Kitabı oku: «Wilhelm Meisters Lehrjahre — Band 4», sayfa 7
IV. Buch, 19. Kapitel
Neunzehntes Kapitel
Indem nun Wilhelm auf diese Weise sehr angenehme Stunden zubrachte, befanden sich Melina und die übrigen in einer desto verdrießlichern Lage. Sie erschienen unserm Freunde manchmal wie böse Geister und machten ihm nicht bloß durch ihre Gegenwart, sondern auch oft durch flämische Gesichter und bittre Reden einen verdrießlichen Augenblick. Serlo hatte sie nicht einmal zu Gastrollen gelassen, geschweige daß er ihnen Hoffnung zum Engagement gemacht hätte, und hatte dessenungeachtet nach und nach ihre sämtlichen Fähigkeiten kennengelernt. Sooft sich Schauspieler bei ihm gesellig versammelten, hatte er die Gewohnheit, lesen zu lassen und manchmal selbst mitzulesen. Er nahm Stücke vor, die noch gegeben werden sollten, die lange nicht gegeben waren, und zwar meistens nur teilweise. So ließ er auch nach einer ersten Aufführung Stellen, bei denen er etwas zu erinnern hatte, wiederholen, vermehrte dadurch die Einsicht der Schauspieler und verstärkte ihre Sicherheit, den rechten Punkt zu treffen. Und wie ein geringer aber richtiger Verstand mehr als ein verworrenes und ungeläutertes Genie zur Zufriedenheit anderer wirken kann, so erhub er mittelmäßige Talente durch die deutliche Einsicht, die er ihnen unmerklich verschaffte, zu einer bewundernswürdigen Fähigkeit. Nicht wenig trug dazu bei, daß er auch Gedichte lesen ließ und in ihnen das Gefühl jenes Reizes erhielt, den ein wohlvorgetragener Rhythmus in unsrer Seele erregt, anstatt daß man bei andern Gesellschaften schon anfing, nur diejenige Prosa vorzutragen, wozu einem jeden der Schnabel gewachsen war.
Bei solchen Gelegenheiten hatte er auch die sämtlichen angekommenen Schauspieler kennenlernen, das, was sie waren und was sie werden konnten, beurteilt und sich in der Stille vorgenommen, von ihren Talenten bei einer Revolution, die seiner Gesellschaft drohete, sogleich Vorteil zu ziehen. Er ließ die Sache eine Weile auf sich beruhen, lehnte alle Interzessionen Wilhelms für sie mit Achselzucken ab, bis er seine Zeit ersah und seinem jungen Freunde ganz unerwartet den Vorschlag tat: er solle doch selbst bei ihm aufs Theater gehen, und unter dieser Bedingung wolle er auch die übrigen engagieren.
"Die Leute müssen also doch so unbrauchbar nicht sein, wie Sie mir solche bisher geschildert haben", versetzte ihm Wilhelm, "wenn sie jetzt auf einmal zusammen angenommen werden können, und ich dächte, ihre Talente müßten auch ohne mich dieselbigen bleiben."
Serlo eröffnete ihm darauf unter dem Siegel der Verschwiegenheit seine Lage: wie sein erster Liebhaber Miene mache, ihn bei der Erneuerung des Kontrakts zu steigern, und wie er nicht gesinnt sei, ihm nachzugeben, besonders da die Gunst des Publikums gegen ihn so groß nicht mehr sei. Ließe er diesen gehen, so würde sein ganzer Anhang ihm folgen, wodurch denn die Gesellschaft einige gute, aber auch einige mittelmäßige Glieder verlöre. Hierauf zeigte er Wilhelmen, was er dagegen an ihm, an Laertes, dem alten Polterer und selbst an Frau Melina zu gewinnen hoffe. Ja, er versprach, dem armen Pedanten als Juden, Minister und überhaupt als Bösewicht einen entschiedenen Beifall zu verschaffen.
Wilhelm stutzte und vernahm den Vortrag nicht ohne Unruhe, und nur, um etwas zu sagen, versetzte er, nachdem er tief Atem geholt hatte: "Sie sprechen auf eine sehr freundliche Weise nur von dem Guten, was Sie an uns finden und von uns hoffen; wie sieht es denn aber mit den schwachen Seiten aus, die Ihrem Scharfsinne gewiß nicht entgangen sind?"
"Die wollen wir bald durch Fleiß, übung und Nachdenken zu starken Seiten machen", versetzte Serlo. "Es ist unter euch allen, die ihr denn doch nur Naturalisten und Pfuscher seid, keiner, der nicht mehr oder weniger Hoffnung von sich gäbe; denn soviel ich alle beurteilen kann, so ist kein einziger Stock darunter, und Stöcke allein sind die Unverbesserlichen, sie mögen nun aus Eigendünkel, Dummheit oder Hypochondrie ungelenk und unbiegsam sein."
Serlo legte darauf mit wenigen Worten die Bedingungen dar, die er machen könne und wolle, bat Wilhelmen um schleunige Entscheidung und verließ ihn in nicht geringer Unruhe.
Bei der wunderlichen und gleichsam nur zum Scherz unternommenen Arbeit jener fingierten Reisebeschreibung, die er mit Laertes zusammensetzte, war er auf die Zustände und das tägliche Leben der wirklichen Welt aufmerksamer geworden, als er sonst gewesen war. Er begriff jetzt selbst erst die Absicht des Vaters, als er ihm die Führung des Journals so lebhaft empfohlen. Er fühlte zum ersten Male, wie angenehm und nützlich es sein könne, sich zur Mittelsperson so vieler Gewerbe und Bedürfnisse zu machen und bis in die tiefsten Gebirge und Wälder des festen Landes Leben und Tätigkeit verbreiten zu helfen. Die lebhafte Handelsstadt, in der er sich befand, gab ihm bei der Unruhe des Laertes, der ihn überall mit herumschleppte, den anschaulichsten Begriff eines großen Mittelpunktes, woher alles ausfließt und wohin alles zurückkehrt, und es war das erste Mal, daß sein Geist im Anschauen dieser Art von Tätigkeit sich wirklich ergötzte. In diesem Zustande hatte ihm Serlo den Antrag getan und seine Wünsche, seine Neigung, sein Zutrauen auf ein angebornes Talent und seine Verpflichtung gegen die hülflose Gesellschaft wieder rege gemacht.
"Da steh ich nun", sagte er zu sich selbst, "abermals am Scheidewege zwischen den beiden Frauen, die mir in meiner Jugend erschienen. Die eine sieht nicht mehr so kümmerlich aus wie damals, und die andere nicht so prächtig. Der einen wie der andern zu folgen, fühlst du eine Art von innerm Beruf, und von beiden Seiten sind die äußern Anlässe stark genug; es scheint dir unmöglich, dich zu entscheiden; du wünschest, daß irgendein übergewicht von außen deine Wahl bestimmen möge, und doch, wenn du dich recht untersuchst, so sind es nur äußere Umstände, die dir eine Neigung zu Gewerb, Erwerb und Besitz einflößen, aber dein innerstes Bedürfnis erzeugt und nährt den Wunsch, die Anlagen, die in dir zum Guten und Schönen ruhen mögen, sie seien körperlich oder geistig, immer mehr zu entwickeln und auszubilden. Und muß ich nicht das Schicksal verehren, das mich ohne mein Zutun hierher an das Ziel aller meiner Wünsche führt? Geschieht nicht alles, was ich mir ehemals ausgedacht und vorgesetzt, nun zufällig, ohne mein Mitwirken? Sonderbar genug! Der Mensch scheint mit nichts vertrauter zu sein als mit seinen Hoffnungen und Wünschen, die er lange im Herzen nährt und bewahrt, und doch, wenn sie ihm nun begegnen, wenn sie sich ihm gleichsam aufdringen, erkennt er sie nicht und weicht vor ihnen zurück. Alles, was ich mir vor jener unglücklichen Nacht, die mich von Marianen entfernte, nur träumen ließ, steht vor mir und bietet sich mir selbst an. Hierher wollte ich flüchten und bin sachte hergeleitet worden; bei Serlo wollte ich unterzukommen suchen, er sucht nun mich und bietet mir Bedingungen an, die ich als Anfänger nie erwarten konnte. War es denn bloß Liebe zu Marianen, die mich ans Theater fesselte? oder war es Liebe zur Kunst, die mich an das Mädchen festknüpfte? War jene Aussicht, jener Ausweg nach der Bühne bloß einem unordentlichen, unruhigen Menschen willkommen, der ein Leben fortzusetzen wünschte, das ihm die Verhältnisse der bürgerlichen Welt nicht gestatteten, oder war es alles anders, reiner, würdiger? Und was sollte dich bewegen können, deine damaligen Gesinnungen zu ändern? Hast du nicht vielmehr bisher selbst unwissend deinen Plan verfolgt? Ist nicht jetzt der letzte Schritt noch mehr zu billigen, da keine Nebenabsichten dabei im Spiele sind und da du zugleich ein feierlich gegebenes Wort halten und dich auf eine edle Weise von einer schweren Schuld befreien kannst?"
Alles, was in seinem Herzen und seiner Einbildungskraft sich bewegte, wechselte nun auf das lebhafteste gegeneinander ab. Daß er seine Mignon behalten könne, daß er den Harfner nicht zu verstoßen brauche, war kein kleines Gewicht auf der Waagschale, und doch schwankte sie noch hin und wider, als er seine Freundin Aurelie gewohnterweise zu besuchen ging.
IV. Buch, 20. Kapitel
Zwanzigstes Kapitel
Er fand sie auf ihrem Ruhebette; sie schien stille. "Glauben Sie noch, morgen spielen zu können?" fragte er. "O ja", versetzte sie lebhaft; "Sie wissen, daran hindert mich nichts. — Wenn ich nur ein Mittel wüßte, den Beifall unsers Parterres von mir abzulehnen; sie meinen es gut und werden mich noch umbringen. Vorgestern dacht ich, das Herz müßte mir reißen! Sonst konnt ich es wohl leiden, wenn ich mir selbst gefiel; wenn ich lange studiert und mich vorbereitet hatte, dann freute ich mich, wenn das willkommene Zeichen, nun sei es gelungen, von allen Enden widertönte. Jetzo sag ich nicht, was ich will, nicht, wie ich's will; ich werde hingerissen; ich verwirre mich, und mein Spiel macht einen weit größern Eindruck. Der Beifall wird lauter, und ich denke: Wüßtet ihr, was euch entzückt! Die dunkeln, heftigen, unbestimmten Anklänge rühren euch, zwingen euch Bewundrung ab, und ihr fühlt nicht, daß es die Schmerzenstöne der Unglücklichen sind, der ihr euer Wohlwollen geschenkt habt.
Heute früh hab ich gelernt, jetzt wiederholt und versucht. Ich bin müde, zerbrochen, und morgen geht es wieder von vorn an. Morgen abend soll gespielt werden. So schlepp ich mich hin und her; es ist mir langweilig aufzustehen und verdrießlich, zu Bette zu gehen. Alles macht einen ewigen Zirkel in mir. Dann treten die leidigen Tröstungen vor mir auf, dann werf ich sie weg und verwünsche sie. Ich will mich nicht ergeben, nicht der Notwendigkeit ergeben — warum soll das notwendig sein, was mich zugrunde richtet? Könnte es nicht auch anders sein? Ich muß es eben bezahlen, daß ich eine Deutsche bin; es ist der Charakter der Deutschen, daß sie über allem schwer werden, daß alles über ihnen schwer wird."
"O meine Freundin", fiel Wilhelm ein, "könnten Sie doch aufhören, selbst den Dolch zu schärfen, mit dem Sie sich unablässig verwunden! Bleibt Ihnen denn nichts? Ist denn Ihre Jugend, Ihre Gestalt, Ihre Gesundheit, sind Ihre Talente nichts? Wenn Sie ein Gut ohne Ihr Verschulden verloren haben, müssen Sie denn alles übrige hinterdreinwerfen? Ist das auch notwendig?"
Sie schwieg einige Augenblicke, dann fuhr sie auf: "Ich weiß es wohl, daß es Zeitverderb ist, nichts als Zeitverderb ist die Liebe! Was hätte ich nicht tun können! tun sollen! Nun ist alles rein zu nichts geworden. Ich bin ein armes verliebtes Geschöpf, nichts als verliebt! Haben Sie Mitleiden mit mir, bei Gott, ich bin ein armes Geschöpf!"
Sie versank in sich, und nach einer kurzen Pause rief sie heftig aus: "Ihr seid gewohnt, daß sich euch alles an den Hals wirft. Nein, ihr könnt es nicht fühlen, kein Mann ist imstande, den Wert eines Weibes zu fühlen, das sich zu ehren weiß! Bei allen heiligen Engeln, bei allen Bildern der Seligkeit, die sich ein reines, gutmütiges Herz erschafft, es ist nichts Himmlischeres als ein weibliches Wesen, das sich dem geliebten Manne hingibt! Wir sind kalt, stolz, hoch, klar, klug, wenn wir verdienen, Weiber zu heißen, und alle diese Vorzüge legen wir euch zu Füßen, sobald wir lieben, sobald wir hoffen, Gegenliebe zu erwerben. O wie hab ich mein ganzes Dasein so mit Wissen und Willen weggeworfen! Aber nun will ich auch verzweifeln, absichtlich verzweifeln. Es soll kein Blutstropfen in mir sein, der nicht gestraft wird, keine Faser, die ich nicht peinigen will. Lächeln Sie nur, lachen Sie nur über den theatralischen Aufwand von Leidenschaft!"
Fern war von unserm Freunde jede Anwandlung des Lachens. Der entsetzliche, halb natürliche, halb erzwungene Zustand seiner Freundin peinigte ihn nur zu sehr. Er empfand die Foltern der unglücklichen Anspannung mit: sein Gehirn zerrüttete sich, und sein Blut war in einer fieberhaften Bewegung.
Sie war aufgestanden und ging in der Stube hin und wider. "Ich sage mir alles vor", rief sie aus, "warum ich ihn nicht lieben sollte. Ich weiß auch, daß er es nicht wert ist; ich wende mein Gemüt ab, dahin und dorthin, beschäftige mich, wie es nur gehen will. Bald nehm ich eine Rolle vor, wenn ich sie auch nicht zu spielen habe; ich übe die alten, die ich durch und durch kenne, fleißiger und fleißiger ins einzelne und übe und übe — mein Freund, mein Vertrauter, welche entsetzliche Arbeit ist es, sich mit Gewalt von sich selbst zu entfernen! Mein Verstand leidet, mein Gehirn ist so angespannt; um mich vom Wahnsinne zu retten, überlaß ich mich wieder dem Gefühle, daß ich ihn liebe. — Ja, ich liebe ihn, ich liebe ihn!" rief sie unter tausend Tränen, "ich liebe ihn, und so will ich sterben."
Er faßte sie bei der Hand und bat sie auf das anständigste, sich nicht selbst aufzureiben. "Oh", sagte er, "Wie sonderbar ist es, daß dem Menschen nicht allein so manches Unmögliche, sondern auch so manches Mögliche versagt ist. Sie waren nicht bestimmt, ein treues Herz zu finden, das Ihre ganze Glückseligkeit würde gemacht haben. Ich war dazu bestimmt, das ganze Heil meines Lebens an eine Unglückliche festzuknüpfen, die ich durch die Schwere meiner Treue wie ein Rohr zu Boden zog, ja vielleicht gar zerbrach."
Er hatte Aurelien seine Geschichte mit Marianen vertraut und konnte sich also jetzt darauf beziehen. Sie sah ihm starr in die Augen und fragte: "Können Sie sagen, daß Sie noch niemals ein Weib betrogen, daß Sie keiner mit leichtsinniger Galanterie, mit frevelhafter Beteurung, mit herzlockenden Schwüren ihre Gunst abzuschmeicheln gesucht?"
"Das kann ich", versetzte Wilhelm, "und zwar ohne Ruhmredigkeit: denn mein Leben war sehr einfach, und ich bin selten in die Versuchung geraten zu versuchen. Und welche Warnung, meine schöne, meine edle Freundin, ist mir der traurige Zustand, in den ich Sie versetzt sehe! Nehmen Sie ein Gelübde von mir, das meinem Herzen ganz angemessen ist, das durch die Rührung, die Sie mir einflößten, sich bei mir zur Sprache und Form bestimmt und durch diesen Augenblick geheiligt wird: jeder flüchtigen Neigung will ich widerstehen und selbst die ernstlichsten in meinem Busen bewahren; kein weibliches Geschöpf soll ein Bekenntnis der Liebe von meinen Lippen vernehmen, dem ich nicht mein ganzes Leben widmen kann!"
Sie sah ihn mit einer wilden Gleichgültigkeit an und entfernte sich, als er ihr die Hand reichte, um einige Schritte. "Es ist nichts daran gelegen!" rief sie, "so viel Weibertränen mehr oder weniger, die See wird darum doch nicht wachsen. Doch", fuhr sie fort, "unter Tausenden eine gerettet, das ist doch etwas, unter Tausenden einen Redlichen gefunden, das ist anzunehmen! Wissen Sie auch, was Sie versprechen?"
"Ich weiß es", versetzte Wilhelm lächelnd und hielt seine Hand hin.
"Ich nehm es an", versetzte sie und machte eine Bewegung mit ihrer Rechten, so daß er glaubte, sie würde die seine fassen; aber schnell fuhr sie in die Tasche, riß den Dolch blitzgeschwind heraus und fuhr mit Spitze und Schneide ihm rasch über die Hand weg. Er zog sie schnell zurück, aber schon lief das Blut herunter.
"Man muß euch Männer scharf zeichnen, wenn ihr merken sollt!" rief sie mit einer wilden Heiterkeit aus, die bald in eine hastige Geschäftigkeit überging. Sie nahm ihr Schnupftuch und umwickelte seine Hand damit, um das erste hervordringende Blut zu stillen. "Verzeihen Sie einer Halbwahnsinnigen", rief sie aus, "und lassen Sie sich diese Tropfen Bluts nicht reuen. Ich bin versöhnt, ich bin wieder bei mir selber. Auf meinen Knien will ich Abbitte tun, lassen Sie mir den Trost, Sie zu heilen."
Sie eilte nach ihrem Schranke, holte Leinwand und einiges Gerät, stillte das Blut und besah die Wunde sorgfältig. Der Schnitt ging durch den Ballen gerade unter dem Daumen, teilte die Lebenslinie und lief gegen den kleinen Finger aus. Sie verband ihn still und mit einer nachdenklichen Bedeutsamkeit in sich gekehrt. Er fragte einigemal: "Beste, wie konnten Sie Ihren Freund verletzen?"
"Still", erwiderte sie, indem sie den Finger auf den Mund legte, "still!"