Kitabı oku: «Feinde des Lebens»

Yazı tipi:

Johannes Anders

Sternenlicht 7

Feinde des Lebens

Saphir im Stahl

Bereits erschienen:

Horst Hoffmann - Insel im Nichts

Johannes Anders - Rücksturz nach Tyros

Johannes Anders - Storm

Peter R. Krüger - Der Fehler im System

Joachim Stahl - Parsifal

Erik Schreiber - Wanderer

Johannes Anders - Feinde des Lebens

In Vorbereitung

Johannes Anders - Verräter an Bord

Peter R. Krüger - Die Soliamit-Krise

Sternenlicht 7

e-book 097

Feinde des Lebens

Überarbeitete Auflage 01.03.2022

© Saphir im Stahl

Verlag Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

www.saphir-im-stahl.de

Titelbild: Thomas Budach

Lektorat: Joachim Stahl / Rita Blotz

Vertrieb: Neobooks

Inhaltsverzeichnis

1 Brückentag

2 Schneise der Verwüstung

3 Offene Rechnungen

4 Der Vergifter

5 Rattenrisotto mit Erdnusssauce

6 Die Wurzel des Übels

7 Siegerehrung

8 Das Gesetz der Maschinen

9 Die andere MCLANE

10 Der Kampf um die MCLANE

11 Der Aufrührer

12 Unter Beschuss

13 Widerstand

14 Der Parasit

15 Der Angriff auf die LIBERTY

16 Die letzte Bitte

17 Die Suche nach Erkenntnis

Biographie

1

Brückentag

Leutnant Gael Klein beobachtete, wie Bordingenieur Chivan Swo mit einer Tüte Fritten in der Hand den Lift verließ. Der glückliche Gesichtsausdruck, mit dem er über die Brücke schwebte, war für Gael Klein nur schwer zu ertragen.

„Hast du herausgefunden, warum er so strahlt?“, flüstertesie Kommunikationsoffizier Neno Chung ins Ohr, der an der Konsole neben ihr stand.

„Nein, keine Ahnung.“

„Die fettigen Fritten allein können es nicht sein“, mutmaßte Gael. „Man könnte glauben, er hätte den geheimen Scotchvorrat der Kommandantin gefunden.“

„Zaya hat keine geheimen Alkoholvorräte“, widersprach Neno. „Du weißt, wie korrekt sie ist.“

„Dann nimmt er andere Drogen!“

Swo schien von dem Geraune seiner Kollegen nichts mitzubekommen. Er legte die Frittentüte auf einer Konsole ab und begann Checks durchzuführen. Mit Schaudern beobachtete Gael, wie eine der fettigen Fritten zu Boden fiel. Sie spürte den inneren Zwang hinzugehen und sie aufzuheben.

„Essen ist auf der Brücke nicht erlaubt!“, ermahnte sie Swo mit bebender Stimme und hielt ihm die Fritte unter die Nase.

Swo griff mit breitem Grinsen zu und schobsich den verlorenen Sohn seiner Pommes genüsslich in den Mund. „Tschulligung!“, murmelte er kauend und blies Gael dabei ranzigen Atem ins Gesicht.

Gael fuhrzurück und hob schützend die Arme. Sie erwog ein Donnerwetter abzulassen, sie tat es nicht. Es war ja zwecklos. Stattdessen rannte sie von der Brücke und verschanzte sich in ihrer Kabine.

„ALLISTER!“, schnauzte sie den Bordcomputer an. „Was ist mit Bordingenieur Swo los? Seit Tagen grinst er wie ein Honigkuchenpferd und nichts kann ihn aus der Ruhe bringen. Nimmt er Drogen?“

„Du weißt, dass ich keine persönlichen Daten weitergeben darf, Gael“, antwortete der Computer.

„Drogenkonsum an Bord eines Kreuzers ist keine Privatsache, das geht uns alle an!“

„Bordingenieur Swo nimmt keine Drogen.“

„Warum grinst er dann so dämlich?“

„Dazu kann ich nichts sagen.“

„Kannst du nicht oder willst du nicht?“

„Das kann ich nicht sagen.“

„Dann verschwinde aus meiner Kabine!“

Natürlich konnte der Bordcomputer nicht verschwinden, aber das Lämpchen, das den offenen Kommunikationskanal anzeigte, erlosch. Gael dachte nach. Das unerträgliche Glück hatte Swo seit drei Tagen heimgesucht. Vor drei Tagen musste folglich etwas Entscheidendes vorgefallen sein, das ihr entgangen war.

Sie aktivierte den Bordcomputer ein zweites Mal. „ALLISTER! Lies mir das Log von vor drei Tagen vor!“

„Morgendliche Bordkontrolle ohne Befund. Sprung über die Einstein-Rosen-Brücke planmäßig beendet. Nachrichtensonde aufgenommen. Nächster Sprung planmäßig begonnen …“

„Danke, das genügt.“

Es musste mit dem Nachrichtenupdate zusammenhängen. Die MCLANE war tief in die unerforschten Weiten des Alls vorgedrungen und befand sich fernab aller Relaisketten und Funkverbindungen. Das Mutterschiff, die FERDINAND MAGELLAN, schickte deshalb alle paar Wochen eine Sonde mit Nachrichten und neuen Anweisungen über die Einstein-Rosen-Brücke zu einem vereinbarten Treffpunkt. Alle freuten sich auf den Brückentag, wie er genannt wurde, weil auch persönliche Post mit ausgeliefert wurde.

„Enthielt das Update eine persönliche Nachricht für Bordingenieur Swo?“

„Dazu kann ich nichts sagen.“

Gael hätte gerne etwas zerdeppert. Der Gedanke an die dadurch entstehende Unordnung ließ sie davor zurückschrecken.

Ob ein anderes Besatzungsmitglied mehr herausgefunden hatte? Zaya wohl nicht. Die stand über solchem Klatsch und Tratsch, als Kommandantin würde sie nie die Privatsphäre der Besatzungsmitglieder verletzen. Aber vielleicht konnte Neno helfen. Der kümmerte sich zwar kaum um jemand anderen als um sich selbst, stand aber im Ruf ziemlicher Trinkfestigkeit.

„Kannst du Swo nicht zu einem Space-Sherry-Gelage überreden?“, fragte sie ihn. „Vielleicht verplaudert er sich, wenn er besoffen ist, und gibt das Geheimnis seines Glücks preis?“

„Das glaube ich kaum“, wandte Neno ein. „Er mag zwar Sherry, aber er ist auch unglaublich stur. Wer etwas für sich behalten will, tut er das. Frag lieber Storm, vielleicht weiß die noch was!“

Gael seufzte.

„Ich weiß“, sagte Neno, „Storm ist schwierig, man redet nicht gerne mit ihr. Aber sie ist nicht mehr so schlimm wie früher.“

„Man sieht ihr ja nicht einmal an, ob gerade Eden Sturm oder der Coach durch ihre Lippen spricht.“

„Das stimmt zwar, aber einen Versuch ist es wert. Der Coach weiß alles über die Besatzung, schließlich hat er uns lange Zeit psychologisch betreut.“

„Nur ist er sehr streng mit dem Datenschutz. Er beteuert ja, dass er nicht mal Eden vertrauliche Informationen über uns gibt, obwohl sie quasi seine andere Hirnhälfte ist.“

„Ja, stimmt natürlich. Dann frag doch Eden. Vielleicht hat sie etwas über Swo aufgeschnappt?“

„Ach, die interessiert sich doch nur für ihre Lichtwerfer und den Overkill.“

Trotzdem war Eden ein Ansatzpunkt, um mehr über Swo zu erfahren. Immerhin pfiff sie auf Vorschriften, also wahrscheinlich auch auf den Datenschutz.

Leider war es schwer, Eden Sturm unter vier Augen zu sprechen, denn sie schob endlose Schichten, bei denen sie sich mit Coach Juli abwechselte, indem sie immer eine Hirnhälfte schlafen schickte. Man witzelte schon, dass die beiden die Brücke nie mehr verlassen würden. Womöglich konnte man aufgrund ihrer Dauerschichten bald ein anderes Besatzungsmitglied einsparen. Nur selten gönnten sie ihrem gemeinsamen Körper Erholung.

Gael passte einen solchen Moment ab und summte an der Kabine der Armierungsoffizierin. Dabei verfluchte sie ihre brennende Neugier, die sie dazu anstiftete.

„Ja?“, ertönte es aus dem Wandlautsprecher.

„Gael Klein hier. Ich mache mir Sorgen um Bordingenieur Swo.“

„Ich coache nicht mehr.“

Mist. Offenbar war gerade Coach Juli am Ruder. Gael wollte sich schon abwenden, als sich die Kabinentür öffnete. Zögernd trat sie ein.

„Was ist denn mit dem Bordingenieur?“, erkundigte sich Coach Juli, der das Coachen wohl doch noch nicht ganz lassen konnte.

„Er schwebt seit drei Tagen mindestens zehn Zentimeterüber dem Boden, so glücklich ist er. Ich befürchte, er nimmt Drogen!“

„Er nimmt keine Drogen.“

„Was ist es dann?“

„Das kann ich dir sagen.“

„Ernsthaft? Du kannst es mir einfach sagen? Ich war schon bei ALLISTER. Der hat was von Datenschutz gefaselt. Und du sagst es mir einfach?“

„Ja, kein Problem. Man muss nicht Swos persönliche Daten hacken, um die Quelle seines Glücks zu erfahren. Die Information ist öffentlich zugänglich, auch wenn ALLISTER sie noch nicht gelesen hat. Er ist ja nur ein Bordcomputer. Hier, mit dem letzten Datenupdate kam auch die neue Scientific Sternenlicht.“ Coach betätigte seinen Armcomputer und ließ das Magazin als Holo zwischen ihnen aufleuchten. „Moment …“ Er blätterte darin.

Gael riss es fast den Boden unter den Füßen weg. Swo, der nachlässige, faule Bordingenieur mit dem Mundgeruch und dem notorischen Frittenfleck auf der Uniform einen Preis gewonnen. Der Wissenschaftsrat hat ihm für die Erforschung der schirmbasierten Lichtumleitung den begehrten neuen Fluk-Rosen-Award verliehen. Tatsächlich hatte er eine mehr schlecht als recht funktionierende Tarnvorrichtung gebaut, die Menschen oder Dinge weitgehend unsichtbar machen konnte. Gael war überzeugt, dass der Mistkerl nur zufällig auf diese glanzvolle Idee gekommen war. Keinesfalls hatte er sie sich hart erarbeitet und einen Preis dafür verdient.

„Da staunt der Fachmann und der Wunde leiert sich!“, kalauerte Swo, der plötzlich neben ihr stand.

Gael fuhr erschrocken zur Seite. Offensichtlich hatte sich der Schwachkopf mit seiner Lichtumleitung in die Kabine geschlichen, als Gael eingetreten war. Das bedeutete, dass er ihr schon eine Weile gefolgt sein musste.

„Stalkst du mich etwa?“

„Und was ist mit dir? Warum fragst du jeden, ob ich Drogen nehme?“

„Bei mir ist das ganz was anderes!“

*

Raumsektor 412/Delta ... Basis Omega 3 wankte. Dicke Brocken regneten von der Decke. Noch hielt die Verteidigungsstellung, aber die Schüsse der Invasoren erschütterten sie bis in den Grund. Die Soldaten der mobilen Infanterie zogen sich zurück. Charlene und Eden warfen sich hinter ein mächtiges Betonbruchstück, um nachzuladen.

„Das wird nicht gut ausgehen“, hörte Eden Charlenes keuchende Stimme im Helmlautsprecher.

Ein weiterer schwerer Treffer brachte die Planetenbasis ins Wanken. Die schnell wechselnden Schwerkraftfelder der Angreifer zerrissen krachend Teile der Panzerung.

„Wenigstens sterben wir gemeinsam“, antwortete Eden.

Ein weiterer Treffer hob den Boden und warf Eden auf den Rücken. Wie in Zeitlupe sah sie ein riesiges, scharfkantiges Metallteil von oben herunterfallen und immer näher kommen.

Plötzlich saß sie schreiend im Bett.

Als sie an sich hinuntersah, war ihre rechte Seite eine Prothese.

Schon wieder ein Alptraum?, mischte sich Coach Juli in ihre Gedanken. Was war es diesmal? Kriegserinnerungen oder die Vlock?

Kriegserinnerungen, dachte Eden. Immer wieder die Szene, in der ich in zwei Teile geschnitten werde. Kannst du mich nicht ausnahmsweise mal … ach, vergiss es.

Ich kann dich nicht wecken, wenn du Alpträume hast. Du musst träumen, um die Erlebnisse zu verarbeiten.

Ich habe die Sachen im Grunde schon verarbeitet.

Deine Träume sprechen eine andere Sprache, genau wie deine Prothese.

An meiner Prothese ist nichts auszusetzen.

Du weißt, dass es etwas Besseres für dich gibt. Du siehst aus wie eine halbe Maschine. Aber ich akzeptiere, dass du das als Anker in deine Vergangenheit brauchst, um dein Trauma zu verarbeiten.

Ich brauche keinen Anker.

Es ist nichts Schlimmes daran, dass man an seinem Trauma arbeitet.

Ach, lass mich in Ruhe!

Coach Juli klinkte sich wie gewünscht aus ihren Gedanken aus.

Im Alltag hatte sich das Zusammenleben mit ihm gut eingespielt, dachte Eden. Er war ein guter Freund für sie geworden und besonders freute sie, dass er sich von ihr zum Armierungsoffizier ausbilden ließ. Es machte Spaß, mit ihm zu arbeiten. Nur wenn es um ihr Trauma ging, rutschte er schnell wieder in die Therapeutenrolle. Aber sie wollte ihn nicht als Therapeuten, sie wollte ihn als Freund.

Außerdem fand sie, dass sie wirklich Fortschritte gemacht hatte. Sie hatte wieder zu ihrem alten Namen zurückgefunden und ließ sich von der Crew als Eden Sturm ansprechen. So konnte sie sich besser von Coach Juli unterscheiden. Storm, die Menschmaschine, das waren nun nur noch sie beide zusammen als Team.

Der Timer riss sie aus ihren Gedanken. Es war Zeit, wieder auf die Brücke zu gehen. Die MCLANE würde bald ihren Sprung beenden und das Ziel erreichen. MCLANE, auf diesen Namen hatte sich die Besatzung nun endlich geeinigt. Zaya Karan, die eigentlich viel zu junge Kommandantin, hatte anfangs die Beibootbezeichnung Mag-5 bevorzugt, wenn sie von ihrem Schiff sprach. Aber Eden Sturm hatte sie beiseite genommen und in einem längeren Gespräch davon überzeugt, den Kriegsveteranen Respekt entgegenzubringen. Und wem hätte der größte Respekt gebührt, wenn nicht Cliff Allister McLane, dem legendären Raumschiffskommandanten der Erde, nach dem das Schiff benannt war?

*

Storm stand schon lange wieder auf der Brücke, als der letzte Sprung vor dem Ziel sich dem Ende näherte. Man wusste nie, was einen hier draußen im unerforschten Gebiet erwartete, und musste bereit sein, sich zu verteidigen. Während Storm die Zielerfassung auf der Armierungskonsole im Auge behielt, gesellten sich Gael, Neno und Swo zur Kommandantin an die Astroscheibe.

Endlich war es so weit.

Die MCLANE beendete den Sprung.

Erwartungsvoll richteten sich die Augen auf die Holodarstellung des Planeten HR-3072, der vor längerer Zeit als bewohnbarer Planet vom Typ 3 kartiert worden war, was nicht nur bedeutete, dass er eine vielversprechende Biosphäre beherbergte, sondern dass man ihm sogar intelligentes Leben zutraute.

Die Daten, die die Astroscheibe nach und nach visualisierte, waren allerdings ernüchternd. Die Sensoren maßen keinerlei Spuren von Leben an. Vielmehr trieben giftige Schwefelwolken durch die Atmosphäre.

2

Schneise der Verwüstung

„Die Koordinaten sind korrekt“, meldete Gael, noch ehe sie jemand danach gefragt hatte.

„Was ist nur geschehen?“, wunderte sich Zaya.

„Vielleicht ein Kartierungsfehler?“, überlegte Neno. „Es wäre nicht das erste Mal.“

„Oder ein Vulkanausbruch hat große Mengen Schwefeldioxid in die Atmosphäre geworfen“, mutmaßte Swo.

Eden Sturm konnte über den Feuerleitstand keine offensichtlichen Gefahren erkennen. Sie entspannte sich ein wenig.

„Wir müssen da hinunter und uns das ansehen“, befahl die Kommandantin. „Swo, du nimmst deinen Bastelkoffer mit. Storm, du gehst auch und hältst ihm den Rücken frei. Wir passen von hier oben auf euch auf.“

Eine vernünftige Entscheidung, befand Eden. Trotz ihrer Jugendlichkeit mauserte sich Zaya zu einer halbwegs brauchbaren Raumschiffkommandantin.

Während die Phönix durch die höheren Schichten der Atmosphäre sank, ließ die Schwefelsäure die Scheiben stumpf werden, sodass man nicht mehr hinausschauen konnte. Die Sensoren waren noch nicht beeinträchtigt. Eden checkte die einkommenden Daten auf mögliche Gefahren ab, während Swo nach Erklärungen suchte. Im Säurenebel setzte die Phönix auf einer Ebene auf.

„Die Säurekonzentration ist sehr hoch“, meldete Eden an die Crew im Orbit. „Unsere Raumanzüge halten das nur kurz aus. Wir gehen jetzt raus.“

„Roger“, meldete sich die Kommandantin aus der MCLANE. „Gebt auf euch Acht!“

Stell einen Timer auf fünfzehn Minuten, bat Eden den Coach.

Ist erledigt.

Draußen konnten sie sich kaum orientieren. Nach einigen Schritten blieb Eden mit dem Fuß an etwas hängen. Es sah aus wie ein Baumstamm, der sich im Zustand fortgeschrittener Zersetzung befand. „Ich habe hier etwas“, sprach Eden in ihr Mikrofon. „Ich glaube, es war einmal eine Art Baum.“

„Ich habe auch etwas gefunden“, antwortete Swo. „Könnte ein Tier gewesen sein. Es hatte mal Beine.“

„Nehmt Proben und kommt zurück auf die MCLANE“, wies Zaya den Landetrupp an.

An Bord wurden alle Daten ausgewertet und mit einer Nachrichtensonde an das Mutterschiff geschickt. Eine schlüssige Erklärung für die Zerstörung von HR-3072 fand sichnicht. Der Crew blieb nichts anderes, als ihre Mission fortzusetzen.

*

In Oreos Gedanken formte sich das Bild einer Felsspalte, die sich vor ihm auftat und sich so schnell vergrößerte, dass er nicht mehr hinüberspringen konnte. Er beschleunigte seine Schritte und überquerte den Ort, noch ehe die Spalte sich auftat. Dann sah er sich um und hielt sich an einem Baumstamm fest. Schon bebte der Boden und der Fels tat sich wie erwartet auf. Eine Qualmwolke kündigte einen Lavastrom an. Es würde nur ein kleiner Strom sein. Oreo wartete ihn nicht ab, sondern machte sich auf den Weg, um noch ein paar Köstlichkeiten einzusammeln.

Während er weitere Pflanzen pflückte und in seine Gürteltasche steckte, erreichte ihn ein Bild von Narala: Ein kleines Pelzwesen, bei dem es sich um seine Tochter Newira handelte, passte nicht auf und wurde von einem umstürzenden Felsblock erschlagen. Er sah, wie der Felsblock auf seiner Tochter lag und nur noch ein Arm herausschaute. Blut quoll hervor. Aber Oreo fühlte, dass es keine Ahnung Naralas war, sondern eine Befürchtung. Er schickte ihr ein Bild, auf dem er sie in den Armen hielt und tröstete. Narala machte sich ständig Sorgen um ihr Kind, weil ihrer Tochter vorhergesagt war, dass sie im Gegensatz zu allen anderen den letzten Tag nicht erleben würde.

Ein neues Bild erreichte Oreo, kurz nachdem seine Frau sich beruhigt hatte. Er sah, dass die Ältesten aus der Beratungshöhle hervorgekrochen waren. Das bedeutete, dass er heimkehren musste, um sich anzuhören, was sie zu verkünden hatten. Er pflückte noch eine Aurelis und machte sich auf den Weg.

Vor der Beratungshöhle hatten sich bereits viele Voltze gesammelt. Die Ältesten saßen auf bequemen Sesseln und hatten noch nicht begonnen, Bilder zu senden. Stattdessen genehmigten sie sich kaltes, klares Wasser, um sich von den anstrengenden Beratungen zu erholen. Oreo sah Narala im Publikum stehen und gesellte sich zu ihr. Kurz danach traf auch Newira mit ihrem Freund ein. Oreo sandte ein Bild an seine Frau, das sie alle in einer Umarmung vereint zeigte. Sie erwiderte es verhalten. Ein großer Schatten lag auf ihr, und nicht nur auf ihr.

Die Ältesten begannen nun, Bilder zu senden: Generationen von Voltzen und ein Abgrund. Schon lange war es vielen Neugeborenen bestimmt, den Abgrund zu sehen, also den letzten Tag zu erleben. Immer weniger Kinder wurden deshalb geboren. Mittlerweile war jedes neue Kind für den letzten Tag bestimmt. Jedem wurde dieses Schicksal vorhergesagt, bis auf zweien: Newira und ihrem Freund.

Sie würden schon vor dem letzten Tag sterben.

Und der letzte Tag war schon fast gekommen.

Newira erstarrte plötzlich. Sie schien eine große Ahnung zu haben. Oreo hielt erstaunt inne, denn eigentlich war sie noch zu jung dafür. Die Jungen ahnten Gefahren, sodass sie Wetterumschwüngen und ausbrechenden Vulkanen ausweichen konnten. Aber nur den Alten war es gegeben, das Schicksal des Volkes vorherzusehen. Und nur die ganz Alten kratzten an der Bestimmung des Universums.

Newira gab jetzt ihre Ahnung an alle weiter: Vier silbrige Wesen rasten mit unglaublicher Geschwindigkeit durch die Luft, nur wenige Meter über dem Boden. Plötzlich rumpelte es und der Boden hob sich unter ihnen empor. Konnten diese Wesen das nicht ahnen? Immerhin hielten sie gleichen Abstand zum sich auftürmenden Boden und wurden so über die Baumwipfel gestoßen. Kurz danach tauchten sie wieder in die Vegetation ein und setzten ihren mysteriösen Flug fort.

Die anwesenden Voltze wunderten sich. Was sollte das bedeuten? Wie standen die Bilder von den silbrigen Fremden in Verbindung mit dem letzten Tag? Waren die Fremden Newiras Bestimmung oder beeinflussten sie das Schicksal aller Voltze?

*

Die MCLANE hatte ihren Sprung beendet und war in den Orbit des Planeten HR-3121 eingeschwenkt, der als blühende Wasserwelt registriert war. Aber der Planet schimmerte nicht blau, sondern tieftürkis. Eine Algenpandemie hatte die Ozeane und alles Leben darin vergiftet. Ein Gefühl tiefer Trauer erfasste Eden im Angesicht der Katastrophe. Es war bereits die vierte Welt, die sie in einem beklagenswerten Zustand vorfanden.

„Hat die Auswertung der Proben etwas ergeben?“, erkundigte sich die Kommandantin.

„Leider nicht“, antwortete Swo, der neben seiner Arbeit als Bordingenieur auch die Rolle des Wissenschaftsoffiziers bekleidete. „Wir können nicht erklären, wie es zu diesen Katastrophen kam. Sie scheinen sich aber erst kürzlich abgespielt zu haben, sonst hätten wir nicht in allen Fällen Reste früheren Lebens gefunden.“

„ALLISTER, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich innerhalb kurzer Zeit auf vier Planeten unabhängig voneinander globale Katastrophen ereignen?“

„Du meinst Planeten, die nur wenige Lichtjahre voneinander entfernt sind? Und die Prämisse ist, dass es keine gemeinsame Ursache gibt?“, konkretisierte ALLISTER die Frage.

„Die Wahrscheinlichkeit ist gleich Null“, kam Coach Juli dem Bordcomputer zuvor.

„Willst du mich arbeitslos machen?“, beschwerte sich ALLISTER. „Die Wahrscheinlichkeit liegt exakt bei 0,000002 Prozent.“

„Also so gut wie Null“, übersetzte Coach Juli, der ALLISTER nicht allzu ernst zu nehmen schien. Oder entwickelte sich hier eine Konkurrenz zwischen den beiden KIs? „Das bedeutet, dass dies kein Zufall sein kann. Es muss eine äußere Einwirkung geben. Eine Kraft, die die Biosphären dieser Planeten zerstört hat.“

„Es könnte sich um das Terraformingprojekt einer unbekannten Rasse handeln“, brainstormte Swo.

„Das ist unwahrscheinlich“, widersprach Coach Juli. „Eine hypothetische Alienrasse würde überall die gleichen Bedingungen herstellen, in denen sie dann leben könnte. Die Veränderungen münden aber nicht in das gleiche Ergebnis. Ich halte es für umgekehrtes Terraforming.“

„Was verstehst du darunter?“, erkundigte sich Neno.

„Für jeden Planeten wurde eine speziell angepasste hocheffektive Methode gefunden, die Biosphäre innerhalb kurzer Zeit zu zerstören. Wir haben es mit Feinden des Lebens zu tun.“

„Die Logik lässt keine andere Interpretation zu“, schloss sich ALLISTER Coach Julis Analyse an. „Meine Berechnungen haben zu dem gleichen Ergebnis geführt.“

„Wir müssen die MAGELLAN informieren“, beschloss Zaya. „Und Tyros. Was wir hier vorgefunden haben, fühlt sich extrem bedrohlich an.“

„Es ist extrem bedrohlich“, betonte der Coach.

„Schicken wir eine weitere Nachrichtensonde über die Einstein-Rosen-Brücke?“, fragte Neno.

Zaya überlegte kurz. „Ja“, sagte sie dann. „Schick eine Sonde zum Mutterschiff. Aber das reicht nicht aus, der nächste Brückentag ist erst in knapp zwei Wochen und wir dürfen keine Zeit verlieren. Außerdem könnte die Sonde von der unbekannten Macht abgefangen werden. Ich befehle Rücksturz zur Basis Kappa 2. Dort haben wir direkte Verbindung mit Tyros über die Relaiskette.“

„Kappa 2?“, fragte Swo. „Cool, dann können wir ein paar Exploding Suns mit meinem alten Freund Laurenz trinken.“

Eden schüttelte den Kopf. Wie konnte er in dieser Situation ans Trinken denken?

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