Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 342»

Yazı tipi:

John Curtis

Der Fluch des Schlangengottes

Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-739-6

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Karl von Hutten stand auf einer der Beobachtungsplattformen des Felsendoms und blickte nach Südwesten. Araua, die Tochter Arkanas und des Seewolfs, stand neben ihm. Auch sie spürte die Spannung, jenes eigenartige Kribbeln und die Unruhe, die ihren gesamten Körper befallen hatte, seitdem der Himmel über der Schlangeninsel sich derartig verändert hatte.

Zu beschreiben war das alles eigentlich gar nicht. Die rötlichen Farben der Abenddämmerung wichen mehr und mehr einem schwefligen Gelb, das sich auf sonderbare Weise mit zunächst zarten, dann aber sich mehr und mehr verdichtenden violetten Farbtönen vermischte.

Er sah unheimlich aus, der Himmel, der sich dort im Südwesten über den Horizont schob und bereits innerhalb weniger Augenblicke eine bedrohliche Ausdehnung erlangt hatte.

„Ein Unwetter, Araua“, sagte Karl von Hutten, der Mann mit dem indianisch geschnittenen Gesichtszügen und dem schulterlangen blonden Haar. Er wirkte neben der Araukanerin Araua wie ein Exote – aber doch war der indianische Anteil in seinem Blut unübersehbar.

Araua, die mittlerweile in die Aufgaben ihrer Mutter, der Schlangenpriesterin hineingewachsen war und die trotz ihrer siebzehn Jahre schon nahezu erwachsen wirkte, nickte.

„Du hast recht, da braut sich etwas zusammen. Ein Sturm, ein Gewitter, ein Hurrikan vielleicht. Aber dort hinten, genau dort, wo es über der See emporsteigt, befindet sich Arkana, meine Mutter, mit ihren Schlangenkriegerinnen!“

Arauas Züge hatten sich verdüstert. Sie lebte schon viele Jahre auf der Schlangeninsel, sie wußte, welche verheerenden Stürme und Unwetter die Karibik mitunter von einer Stunde auf die andere zu gebären vermochte – und sie hatte diese Unwetter, den zornigen Atem der mächtigen Götter, fürchten gelernt.

Karl von Hutten, der in Abwesenheit des Seewolfs, der Roten Korsarin, des Wikingers, Jean Ribaults und Arkanas für die Sicherheit der Insel verantwortlich war, schwieg. Er beobachtete statt dessen sehr genau die sich ständig weiter ausdehnenden Wolkenformationen. Was er sah, bereitete ihm Sorge, denn diese Wolken quirlten nicht nur heftig durcheinander, sondern sie verfärbten sich von Minute zu Minute mehr auf eine geradezu unheimliche Weise, wie er es zuvor noch nie gesehen hatte. Da braute sich ein Unwetter zusammen, auf das sie sich schleunigst vorbereiten mußten. Auch auf der Schlangeninsel.

Nicht ohne Sorge dachte er wie Araua im gleichen Augenblick auch an Arkana, die sich mit ihrer „Mocha II.“ genau in diesem Seegebiet befinden mußte. Zwar verstanden Arkana und ihre Schlangenkriegerinnen von der Tempelwache sich mittlerweile hervorragend auf Seemannschaft – aber ihr Schiff war alt und taugte nicht mehr viel. Jedenfalls glaubte sich Karl von Hutten daran zu erinnern, daß der alte Ramsgate dieses Urteil über die „Mocha II.“ abgegeben hatte, nachdem sie von ihm und seinen Männern auf der neuen Werft im hinteren Teil der Schlangenbucht gründlich überholt worden war. Hesekiel Ramsgate hatte dringend zu einem Neubau geraten, noch bevor Arkana mit der „Mocha II.“ die Schlangenbucht verließ, um das Schiff und die Veränderungen und Neuerungen, die der alte Ramsgate daran vorgenommen hatte, einer Prüfung auf See zu unterziehen.

Aber das war noch nicht alles – denn ausgerechnet irgendwo dort hinten, mit Kurs auf Tortuga, segelten auch der Wikinger mit seinem Schwarzem Segler, Siri-Tong mit „Roter Drache“, Jean Ribault mit seiner brandneuen „Le Vengeur III.“ und Jerry Reves, der die ebenfalls neue und als Schwesterschiff der „Le Vengeur III.“ zu bewertendes „Tortuga“ befehligte. Sie alle wollten auf Tortuga den für die Schlangeninsel in vielerlei Bereichen notwendigen Nachschub von Diego, dem ihnen allen sehr befreundeten Schildkrötenwirt, besorgen. Denn Diego trieb auf Tortuga einen schwunghaften Handel mit allem, was entweder von den Bewohnern Tortugas oder aber von denen der Schlangeninsel benötigt wurde. Und seltsamerweise hatten ihn bisher auch die übelsten Schnapphähne, die sich von Zeit zu Zeit auf Tortuga einnisteten, in Ruhe gelassen. Denn ohne Diego ging auf dieser Insel einfach gar nichts mehr, und das wußten sie alle.

Außerdem aber wollten Siri-Tong, Jean Ribault und auch der Wikinger in Erfahrung bringen, was sich alles während ihrer langen Abwesenheit von der Schlangeninsel in der Karibik getan und ereignet hatte. Das war lebenswichtig, und Tortuga, insbesondere Diego und seine Felsenkneipe, die „Schildkröte“, stellten eine außerordentlich zuverlässige Nachrichtenbörse dar.

Das alles schoß Karl von Hutten durch den Kopf, während er das sich immer bedrohlicher gestaltende Unwetter im Südwesten der Insel beobachtete und sich nicht darüber klarzuwerden vermochte, welcher Natur es sei. Ein Hurrikan war das nicht, ein normaler Sturm ebenfalls nicht und ein schwerer Gewittersturm kündigte sich ebenfalls durch andere Anzeichen an.

„Komm Araua“, sagte er. „Wir müssen zur Bucht hinunter. Das Unwetter wird mit dem nächsten Mahlstrom viel Wasser in die Schlangenbucht treiben. Wir müssen die ‚Wappen von Kolberg‘ dagegen sichern, daß sie sich losreißt, oder sie zerschellt am Ende der Bucht in den Klippen!“

Araua nickte nur kurz. Daß Karl von Hutten ihre unausgesprochene Frage nicht beantwortet hatte, wie er die Gefahr einschätzte, in der sich Arkana und ihre Schlangenkriegerinnen auf der „Mocha II.“ befanden, sagte ihr genug. Und flüchtig dachte sie in diesem Moment daran, daß sich außer von Hutten, Arne von Manteuffel, dem Vetter des Seewolfs, ihren Schlangenkriegern und Schlangenkriegerinnen, soweit sie sich nicht an Bord der „Mocha II.“ bei Arkana befanden, und dem alten Hesekiel Ramsgate samt seinen Schiffbauern niemand weiter auf der Schlangeninsel befand.

Als Araua und Karl von Hutten den Felsendom verließen, brannte im Westen das Abendrot über der See, und es war, als ob die Götter Feuer vom Himmel ins Meer schütteten. Aber südlich davon – da hatte der Himmel jetzt eine teils schwefliggelbe, teils düster-violette Färbung angenommen. Schwere Wolkentürme, in denen es immer wieder aufblitzte, schoben sich höher und höher über die Kimm empor. Manchmal vernahm Araua das noch sehr leise und sehr ferne Grollen des den gewaltigen Entladungen folgenden Donners.

Der alte Ramsgate streckte behaglich die Beine aus. Die Flammen des Lagerfeuers leckten gierig an den Holzscheiten empor, die seine Männer zu einer Art Pyramide aufgetürmt hatten. Die Flammen zauberten tanzende Schatten und Lichter auf das Gesicht des Schiffbaumeisters, das durch den schlohweißen Bart ein schon fast ehrwürdiges, biblisches Aussehen angenommen hatte.

Der alte Ramsgate fühlte sich auf der Schlangeninsel sauwohl, genau wie seine Männer auch. Er war froh, dem Angebot des Seewolfs, der Roten Korsarin und des Wikingers gefolgt zu sein, von Rame Head, seiner einstigen Werft in der Nähe von Plymouth, auf die Schlangeninsel zu übersiedeln. Denn hier gab es keine adeligen Laffen, keine Hofschranzen und auch keine Schergen der englischen Krone, die ihm und seinen Männern oft genug das Leben zur Hölle gemacht hatten.

Hesekiel Ramsgate dachte noch mit Schaudern an die letzten Ereignisse auf seiner Werft, und, verdammt nochmal, es war verflixt heiß hergegangen vor den Ausrüstungskais seiner Werft und auch auf dem Werftgelände selbst.

Hesekiel Ramsgate richtete sich aus seiner bequemen Haltung auf. Er sah seine Männer an, allesamt wie er erfahrene Schiffbauer, aber auch rauhe Kämpfer, sofern sie zur Waffe greifen mußten. Er hob seinen schweren Humpen, der randvoll mit Wein gefüllt war.

„Auf unsere neue Heimat, Männer“, sagte er mit dunkler, wohlklingender Stimme. „Auf sie und auf alle Bewohner dieser Insel, denen wir unverbrüchliche Treue halten werden, gleich, was geschieht! Denn dies hier ist für uns alle ja wie ein Paradies, fast wie ein Traum!“

Beistimmendes Gemurmel erhob sich in der Runde, und auch die Männer des alten Ramsgate erhoben ihre Humpen. Recht hatte er, der alte Hesekiel. Die Insel wirkte auf sie wie ein Juwel. Das begann mit dem wirklich paradiesischen Klima, verglichen mit den rauhen Stürmen, die oft Rame Head umtobt hatten, und verglichen mit dem kalten, grauen Nebel, der nur allzuoft das ganze Land und die See tagelang eingehüllt hatte. Es setzte sich fort mit der Schlangenbucht, ihren langen sandigen Stränden, dem azurblauen Wasser der Bucht, den Palmen, die diesen Strand säumten und dem gewaltigen Felsendom, der alles überragend wie das Wahrzeichen der Insel in den Himmel zu wachsen schien.

Hesekiel Ramsgate warf einen Blick zu seiner neuen Werft hinüber, für die man im hinteren Teil der Schlangenbucht einen hervorragenden Platz gefunden hatte.

Sie machte gute Fortschritte. Die Helling, groß genug, um auch einen Viermaster wie den Schwarzen Segler aufzuslippen, war fast fertig. Ebenfalls wuchsen die Schuppen für Werkzeuge und Zubehör, für die Lagerung wertvoller Hölzer, die zum Schiffbau unerläßlich waren, empor. Aber alles fügte sich harmonisch in die Schlangenbucht ein.

Hesekiel Ramsgate und seine Männer waren zufrieden – mehr noch, sie waren geradezu glücklich, hier, auf der sagen- und legendenumwobenen Schlangeninsel ihre neue Heimat gefunden zu haben. Eine Heimat, die ihnen im Gegensatz zu England allen Frieden gewährte und in der sie mit jedermann, auch mit den Schlangenkriegern und Schlangenkriegerinnen Arkanas, gut auskamen.

Die Männer Ramsgates hatten es schon bald gespürt: Dies hier war eine Gemeinschaft, in der jeder für den anderen eintrat, ohne lange zu fragen. Und das gefiel ihnen allen besonders.

Der alte Ramsgate warf einen Blick zur „Wappen von Kolberg“ hinüber, die vor der Werft ankerte. Der kommende Tag würde eine Menge Arbeit bringen, denn auch die Galeone Arne von Manteuffels sollte aufgeslippt und dann vom Kielschwein bis zu den Toppen überholt werden. Außerdem hatte Ramsgate einige Modernisierungen vorgeschlagen. Zum Beispiel sollte die „Wappen von Kolberg“ anstelle des bisherigen Kolderstocks eine Ruderanlage erhalten, wie sie die „Isabella IX.“ und auch die anderen Neubauten bereits hatten. Außerdem sollte die Galeone mit höheren Masten und breiteren Rahen ausgerüstet werden, was ihre Geschwindigkeit bestimmt um einige Meilen erhöhen würde. Denn vom Rumpf her vertrug sie die größere Segelfläche leicht.

Hesekiel Ramsgate, der es trotz seiner Jahre noch mit vielen jüngeren ohne weiteres aufnahm, dabei aber zusätzlich über die Erfahrungen seines langen und bewegten Schiffbauerlebens verfügte, hob abermals seinen Humpen und trank den Männern am Feuer zu. Aber dann setzte er den Humpen plötzlich ab, und seine, wie die Blicke der übrigen Männer, richteten sich auf die beiden Ankömmlinge, die eben aus dem Dunkel in den Lichtkreis des Lagerfeuers vor der Werft traten.

„Araua, von Hutten – was führt euch denn noch hierher?“ fragte er und stand gleichzeitig auf. Mit seinem feinen Gespür für Menschen hatte er an den Gesichtern der beiden sofort erkannt, daß irgend etwas nicht in Ordnung war.

Von Hutten verlor keine Zeit. Er trat in den Lichtkreis des Feuers, und seine hellblonden Haare, die einen seltsamen Kontrast zu seiner indianisch-braunen Gesichtsfarbe bildeten, schienen kleine Blitze auf die Männer zu schleudern, sobald sie den Schein der lodernden und zuckenden Flammen reflektierten.

„Im Südwesten unserer Insel braut sich ein schweres Wetter zusammen. Aber es ist kein Hurrikan und auch kein gewöhnlicher Gewittersturm. Es ist irgend etwas anderes, ich habe dergleichen, solange ich in der Karibik lebe, noch nicht gesehen. Die Wolken haben eine schwefliggelbe Farbe, die sich aber mehr und mehr mit einem düsteren Violett vermischt. Außerdem quirlen die riesigen Wolkentürme, die sich schneller und schneller über die Kimm emporschieben und den Himmel schon zum großen Teil bedecken, wie in einem Wirbelsturm durcheinander. Nein – ich habe so etwas noch nie gesehen!“

Ramsgates Männer waren ebenfalls aufgesprungen. Zwar lebten sie erst seit kurzer Zeit in der Karibik, aber was es bedeutete, wenn sich so ein schweres Wetter zusammenbraute, das wußten sie.

Der alte Ramsgate ergriff auch sofort die Initiative.

„Los, Männer, wir müssen die ‚Wappen von Kolberg‘ sichern. Schafft starke Trossen herbei, holt die Galeone an die Werft heran und vertäut sie dort so fest, daß sie kein Sturm loszureißen vermag!“

Die Männer ließen ihre Humpen Humpen sein und rannten sofort zur Helling hinüber. Der alte Ramsgate, der ihnen folgen wollte, wurde jedoch von Araua und von Hutten zurückgehalten.

„Die ‚Mocha II.‘ befindet sich wahrscheinlich genau dort, wo das Wetter in diesem Moment schon tobt. Was ist mit dem Schiff, Hesekiel? Das Urteil, das du Arkana abgegeben hast, war nicht sonderlich gut.“

Ramsgate warf der Tochter Arkanas einen raschen Blick zu, und er sah, daß sie ihn aus großen, schwarzen Augen anstarrte, in denen in diesem Moment die Angst der Tochter um die Mutter flackerte.

Araua war oft genug mit dem Wikinger oder mit Siri-Tong auf See gewesen, um die Gefahren eines schweren Sturmes richtig einschätzen zu können. Besonders dann, wenn ein Schiff wie die „Mocha II.“ in einen solchen Sturm geriet.

Hesekiel Ramsgate fuhr sich mit der Hand über die hohe Stirn.

„Es hat keinen Zweck, euch etwas vorzumachen. Die Galeone Arkanas ist alt. Die Verbände des Rumpfes sind nicht mehr die besten, auch die Beplankung weist schwache Stellen auf. Es hatte keinen Sinn, das alles zu reparieren, darum schlug ich einen Neubau vor. Meine Männer und ich haben getan, was wir konnten. Ich kann für Arkana nur hoffen, daß sie das Wetter beizeiten erkannt und einen Nothafen angelaufen hat. Aber vielleicht ist sie ja auch gar nicht so weit ins offene Meer hinausgesegelt …“

Er spürte den brennenden Blick Arauas, und er sah das Araukanermädchen an. Wie immer war sie fast nackt. Sie trug lediglich einen knappen Lendenschurz – so wie alle Schlangenkriegerinnen auf der Insel.

„Du hättest sie mit diesem Schiff nicht segeln lassen dürfen, Hesekiel“, sagte sie dumpf. „Ich verstehe das nicht, du bist doch sonst kein Mann, der …“

Ramsgate trat dicht an Araua heran, dann legte er ihr seine Rechte schwer auf die Schultern.

„Ich hätte deine Mutter auch nicht segeln lassen, Araua“, erwiderte er. „Aber sie sagte, der Schlangengott habe ihr aufgetragen, mit diesem Schiff noch eine Fahrt zu unternehmen. Arkana bat mich, darüber Stillschweigen zu bewahren. Und das habe ich bis zur Stunde getan, so daß alle denken mußten, es handele sich um eine ganz normale Erprobungsfahrt. Nur habt ihr alle eines übersehen: Wäre das so gewesen, dann hätte ich mich an Bord der ‚Mocha II.‘ befunden. Doch meinen diesbezüglichen Wunsch lehnte Arkana freundlich, aber bestimmt ab. Das ist alles, was ich dir dazu sagen kann.“

Araua sah den alten Ramsgate überrascht an. Dann wechselte sie jedoch mit Karl von Hutten rasch ein paar Worte in einer Sprache, die Ramsgate nicht verstand. Anschließend sah sie den Schiffbaumeister an.

„Verzeih“, sagte sie, „ich habe dir Unrecht getan. Ich schäme mich, denn ich hätte es besser wissen müssen …“

Araua drehte sich um und war gleich darauf in der Dunkelheit verschwunden.

„Was ist mit ihr, wo ist sie hin?“ fragte Ramsgate Karl von Hutten entgeistert, der ihr ebenfalls nachblickte.

„Araua will in den Schlangentempel, um den Schlangengott zu befragen“, antwortete er nach einer Weile. Er sah, wie sich die Stirn Ramsgates furchte, und wie er nachdenklich, aber voller Zweifel in die Dunkelheit starrte, dorthin, wo Araua verschwunden war.

Von Hutten berührte ihn sacht an der Schulter.

„Dir ergeht es wie uns allen dereinst“, sagte er. „Wir alle, auch der Seewolf, fanden keine Erklärung für die merkwürdigen Vorgänge im Schlangentempel, und anfangs hielten wir den Schlangengott sogar für einen Götzen. Nur Siri-Tong ermahnte uns immer wieder, den Schlangengott ernst zu nehmen, und dann taten wir es schließlich auch. Ich sage dir, Hesekiel, dieser Schlangengott ist alles andere als ein Götze. Seine Voraussagen und seine Prophezeiungen haben, sich noch immer erfüllt. Und wenn du im Tempel vor ihm stehst, wenn seine grünen Augen dich anglühen, dann weißt du plötzlich, daß er über Kräfte verfügt, für die uns jede Erklärung fehlt. Ich sage dir, dieser Schlangengott ist ein lebendiger Gott, und wehe dem, der sich seinen Zorn zuzieht!“

Der alte Ramsgate starrte den Halbindianer von Hutten an. Er wußte, daß gerade von Hutten niemals auch nur ein Wort mehr sagen würde, als er verantworten konnte. Aber es war auch das erstemal, daß er so zu ihm gesprochen hatte.

„Komm jetzt, wir sollten uns wirklich um die ‚Wappen von Kolberg‘ kümmern, das Wetter wird bald losbrechen …“

Und als ob er mit seiner Prophezeiung recht behalten sollte, zuckte in diesem Moment ein erster, greller Blitz über den dunklen, düster leuchtenden Himmel. Anschließend fuhr eine Bö durch die Schlangenbucht, die so heftig war, daß sie die beiden Männer beinah umwarf.

Hastig löschten von Hutten und Ramsgate das Feuer, dann rannten sie ebenfalls zur Werft hinüber.

2.

Knapp 100 Seemeilen südwestlich der Schlangeninsel, dort wo sich das Unwetter über der Karibik zusammengebraut hatte, befand sich die „Mocha II.“ mit Arkana und ihren Schlangenkriegerinnen.

Die Schlangenpriesterin hatte den Himmel schon eine ganze Weile vor Sonnenuntergang zu beobachten begonnen. Sie lebte jetzt schon so lange in der Karibik, daß sie Anzeichen wie diese durchaus richtig zu deuten wußte. So war weder ihr noch den Schlangenkriegerinnen, die die Ausgucks besetzt gehalten hatten, jene zunächst nur winzig kleine Verfärbung des Himmels entgangen. Schwefelgelb schob es sich über die Kimm empor, wuchs dann aber rasch weiter zu einer respektablen Wolke an, in deren Färbung sich noch vor Sonnenuntergang düstere violette Töne mischten. Aber noch blieb die See ruhig, und noch wehte ein beständiger Wind aus Süd.

Tatona, die Unterführerin Arkanas, zugleich Anführerin der Tempelwache auf der Schlangeninsel, stand neben Arkana auf dem Achterkastell der „Mocha II.“, und auch sie beobachtete den Himmel angespannt.

„Wir sollten eine der Caicos-Inseln anlaufen, Arkana“, sagte sie schließlich und ließ ihren Blick über die kleine Galeone wandern. Die „Mocha II.“, eigentlich nur ein provisorischer Ersatz für die im Kampf um die Schlangeninsel verlorengegangene „Mocha“, war ein bereits betagter Segler. Zwar hatte die Galeone bisher durchaus genügt, um damit die wenigen Fahrten zu unternehmen, zu denen es die Schlangenpriesterin von Zeit zu Zeit trieb, aber mittlerweile hätte sie längst gegen ein größeres, stärkeres Schiff ersetzt werden müssen. Denn auch auf Arkana und ihre Araukaner, männlich wie weiblich, konnte es eines Tages zukommen, sich gegen einen mächtigeren Feind behaupten zu müssen. Das aber vermochte die „Mocha II.“ nicht – denn auch ihre Bewaffnung, sechs 17-Pfünder und vier Drehbassen, reichte dazu nicht aus. Hinzu kam auch noch, daß die alte Galeone alles andere als ein schneller Segler war. Und da hatte auch die ganze Kunst des alten Ramsgate nicht viel zu ändern vermocht, auch wenn die neue Takelage ihr nur einige Meilen mehr in der Stunde verschaffte.

Die „Mocha II.“ war und blieb, gemessen an den anderen Schiffen der Schlangeninsel, das schwächste Glied in der Verteidigungskette.

Arkana wußte das. Und natürlich hatte sie Hesekiel Ramsgate recht gegeben, daß die „Mocha II.“ durch einen Neubau ersetzt werden mußte, und sie gedachte auch, dieses Problem nach ihrer Rückkehr sofort mit ihm zu besprechen. Aber da war noch jener rätselhafte Auftrag, den sie vom Schlangengott, tief im Innern des Tempels, erhalten hatte.

„Besteige dein Schiff, Arkana“, hatte der Schlangengott gesagt. „Segle in Richtung Südwest. Der Schlangeninsel droht Gefahr, schwerer und schlimmer als jemals zuvor. Du wirst diejenige sein, die sie erkennt …“

Alles Fragen hatte nichts geholfen, nur die grünen Augen des Schlangengottes leuchteten immer zorniger, je mehr Arkana zu erfragen versuchte. Und schließlich glommen sie abermals auf, schienen den ganzen Tempel mit ihrem drohenden grünen Licht zu erfüllen, und Arkana hatte das Gefühl, daß tausend brennende Augenpaare sie zugleich anstarrten.

Da sank sie vor der Statue des Schlangengottes inmitten der züngelnden Flammen des heiligen Feuers, das die Statue kreisförmig umgab und von ihr wie vor jeder Meditation mit dem Schlangengott entzündet worden war, in sich zusammen.

„Tu jetzt, was ich dir sage. Arkana. Nimm einen Teil deiner Kriegerinnen mit. Ihr werdet Schweres erdulden, es wird eine harte Prüfung sein, die ich euch auferlege, aber nur so vermag ich euch und allen, die eure Freunde sind, zu helfen …“

Die Augen des Schlangengottes erloschen, zugleich mit ihnen auch die Flammen des heiligen Feuers – und so segelte Arkana mit dem nächsten Mahlstrom durch den Felsendom hinaus aufs weite Meer. Aber niemand wußte um den Auftrag, den ihr der Schlangengott gegeben hatte. Alle, die sich auf der Schlangeninsel befanden und ihr nachblickten, dachten, daß es sich um eine Erprobungsfahrt der überholten „Mocha II.“ handelte.

Das alles ging Arkana durch den Kopf, als Tatona sie ansprach. Und so dauerte es eine Weile, ehe sie antwortete.

„Der Schlangengott hat nicht befohlen, wohin wir zu segeln haben. Vielleicht schickt er uns dieses Unwetter, und deshalb wird es auch seinem Willen entsprechen, daß wir die nächstgelegene Insel anlaufen, um dort Schutz zu suchen. Veranlasse das alles, Tatona, du weißt, welche Insel wir vielleicht noch erreichen können. Wir laufen dort in jene Bucht ein, in der wir schon einmal vor einem Sturm Zuflucht gesucht haben …“

Tatona, schlank und bildschön wie alle Kriegerinnen der Tempelwache, nickte. Sie kannte Arkana schon lange, und sie war auch die älteste Kriegerin der Tempelwache. Tatona war noch auf der Insel Mocha geboren worden, sie hatte wie Arkana den Kampf um die Todesbucht an der Seite des Seewolfs miterlebt und auch die Befreiung Arauas aus den Händen des machtgierigen Alkalden, als der Seewolf die Mocha-Insel zum zweitenmal anlief und von der Existenz seiner kleinen Tochter Araua erfuhr …

Tatona war neben Araua die engste Vertraute Arkanas, sie teilte mit ihr alle Geheimnisse. Jetzt gab sie die nötigen Anweisungen, während Arkana wie geistesabwesend auf dem Achterdeck stand. Aber dieser Eindruck, das wußte Tatona nur zu gut, täuschte, denn Arkanas Sinne waren gerade jetzt hellwach. Sie befand sich in jenem Zustand, der das Vorstadium zur Meditation mit dem Schlangengott bildete.

Flüchtig erschien das Bild Arauas vor Tatonas geistigem Auge. Bei Araua war vieles anders als bei ihrer Mutter Arkana. Sie vermochte bisweilen ohne jede Meditation Verbindung zum Schlangengott aufzunehmen. Er konnte ihr von einer Sekunde zur anderen erscheinen. Ein Vorgang, der bei Arkana nur recht selten zu verzeichnen war.

Doch dann mußte Tatona sich auf die Führung der „Mocha II.“ konzentrieren. Der Himmel hatte sich nun bezogen, die ersten Blitze zuckten vom Firmament ins Meer hernieder, begleitet vom krachenden, betäubenden Donner, der ihnen folgte. Die ersten harten Böen griffen nach der „Mocha II.“ und ließen sie weit nach Backbord krängen.

Auf einen Befehl von Tatona enterten die Schlangenkriegerinnen auf und bargen einen Teil der Segel. Gerade noch rechtzeitig, denn kaum, daß sie sich wieder an Deck befanden, setzte der Sturm ein. Ein düsterer, violetter Schimmer lag über der See, ein gespenstisches Leuchten, wie aus den Grüften ungezählter Toter geboren.

Arkana riß sich aus ihrer Meditation, denn der Schlangengott schwieg. Sie trat an die Schmuckbalustrade. Tatona und sie kannten diesen Teil der Karibik genau. Die Insel mußte schon bald vor ihnen auftauchen. Das düstere Leuchten und das grelle, gleißende Licht, das die immer wieder herniederzuckenden Blitze abgaben, ermöglichte es ihnen, trotz der bereits untergegangenen Sonne und der in diesen Breiten schnell einfallenden Dunkelheit die an der Kimm auftauchende Silhouette der von ihnen angesteuerten Caicos-Insel zu erkennen. Sie sollte später einmal den Namen Providenciales erhalten.

„Wir schaffen es noch, bevor das Unwetter richtig losbricht, Arkana!“ sagte Tatona und klammerte sich im gleichen Augenblick an einem der inzwischen gespannten Strecktaue fest, als eine gigantische Woge von achtern heranrollte und die „Mocha II.“ fast bis in den Himmel zu heben schien.

Brecher fluteten über die Decks, Rufe erschallten, aber dann lief das Wasser auch schon gurgelnd und zischend durch die Speigatten ab.

Der Sturm nahm jetzt rasch an Stärke zu. Er heulte in den Wanten, in den Pardunen und Stagen, und die „Mocha II.“ begann schwer in der groben See zu arbeiten.

Sie erreichten die Einfahrt der Bucht, noch bevor das Unwetter, das nun mit seinen wild quirlenden Wolken den ganzen Himmel überspannte, voll losbrach. Aber die Araukanerinnen wußten auch, daß zu langwierigen Manövern in der Bucht jetzt keine Zeit mehr blieb. Die Schlangenkriegerinnen enterten abermals auf, um auch die restlichen Segel zu bergen, während eine andere Gruppe den Anker ausrauschen ließ, als Arkana den Befehl dazu gab.

Die „Mocha II.“ wurde von der Ankertrosse gestoppt. Durch das Schiff ging ein Ruck, es knarrte und ächzte in allen Verbänden, und unablässig zuckten Blitze hernieder, heulten Sturmböen in die Bucht. Vom offenen Meer drückte der Sturm das Wasser in die Bucht, donnernd brachen sich gischtende Brecher an den Klippen.

Dann, als sich die Schlangenkriegerinnen und ihre Hohepriesterin bereits in Sicherheit wähnten, geschah es: Eine gigantische Woge wälzte sich aus der Karibik heran. In den düstern Lichtern des auf unheimliche, gespenstische Art glühenden Himmels leuchtete die Gischtkrone durch die Dunkelheit. Die Woge wurde vom hohlen Brausen des Sturms begleitet, und sie war so gewaltig, daß sie die der Bucht vorgelagerten Klippen glatt überrollte und gischtend und donnernd in die Bucht stürmte. Himmelhoch schoß der Gischt bei dem Anprall empor.

Arkana, Tatona und die anderen sahen sie. Aber es war viel zu spät, um irgend etwas gegen diese Urgewalt zu unternehmen, und sie wußten, es. Sie spürten, wie die gigantischen Wassermassen die „Mocha II.“ packten, wie sie das Schiff hochhoben, und sie hörten, wie die Ankertresse mit berstendem Knall brach.

Arkana und Tatona klammerten sich auf dem Achterdeck fest, die anderen Schlangenkriegerinnen suchten sich Halt zu verschaffen, wo sie ihn gerade noch erwischten.

Sie hatten noch einmal Glück, denn die Galeone schwamm auf der Woge dahin wie ein Korken. Aber sie wurde auch herumgewirbelt wie ein Kreisel, Titanenfäuste hatten sie ergriffen und trieben ihr wildes Spiel mit ihr.

Der Rumpf, die Planken, das stehende wie das laufende Gut ächzte und stöhnte, und Arkana wußte, daß dies die Todesstunde der „Mocha II.“ sein würde.

Die Woge erreichte das Ufer. Sie warf die „Mocha II.“ wie ein Spielzeugschiff zwischen die Klippen. Viele der Araukanerinnen wurden über Bord geschleudert. Sie trug das wirbelnde, gischtende Wasser zwischen den zerklüfteten Felsen noch weiter zum Strand hinauf. Dann prallte die „Mocha II.“ auf die Klippen. Es war wie ein gewaltiger Donnerschlag. Der Fock- und der Großmast zersplitterten unter der Wucht dieses Aufpralls, der Rumpf zerplatzte wie eine Nußschale unter dem Hieb eines Schiffshauers. Drei der 17-Pfünder rissen sich aus ihren Laschungen, und auch die Brooktaue hielten dieser plötzlichen Belastung nicht stand. Mit ungeheurer Wucht wurden sie in die Aufbauten des Achterkastells katapultiert und schlugen die schweren Bohlen des Achterkastells kurz und klein. Eine der Kanonen durchschlug anschließend die Bordwand an Steuerbord und verschwand zwischen den Felsen im gurgelnden Wasser. Die anderen beiden Kanonen blieben in den Trümmern des Achterkastells stecken.

Arkana und Tatona klammerten sich immer noch an einem der Strecktaue fest. Es war die Hölle, die sie erlebten. Wassermassen überfluteten ihre Körper, zerrten an ihnen, und sie wußten, daß sie nicht loslassen durften, wenn sie überleben wollten.

Dann traf der nächste Schlag die „Mocha II.“. Er war so gewaltig, daß sowohl Arkana als auch Tatona den Halt verloren und vom Achterdeck aufs Hauptdeck hinabgeschleudert wurden. Zwischen den Trümmern von Masten, Rahen, Stengen, Segeltuch, zwischen dem Gewirr der einstigen Wanten, Pardunen und Stagen blieben sie wie betäubt liegen. Und daß sie auch diesen Sturz noch überlebten, das war wie ein Wunder.

Dann setzte der trommelnde Regen ein, während die Wassermassen der gigantischen und für die „Mocha II.“ tödlichen Woge gurgelnd und gischtend in die Bucht zurückquirlten.

Tatona und Arkana rappelten sich auf. Sie mußten von diesem Schiff zum Land hinüber, und zwar so schnell wie möglich. Eine weitere Woge, die die Klippen am Eingang der Bucht übersprang, würde die „Mocha II.“ vollständig zertrümmern, das aber würde niemand, der sich noch an Bord befand, überleben.

„Du an Backbord, ich an Steuerbord!“ sagte Arkana zu Tatona, die sich eben aus den Trümmern wieder hochquälte. Tatona wußte sofort, was Arkana meinte – sie mußten das Hauptdeck nach Überlebenden absuchen, bevor sie das Schiff verließen. Verletzte oder Bewußtlose galt es zu bergen …

Die beiden Araukanerinnen nutzten das gleißende Licht der pausenlos herniederzuckenden Blitze, um nach weiteren Überlebenden zu suchen. Im Getöse der hallenden Donnerschläge und unter den aus den jagenden Wolken herniederprasselnden sintflutartigen Regenfluten, die fast das Atmen zur Unmöglichkeit werden ließen, gelang es ihnen, etliche der Schlangenkriegerinnen aus den Trümmern zu bergen. Lebend – und wie durch ein Wunder nahezu unverletzt. Einmal war es Arkana und Tatona, als ob sie die grünen, glühenden Augen des Schlangengottes anstarrten, während sie mehr und mehr ihrer Kriegerinnen um sich scharten und dann schließlich das Wrack der „Mocha II.“ verließen.

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