal­ten eine der ers­ten Stel­len ein­nahm. Er hat­te da­selbst einen gu­ten Grund in den Spra­chen, und was man sonst zu ei­ner ge­lehr­ten Er­zie­hung rech­ne­te, ge­legt, nach­her in Leip­zig sich der Rechts­wis­sen­schaft be­flis­sen und zu­letzt in Gie­ßen pro­mo­viert. Sei­ne mit Ernst und Fleiß ver­fass­te Dis­ser­ta­ti­on: Elec­ta de adi­tio­ne here­di­ta­tis, wird noch von den Rechts­leh­rern mit Lob an­ge­führt.

Es ist ein from­mer Wunsch al­ler Vä­ter, das, was ih­nen selbst ab­ge­gan­gen, an den Söh­nen rea­li­siert zu se­hen, so un­ge­fähr, als wenn man zum zwei­ten Mal leb­te und die Er­fah­run­gen des ers­ten Le­bens­lau­fes nun erst recht nut­zen woll­te. Im Ge­fühl sei­ner Kennt­nis­se, in Ge­wiss­heit ei­ner treu­en Aus­dau­er und im Miss­trau­en ge­gen die da­ma­li­gen Leh­rer, nahm der Va­ter sich vor, sei­ne Kin­der selbst zu un­ter­rich­ten und nur so viel, als es nö­tig schi­en, ein­zel­ne Stun­den durch ei­gent­li­che Lehr­meis­ter zu be­set­zen. Ein päd­ago­gi­scher Di­let­tan­tis­mus fing sich über­haupt schon zu zei­gen an. Die Pe­dan­te­rie und Trüb­sin­nig­keit der an öf­fent­li­chen Schu­len an­ge­stell­ten Leh­rer moch­te wohl die ers­te Ver­an­las­sung dazu ge­ben. Man such­te nach et­was Bes­se­rem und ver­gaß, wie man­gel­haft al­ler Un­ter­richt sein muss, der nicht durch Leu­te vom Me­tier er­teilt wird.

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