Kitabı oku: «Die Wahlverwandtschaften», sayfa 15
'So will ich mich denn selbst', rief ich mir zu, als ich an diesem einsamen Orte soviel zweifelhafte Stunden verlebt hatte, 'mich selbst will ich an die Stelle des Glases zum Zeichen machen, ob unsre Verbindung möglich sei oder nicht.
Ich gehe hin und suche den Tod, nicht als ein Rasender, sondern als einer, der zu leben hofft.
Ottilie soll der Preis sein, um den ich kämpfe; sie soll es sein, die ich hinter jeder feindlichen Schlachtordnung, in jeder Verschanzung, in jeer belagerten Festung zu gewinnen, zu erobern hoffe.
Ich will Wunder tun mit dem Wunsche, verschont zu bleiben, im Sinne, Ottilien zu gewinnen, nicht sie zu verlieren'.
Diese Gefühle haben mich geleitet, sie haben mir durch alle Gefahren beigestanden; aber nun finde ich mich auch wie einen, der zu seinem Ziele gelangt ist, der alle Hindernisse überwunden hat, dem nun nichts mehr im Wege steht.
Ottilie ist mein, und was noch zwischen diesem Gedanken und der Ausführung liegt, kann ich nur für nichts bedeutend ansehen".
"Du löschest", versetzte der Major, "mit wenig Zügen alles aus, was man dir entgegensetzen könnte und sollte; und doch muß es wiederholt werden.
Das Verhältnis zu deiner Frau in seinem ganzen Werte dir zurückzurufen, überlasse ich dir selbst; aber du bist es ihr, du bist es dir schuldig, dich hierüber nicht zu verdunkeln.
Wie kann ich aber nur gedenken, daß euch ein Sohn gegeben ist, ohne zugleich auszusprechen, daß ihr einander auf immer angehört, daß ihr um dieses Wesens willen schuldig seid, vereint zu leben, damit ihr vereint für seine Erziehung und für sein künftiges Wohl sorgen möget". "Es ist bloß ein Dünkel der Eltern", versetzte Eduard, "wenn sie sich einbilden, daß ihr Dasein für die Kinder so nötig sei.
Alles, was lebt, findet Nahrung und Beihülfe; und wenn der Sohn nach dem frühen Tode des Vaters keine so bequeme, so begünstigte Jugend hat, so gewinnt er vielleicht ebendeswegen an schnellerer Bildung für die Welt, durch zeitiges Anerkennen, daß er sich in andere schicken muß, was wir denn doch früher oder später alle lernen müssen.
Und hievon ist ja die Rede gar nicht: wir sind reich genug, um mehrere Kinder zu versorgen, und es ist keineswegs Pflicht noch Wohltat, auf Ein Haupt so viele Güter zu häufen".
Als der Major mit einigen Zügen Charlottens Wert und Eduards lange bestandenes Verhältnis zu ihr anzudeuten gedachte, fiel ihm Eduard hastig in die Rede: "wir haben eine Torheit begangen, die ich nur allzuwohl einsehe.
Wer in einem gewissen Alter frühere Jugendwünsche und Hoffnungen realisieren will, betriegt sich immer; denn jedes Jahrzehnt des Menschen hat sein eigenes Glück, seine eigenen Hoffnungen und Aussichten.
Wehe dem Menschen, der vorwärts oder rückwärts zu greifen durch Umstände oder durch Wahn veranlaßt wird!
Wir haben eine Torheit begangen; soll sie es denn fürs ganze Leben sein?
Sollen wir uns aus irgendeiner Art von Bedenklichkeit dasjenige versagen, was uns die Sitten der Zeit nicht absprechen?
In wie vielen Dingen nimmt der Mensch seinen Vorsatz, seine Tat zurück, und hier gerade sollte es nicht geschehen, wo vom Ganzen und nicht vom Einzelnen, wo nicht von dieser oder jener Bedingung des Lebens, wo vom ganzen Komplex des Lebens die Rede ist!" Der Major verfehlte nicht, auf eine ebenso geschickte als nachdrückliche Weise Eduarden die verschiedenen Bezüge zu seiner Gemahlin, zu den Familien, zu der Welt, zu seinen Besitzungen vorzustellen; aber es gelang ihm nicht, irgendeine Teilnahme zu erregen.
"Alles dieses, mein Freund", erwiderte Eduard, "ist mir vor der Seele vorbeigegangen, mitten im Gewühl der Schlacht, wenn die Erde vom anhaltenden Donner bebte, wenn die Kugeln sausten und pfiffen, rechts und links die Gefährten niederfielen, mein Pferd getroffen, mein Hut durchlöchert ward; es hat mir vorgeschwebt beim stillen nächtlichen Feuer unter dem gestirnten Gewölbe des Himmels.
Dann traten mir alle meine Verbindungen vor die Seele; ich habe sie durchgedacht, durchgefühlt; ich habe mir zugeeignet, ich habe mich abgefunden, zu wiederholten Malen, und nun für immer.
In solchen Augenblicken, wie kann ich dirs verschweigen, warst auch du mir gegenwärtig, auch du gehörtest in meinen Kreis; und gehören wir denn nicht schon lange zueinander?
Wenn ich dir etwas schluldig geworden, so komme ich jetzt in den Fall, dir es mit Zinsen abzutragen; wenn du mir je etwas schuldig geworden, so siehst du dich nun imstande, mir es zu vergelten.
Ich weiß, du liebst Charlotten, und sie verdient es; ich weiß, du bist ihr nicht gleichgültig, und warum sollte sie deinen Wert nicht erkennen!
Nimm sie von meiner Hand, führe mir Ottilien zu!
Und wir sind die glücklichsten Menschen auf der Erde".
"Eben weil du mich mit so hohen Gaben bestechen willst", versetzte der Major, "muß ich desto vorsichtiger, desto strenger sein.
Anstatt daß dieser Vorschlag, den ich still verehre, die Sache erleichtern möchte, erschwert er sie vielmehr.
Es ist, wie von dir, nun auch von mir die Rede, und so wie von dem Schicksal, so auch von dem guten Namen, von der Ehre zweier Männer, die, bis jetzt unbescholten, durch diese wunderliche Handlung, wenn wir sie auch nicht anders nennen wollen, in Gefahr kommen, vor der Welt in einem höchst seltsamen Lichte zu erscheinen".
"Eben daß wir unbescholten sind", versetzte Eduard, "gibt uns das Recht, uns auch einmal schelten zu lassen.
Wer sich sein ganzes Leben als einen zuverlässigen Mann bewiesen, der macht eine Handlung zuverlässig, die bei andern zweideutig erscheinen würde.
Was mich betrifft, ich fühle mich durch die letzten Prüfungen, die ich mir auferlegt, durch die schwierigen, gefahrvollen Taten, die ich für andere getan, berechtigt, auch etwas für mich zu tun. Was dich und Charlotten betrifft, so sei es der Zukunft anheimgegeben; mich aber wirst du, wird niemand von meinem Vorsatze zurückhalten.
Will man mir die Hand bieten, so bin ich auch wieder zu allem erbötig; will man mich mir selbst überlassen oder mir wohl gar entgegen sein, so muß ein Extrem entstehen, es werde auch, wie es wolle".
Der Major hielt es für seine Pflicht, dem Vorsatz Eduards solange als möglich Widerstand zu leisten, und er bediente sich nun gegen seinen Freund einer klugen Wendung, indem er nachzugeben schien und nur die Form, den Geschäftsgang zur Sprache brachte, durch welchen man diese Trennung, diese Verbindungen erreichen sollte.
Da trat denn so manches Unerfreuliche, Beschwerliche, Unschickliche hervor, daß sich Eduard in die schlimmste Laune versetzt fühlte.
"Ich sehe wohl", rief dieser endlich, "nicht allein von Feinden, sondern auch von Freunden muß, was man wünscht, erstürmt werden.
Das, was ich will, was mir unentbehrlich ist, halte ich fest im Auge; ich werde es ergreifen und gewiß bald und behende.
Dergleichen Verhältnisse, weiß ich wohl, heben sich nicht auf und bilden sich nicht, ohne daß manches falle, was steht, ohne daß manches weiche, was zu beharren Lust hat.
Durch überlegung wird so etwas nicht geendet; vor dem Verstande sind alle Rechte gleich, und auf die steigende Waagschale läßt sich immer wieder ein Gegengewicht legen.
Entschließe dich also, mein Freund, für mich, für dich zu handeln, für mich, für dich diese Zustände zu entwirren, aufzulösen, zu verknüpfen!
Laß dich durch keine Betrachtungen abhalten; wir haben die Welt ohnehin schon von uns reden machen; sie wird noch einmal von uns reden, uns sodann, wie alles übrige, was aufhört neu zu sein, vergessen und uns gewähren lassen, wie wir können, ohne weitern Teil an uns zu nehmen".
Der Major hatte keinen andern Ausweg und mußte endlich zugeben, daß Eduard ein für allemal die Sache als etwas Bekanntes und Vorausgesetztes behandelte, daß er, wie alles anzustellen sei, im einzelnen durchsprach und sich über die Zukunft auf das heiterste, sogar in Scherzen erging.
Dann wieder ernsthaft und nachdenklich fuhr er fort: "wollten wir uns der Hoffnung, der Erwartung überlassen, daß alles sich von selbst wieder finden, daß der Zufall uns leiten und begünstigen solle, so wäre dies ein sträflicher Selbstbetrug.
Auf diese Weise können wir uns unmöglich retten, unsre allseitige Ruhe nicht wiederherstellen; und wie sollte ich trösten können, da ich unschuldig die Schuld an allem bin!
Durch meine Zudringlichkeit habe ich Charlotten vermocht, dich ins Haus zu nehmen, und auch Ottilie ist nur in Gefolg von dieser Veränderung bei uns eingetreten.
Wir sind nicht mehr Herr über das, was daraus entsprungen ist, aber wir sind Herr, es unschädlich zu machen, die Verhältnisse zu unserm Glücke zu leiten.
Magst du die Augen von den schönen und freundlichen Aussichten abwenden, die ich uns eröffne, magst du mir, magst du uns allen ein trauriges Entsagen gebieten, insofern du dirs möglich denkst, insofern es möglich wäre: ist denn nicht auch alsdann, wenn wir uns vornehmen, in die alten Zustände zurückzukehren, manches Unschickliche, Unbequeme, Verdrießliche zu übertragen, ohne daß irgend etwas Gutes, etwas Heiteres daraus entspränge?
Würde der glückliche Zustand, in dem du dich befindest, dir wohl Freude machen, wenn du gehindert wärst, mich zu besuchen, mit mir zu leben?
Und nach dem, was vorgegangen ist, würde es doch immer peinlich sein.
Charlotte und ich würden mit allem unserm Vermögen uns nur in einer traurigen Lage befinden.
Und wenn du mit andern Weltmenschen glauben magst, daß Jahre, daß Entfernung solche Empfindungen abstumpfen, so tief eingegrabene Züge auslöschen, so ist ja eben von diesen Jahren die Rede, die man nicht in Schmerz und Entbehren, sondern in Freude und Behagen zubringen will.
Und nun zuletzt noch das Wichtigste auszusprechen: wenn wir auch unserm äußern und innern Zustande nach das allenfalls abwarten könnten, was soll aus Ottilien werden, die unser Haus verlassen, in der Gesellschaft unserer Vorsorge entbehren und sich in der verruchten, kalten Welt jämmerlich herumdrücken müßte!
Male mir einen Zustand, worin Ottilie ohne mich, ohne uns glücklich sein könnte, dann sollst du ein Argument ausgesprochen haben, das stärker ist als jedes andre, das ich, wenn ichs auch nicht zugeben, mich ihm nicht ergeben kann, dennoch recht gern aufs neue in Betrachtung und überlegung ziehen will".
Diese Aufgabe war so leicht nicht zu lösen, wenigstens fiel dem Freunde hierauf keine hinlängliche Antwort ein, und es blieb ihm nichts übrig, als wiederholt einzuschärfen, wie wichtig, wie bedenklich und in manchem Sinne gefährlich das ganze Unternehmen sei, und daß man wenigstens, wie es anzugreifen wäre, auf das ernstlichste zu bedenken habe.
Eduard ließ sichs gefallen, doch nur unter der Bedingung, daß ihn der Freund nicht eher verlassen wolle, als bis sie über die Sache völlig einig geworden und die ersten Schritte getan seien.
Völlig fremde und gegeneinander gleichgültige Menschen, wenn sie eine Zeitlang zusammenleben, kehren ihr Inneres wechselseitig heraus, und es muß eine gewisse Vertraulichkeit entstehen.
Um so mehr läßt sich erwarten, daß unsern beiden Freunden, indem sie wieder nebeneinander wohnten, täglich und stündlich zusammen umgingen, gegenseitig nichts verborgen blieb.
Sie wiederholten das Andenken ihrer früheren Zustände, und der Major verhehlte nicht, daß Charlotte Eduarden, als er von Reisen zurückgekommen, Ottilien zugedacht, daß sie ihm das schöne Kind in der Folge zu vermählen gemeint habe.
Eduard, bis zur Verwirrung entzückt über diese Entdeckung, sprach ohne Rückhalt von der gegenseitigen Neigung Charlottens und des Majors, die er, weil es ihm gerade bequem und günstig war, mit lebhaften Farben ausmalte.
Ganz leugnen konnte der Major nicht und nicht ganz eingestehen; aber Eduard befestigte, bestimmte sich nur mehr.
Er dachte sich alles nicht als möglich, sondern als schon geschehen.
Alle Teile brauchten nur in das zu willigen, was sie wünschten; eine Scheidung war gewiß zu erlangen; eine baldige Verbindung sollte folgen, und Eduard wollte mit Ottilien reisen.
Unter allem, was die Einbildungskraft sich Angenehmes ausmalt, ist vielleicht nichts Reizenderes, als wenn Liebende, wenn junge Gatten ihr neues, frisches Verhältnis in einer neuen, frischen Welt zu genießen und einen dauernden Bund an soviel wechselnden Zuständen zu prüfen und zu bestätigen hoffen.
Der Major und Charlotte sollten unterdessen unbeschränkte Vollmacht haben, alles, was sich auf Besitz, Vermögen und die irdischen wünschenswerten Einrichtungen bezieht, dergestalt zu ordnen und nach Recht und Billigkeit einzuleiten, daß alle Teile zufrieden sein könnten.
Worauf jedoch Eduard am allrmeisten zu fußen, wovon er sich den größten Vorteil zu versprechen schien, war dies: da das Kind bei der Mutter bleiben sollte, so würde der Major den Knaben erziehen, ihn nach seinen Einsichten leiten, seine Fähigkeiten entwickeln können.
Nicht umsonst hatte man ihm dann in der Taufe ihren beiderseitigen Namen Otto gegeben.
Das alles war bei Eduarden so fertig geworden, daß er keinen Tag länger anstehen mochte, der Ausführung näherzutreten.
Sie gelangten auf ihrem Wege nach dem Gute zu einer kleinen Stadt, in der Eduard ein Haus besaß, wo er verweilen und die Rückkunft des Majors abwarten wollte.
Doch konnte er sich nicht überwinden, daselbst sogleich abzusteigen, und begleitete den Freund noch durch den Ort.
Sie waren beide zu Pferde, und in bedeutendem Gespräch verwickelt ritten sie zusammen weiter.
Auf einmal erblickten sie in der Ferne das neue Haus auf der Höhe, dessen rote Ziegeln sie zum erstenmal blinken sahen.
Eduarden ergreift eine unwiderstehliche Sehnsucht; es soll noch diesen Abend alles abgetan sein.
In einem ganz nahen Dorfe will er sich verborgen halten; der Major soll die Sache Charlotten dringend vorstellen, ihre Vorsicht überraschen und durch den unerwarteten Antrag sie zu freier Eröffnung ihrer Gesinnung nötigen.
Denn Eduard, der seine Wünsche auf sie übergetragen hatte, glaubte nicht anders, als daß er ihren entschiedenen Wünschen entgegenkomme, und hoffte eine so schnelle Einwilligung von ihr, weil er keinen andern Willen haben konnte.
Er sah den glücklichen Ausgang freudig vor Augen, und damit dieser dem Lauernden schnell verkündigt würde, sollten einige Kanonenschläge losgebrannt werden und, wäre es Nacht geworden, einige Raketen steigen.
Der Major ritt nach dem Schlosse zu.
Er fand Charlotten nicht, sondern erfuhr vielmehr, daß sie gegenwärtig oben auf dem neuen Gebäude wohne, jetzt aber einen Besuch in der Nachbarschaft ablege, von welchem sie heute wahrscheinlich nicht so bald nach Hause komme.
Er ging in das Wirtshaus zurück, wohin er sein Pferd gestellt hatte.
Eduard indessen, von unüberwindlicher Ungeduld getrieben, schlich aus seinem Hinterhalte durch einsame Pfade, nur Jägern und Fischern bekannt, nach seinem Park und fand sich gegen Abend im Gebüsch in der Nachbarschaft des Sees, dessen Spiegel er zum erstenmal vollkommen und rein erblickte.
Ottilie hatte diesen Nachmittag einen Spaziergang an den See gemacht.
Sie trug das Kind und las im Gehen nach ihrer Gewohnheit.
So gelangte sie zu den Eichen bei der überfahrt.
Der Knabe war eingeschlafen; sie setzte sich, legte ihn neben sich nieder und fuhr zu lesen.
Das Buch war eins von denen, die ein zartes Gemüt an sich ziehen und nicht wieder loslassen.
Sie vergaß Zeit und Stunde und dachte nicht, daß sie zu Lande noch einen weiten Rückweg nach dem neuen Gebäude habe; aber sie saß versenkt in ihr Buch, in sich selbst, so liebenswürdig anzusehen, daß die Bäume, die Sträuche ringsumher hätten belebt, mit Augen begabt sein sollen, um sie zu bewundern und sich an ihr zu erfreuen.
Und eben fiel ein rötliches Streiflicht der sinkenden Sonne hinter ihr her und vergoldete Wange und Schulter.
Eduard, dem es bisher gelungen war, unbemerkt so weit vorzudringen, der seinen Park leer; die Gegend einsam fand, wagte sich immer weiter.
Endlich bricht er durch das Gebüsch bei den Eichen, er sieht Ottilien, sie ihn; er fliegt auf sie zu und liegt zu ihren Füßen.
Nach einer langen, stummen Pause, in der sich beide zu fassen suchen, erklärt er ihr mit wenig Worten, warum und wie er hieher gekommen.
Er habe den Major an Charlotten abgesendet, ihr gemeinsames Schicksal werde vielleicht in diesem Augenblick entschieden.
Nie habe er an ihrer Liebe gezweifelt, sie gewiß auch nie an der seinigen.
Er bitte sie um ihre Winwilligung.
Sie zauderte, er beschwur sie; er wollte seine alten Rechte geltend machen und sie in seine Arme schließen; sie deutete auf das Kind hin.
Eduard erblickt es und staunt.
"Großer Gott!" ruft er aus, "wenn ich Ursache hätte, an meiner Frau, an meinem Freunde zu zweifeln, so würde diese Gestalt fürchterlich gegen sie zeugen.
Ist dies nicht die Bildung des Majors?
Solch ein Gleichen habe ich nie gesehen".
"Nicht doch!" versetzte Ottilie; "alle Welt sagt, es gleiche mir".
-"Wär es möglich?" versetzte Eduard, und in dem Augenblick schlug das Kind die Augen auf, zwei große, schwarze, durchdringende Augen, tief und freundlich.
Der Knabe sah die Welt schon so verständig an; er schien die beiden zu kennen, die vor ihm standen.
Eduard warf sich bei dem Kinde nieder, er kniete zweimal vor Ottilien.
"Du bists!" rief er aus, "deine Augen sinds.
Ach!
Aber laß mich nur in die deinigen schaun.
Laß mich einen Schleier werfen über jene unselige Stunde, die diesem Wesen das Dasein gab.
Soll ich deine reine Seele mit dem unglücklichen Gedanken erschrecken, daß Mann und Frau entfremdet sich einander ans Herz drücken und einen gesetzlichen Bund durch lebhafte Wünsche entheiligen können?
Oder ja, da wir einmal so weit sind, da mein Verhältnis zu Charlotten getrennt werden muß, da du die Meinige sein wirst, warum soll ich es nicht sagen?
Warum soll ich das harte Wort nicht aussprechen: dies Kind ist aus einem doppelten Ehbruch erzeugt!
Es trennt mich von meiner Gattin und meine Gattin von mir, wie es uns hätte verbinden sollen.
Mag es denn gegen mich zeugen, mögen diese herrlichen Augen den deinigen sagen, daß ich in den Armen einer andern dir gehörte; mögest du fühlen, Ottilie, recht fühlen, daß ich jenen Fehler, jenes Verbrechen nur in deinen Armen abbüßen kann!"
"Horch!" rief er aus, indem er aufsprang und einen Schuß zu hören glaubte, als das Zeichen, das der Major geben sollte.
Es war ein Jäger, der im benachbarten Gebirg geschossen hatte.
Es erfolgte nichts weiter; Eduard war ungeduldig.
Nun erst sah Ottilie, daß die Sonne sich hinter die Berge gesenkt hatte.
Noch zuletzt blinkte sie von den Fenstern des obern Gebäudes zurück.
"Entferne dich, Eduard!" rief Ottilie".
"O lange haben wir entbehrt, so lange geduldet.
Bedenke, was wir beide Charlotten schuldig sind.
Sie muß unser Schicksal entscheiden, laß uns ihr nicht vorgreifen.
Ich bin die Deine, wenn sie es vergönnt; wo nicht, so muß ich dir entsagen.
Da du die Entscheidung so nah glaubst, so laß uns erwarten.
Geh in das Dorf zurück, wo der Major dich vermutet.
Wie manches kann vorkommen, das eine Erklärgung fordert.
Ist es wahrscheinlich, daß ein roher Kanonenschlag dir den Erfolg seiner Unterhandlungen verkünde?
Vielleicht sucht er dich auf in diesem Augenblick.
Er hat Charlotten nicht getroffen, das weiß ich; er kann ihr entgegengegangen sein, denn man wußte, wo sie hin war.
Wie vielerlei Fälle sind möglich!
Laß mich!
Jetzt muß sie kommen.
Sie erwartet mich mit dem Kinde dort oben".
Ottilie sprach in Hast.
Sie rief sich alle Möglichkeiten zusammen. Sie war glücklich in Eduards Nähe und fühlte, daß sie ihn jetzt entfernen müsse.
"Ich bitte, ich beschwöre dich, Geliebter!" ief sie aus, "kehre zurück und erwarte den Major!" – "Ich gehorche deinen Befehlen", rief Eduard, indem er sie erst leidenschaftlich anblickte und sie dann fest in seine Arme schloß.
Sie umschlang ihn mit den ihrigen und drückte ihn auf das zärtlichste an ihre Brust.
Die Hoffnung fuhr wie ein Stern, der vom Himmel fällt, über ihre Häupter weg.
Sie wähnten, sie glaubten einander anzugehören; sie wechselten zum erstenmal entschiedene, freie Küsse und trennten sich gewaltsam und schmerzlich.
Die Sonne war untergegangen, und es dämmerte schon und duftete feucht um den See.
Ottilie stand verwirrt und bewegt; sie sah nach dem Berghause hinüber und glaubte Charlottens weißes Kleid auf dem Altan zu sehen.
Der Umweg war groß am See hin; sie kannte Charlottens ungeduldiges Haaren nach dem Kinde.
Die Platanen sieht sie gegen sich über, nur ein Wasserraum trennt sie von dem Pfade, der sogleich zu dem Gebäude hinaufführt.
Mit Gedanken ist sie schon drüben wie mit den Augen.
Die Bedenklichkeit, mit dem Kinde sich aufs Wasser zu wagen, verschwindet in diesem Drange.
Sie eilt nach dem Kahn, sie fühlt nicht, daß ihr Herz pocht, daß ihre Füße schwanken, daß ihr die Sinne zu vergehen drohn.
Sie springt in den Kahn, ergreift das Ruder und stößt ab.
Sie muß Gewalt brauchen, sie wiederholt den Stoß, der Kahn schwankt und gleitet eine Strecke seewärts.
Auf dem linken Arme das Kind, in der linken Hand das Buch, in der rechten das Ruder, schwankt auch sie und fällt in den Kahn.
Das Ruder entfährt ihr nach der einen Seite und, wie sie sich erhalten will, Kind und Buch nach der andern, alles ins Wasser.
Sie ergreift noch des Kindes Gewand; aber ihre unbequeme Lage hindert sie selbst am Aufstehen.
Die freie rechte Hand ist nicht hinreichend sich umzuwenden, sich aufzurichten; endlich gelingts, sie zieht das Kind aus dem Wasser, aber seine Augen sind geschlossen, es hat aufgehört zu atmen.
In dem Augenblick kehrt ihre ganze Besonnenheit zurück, aber um desto größer ist ihr Schmerz.
Der Kahn treibt fast in der Mitte des Sees, das Ruder schwimmt fern, sie erblickt niemanden am Ufer, und auch was hätte es ihr geholfen, jemanden zu sehen!
Von allem abgesondert, schwebt sie auf dem treulosen, unzugänglichen Elemente.
Sie sucht Hülfe bei sich selbst.
So oft hatte sie von Rettung der Ertrunkenen gehört.
Noch am Abend ihres Geburtstags hatte sie es erlebt.
Sie entkleidet das Kind und trocknets mit ihrem Musselingewand.
Sie reißt ihren Busen auf und zeigt ihn zum erstenmal dem freien Himmel; zum erstenmal drückt sie ein Lebendiges an ihre reine nackte Brust, ach!
Und kein Lebendiges.
Die kalten Glieder des unglücklichen Geschöpfs verkälten ihren Busen bis ins innerste Herz.
Unendliche Tränen entquellen ihren Augen und erteilen der Oberfläche des Erstarrten einen Schein von Wärme und Leben.
Sie läßt nicht nach, sie überhüllt es mit ihrem Schal, und durch Streicheln, Andrücken, Anhauchen, Küssen, Tränen glaubt sie jene Hülfsmittel zu ersetzen, die ihr in dieser Abgeschnittenheit versagt sind. Alles vergebens!
Ohne Bewegung liegt das Kind in ihren Armen, ohne Bewegung steht der Kahn auf der Wasserfläche; aber auch hier läßt ihr schönes Gemüt sie nicht hülflos.
Sie wendet sich nach oben.
Knieend sinkt sie in dem Kahne nieder und hebt das erstarrte Kind mit beiden Armen über ihre unschuldige Brust, die an Weiße und leider auch an Kälte dem Marmor gleicht.
Mit feuchtem Blick sieht sie empor und ruft Hülfe von daher, wo ein zartes Herz die größte Fülle zu finden hofft, wenn es überall mangelt.
Auch wendet sie sich nicht vergebens zu den Sternen, die schon einzeln hervorzublinken anfangen.
Ein sanfter Wind erhebt sich und treibt den Kahn nach dem Platanen.
Sie eilt nach dem neuen Gebäude, sie ruft den Chirurgus hervor, sie übergibt ihm das Kind.
Der auf alles gefaßte Mann behandelt den zarten Leichnam stufenweise nach gewohnter Art.
Ottilie steht ihm in allem bei; sie schafft, sie bringt, sie sorgt, zwar wie in einer andern Welt wandelnd, denn das höchste Unglück wie das höchste Glück verändert die Ansicht aller Gegenstände; und nur, als nach allen durchgegangenen Versuchen der wackere Mann den Kopf schüttelt, auf ihre hoffnungsvollen Fragen erst schweigend, dann mit einem leisen Nein antwortet, verläßt sie das Schlafzimmer Charlottens, worin dies alles geschehen, und kaum hat sie das Wohnzimmer betreten, so fällt sie, ohne den Sofa erreichen zu können, erschöpft aufs Angesicht über den Teppich hin.
Eben hört man Charlotten vorfahren.
Der Chirurg bittet die Umstehenden dringend, zurückzubleiben, er will ihr entgegnen, sie vorbereiten; aber schon betritt sie ihr Zimmer.
Sie findet Ottilien an der Erde, und ein Mädchen des Hauses stürzt ihr mit Geschrei und Weinen entgegen.
Der Chirurg tritt herein, und sie erfährt alles auf einmal.
Wie sollte sie aber jede Hoffnung mit einmal aufgeben!
Der erfahrne, kunstreiche, kluge Mann bittet sie nur, das Kind nicht zu sehen; er entfernt sich, sie mit neuen Anstalten zu täuschen.
Sie hat sich auf ihren Sofa gesetzt, Ottilie liegt noch an der Erde, aber an der Freundin Kniee herangehoben, über die ihr schönes Haupt hingesenkt ist.
Der ärztliche Freund geht ab und zu; er scheint sich um das Kind zu bemühen, er bemüht sich um die Frauen.
So kommt die Mitternacht herbei, die Totenstille wird immer tiefer.
Charlotte verbirgt sichs nicht mehr, daß das Kind nie wieder ins Leben zurückkehre; sie verlangt es zu sehen.
Man hat es in warme wollne Tücher reinlich eingehüllt, in einen Korb gelegt, den man neben sie auf den Sofa setzt; nur das Gesichtchen ist frei; ruhig und schön liegt es da.
Von dem Unfall war das Dorf bald erregt worden und die Kunde sogleich bis nach dem Gasthof erschollen.
Der Major hatte sich die bekannten Wege hinaufbegeben; er ging um das Haus herum, und indem er einen Bedienten anhielt, der in dem Angebäude etwas zu holen lief, verschaffte er sich nähere Nachricht und ließ den Chirurgen herausrufen.
Dieser kam, erstaunt über die Erscheinung seines alten Gönners, berichtete ihm die gegenwärtige Lage und übernahm es, Charlotten auf seinen Anblick vorzubereiten.
Er ging hinein, fing ein ableitendes Gespräch an und führte die Einbildungskraft von einem Gegenstand auf den andern, bis er endlich den Freund Charlotten vergegenwärtigte, dessen gewisse Teilnahme, dessen Nähe dem Geiste, der Gesinnung nach, die er denn bald in eine wirkliche übergehen ließ.
Genug, sie erfuhr, der Freund stehe vor der Tür, er wisse alles und wünsche eingelassen zu werden.
Der Major trat herein; ihn begrüßte Charlotte mit einem schmerzlichen Lächeln.
Er stand vor ihr.
Sie hub die grünseidne Decke auf, die den Leichnam verbarg, und bei dem dunklen Schein einer Kerze erblickte er nicht ohne geheimes Grausen sein erstarrtes Ebenbild.
Charlotte deutete auf einen Stuhl, und so saßen sie gegeneinader über, schweigend, die Nacht hindurch.
Ottilie lag noch ruhig auf den Knieen Charlottens; sie atmete sanft; sie schlief, oder sie schien zu schlafen.
Der Morgen dämmerte, das Licht verlosch, beide Freunde schienen aus einem dumpfen Traum zu erwachen.
Charlotte blickte den Major an und sagte gefaßt: "erklären Sie mir, mein Freund, durch welche Schickung kommen Sie hieher, um teil an dieser Trauerszene zu nehmen?" "Es ist hier", antwortete der Major ganz leise, wie sie gefragt hatte – als wenn sie Ottilien nicht aufwecken wollten – , "es ist hier nicht Zeit und Ort, zurückzuhalten, Einleitungen zu machen und sachte heranzutreten.
Der Fall, in dem ich Sie finde, ist so ungeheuer, daß das Bedeutende selbst, weshalb ich komme, dagegen seinen Wert verliert".
Er gestand ihr darauf ganz ruhig und einfach den Zweck seiner Sendung, insofern Eduard ihn abgeschickt hatte, den Zweck seines Kommens, insofern sein freier Wille, sein eigenes Interesse dabei war.
Er trug beides sehr zart, doch aufrichtig vor; Charlotte hörte gelassen zu und schien weder darüber zu staunen noch unwillig zu sein.
Als der Major geendigt hatte, antwortete Charlotte mit ganz leiser Stimme, sodaß er genötigt war, seinen Stuhl heranzurücken: in einem Falle, wie dieser ist, habe ich mich noch nie befunden, aber in ähnlichen habe ich mir immer gesagt: 'wie wird es morgen sein?'
Ich fühle recht wohl, daß das Los von mehreren jetzt in meinen Händen liegt; und was ich zu tun habe, ist bei mir außer Zweifel und bald ausgesprochen.
Ich willige in die Scheidung.
Ich hätte mich früher dazu entschließen sollen; durch mein Zaudern, mein Widerstreben habe ich das Kind getötet.
Es sind gewisse Dinge, die sich das Schicksal hartnäckig vornimmt.
Vergebens, daß Vernunft und Tugend, Pflicht und alles Heilige sich ihm in den Weg stellen: es soll etwas geschehen, was ihm recht ist, was uns nicht recht scheint; und so greift es zuletzt durch, wir mögen uns gebärden, wie wir wollen.
Doch was sag ich!
Eigentlich will das Schicksal meinen eigenen Wunsch, meinen eigenen Vorsatz, gegen die ich unbedachtsam gehandelt, wieder in den Weg bringen.
Habe ich nicht selbst schon Ottilien und Eduarden mir als das schicklichste Paar zusammengedacht?
Habe ich nicht selbst beide einander zu nähern gesucht?
Waren Sie nicht selbst, mein Freund, Mitwisser dieses Plans?
Und warum konnte ich den Eigensinn eines Mannes nicht von wahrer Liebe unterscheiden?
Warum nahm ich seine Hand an, da ich als Freundin ihn und eine andre Gattin glücklich gemacht hätte?
Und betrachten Sie nur diese unglückliche Schlummernde!
Ich zittere vor dem Augenblicke, wenn sie aus ihrem halben Totenschlafe zum Bewußtsein erwacht.
Wie soll sie leben, wie soll sie sich trösten, wenn sie nicht hoffen kann, durch ihre Liebe Eduarden das zu ersetzen, was sie ihm als Werkzeug des wunderbarsten Zufalls geraubt hat?
Und sie kann ihm alles wiedergeben nach der Neigung, nach der Leidenschaft, mit der sie ihn liebt.
Vermag die Liebe, alles zu dulden, so vermag sie noch viel mehr, alles zu ersetzen.
An mich darf in diesem Augenblick nicht gedacht werden.
Entfernen Sie sich in der Stille, lieber Major.
Sagen Sie Eduarden, daß ich in die Scheidung willige, daß ich ihm, Ihnen, Mittlern die ganze Sache einzuleiten überlasse, daß ich um meine künftige Lage unbekümmert bin und es in jedem Sinne sein kann.
Ich will jedes Papier unterschreiben, das man mir bringt; aber man verlange nur nicht von mir, daß ich mitwirke, daß ich bedenke, daß ich berate".
Der Major stand auf.
Sie reichte ihm ihre Hand über Ottilien weg.
Er drückte seine Lippen auf diese liebe Hand.
"Und für mich, was darf ich hoffen?" lispelte er leise.
"Lassen Sie mich Ihnen die Antwort schuldig bleiben", versetzte Charlotte.
"Wir haben nicht verschuldet, unglücklich zu werden, aber durch nicht verdient, zusammen glücklich zu sein".
Der Major entfernte sich, Charlotten tief im Herzen beklagend, ohne jedoch das arme abgeschiedene Kind bedauern zu können.