Kitabı oku: «Propaganda 4.0», sayfa 3

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Zusammengefasst: Der Rechtspopulismus ist eine antipluralistische Ideologie, die AfD eine radikal rechtspopulistische Partei, die ein ideologisches Kontinuum bis tief in den Rechtsextremismus unterhält. Nur wenn wir rechten Populismus als demokratiegefährdende Ideologie statt als demokratisches Stilmittel verstehen, können wir rechte Populisten begrifflich so isolieren, wie es eine Demokratie aus Selbstschutz tun sollte. Verstehen wir Populismus als ein Stilmittel, das von »Guten« wie auch von »Bösen« eingesetzt werden kann, dann legitimieren wir mit unserer Sprache das Böse über das Gute. Sowenig wie es »alternative Fakten« gibt, gibt es daher auch keinen »guten Populismus«. Gewiss ist Eliten-Kritik legitim und notwendig, aber die Vorstellung von einem homogenen Volk ist schlichtweg Fiktion. Und der Nativismus will aus dem Demos einen Ethnos machen.

All das soll nicht heißen, dass es nicht auch einen typischen Sprach- und Kommunikationsstil von Populisten gibt. Im Gegenteil: Die Sprache ist das schärfste Schwert des Populismus. Weil Populisten besonders effektiv kommunizieren, übernehmen andere Politiker auch ständig Begriffe oder Denkfiguren des Populismus. Als Martin Schulz zu Beginn seines Wahlkampfs über »selbsternannte Eliten« schimpfte und der ZEIT sagte, »Ich gehöre nicht zum Machtkartell«, dann war das ein billiges Blasen in das Anti-Establishment-Horn der AfD. Schulz ist kein Populist, aber in solchen Aussagen hat er die populistische Ideenwelt der AfD auf sich abfärben lassen. Warum deren sprachliche Ausdrucksformen so verlockend sind, soll der nächste Abschnitt zeigen.

FRAMES FÜR DAS VOLK!

»Die AfD hat die Grenzen des Sagbaren verschoben.« In fast keiner Analyse über die Partei fehlt dieser Satz. Diskursforschende verstehen unter dem »Sagbaren« alle Äußerungen und Begrifflichkeiten, die in öffentlichen Debatten verwendet werden können, ohne dass der Redende mit Sanktionen rechnen muss. Dabei können die Sanktionen von ganz unterschiedlichem Ausmaß sein, von Rügen und Empörungen anderer Diskutanten, zum Beispiel wenn gesellschaftliche Tabus gebrochen werden, bis hin zu strafrechtlichen Mitteln etwa im Fall von Verleumdungen oder Volksverhetzung. Die verbalen Grenzüberschreitungen von Rechtspopulisten bewegen sich in den meisten Fällen in Bereichen, die nicht justiziabel sind. Das heißt, sie wenden sich sprachlich nicht gegen die Rechtsordnung, dafür umso mehr gegen die bestehende Diskursordnung, die so etwas wie eine Übereinkunft bezüglich des gegenseitigen Respekts und Anstands darstellt. Diese Diskursordnung ist ihrer Meinung nach unter der Kontrolle des verhassten Establishments und für dieses ein wichtiges Herrschafts- und Unterdrückungsinstrument. Die Revolte dagegen, das Aufbrechen von »Denkverboten«, das Aussprechen »unbequemer Wahrheiten«, die Verbannung von »politischer Korrektheit« gehört nach Meinung von Rechtspopulisten zu den wichtigsten ersten Maßnahmen in der Befreiung des Volkes. Provokationen, Brüche gesellschaftlicher Konventionen und Grenzüberschreitungen sollen maximale Empörung und somit maximale Aufmerksamkeit generieren. Und das bleibt nicht folgenlos. Björn Höcke sagt in dem Buch des FAZ-Journalisten Justus Bender, dass man Erfolge in der Politik erreichen könne, indem man Tabubrüche so lange wiederhole, bis sich die Menschen daran gewöhnt hätten. Das ist der Kern der gesellschaftlichen Wirksamkeit der AfD.

Entscheidend ist also, was aus den permanenten Grenzüberschreitungen folgt: Mit der Veränderung des Sagbaren verändert sich nicht allein der Sprachgebrauch von Menschen, sondern das, was sie als »Wirklichkeit« und »Normalität« empfinden. Es verändert sich nicht nur das Reden, sondern auch das Denken. Das Konzept der Konstruktion von Wirklichkeit durch Sprache geht unter anderem auf den französischen Soziologen Michel Foucault zurück. Foucault verstand gesellschaftliche Diskurse als »Kämpfe« um die Bestimmung von Wirklichkeit, kurz »Wahrheitsspiele«. Für die AfD sind diese Wahrheitsspiele die wichtigste Disziplin, um gesellschaftlichen Einfluss zu erlangen. Die AfD verändert im ersten Schritt die Sagbarkeit, im zweiten aber auch die Normalität. Wenn sich Normalität verändert, verändert sich Realität, denn in der Realität strebt eine Gesellschaft nach Normalität. Was als normal gilt, kann nicht mehr zum Problem erklärt werden. Der Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer spricht in diesem Zusammenhang von einem »Normalitätspanzer«, den sich eine Gesellschaft zulegt. Er führe dazu, dass das Normale nicht nur durch Eliten und Medien, sondern auch in der alltäglichen Kommunikation am Arbeitsplatz oder in Vereinen nicht mehr sanktionsfrei problematisiert werden kann.

Nachvollziehbar wird die sprachliche Konstruktion von Normalität an einem konkreten Beispiel in den Aufzeichnungen des jüdischen Schriftstellers Victor Klemperer. Über die Wirkmacht von Sprache lieferte er schon Jahre vor Foucault eine brillante Fallanalyse der »Sprache des Dritten Reiches«:

»Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Gift-Wirkung doch da.«

Klemperer erkannte, dass die Nazis nicht mit ihrer Sprache die Wirklichkeit beschrieben, sondern mit der Sprache erst eine Wirklichkeit erschufen, in der es eine Notwendigkeit für die Verfolgung und Vernichtung der Juden gab, die als Feinde eines Volkes markiert wurden, das ebenfalls neu erdacht wurde: »Volk wird jetzt beim Reden und Schreiben so oft verwandt wie Salz beim Essen«, schrieb Klemperer 1933, »an alles gibt man eine Prise Volk«.

Wir sollten also davon reden, dass die AfD durch sprachliche Grenzüberschreitungen versucht, Normalität zu verschieben – Normalität, aus der die Politik ableitet, was gesellschaftliche Probleme sind und welche Antworten im Spektrum von möglichen Problemlösungen zur Verfügung stehen. Der Überfluss an aggressiven Begriffen, welche die AfD und ihre Gesinnungsgenossen aus dem Spektrum der Neuen Rechten dafür einsetzen, füllt mittlerweile ganze Wörterbücher. Das »Wörterbuch des besorgten Bürgers« von Wissenschaftlern der Universität Leipzig dokumentiert, welche rechtsradikalen Begriffe in den letzten Jahren Karriere machten und zum Teil aus der Zeit des Nationalismus rehabilitiert wurden. Solche Begriffe beziehen sich zum allergrößten Teil auf den ideologischen Kern des Rechtspopulismus – also die Bedrohung des stets aufrichtigen Volkes durch das notorisch korrupte Establishment und die von ihm instruierte Massenmigration. Laut dieser rechtspopulistischen Wirklichkeit leben wir unter einer »Kanzlerdiktatorin« statt unter einer demokratisch legitimierten Regierung. Das zentrale Projekt der »Volksverräter« ist der »Bevölkerungsaustausch« beziehungsweise die »Umvolkung« der »Biodeutschen«, welche durch die »Asylflut« erreicht werden soll, von der gelenkten »Lügenpresse« publizistisch legitimiert und von »grün-links versifften« »Gutmenschen« beklatscht wird. Diese »illegale Masseneinwanderung« erfüllt möglicherweise gar den Tatbestand des »Völkermordes« nach der entsprechenden UN-Konvention, in jedem Fall aber gelte es, das »Völkische« zu stärken und die »Männlichkeit« in Deutschland wiederzuentdecken, um »wehrhaft« zu werden. Weil die Zeit davonrenne, sei jetzt eine »Tat-Elite« gefragt, die dem Treiben der »Pseudo-Elite« ein Ende bereite. Diese wörtlichen Zitate stammen aus den Mündern von Alexander Gauland, Frauke Petry, Björn Höcke, Jörg Meuthen, Ralph Weber und Jörg Urban. Menschen, die allesamt Spitzenämter in der AfD oder mindestens Mandate für die Partei in Landtagen einnehmen bzw. einnahmen.

Im Dunstkreis der AfD gesellen sich zu diesem Standardvokabular Begriffe aus dem sogenannten »vorpolitischen Raum«, also außerhalb von Parteien und politischen Institutionen. Dort operieren Initiativen wie Pegida, das Institut für Staatspolitik oder die Identitäre Bewegung, die mitunter vom Verfassungsschutz beobachtet werden, aber von AfD-Vertretern als »Vorfeldorganisation«, also natürliche Verbündete, gesehen werden.17 Ihre Symbole sind bei AfD-Kundgebungen regelmäßig präsent. Für die Wirkung auf die Zielgruppe spielt es keine große Rolle, ob ein AfD-Politiker in seiner Rede selbst die Regierung als »Volksverräter« beschimpft oder ein paar Burschen in der erste Reihe diese Parole anstimmen, wenn der Redner selbst nur den Namen Merkel ausspricht. Spitzenpersonal wie Alice Weidel oder Jörg Meuthen würden Begriffe wie »Volksverräter« – eine Ableitung von dem unter Hitler eingeführten Strafbestand des »Volksverrats« – nicht öffentlich sagen, aber sie bekunden gerne Verständnis für das Gefühl, was bei den Menschen dahinterstecke, die diesen Begriff rufen. Eine indirekte Legitimierung also. Im rechten Milieu gehören auch Begriffe wie »Invasoren«, »Rapefugees«, »Fickilanten« oder noch weitergehende Entmenschlichungen wie Tier-Begriffe zum Sprachgebrauch für geflüchtete Menschen. Zur Anwendung kommt diese Sprache auch vermehrt im digitalen Raum: Eine Analyse der Financial Times ergab für den Monat Mai 2016, dass im Durchschnitt 30 Begriffe aus der NS-Zeit in den Kommentaren unter einem einzigen Facebook-Beitrag der AfD von den Nutzenden verwendet wurden.18

Im Jargon der Rechtspopulisten gibt es auffallend viele sprachliche Bilder, also Metaphern, die sofort bestimmte Assoziationen im menschlichen Gehirn hervorrufen. Besonders wirkungsvoll sind Metaphern, wenn sie ein übergeordnetes »Framing« aktivieren. Framing ist ein wichtiges Mittel der politischen Kommunikation, es ist Politik mit sprachlichen Mitteln. Dabei wird zu einem Sachverhalt ein ganz bestimmter Deutungsrahmen (»Frame«) mitgeliefert, eine Denkschablone, mittels derer die Fakten interpretiert werden sollen. Fakten haben nie eine Bedeutung für sich, sie müssen stets eingeordnet werden. Ein bekanntes Framing-Beispiel geht so: Ein Arzt kann gegenüber einem Patienten vor einer Operation von einer »neunzigprozentigen Überlebenschance« oder einem »zehnprozentigen Sterberisiko« sprechen. Der gleiche Fakt, aber zwei verschiedene Frames – Leben und Tod – die bei den betroffenen Patienten zwei unterschiedliche Entscheidungen befördern. Experimente haben nachgewiesen, dass Menschen bei der Betonung des Sterberisikos eher von der Operation absehen würden und bei Herausstellung der Überlebenschance zur Einwilligung neigen.

Die Effektivität des politischen Framings besteht darin, dass es an Werte, persönliche Erfahrungen, Narrative, Ideologien, aber auch Emotionen andockt und dabei eine wertebezogene Interpretation von Fakten bewirkt. Und Menschen formen ihre Einstellungen in erster Linie auf Grundlage ihres Wertefundaments. Daher sind nicht Fakten der zentrale Vermittler von Politik, sondern deren sprachliche Verpackung. Über Hirnscans erforscht die Kognitionswissenschaft, was bei Menschen im Gehirn vorgeht, wenn sie bestimmte politische Botschaften lesen oder hören. Es gibt Frames, die sich im politischen Diskurs über Jahrzehnte hinweg festgesetzt und den Handlungsspielraum der Politik somit in eine bestimmte Richtung eingeschränkt haben. Die Steuerpolitik ist besonders gebeutelt von einem ganz bestimmten Framing. Steuern zu zahlen, empfinden wir als »Steuerlast«. Für Orte, wo man dieser »Belastung« entgehen kann, nutzen wir Metaphern von Sehnsuchtsorten wie »Steueroase« oder »Steuerparadies«. Menschen, die sich ihrem fairen Steuerbeitrag zur Gesellschaft entziehen, gestehen wir Flüchtlingsstatus zu, nennen sie »Steuerflüchtlinge«. Es ist nicht verwunderlich, dass bei einem solchen Framing niemand ein positives Verhältnis zu Steuern entwickeln wird. Dass wir mit unseren Beiträgen zentrale staatliche Aufgaben wie Bildung, soziale Absicherung oder die Polizei finanzieren und dafür eine Flatrate auf öffentliche Güter, etwa Straßenbeleuchtung, Fahrradwege oder Hochwasserschutz bekommen, dafür gibt es keinen Frame in den Debatten zur Steuerpolitik. Der Handlungsspielraum der Politik wird dadurch stark eingeschränkt, mit Steuererhöhungen lässt sich nichts gewinnen, obwohl wir alle von Steuern auf die eine oder andere Weise profitieren.

Politisches Framing war bis weit in die 2000er-Jahre hinein vor allem ein akademisches Thema. Der amerikanische Soziologe Erving Goffman war mit seinen Frameanalysen in den 1970er-Jahren einer der Pioniere auf diesem Feld. Mittlerweile ist das Konzept hierzulande populärer geworden. Auch weil George Lakoff und Elisabeth Wehling, Linguistik-Forschende aus Berkeley, mit ihrem Buch »Auf leisen Sohlen ins Gehirn – Politische Sprache und ihre heimliche Macht«, das Thema 2008 einem breiteren, nicht akademischen Publikum zugänglich machten.19 Heute herrscht in allen Parteizentralen ein Bewusstsein für dieses mächtige Instrument. Zum Beispiel stellte die grüne Bundestagsfraktion nach der Bundestagswahl 2013 eine Framing-Expertin ein, die dafür sorgen soll, dass Gesetzestexte schon im frühen Entwurfsstadium nicht nur juristisch stimmig sind, sondern auch die richtigen Synapsen im Gehirn der Bürgerinnen und Bürger aktivieren. Das ist aber eher noch ein Einzelfall, fest verankert sind Framing-Strategien in der deutschen Politik längst nicht.

Bei der AfD basiert das Framing maßgeblich auf den ideologisch begründeten Grundkonstellationen von »Elite gegen Volk« und »Migranten gegen Volk«. Bei der Flüchtlingsthematik setzt die AfD drei Frames regelmäßig ein. Den ersten Deutungsrahmen gab es schon in den Medien bevor die Partei geboren war: Migration als Naturkatastrophe. Einwanderung wird als »Welle« oder »Lawine« bezeichnet. Wer solche Wörter hört, dessen Gehirn aktiviert Assoziationen von Bedrohung, Zerstörung, Verwüstung. AfD-Vertreter setzen mit »Einwanderungs-Tsunami«, »menschliche Überflutung« oder »Asylflut« gerne einen drauf, um noch apokalyptischere Vorstellungen zu evozieren. Die notwendigen Gegenmaßnahmen ergeben sich bei einem solchen Framing wie von selbst, da man sie von anderen »hereinbrechenden« Naturphänomen kennt: Begrenzung, Eindämmung, Schließung, Abschottung. Eine Diskussion über die Ursachen schließt dieser Deutungsrahmen ganz automatisch aus, schließlich entziehen sich diese bei Naturgewalten oftmals dem menschlichen Einfluss.

Der zweite Deutungsrahmen, den AfD-Politiker zu den Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre benutzen, liefert eine Interpretation dessen, wer in unser Land kommt. Laut Bundesregierung kamen 2015 890.000 Asylsuchende nach Deutschland. Wie oben geschildert, bekommt eine solche Zahl erst durch das Framing eine wirkliche Bedeutung. Ein solcher Fakt kann als Chance für die Gesellschaft geframt werden oder als Bedrohung. AfD-Politiker sprechen von »Messermigranten«, kriminalisieren sie somit pauschal und fragen dann anklagend: »Wer schützt uns vor den sogenannten Schutzsuchenden?«. Oder die AfD spricht von »einer Million junger Araber«, die gekommen sind. Die Attributionskette jung, männlich, muslimisch dockt an ein fremdes, orientalisches Wertesystem an, das mit dem westlichen nicht kompatibel zu sein scheint, mehr noch, das in Form des Islams gar eine Bedrohung darstellt. Mit der religiösen Kategorisierung wird den Männern auch ein bestimmtes Frauenbild zugeschrieben. Die Deutung, dass es sich bei den Ankömmlingen ausschließlich um eine Horde arabischer Männer handelt, legt einen Assoziierungskorridor zu Begriffen wie »Rapefugees« oder »Fickilanten« der rechten Straßenbewegungen frei. In Facebook-Gruppen, die sich als AfD-Unterstützungsgruppen und nicht in erster Linie als Pegida oder Identitäre verstehen, finden sich diese Begriffe zuhauf wieder. Dort sind die Grenzen fließend, selbst wenn ein AfD-Vertreter diese Begriffe nie benutzt hat. Aber wenn Björn Höcke im Sonntagabend-Talk der ARD annahmt, dass die »Angstträume für blonde Frauen größer werden«, dann wird das Framing vom Flüchtling als Triebtäter aktiviert, ohne dass Höcke überhaupt die männlichen Flüchtlingen erwähnen muss.

Ein Frame, der sich ebenfalls auf die Migrationsbewegungen im Jahr 2015 bezieht, jedoch primär den Antagonismus »Volk gegen Elite« betont, ist der Begriff von der »Grenzöffnung«. Faktisch waren damals, als Zehntausende Geflüchtete über Ungarn nach Deutschland kamen, die Grenzen geöffnet, da sowohl Ungarn als auch Deutschland und das dazwischen liegende Österreich zum offenen Schengen-Raum gehören. Angela Merkels Entscheidung, die Grenzen offen zu lassen und die Schutzsuchenden aufzunehmen, war also vielmehr eine Nicht-Grenzschließung. Der semantisch unzutreffende Begriff von der »Grenzöffnung« regt hingegen die Assoziation eines wirkungsvolles Zerrbild an, in dem Merkel die Schlagbäume quasi eigenhändig hochkurbelt. Und es suggeriert einen Rechtsbruch, da geschlossene Grenzen eben nicht ohne Weiteres geöffnet werden können.20 Dieser Frame bezieht sich jedoch wiederum auch auf die Geflüchteten. Wenn ihre Aufnahme rechtswidrig war, sind sie »illegale Migranten«. Das Stigma der Illegalität ist in diesem Zusammenhang sehr bedeutsam, weil die AfD damit jede Verantwortung der Bundesrepublik Deutschland für die Schutzsuchenden, etwa im asylpolitischen Sinne, dementiert. Der Europäische Gerichtshof hat indes längst geklärt, dass Merkels Handeln im Sommer 2015 rechtskonform war.

Für die Gegenüberstellung von »Volk versus Elite« beziehungsweise »AfD versus Establishment« gibt es zwei weitere Framings, die von der Partei immer wieder im öffentlichen Diskurs verwendet werden. Zum einen ist das der Diktatur-Frame, der die Assoziation von Unterdrückung, von einer ungerechten Behandlung des Volkes hervorruft. Das Volk ist das Opfer, die Elite der Unterdrücker. Genauso wird die AfD zum Opfer der herrschenden Elite von Politik und Medien. AfD-Politiker, die sich legitimerweise gegen die Diktatur auflehnen, sind in diesem Framing die moralischen Befreier. Widerstandskämpfer im Namen der Demokratie. Besondere Dringlichkeit bekommt dieser Befreiungskampf mit der zusätzlichen Deutung der Migration als ein von den Eliten initiierter »Bevölkerungsaustausch«, in dem die Flüchtlinge zu Agenten der Erfüllung eines Plans der Regierung werden. Weil die AfD den Diktatur-Frame schon längst etabliert hatte, war er auch während der Corona-Pandemie kognitiv leicht verfügbar. Hier konnte er von der »Querdenken«-Bewegung und der AfD rasch und effektiv in eine gemeinsame Botschaft übertragen werden: Die Regierung hat ein Virus erfunden, um unter dem Vorwand des Infektionsschutzes eine Diktatur zu errichten!

Bei der Beschreibung des politischen Gegners und der Abgrenzung zu ihm benutzt die AfD zudem regelmäßig ein Framing von Hygiene. Dabei stellt sie sich als Kraft der Sauberkeit und die Anderen als verunreinigt dar. Warum die AfD das macht? Dieser Deutungsrahmen ist bei konservativ eingestellten Menschen besonders wirkungsvoll. Reinheit und Ordnung sind wichtige Werte im konservativen Weltbild. Wenn sich Frames auf die zentralen Werte eines Menschen beziehen, sind sie besonders wirksam. So sagte Björn Höcke in seiner berüchtigten Erfurter Rede vom 7. Oktober 2015 gleich mehrmals: »Wir stehen für Sauberkeit.« Er nahm sich in seiner Rede viel Zeit, um den hygienischen Unterschied zum politischen Gegner deutlich zu machen. Höcke schilderte, wie er nach der letzten AfD-Kundgebung in Erfurt, zu der es auch eine Gegendemonstration gab, die Demonstrationsstrecke noch einmal verantwortungsbewusst mit seinem Auto abgefahren sei, um nach dem Rechten zu sehen. »Ich sah nichts. Man konnte nicht sehen, dass wenige Stunden zuvor noch Tausende Menschen auf diesen Straßen unterwegs gewesen sind. Die war sauber, diese Straße!« Und dann die Kontrastierung zu den Gegnern: »Die Stelle, wo die Gegendemonstranten brüllten und ihr Unwesen trieben, die war zugemüllt bis oben hin.« Das gleiche Framing machte sich Markus Frohnmaier, AfD-Bundestagsabgeordneter aus Baden-Württemberg, zu eigen. Ebenfalls bei einer Rede in Erfurt, schickte er in Richtung der etablierten Parteien die Warnung, »wenn wir kommen, dann wird aufgeräumt, dann wird ausgemistet«. Der wohl bekannteste O-Ton mit dem Hygiene-Frame stammt von Jörg Meuthen: »Wir wollen weg vom links-rot-grün-versifften 68er-Deutschland und hin zu einem friedlichen, wehrhaften Nationalstaat«, johlte er beim Parteitag 2016 in Stuttgart.

Den Hygiene-Frame bemühte auch Donald Trump, wenn er im Wahlkampf über seine Konkurrentin Hillary Clinton oder über Migranten redete. Trump stellte sich stets als besonders hygienebewusst dar, betonte, wie oft er sich die Hände wasche. Über die »Reinheit« von Clinton machte Trump eindeutige Andeutungen. Zu einer Toilettenpause von Clinton während einer TV-Debatte sagte er: »Ich weiß, wo sie hingegangen ist. Es ist so ekelhaft, ich möchte nicht darüber reden. Nein, es ist so ekelhaft.« Schmutzig sind für Trump auch Migranten. Lateinamerikanische Einwanderer bezeichnete er als »Schweine«, die so »unordentlich wie die brasilianische Wirtschaft« seien.

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