Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 140»
Impressum
© 1976/2015 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-464-7
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Inhalt
Kapitel 1.
Kapitel 2.
Kapitel 3.
Kapitel 4.
Kapitel 5.
Kapitel 6.
Kapitel 7.
Kapitel 8.
1.
Es war wie verhext. Seit sie den spanischen Zweidecker „Inmaculada“ geentert und später weit draußen im Atlantik versenkt hatten, schien das Meer um sie herum spanische Kriegsgaleonen nur so auszuspukken. Immer wieder tauchten Mastspitzen über dem Horizont auf, manchmal auch die Umrisse eines großen Zweideckers, den der Seewolf auf mindestens vierzig Kanonen schätzte. Vielleicht sogar mehr, das war auf die große Entfernung nicht genau festzustellen. Und der Seewolf hütete sich, den spanischen Schiffen zu nahe zu geraten. Er wußte genau, daß das erste Seegefecht vor der spanischen Küste das Ende der „Isabella“ bedeuten würde. Denn der Kanonendonner würde die spanische Flotte, zumindest die Schiffe, die auf der Reede von Cadiz ankerten, sofort alarmieren.
Big Old Shane, Ben Brighton und Ed Carberry standen auf dem Achterdeck der „Isabella“. Dan O’Flynn, der normalerweise inzwischen zur Schiffsführung gehörte und als Navigator oft für das Wohl und Wehe der „Isabella“ verantwortlich war, hockte im Großtopp. Denn Dan hatte die schärfsten Augen von allen Seewölfen, und Hasard wollte genau über alles informiert werden, was sich auf dem Atlantik in Sichtweite der „Isabella“ tat. Und das war nicht eben wenig.
„Die segeln alle Kurs Cadiz“, murrte Ed Carberry und sah Big Old Shane an, der unmittelbar neben ihm stand. „Ben, welcher Meinung bist du?“ fragte er ein paar Sekunden danach den ersten Offizier der „Isabella“, der zugleich auch der Stellvertreter des Seewolfs war.
Ben Brighton blickte wie seine Gefährten zu den Spaniern hinüber, von deren Schiffen hin und wieder eins wie ein Schemen gegen den Abendhimmel über dem Horizont auftauchte.
„Da braut sich ganz gehörig was zusammen. Die Dons sammeln ihre Flotte in Cadiz, die haben etwas vor, soviel ist klar. Mir ist schleierhaft, warum die von uns überhaupt keine Notiz zu nehmen scheinen. Entweder halten sie uns auch für eins ihrer Schiffe, oder die Kerle pennen.“
Ben Brighton schüttelte den Kopf.
„Gut, daß es bald dunkel wird, Ben“, sagte Old Shane, der riesige Schmied und einstige Waffenmeister aus Arwenack, und reckte die Schulter. „Wir sollten uns im Schutz der Dunkelheit von den Dons absetzen. Ich fürchte mich vor diesen verdammten Schneckenfressern nicht, das wißt ihr. Aber manchmal ist Klugheit eben doch der bessere Teil der Tapferkeit. Und wenn ihr mich fragt, ich möchte England doch noch wiedersehen!“
Ed Carberry, der Profos der „Isabella“, nickte düster.
„Genau das habe ich eben auch gedacht. Aber ich wittere Unheil, ich spüre, daß es mit England noch gute Weile haben wird. Verflixt, was treibt Hasard eigentlich so lange in seiner Kammer?“
„Er wollte sich die Karten der spanischen Küste ansehen. Er hat vorhin angedeutet, daß auch er nach irgendeiner Möglichkeit sucht, uns mitsamt der ‚Isabella‘ erstmal verschwinden zu lassen, bis die Dons sich wieder beruhigt haben oder bis wenigstens das Gros ihrer Schiffe auf der Reede von Cadiz liegt. Hasard geht davon aus, daß die Dons ganz gewiß nach uns suchen werden, wenn sie von unserem nächtlichen Gefecht mit einem ihrer Verbände erfahren. Und erst recht, wenn sie merken, daß auch die Admirals-Galeone auf unser Konto kommt.“
Ed Carberry wußte so wenig wie seine Gefährten, daß sie im Dunkel der Nacht einen Verband englischer Schiffe angegriffen hatten, der unter dem Kommando von Sir Francis Drake stand. Und auch Drake ahnte nichts davon, daß es der Seewolf gewesen war, der ihn attackiert hatte.
Ed Carberry hob plötzlich den Kopf und musterte mißtrauisch den bedeckten Himmel, an dem dunkle Wolken von einem frischen Wind nach Norden getrieben wurden. Dann leckte er den Zeigefinger der Rechten an und streckte ihn hoch.
Die anderen beiden beobachteten ihn, und Ben Brightons Züge spannten sich. Er kannte den Profos. Carberry hatte einen untrüglichen Instinkt dafür, wenn der Wind sich änderte oder wenn Schlechtwetter bevorstand. Er merkte das meist schon einige Stunden vorher.
„Wir kriegen Sturm“, sagte Carberry in die Stille auf dem Achterdeck, die in diesem Augenblick nur vom Singen des Windes in der Takelage und dem Rauschen der Bugwelle durchbrochen wurde. „Und ich wette – in ein paar Stunden bricht er los. Der Wind beginnt zu schralen. Los, Freunde, hurtig, hurtig, hurtig. Wir wollen uns auf den Tanz vorbereiten. Stürme an dieser Küste sind tückisch.“
In diesem Moment enterte der Seewolf zum Achterdeck auf.
Hasard hatte die letzten Worte Carberrys gehört. Das war kein Kunststück, denn selbst wenn der Profos sich Mühe gab, sein gewaltiges Organ zu dämpfen, verstand man ihn mühelos noch auf dem Geschützdeck.
Der Seewolf warf ebenfalls einen Blick zu den dahinziehenden Wolken hoch. Und wie zur Bestätigung von Carberrys Prophezeiung fegte ein kurzer Windstoß in die Segel der Isabella und ließ sie nach Steuerbord krängen.
„Ed hat recht“, sagte er nur. „Der Sturm wird in den nächsten Stunden losbrechen, und er wird aus West blasen. Aber wir warten nicht ab, bis der Tanz losgeht. Ich habe auf einer der Karten eine Bucht entdeckt, rund fünfzig Meilen südlich von Cadiz. Ich erinnere mich, daß mir der Fischer, der Ben und mir damals bei eurer Befreiung von der ‚Tortuga‘ half, erzählte, diese Bucht sei wie geschaffen dazu, sich in einer ihrer Verästelungen zu verstecken. Auch mit einer Galeone. Und von der Landseite her ist diese Bucht ebenfalls ziemlich unzugänglich.“
Der Seewolf sah seine Gefährten an, und plötzlich begann er zu grinsen.
„Ed, man braucht wirklich kein Hellseher zu sein, um zu wissen, an was du jetzt denkst“, sagte er dann.
Der Profos hob unbehaglich die Schultern.
„Na, dann wundert es mich um so mehr, daß du an diesem Wahnsinnsplan festhalten willst“, antwortete er. „Fünfzig Meilen unterhalb von Cadiz. Fast in der Höhle des Löwen. Da braucht uns nur irgend so ein Kerl zu entdecken und nach Cadiz zu rennen, dann sitzen wir in der Falle. Ein paar Dons vorn in der Bucht genügen, um uns zur Hölle zu schikken!“ Carberrys Stimme wirkte in diesem Moment wie fernes Donnergrollen. Und es geschah nur ganz selten, daß er so mit dem Seewolf redete.
Aber Hasard ließ ihn gewähren. Er hatte sich längst angewöhnt, wichtige Unternehmungen mit den Männern der Schiffsführung, zu der Carberry gehörte, durchzusprechen.
„Was sollten wir deiner Meinung nach tun, Ed?“ fragte er daher.
Wieder hob der Profos unbehaglich die breiten Schultern.
„Das ist es ja eben“, grollte er. „Wir könnten in den Atlantik hinaussegeln. Die Dons sind langsamer als unsere ‚Isabella‘, wir würden ihnen schon entwischen. Andererseits aber müssen wir wissen, was sich hier in Cadiz zusammenbraut. Das können wir nur herauskriegen, wenn wir uns in Cadiz umhören, anders geht das nicht. Ich werde das verdammte Gefühl nicht los, daß die Dons irgend etwas gegen unser Land, gegen England im Schilde führen. Und das sollten wir unbedingt herausfinden, ganz gleich, wie miserabel man uns damals nach unserer Rückkehr in den Hafen von Plymonth behandelt hat. Es ist unsere Pflicht, für unser Land etwas zu tun, wenn es nötig ist. Aber trotzdem, Hasard, diese Sache mit der Bucht …“
Der Seewolf nickte.
„Ich habe mir auch schon den Kopf darüber zerbrochen, was wir statt dessen tun könnten, aber die einzige Möglichkeit bleibt die, uns samt der ‚Isabella‘ zu verstecken und uns dann in Cadiz umzuhören. Denn auch wenn wir die spanische Flagge setzen und spanische Uniformen anziehen – daß wir ein spanisches Schiff sind, das nehmen uns die Dons nicht ab. In Cadiz haben wir es bestimmt nicht mit lauter Dummköpfen zu tun.“
Hasard sah die drei Männer abermals an.
„Oder hat einer von euch eine bessere Idee? Nochmals, ich gebe Ed recht, die Sache ist verdammt gefährlich, aber es wäre ja schließlich nicht das erstemal, daß wir ein Wagnis eingehen. Also, wie denkt ihr?“
Ben Brighton tauschte einen Blick mit Old Shane. Dann antwortete er für den hünenhaften Waffenmeister gleich mit.
„Wir müssen es wagen. In einer Stunde ist es dunkel. Ich weiß, welche Bucht du meinst, und die finden wir auch im Dunkeln. Wir werden unbemerkt mit gelöschten Lichtern einlaufen, eventuell müssen wir am nächsten Morgen noch in das endgültige Versteck verholen, das wird sich zeigen. Ich bin für deinen Plan.“
„Ed?“
Er warf dem Profos einen fragenden Blick zu. Carberry nickte, aber sein Narbengesicht zeigte einen verbissenen Ausdruck. Er hatte ein verdammt ungutes Gefühl und ahnte nicht, wie sehr sich seine Bedenken als berechtigt erweisen sollten.
„Klar, Hasard. Ich habe dir gesagt, was ich über die Sache denke, aber ich sehe auch keine andere Möglichkeit. Und wenn einer dieser Dons seinen neugierigen Dummkopf zu nahe an unsere ‚Isabella‘ ransteckt, dann kriegt er von mir ganz persönlich eins über den Schädel. Ich glaube, ich sollte die Männer jetzt mal informieren, also!“
Carberry setzte sich in Marsch. An der Schmuckbalustrade blieb er stehen. Im nächsten Moment dröhnte seine gewaltige Stimme über Deck.
„He, ihr Decksaffen, alles mal herhören!“
Die Männer unterbrachen ihre Arbeit und versammelten sich in der Kuhl. Erwartungsvoll sahen sie den Profos an. Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann, packte seine gewaltige Axt fester, und Batuti, der riesige Gambianeger, ließ seine Muskeln spielen und rollte die Augen. Der alte O’Flynn humpelte ebenfalls so schnell herbei, wie sein Holzbein das zuließ, und Dan beugte sich zusammen mit dem Schimpansen Arwenack aus dem Mars.
Dann begann Carberry den Männern zu erklären, um was es ging. Der Seewolf, Ben Brighton und Big Old Shane standen hinter ihm und beobachteten die Gesichter der Seewölfe.
Die Männer in der Kuhl hörten Carberry schweigend zu. Ihre Gesichter waren ernst. Sie wußten, was ein solches Unternehmen in unmittelbarer Nähe des größten Kriegshafens der Spanier bedeutete.
Als Carberry schließlich schwieg, trat Smoky, der Decksälteste der ‚Isabella‘, vor, zog seine Mütze und brachte drei Cheers auf Merry Old England aus – und damit traf er genau das, was die Seewölfe alle in diesem Augenblick empfanden. Donnernd fielen sie ein, und dann brandete plötzlich der Schlachtruf der Seewölfe über die „Isabella“.
„Arwenack – Arwenack – Arwenack …“
Sir John, der Bordpapagei, der auf einer Rah vor sich hingedöst hatte, fiel vor Schreck fast an Deck. Kreischend und zeternd flatterte er davon.
Eine halbe Stunde später, die „Isabella“ lag bereits auf ihrem neuen Kurs, verkroch sich das letzte Tageslicht hinter den Horizont. Der Wind hatte aufgebrist und sang in der Takelage. Auf den Wogen erschienen erste Gischtkämme und leckten gierig am Rumpf der „Isabella“ hoch.
In etwa drei Stunden würden sie vor der spanischen Küste stehen. Hin und wieder warf einer der Seewölfe Ben Brighton einen verstohlenen Blick zu. Die Männer fragten sich, ob Ben es wirklich schaffen würde, bei Nacht und trotz des beginnenden Sturmes die Bucht anzulaufen.
Der Mond ging auf, und durch Wolkenlöcher warf er seinen bleichen Schein über die aufgewühlte See, auf der die „Isabella“ sich hob und senkte.
Noch bevor drei Stunden verstrichen waren, meldete sich Dan aus dem Mars. Er hatte Bill, den Schiffsjungen, und die beiden Söhne Hasards bei sich, die auch über beachtlich gute Augen verfügten und begannen, sich an Bord einzugewöhnen.
„Achtung, Deck!“ rief Dan, und sofort gab Hasard ihm Antwort.
„Bucht Steuerbord voraus zu erkennen. Wir halten ziemlich genau auf die Einfahrt zu, ich kann sie deutlich im Mondlicht erkennen. Weit und breit kein Schiff!“
Der Seewolf verlor keine Zeit. Er schlug Ben Brighton nur noch rasch auf die Schulter, eine Anerkennung, wie er sie nur selten zuteil werden ließ, dann enterte er auf.
Er suchte die Einfahrt der Bucht sorgfältig mit seinem Spektiv ab. Aber Dan hatte recht, die Bucht lag frei und verlassen da.
„Wir laufen sofort ein, Dan. Bleib oben, beobachte mit Bill und den beiden Jungs weiter. Ich möchte keine Überraschung erleben, denn die Bucht ist zerklüftet, wir müssen ziemlich tief hinein. Aber ich denke, unser altes Kriegsglück bleibt uns auch diesmal treu!“
Damit enterte der Seewolf wieder ab.
„Ed, klar bei Segelmanöver, beide Wachen an die Brassen. Erst wenn ich es sage, runter mit den Lappen, vorläufig lassen wir noch volles Zeug stehen!“
Carberry nickte, dann scheuchte seine Donnerstimme die Männer auf die Manöverstationen. Al Conroy, der Geschützmeister der Isabella, stand mit einigen Männern auf dem Geschützdeck. Die Geschützpforten waren offen, die Lunten brannten. Eine Vorsichtsmaßnahme für den alleräußersten Fall, die auf der „Isabella“ nie versäumt wurde, und durch die sie schon ein paarmal dem Untergang entronnen war.
Eine knappe Viertelstunde später lief die „Isabella“ mit gelöschten Lichtern in die Bucht ein, die am Anfang, an ihrer breitesten Stelle, gut eine halbe Meile maß, dann aber rasch enger wurde.
Auf der „Isabella“ wurde kein Wort gesprochen. Selbst Carberry schwieg, und das wollte etwas heißen.
Der Seewolf ließ einen Teil der Segel bergen. Die „Isabella“ lief nur noch so viel Fahrt, daß sie dem Ruder gehorchte.
Der Wind hatte weiter aufgebrist und heulte jetzt vom Atlantik her in die Bucht. Er blies aus West, was für die „Isabella“ und ihre Seewölfe äußerst günstig war, denn so konnten sie mühelos weiter und weiter in die Bucht gleiten, die schon bald in dem leicht ansteigenden Gelände einen tiefen Einschnitt bildete.
Ben Brighton hatte Pete Ballie, den Rudergänger der „Isabella“, abgelöst. Er spähte in die vom Mondlicht erhellte Nacht. Dann atmete er plötzlich auf. An Steuerbord der „Isabella“ war ein Seitenarm der Bucht zu erkennen, der fast rechtwinklig nach Süden abbog.
„Das ist er, Hasard“, sagte Ben. „An die Brassen, Männer, Ferris, den Anker klar zum Werfen!“ wies er den Schiffszimmermann an, der mit einer Gruppe von Seewölfen auf der Back am Spill stand.
Die „Isabella“ schwang herum, dann glitt sie in den Seitenarm. Er war tief, aber er wurde immer schmäler, je weiter sie vordrangen. Dann tauchte die Landzunge auf, nach der Ben Brighton schon die ganze Zeit Ausschau gehalten hatte.
„Wenn wir hinter die Landzunge verholen, sind wir gegen Sicht gedeckt, selbst wenn Fischer auf dem Hauptarm vorbeisegeln sollten. Der Wald dort wächst auf einer Felsbarriere, die hoch genug ist, daß wir die ‚Isabella‘ hinter ihr verbergen können. Das Schiff kann bis fast ans Ufer, das Wasser hier ist tief. Um aber vor Überraschungen sicher zu sein, sollten wir trotzdem nicht direkt am Ufer vertäuen.“
Der Seewolf nickte und gab die notwendigen Anweisungen.
„Ed, wir müssen die ‚Isabella‘ so verankern, daß ihr Bug ins offene Meer zeigt. Vielleicht bleibt uns keine Zeit zum Wenden, wenn wirklich etwas Unvorhergesehenes passieren sollte. Ab sofort doppelte Wachen, außerdem herrscht weiterhin Stille auf dem Schiff. Auch Arwenack und Sir John verschwinden unter Deck, ich will keinerlei Risiko eingehen. Alle Mann tragen spanische Uniformen, außerdem wird die spanische Flagge aufgezogen, alles klar?“
Der Profos nickte, aber sein Gesicht hatte immer noch den gleichen verbissenen Ausdruck wie vor Stunden.
„Und ich sage dir noch mal, Hasard, das ist eine ganz verdammte Mausefalle. Wir stecken bis zum Hals drin. Das ist meine Meinung.“
Carberry verzog sich knurrend und erteilte der Mannschaft mit erstaunlich gedämpfter Stimme die notwendigen Befehle.
Der Seewolf blickte ihm nach.
„Was ist eigentlich mit Ed los, Ben?“ wandte er sich an Brighton, der immer noch am Ruder stand.
Ben Brighton hob die Schultern. „Ed mault seit Stunden. Ihm gefällt die Sache mit der Bucht immer noch nicht, und mich wundert das. Denn normalerweise wäre er für ein bevorstehendes Spähtruppunternehmen nach Cadiz Feuer und Flamme gewesen.“
Ben Brighton schwieg eine Weile, übergab Pete Ballie wieder das Ruder und ging zum Seewolf hinüber, der inzwischen am Steuerbordschanzkleid lehnte und die Manöver der „Isabella“ verfolgte.
„Bedenklich stimmt mich aber“, fuhr Ben fort, „daß Ed manchmal nahendes Unheil im voraus spürt. Er wird dann immer so unleidlich. Es hat auch gar keinen Zweck, ihn zu befragen, er weiß nämlich selber nicht, was da in ihm rumort. Ich habe mal mit dem Kutscher darüber gesprochen, er sagt auch, daß es so was gibt. Seien wir also auf alles gefaßt!“
Hasard schüttelte den Kopf. „Jetzt fängst du auch schon an, wie der alte O’Flynn zu reden, Ben. Himmel noch mal, was ist mit euch los? Ich glaube, wir sollten möglichst rasch nach Plymouth verholen, damit ihr alle wieder einen richtigen Landgang kriegt. Das wird euch auf andere Gedanken bringen.“
Ben Brighton grinste. „Keine schlechte Idee. Wenn ich an den alten Plymson und seine ‚Bloody Mary‘ denke, also dann …“ Er sagte nicht, was dann sein würde, aber der Seewolf wußte es auch so. Aber Ben war noch nicht fertig. Als vom Vorkastell die gedämpften Kommandos des Schiffszimmermanns herüberklangen und gleich darauf der Anker ins Wasser klatschte, fragte er den Seewolf: „Was meinst du, wer von uns nach Cadiz gehen soll, um zu spionieren?“
Der Seewolf blickte seinen Stellvertreter an.
„Wir beide, du und ich. Genau wie damals, Ben, als wir unsere Männer von Sevilla aus suchten. Und ich denke, wir werden auch wieder unseren Spaß haben, genau wie damals. Außerdem sind wir beiden außer Bill die einzigen an Bord, die ein akzentfreies, perfektes Spanisch sprechen. Na, hast du Lust?“
Ben Brighton strahlte plötzlich. „Ob ich Lust habe, das fragst ausgerechnet du? Also …“
„Schon gut, Ben, also abgemacht. Aber wir werden unser Äußeres verändern müssen. In dieser Ecke hier sind wir keine Unbekannten!“
Die beiden Männer ahnten nicht, daß genau in diesem Moment draußen auf dem Atlantik Dinge geschahen, die ihnen einen dicken Strich durch ihre Pläne ziehen sollten.
Der stark aufbrisende Wind war zum handfesten Sturm geworden. Er heulte durch die Bucht und entrang manchem der Seewölfe einen saftigen Fluch, die eben in die Takelage aufenterten und damit begannen, auch die restlichen Segel der „Isabella“ zu bergen.
2.
Man schrieb das Jahr 1587. Im spanischen Ausrüstungshafen Cadiz herrschte Hochbetrieb. Auf der Reede ankerten eine Vielzahl schwerbewaffneter Kriegsgaleonen. Darunter mächtige Brocken von über tausend Tonnen. Und immer noch liefen neue Schiffe die Reede von Cadiz an.
Offiziere und Mannschaften der heransegelnden Schiffe wußten nicht, warum man sie nach Cadiz beordert hatte, und an Bord der Verbände kursierten die wildesten Gerüchte.
Aber mit einem ganz entscheidenden Handicap hatte die spanische Flotte zu kämpfen: Viele Schiffe waren zu alt und den Anforderungen bei Sturm kaum noch gewachsen: Außerdem mangelte es der spanischen Flotte entschieden an guten Seeleuten und Kapitänen, die Erfahrung genug hatten, um auch mit schwierigen Situationen fertig zu werden. Hinzu kam noch der Umstand, daß gerade manche der kleineren Galeonen hoffnungslos überladen war und viel zu tief im Wasser lag, das laufende und stehende Gut der Takelage zu wünschen übrigließ und obendrein noch die Ladung in den Schiffen unsachgemäß verstaut und gegen plötzliches Übergehen nur unzureichend gesichert war.
Solche Verhältnisse und Zustände herrschten auch auf einigen Schiffen des andalusischen Kampfverbandes, der am Vortag die Straße von Gibraltar passiert hatte und sich jetzt durch den plötzlich aufkommenden schweren Sturm mit Kurs auf Cadiz durch die vom Atlantik heranrollenden Brecher kämpfte.
Admiral Don Nerja stand auf dem Achterdeck seines Schiffes, der fast achthundert Tonnen großen Kriegsgaleone „Almeria“. Die „Almeria“ war ein Zwei-decker neuester Bauart. Die Reise nach Cadiz war zugleich auch ihre Jungfernfahrt. Sie führte als Bewaffnung fünfzig Zwanzigpfünder, etliche Mörser schwersten Kalibers und auf dem Vor- wie Achterkastell verteilt insgesamt zehn Drehbassen.
Die Besegelung der „Almeria“ verteilte sich auf vier Masten, der Mast auf dem Achterdeck hatte einen gewaltigen Lateinerbesan.
Admiral Nerja ließ seine Blicke über das Hauptdeck, das durch Schiffslaternen erhellt wurde, gleiten. Die Achthundert-Tonnen-Galeone war viel zu schwach bemannt. Er wußte das, und deshalb beunruhigte ihn der Sturm. Denn nicht nur sein Schiff verfügte über eine zahlenmäßig viel zu schwache Besatzung, sondern auch etliche der anderen. Sein Verband zählte acht Schiffe, darunter auch drei völlig veraltete Zweihundertfünfzig-Tonner. Der Teufel mochte wissen, warum er so plötzlich nach Cadiz hatte aufbrechen müssen, aber der königliche Kurier hatte keinerlei Zweifel daran gelassen, daß der Befehl umgehend zu befolgen sei und keinerlei Fragen gestellt werden durften. Auch nicht von ihm, Admiral Don Nerja.
Die „Almeria“ arbeitete trotz ihrer achthundert Tonnen schwer in der hochgehenden See. So groß sie war, so schwerfällig zeigte sie sich bei diesem Wetter. Da war ihr manches der kleineren Schiffe des Verbandes weit überlegen.
Die „Almeria“ segelte als letztes Schiff. Das war nicht die vorgeschriebene Ordnung, hatte sich jedoch bei Ausbruch des Sturmes so ergeben. Nur hin und wieder erschien auf den heranrollenden Wogen auch der Schatten von einem der anderen Schiffe des Verbandes und verschwand dann sogleich wieder in einem Wellental.
„Madre de Dios!“ sagte der Admiral, als die „Almeria“ schwer nach Steuerbord überholte. Er wurde gegen die an Steuerbord befindliche Nagelbank geworfen, rutschte auf dem nassen, glitschigen Deck aus und stürzte zu Boden.
Fluchend und stöhnend rappelte er sich wieder auf. Seinem ersten Offizier, der sofort herbeigeeilt war, dankte er durch eine Handbewegung.
„Danke, Senor Estéban, nicht nötig. Aber etwas anderes bereitet mir bei diesem Wetter Sorgen: Nehmen Sie sofort ein paar Leute und kontrollieren Sie die Ladung mittschiffs. Sie wissen, daß wir eine ganze Ladung Kanonen und Lafetten an Bord haben. Von den Eisenkugeln, der Unmenge von Pulverfässern, Musketen und anderen Waffen ganz abgesehen. Wenn diese Ladung verrutscht, Senor …“
Der Admiral sprach nicht aus, was dann geschehen würde. Sein erster Offizier wußte es auch so. Er wußte sogar noch mehr: Durch die Hektik des Aufbruchs war es unvermeidlich gewesen, daß einfache Seesoldaten einen Teil der Ladung in der „Almeria“ gestaut hatten. Niemand hatte mit einem solchen Sturm gerechnet. Schließlich stellte die Reise von Gibraltar nach Cadiz normalerweise kein Problem dar, zumal die Schiffe meist auch noch günstigen Wind hatten. So hatte man im Verband des Admirals ziemlich sorglos auf das Glück vertraut. Genau das sollte der „Almeria“ zum Verhängnis werden.
Senor Estéban winkte einen der Bootsmänner herbei und erteilte ihm die entsprechenden Befehle. Dann salutierte er kurz.
„Senor Admiral, ich werde mich um diese Sache persönlich kümmern. Ich erstatte Ihnen dann später ausführlich Meldung.“
Admiral Don Nerja nickte. Gleichzeitig beschloß er, einen Rundgang über das Schiff zu unternehmen, um sich zu vergewissern, daß jeder auf seinem Posten war. Er kontrollierte den Kurs, gab den Steuerleuten auf dem Achterdeck entsprechende Befehle und stieg aufs Hauptdeck hinunter. Er mußte damit rechnen, von überkommenden Seen durchnäßt zu werden, aber das war ihm im Augenblick höchst gleichglütig. Den Admiral plagten ganz andere Sorgen.
Ein paar Meilen vor dem Achthundert-Tonnen-Giganten des Admirals kämpfte eine Zweihundertfünfzig-Tonnen-Karacke erbittert mit dem Sturm. Das Schiff war uralt und knackte nicht nur in allen seinen Verbänden, wenn es von einem der gewaltigen Brecher überrollt wurde, sondern es war auch hoffnungslos überladen. Ebenfalls mit Kanonen, Pulver und Proviant.
Der Kommandant, ein noch junger und ziemlich unerfahrener Offizier, klammerte sich auf dem wie wild hin und her torkelnden Achterkastell fest. Er war vor Seekrankheit grün im Gesicht und hatte sich so oft übergeben, daß sein Magen nun nur noch mit äußerst schmerzhaften Krämpfen reagierte.
Er sah gerade noch den Brecher, der von Backbord her auf das Schiff zurollte. Die Karacke lag ohnehin schon tief und schwerfällig in der See. Nur unwillig richtete sie sich wieder auf, wenn einer der Brecher sie nach Steuerbord überrollte und dabei in die aufgewühlte See drückte.
Längst war ein Teil der völlig unerfahrenen Seesoldaten über Bord gewaschen worden, andere waren von den wenigen erfahrenen Seeleuten unter Deck gescheucht worden. Aber selbst etliche der Seeleute hatten sich inzwischen an Wanten oder Masten festgelascht, weil sie den Gewalten der Brecher nicht mehr standzuhalten vermochten.
Der Brecher rollte heran, und der Kommandant der Karacke starrte ihm aus weit aufgerissenen Augen entgegen. Im Mondlicht glänzte der gigantische Wasserberg tückisch auf, ehe er die todwunde Karacke, die sowieso schon viel zu viel Wasser genommen hatte, unter sich begrub.
Dem Kommandanten war, als ob um ihn herum das Inferno ausgebrochen sei. Er wurde von den Wassermassen vom Achterdeck aufs Hauptdeck hinuntergespült und verfing sich irgendwie zwischen zwei Geschützen. Nur das bewahrte ihn davor, von dem Brecher in die See hinausgespült zu werden.
Er merkte nicht, wie die See zwei der drei Masten erbarmungslos abknickte, wie sie die schweren Geschütze an Steuerbord aus den Brooktauen riß und über Bord spülte, nachdem die schweren Rohre das Schanzkleid und die Stückpforten zerschlagen hatten. Er hörte auch nicht, wie die schweren Lateinersegel an Deck klatschten und die herunterkrachenden Gaffelruten etliche Männer erschlugen. Und er merkte nichts mehr davon, daß die Karacke endgültig aus dem Ruder lief und in der tobenden See sofort querschlug, denn auf dem Achterkastell gab es keinen Mann mehr, der am Ruder stand.
Und doch überlebte der Kommandant dieses Mal noch, aber nur, damit ihm der grauenhafte Anblick nicht erspart blieb, der sich seinen Augen bot, als er das Bewußtsein wiedererlangte, Wasser spuckte und sich auf die Füße quälte.
Der gepeinigte Mann, den man zum Dienst auf See dereinst gepreßt hatte, glaubte, die Hölle habe ihre Sendboten persönlich geschickt, um ihn ins ewige Fegefeuer zu zerren.
Er sah den gigantischen Schatten, den Berg von einem Schiff, das auf die sinkende und von der wilden See völlig zerschlagene Karacke mit schäumender, gischtender Bugwelle zuhielt und sich rasendschnell zu nähern schien. Dann war die Luft, die ganze Welt erfüllt vom berstenden Krachen, vom Splittern des Holzes und vom Schreien der wenigen Überlebenden, als sich der Achthundert-Tonnen-Rumpf der „Almeria“ in die Karacke bohrte.
Der Kommandant spürte den wahnsinnigen Schmerz, als sich der Rumpf seines Schiffes wie eine Pappschachtel unter der Wucht des Anpralls zusammenschob und ihn zu Tode quetschte. Er schrie, aber auch sein letzter Schrei verhallte ungehört. Und so versank er in dieser Sturmnacht mit seinem Schiff und mit seinen Männern in den Fluten des Atlantiks, während die schwere Kriegsgaleone alles zermalmend über die Karacke hinwegwalzte.
Admiral Don Nerja wurde bei dem Anprall aufs Achterdeck geschleudert. So heftig, daß er sich diesmal nicht sogleich wieder erhob. Das Wrack der Karakke, über das sich die „Almeria“ schob, ehe sie es unter Wasser drückte, schlug ein Loch in den mächtigen Bug und drückte einen Teil der Backbordseite ein. Gurgelnd schoß das Wasser in die Galeone, während sie weit nach Steuerbord überholte – so weit, daß die Ladung, die Senor Estéban und seine Männer wieder festzurren wollten, endgültig überging.
Donnernd lösten sich die schweren Geschützrohre, zermalmten Kisten und einen Teil der Männer und rutschten zusammen mit den Lafetten gegen die Steuerbordwand des Rumpfes. Aber die „Almeria“ hatte Glück – der mächtige Rumpf hielt der Belastung stand. Trotzdem krängte das große Schiff von diesem Moment an stark nach Steuerbord, und der heulende Sturm drückte es zusammen mit den Brechern noch tiefer in die See.
Wenig später hasteten die Zimmerleute über Deck. Die Leckstelle war gemeldet worden, und der Kampf ums Überleben begann. Die Leckdichtungstrupps leisteten Übermenschliches in dieser Nacht, aber sie schafften es. Auch wenn die „Almeria“ viel Wasser genommen hatte, auch wenn Senor Estéban und die Männer, die den Zusammenprall im Laderaum mittschiffs überlebt hatten, irgendwann vor Erschöpfung umkippten – die „Almeria“ schwamm, sie überstand den Sturm.
Admiral Don Nerja hatte schnell gehandelt, als er den ersten Überblick über die Katastrophe, von der sein eigenes und ein anderes Schiff seines Verbandes betroffen worden war, gewonnen hatte.
Ihm war sofort klar geworden, daß die Almeria nur dann eine Überlebenschance hatte, wenn es ihm gelang, auf dem kürzesten Weg die Küste anzulaufen und das Schiff entweder auf Grund zu setzen oder einen geschützten Ankerplatz zu finden.
Don Nerja war erfahren genug, um auch zu begreifen, daß es für sein angeschlagenes Schiff jetzt das beste war, vor dem Sturm herzulaufen. Deshalb trieb er die Männer an die Brassen und steuerte Kurs Ost. Cadiz konnte nicht mehr weit sein, aber es war ihm in diesem Moment auch völlig gleichgültig, wo er auf die Küste stieß. Es gab eine ganze Reihe von Buchten, und selbst der drohende Legerwall, also vom Sturm an die Küste getrieben zu werden, erschien ihm immer, noch besser, als hier draußen in den tobenden Elementen sein Ende zu finden.
Außerdem verfügte die „Almeria“ über sehr große und sehr starke Anker. Im übrigen erlaubten der eingedrückte Bug sowie das angeschlagene und nur notdürftig abgedichtete Vorschiff auch gar keine andere Maßnahme, als vor dem Sturm herzulaufen und den Brechern wenigstens an der kritischen Stelle keine Angriffsmöglichkeit mehr zu bieten.
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