Kitabı oku: «Die Jamu-Therapie»

Yazı tipi:


Johannes Neuhofer:

Die Jamu-Therapie

Redaktionelle Mitarbeit: Lauren Seywald,

Andrea Mittbrodt, Vanessa Sestits,

Richard Wald

Alle Rechte vorbehalten

© 2018 edition a, Wien

www.edition-a.at

Cover und Gestaltung: JaeHee Lee

Satz: Lucas Reisigl

ISBN 978-3-99001-298-7

eBook-Herstellung und Auslieferung:

Brockhaus Commission, Kornwestheim

www.brocom.de

Terima Kasih Sama Sama.

Sama Sama Terima Kasih.

(Danke.)

Inhalt

Vorwort

Einleitung

Die Muse von Jamu

Der Pflanzenflüsterer

Jamu sucht den Superstar

Jamu im Wandel der Zeit

Die Schönheit der indonesischen Frauen

Betharis Hilfe

Die Gurkenmaske aus der Natur

Schön essen

Das Geschäft mit der Schönheit

Jamu für die ganze Familie

Ein Baby für Buana

Merkwürdige Tradition

Der Sprung in die Männlichkeit

Merpatis geheimes Rezept

Das Elixier der Natur

Die Quelle der Heilung

Aberglaube und Realität

Möge die Macht mit uns sein

Die Zauberkunst der Zirbeldrüse

Neues aus der Drogenküche

Heilende Hände

Das Maß aller Dinge

Das Ende einer langen Reise

Anhang

Rezepturen aus

Indonesien


Vorwort

Mir gehen Dinge recht schnell unter die Haut. Romane, Songs, Stimmungen, Geschichten. Vielleicht liegt es daran, dass ich Dermatologe bin. Als Hautarzt darf man sich nicht nur auf die Symptome konzentrieren. Es braucht eine ganzheitliche Sicht, um Ursächliches zu erkennen. Den Blick fürs Wesentliche. Steht man zu nah vor der Mona Lisa, sieht man nur ihr Ohr oder die Nase oder die Stirn, nicht aber ihr Lächeln.

Mir gehen Gefühle recht schnell zu Herzen. Vielleicht liegt es daran, dass ich auch Allgemeinmediziner bin. Wie jeder andere Arzt versorge auch ich meine Patientinnen und Patienten mit bestem Wissen und Gewissen. Als Mediziner braucht es eine gesunde Dosis Pioniergeist. Die Suche nach neuen Ideen und Erkenntnissen, die Menschen helfen können. Dafür kann man sich als Arzt selber ein Rezept schreiben, auf dem steht: Bilde dich weiter, bleib nie stehen.

Und mir geht eines auf die Nerven: Engstirnigkeit. Pseudointellektueller Starrsinn. Vielleicht liegt es daran, dass ich Obmann der Bundesfachgruppe Dermatologie und stellvertretender Ärztekammerpräsident von Oberösterreich bin. Wissenschaft braucht Weitblick. Wenn ich mich kurz vorstellen und die Hand zum Gruß ausstrecken darf. Ich bin der Johannes.

Wenn wir uns ein bisschen besser kennen, werden Sie sehen. Medizin und Abenteuerlust müssen einander nicht beißen oder gar kategorisch ausschließen. Beides braucht den Mut zur Entdeckung. Alternative Praktiken zu erforschen, bedeutet, über den Tellerrand des Herkömmlichen zu schauen und Neues zuzulassen. Am Anfang steht die Neugier, am Ende die Erkenntnis. Weiße Flecken auf der Landkarte werden erschlossen.

Meine Reisen führten mich unter anderem nach Indonesien, ein Land der Gegensätze. Ein Land, das alle Sinne berührt. Wenn die Abgase der Autos an den Nasenwänden kratzen oder die Nase vom süßen Duft der exotischen Blumen umschmeichelt wird. Wenn der Blick über endloses türkisblaues Wasser schweift oder über ein nicht enden wollendes graues Häusermeer. Wenn sich Zehen in warmen Sand graben oder von hurtigen Stadtmenschen zerquetscht werden. Wenn der ewige Lärm im Ohr dröhnt oder es von unendlicher Stille verwöhnt wird. Dann weiß man, was Leben bedeutet. Bunt und vielseitig. Mit einer über tausend Jahre alten Tradition. Sie heißt Jamu.

Eine Heilkunst, die den indonesischen Einwohnern bei Krankheiten hilft, in jeder Lebensphase unterstützt und die Geheimnisse der Natur kennt. Ich habe sie mit allen Facetten kennen lernen dürfen und möchte Sie mit ihr bekannt machen. Denn sie deckt einen Ansatz ab, den ich teilen kann. Er ist ganzheitlich, verbindet Körper und Geist mit der Natur. Es ist meiner Meinung nach wichtig, den Menschen als Teil des Ganzen zu sehen und nicht nur seine Hülle zu betrachten. Besonders als Mediziner ist es wichtig, einen Menschen nicht mit einer e-card zu verwechseln.

Mir gehen Dinge recht gut von der Hand, wenn ich sie zeige. Ihnen, jetzt. Ich lade Sie ein. Kommen Sie mit auf meine Reise nach Indonesien. Ich führe Sie an versteckte Orte, mache Sie mit außergewöhnlichen Menschen bekannt und verrate Ihnen Geheimnisse rund um drei Themen, die Sie vielleicht interessieren. Gesundheit, Schönheit und Sexualität.

Anschnallen bitte. Sitzlehne hochstellen. Taschen unter dem Vordersitz verstauen. Los geht’s. Und bitte ruhig bleiben, Sie haben ja die ganze Zeit einen Doktor an Ihrer Seite, quasi einen Leibarzt als Guide.

Einleitung

Es spannt sich über das Leben der Leute wie ein Schutzschirm. Jamu. Die indonesische Heilkunst umfasst weit mehr als Medizin. Es ist eine Lebensart und Denkweise. Nicht neu probiert, sondern seit über tausend Jahren praktiziert. Von Generation zu Generation weitergegeben. Altes Wissen, das Natur, Körper und Geist verbindet. Wissen, das jetzt auch in Europa Anklang findet. Der Trend, das eigene Leben zu hinterfragen und neu zu formen liegt in den Köpfen der Menschen verankert. So auch im Bereich der Arznei. Weg von den Bombern in Pillenform schon beim kleinsten Wehwehchen, hin zu natürlichen Mitteln, um vorzusorgen. Alternativen sind gefragt. Inhaltsstoffe, die dem Körper helfen sich selbst zu helfen. Und zu stärken, um vor neuen Angriffen geschützt zu sein. Auch geistig. Die Psyche schlägt sich bekanntlich auf den Körper. Gesundheit und Krankheit basieren auf der Art zu leben. Deshalb geht Jamu über die Packungsbeilage hinaus.

Wir kennen solche Ansätze aus China und Indien. Ob die Traditionelle Chinesische Medizin (TCM) oder Ayurveda, Europa übt sich bereits darin, asiatische Heilkunst für sich zu entdecken. Es ist ein ganzheitliches Denken, das den Menschen als Teil seiner Umwelt sieht – immer in Wechselwirkung zueinander stehend.

In Indonesien gibt es diese Denkweise seit Anbeginn der Zivilisation. Schon in den frühen Königreichen kam die Natur zum Einsatz, wenn es wo gezwickt hat. Das Wissen um die Pflanzen und ihre Wirkungen wurde streng gehütet, erst im Laufe der Zeit sickerte es in alle Gesellschaftsschichten durch. Seitdem ist Jamu nicht mehr wegzudenken und fest im Leben der Leute verankert.

Joko Widodo, der Staatspräsident Indonesiens, auch bekannt unter dem Namen Jokowi, bekommt jeden Tag seinen Wundertrunk, frisch gemixt und persönlich zubereitet von seiner Frau Gemahlin. Hier hast du, Jokowi, sagt sie beim Frühstück und reicht ihm sein Jamu.

Hundert Prozent Natur. Gepackt in Kapseln, Cremen, Pillen und Getränke. Verwendet bei Massagen, Rezepten und Folklore. Praktiziert von einheimischen Heilern. Das ist die indonesische Heilkunst. Ob getrunken, eingeschmiert oder verkocht, Jamu ist fester Bestandteil der Kultur des Landes. Es geht über den medizinischen Aspekt hinaus. Es ist eine Lebensphilosophie. Die Menschen glauben an ihre Tradition und an die Wirkung der Arznei.

Wissenschaftler stehen erst am Anfang ihrer Untersuchungen über die tatsächlichen Wirkungen der natürlichen Mischungen. Manches ist bestätigt, anderes fällt eher unter Placeboeffekt. Als Arzt kann ich sagen, dass oft die reine Überzeugung, etwas würde helfen, bereits einen Heilungsprozess bewirken kann. Und das ist auch noch wissenschaftlich bewiesen.

Die Menschen in diesem Land sind sehr spirituell. Sie glauben daran, dass Jamu praktisch jede Krankheit bekämpfen kann. Sogar Krebs. Der Glaube geht dabei manchmal über die Realität hinaus. Oft wird auch einfach das zusammen gemixt, von dem man glaubt, dass es hilft. Ohne ein allgemeines Rezept zu kennen. Man experimentiert, bis die richtige Mixtur gefunden ist. Hat sie einmal Erfolge erzielt, ist nicht mehr daran zu rütteln. Und das neue Rezept zählt als Familienerbe, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Meist von den Müttern an ihre Töchter. Die es dann wieder ihren Töchtern vermitteln.

Mittlerweile haben sich die bekanntesten und effektivsten Rezepte bis zur Industrie durchgesprochen. Jamu ist nicht mehr nur bei Straßenverkäufern und Heilern zu erwerben, sondern auch in indonesischen Supermärkten. Die Leute holen sich Heilkraft, um stark zu werden, statt Energydrinks, um wach zu bleiben.

Auf meiner Reise durch Indonesien konnte ich mich davon überzeugen, dass es nicht nur die Heilpflanzen sind, die Jamu ausmachen. Es ist eine Lebensweise und eine Zuversicht, die alle Bereiche des Alltags und die besonderen Momente der Frau und des Mannes abdecken. Viele Menschen haben mich einen Blick in ihr Privates werfen lassen und mir ihre Ansichten und Geheimnisse anvertraut. Diese Erfahrungen möchte ich mit Ihnen in diesem Buch teilen. Frauen wie Männer, die versuchen für den Partner attraktiv zu bleiben, aber auch ihre Familie versorgen und gesund halten müssen. Heiler, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, für das Wohlbefinden ihrer Mitmenschen zu sorgen. Kuriose Masseure, die durch Rülpsen Krankheiten austreiben. Kinder, die gerade erst am Anfang ihres Weges stehen. Patienten mit großen und kleinen Problemen – manche schwer erkrankt, andere nur etwas aus dem Gleichgewicht gekommen. Sie alle waren so unterschiedlich, und doch verbindet alle die praktische Anwendung von Jamu. Tag ein, Tag aus wenden sie das über tausend Jahre alte Wissen rund um Körper und Geist und Natur an.

Es muss was dran sein.

Denn in Indonesien ist bei vielen der Weg zum Herrn Doktor mit Mühsal verbunden. Oft sind die Praxen zu weit entfernt. Außerhalb von Jakarta, der Hauptstadt, kann der nächste Arzt mehrere Hundert Kilometer weit weg liegen. Das heißt anstrengende Busfahrten über Schlaglöcher, die sich Straßen nennen, bei enormer Hitze. Gebrechlichen und alten Personen ist dieser Weg nicht zumutbar. Und das wenige Geld, das die Menschen in den Dörfern verdienen, reicht nicht aus, um es für die Anfahrt auszugeben. Außerdem kostet der Arztbesuch ja auch noch. Meist lebt eine ganze Familie vom kleinen Einkommen eines einzelnen Elternteils. Es bleibt einem gar nichts anderes übrig, als auf die Alternativmedizin zurückzugreifen.

Da merkt man, wie gut es uns eigentlich geht, mit einem Gesundheitssystem, das nicht ideal, aber trotzdem da ist.

»Terima Kasih Sama Sama. Sama Sama Terima Kasih« würde man in Indonesien jetzt sagen.

Es steht für Dankbarkeit.

Neben der Bekämpfung von Krankheiten wird Jamu vor allem zur Prävention verwendet. Indonesier trinken täglich Jamus, um ihren Körper und das Immunsystem zu stärken und zu unterstützen. Diese Super-Getränke könnte man mit Smoothies verwechseln. Stimmt aber ganz und gar nicht, da echtes Jamu nach kosmologischen Gesichtspunkten geerntet, bearbeitet, zubereitet und schließlich verabreicht wird. Die spezifische Mischung, versetzt mit Gewürzen und Kräutern, dient der Erhaltung der Gesundheit unvergleichlich mehr. Allerdings ist der Geschmack auch gewöhnungsbedürftiger als bei den zuckerhaltigen Obstsäften aus dem Supermarkt. Deshalb wird oft Honig oder Zitrone beigemischt, um die bittere Medizin zu versüßen.

Die indonesischen Getränke sind der Hauptbestandteil der Heilkunst. Es ist die klassische Art, Jamu zu sich zu nehmen. Mittlerweile ist man dazu übergegangen, die natürlichen Bestandteile in Kapseln, Tabletten oder Cremen zu verarbeiten und zu sich zu nehmen. Die sind leichter zu transportieren und haltbarer. »Jamu to go« würde man bei uns sagen.

Egal in welcher Form man die Pflanzen und Wirkstoffe zu sich nimmt, Hauptsache regelmäßig. Am besten jeden Tag. So kann die präventive Wirkung aufrechterhalten werden. Vergleichbar mit herkömmlichen Nahrungsergänzungsmitteln und doch viel effektiver.

Die Getränke, Cremen und anderen Jamu-Transporter sollen vor allem Schmerzen lindern und spezielle Dysfunktionen heilen, etwa Potenz- und Fruchtbarkeitsstörungen. Wie Sie noch sehen werden, spielen Sexualität und Schönheit eine große Rolle in der Jamu-Tradition. Das liegt hauptsächlich an gesellschaftlichen Normen.

Die Schönheit einer Frau galt immer als ihr höchstes Gut, auch wenn das in unserer heutigen Gender-Thematik einen sexistischen Beigeschmack haben mag. Der Mann musste dafür seinen Mann stehen können, um zu beeindrucken. Daran hat sich bis heute nichts geändert (auch bei uns). Es gibt für jedes Problem in diesen Bereichen die richtigen Mischungen und Zutaten, wie sie mir die Einheimischen auch zeigten. Von trockener Haut über Schmerzen bei der Menstruation bis hin zu Erektionsproblemen.

Es gibt sogar eine eigene Kategorie an Jamu-Formeln, die extra für das Eheleben herangezogen wird. Für ein längeres Lustspiel, auch nach jahrelanger Ehe, braucht der geneigte Mann Salben für längere und kräftigere Erektionen. Für die Frauen gibt es Anleitungen, wie sie das beste Stück des Mannes exakt einreiben sollen. Ist doch ganz raffiniert, nicht? Mehr Pep für das Liebesleben, erprobt von zig Generationen.

Die Indonesier haben sogar ihr eigenes Viagra nach eigenem Rezept. Und es muss wirken, denn in diesem Land hat man es nicht so mit Altersunterschieden. Da kann sich schon einmal der in die Jahre gekommene Herr ein junges Pupperl angeln und ein Wochenende im Bett verbringen. Und das bevor wir in Europa den Namen Viagra überhaupt kannten. Die kleine blaue Pille ist nur ein schwacher Versuch, so die indonesischen Männer. Sie haben etwas viel Effektiveres: Jamu Laki Laki.

Besser bekannt als die Medizin des Mannes. Eine ekelhafte Brühe kann ich Ihnen sagen. Ich durfte während meiner Reise durch das exotische Land mehrmals Bekanntschaft damit machen. Nein, ich habe es nicht getrunken, aber an jeder zweiten Ecke wird einem das scheußlich riechende Produkt angeboten.

Die Einheimischen schwören auf jeden Fall mit Stehbeifall auf ihr strammes Getränk und lassen einen das auch wissen. Gerne plaudern sie munter drauflos und schwärmen von der tollen Wirkung dieses Produktes. Als sei es das Normalste auf der Welt, einem Fremden vom sexuellen Helferlein zu berichten. Die Männer erzählten mir auch, dass es zusätzlich noch Pillen gibt, um eine noch bessere Standhaftigkeit vorweisen zu können. Viele der älteren Herrschaften verrieten, dass sie jeden Tag morgens noch vor dem Frühstück ihr Jamu Laki Laki einnehmen, damit der Tag hammermäßig beginnt.

Wie auch bei den anderen Jamus muss dieses Potenzmittel über einen gewissen Zeitraum eingenommen werden, um merkbare Erfolge zu erzielen. Die komplett natürlichen Bestandteile brauchen halt, um zu wirken. Mann muss nicht nur eine Geliebte mitbringen, sondern Zeit und Geduld.

Der zweite große Bereich, in dem die indonesische Heilkunst angewendet wird, ist die Schönheit. Natürlich geht sie Hand in Hand mit der Sexualität, ein gepflegtes, attraktives Aussehen wirkt auf das Gegenüber anziehend. Jamu geht noch ein paar Schritte weiter. Die Geschichte der Schönheit reicht bis ins neunte Jahrhundert zurück. Schon damals war die Ästhetik einer Frau wichtig. Die Geheimnisse für den makellosen Auftritt wurden in den Palästen der Königsfamilien unter Verschluss gehalten. Kein Normalsterblicher durfte an die royalen Schriften gelangen. Ein weiterer Versuch sich von den Untertanen abzuheben.

Ein paar auserwählte Bedienstete oder Freunde der Familie hatten die Ehre, in den Genuss der königlichen Beauty-Treatments zu kommen. Bürgerliche Frauen versuchten alles, um eine solch zarte Haut wie die der Prinzessin zu bekommen. Die Mythen rund um die Königsfamilie und ihre Schönheitsrezepte machten die Situation noch schlimmer. Mädchen und Frauen mischten Jamus, wanderten stundenlang durch den Wald, um seltene Blüten zu finden, kreierten Cremes und Düfte, um einmal den süßen Geruch der Königsfamilie anzunehmen. Natürlich scheiterten die meisten. Und doch, einige wenige Rezepte gelangten an die Öffentlichkeit.

Diese Anleitungen verwenden die Menschen zum Teil bis heute und nehmen sie als Basis für Weiterentwicklungen von Rezepten. Eigentlich besagte der Mythos, dass Rezepte nur dreimal innerhalb der Familie an weibliche Verwandte weitergegeben werden dürfen. Großmutter, Mutter, Tochter. Das war die traditionelle Reihenfolge. Jedes später geborene Mädchen wurde meist ausgeschlossen.

Der Aberglaube besagte, dass sich nach drei Generationen mündlicher Überlieferung zu viele Fehler in die Rezepte einschleichen. Wie beim Stille-Post-Spielen. Deswegen sind frühere Rezepte oft in Vergessenheit geraten. Sie wurden weder schriftlich aufgezeichnet noch mündlich weitergegeben. Es ist teilweise schwierig die alte Lebensweise in Verbindung mit Jamu nachzuvollziehen, da es kaum schriftliche Überlieferungen gibt. Aber glücklicherweise gab es schon immer Rebellen, die den Mythen und dem Aberglauben keine große Aufmerksamkeit schenkten. Durch sie konnten die Rezepte weiterleben wie Geheimnisse in einem Safe der Zeit. Als Vermächtnis, für das die Menschen heute dankbar sind.

Terima Kasih Sama Sama. Sama Sama Terima Kasih.

Ich verspreche Ihnen, dass Sie im Laufe dieses Buches einiges Unbekanntes über Schönheit und Sexualität erfahren werden. Aber nicht nur Tricks. Es geht eben um den ganzheitlichen medizinischen Ansatz von Jamu. Behandelt man ein bestimmtes Organ oder spezielle Schmerzen im Körper, darf man die Auswirkung auf den gesamten Menschen nicht vergessen.

Indonesische Heiler brauchen eine lange Ausbildungszeit, um die richtigen Bestandteile in den passenden Mengen zu portionieren und mit anderen Inhaltsstoffen korrekt zu mischen. Denn Wechselwirkungen sind zu beachten. Mischt man zwei Substanzen zusammen, die nicht harmonieren, kann es zu einer unerwünschten Wirkung oder Nebenwirkung kommen. Fragen Sie also bitte nicht den Arzt oder Apotheker des Zufalls. Nimmt man die natürlichen Produkte in der falschen Dosis, kann das Nebenwirkungen auslösen. Das ist beim Wein ja auch so.

Prost übrigens. Schön, dass wir gemeinsam diese Reise antreten. Bevor wir uns mit Ingwer und dergleichen beschäftigen, braucht es etwas Bildhaftes zur Einstimmung, die Geschichte der traurigen Prinzessin Dewi Kadita.

Es geht um Schönheit, Zwietracht und einen Fluch, in Wahrheit also um das ganz normale Leben, wie wir es auch heute kennen.

Die Muse von Jamu

Mystisch und zauberhaft ist das Märchen, das mir eine Einheimische erzählt hat. Es ist die Antwort auf meine Frage, woher Jamu eigentlich stammt. Denn wo die historischen Quellen – von denen wir noch hören werden – aufhören, fängt die Mystik an. In Indonesien verehrt man die Göttin des Indischen Ozeans namens Nyai Roro Kidul. Sie ist das erste Wesen, das dank Jamu geheilt wurde. So schildert es eine der ersten Bekanntschaften auf meiner Reise. Bei einer Tasse grünem Tee am Rand von Jakarta erzählt eine alte Dame mit weißen Haaren und wissenden Augen folgende Geschichte.

»Im indonesischen Königreich Sunda entstand vor Tausenden von Jahren ein neues Zentrum in West-Java. Pukan Pajajaran hieß die pulsierende Hauptstadt. Sie war eingebettet zwischen zwei Flüssen, umgeben von Bergen und Wäldern. Hier erblühte die königliche Herrschaft zu neuem Leben. Der Nachwuchs ließ nicht lange auf sich warten. Eine Tochter. Gesegnet mit einer Schönheit wie man sie kein zweites Mal findet.«

Das Mütterchen strahlt mich an. Sie schwärmt von der Prinzessin wie von ihrer eigenen Tochter.

»Der sudanesische König behütete sie wie seinen Augapfel, immerhin war sie das erste Kind und würde einst mit ihrem Mann den Thron besteigen. Es sollte eine Hochzeit geben. Die Jahrhunderthochzeit. Für die schönste Frau in Indonesien. Aus dem ganzen Land strömten die Werber und Schaulustigen zum Palast, um sich selbst von dem atemberaubenden Antlitz zu überzeugen. Doch …«

Das Lächeln schwindet aus dem Gesicht der Erzählerin.

»Die Menschen können es einfach nicht ertragen, wenn etwas so perfekt ist.«

Traurig blickt sie in ihre Tasse. Ihre kleinen Hände halten das Porzellan fest umklammert. Sie fährt fort.

»Im Schatten der Palastmauern gediehen neidische Blicke. Sie gönnten dem König sein Glück nicht. Konnten die anmutige, liebreizende Dewi Kadita nicht ertragen. Neid und Hass kann alles zerstören. Und so geschah es auch. Eine Woche vor der Hochzeit kam eine Hexe nach Pukan Pajajaran. Gerufen von den Feinden des Herrschers. Sie schaffte es mit List und Tücke bis zur Prinzessin vorzudringen und verdunkelte deren Leben mit ihrer schwarzen Magie. Ein grausamer Fluch, der sich über die makellose Haut legte. Die Arme bekam eitrige Pusteln und Geschwüre. Der ganze Körper war voll davon. So konnte sie nicht verheiratet werden.«

Schweigen. Die alte Frau kreist kurz in ihren eigenen Gedanken. Vielleicht denkt sie an ihre eigene Hochzeit. Das wichtigste Ereignis für die Indonesierinnen. Ihr Blick bleibt wieder an mir hängen.

»Das ganze Land fiel in Trauer. Der König war verzweifelt. Seine Herrschaft war in Gefahr. Seine wunderschöne Tochter, verwandelt in eine hässliche Gestalt. Kein Heiler konnte helfen. Jedes Mittel war wirkungslos. Nichts konnte den Fluch brechen. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie verzweifelt das Mädchen sein musste.«

Die Dame selbst hat in jungen Jahren wohl kein Problem gehabt, einen Mann zu finden. Unter dem Schleier des Alters steckt eine Schönheit, das sehe ich.

»Dewi Kadita floh aus dem Palast. Sie wusste keinen anderen Ausweg mehr. Sie wollte ihrem Leben ein Ende setzen und sich in die Fluten des Indischen Ozeans stürzen. Als der Mond am höchsten stand und die dunklen Klippen erleuchtete, warf sich die Prinzessin in die reißenden Wellen.«

Die Niedergeschlagenheit verwandelt sich wieder in Hoffnung. Und wischt ein paar Jahre aus dem Gesicht der alten Frau.

»Aber die Götter wollten sie nicht sterben lassen. Ganz im Gegenteil. Gerechtigkeit walten lassen. Das salzige Nass der See wusch alle Unreinheiten weg. Nur die bronzefarbene, ebene Haut blieb zurück. Die Geister und Dämonen krönten die Verstoßene daraufhin zur Königin des Indischen Ozeans.«

Die Frau steht auf und geht zu einer Kommode an der Wand. Sie kramt in der obersten Lade und findet, was sie sucht. Mit langsamem Gang kommt sie zu mir zurück und drückt mir eine kleine Zeichnung im Holzrahmen in die Hand. Ich sehe eine in Blau und Türkis gekleidete Frau. Geschmückt mit Gold wie eine indonesische Königin. Ihre Füße formen sich zu einem Fischschwanz und tauchen in die Wellen des Ozeans ein. Rundherum Fische und Meerestiere. Der Vollmond erleuchtet die Szene.

»Das ist Nyai Roro Kidul. Die Göttin des Meeres. Ich schenke dir das Bild. Es soll dich auf deiner weiteren Reise begleiten. Sie wacht über dich und hilft dir, die richtigen Menschen für dein Vorhaben zu finden.«

Sie meint meine Suche nach den Geheimnissen von Jamu.

Ich bedanke mich herzlich in ihrer Sprache. »Terima Kasih Sama Sama. Sama Sama Terima Kasih.«

Die Frau lächelt mich zufrieden an. Ihre Augen sind ganz und gar in den braunen Falten verschwunden. Der schmale Mund ist die einzige Linie im Gesicht, die noch nach oben geht. Ich verbeuge mich.

Morgen ziehe ich weiter. Kehre der Großstadt den Rücken zu und mache mich auf zu einer Expedition in den indonesischen Regenwald. Gemeinsam mit einer kleinen Gruppe und einem Reiseleiter namens Satria. In den kleinen, abgelegenen Dörfern wird Jamu fleißig praktiziert. Dort hoffe ich auf mein Glück. Ich bin gespannt. Und Sie wahrscheinlich auch.

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