Kitabı oku: «Lebe. Deinen. Traum.», sayfa 2

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II. EIN BILD DER ZUKUNFT MALEN

Vom Ende her denken

Was nicht ewig ist, ist auf ewig veraltet.

C. S. Lewis

Menschen, die in der Palliativmedizin arbeiten, berichten immer wieder von den Gedanken der Patienten, die den Tod vor Augen haben. Fragt man diese Menschen, was sie rückblickend auf ihr Leben am meisten bereuen, kommen häufig die folgenden Antworten:

Ich wünschte, ich hätte …

1. mehr meine Träume gelebt anstatt die Erwartungen anderer.

2. nicht so viel gearbeitet.

3. mehr meine Gefühle zum Ausdruck gebracht.

4. mehr Zeit in meine wichtigsten Beziehungen investiert.

5. öfter verrückte Dinge getan.

Traurig, aber wahr: Friedhöfe sind die reichsten Plätze unseres Landes. So viele unerfüllte Träume, Sehnsüchte und Lebenspläne liegen dort begraben. Zu viele Menschen, die gelebt wurden, statt selbst zu leben. Zu viele Menschen, von denen man dachte, dass sich die Welt ohne ihren dauerhaften, selbstaufopferungsvollen und selbstverständlich ehrenwerten Einsatz nicht weiterdrehen würde – und siehe da, sie dreht sich doch.

Der Italiener Bruno Bozzetto produzierte einen Zeichentrickfilm, der schon fast fünfzig Jahre alt, aber in seiner Thematik und Eindrücklichkeit aktueller denn je ist. Bezeichnenderweise gab er diesem Werk den Titel „Leben in einer Schachtel“.2 In den sieben Minuten dieses Kurzfilms geht es um das Leben eines durchschnittlichen Otto-Normal-Bürgers von der Wiege bis zur Bahre. Die Geschichte beginnt mit der freudvoll erwarteten Geburt des neuen Erdenbürgers. Ein neues Lebensbuch wird geöffnet und wartet darauf, in vielen verschiedenen Farben und Formen gestaltet zu werden. Schon bald aber nimmt das Leben den für so viele von uns typischen Verlauf. Die Zeit der Kindheit zeigt der Film noch mit vielen farbigen Sequenzen. Diese farbigen Szenen stehen für die Träume und die Sehnsucht nach Freude, Glück und Freiheit im Leben des Jungen. Der farbige Schmetterling, der ihm auf dem Weg von zu Hause in die Schule begegnet, lässt das kleine Männchen zu träumen beginnen von einer Welt voller Farbe, gleich einem blühenden Garten, in dem es viel zu entdecken gilt. Jäh wird er jedoch aus diesen Träumen gerissen, als ihm seine gewissenhafte Mutter, ihn vom Fenster aus beobachtend und dabei auf ihre Armbanduhr deutend, nachruft, sich gefälligst zu beeilen und seinen Pflichten nachzukommen. Die Farben verflüchtigen sich, und der triste Alltag nimmt seinen Lauf.

Dieses Muster zieht sich durch, von der Schule über die Universität bis zum Berufsalltag, immer seltener unterbrochen von immer kürzer werdenden farbigen Sequenzen, die sich jedes Mal aufgrund der jeweiligen Umstände und zu erfüllenden Pflichten schnell in Luft auflösen. Die farbige Traumphase erlebt noch einmal ein kleines Zwischenhoch, als sich das Männchen verliebt, bald darauf heiratet und mit den besten Absichten, sich jetzt mehr Zeit für seine Träume und Sehnsüchte zu nehmen, eine Familie gründet – nur um wenig später festzustellen, wieder im alten Fahrwasser gelandet zu sein. Der kurz darauf geborene Sprössling erleidet schon bald das gleiche Schicksal, das Lebensmuster wird – unterschiedlich gefüllt, aber mit den gleichen Leitplanken und Treibern – von Generation zu Generation weitergereicht.

Das Pendel zwischen Arbeitsplatz und Zuhause bewegt sich im Film nun immer schneller, nimmt dem Männchen zunehmend die Luft zum Atmen und Träumen, bis es schließlich, vom Herzinfarkt getroffen, nach einem getriebenen Leben auf dem Friedhof landet. Hier endlich, leider erst, als es zu spät ist, hat das Männchen Zeit für seine Träume – die Szene wandelt sich in Farbe, der Film schließt mit zarten bunten Blumen auf dem frisch errichteten Grab. Berührt verfolgt man die Geschichte und fragt sich, was das wohl mit dem eigenen Leben zu tun haben könnte …

Was ist mein Lebensziel?

Spätestens am Ende des Lebens stellt sich die Frage, ob uns das Leben gelungen ist. Um diese einmal zufriedenstellend beantworten zu können, ist es wichtig, schon jetzt vom Ende her zu denken. Wenn wir es wagen, vom Ende her zu denken, verändern wir unseren Standort, verändert sich der Blickwinkel. Wir sind nicht mehr nur von der Fülle der gerade anstehenden Aufgaben und Herausforderungen gefangen, sondern gewinnen eine weitere Perspektive. Dadurch können wir unsere Prioritäten besser überprüfen und neu ordnen. Wie sieht mein Leben aus vom Ende her betrachtet? Was zählt wirklich?

Anhand der richtigen Fragen können wir ein Lebensziel definieren und dann entsprechend handeln. Wir erhalten einen roten Faden, an dem wir uns orientieren können, und definieren unsere Kernwerte, die unserem Leben Sinn verleihen. Das hilft uns, uns auf das Wesentliche zu konzentrieren. Die Herausforderung besteht darin, dass es zahlreiche verschiedene Lebensbereiche und jede Menge Aufgaben und Erwartungshaltungen gibt, wir aber nur über ein begrenztes Maß an Zeit und persönlichen Ressourcen verfügen. Wohinein also investiere ich mich, und wie verteile ich meine Ressourcen auf meine Lebensbereiche? Das Ziel muss die Strategie bestimmen.

Die Lebensstrategie hilft uns zu klären, wohinein wir unsere Ressourcen wie Zeit, Talente und Energie investieren. Das ist nicht kompliziert, sondern viel einfacher, als es vielleicht zunächst den Anschein macht. Es beginnt schlicht und einfach damit, sich selbst einmal die Frage zu stellen: Was ist mir wirklich wichtig? Das ist eine völlig ergebnisoffene Frage. Es gibt keine fertigen Antworten, jede Persönlichkeit und Lebenssituation ist individuell, und wir sollten uns in dieser wichtigen Fragestellung auch nichts von außen überstülpen lassen. Wichtig ist, für sich persönlich die Prioritäten zu klären. Die richtigen Fragen helfen uns dabei, sie öffnen unser Denken und lassen uns ein Ziel erkennen.

Als Berufseinsteiger könnte man sich beispielsweise fragen: Wie will ich leben? Auf welche Werte baue ich? Welchen Stellenwert soll meine berufliche Karriere einnehmen? Welchen Preis bin ich bereit, dafür zu bezahlen? Wie führe ich ein glückliches Familienleben?

Als Leistungsträger in beruflicher Verantwortung könnte man sich fragen: Wie beurteile ich meinen ganzheitlichen Lebenserfolg? Wie gelingt mir das Spannungsfeld Beruf und Familie? Wie kann ich mir, in meiner heutigen Situation und innerhalb des bestehenden Kontextes, zusätzlichen Freiraum für neue Träume, Hobbys, meine Familie schaffen?

In fortgeschrittenem Alter stellt sich die Frage: Was habe ich vor mit dem Rest meines Lebens? Was blieb bisher auf der Strecke – und gibt es Wege, das wiederzubeleben?

Eine Auseinandersetzung mit und Klärung dieser elementaren Fragen liegt eigentlich auf der Hand, ist im wirklichen Leben aber alles andere als selbstverständlich. Clayton M. Christensen, Unternehmer und Professor an der renommierten Harvard Business School, schreibt: „Ich finde es erschreckend, dass sich so viele der neunhundert Studenten, die die Harvard Business School Jahr für Jahr aus den besten Kandidaten der Welt auswählt, so wenig Gedanken über den Sinn ihres Lebens gemacht haben.“3

Auch in meiner eigenen Arbeit mit Führungskräften, in Seminaren und Coachings, stelle ich immer wieder fest, dass wir uns zu wenig Gedanken darüber machen, was uns wirklich wichtig ist. Wenn ich gestandenen Unternehmern und Führungskräften die Frage stelle, was das Wichtigste in ihrem Leben sei, haben die allermeisten ziemliche Schwierigkeiten, darauf eine schlüssige Antwort zu geben. Der Grund dafür ist, dass diese Fragen nicht ausreichend reflektiert worden sind. Ich denke, das hat mit einem Dilemma zu tun, das uns den Blick für das große Ganze unseres Lebens vernebelt: Selbstopferung. Im Spannungsfeld zwischen äußeren Aufgaben und Erwartungen einerseits und den eigenen Bedürfnissen und Werten andererseits zieht zu oft Letzteres den Kürzeren. Wenn wir in einen Engpass kommen – zum Beispiel die Wahl, uns ein seit Langem blockiertes freies Wochenende zu gönnen oder diese Zeit doch wieder zur Abarbeitung eines plötzlich aufgetretenen Problems einzusetzen –, machen wir zuerst Abstriche bei uns selbst. Auf dem Altar der Selbstaufopferung nehmen wir nur zu gerne Platz. Nach außen scheint das heldenhaft und verantwortungsvoll, ist aber gefährlich, weil wir aus den Augen verlieren, was wirklich zählt in unserem Leben.

Der Vergleich zur Wirtschaftswelt sei erlaubt: Jeder Geschäftsführer oder Vorstandsvorsitzende muss über die Ziele seiner Firma sowie die Strategien, diese zu erreichen, informiert sein. Andernfalls kann er das Unternehmen nicht leiten und ist fehl am Platz. Was im Geschäftsleben selbstverständlich ist, übersehen viele Leute – darunter auch häufig im Geschäft erfolgreiche – für ihr persönliches Leben. Wie ein Bildhauer immer wieder den Schritt zurück braucht, um das große Ganze seines Werkes in Augenschein zu nehmen, brauchen auch wir immer wieder den Schritt zurück aus unseren täglichen Herausforderungen, um das große Ganze unseres Lebens zu sehen. Hilfreich ist, sich immer wieder einmal Zeitfenster zu nehmen – einen Spaziergang, einen ruhigen Abend oder einmal einen ganzen Tag –, um diese Fragen zu klären, das persönliche Leben neu auszurichten und Wichtiges von Unwichtigem zu trennen. Wirklich wichtig im Leben ist im Endeffekt nur das, was vom Ende her betrachtet noch zählt.

Fragen zur Selbstreflexion

 Wie sieht mein Leben aus, wenn ich es vom Ende her denke?

 Was soll einmal auf meinem Grabstein stehen?

 Wie beurteile ich ganzheitlichen Lebenserfolg?

 Wo schlage ich falsche Wege ein?

Das Beispiel Eugene O´Kelly

Warum ist es so schwierig, sich einmal selbst diese einfache

Frage zu stellen: Warum tue ich, was ich tue?

Eugene O‘ Kelly

Eugene O`Kelly war Vorsitzender der Geschäftsleitung der weltweit operierenden Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG. Er galt als einer der einflussreichsten Manager und führenden Finanz- und Wirtschaftsexperten in den USA. Er hatte alles, was man sich landläufig unter einem erfolgreichen Leben vorstellt: einen hervorragenden Job, der ihm viel Anerkennung brachte, eine schöne Frau und eine kleine Tochter, Status und viel Geld. Im Alter von 53 Jahren, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, ereilt ihn aus heiterem Himmel eine Diagnose, die sein ganzes Leben auf den Kopf stellen sollte: Gehirntumor, Lebenserwartung noch wenige Monate. Die Krankheit bringt ihn zum ersten Mal dazu, sein Leben wirklich zu reflektieren und die bisherige Sichtweise über Erfolg und Prioritäten auf den Prüfstand zu stellen. In den verbleibenden dreieinhalb Monaten zwischen Diagnose und Tod ordnet O´Kelly sein Leben völlig neu. In seinem Buch „Chasing Daylight“4, das er in dieser Zeit verfasst, beschreibt er, wie sich seine Lebensprioritäten angesichts der todbringenden Krankheit völlig verschieben und er zu ganz neuen Erkenntnissen darüber kommt, was ihm wirklich wichtig ist. Sein Leben bis zum Zeitpunkt der Diagnose beschreibt er so:

„Ich führte ein Leben in höchster Geschwindigkeit, immer das Gaspedal durchgedrückt. Mein Kalender war immer über 18 Monate im Voraus ausgebucht. Ich arbeitete immer, an den Wochenenden, in den Nächten. Ich reiste über 200.000 km pro Jahr, wir hatten fast nie Urlaub. Ich habe jede Schulveranstaltung meiner Tochter versäumt. Die letzten zehn Jahre habe ich es tatsächlich geschafft, mit meiner Frau (während der Woche) Essen zu gehen: ganze zwei Mal!“

Sein wirkliches Leben beginnt erst, als ihm die Ärzte seinen Tod ankündigen. Dadurch kamen neue Erkenntnisse: über die Bedeutung der Beziehungen; darüber, jeden Moment zu genießen; wie wichtig es ist, sein Leben klar und einfach zu gestalten; über den Verlust der Spontaneität und die Notwendigkeit, sie wiederzubeleben. In der verbleibenden Zeit investiert er sich in diejenigen Menschen, die ihm wirklich wichtig sind – seine Frau, seine Tochter, die Familie und seine engsten Freunde. Über die letzte Phase seines Lebens sagt er: „Die Diagnose war ein Geschenk, weil sie mich zwang, intensiv über meinen Tod nachzudenken. Das brachte ein Bewusstsein und eine Klarheit in mein Leben, wie ich es nie vorher hatte. Es hat einen hohen Wert, sich seiner Sterblichkeit bewusst zu werden … All denjenigen, die irgendwann später darüber nachdenken wollen, rate ich: TUE ES JETZT!“

Aus dem Leben gegriffen I

„Wenn ich noch einmal anfangen könnte …“

Matthias Schipper ist verheiratet mit Andrea, beide haben einen erwachsenen Sohn und leben in Berlin. Matthias Schipper ist Mitglied der Geschäftsleitung eines mittelständischen Produktionsunternehmens. Im Interview mit Johannes Grassl spricht er über die Suche nach seinem Traum und wie eine schwere Erkrankung seine bisherigen Prioritäten grundlegend infrage stellte.

Herr Schipper, was würden Sie heute anders machen, wenn Sie Ihr Leben noch einmal leben könnten?

Wenn ich die Möglichkeit hätte, noch einmal zu beginnen, würde ich in meinem Leben viele Dinge anders machen! Selbst wenn es manchmal nur um Nuancen und nicht um die großen, fundamentalen Richtungsänderungen geht. Wenn ich noch einmal leben könnte, würde ich mehr an mich selbst denken, ohne dabei egoistisch sein zu wollen. Ich würde gelassener sein wollen, ohne damit gleichgültig zu sein. Vor allem würde ich mich mehr in Beziehungen investieren, privat genauso wie geschäftlich. In erster Linie gilt das natürlich für die Beziehung zu meiner Frau und unserem Sohn. Beide haben mir ein Familienleben geschenkt. Trotzdem bleibt das Eingeständnis, nicht genug Zeit in familiäre Beziehungen und die Pflege von Freundschaften investiert zu haben. Wenn ich einen zweiten Anlauf nehmen dürfte, würde ich das ändern.

Meine eigenen Wünsche habe ich zu oft dem Sicherheitsdenken und der vermeintlich von mir gegenüber anderen zu tragenden Verantwortung geopfert. Könnte ich noch einmal anfangen, würde ich deshalb meine persönlichen Bedürfnisse und Interessen stärker berücksichtigen. Ich würde mich nicht mehr so sehr von den Erwartungen anderer bestimmen lassen. Meine persönlichen Prioritäten habe ich zu oft geändert. Ich war der Meinung, für vieles auch später noch genügend Zeit zu haben. Für Erkenntnisse und Veränderungen ist es nie zu spät. Trotzdem bin ich inzwischen über 50 Jahre alt, und damit ist es für einige Dinge de facto doch bereits zu spät. Wenn ich noch einmal leben könnte, würde ich auch mehr Risiko eingehen. Ich würde mehr wagen, um das Leben mit all seinen Facetten noch intensiver zu leben. Ich würde mich nicht so oft durch die Vernunft bremsen lassen und mehr meinen Träumen folgen.

Warum haben Sie Ihr Leben dann so gelebt, wie Sie es gelebt haben?

Zunächst ist die Erkenntnis wichtig, dass wir alle durch unsere Kindheitserlebnisse geprägt worden sind, vor allem durch die Umgebung des Elternhauses. Neben der individuellen Prägung der einzelnen Person gibt es aber auch Prägungen, die im historischen Kontext, im Sinn einer Typisierung der jeweiligen Generation, gesehen werden müssen. Die Generation meiner Eltern, die durch Kriegserlebnisse, Leid und Entbehrung gekennzeichnet ist, hat sich mit dem Wirtschaftswunder auf materielle Sicherheit und den Erhalt des Friedens ausgerichtet. Das Wertesystem, die Prioritäten im persönlichen Verhalten und die damit auch anderen gegenüber erzeugten Erwartungshaltungen entsprangen einer ganz anderen Ausgangsbasis, als dies heute der Fall ist. In unserer Familie war es wichtig, den eigenen Wohlstand zu mehren und sich gegen Eventualitäten abzusichern. Nach außen hin war eine „heile Welt“ zu dokumentieren, die keine Angriffsfläche für Kritik bieten sollte. „Was sollen denn die Nachbarn denken?!“ – in dieser Haltung bin ich groß geworden.

Meiner Erziehung folgend, war es für mich deshalb selbstverständlich, den in mich gesetzten Erwartungshaltungen zu entsprechen. Aus heutiger Sicht habe ich mich erst viel zu spät aus diesem Korsett lösen können. Wenn ich also mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich frühzeitiger versuchen, eigene Ziele zu definieren und meinen eigenen Weg zu gehen.

In meinem Leben habe ich immer versucht zu funktionieren. Als junger Mensch erschien mir das Leben noch so lang; die Möglichkeiten, später noch dies oder jenes machen zu können, ließen mich einiges aufschieben. Heute weiß ich, dass ich durch diese Haltung in erster Linie mir selbst geschadet habe. Heute ist mir bewusst, dass Zeit ein sehr knappes Gut ist!

Vor einigen Jahren besuchten Sie einen Vortrag des Autors zum Thema „Lebe deinen Traum“. Was hat Sie damals an diesem Thema so angesprochen?

Dieses Thema hat eine Sehnsucht in mir berührt, gerade weil ich mich schon oft mit der Frage beschäftigte, was denn eigentlich der Traum meines Lebens ist. Weil ich nur schwer „Nein“ sagen konnte und schnell Verantwortung übernommen habe, habe ich schlussendlich funktioniert, meine eigenen Bedürfnisse und Interessen aber fast aufgegeben. Wo war noch Zeit, mich um meine Ehe, um Familie, geschweige denn um mich selbst zu kümmern? Kultur, Sport, ein gutes Buch, eigene Interessen, Freunde – alles blieb auf der Strecke. Aber ich hatte Erfolg, war von Kollegen und Geschäftspartnern geschätzt.

Beruflich war ich damals als Geschäftsführer in einer Unternehmensberatung tätig und auf Interimsmanagement spezialisiert. Das hat mir sehr viel Spaß gemacht. Unternehmen in Krisen zu begleiten bedarf aber der Bereitschaft, praktisch ständig erreichbar zu sein. Über die Jahre hatte ich mich dadurch zum Workaholic entwickelt. Ich wollte in schwieriger Zeit den Mitarbeitern des zu betreuenden Unternehmens wie auch meinen eigenen Mitarbeitern mit gutem Beispiel vorangehen. Also gehörte ich zu denen, die nachts um 1 Uhr noch E-Mails verschickten, um mit hoher Wahrscheinlichkeit in der darauffolgenden Stunde auch noch eine Antwort zu erhalten. Morgens zwei bis drei Stunden Anfahrt zum Kunden, eigentlich immer mehr als acht Stunden Arbeit, dann wieder zwei bis drei Stunden Rückfahrt oder gleich weiter zum nächsten, mehrere hundert Kilometer entfernten Einsatzort. Da ist es nur verständlich, dass sich irgendwann die Frage stellt, wie man aus diesem Hamsterrad wieder herauskommen kann. Manch ein Kollege hat die Warnzeichen erst nach dem Scheidungsantrag seiner Frau zu interpretieren gewusst. Auch bei mir bestand diese Gefahr: meine Frau, Familie, Freunde und ich selbst standen viel zu oft hintenan, weil ich glaubte, im Rahmen eines überzogenen Verantwortungsbewusstseins funktionieren zu müssen.

So drehte sich die Spirale weiter. Ich war auf dem Weg, alles zu verlieren, was mir im Grunde wichtig war: Ehe und Familie. In meinem Innersten wusste ich das, doch gelebt habe ich als Getriebener nach ganz anderen Prioritäten. Durch eine schwere Erkrankung meiner Frau wurde ich aufgerüttelt. Unsere Gespräche wurden intensiver, ich selbst war auf der Suche. Es musste da noch mehr geben als Beruf, materiellen Erfolg und das persönliche Funktionieren. Als sich unsere Diskussionen wieder einmal zuspitzten, erhielten wir unerwartet die Einladung zu diesem Vortrag „Lebe deinen Traum – Ausstieg aus dem Hamsterrad“. Der Titel elektrisierte mich förmlich. Meine Frau und ich waren uns sofort einig, die Fahrtstrecke von 400 km in Kauf zu nehmen.

Was war Ihre wichtigste Erkenntnis aus diesem Vortrag? Gab es einen Impuls oder „Aha-Effekt“, den Sie mit nach Hause nehmen konnten?

Der Vortrag hat mich mitgerissen! Deshalb suchte ich das vertiefende Gespräch mit dem Referenten. Ich wollte das Rezept erhalten, mein persönliches Leben zu verändern und lösungsorientiert auf den Titel des Vortrages auszurichten.

Die Umsetzung einer gewonnenen Erkenntnis in die Praxis ist immer eine große Herausforderung. Ist Ihnen das gelungen?

Erkenntnisgewinn ist die eine Seite der Medaille. Die andere, schwierigere Seite ist die Einsicht, dass Veränderung Zeit braucht und meist nur mit Geduld erreicht werden kann. Wichtig scheint mir nicht nur, sich ein grundsätzliches Ziel zu setzen, sondern den Weg dahin mit Teilzielen zu versehen, die in realistischer Weise erreicht werden können. Ich befinde mich – glaube ich – auf einem guten Weg. Ich habe heute mehr Gelassenheit und nehme mich selbst, meine eigenen Wünsche und Bedürfnisse ernster.

Es geht um einen Ausstieg aus dem Hamsterrad. Was ist das Hamsterrad in Ihrem Leben?

Einige Elemente des Hamsterrades in meinem Leben habe ich bereits beschrieben. Das Funktionieren und Getriebensein; ständig zu versuchen, die Erwartungen anderer zu erfüllen. Für mich manifestierte sich das Hamsterrad in dem Augenblick, als ich erkannte, mein Leben nicht mehr selbst bestimmen zu können. Die Freiheit der Selbstbestimmung war verloren. Die Erwartungshaltungen und Abhängigkeiten waren so groß geworden, dass mein Leben nicht mehr im Gleichgewicht war. Ich musste Kompromisse eingehen, die im Zeitverlauf immer größer wurden und damit auch an innerer Problematik zunahmen. Die Frage ist aber nicht nur, ob und wie ich mich im Hamsterrad bewege. Ich stelle mir auch die Frage, ob ich nicht selbst am Bau des Hamsterrades entscheidend mitgewirkt habe!? Wenn man also selbst den Bauplan des Hamsterrades kennt, ist es auch leichter möglich, den Ausgang zu finden.

Welche konkreten Schritte kann man tun, um aus dem Hamsterrad auszusteigen?

Am Anfang muss die selbstkritische Analyse stehen. Was ist das Hamsterrad in meinem Leben, und wie bin ich hineingeraten? Den Ausstieg sollte man nicht durch den Versuch eines spontanen Absprungs versuchen. Ich bin überzeugt, dass ein solcher Absprung gelingen kann, das Risiko, sich dabei massive Verletzungen zuzufügen, ist aber groß. Ich treffe durchaus spontane Entscheidungen, neige aber dazu, mir im Vorfeld zu überlegen, was zu tun ist. Ein Plan muss her! Ich habe mir bei der Konzeption meines Planes überlegt, ob ich den Ausstieg eigenständig schaffen kann oder ob ich mir Hilfe hole. Diese Hilfe kann professioneller Natur sein, ein Coach zum Beispiel, oder aber einfach das Gespräch mit guten Freunden. Ich selbst komme aus einem Familienumfeld, in dem wir durch unsere Eltern christlich geprägt worden sind. Sollte es die Möglichkeit geben, all die Ansprechpartner einfach mal dadurch zu ergänzen, dass man seinen Wunsch um Hilfe in ein Gebet fasst?

Ehrlich werden, sich öffnen können und das Gespräch mit jemandem suchen sind die ersten Schritte beim Ausstieg aus dem Hamsterrad. Wir brauchen einen Ansprechpartner, eine Vertrauensperson, mit der wir kritisch konstruktiv, ja, konträr diskutieren können. Konstruktive Kritik war mir oft eine Hilfe, über mein Leben nachzudenken. Und ich habe festgestellt, dass ich nicht alleine bin mit meinen Fragen. Die Einladung zu einer Zusammenkunft von Führungskräften im kleinen Kreis – um gemeinsam eine Auszeit zu genießen und das eigene Leben zu reflektieren – habe ich schon mehrmals gerne angenommen. Fernab vom großen Trubel konnte ich dort ehrliche Gespräche mit Menschen führen, denen es ähnlich erging. Weltliche und geistliche Gespräche bis hin zur gemeinsamen Andacht haben mich abschalten lassen und mich ermutigt.

Und dann war da in meinem Fall das plötzliche Angebot zur Übernahme einer neuen beruflichen Aufgabe. Ich gab meine langjährige Position als Geschäftsführer auf, um an anderer Stelle eine neue Aufgabe zu übernehmen. Ich sah die Möglichkeit eines Neuanfangs und die Chance, eigene Pflöcke der Arbeits- und Lebensbedingungen einschlagen zu können. Ob ich damit schon das Hamsterrad verlassen würde, konnte ich nicht sicher beantworten. Doch mir war klar, dass diese neue Perspektive dadurch möglich geworden war, dass ich mich geöffnet hatte und neuen Aufgaben offen gegenüberstand.

Vor wenigen Jahren sind Sie ernsthaft erkrankt. Die Überlebenschancen standen nicht gut. Wie empfinden Sie diese Zeit zurückblickend?

Natürlich war meine Erkrankung eine einschneidende Erfahrung. Mir wurde klar, dass mein Leben viel schneller zu Ende sein kann, als ich dachte. Das führte zu einer Überprüfung meiner Lebensweise, meines Verhaltens und meines Umgangs mit allen Ressourcen, die mir dieses Leben bietet. Dann kam die Erkenntnis der eigenen Machtlosigkeit. Die Tatsache, dass mir auf einmal die Möglichkeit zum selbstbestimmten Handeln entzogen war. Und dann war da wieder das nüchterne Einsetzen des Gefühls, nun wieder funktionieren zu müssen. Ich wollte erst einmal nach Hause und meine persönlichen Dinge ordnen. Ich wollte meiner Frau so wenig Sorgen und Nöte hinterlassen wie möglich.

Hat die plötzliche Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Leben überraschend schnell enden könnte, besondere Erkenntnisse bewirkt?

Zunächst einmal die nüchterne Erkenntnis, dass es nicht nur andere trifft. Ich war nun selbst betroffen. In diesen Tagen habe ich mein Leben Revue passieren lassen. Die persönlichen Sorgen und Probleme erschienen mir plötzlich in einem ganz anderen Licht. Was gestern noch gewaltig und nur schwer überwindbar schien, war plötzlich klein und nichtig. Ich habe in dieser Zeit sehr viel nachgedacht und mit vielen Sachverhalten meinen Frieden gefunden. Es war weniger eine bestimmte Erkenntnis als vielmehr Fragen, die mich plötzlich nicht mehr losgelassen haben. „Warum lässt Gott das zu? Was habe ich getan, dass mir das passiert?“

Mir wurde bewusst, dass es nur sehr wenige Menschen in meinem Umfeld gibt, mit denen ich diese tiefen inneren Fragen besprechen konnte. Ich wusste nicht, wie viel Zeit mir bleibt, wollte ihnen aber auf den Grund gehen. Im Wesentlichen waren es zwei Freunde, die mir in dieser Zeit telefonisch, im E-Mail-Kontakt und durch ermutigende Briefe geholfen haben. Zwei Erkenntnisse wurden mir im Hinblick auf meinen Glauben besonders wichtig. Erstens: „Denke immer daran, dass Jesus Christus für uns Menschen zur Vergebung unserer Sünden am Kreuz gestorben ist.“ Auf dieser Basis habe ich meine Gebete an Gott gerichtet. Zweitens die Überlegung, ob die Frage, warum Gott Leid zulässt, überhaupt berechtigt ist. Ich habe mit dieser Frage einen Vorwurf an Gott verbunden. Sollte ich aber nicht zunächst bei mir selbst beginnen? Sollte ich mich nicht zunächst hinterfragen, welchen Eigenanteil ich an meiner Situation habe? Mich hat das herausgefordert, über meine Eigenverantwortung nachzudenken.

Was hat sich dadurch in Ihrem Leben verändert?

Als Erstes bin ich dankbar, dass mir eine lange Zeit des Nachdenkens zuteilwurde. Natürlich hätte ich gerne auf diese schwere Krankheit verzichtet. So danke ich Gott, dass die medizinische Behandlung mich hat gesunden lassen. Die ursprüngliche Diagnose ließ zunächst nur eine begrenzte Hoffnung zu. Gleichzeitig muss ich auch für mich konstatieren, dass durch Verdrängung und eine vermeintlich wiederhergestellte Normalität die guten Vorsätze schnell wieder über Bord geworfen werden. Alte eingeschliffene Verhaltensmuster drohen, wieder die Oberhand zu gewinnen. Heute versuche ich, bewusster zu leben, mich auch bewusster zu ernähren. Ich habe mir mehr Gelassenheit auf die Fahnen geschrieben. Ich behandele alle Aufgaben etwas entspannter, und trotz der Tatsache, dass meine Bürotür immer für jedermann offen steht, sage ich konsequent auch einmal „Nein“.

Wovon träumen Sie, wenn Sie an den Rest Ihres Lebens denken?

Ich möchte alte Verhaltensmuster korrigieren und mehr als bisher meine Träume leben. Dabei habe ich mir vorgenommen, erreichbare Ziele zu setzen. Aufgrund der Krankheit meiner Frau werden wir den Traum einer Weltreise wahrscheinlich nicht mehr realisieren können – ich weiß nicht, ob wir überhaupt jemals wieder eine Reise in die Ferne unternehmen können. Deshalb träume ich davon, dass meine Frau trotz ihrer Erkrankung ein lebenswertes Leben führen kann. Ich träume davon, dass wir unser Leben gemeinsam in Frieden und Sicherheit leben können. Ich wünsche mir, dass Gott mir nach meiner schweren Krankheit das wiedergewonnene Leben erhält. Wenn man erst einmal erkannt hat, dass man seine Wünsche einer übergeordneten Instanz, nämlich Gott, vortragen kann, und wenn man daran glaubt, dass man sich auf Gott verlassen kann, dann wird es auch gelingen, sich aus der eigenen Verkrampfung, aus den eigenen Fesseln zu lösen. Es ist doch immer so, dass wenn man locker und unverkrampft an die Lösung einer Sache herangeht, die Chance des Erfolgs steigt. Den unerfüllten Wünschen aus der Vergangenheit nachzutrauern macht keinen Sinn. Die Frage ist: Was entscheide ich heute für den Rest meines Lebens? Niemand von uns weiß, wie viel Zeit ihm noch bleibt.

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