Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 329»

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© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-726-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

John Curtis

Das Ultimatum der Roten Korsarin

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Was sich in der zweiten Maihälfte im Jahre 1593 dem Hafen von Plymouth näherte, ließ sogar die abgebrühten Fischer auf See leicht erschauern. Manche bekreuzigten sich hastig und starrten dem Ding entsetzt, verwundert oder verängstigt nach.

Es war eine viermastige Galeone von annähernd vierhundert tons Größe. Drei ihrer Masten waren rahgetakelt, der achtere Mast trug Lateinerbeseglung.

Das war es aber nicht, was die Fischer so erschütterte. Sie starrten mit offenen Mündern auf rote Segel, die sich im Wind blähten, Segel, die weithin als Fanal leuchteten und die Erinnerung an Blut hervorriefen.

Auch das hätten die verstörten Fischer noch verkraftet. Erst der Anblick der Besatzung ließ sie krampfhaft schlucken.

An Deck des Schiffes bewegten sich recht merkwürdige Gestalten. Sie hatten von Wind und Wetter gegerbte Gesichter, die von der Sonne braun gebrannt waren. Ihre Haare waren schwarz und im Nacken zu einem dicken Zopf geflochten. Auf den Köpfen trugen sie flache tellerähnliche Hüte, wie man sie in England noch nie gesehen hatte.

Seltsamerweise befand sich unter diesen unheimlich wirkenden Männern auch eine Frau, die auf dem Achterdeck stand, und deren Anblick die Fischer noch mehr verwirrte.

Sie trug Hosen, dazu Stiefel und eine rote Bluse. Über der Bluse trug sie noch eine helle Segeltuchjacke. In ihrem ovalen Gesicht standen die Wangenknochen leicht hervor, und die Augen, mandelförmig und leicht geschlitzt, verliehen ihr etwas Rätselhaftes und Fremdes. Ihr Haar war lang und schwarz und flatterte im Wind. Ihre vollen roten Lippen waren etwas spöttisch verzogen, als sie die Blicke der Fischer bemerkte.

Es war die erste Reise der Roten Korsarin nach England. Sie war auf dieses Land, aus dem der Seewolf stammte, eigentlich schon immer sehr neugierig gewesen.

Dieser ziemlich öde Küstenstrich ist also seine Heimat, überlegte sie. Auf den ersten Blick ein nichtssagendes Land, nicht kalt und nicht warm um diese Jahreszeit, ein einfacher Küstenstrich mit kleinen Erhebungen und nur wenig zartem Grün, das an den Bäumen und Sträuchern aufbrach.

Im Grunde genommen sah es in ihrer chinesischen Heimat um diese Jahreszeit auch nicht sehr viel anders aus. Dagegen bot die Karibik, aus der Siri-Tong nach England gesegelt war, wesentlich mehr Reize.

Sie war ein wenig enttäuscht, wollte das aber vor sich selbst nicht zugeben und behielt ihr rätselhaftes Lächeln bei.

Sie blickte auf den Hafen von Plymouth, in dem einige Schiffe an den Piers lagen und weiter hinten, in der beginnenden Dämmerung gerade noch erkennbar, weitere ankerten.

Schon jetzt begannen sich die ersten Neugierigen zu versammeln. Viele standen so versteckt, daß man sie kaum sah, und starrten voller Ehrfurcht auf das Schiff, das im Segel einen gewaltigen Drachen führte, der sich im leichten Wind immer wieder aufblies und dadurch den Eindruck erweckte, als atme und lebe er.

Einige der versteckt lauernden Gaffer erkannten auf Anhieb, daß dieses Schiff mit den blutroten Segeln eine englische Konstruktion war, noch dazu ausnehmend gut bestückt. Vorn und achtern standen je drei großkalibrige Drehbassen an Deck, und was sich hinter den Stückpforten an schweren Stücken verbarg, ließ sich ebenfalls mühelos erahnen. Außerdem war es ein Schiffstyp, der bei der englischen Flotte wegen seiner großen Laderäume und dem verhältnismäßig flach gebauten Rumpf sehr gefragt war.

Einige schätzten, daß der Schiffsbaumeister von Plymouth, Hesekiel Ramsgate, diese Galeone gebaut hatte, und damit lagen sie genau richtig.

„Roter Drache“, wie das Schiff der Korsarin hieß, war früher unter dem Namen „Albion“ gesegelt. Siri-Tong hatte die wendige Galeone auf Bora-Bora erbeutet.

„Wir legen dort drüben an der freien Pier an, Barba“, sagte sie zu ihrem Rudergänger. „Mister Boyd, sorgen Sie für ein exaktes Anlegemanöver, und erteilen Sie die nötigen Befehle dazu.“

„Aye, Madam“, erwiderte der Erste Offizier.

Die Männer, die die Rote Korsarin befehligte, gehorchten aufs Wort. Da gab es kein Zögern und kein Zaudern. Ihre Befehle kamen knapp und klar, und die Crew arbeitete reibungslos und gut zusammen.

Während das Schiff mit den roten Segeln einen langen Bogen beschrieb, hielt Siri-Tong immer wieder Ausschau, beobachtete den Hafen, behielt gleichzeitig die Crew im Auge und nahm die Eindrücke des Hafens in sich auf.

Nach Plymouth war sie nur aus einem Grund gesegelt: Sie hoffte hier mit dem Seewolf Philip Hasard Killigrew, dem Wikinger Thorfin Njal und auch mit dem Franzosen Jean Ribault zusammenzutreffen.

Sie wollte eine Besprechung darüber ansetzen, was mit der Schlangen-Insel in der Karibischen See zu geschehen hätte, denn dort mußte jetzt einiges getan werden.

Es war schon eine Menge getan worden. Sehr viel hatte sich dort im Lauf der Zeit verändert, doch es mußte noch mehr geschehen im Hinblick auf die Menschen der Schlangen-Insel, auf die Befestigungen und was der Dinge mehr waren. Eine schlagkräftige Flotte sollte dort aufgebaut werden. Siri-Tong hatte ganz bestimmte Vorstellungen davon. Ihr schwebten eine Anzahl von Veränderungen vor.

Daß das alles zu einem großen Teil schon abgesprochen war, ahnte sie nicht. Sie wußte nichts von den Gesprächen zwischen Hasard, Ribault, dem Wikinger und Hesekiel Ramsgate. Und sie wußte auch nicht, daß Ramsgate plante, seine Werft auf die Schlangen-Insel zu verlegen.

Sie vermutete lediglich, daß einiges zwischen den Männern vereinbart worden war. Das genügte ihr allerdings nicht. Sie hatte die ältesten Rechte an der Schlangen-Insel und nahm sich vor, in dieser Angelegenheit ein Machtwort mitzusprechen.

Als sie jetzt den Blick hob, sah sie, daß immer mehr Leute im Hafen zusammenströmten und sie alle wie Wundertiere von den Gaffern angestarrt wurden.

Die Rote Korsarin lächelte verhalten, als sie die staunenden Blicke sah, die sich auf die Zopfmänner und sie selbst richteten.

Natürlich trug keiner ihrer Männer einen Zopf, und es gab auch keinen Chinesen an Bord. Das war nur Maskerade, Mummenschanz, nicht um zu beeindrucken, sondern um etwas zu erfahren, denn angeblich sprachen ihre Männer ja auch kein Englisch. Einem aber, der die Sprache nicht verstand und sprach, begegnete man mit Sicherheit sorgloser und plauderte mehr aus.

Auf diese Art und Weise erhoffte sie, alles das zu erfahren, was sie wissen wollte.

In Nathaniel Plymsons Spelunke, der berüchtigten Hafenkneipe „Bloody Mary“ an der Ecke Millbay Road und St. Mary Street, war die Ankunft des fremden Schiffes ebenfalls sehr schnell bekannt geworden und hatte sich wie ein Lauffeuer herumgesprochen.

Die üblichen Schnapphähne, Beutelschneider, Hasardeure und Galgenstricke hockten in der „Bloody Mary“ und soffen Plymsons Fusel.

Das feiste Schlitzohr Plymson war an diesem Tag kaum wiederzuerkennen. Nicht daß er sich verändert hatte, er trug nur wieder eine neue Perücke, weil die letzte mal wieder bei einer handfesten Auseinandersetzung in seiner Kneipe restlos zertrampelt worden war. Einer der Trunkenbolde hatte damit den Boden aufgewischt und das zerzauste Gebilde dann großzügig über den mumifizierten Stör gehängt, der Plymsons Theke zierte und schon so alt war wie die Welt.

Plymson hatte diesmal eine Perücke nach französischer Art auf seinem kahlen Schädel. Die Perücke war grau gepudert mit einigen dunklen Streifen darin und fiel ihm in kleinen Wellen dicht an dicht bis in sein feistes Genick. Von hinten gesehen, verlieh sie ihm etwas Seriöses. Drehte er sich aber um, dann erkannte man in seinem feisten Gesicht die Schlitzohrigkeit der ganzen Welt, den freundlich-geldheischenden Blick und eine gewisse Art von Hinterhältigkeit, die nie aus seinen Zügen verschwand. Jeder hatte durch Plymsons schwach angedeutetes Grinsen unweigerlich das Gefühl, beschissen worden zu sein, auch wenn das nicht immer zutraf.

„Da ist ein rotes Schiff“, sagte der grobe Johann zu Plymson. Der Schankknecht grinste dazu etwas dümmlich. „Es segelt gerade in den Hafen und legt an.“

„Ein rotes Schiff?“ fragte Plymson. Er sah seinen Schankknecht ungläubig an. „Du meinst ein schwarzes. Das ist der Wikinger mit seiner Lausebande.“

„Ein rotes“, beharrte der grobe Johann, der mit dem Schimpansen Arwenack von der „Isabella IX.“ eine gewisse Ähnlichkeit hatte, was zumindest die Haare auf seinem Körper betraf. Vom Gesicht her sah fraglos der Schimpanse besser aus.

Plymson schüttelte den Kopf, warf seinen Schmierlappen, mit dem er die Bier- und Weinlachen vom Tresen zu wischen pflegte, auf die Theke und ging wortlos hinaus. Ihm folgten gleich darauf noch weitere Kerle.

Draußen starrte sich Plymson die Schweinsäuglein aus, und sein dreifach gestaffeltes Wabbelkinn geriet in lebhafte Bewegung.

„Verdammt“, sagte er ächzend, „ein Schiff mit roten Segeln.“

„Hab ich doch gesagt“, maulte der grobe Johann, der sich ebenfalls die Augen ausstarrte.

Plymson beobachtete das Anlegemanöver. Sein Mund war weit aufgerissen, er glaubte an einen bösen Traum, und er spürte, wie es unter seiner neuen Perücke unangenehm zu kribbeln und zu jucken begann.

Da war ein verdammter höllischer Drache auf dem Großsegel zu sehen, ein gewaltiges Biest, das ihn böse anstarrte, und wenn die merkwürdigen Kerle an Bord an dem Segel zerrten, um es aufzutuchen, dann holte dieser Drache jedesmal tief Luft und blies seinen feurigen Atem genau in seine Richtung.

Als Plymson noch ein kleiner fetter und ungezogener Bengel war, da hatte er oft von solchen Drachen gehört, daß sie Feuer spien und kleine Jungs fraßen, die in den Hühnerställen die Eier klauten.

Ja, genauso war ihm der Drache immer geschildert worden, und jetzt sah er ihn als riesige Abbildung auf einem Segel. Und weil er immer die Leute beschissen und betrogen hatte, richtete der Drache jetzt sein Augenmerk genau auf ihn, als wisse er, was mit Plymson los sei. Jetzt krümmte der Drache seinen fürchterlichen Leib zu einem gewaltigen Sprung.

Plymson schloß die Augen. Er war keines Wortes mächtig. Erst als er sie wieder öffnete, war das Höllenvieh verschwunden und hatte sich zum Schlummer unter die Rah gepackt.

Plymsons entsetzter Blick wanderte weiter. Den Namen des Schiffes vermochte er nicht zu lesen, denn der bestand aus einem krakeligen Gewirr völlig unverständlicher rätselhafter Zeichen, die er nie in seinem Leben gesehen hatte.

Yard um Yard tastete er mit seinen Blicken weiter das unheimliche Schiff ab und zuckte immer wieder zusammen. Er bemerkte Gestalten, wie er sie ebenfalls noch nie gesehen hatte. Kerle mit langen schwarzen Zöpfen und Tellerhüten auf dem Schädel. Ja, und – er sah eine Frau. Eine verteufelt hübsche Frau war das, sehr schlank, mandeläugig, fremd, exotisch mit langen schwarzen Haaren. Sie trug Stiefel und unter ihrer Segeltuchjacke eine Bluse, die so rot war wie die Segel an den Rahen.

Die Aufregungen reißen einfach nicht ab, dachte Plymson wie betäubt. Da war der Seewolf mit seiner wilden Horde von Kerlen gewesen, dann der Wikinger mit seiner Satansbrut und dann noch ein Kerl, der genau wie der Seewolf aussah, genauso breit, so groß und stark, der aber blonde Haare hatte. Und jetzt lief dieses Schiff ein! Das war fast zuviel.

Erst jetzt ging dem Schankwirt auf, daß diese exotische Frau auf dem Achterdeck beileibe kein Passagier war. Sie gab Befehle, und die Zopfkerle flitzten nur so, wenn sie etwas in einer Sprache rief, die Plymson nicht verstand. Diese Sprache bestand nur aus Zischen, Gurgeln und Miauen, etwa so wie die Kater maunzten, wenn sie nachts über die Dächer strichen.

Plymson verstand die Welt nicht mehr. Er hatte, weiß Gott, schon viel erlebt, aber in Plymouth artete das immer mehr aus. Wilde, verwegene Kerle, dachte er, die einer Frau aufs Wort gehorchen, so was gibt es doch gar nicht! So ein zierliches Persönchen kann doch keine ausgewachsenen Kerle beliebig hin und her scheuchen!

„Eine Frau“, sagte neben ihm der grobe Johann staunend. „Die kommandiert da!“

„Seh ich selbst“, murmelte Plymson halb erschlagen von dem wunderlichen Anblick. „Scher dich wieder in die Kneipe.“

„Aber ich will doch die Frau sehen. Sie ist schön, was?“

„Ja, sie ist schön, sehr schön“, sagte Plymson ächzend. „Aber sie scheint auch gefährlich zu sein. Sie muß aus einem sehr fernen und fremden Land stammen.“

„Vielleicht aus Frankreich“, sagte der grobe Johann, dessen geistiger Horizont bestenfalls bis über den Kanal reichte.

Dann, nach nochmaliger Aufforderung, er möge sich gefälligst sofort in die Kneipe verziehen, verschwand er, während Plymson noch eine ganze Weile blieb und das Schiff beobachtete, das ihm ein Rätsel nach dem anderen aufgab.

Die Neugierigen säumten fast den ganzen Hafen und starrten wortlos das Schiff an. Hin und wieder murmelten die Leute leise, fast ehrfurchtsvoll, und sie starrten sich die Augen aus, denn nach einer Weile erschien eine weitere Frau flüchtig an Deck und besprach sich mit der Frau in der roten Bluse. Diese junge Frau stammte von der Insel Mocha und hieß Araua. Sie war die Tochter der Schlangenpriesterin Arkana und des Seewolfs, aber das wußte keiner in Plymouth, denn niemand kannte die Hintergründe dieser Geschichte.

Araua war noch sehr jung und wohnte auf der Schlangen-Insel in der Karibischen See. Siri-Tong hatte ihr versprochen, sie mitzunehmen, sobald sie nach England segelte, und das war jetzt geschehen.

Für die Gaffer wirkte Araua ebenfalls fremd und exotisch. Sie staunten über diese aufblühende Schönheit. Doch die Tochter der Schlangenpriesterin verschwand kurz darauf wieder unter Deck.

Plymson wischte sich den Schweiß von der Stirn und merkte nicht, daß seine neue Perücke halb verrutschte und an Backbord sein kahler Schädel blanklag.

Himmel, dachte er, was ist das nur für ein Schiff? Zwei Frauen an Bord, beide von ausgesuchter Schönheit, und eine von ihnen kommandiert eine rauhe und wilde Männerschar! Der Teufel mochte wissen, was ganz Plymouth wohl bald bevorstand. In letzter Zeit hatten sich die Ereignisse ja ständig überschlagen, und jetzt gesellte sich ein neues hinzu.

Heftig schluckend kehrte er in die „Bloody Mary“ zurück, lehnte sich über die Theke und begann in seiner Erinnerung zu kramen und zu grübeln, denn das Schiff ließ ihm keine Ruhe mehr. Es füllte sein ganzes Denken aus, ganz besonders natürlich die Frauen an Bord.

Da war doch mal irgend etwas mit dem Seewolf gewesen, wenn er sich recht erinnerte. Natürlich wurde viel getuschelt, und es wurden auch Märchen erzählt und Legenden verbreitet. Ein Körnchen Wahrheit aber steckte meist darin, und jetzt entsann sich der dicke Kneipenwirt auch an das Getuschel in seiner Kneipe und auch an das, was die ehrbaren Bürger von Plymouth oft gemunkelt hatten.

Der Seewolf sollte ja angeblich irgendwo in der Karibik hausen, an einem geheimen Ort, auf einer Schatzinsel oder so ähnlich. Und natürlich wimmelte es in der Karibik nur so von Piraten, wie Plymson sich das erschauernd vorstellte. Da wurden von morgens bis abends Leute abgemurkst, da hausten bärtige Gesellen auf Inseln, auf denen Gold und Silber in riesigen Mengen versteckt sein sollten.

Der Seewolf aber, so munkelte man, sollte sich mit einer äußerst gefährlichen Piratin verbündet haben, die ebenfalls in der Karibik ihr Unwesen trieb.

Plymson schluckte bei dem Gedanken, daß es vielleicht diese Frau sein könnte. Aber so ganz genau wußte er das nicht. Jedenfalls schwante ihm Unheil.

Seufzend sah er die Kerle an, die es wieder in die „Bloody Mary“ gezogen hatte. Sie soffen sich den Kragen voll, erzählten üble Witze und lachten. Zwei grölten betrunken ein obszönes Lied.

Wenn er sie jetzt hinauswarf, konnte er seinen Laden schließen und sich irgendwohin verholen. Doch mit diesen Zechbrüdern war nicht zu reden, solange sie soffen. Die würden wieder mal bis zum frühen Morgen bleiben. Er war nicht in der Lage, sie hinauszuwerfen, sonst ging es ihm selbst an den Kragen.

Also schickte Plymson ein Stoßgebet zum Himmel, daß die Besatzung dieses unheimlichen Schiffes nicht bei ihm einkehren möge, so sehr er auch auf das Geld erpicht war. Nein, diese unheimlichen Leute wünschte er nicht aus der Nähe kennenzulernen, dann lieber kein Geschäft, aber einen ruhigen Abend.

Inzwischen war es dunkel geworden, und am Himmel erschienen die ersten funkelnden Sterne.

„Hoffentlich kommen die Kerle dieses Schiffes nicht zu mir“, sagte Plymson zum groben Johann mit der Holzhackervisage. „Der Himmel möge mich davor bewahren.“

Johann wuchtete gerade ein Rotweinfaß auf die Theke. Die Lampe vor der Kneipe hatte er schon entzündet, und jetzt ging er daran, auch die Fensterläden zu schließen. Dabei blickte er durch eins der Fenster hinaus und zuckte deutlich sichtbar zusammen.

„Was ist?“ fragte Plymson mit klopfendem Herzen.

„Da sind schon welche von den Zopfmännern im Anmarsch“, sagte der grobe Johann bedächtig. „Und diese – diese Frau mit der roten Fahne, äh, ich meine mit der roten Bluse ist auch dabei.“

„Der Himmel steh mir bei“, klagte Plymson, „es gibt doch noch so viele andere Kneipen. Ausgerechnet zu mir. Was habe ich nur getan?“

Sein zum Himmel gesandtes Stoßgebet war zwischen den Sternen sang- und klanglos verschwunden. Weiter oben hatte man sicher anderes zu tun, als sich um Plymsons Hafenspelunke zu kümmern.

Nathaniel Plymson riskierte noch einen schnellen ängstlichen Blick hinaus und fühlte seinen Herzschlag immer lauter.

Tatsächlich, da rücken die unheimlichen Gestalten an. Und dieses schwarzhaarige Weib mit der roten Bluse trug doch wahrhaftig einen Degen.

Auf den Schreck genehmigte sich der dicke Plymson erst mal einen. Es bestand kein Zweifel, daß sie seine Kneipe auserkoren hatten.

2.

Aus den Erzählungen des Seewolfs und auch aus den Berichten der anderen Arwenacks wußte Siri-Tong eine ganze Menge über Plymsons berüchtigte Kneipe. Diese Spelunke schien ein Symbol für Plymouth zu sein, und sie wurde von den Seewölfen oft demoliert, aus „Tradition“, wie der Profos Edwin Carberry das zu nennen pflegte.

Bei Plymson wurden aber auch Informationen gehandelt und Auskünfte, die Siri-Tong sich hier erhoffte. Vielleicht wußte der Wirt, ob der Wikinger oder der Seewolf schon wieder in Plymouth waren, ob sich Jean Ribault auf der Werft aufhielt, und was der Dinge mehr waren. Sie wollte auch wissen, wo die Werft des Mister Ramsgate lag. Das alles hoffte sie von dem Spelunkenwirt in Erfahrung zu bringen.

In ihrer Begleitung befanden sich sechs Männer. Ihr Erster Offizier Boyd war dabei, und dann vor allem Barba, ein wüst aussehender Riese von erschreckendem Äußeren. Er sah aus wie ein Schlagetot der übelsten Sorte, mit vielen Narben in seinem Gesicht, dessen Blick Furcht und Schrecken verbreitete. Das betraf aber nur sein Äußeres, denn Barba war ein ehrlicher und anständiger Kerl, der für die Rote Korsarin bedingungslos durchs Feuer ging.

Die vier anderen Männer waren kaum noch als Engländer zu erkennen. Ihre harten Gesichter waren sonnenverbrannt und dunkel. Die Tellerhüte und schwarzen Zöpfe veränderten sie noch mehr.

„Da drüben ist die Kneipe“, sagte Siri-Tong und blieb stehen. Ihre rechte Hand wies kurz auf das Eichenschild und die danebenhängende Funzel, die leicht hin und her schwang.

„Wir bleiben dabei, daß keiner von uns ein Wort Englisch versteht. Erst wenn ich euch ein Zeichen gebe, beenden wir die Maskerade. Ich spreche chinesisch, und ihr schweigt. Wenn die Kerle denken, daß wir ihre Sprache nicht verstehen, dann plaudern sie vielleicht einiges aus.“

„Sehr gut, Madam“, sagte der Erste Offizier. „Vermutlich werden aber abfällige Bemerkungen fallen, wenn wir angeblich nichts verstehen.“

„Das soll mich den Teufel scheren, Mister Boyd, auch wenn sich die Kerle über uns belustigen. Wir werden ganz sicher auffallen.“

Aus der „Bloody Mary“ drang Gesang, ein paar saftige Flüche waren zu hören, dann wieder das Gegröle von angetrunkenen Männern.

Die Rote Korsarin drückte die Bohlentür auf und trat ein. Hinter ihr folgte der wüst und finster aussehende Barba, dann die anderen.

Siri-Tong war noch nicht ganz bis an den Tresen gelangt, als schlagartig jedes Geräusch verstummte. Von einer Sekunde zur anderen wurde es mucksmäuschenstill und unheimlich ruhig.

Ungeniert sah sie sich um. Über der Theke hing tatsächlich dieses mumifizierte Störvieh, das bei jedem leichten Luftzug hin und her pendelte. Der Stör hatte das Maul weit aufgerissen und schien nach den Eindringlingen zu schnappen, ganz so, wie Carberry es immer erzählt hatte.

Die lastende Stille in der Kneipe wurde durch das Schlagen der Glocke der St.-Andrew-Kirche unterbrochen. Als die sieben Schläge verhallten, war es wieder totenstill.

Ausnahmslos alle Kerle starrten die Rote Korsarin an, ungeniert, wild und lüstern waren die Blicke auf sie gerichtet. Man konnte es den Kerlen auch nicht verübeln, denn so ein Rasseweib hatten sie noch nie gesehen, und so stierten sie mit aufgerissenen Mäulern weiterhin die Frau an. Ihre Blicke glitten über das schmale Gesicht mit den Mandelaugen, dann weiter, tasteten die Figur ab und rutschten grinsend weiter, als hätten sie diese Frau bereits mit den Augen ausgezogen.

Siri-Tong, die angeblich kein Wort Englisch sprach, führte sich bei dem feisten Plymson auf ihre Art ein. Nach den Erzählungen mußte der Dicke mit der schlechtsitzenden Perücke der berüchtigte Wirt sein, der sie ebenfalls ungeniert anstarrte.

Mit einer schnellen, fließenden Bewegung zog die Rote Korsarin ihren Degen. Die Klinge zuckte im Schein der Funzeln wie ein Strahl auf und wies auf ein kleines Weinfaß.

Plymson verschluckte sich im ersten Schreck, in der Annahme, das wilde Teufelsweib hätte es auf ihn abgesehen. Aber dann verstand er diese Geste. Sein Wabbelkinn zuckte lebhaft, seine Finger waren ebenfalls sehr unruhig. Nur seine hinter fetten Polstern liegenden Schweinsäuglein waren weit aufgerissen.

Inzwischen gingen die sechs anderen Kerle mit den Zöpfen und den Tellerhüten auf den Köpfen schweigend zu einem großen Tisch, neugierig verfolgt von den verblüfften Zechern.

An dem Tisch hockten zwei stupide grinsende Fischer, deren Gesichter immer länger wurden, als Barba sich ihnen näherte.

Er warf den beiden nur einen Blick zu, doch der genügte bereits, um einen der Kerle blitzartig zur Räumung zu veranlassen. Der andere zierte sich noch ein wenig und tat so, als ginge ihn das alles nichts an. Sein Blick war fast ausdruckslos auf die eichene Tischplatte gerichtet.

Barba räusperte sich drohend. Dann griff seine mächtige Pranke einmal kurz zu, kriegte den Hemdkragen des Fischers zu fassen und zog ein wenig daran. Es wirkte spielerisch, doch den Fischer lüpfte es augenblicklich in die Höhe, obwohl er selbst ein Kerl wie ein Schrank war.

Eine schleudernde Handbewegung erfolgte, auch nur so aus dem Handgelenk. Doch der kleine Schwung genügte, um den schweren Mann blitzartig durch die Kneipe rasen zu lassen. Bevor er an die Wand krachte, konnte er sich noch an einem der anderen Tische einen Halt verschaffen.

Niemand muckte auf, niemand sagte ein Wort, als sich die sechs Zopfmänner an dem Tisch niederließen, an dem gleich darauf auch die Rote Korsarin Platz nahm.

Plymson starrte die Frau immer noch an. Schweiß stand in winzigen Perlen auf seiner Stirn, hinter der es pausenlos arbeitete. Er hatte beide Hände um das Weinfaß gekrampft und schluckte.

Die Rote Korsain gab den Blick zurück, musterte ihrerseits den dicken Plymson, was ihn noch mehr ins Schwitzen brachte, und schlug dann energisch mit der Degenklinge auf den Tisch.

Plymson dienerte, schnappte sich das Fäßchen und fiel vor Eifer fast über seine eigenen Beine. Eigenhändig schenkte er in rasender Eile die Humpen voll und katzbuckelte.

„Entschuldigung, meine Dame“, sagte er, „verzeihen Sie bitte. Ich heiße Sie auf das allerherzlichste willkommen in meiner bescheidenen, äh – Knei… äh – Gastwirtschaft, Madam. Es ist ein sehr guter Wein, den ich da habe, er wird Ihnen …“

Kohlschwarz funkelnde Augen blickten ihn an. Plymson schluckte abermals, seine Kinne wabbelten, und er versuchte entschuldigend zu grinsen. Gleich darauf fuhr er jedoch wie von der Natter gebissen zurück, als die Rote Korsarin etwas sagte. Es war eine Sprache, die Plymson noch nie vernommen hatte, sie klang zischend und fordernd, und er beeilte sich, mit seinem Fäßchen wieder hinter den Tresen zu gelangen. Außerdem wußte er nicht, ob die seltsamen Laute ihm gegolten hatten oder den sechs Männern. So blieb er auf dem Sprung bereit hinter der Theke stehen und tat so, als betrachte er angelegentlich den staubigen Stör.

Wieder sagte die Rote Korsarin etwas und hob den schweren Krug aus Zinn. Die sechs Männer folgten ihrem Beispiel und hoben ebenfalls die schweren Krüge.

Plymson lief ein Schauer über den Rücken, denn das Satansweib leerte den großen Krug, ohne ihn auch nur einmal abzusetzen. Das schaffte selbst der grobe Johann nicht. Plymson kriegte Stielaugen und ließ die Kinnlade herabgeklappt vor Staunen.

Die Krüge wurden hart auf den Tisch zurückgesetzt. Immer noch herrschte tiefe Stille in der „Bloody Mary“.

In den harten Gesichtern der anderen Kerle stand lüsternes Grinsen, ihre Blicke waren immer noch auf Siri-Tong gerichtet. Schweigend hob einer nach dem anderen ebenfalls seinen Krug und trank. Bei einigen sah es aus, als wollten sie sich mit Gewalt Mut ansaufen.

Als Plymson den nächsten Blick riskierte, sagte die Korsarin etwas in dieser unverständlichen singenden Sprache. Gleichzeitig gab sie ihm durch Handzeichen etwas zu verstehen.

Was, zum Teufel, will sie nur? dachte er schwitzend. Er kam aber eilfertig heran und katzbuckelte wieder.

„Äh, das Fäßchen, Madam“, sagte er erleichtert, denn der Wink mit der Hand galt eindeutig dem Rotweinfaß. „Sofort, edle Dame, sofort Madame“, schmeichelte er. „Ja, ich verstehe, Sie wünschen das Faß in der Nähe des Tisches zu haben. Ihr untertänigster Diener, ehrenwerte Dame.“

Zum ersten Male mischte sich jetzt einer der Seeleute ein, die Siri-Tong nur angestarrt hatten.

„Nun mach dir mal nicht in die Hose, Plymson“, sagte der Mann mit der Statur eines ausgewachsenen Bären. Er war schon stark angetrunken. „Du weißt ja noch gar nicht, ob das eine ehrenwerte Dame ist. Vielleicht …“

„Halt’s Maul“, erklärte Plymson. „Was ich sage, geht dich gar nichts an. Sauf weiter oder verschwinde.“

Er brachte das Fäßchen dicht neben dem Tisch in Stellung und füllte erneut die schweren Krüge. Als er aufblickte, hörte er einen Ton, der seinen Puls in die Höhe trieb. Das war einer von Plymsons Lieblingstönen, und er war Musik für seine Ohren.

Eine dicke schwere Goldmünze klingelte auf der Tischplatte, so ganz nebenbei von der eigentümlichen Frau hingeworfen. Sie drehte sich noch ein paarmal und lag dann still.

Plymsons Augen wuchsen noch weiter aus seinem Kopf, als die ehrenwerte Dame auf die Münze deutete und wieder etwas Unverständliches sagte. Plymson nahm die Münze unter vielen Verneigungen und dienerte sich rückwärts gehend zur Theke zurück.

Auch die anderen wurden immer aufmerksamer. Da diese Frau so leichtsinnig und lässig mit derartigen Goldmünzen umging, schien sie vermutlich genügend davon zu haben.

Das warf gleich wieder Vermutungen auf, die diesmal allerdings laut und ungeniert geäußert wurden.

„Ihr braucht nicht rumzudrucksen!“ rief ein vierschrötiger Kerl. „Die komischen Leute verstehen kein einziges Wort Englisch, sonst hätten sie es längst angebracht. Ich hab mal gehört, daß solche Zopfmänner irgendwo auf der anderen Erdseite leben sollen.“

„Quatsch doch nicht“, fiel ein anderer ein, „ich habe mir ganz was anderes überlegt. Ich glaube nämlich, daß dieses unheimliche Weib da zu dem behelmten Wikinger gehört. Der sieht auch so fremdartig aus.“

„Oder es ist die Piratenfreundin vom Seewolf“, meinte ein anderer.

„Aber dann ist sie zu spät dran. Der Seewolf und der Kerl mit dem Helm sind gestern aus Plymouth ausgelaufen.“

„Warum soll sie denn ’ne Piratin sein?“ fragte der Kerl, der aussah wie ein riesiger Bär. „Ihr spinnt ja, das ist einfach ein prächtiges Weib.“

Siri-Tong und ihre sechs Begleiter spitzten zwar die Ohren, aber sie ließen sich nicht anmerken, daß sie jedes Wort verstanden.

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