Kitabı oku: «Wer mutig ist, der kennt die Angst», sayfa 2

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Nichts ist so faszinierend wie gelebter Mut und Authentizität

Wenn ich zurückblickend überlege, was mich schon als Kind am meisten beeindruckt hatte, dann waren es Menschen, die sich mit Mut und der Bereitschaft, persönliche Nachteile in Kauf zu nehmen – bisweilen unter Einsatz ihres Lebens –, für eine gerechte Sache eingesetzt hatten. Es handelte sich um authentische Menschen, die auch unter Druck und widrigen Umständen so blieben, wie sie waren, die sagten, was sie dachten, und die lebten, wie sie redeten. Einige von diesen Wenigen kamen leider nur in Filmen oder Abenteuerbüchern vor.

Warum sind Menschen feige?

Was mich als Kind bisweilen in Konflikt mit der Erwachsenenwelt brachte, waren meine als vorlaut abgestraften Entgegnungen auf gewisse Erklärungen. Wenn ich Erwachsene auf ihre fehlende Zivilcourage in schweren Zeiten angesprochen hatte, führten sie ihre Fürsorgepflicht für die Familie ins Feld und antworteten mit: »Wir hatten ja keine andere Wahl.« Oder sie beriefen sich auf ihre Ahnungslosigkeit: »Wir haben ja im Grunde von nichts gewusst.« Sie waren also aus Selbstschutz bewusst ignorant. Oder die »besondere Situation« wurde als Ausrede verwendet: »Die Umstände haben es nicht zugelassen.« Aber wann lassen es die Umstände überhaupt zu, mutig zu sein?

Emmi Bonhoeffer reflektiert: »Es gibt in der ganzen Welt, glaube ich, keine Widerstandsbewegung, wenn es den Leuten von Tag zu Tag besser geht. Moralische Gründe und politische Weitsicht reichen nicht aus, wenn die Leute Butter auf dem Brot haben. Ich habe nach dem Krieg mal in Kärnten Urlaub gemacht und dort mit einem Bauern gesprochen. Ich fragte: ›Sie leben hier in einer fromm katholischen Gegend. Wie war das eigentlich während des Krieges? Hat der Priester Ihnen gesagt, wie wir uns in Russland benahmen, was da in Polen in den Konzentrationslagern passierte?‹ Der Bauer antwortete: ›Wir waren fünf Kinder, mein Vater arbeitslos, mein großer Bruder auch, meine Mutter arbeitete acht Stunden auf dem Nachbarhof für einen Liter Milch, und dann kam Hitler. Mein Vater kriegte Arbeit, mein Bruder auch, meine Mutter konnte zuhause bleiben, und Sie fragen, was der Priester sagte.‹ Brecht hatte es auf die kurze Formel gebracht: ›Erst kommt das Fressen, dann die Moral.‹ So ist der Mensch.«14

Es gab eine Menge guter Kollegen, denen ihre Karriere wichtiger war als persönliche Werte.

Die größten Enttäuschungen erlebte ich mit Menschen, die gekniffen haben, wenn es auf sie ankam. Es handelte sich um sogenannte Freunde, die plötzlich nicht mehr da waren, wenn rechterhalten der Freundschaft Nachteile brachte. Sie tauchten unerwartet unter, weil ihnen Machtpositionen und Anerkennung plötzlich mehr bedeuteten als die Verbindlichkeiten einer Freundschaft. Es gab eine persönliche Werte, von denen sie vorher ihr Persönlichkeitsprofil ableiteten. Natürlich hatten alle immer eine plausible Erklärung parat.

Wenn es sogar Nachteile für die eigene Karriere bringt, sich hinter den Freund zu stellen, hält im Business nur noch ein Prozent der Betroffenen zum Freund.

Von einem Unternehmensberater wurde mir Folgendes berichtet: Wenn ein Vorstand in seinem Unternehmen in Ungnade fällt, kann er sich kaum auf seine Freunde verlassen. Wenn es für die anderen Nachteile bringt, sich hinter seine Person zu stellen, bekunden am Anfang noch 80 Prozent seiner bisherigen Freunde die Solidarität, aber nur dann, wenn dies unter vier Augen geschieht. Sind die gleichen Leute in einer Gruppe mit anderen, bekennen sich nur noch 30 Prozent zu ihrem Freund. Geht es darum, unter Druck, ohne dass es eigene Vorteile bringt, zu dem Freund zu stehen, bleiben nur noch 3 Prozent übrig. Wenn es sogar Nachteile für die eigene Karriere bringt, sich hinter den Freund zu stellen, ist es nur noch 1 Prozent, das zu seinem Freund hält.

In dem Augenblick, in dem der Betreffende couragierte Freundschaft dringend benötigt, fallen die bisherigen Anhänger wie ein lautlos versinkendes Begleitschiff vom bisher Umschwärmten ab. Außer den Konformisten scheint plötzlich auch der Kreis derjenigen, die ihn so gut kennen, dass sie ein echtes Urteil über die Qualität des Diffamierten haben müssten, wie vom Erdboden verschluckt zu sein. Tief schmerzlich werden dann die Verleumdungen derjenigen Menschen empfunden, die dem nun Entehrten ihr Leben und ihren Aufstieg verdanken. Das ist immer so. Derjenige, der ins Schussfeld einer Hetzjagd gerät, sollte nichts anderes erwarten. Der Angeklagte hatte ein Heer von Menschen gehabt, die ihm zujubelten. Angesichts der Vorwürfe steht er jedoch abrupt verlassen da; denn dem Ansehen der Karriere der einst Verbündeten wäre Freundestreue dieser Art abträglich. Der innerste Kreis hält auch nur, wenn er sehr stabil ist. Es zeigen sich Schadenfreude, Besserwisserei und kopfschüttelndes Missachten in unverblümt taktloser Form. Jeder weiß, wie er es anders und besser gemacht hätte.

Ich erinnere mich auch an meine Schulzeit in Berlin, als wir im Geschichtsunterricht das Dritte Reich durchnahmen. Uns wurde beigebracht, dass wir immer allem misstrauisch gegenübertreten sollen, was uns keine andere Wahl lässt. Wir wurden auf gewisse Sätze als Indikatoren für falsche Gedankensysteme hingewiesen. Wir fragten uns damals als Schüler, warum diese Lehrer, die ja in dieser Zeit, von der sie sprachen, schon mündige Erwachsene waren, nicht schon früher ihre Erkenntnisse umgesetzt hatten, als es noch nicht zu spät gewesen war, und warum sie nicht schon vorher ihre Erkenntnisse lebten, statt später uns zu belehren? Ich schreibe das ohne Groll, und ich frage mich selbst oft, was unsere Enkel einmal in der Schule über fehlende Zivilcourage lernen werden, wenn sie die gegenwärtige Zeitepoche in ihrem Geschichtsunterricht behandeln, und was wir ihnen antworten werden: »Wir hatten keine andere Wahl.«15 –»Der Markt hat uns bedingungslos gezwungen«?

Der Journalist Karl-Otto Saur, dessen Vater unter Hitler Verantwortlicher für die Ankurbelung der Kriegsrüstung und für den Nachschub für Zwangsarbeiter war, schreibt in seiner Biografie, dass er sich immer wieder fragt, wie er sich selbst wohl verhalten hätte damals in der Diktatur. Und er findet keine Antwort darauf. In den Redaktionen, in denen er gearbeitet hat, habe er sich ebenso oft gefragt, was aus seinen Kollegen damals wohl geworden wäre. Wer wäre ein Nazi gewesen? Wer ein Täter? Wer ein Mitläufer? Diesen Blick bringe er nicht mehr raus aus seinem Kopf. Vielleicht sei das auch der Grund, warum Erfolg und Karriere nie Begriffe waren, die er für wichtig hielt im Sinne eines geglückten Lebens. Er habe in seinem Leben nur ein Ziel gehabt: Er wollte es besser machen mit seinen Kindern, als es sein Vater gemacht habe.16

Einige der älteren Generation erinnern sich noch an ein Flugblatt der Harnack/​Schulze-Boysen-Organisation, welches in Berlin im Winter 1941/​42 verteilt wurde.17

»Stellt euch der allgemeinen Angst entgegen! Immer wieder hört man die Redewendung: ›Wir müssen durch! Wenn wir jetzt nicht siegen, geht es uns allen schrecklich an den Kragen. Dies ist das Gerede, das die derzeitigen Machthaber selbst verbreiten, um ihre Herrschaft zu festigen. […] Die Weltgeschichte wird auf keinen Fall ihren tieferen Sinn verlieren, und das Unmögliche wird nicht möglich dadurch, dass wir uns in Verkennung der Dinge bemühen, dem Verbrechen und dem Wahnwitz zum Siege zu verhelfen, nur weil Verbrechen und Wahnwitz sich zur Zeit in Deutschland eingenistet haben.«

Auch heute haben viele resigniert. Sie ahnen zwar, dass Zivilcourage der unter Beweis gestellte Mut zur Suche nach einem sinnerfüllten Leben ist. Aber sie sind zu dem Ergebnis gekommen: Zivilcourage lohnt sich nicht. Sie sind müde geworden und haben den Mut verloren und finden sich mit einem Leben ab, das keine Sinnfragen mehr beantwortet. Sie suchen den Sinn nur noch im Trubel des Alltagsgeschäftes und im Streben nach persönlichem Wohlstand.

Bismarck gebrauchte als erster Deutscher das Wort Zivilcourage.18 In einer Debatte des Preußischen Landtags 1864 wurde er wegen eines kritischen Beitrages ausgepfiffen. Beim Mittagessen sagte ihm ein älterer Verwandter: »Eigentlich hattest du ja ganz recht. Nur sagt man so was nicht.« Da antwortete Bismarck: »Wenn du meiner Meinung warst, hättest du mir beistehen sollen.«

Meine Ausführungen wenden sich genau an diejenigen, die mutig sein wollen und denen diese Eigenschaft wichtiger ist als schnelle Karriere, bei der es auf Opportunismus und Ellenbogen ankommt. Meine Ausführungen wenden sich auch an Menschen, die mutig sein wollen, aber nicht die nötige Kraft dazu aufbringen.

»Willst du was werden, musst du schweigen.

Musst dich zur Erden tief verneigen.

Dass du ein Knecht bist, hat man gerne.

Allem, was recht ist, halte dich ferne.

Lerne den Willen unserer Lenker.

Und auch im Stillen sei kein Denker.«19

So beschrieb Hoffmann von Fallersleben diesen Irrtum schon vor 160 Jahren im Hundertjährigen Kalender – Bezug nehmend auf den deutschen Zeughaussturm am 14. Juni 1848.

Stefan Heim drückte es etwas unpoetischer aus in seiner Rede bei der Wende in Leipzig 1989: »Ein Volk, das gelernt hat, zu kuschen unter dem Kaiser, unter Hitler, unter dem DDR-Regime.«

Feigheit beruht also auf der trügerischen Annahme, Vorteile einzubüßen, wenn man sich nicht anpasst, und darauf, Nachteile zu bekommen, wenn man zu seiner eigentlichen Überzeugung steht.

Spontane Hinderungsgründe, Zivilcourage zu zeigen

»Bei dieser Übermacht bin ich gar nicht in der Lage einzugreifen.«

»Wenn ich mich einmische, bekomme ich bloß Ärger.«

»Vielleicht schätze ich die Situation falsch ein.« »Wer weiß, was der andere angestellt hat, dass sie ihn angegriffen haben.«

»Warum helfen denn die jüngeren Kerle nicht, die da herumstehen?«20

Allgemeine Hinderungsgründe

Abstumpfung

Unsere Zeit prägt das Wort non helping-bystander-effect21. Dieses Wort bezeichnet das Gegenteil von Mut. Es bezeichnet das immer häufiger beobachtete Verhalten, dass Menschen wie gebannt schreckliche Ereignisse hautnah beobachten, ohne ein dringendes Bedürfnis zur Tat zu empfinden. Dieser neue Begriff fordert uns heraus, darüber nachzudenken, inwieweit wir uns selbst zwischenzeitlich ebenfalls statt zu mutigen Menschen zu Unterhaltern eines Zeitgeistes entwickelt haben.

In den Medien erheben Journalisten den moralischen Zeigefinger – häufig diejenigen, die von Berufs wegen eher dazu bereit sind, eine Gewalttat zu filmen, statt sie zu verhindern: »Rentner in U-Bahn zusammengeschlagen und ausgeraubt – zwanzig Fahrgäste schauten zu.« Wir lesen solche Meldungen mit Empörung, begreifen aber auf einmal, was in den Wegschauern vorgeht, wenn wir selbst in ihre Situation geraten. Dann fragen wir uns plötzlich: Ist das meine Aufgabe? Wo ist denn die Polizei?

In einer Umfrage des Münchner Instituts für Recht und Wirtschaft haben 86 Prozent aller Zeugen von Gewalttaten nicht geholfen. Als Gründe (Mehrfachnennungen waren möglich) nannten 66 Prozent Angst vor dem Täter. 86 Prozent fürchteten, dass sie statt einer Belohnung mit juristischen Konsequenzen zu rechnen hätten. Immerhin 16 Prozent nannten Gleichgültigkeit als Motiv. Bei der Frage, ob sie künftig helfen wollten, antwortete weniger als ein Viertel mit einem eindeutigen Ja.22

Verdrängung, Machtdenken, Profitstreben

Auszüge aus dem Interview des Spiegels mit dem Historiker Prof. Hans Mommsen23 wollen Einblick zu dieser Fragestellung geben.

SPIEGEL: Herr Professor Mommsen, warum hat es unter den Wirtschaftsführern so wenig Widerstand gegen Hitler gegeben?

Mommsen: In der Tat tauchten bestimmte Berufsgruppen im Widerstand überhaupt nicht auf, darunter Repräsentanten der Wirtschaft. Von den Industrieführern haben nur wenige wie Robert Bosch und Paul Reusch, der Vorstandsvorsitzende der Gutehoffnungshütte, eindeutig Stellung gegen Hitler bezogen. Die Wirtschaftsführer waren offensichtlich zu sehr in die tägliche Arbeit eingespannt, um Abstand zum Regime zu gewinnen.

SPIEGEL: Die Mehrzahl der Manager hatte kein Unrechtsbewusstsein?

Mommsen: Das ist richtig, und man sollte dabei bedenken, dass sie schrittweise in das System der Zwangsarbeiterbeschäftigung gelangten. Es begann mit dienstverpflichteten Arbeitskräften aus den Benelux- und den skandinavischen Ländern sowie aus Polen. […] Letztlich aber haben die meisten Konzerne diesen Weg gewählt, häufig, um die Verlagerung der Betriebe unter Tage zu ermöglichen. […] Es gab nicht nur bei den Belegschaften, sondern auch bei den Managern eine Art Flucht in die Betriebe, um sich nicht die Sinnlosigkeit des eigenen Tuns eingestehen zu müssen. Die Masse der Wirtschaftsführer und Unternehmer stand dem Regime bis zuletzt loyal gegenüber. […] Die direkte und indirekte Mitverantwortung der Unternehmensführungen für Verbrechen des NS-Regimes entzieht sich in der Regel juristischen Kategorien. Die politisch-moralische Mitverantwortung der Manager für die Rüstungs- und Ausbeutungspolitik des NS-Systems und ihr »Abgleiten in die Barbarei« sind unbestreitbar.

Angst

Angst ist notwendig, um Gefahren und die eigene Überforderung zu bemerken, aber Angst kann auch sehr negativ sein, weil sie uns dazu verleitet, unsere Identität und Authentizität zu verkaufen und preiszugeben. Das kann die Angst vor dem sein, was andere sagen, die Angst davor, Ruhe und Ruf zu verlieren, Ärger, Schwierigkeiten oder gesellschaftliche Isolierung zu erfahren, und die Angst vor Kollegen: »So etwas tut man nicht.« Weiter ist hier auf die Angst vor dem Vorgesetzten hinzuweisen, der seine Machtposition ausnützt, wenn er erklärt: »Ihr Ton ist unmöglich, Sie sollten die Konsequenzen ziehen.« Die Angst kennt viele Gesichter: Angst, selbst Verantwortung zu übernehmen, Angst vor Nachteilen, Angst vorm Ausgeschlossensein, Angst, die richtigen Worte nicht zu finden, Angst, sich zu blamieren und die Geborgenheit des gewohnten Umfeldes zu verlieren, Angst, den Schutz der Vorgesetzten zu verlieren, Angst, den Arbeitsplatz und die Versorgung der Familie zu gefährden. Jedes Jahr werden Tausende Fälle von schweren Misshandlungen nicht bekannt, weil Nachbarn aus Angst davor, es sich mit den Leuten zu verderben, schweigen.

Undurchschaubarkeit

Das Mitschwimmen im breiten Strom ist sehr bequem. Hier steht der Einzelne nicht mehr vor Herausforderungen, die zu einer klaren Entscheidung zwingen, wie im Dritten Reich zwischen Gehorsam und Gehorsamsverweigerung, zwischen Anpassung und Gefängnis, sondern er findet sich in diffusen Situationen, die schwer abzuschätzen sind, weswegen er sich nicht mehr die Mühe machen will, um den richtigen Weg zu ringen.

Anonymität

Wir kennen weder Opfer noch Täter, noch die übrigen Zeugen. Dadurch ist sich jeder bewusst, dass er nur zufällig am Ort ist. Hätte man die U-Bahn davor erwischt, würde man von dem Verbrechen am nächsten Tag nur in der Zeitung lesen. Wer sich abwendet, muss keine Konsequenzen für seinen Ruf fürchten. Man sieht die Beteiligten höchstwahrscheinlich nie wieder.

Wir haben tausendmal Überfälle und Morde im Fernsehen beobachtet und mussten niemals eingreifen, weil ein Kommissar am Ende den Täter zur Strecke brachte.

Alltäglichkeit

Gewalt in den Medien ist unser Alltag. Die Rolle des Zuschauers ist uns längst vertraut. Wir haben tausendmal Überfälle und Morde im Fernsehen beobachtet und mussten niemals eingreifen, weil ein Kommissar am Ende den Täter zur Strecke brachte.

Beispiel einer Handlungsempfehlung

Wirksame Hilfe ist möglich, wenn sich die Anwesenden im Vorfeld mit dem Opfer solidarisieren.

Wenn Sie beispielsweise eine Gewalttat in der Vorortbahn beobachten, wenden Sie sich an die Leute neben sich und fragen: Gefällt Ihnen das, was sich dort vorbereitet? Wollen wir alle zusammen aufstehen und uns einmischen? Besteht ein begründeter Verdacht auf permanente Gewaltanwendung in der Nachbarschaft, genügt schon ein anonymer Hinweis an das Jugendamt, um die Behörde zum Nachforschen zu veranlassen. Eine offene Zeugenaussage ist natürlich besser. Eine Frau wird bedroht. Sie haben Angst einzugreifen. Es könnte ja sein, dass das Opfer gar keine Hilfe will und sagt, Sie sollen sich zum Teufel scheren. Wenn Sie wissen wollen, ob eine echte Bedrohung vorliegt, fragen Sie: »Brauchen Sie Hilfe?« Oft genügt schon die Drohung, dass Sie die Polizei rufen und als Zeuge aussagen werden.

Was bewirkt die Anpassung gegen die inneren Überzeugungen?

Lieber ein Knick in der Karriere als im Rückgrat.

Die negativen Folgen der oft unreflektierten Anpassungsmentalität in unserer westlichen Kultur sind langfristig viel größer als ihr vermeintlicher Nutzen. Die Anpassungsmentalität zerstört lebendigen Menschen machen kann. Die Folge ist, dass uns nichts anderes übrig bleibt, als vorgekautes Leben aus der Konserve zu konsumieren (Filme, Erlebnisparks, Shows etc.), wobei jedes Risiko und jeder überraschende Ausgang ausgeschaltet sind. Aber echtes Leben ist Risiko und nicht bloßes Funktionieren.

Wenn es uns nicht gelingt, unseren persönlichen Überzeugungen entsprechend zu leben, dann wird der Zwiespalt zwischen unserem eigentlich angestrebten Tun und unserem tatsächlichen Handeln immer größer, und unser Selbstwertgefühl geht immer mehr bergab.

Das Unbehagen, das mich bisweilen in der Begegnung mit Menschen beschleicht, ist das Gefühl, dass ich mit Rollenträgern kommuniziere. Ihre eigentliche Persönlichkeit verbergen sie oder kennen sie selbst nicht mehr, weil sie diese zu oft verleugnet haben. Ich fühle mich durch diese Menschen gelangweilt, sie vermitteln nichts Lebendiges. Denn nur Echtheit bewirkt Leben. Diese Menschen machen einsam, denn sie ersticken den Wunsch nach Anteilnahme, etwas, was wir zum Leben so dringend brauchen. Sind wir uns bewusst, wie hoch der Preis ist, wenn wir das Kostbarste, das wir haben, unsere unverwechselbare Persönlichkeit, so unreflektiert aufgeben?

Wie erfrischend war demgegenüber vor einiger Zeit die Begegnung in der Vorortbahn mit einem Kind. Es durchbrach den resignierten Schein auf vielen düsteren, schweigend vor sich hin starrenden Gesichtern für einen Augenblick und bewirkte ein Lächeln. Das Kind fragte seine Mutter: »Mama, warum hat dieser Mann da drüben eine so spitze Nase mit einem roten Pickel obendrauf?« Es ist selten, dass man durch derart geöffnete Fenster für einen Augenblick in die Seele eines Menschen hineinschauen kann. Manchmal geschieht das durch ein schamvolles Erröten oder durch einen »Freud’schen« Versprecher oder durch eine schnell weggewischte Träne. Diese geöffneten Fenster lassen uns mehr pures Leben erkennen als viel Gescheites, Intelligentes und scheinbar Nützliches unserer modernen Gesellschaft, das manchmal nur dazu geeignet ist, die Knochen jeglicher Spontaneität und lebensfroher Unbefangenheit so lange zu brechen, bis sie in den tristen Sarg von organisierten Prozessen passen, die alles nur auf eine utilitaristische Daseinsberechtigung reduzieren.

In den vergangenen Jahren bin ich einigen Menschen begegnet, die im Druck des Berufslebens leichtfertig, ursprünglich auf Langfristigkeit ausgelegte Träume gegen kurzfristigen Erfolg eintauschen. Sie handeln genau so, wie Erich Kästner es formuliert hat: »Die meisten Menschen legen ihre Kindheit ab wie einen alten Hut. Sie vergessen sie wie eine Telefonnummer, die nicht mehr gilt. Früher waren sie Kinder, dann wurden sie Erwachsene, aber was sind sie nun?«

Ich suche immer nach dem Wort hinter dem Wort, nach der Sprache hinter der Sprache. Die Rolle ist wichtiger geworden als das Leben, das nur erhalten bleibt und erneuert wird, wenn Menschen den Mut haben, authentisch zu sein.

Ich werde nicht vergessen, was mir der ehemalige Personalvorstand eines großen Automobilkonzerns rückblickend sagte, als ich ihn fragte, ob es etwas gibt, was er anders machen würde, wenn er noch mal anfangen könnte. »Wenn ich noch einmal leben dürfte, würde ich alle wichtigen geschäftlichen Entscheidungen, die ich selbstständig und in Übereinstimmung mit meinem Gewissen und meiner persönlichen Verantwortung fällen konnte, heute noch einmal so fällen. Von anderen geschäftlichen Entscheidungen jedoch, die ich als Kompromisse fällen musste, wo sich oft mein anfängliches Unbehagen später bestätigt hat, würde ich mich aus heutiger Sicht ohne Rücksicht auf Verluste klar distanzieren.«24

Der andere

Was siehst du im Spiegel?

Bist du es noch?

Oder bist du schon lange ein anderer?

Schau hin

Dann siehst du

Wie dich der andere frech angrinst

Dich auslacht

Und es genießt

Dass du seine Fratze nicht erträgst.25

Gelebter Mut und Zivilcourage sind die Fähigkeiten, authentisch zu bleiben auch unter Druck.

In der Begegnung mit Führungskräften bedauern viele rückblickend am Ende ihrer Karriere, nicht mutiger zu ihrer Meinung gestanden und nicht mehr von ihrer Authentizität verteidigt zu haben. Viele sprechen von Flexibilität und denken über ihre eigene Machtentfaltung nach und rechtfertigen damit nur ihre Lebenseinstellung von Feigheit, Charakterlosigkeit und Opportunismus. Prof. Eberhard Richter sagt, Flexibilität heißt im ursprünglichen Sinne, sich beugen, sich krümmen!26

Wie sind wir uns selbst fremd geworden? Wie oft haben wir uns dem Mechanismus der Arbeitswelt angepasst, wo wir für unsere Erfolge und unser Haben respektiert und belohnt wurden? Dies bezahlten wir mit dem Preis, dass wir Kontakte zu Menschen nicht mehr wahrnehmen, die uns so lieben, wie wir sind, und die sich wünschten, dass wir geblieben wären, wie wir waren. Wir sollten uns selbst darüber betrauern, dass wir uns so sehr abhängig gemacht haben vom Schein des Erfolges, dass wir sogar unsere persönliche Würde und unsere Einzigartigkeit für unser berufliches Vorwärtskommen opferten.

Lassen Sie mich noch ein eher unbedeutendes alltägliches Beispiel anführen.

Eine junge, hochbegabte Managerin, die eine schmerzvolle Scheidung hinter sich hatte, durchlief ein Eignungsdiagnostikprogramm in unserem Institut mit Bestnoten. Sie wurde kurz vorher wegen ihrer angeblich demotivierenden Ausstrahlung entlassen, welche sich aber eindeutig auf ihr Trennungserlebnis zurückführen ließ. In einem Brief an ihren Vorstand versuchte ich diesen Sachverhalt zu beschreiben und wies auf die exzellenten Testergebnisse hin mit der Bitte, die Entlassung zu überdenken. Dieser Brief, von einem in seinen Augen so unbedeutenden Menschen wie mich, rief höchste Empörung hervor. Ich erhielt sehr besorgte Anrufe von Mitarbeitern, die sich normalerweise für Mobbingopfer einsetzen. Sie fragten mich, ob ich mir bewusst sei, welchen Schaden ich für die Reputation meiner Person ausgelöst habe. Ich antwortete, dass ich bisher geglaubt hätte, dass ihr Kampf gegen Mobbing unabhängig von der Hierarchiestufe des Täters sei, und ich erwarte, dass sie diese Haltung gerade in dieser Situation unter Beweis stellen. Daraufhin bewiesen sie den Mut der Rückendeckung, auch wenn wir die Entlassung dadurch leider nicht mehr rückgängig machen konnten.