Kitabı oku: «Gottes Herz für dein Dorf», sayfa 4
4.3.Gemeindeaufbau, -entwicklung und -wachstum
Von Gemeindegründung und -pflanzung grundsätzlich zu unterscheiden sind Wachstumsbegriffe wie Gemeindewachstum, -aufbau und -entwicklung. Gemeindewachstum beschreibt den Prozess der Entwicklung einer bestehenden Gemeinde im gegebenen Kontext. Im deutschen Sprachraum werden hierfür auch gerne die Begriffe Gemeindeentwicklung75 und Gemeindeaufbau76 bemüht. Schon Fritz Schwarz definierte in seinem Versuch, eine Theologie des Gemeindeaufbaus zu formulieren, Gemeindeaufbau als „alles Handeln, das
auf Ereignis- und Gestaltwerden von Ekklesia zielt“77. Es geht um die Frage, wie man die Kirchengemeinde zum Wachstum nach innen und außen führen kann.
Dabei wird das Wachstum nach innen vor allem durch die Mündigkeit der Gemeindeglieder angezeigt, ganz im Sinne Christian Möllers, der im Gemeindeaufbau vor allem den Aufbau einer mündigen Gemeinschaft von Nachfolgern Christi sah. Möller schreibt:
„Alle Bemühungen um Gemeindeaufbau sollten aber darin übereinstimmen, dass eine Gemeinde angestrebt wird, die so als Zeugnis- und Dienstgemeinschaft lebt, dass möglichst viele Glieder in mündiger Mitarbeit Verantwortung übernehmen und einander helfen, als Christen in der Welt von heute zu leben.“78
Das Wachstum nach außen, in die Welt hinein, ist dagegen ein missionarisches Wachstum. Es ist ein Zugewinn von Menschen, die Christus nicht kannten und die ihm dank der Evangelisation der Gemeinde nun bewusst nachfolgen. Gerade angesichts der schwindenden Zahlen von Gemeindegliedern ist diese Frage seit Jahrzehnten von herausragender Bedeutung. Eine Flut von Konzepten ist entwickelt worden. Die weiteste Verbreitung erreichte dabei die nordamerikanische Gemeindewachstumsbewegung (Church Growth Movement), die sich auf die theoretische Arbeit des Missionswissenschaftlers Donald McGavran (1897-1990) stützte.79 Seine Konzepte waren von Beginn an stark umstritten, weil sie eher soziologisch als theologisch den Aufbau zu fördern suchen.80 Eine solche Organisationsentwicklung hat gewiss ihren
Platz, darf aber die theologische Natur der Kirche an sich nicht außer Kraft setzen. Orlando Costas bezeichnete das Gemeindewachstum als „multidimensionales Phänomen“81. Entsprechend muss eine Theorie des Gemeindeaufbaus sich prinzipiell aller Aspekte des Wachstums der Gemeinde annehmen.
4.4.Gemeindeaufbau auf dem Land als Fortpflanzungsprozess
Menschen verlassen heute das Land. Dörfer verwaisen. Wie oben gesehen sind die Räume auf dem Land alles andere als uniform. Gefragt ist ein Gemeindeaufbaumodell, das dieser Tatsache Rechnung trägt. Die Entwicklungen auf dem Land verlangen nach flexiblen Alternativen. Was gestern für die Kirche auf dem Dorf noch galt, kann schon heute in Frage stehen. Die Wandlung des ländlichen Raumes wird der Gemeinde viel Gestaltungskreativität abverlangen, einen „sensus pro loco et tempore“, wie Christian Möller ihn nannte, einen geschärften Sinn für das, was jetzt und hier möglich und was an der Zeit ist.82 Gemeindeaufbau nach Schema F, nach einer immer gültigen Vorlage, ist im Kontext des wandelnden Dorfes zum Scheitern verurteilt. Gemeindeaufbau kann nicht ohne ein fortwährendes Neupflanzen gelingen.83 Fortpflanzung gehört in die Erbanlage, zur DNA einer wachsenden Kirche.84
Gemeinden auf dem Land sollten daher schon heute über Veränderungen von morgen nachdenken, ihre Strukturen müssen denkbar flexibel aufgebaut werden, um den Wandlungen des Kontextes effektiv begegnen zu können. Sehr treffend beschreibt eine solche DNA der englische Begriff transforming, der üblicherweise mit Wandel übersetzt wird.85 Dabei ist der Unterschied zwischen dem Deutschen und Englischen groß. Während der deutsche Begriff den Wandel immer in Richtung des angestrebten Zieles beschreibt, geht es im Englischen um eine reziproke, also wechselseitige Beeinflussung. Transforming meint einen Wandel sowohl im Dorf als auch in der Gemeinde.
Natürlich verlangt eine so flexible Arbeit am Bau der Gemeinde mehr als fähige Mitarbeiter. Sie verlangt nach Gottes Gegenwart, nach einem Verständnis dafür, dass letztlich Gottes Geist Gemeinde baut und nicht Menschen. Gemeinde begann an Pfingsten. Der Geist Gottes ist der wahre und eigentliche Baumeister. Christian Möller schreibt:
„Wenn eine Gemeinde wieder von Herzen in den Ruf ‚Komm, Schöpfer Geist!‘ einstimmen kann, so mag es ihr geschenkt werden, dass sie die Gegenwart des Heiligen Geistes als das wahrhaft tragende Element und die eigentlich aufbauende Kraft im Gemeindeaufbau erfährt. Gottes Alleinwirksamkeit und des Menschen Tun finden so zusammen.“86
4.5.So bauen andere
4.5.1.Ortsbezogen oder überörtlich
Wie baut man Gemeinde auf dem Land heute? Welche Ansätze werden angewandt? Die oben zitierte EKD-Studie bemüht sich um unterschiedliche Zugänge für jeden der sieben definierten Räume auf dem Land. Beim näheren Hinsehen lassen sich die diskutierten und praktizierten Ansätze unterscheiden in ortsbezogene und überörtliche Modelle sowie Kombinationen, die aus der Überlagerung der beiden Modelle entstehen. Wir nennen diese dritten Modelle integrative Modelle. Das EKD-Papier zum Gemeindebau auf dem Land spricht an dieser Stelle von geistlichen Zentren und Wachstumsgemeinden. Im Papier heißt es:
„Geistliche Zentren und Wachstumsgemeinden zeichnen sich gemeinsam dadurch aus, dass sie als Entwicklungskerne innerhalb einer Region, eines Kirchenkreises bzw. einer Landeskirche fungieren. Ihr wesentlicher Unterschied besteht darin, dass es bei den geistlichen Zentren um ein extraordinäres, nur an singulären Orten praktizierbares kirchliches Wirken geht, bei den Wachstumsgemeinden dagegen um ein exemplarisches, multiplikationsfähiges Wirken der Kirche.“87
Ortsbezogene Ansätze konzentrieren sich beim Gemeindebau auf den jeweiligen Ort, das jeweilige Dorf. So sind die traditionellen Kirchen entstanden – eine Kirchengemeinde vor Ort als ortsbezogene Gestalt der Kirche. Auch die Landeskirchlichen Gemeinschaften und später Freikirchen praktizierten das Modell. Die rückläufige Größe der Gemeinden zwang die unterschiedlichen Gemeinschaften aber schon früh, mehrere Ortsgemeinden in Sammelgemeinden zusammenzulegen. Solche Gemeinden kommen aus mehreren Dörfern an einem zentralen Ort zusammen. Die Gemeinden verstehen sich als ortsbezogen, behaupten ihre Eigenständigkeit, unterhalten einen zentralen Gottesdienstort, haben einen Pastor etc.
Überörtliche Gemeinden praktizieren dagegen ein Netzwerk-System. Hier unterscheidet man zwischen der ortsbezogenen Lokalgruppe und dem zentralen Gottesdienst, der in regelmäßigen Abständen für alle Lokalgemeinden angeboten wird. Gottesdienste finden in den Lokalgemeinden und am zentralen Versammlungsort statt, die restlichen Veranstaltungen wie Bibelstunden, Hauskreise etc. jeweils am Ort. Die Jugendarbeit wird häufig wie der Gottesdienst an einem zentralen Ort angeboten. So entwickelten sich beispielsweise Täufergemeinden seit der Reformation, und so arbeiten heute die Netzwerkgemeinden.
Die Konzentration auf eine bestimmte Zielgruppe, wie das in der nordamerikanischen Gemeindebewegung – allen voran von der von Donald McGavran begründeten Schule – empfohlen wird88, ist auf dem Land nur bedingt möglich. Amerikanische Muster-Mega-Gemeinden, so die Saddleback-Church in Los Angeles mit ihrem Pastor Rick Warren89 und die Willow-Creek-Community-Church (WCCC) von Bill Hybels90, folgen diesem Programm. Diese Beispiele erweisen sich nur sehr bedingt als hilfreich, wenn es um den Gemeindebau auf dem Land geht.
4.5.2.Integriert und wachsend
Heute wird sehr viel über integrative Modelle gesprochen, die sowohl den Ortsbezug als auch die überörtliche Weite suchen. Das an dieser Stelle oft benutzte Bild ist die Vermehrung der Erdbeer-Pflanze. Diese vermehrt sich ganz natürlich wie Unkraut im Feld. „In unmittelbarer Nähe zur Mutterpflanze wächst ein Ableger heran. Durch eine direkte Verbindung wird die Tochterpflanze ernährt, bis diese eigene Wurzeln gefasst hat.“91 Sobald das passiert ist, nabelt sich die Mutterpflanze vom Setzling ab, aber nur, um ab jetzt anderen Nahrung zu geben. In diesem Bild gesprochen werden christliche Gemeinden dafür sorgen, in sich verändernden urbanen Kontexten „neue Formen“ kirchlicher Existenz zu gründen.
„Einige Pflanzen vermehren sich, indem Samen durch den Wind ausgesät werden.“92 Mit diesem Bild wird eine Variante beschrieben, in
der die Tochtergemeinde geographisch wie auch genetisch in einem größeren Abstand zur Muttergemeinde steht. Auch hier wird ein Team als Same an einem neuen Ort „eingepflanzt“, meist deutlich kleiner als bei einem Ableger, der aber nicht in einer solch engen Verbindung zur Mutterpflanze steht wie dieser. Die Chance ist größer, dass sich die Tochtergemeinde einpflanzt und nicht klont. Die Muttergemeinde unterstützt die Tochtergemeinde, aber aufgrund der größeren Distanz nicht in dem Umfang wie bei einem Ableger. Die Erfolgsquote dieser Variante ist, dem Bild der Aussaat entsprechend, tendenziell geringer, kann aber quantitativ öfter von der Gemeinde durchgeführt werden.93
Man könnte von Aufpfropfen oder Zusammenpflanzen reden. In dieser Variante können die Aussendung und die Verbindung des Teams der Tochtergemeinde in ähnlicher Variante wie bei der Aussaat erfolgen, nur dass sich das Team aus mehreren Gemeinden zusammensetzt. Durch die Kreuzung mehrerer Muttergemeinden ist die Chance hoch, dass sich die gemeinsame Tochtergemeinde nicht nur klont, da möglicherweise keine einheitlichen Prägungen seitens der Muttergemeinden vorliegen, sondern diese sich in ihren neuen Kontext einpflanzt. Ebenso hoch ist aber auch das Konfliktpotenzial. Die Tochtergemeinde erhält von allen Muttergemeinden Unterstützung, wobei diese unterschiedlich ausfallen kann.94
„Ein Gärtner weiß, wie man große Pflanzen teilt, um dann die Hälfte als Setzling an anderer Stelle einzupflanzen.“95 In dieser Variante des Modells wird kein Team ausgesandt, sondern ein größerer Teil der Gemeinde trennt sich ab, um sich an einem anderen Standort direkt als neue „fertige“ Gemeinde einzupflanzen. Je nach Größe der Teile ist es schwer, zwischen Mutter- und Tochtergemeinde zu unterscheiden. Darin hat diese Variante auch die größte Unterscheidung zu den anderen: Es gibt nach der Teilung nicht mehr „die“ Muttergemeinde, die ausgesendet hat. Auch ist die „neue“ Gemeinde direkt so groß, dass sie nicht zwangsläufig auf Unterstützung (untereinander) angewiesen ist. Die Wahrscheinlichkeit des Klonens ist allerdings sehr hoch, da viele mit gleicher Prägung in der „neuen“ Gemeinde Mitglied sind. Es ist nicht auszuschließen, dass die Motivation für die Verpflanzung weniger aus missionarischer/evangelistischer Motivation erfolgt, sondern aus logistischer. Diese Variante der Pflanzung kann auf der einen Seite, positiv auf Wachstum ausgelegt, als Verpflanzung oder Gemeindeteilung gesehen werden, negativ aber auch das Ergebnis einer Gemeindespaltung sein.96
Integrative Modelle streben Multiplikation als Ausgang und Ziel des Gemeindeaufbaus an. Das schließt ebenfalls ein, dass die Tochtergemeinde zu einer autonomen Gemeinde werden muss. Sie muss die starke Verbindung und Unterstützung zur Muttergemeinde lockern, auf „eigenen Beinen stehen“, damit sie sich selbst wieder multiplizieren kann und zur aussendenden Muttergemeinde wird.97
4.5.3.Alter Inhalt – neue Formen
Gemeinden, die auf Fortpflanzung setzen, kommen schnell zur Einsicht, dass man im neuen Kontext auch neue Formen des Gemeindelebens finden muss. Michael Noss bringt es sehr treffend auf den Punkt, wenn er schreibt: „Die Grundlage ihres Handelns nimmt die Gemeinde aus dem Wort Gottes, die Art und Weise ihres Handelns ist bestimmt durch die Herausforderungen ihrer jeweiligen Umwelt und Zeit.“98 Und eine neue Umwelt verlangt dann nach neuen Zugängen, Formen und neuer Gestalt.
Die Gründung neuer Ausdrucksformen kirchlichen Lebens muss nicht notwendigerweise mit der Gründung selbstständiger Gemeinden zusammenhängen. Gerade in sozialen Ballungsräumen kann die Beibehaltung der organisationellen Einheit der Gemeinde von großem Vorteil sein. In solchen Fällen werden die neuen Formen unter dem Dach der einen Gemeinde etabliert. Dies geschieht, um damit neue ethnische, sprachliche oder soziale Gruppen mit dem Evangelium zu erreichen. Man spricht dann auch von multi- oder auch interkulturellen Gemeinden.99 „Typisch für diese Gemeinde ist, dass sich die neuen Gemeinschaften im selben Gemeindehaus zusammenfinden, aber zu einem gewissen Grad unter der Autorität der gastgebenden Gemeinde bleiben.“100 So verwirklichen sie gemeinsam ihre wichtigsten missionarischen Ziele und Projekte.
Das multioptionale Modell erfreut sich zurzeit großer Beliebtheit in den USA und Großbritannien. Viele „neue Ausdrucksformen des kirchlichen Lebens“ (fresh expressions) der anglikanischen Kirche sind auf diese Weise in ihre Muttergemeinde integriert. Bei dieser Variante sind die Merkmale der klassischen Aussendung sowie das Ausgelegtsein auf Multiplikation nur teilweise vorhanden.101
Eine abgewandelte Variante des Modells findet sich in der Multisite-Kirche, die alle Vorteile einer multioptionalen Gemeinde nutzt, aber anstatt eines Versammlungslokals mehrere nutzt. Dabei bleibt jede neue Gründung als Teil der Gesamtgemeinde bestehen.102 Die Mitglieder der einzelnen Niederlassungen bleiben Mitglieder in der einen Gemeinde. Sie treffen sich abwechselnd in ihrer separaten Gruppe bzw. als ganze Gemeinde. „Eine Gemeinde – mehrere Versammlungsorte“103 ist das Programm dieses Gemeindetyps. Die Gemeinde hat, ähnlich der multikulturellen Gemeinde, eine gemeinsame Vision, Konzeption und strategische Leitung. Auf der operativen Ebene können sich die einzelnen Satelliten dagegen sehr selbstständig entwickeln.104
Multioptionale Modelle können auch auf dem Land funktionieren. Die Diversität des ländlichen Raumes zwingt den Gemeindeentwicklern den Gedanken pluraler Zugänge regelrecht auf. Die ausdünnende Bevölkerung legt zudem eine Zusammenlegung lokaler Gemeinden in einen Verbund nahe. Auf diese Weise kann die Gemeinde denkbar flexibel auf die Entwicklungen des sozialen Raumes reagieren und dabei eine gemeinsame Strategie des Aufbaus verfolgen.
Fragen zum Nachdenken:
1.Worin besteht der Unterschied zwischen Gemeindegründung und Gemeindepflanzung? Warum wird diese Unterscheidung gemacht?
2.Was ist unter Gemeindeaufbau zu verstehen?
3.Was meint man mit Gemeindeentwicklung und Gemeindewachstum?
4.Was ist der Unterschied zwischen integrativen Modellen des Gemeindeaufbaus und multioptionalen?
5.Welche Modelle sind Ihrer Meinung nach geeignet, um auf dem Land Gemeinde zu bauen?
Kapitel 5
5.1.Nahe bei den Menschen
Gemeinde Jesu ist theologisch gesehen die aus der Welt herausgerufene Versammlung, die Verantwortung für die Welt übernehmen soll. Auf dem Land ist diese Welt das Dorf! Und das sind wiederum immer zunächst und vor allem die Menschen vor Ort. Unter ihnen, mit ihnen und für sie soll Gemeinde gebaut werden. Soll sie diese Menschen erreichen, dann wird sie als gesellschaftsrelevante und damit dorfrelevante Gemeinde gebaut werden müssen. Denn es geht um nichts Geringeres als um die Gemeinde Gottes im konkreten Lebenszusammenhang konkreter Menschen.
Gemeinde auf dem Dorf muss zuerst und vor allem Dorfgemeinde werden. Nicht eine Gemeinde auf dem Dorf, die sich eigentlich darum bemüht, ihr Ideal aus der Stadt am Leben zu erhalten, sondern eine Dorfgemeinde, die die Lebensformen und Sehnsüchte der Menschen vor Ort widerspiegelt und sie kraft des Evangeliums zum Besseren transformiert.
Wie wird eine Gemeinde im Dorf zu einer Dorfgemeinde im besten Sinn des Wortes?
Die Antwort lautet: Sie muss kontextualisiert werden.
Der Prozess einer solchen Kontextualisierung sieht sieben Schritte vor:
(1) Verortung,
(2) Potenzialanalyse,
(3) Kontextanalyse,
(4) Visionsfindung,
(5) Planung,
(6) Aktion und
(7) Evaluation.
Wir reden hier vom „Zyklus gesellschaftstransformativer Gemeindearbeit“ (ZGG) 105.
Abb. 1: Zyklus gesellschaftstransformativer Gemeindearbeit (ZGG)
In der Verortung entscheidet sich die Gemeinde für den territorialsozialen Raum, in dem sie Gemeinde bauen will. Sie fragt Gott nach ihrem Einsatzgebiet und nimmt dieses als ihre Berufung an.106
Gesellschaftstransformative Gemeindearbeit hat immer einen Ort, einen sozialen Raum, im Blick und unterscheidet sich somit prinzipiell von jedem an Zielgruppen orientierten Bau.107 Allen Menschen vor Ort samt all ihren Anliegen und Nöten gilt ihre Aufmerksamkeit.
Gemeinde wird von Gott gebaut, aber er bedient sich dabei seiner Kinder. Hierfür hat er ihnen Gaben gegeben (1. Korinther 12,4) für Werke, die er zuvor bestimmt hat, dass sie darin wandeln sollen (Epheser 2,10; 1. Korinther 12,5). Wo sie ihre Gaben für Dienste nutzen, die er für sie bestimmt hat, da entwickelt sich jene transformative Energie, die in der Stadt allen zu leuchten vermag (1. Korinther 12,6-7).
Es macht daher Sinn, den gesellschaftsrelevanten Gemeindebau als gabenzentrierten Gemeindebau zu begreifen. Und hierfür ist eine detaillierte Potenzialanalyse der Gemeinde vonnöten. Dabei wird sowohl nach materiellen, sozialen, kognitiven als auch geistlichen Fähigkeiten und Kompetenzen gefragt. Hierzu kann die vom Trafo-Institut in Marburg entwickelte Arbeitshilfe zur Durchführung einer Potenzialanalyse in der Gemeinde von großer Hilfe sein.108
Die Ermittlung eigener Potenziale schärft den Blick der Gemeinde für den Kontext. Und diesen zu verstehen ist der nächste Schritt in der Entwicklung effektiver Gemeindearbeit auf dem Land.
Die Kontextanalyse will zur Sehhilfe für die Gemeinde werden. Welche Menschen leben im Gemeinwesen, in dem die Gemeinde gebaut wird? Woran glauben sie, was können sie, und wogegen kämpfen sie an? Was sind ihre Herausforderungen, Bedürfnisse, Nöte, und über welche Potenziale verfügen sie? Was ist ihre materielle wie soziale Lage? Vor welchen intellektuellen Herausforderungen stehen sie? Kennen sie Gott, und wie denken sie über ihn?
Das sind die Fragen, deren Beantwortung eine menschenfreundliche Gemeindearbeit ermöglicht. Nur wenn man weiß, was die schlechten Nachrichten vor Ort sind, kann man es wagen, gute Nachrichten zu formulieren und dem Evangelium Raum zu verschaffen. Einer Gemeinde, die sich an die Sozialraum-Untersuchung wagt, stehen umfangreiche Hilfen und Materialien zur Verfügung, die vom Trafo-Institut in Marburg entwickelt wurden.109
Jetzt, wo die betreffende Gemeinde ihr Einsatzgebiet, ihr Potenzial und den Kontext kennt, in dem sie arbeiten will, kann sie an die Entwicklung ihrer Vision gehen. Dabei ist es enorm wichtig, dass das Bild von der Zukunft, das die Gemeinde hier entwickelt, sowohl biblischtheologisch korrekt als auch kontextbezogen verständlich ist. Nur eine Vision, die von allen Menschen vor Ort verstanden wird, wird Menschen aus dem Ort anziehen. Vorausgesetzt natürlich, dass sie konkret und praxisnah formuliert ist. Einer Gemeinde im Prozess der Visionsfindung stehen ebenfalls Mitarbeiter und Materialien des Marburger Trafo-Instituts zur Verfügung.110
Erst wenn eine Gemeinde ihre Ziele formuliert hat, kann sie an konkrete Projektplanungen gehen. Auch hierfür stehen ihr Marburger Hilfen zur Verfügung.111 Zu beachten ist jedoch, dass man zunächst materielle Projekte, dann soziale, dann ideelle und schlussendlich erst evangelistische anvisieren sollte. Das Evangelium muss von den Menschen erst gesehen werden (im Dienst an materiell bedürftigen Nachbarn), dann erfahren (im Gespräch über soziale Engpässe), dann diskutiert werden, bevor es angenommen werden kann. Der Evangelisation gehen somit
(a) Dienst, der Vertrauen schafft,
(b) Gespräch über Lebensfragen, das Vertrauen verstärkt, sowie
(c) Diskussion, die Unklarheiten und Missverständnisse ausräumt, voraus. Nur so wird das Vertrauen der Menschen zur Gemeinde und ihrer Botschaft wachsen und die Entscheidung vorbereiten, Christus, den Herrn der Gemeinde, ernst zu nehmen.
Und schließlich wird gehandelt. Aktionen in die Bevölkerung hinein stellen die tatkräftigen Arme der Gemeinde dar, zeigen ihr Bemühen, das Gemeinwesen als Change-Agent zu transformieren, in dem die Gemeinde auf allerlei Weise Versöhnung mit Gott, sich selbst und dem Nächsten kommuniziert. So wird sie ihrer ekklesialen Rolle als Priester, König und Prophet gerecht. Ihre lebensspendende Mission erscheint lebensnah, konkret und wird als missio politica, als umfassende politische Alternative, wahrgenommen.112
Diese Lebensäußerungen der Gemeinde sollten regelmäßig einer umfassenden Evaluation unterzogen werden. Dabei ist es entscheidend, nicht nur die Gemeindeglieder selbst nach dem Erfolg ihrer Aktionen zu befragen, sondern vor allem die Menschen im Gemeinwesen, denen sie sich anschickt zu dienen.
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