Kitabı oku: «Baupläne der Schöpfung»
Baupläne der Schöpfung
Hat die Welt einen Architekten?
Johannes Huber
Walter Thirring
Unter Mitarbeit von Cornelia Faustmann
unveränderte eBook-Ausgabe
© 2020 Seifert Verlag
2. Auflage der vollständig überarbeiteten und erweiterten Fassung der Ausgabe von 2011
ISBN: 978-3-904123-30-3
ISBN Print: 978-3-902924-84-1
Umschlaggestaltung: Markus Haralter, Union Wagner, Wien
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Seifert Verlag GmbH
Ungargasse 45/13
1030 Wien
Inhalt
Vorrede zu dieser Ausgabe
1. Teil
1. Die Vermessung der Transzendenz
2. Weltwissen und Weltanschauung
3. Glaube und Wissen, lange Zeit eine Einheit
4. Spekulative Physik und gläubige Vernunft
5. Die Unschärfe des Augenblicks
6. Reicht die Quantenphysik bis in die Biologie?
7. Feuerbach und die Brandstifter
8. Prägende Umstände
9. Gehirn. Genom. Geheim
10. Der epigenetische Code
11. Die Entstehung einer Religion
12. Inkarnation – der Mensch wird Teil der Offenbarung
13. Die Subjektivität der Transzendenz
14. Die Entstehung der heiligen Schriften
15. Paulus der Aufklärer
2. Teil
16. Ist Ethik noch zeitgemäß?
17. Das egozentrische Weltbild
18. Rückkehr der religiösen Melodien
19. Schuld und Sühne, ein europäisches Motiv
20. Das vierte Gebot
21. Das fünfte Gebot
22. Das sechste Gebot
23. Das siebente Gebot
24. Das achte Gebot
3. Teil
25. Naturwissenschaftliche Weltbilder
26. Zufall oder Plan
27. Der Urknall
28. Die Geburt der Materie
29. Die Sterne
30. Die Planeten
31. Evolution der Materie
32. Von Naturgewalten zu Göttern
Nachwort
33. Literatur
Vorrede zu dieser Ausgabe
Im Jahre 2010 durfte ich mit dem international angesehenen Physiker Walter Thirring in einen Diskurs über die Rechtfertigung des Gottesglaubens treten. Die Frucht dieser Auseinandersetzung fand ihren Niederschlag in dem 2011 erschienenen Buch »Baupläne der Schöpfung. Hat die Welt einen Architekten?«, das sich vornehmlich an eine akademische Lesergemeinde wandte.
Seither hat sich die allgemeine Debatte zu diesem Thema womöglich noch zugespitzt. Gretchens Frage an Faust »Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?« scheint brennender denn je. Dies machte es notwendig, das Thema, ergänzt um jüngste Erkenntnisse und in allgemein verständlicher Sprache, einem breiten Leserkreis anschaulich vorzutragen.
Noch vor seinem Tod 2014 hatte Professor Thirring angeregt, dieses Buch einer ergänzten Ausgabe zuzuführen. Diesem Wunsch komme ich jetzt, wenn auch verspätet, nach.
Professor Thirring und ich waren immer der Meinung, dass Religion und Naturwissenschaft zwar getrennt bleiben mögen, jedoch es nicht widervernünftig ist, in Lebenssinn stiftenden Fragen an Inhalte zu glauben, die jenseits des menschlichen Erfahrungshorizontes liegen. Dies darzustellen war eine Intention des Buches, das mit einem von Professor Thirring verfassten Memorandum zu dieser Frage schließt.
Das Buch vertritt auch die Meinung, dass unser alteuropäisches Erbe aus einer weltgeschichtlich einzigartigen Symbiose jener Geistesrichtungen entstanden ist, die an den drei geistigen Metropolen Jerusalem, Athen und Rom festgemacht werden können. Die daraus entstandene Weltsicht hält auch modernen Diskursen statt. Das Christentum ist meines Erachtens die an Reflexion tiefste Religion und die Unkenntnis seines jahrtausendelangen gedanklichen Ringens darf nicht dazu führen, dass es in den Rang einer Märchenerzählung hinabgestuft wird. Deshalb muss das empfangende Subjekt in die Interpretationen von Offenbarungsinhalten eingebunden werden, wie es Peter Sloterdijk in seinem Buch »Nach Gott« fordert und wie es eigentlich auch in der sogenannten »Tradition« des Christentums als zweite Offenbarungsquelle vorgedacht ist.
Vielleicht ist es heute schwieriger, Christ zu sein – aber es ist unverändert aufregend und tröstend zugleich.
Johannes Huber
Wien, im März 2018
1. Teil
EIN BISSCHEN GLAUBE
See the great Newton, He who first Survey’d
The Plan, by which the Universe was made.
Seht den großen Newton, der als Erster den Plan vermaß,
der dem Universum zugrunde liegt.
1
Die Vermessung der Transzendenz
Der große Pan ist tot. So steht es geschrieben. Der griechische Schriftsteller Plutarch, an sich ein umtriebiges Kerlchen, war weniger an historischen Details oder religiösen Spitzfindigkeiten interessiert, vielmehr ging es ihm um Charakterstudien und grundlegende Moralvorstellungen. Plutarch unternahm viele Reisen, die ihn nach Kleinasien und Ägypten führten; mehrmals besuchte er Rom. Er lebte zu einer Zeit, als das Römische Reich am Höhepunkt war, und lief Nero über den Weg; es muss so um 66 nach Christus gewesen sein. Uns hinterließ Plutarch eine merkwürdige Geschichte, sie liest sich so:
Eines Abends, als sie schon auf der Höhe der Echinaden-Inseln waren, sei der Wind eingeschlafen und das Schiff sei treibend in die Nähe der Paxos-Insel gelangt. Die meisten seien noch wach, einige nach beendigtem Mahl beim Trinken gewesen. Plötzlich habe man von der Paxos-Insel her eine Stimme gehört, die laut »Thamus!« rief, so daß man sich verwunderte. Thamus war aber ein Ägypter und Steuermann des Schiffes, doch nicht vielen der Fahrgäste mit Namen bekannt. Beim ersten und zweiten Anruf habe er geschwiegen, beim dritten Mal aber dem Rufer geantwortet. Dieser habe nun seine Stimme noch mehr erhoben und gerufen: »Wenn du auf die Höhe von Palodes kommst, dann melde, daß der große Pan tot ist!«
Als sie das gehört hätten, so erzählte Epitherses, seien sie alle sehr erschrocken und hätten sich darüber unterhalten, ob es besser sei, den Auftrag auszuführen, oder sich nicht darum zu kümmern, sondern es auf sich beruhen zu lassen, und Thamus habe sich dahin entschieden, wenn Wind wäre, stillschweigend vorbeizufahren, wenn aber Windstille und glatte See in dieser Gegend wäre, das Gehörte auszurichten.
Als sie auf der Höhe von Palodes angelangt waren und weder Wind noch Wellengang war, habe Thamus, vom Heck nach dem Land hin blickend, gerufen, wie ihm gesagt worden war: »Der große Pan ist tot!« Kaum aber habe er diese Worte geendigt, so habe sich, nicht von einer, sondern von vielen Stimmen, ein lautes Wehklagen, vermischt mit Ausdrücken der Verwunderung, erhoben. Da nun viele Menschen dabeigewesen seien, so habe sich die Geschichte schnell in Rom herumgesprochen, und Thamus sei vom Kaiser Tiberius zur Audienz befohlen worden.
Pan ist der Gott der Natur und des Waldes. Er, Sohn des Hermes, trägt einen gekrümmten Hirtenstab bei sich, dazu eine siebenröhrige Flöte, die Panflöte. Pan hat Ziegenfüße. Trotzdem lässt er sich die Freude an der Musik und auch am Tanz nicht nehmen. Er umgibt sich mit Nymphen, heute würde man sagen Groupies. Ja, er ist ein Gott der Gaudi, leutselig im Umgang und friedlich von der Gesinnung. Nur um die Mittagszeit, da will er seine heilige Ruh. Stört man Pan beim Mittagsschlaf, scheucht er alle Herdentiere in der Umgebung auf und jagt sie zum Teufel, die Stampede rennt und rennt und rennt davon. Daher kommt übrigens der Ausdruck Panik.
Und dann schrieb Plutarch Düsteres: Der große Pan ist tot. Was ihn zum ersten und einzigen Gott macht, der in irdischen Zeiten starb. Oder totgesagt wurde. Da hat sich in der Erzählung sogar Kaiser Tiberius geschreckt und wollte wissen, was los ist.
Um das zu rekapitulieren: Der Mensch wird sich eines Gottes bewusst, berichtet von ihm, huldigt ihm. Und lässt ihn dann über die Klinge springen. Der große Pan ist tot, und das ist schrecklich. Sagt die Erzählung. Sagt die Moralvorstellung.
Zweitausend Jahre später hat sich das Blatt gewendet. Der große Pan ist tot, und das ist gut so. Sagt die Wissenschaft. Sagt die aufgeklärte Welt. Niemand braucht einen Glauben, der nicht beweisbar ist, die Naturwissenschaften am allerwenigsten. Der große Pan ist nicht belegbar. Es gibt keine Formel, die ihn beschreibt, kein Reagenzglas, das ihn untersucht, keine DNA, die seine Herkunft bestimmt. Die Wissenschaft geht in ihrer apodiktischen Denke einen Schritt weiter. Der große Pan ist nicht nur tot, es hat ihn nie gegeben. So will man es geltend machen. Die Vermessung der Transzendenz ist ein Hobby für Tölpel. Und jeder, der sich anschickt, zu diesem Thema Gedanken zu formulieren, und auch noch so dummdreist ist, sie auszusprechen, dem werden die Stimmbänder mit dem Skalpell des Hochmuts durchtrennt. Als Arzt weiß ich, wovon ich spreche. Als gläubiger Mensch sowieso.
Dabei wäre es nur recht und billig, die überdimensionale Frage des Seins zu stellen:
Hat die Welt einen Architekten?
Ich behaupte, ja.
Dann sprach Gott: Lasst uns Menschen machen als unser Abbild, uns ähnlich. Sie sollen herrschen über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels, über das Vieh, über die ganze Erde und über alle Kriechtiere auf dem Land.
Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie.
Die Genesis, eine Science-Fiction-Story? Steht man vor den Kathedralen Europas, in denen jahrhundertelang Menschen den Kontakt zum Transzendenten suchten, und hört man darin, was große Musiker zu Gottes Ehren komponierten, so ergreifend, dass die gotischen Säulen des Kircheninnenraumes mitzuschwingen versuchen, dann hat das eine Wirkung, die tief unter die Haut geht und direkt in die Seele. Bestaunt man klassische Bilder in den großen Galerien der Welt, die nur verständlich werden, wenn man das Christentum kennt, dann hat es einen tieferen Sinn, alles weiterzudenken. Transzendenz ist der Schlüssel zu neuer Erfahrung, vielleicht sogar zu allem.
Zwei Jahrtausende haben christliche Denker um Antworten auf die großen Fragen der Menschheit gerungen. Was ist Schuld? Gibt es eine Vergebung? Wie verteilen sich die Rechte des Einzelnen gegenüber jenen des Staates? Was ist der Sinn des Lebens, und warum gibt es das Böse in der Welt?
Die Antworten schwammig bis gar nicht zu vermitteln, ist einer der Gründe, warum die Kirche in der Krise steckt und den weltanschaulichen Amtsträgern das Vokabular fehlt. Vor allem das moderne Vokabular, mit denen alte Geschichten, etwa die aus der Bibel, neu interpretiert werden könnten.
Stattdessen reißen die Verfechter der Gottlosigkeit die Brücken zur Transzendenz ab, und zwar mit einer Leichtigkeit und Nonchalance, als würde man sich endlich längst veralteter Gesinnungen entledigen. Oder eine alte Socke wegwerfen. Die Abkehr vom Glauben fällt in jenen Erdteilen leicht, die sich trotz globaler Armut zu Genusstempeln umstrukturieren und deswegen dem Diesseits treu bleiben müssen. Ich denke, also bin ich – vermögend. Materiell wirkt schnell. Um das auch intellektuell rechtfertigen zu können, beginnen die Reichen und Satten, die Wissenschaft zu vergöttern. Sie bestätigt ihnen, dass der große Pan wirklich tot ist. Jawoll. Es braucht keinen Gott, wenn etwas anderes Anbetungswürdiges da ist. Reichtum. Eine Schatztruhe, auf der Freiheit steht. Als könnte man sich das Glück kaufen. Paradoxerweise hat diese Apotheose, diese götzenhafte Verherrlichung der mechanistischen Aufklärung, schon Nietzsche beklagt. Wissenschaft ist das, was Wissen schafft. Mit der Weisung zwischen den Zeilen: In einem wachen Geist hat der Glaube keinen Platz. Glauben sollen die Nicht-Intellektuellen. Die Armen und die simplen Gemüter.
Und so reduziert sich heute bei vielen Menschen das Grundwissen über christliche Offenbarung und Tradition im besten Fall auf einige Geschichten, die man noch aus der Volksschulzeit kennt. Ein Phänomen, das nicht nur die Theologie, sondern auch andere Wissensgebiete betrifft, man möge nur gelegentlich im österreichischem Hörfunk über jene Antworten meditieren, die der sogenannte Mikromann, ein lustiger Reporter, auf seine Fragen bekommt.
Rund um Weihnachten ging er durch die Straßen und fragte wahllos Passanten:
Wie heißt der Sohn von Maria und Josef?
Eine ältere Dame wusste sofort: Lukas!
Eine andere war sich nicht ganz sicher: Johannes?
Der Mikromann hakte nach: Die Eltern von Jesus sind Maria und Josef. Wie heißt dann der Sohn von Maria und Josef?
Und wieder kam: Lukas!
Für den Hörer ist die Crux mit dem Jesukindlein komisch, für die Kirche zutiefst traurig. Obwohl das Christentum die reflektorisch intensivste Religionsmacht der Welt ist, unterliegt sie dennoch einer kommunikativen Schwäche. Aufklärung passiert nicht. Heute würde man sagen: Die Basis kennt die Basics nicht. Kreuzweg, Tod und Auferstehung sind, wenn sie nicht gerade von Hollywood aufgegriffen werden, etwas, das die Menschen kennen oder zu kennen glauben. Der Rest ist Nebensache. Medien erklären, was es mit dem Eiersuchen zu Ostern auf sich hat, wieso Halloween heuer besonders gruselig wird oder warum Kim Kardashian eine durchsichtige Bluse am Strand trägt und dem Fotografen ihr phänomenales Gesäß in die Linse hält. Mein Gott, die Bibel sollen die Leute selber lesen oder in die Kirche gehen. Die Kirche allerdings, so meine ich, könnte sich ein bisschen mehr aufs Marketing konzentrieren und ihr Image aufpolieren. Glauben ist cool, ja warum denn nicht? Stattdessen geht man den anderen Weg. Den eigenen Canossagang. Aus der Versuchung heraus, ihren Exilgedanken – das Zentrum der Botschaft – in Sozialarbeit, Solidarität und Caritas umzukodieren, um ja nicht ironisiert zu werden. Aber Church ist nicht gleich Charity. Mildtätigkeit für die Medien bringt nur kurzen Applaus.
Manche christliche Kirchen haben sich immer mehr zu einem Funktionärsverband mit spiritueller Ausrichtung entwickelt, mit festen Sitzen in Kommissionen und Rundfunkräten. Funktioniert prächtig, bringt den Gläubigen null, aber macht nichts. Was fehlt, ist ein eigenes, aus dem Glauben geschweißtes Bekenntnis, das durchaus provokant sein darf. Ein Leitsatz, der vielleicht sogar mahnt und zum Denken anregt, etwas in der Art:
Wir können uns auf diesem Planeten nicht einrichten wie in einem ewigen Haus.
Wenn jemand im Wald einen Baum umarmt, um sich mit dem Transzendenten zu vereinen, finden das viele mannhaft. Manager schmusen mit Fichten, recht so, lass es raus. Besucht man dagegen sonntags die Kirche, muss man es möglicherweise verschweigen, um sich nicht einem Augenverdreher auszusetzen. Du gehst in die Kirche? Da schau her!
Dabei wird oft mit zweierlei Maß gemessen: Während die Toleranzgesellschaft buddhistische und islamische Glaubensinhalte kommentarlos oder wohlwollend zur Kenntnis nimmt, gibt man christliche Werte mühelos der Lächerlichkeit preis – und das noch unter der vermeintlichen Assistenz der Naturwissenschaft.
Den großen Pan wird das nicht kratzen.
2
Weltwissen und Weltanschauung
Es ist ein Zielgebot der Moderne und appelliert an die Vernunft weltlicher Geisteshaltung: Wissenschaft und Religion sollen strikt getrennt bleiben. Sonst wird die Religion nur die Lücken der Wissenschaft ausfüllen. Kein Glaube darf die weißen Flecken auf der Landkarte der Erkenntnis schwärzen. Kein Zauber soll den Scharfblick der Forschung trüben. Kein Gebet soll dem Denker auf der Suche nach der Wahrheit die Hände binden.
Der Grat ist freilich ein schmaler. Mir ist es nie darum gegangen, Fragen, bei denen die Wissenschaft vielleicht heute noch ansteht, schlicht und einfach durch die Allmacht der Religion zu beantworten. Religion soll keinesfalls als Lückenbüßer für theoretisches oder praktisches Unwissen daherkommen. Ein Joker, der einsagt und immer recht hat. Der deus ex machina einer Theorie. Es soll jedem Menschen erlaubt sein, Agnostiker, Atheist oder Theist zu sein. Den religiös Musikalischen wird trotzdem oft die Frage gestellt, ob sie es – unter Berufung auf die Naturforscher – als vernünftig einstufen, an transzendente Inhalte zu glauben.
Die große Frage, ob es jenseits unseres Mesokosmos, also unserer greifbaren Welt, transzendente Wirklichkeiten gibt, kann und darf die Naturwissenschaft nicht beantworten. Wie umgekehrt auch die Theologie naturwissenschaftliche Erkenntnisse nicht vereinnahmen soll.
Einverstanden. Allerdings muss sehr wohl ein Blick auf unseren derzeitigen (auch naturwissenschaftlichen) Erkenntnisstand erlaubt sein, wenn die Vernünftigkeit des Glaubens erklärt wird. Genau diese Vernünftigkeit des Glaubens ist es, worum es geht.
Obwohl nun Glaube und Wissenschaft getrennte Wege gehen sollen, idealerweise ohne sich jemals gegrüßt zu haben, wurde die Wissenschaft immer wieder missbraucht, um Jenseitigkeiten zu ironisieren. Gott zeigt sich nicht durchs Mikroskop? Dann kann er nicht real sein. Andererseits haben große Naturforscher die Entschlüsselung von physikalischen und biologischen Gesetzen als Erkenntnis einer großen Ordnung, die ein Weltenbaumeister etabliert hat, erlebt.
Heute zeigt uns die spekulative Physik des 20. Jahrhunderts ihre Grenzen des menschlichen Erkenntnishorizonts auf und lässt es zumindest nicht unvernünftig sein, jenseits und unabhängig dieser Welt unsere persönliche, sinnstiftende Antworten anzusiedeln. Was lange Zeit von den intellektuellen Mechanikern der Aufklärung so stupid abgetan wurde wie Gretchens Frage an Faust.
Margarete: Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?
Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub’, du hältst nicht viel davon.
Faust: Laß das, mein Kind! Du fühlst, ich bin dir gut;
Für meine Lieben ließ’ ich Leib und Blut,
Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.
Margarete: Das ist nicht recht, man muß dran glauben.
Faust: Muß man?
Faust windet sich aus dem Gespräch heraus, gibt keine konkreten Antworten auf die Frage nach der Religion. Und Goethe schweigt auch schon seit geraumer Zeit.
Eine naturalistische Weltanschauung, die sich über letzte Gründe ausschweigt, wird von vielen als glatt, steril und zumutungsreich empfunden. Wie ein Loft, das riesig, hip und noch nicht fertig eingerichtet ist. Eine Künstlerwohnung, die sich an der Kargheit der Erkenntnis orientiert. Minimalistisch zieht. Es ist eine Art Nirosta-Bekenntnis mit Teflon-Beschichtung. Einem Nichts kann nichts anhaften. An einem Nichts perlt alles ab. Wer an keinen Gott glaubt, kann nicht enttäuscht werden. Wer braucht Gott überhaupt? Immerhin haben wir Facebook.
Mit dem Atheismus ist das so eine Sache. Einer Studie zufolge sagen sechzehn Prozent der Befragten, dass sie nicht an Gott zu glauben, aber nur fünf Prozent bezeichnen sich als Atheisten. Paradox, nicht? Wo hört der Unglaube auf, wo beginnt der Atheismus? In Simmering?
Mir erscheint es trotzdem intellektuell redlich, an einer religiösen Interpretation unserer Existenz festzuhalten. Allerdings wird es zur Aufgabe jeder Theologie, die transzendentale Botschaft so zu verkünden, dass sie erstens in die heutige Zeit passen, zweitens sie jeder versteht und drittens sie auch in der Reflexion auf das Weltbild der modernen Naturwissenschaften stimmen.
Zentrale christliche Glaubensinhalte wie die Menschwerdung und die Auferstehung müssen in ihrer Kernaussage begriffen und dargestellt werden. Das metaphorische Vokabular der Vergangenheit kann man ruhig infrage stellen, ohne dass man gleich auf die Botschaft verzichten müsste. Es ist, wie das Kind mit dem Bade auszuschütten. Die alten Geschichten werden nicht neu überarbeitet, sondern schlichtweg für falsch erklärt. Heute hieße das: Man hätte sich mehr um ein modernes Storytelling mit einer fetzigen Dramaturgie und coolen Charakteren kümmern sollen. Jede Zeit hat ihre Sprache. Das heißt aber noch lange nicht, dass der Plot schlecht ist. Die Handlung stimmt.
Die Theologie braucht sich nicht von der naturwissenschaftlichen Weltbetrachtung zurückziehen und defensiv einstimmen, dass der Glaube eine schlechthin andere Wahrheitsform als das Wissen sei. Der Glaube kann Berge versetzen, heißt es. Heute vielleicht Bitcoins.