Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 226»

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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-562-0

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

1.

Die Rufe der Männer, das Hämmern und Klopfen der Äxte und Dechseln und das schrille Quietschen der Lenzpumpe übertönten sogar den scharfen Nordwester, der über die Bucht der kleinen Felseninsel pfiff.

Die Bucht, in der der Seewolf die „Isabella VIII.“ hatte kielholen lassen, war zwar gegen Norden vor dem Wind geschützt, aber das rauhe Meer bereitete den Männern, die vom vertäuten Floß aus die Arbeit von Ferris Tucker unterstützten, ziemliche Schwierigkeiten.

Am gestrigen Abend hatten sie mit den Vorbereitungen zur Ausbesserung der Galeone begonnen, und jetzt, nachdem fast vierundzwanzig Stunden vergangen waren, hatten sie die gröbste Arbeit fast beendet.

Der Seewolf stand auf der felsigen Erhebung, die das Schiff vor Sicht von der größeren Insel, die nur drei Seemeilen von ihnen entfernt war, abschirmte. Er blickte hinunter in die kleine Bucht mit dem schmalen Kiesstrand, der schon nach wenigen Yards steil ins Meer fiel.

Er war froh, daß sie gezwungen gewesen waren, dieses kleine Felseneiland anzulaufen. Es hatte sich als ideal erwiesen, das Leck der „Isabella“ auszubessern und abzudichten. Es gab zwar außer ein paar verkrüppelten Büschen, die dem scharfen Seewind trotzten und ihre Wurzeln in Felsspalten verkrallten, keine Vegetation, aber Ferris Tucker hatte genügend Material an Bord, um die Reparatur ausführen zu können. Da sie am Morgen schon Trinkwasser an Bord genommen hatten, brauchte Hasard nicht die Jolle zur größeren Insel hinüberzuschicken. Er hoffte, daß sie hier unentdeckt blieben, bis sie ihre Arbeit am Rumpf der Galeone beendet hatten.

Der Seewolf dachte an den Morgen des gestrigen Tages zurück, als sie die breite Flußmündung der kleinen Jungferninsel fluchtartig hatten verlassen müssen, weil eine Piraten-Karacke auf sie zugehalten hatte.

Fast wäre sein, Hasards, Zögern ihnen zum Verhängnis geworden. Sie hatten der Karacke im letzten Augenblick den Groß- und Besanmast zerschießen können, aber selbst dieses große Loch unter der Wasserlinie eingefangen.

Sie hatten nicht zurück zur Insel gekonnt, um die Männer wieder an Bord zu nehmen, die noch an Land gewesen waren, um nach eßbarem Wild zu jagen.

Hasard preßte die Lippen aufeinander. Die Zwillinge wären bei Matt Davies, Stenmark, Blacky, Batuti und dem Kutscher gewesen. Sie hatten ihn wieder einmal so lange gequält, bis er ihnen die Erlaubnis gegeben hatte, mit den anderen an Land zu gehen. Und jetzt saßen sie allein auf der Insel, in deren Flußmündung wahrscheinlich die havarierte Piratenkarake vor Anker gegangen war, um ihre Schäden in der Takelage auszubessern.

Der Seewolf wußte, daß ihm keine andere Wahl geblieben war, als davonzusegeln, wenn er die „Isabella“ und die Mannschaft nicht in eine tödliche Gefahr bringen wollte. Sie hatten alle gesehen, daß mehr als hundert Mann auf der Karacke gewesen waren, und einen Kampf an Land hätte kein Mann der „Isabella“ überlebt.

Er hoffte, daß Matt Davies und die anderen klug genug waren, sich vor den Piraten zu verbergen, bis die „Isabella“ wieder vor der Flußmündung auftauchte.

Der Seewolf schüttelte den Kopf. Es hatte keinen Sinn, darüber nachzudenken, wie es seinen Zwillingen und den Männern ergangen war. Sie mußten ihr Leck abdichten und so schnell wie möglich zurücksegeln. Mit einem intakten Schiff brauchten sie sich vor den Piraten nicht zu verstecken.

Er blickte hinunter in die kleine Bucht. Noch am vergangenen Abend, als sie das Felseneiland erreicht hatten, war Ferris Tucker an Land gegangen und hatte die Punkte bestimmt, an denen er das Marsfall des Groß- und des Vormastes verankern wollte. Bei Einbruch der Dunkelheit hatte Hasard die Arbeit einstellen lassen, da er kein Feuer anzünden wollte, durch das vielleicht irgend jemand von der drei Seemeilen entfernten größeren Insel angelockt werden könnte.

Sie hatten kaum schlafen können, denn halbstündlich hatten sie sich an den Lenzpumpen abwechseln müssen.

Beim ersten Lichtschimmer hatten sie die „Isabella“ gekrängt. Ferris Tucker hatte ein Dutzend Langhölzer, die er für Masten und Spieren mitführte, vor den Kiesstrand gelegt, damit die Steuerbordseite der Galeone nicht beschädigt wurde. Dann hatten sie die Marsfallen durch die Taljen gezogen und die tiefgehende „Isabella“ auf die Seite gezogen, bis das Leck an Backbord über der Wasseroberfläche lag.

An den Fußpunkten der Marsfallen am Ufer hatte Ferris Tucker auch die Taue mit zwei Taljen befestigt, die von Backbord unter dem Rumpf der Galeone hindurchliefen. Damit wollte er verhindern, daß die Galeone durch einen heftigen Windstoß oder zu starke Brandung auf die Seite kippte.

Al Conroy und Sam Roskill hatten zwei Ablaufmulden hergestellt, durch die das herausgepumpte Wasser an den Kiesstrand lief.

Als Floß diente die Gräting über der Frachtluke, die Ferris Tucker mit Brettern belegen und mit Rundhölzern an den Seiten verstärken ließ. Als er mit Carberry, Ben Brighton und Hasard das Floß an seinen Platz brachte, stöhnte er unterdrückt und fluchte dann lauthals.

Das Loch in der Bordwand war groß wie ein Stalltor.

Auch Hasard war entsetzt gewesen, aber nachdem Ferris Tucker den Schaden genauer in Augenschein genommen hatte, schien alles nicht mehr so schlimm zu sein. Sie hatten Glück im Unglück gehabt.

Von den Spanten der Galeone war nur eine angeknackt. Der Schaden daran würde sich so beheben lassen, daß es mindestens ein Jahr hielt, wenn die „Isabella“ nicht inzwischen in zehn Wirbelstürme geriet.

In dem kleinen Frachtraum im Vorderschiff sah es wüst aus. Aber das konnte in Ordnung gebracht werden. Jetzt ging es nur darum, das Leck so weit abzudichten, daß die „Isabella“ wieder see- und gefechtstüchtig war.

Ferris Tucker begann zu messen, und Hasard notierte die Zahlen, die ihm der Schiffszimmermann aufgab. Dann war Ferris Tucker nicht mehr zu halten. Er ließ die Mannschaft an Land antreten, bis auf Al Conroy und Sam Roskill, die für die Pumpen zuständig waren, und teilte die Männer mit seiner dröhnenden Stimme ein. Vielleicht hätte so mancher gemeutert, doch jeder wußte, daß sie sich keine Zeit lassen durften, wenn sie die Zwillinge, Matt Davies und die anderen lebend wiedersehen wollten.

An diesem Abend waren sie kaputt wie lange nicht mehr. Da sie auch jetzt kein Feuer außerhalb des Schiffes anzünden wollten, konnten die meisten Männer sich ausruhen. Nur Ferris Tucker, der Seewolf und Carberry gönnten sich keine Ruhe. Sie arbeiteten im Schiff und legten letzte Hand an, um die Planken von innen an die Spanten zu schlagen und die äußeren Planken zurechtzuschneiden. Erst weit nach Mitternacht legten auch sie sich zur Ruhe. Der Seewolf wußte, daß sie mit ihren Kräften haushalten mußten. Vielleicht wartete auf der kleinen Insel, auf der sie ihre Leute hatten zurücklassen müssen, ein harter Kampf auf sie.

Hasard war am Morgen als erster wieder auf den Beinen. Er weckte Carberry und Ben Brighton und erklärte ihnen, daß er noch an diesem Abend wieder in See gehen wolle. Wenn sie Glück hatten und der Wind seine Richtung beibehielt, konnten sie in der Nacht bis kurz vor die Insel segeln.

Sie ließen Ferris Tucker noch schlafen. Jeder wußte, was er zu tun hatte. Zu viert waren Jeff Bowie, Bob Grey, Bill und Big Old Shane auf dem Floß und begannen damit, die innere Beplankung von außen zu kalfatern. Auf dem Floß stand ein großer Topf, in der eine Mischung aus Pech und Werg kochte, das die Männer in die Nähte und auf die Planken brachten und dann in Brand setzten, damit es sich mit den Planken verband.

Sie grinsten, als sie am Strand plötzlich die fluchende Stimme von Ferris Tucker vernahmen. Die helle Stimme von Dan O’Flynn hallte zu ihnen herüber.

„Na, gut geschlafen, Ferris?“

Holz polterte an Deck. Arwenack, der Schimpanse, begann wild zu kekkern, und Dan lachte.

„Du solltest dich noch ein bißchen aufs Ohr hauen, Ferris!“ rief er. „So früh am Morgen kannst du noch nicht richtig zielen.“

Die Stimme des Seewolfs unterbrach ihn.

Die Männer auf dem Floß hämmerten weiter das Werg in die Fugen zwischen den Planken und schmierten die Mischung aus Pech und Werg darauf. Mit Kalfatereisen und Pechhammer klopften sie es glatt.

Ferris Tucker tauchte mit hochrotem Kopf am Backbordschanzkleid über ihnen auf und ließ sich an einem Tampen zu ihnen herunter. Er besah sich die Arbeit der Männer und nickte grimmig.

Big Old Shane klopfte ihm auf die Schulter.

„Reg dich doch über den Bengel nicht auf, Ferris“, sagte er. „Er meint es nicht so. Jeder weiß, daß du bis in die Nacht geschuftet hast. Wir haben dir den Schlaf gegönnt.“

Ferris Tucker knurrte etwas vor sich hin, das sich wie „mit den Ohren an den Bugspriet nageln, bis ihm der Wind die Flausen aus dem Kopf geblasen hat“ anhörte.

Smoky und Carberry pullten das Boot um den Rumpf der Galeone und brachten die Planken heran, die Ferris Tucker in der Nacht mit Hasard zurechtgeschnitten hatte. Als die Männer mit dem Kalfatern der inneren Planken fertig waren, begann Ferris damit, die äußeren Planken aufzunageln. Schon gestern hatte er das Leck sauber ausgeschnitten und das Hängeknie des Unterdecks an der beschädigten Spante ausgewechselt.

Im Vorschiff hinter dem Leck rumorte es. Sie hörten das Fluchen Dan O’Flynns, und jetzt grinste Ferris Tucker.

„Was sucht der denn da unten?“ fragte Bill.

„Er hat Befehl vom Seewolf, den Laderaum aufzuklaren“, sagte Ferris Tukker. „Dabei kann er gleich unsere Ratten zählen und sich im Bilgenwasser die dreckigen Füße waschen.“

„Das kann ihm nicht schaden“, meinte Big Old Shane und hämmerte wieder auf das Werg ein, als ob es darum ginge, den Rumpf der „Isabella“ für alle Zeiten abzudichten.

Eineinhalb Tage hatte der Seewolf Ferris Tucker gegeben, um das Leck auszubessern, und er schaffte es tatsächlich. Kurz nach dem Mittag des zweiten Tages waren die Männer mit dem Kalfatern der äußeren Planken fertig. Sie zogen das Floß an den Kiesstrand und bauten es auseinander.

Alle anderen Männer wurden von Carberry an die Taue befohlen, mit denen die „Isabella“ wieder in ihre alte Lage zurückgebracht wurde. Die Taljen der Marsfallen knarrten und quietschten.

Die Männer standen schon mit den Beinen im Wasser, aber die auflaufende Flut war günstig für sie. Nachdem sie die Taljen aus ihren Verankerungen gelöst hatten, klarten sie den Strand auf, daß kaum eine Spur zurückblieb.

Der Seewolf stand schon auf dem Achterdeck, als Bill als letzter Mann über das Schanzkleid kletterte.

Ben Brightons Gesicht sah sorgenvoll aus. Er hatte wie Hasard bemerkt, daß der Wind allmählich drehte. Es sah so aus, als würden sie wesentlich mehr Zeit brauchen, zur kleinen Insel zu segeln, auf der sie die anderen zurückgelassen hatten, als auf der Herfahrt.

„Es nutzt nichts“, sagte der Seewolf gepreßt. „Wir können nur hoffen. Vielleicht haben die Piraten es nicht eilig gehabt. Dann liegen sie noch in der Flußmündung, wenn wir dort aufkreuzen.“

„Mal nicht den Teufel an die Wand“, erwiderte Ben Brighton.

2.

An Bord der „L’Exécuteur“ herrschte Stille. Alles wartete darauf, daß sich die Sonne über den flachen Hügel schob, dessen Hänge sanft ins Meer glitten.

In der Kuhl standen acht Männer nebeneinander, die Hände auf dem Rücken gefesselt, die Gesichter verzerrt vor Angst oder Trotz.

Matt Davies, Stenmark, Blacky und Batuti hielten sich abseits von den Männern Le Requins, die grinsend auf die acht Gefesselten starrten und nur auf das Wort ihres Anführers warteten, um mit ihrem schaurigen Werk zu beginnen.

Matt Davies starrte zum Quarterdeck hinauf, aber vom Kutscher war ebenso wenig zu sehen wie vom Kapitän des Piratenschiffes, der seit gestern Le Requin hieß. Der ehemalige Bootsmann hatte mit einer bis ins Letzte durchdachten Aktion die weit in der Überzahl gewesenen Anhänger des Comte de Fauvenoir überrumpelt und ausgeschaltet. Dann hatte er eigenhändig den verrückten Comte getötet.

Es war ein Akt der Notwehr gewesen, denn der Comte hatte in den letzten Jahren immer wieder andere Piraten an die Spanier verraten und sich damit seine eigene Sicherheit erkauft. Irgendwie war etwas durchgesickert, und mehr als ein Dutzend Kapitäne anderer Piratenschiffe hatten sich zusammengetan, um den Comte zur Hölle zu jagen.

Le Requin, der als Bootsmann auf der „L’Exécuteur“ nichts vom Verrat des Comte gewußt hatte, erhielt von den anderen Piraten eine Gnadenfrist. Er sollte durch eine Meuterei das Schiff in seine Gewalt bringen und den Comte und dessen Gefolgsleute töten. Wenn ihm das nicht gelang, würde er mit allen anderen zusammen sterben.

Le Requin hatte ein blutiges Gemetzel veranstaltet, um nicht selbst auf der Strecke zu bleiben. Von der Mannschaft, deren Stärke über hundert Mann betragen hatte, war nicht einmal die Hälfte übriggeblieben.

Die letzten acht Anhänger des Comte, die in der Nacht versucht hatten, das Blatt noch einmal zu wenden, standen jetzt auf der Kuhl und warteten darauf, daß das über sie verhängte Urteil vollstreckt wurde.

Le Requin hatte die Mannschaft das Urteil sprechen lassen, und um niemanden in seiner Entscheidung zu beeinflussen, war die Entscheidung jedes einzelnen geheim geblieben. Le Requin hatte sie einzeln in eine Kammer gehen lassen. Dort mußten sie an einem Rundholz eine Kerbe mit einem Messer anbringen, wenn sie für den Tod der Anführer stimmten.

Von den zweiundfünfzig Männern, die sich an Bord der „L’Exécuteur“ befanden, hatten sechsundvierzig mit einer Kerbe für den Tod der Gefangenen gestimmt. Matt Davies wußte, daß die Männer von der „Isabella“ keine Kerbe in das Holz geschnitzt hatten. Auch der Schotte, der von Le Requin zum neuen Profos bestimmt worden war, wußte es. Er akzeptierte die Entscheidung der Neuen, die einen großen Anteil daran hatten, daß die Pläne Le Requins so reibungslos abgelaufen waren.

Ein Pirat, der nicht älter als sechzehn Jahre war, trat mit einer armlangen Fanfare vor und blies hinein. Klar hallten die Töne durch die kühle Morgenluft. Der letzte Ton war noch nicht verklungen, als die ersten Sonnenstrahlen über den Hügeln im Osten zuckten und die acht Männer auf der Kuhl blendeten.

Die Piraten begannen begeistert zu brüllen, als Le Requin an die Balustrade des Quarterdecks trat und das Zeichen gab, daß die Hinrichtung beginnen könne.

Batuti, der neben Stenmark am Steuerbordschanzkleid lehnte, sah, wie sich die Brettertür zum Verschlag unter dem Quarterdeck langsam öffnete. Ein schwarzer Haarschopf tauchte in mittlerer Höhe der Tür auf.

Mit ein paar Schritten war der Gambia-Neger am Verschlag, seine mächtige Pranke zuckte vor und kriegte ein kleines Ohr zu fassen.

„Du verdammter Bengel nix zugucken“, sagte er grollend und drehte das Ohr etwas.

Hasard begann zu jaulen.

„Laß los, du Affe!“ brüllte er. „Du reißt mir das Ohr ab!“

„Du versprechen, nix öffnen Tür?“ fragte Batuti.

„Ja, verdammt!“

„Gut!“ Batuti ließ los und gab dem Jungen einen Stoß, daß er zurück in den Raum taumelte. Dann knallte er die Brettertür zu und stellte sich breitbeinig davor.

Er sah, wie die acht Delinquenten zum Quarterdeck hinaufgeführt wurden. Er konnte nicht sehen, was dort vor sich ging, aber er wußte, daß die Piraten ihren ehemaligen Kumpanen dort die Schlingen um die Hälse legen würden, die von der Großrah herabbaumelten. Dann würden sie sie auf die Balustrade stellen und hinunter auf die Kuhl stürzen.

Batuti hatte kein Verlangen danach, den Tod der Männer mitzuerleben. Er war ein Naturkind, dem Leben, Sterben und auch Töten nichts Neues war, aber diese Art von Sterben hatte er erst bei den Weißen kennengelernt, und sie war ihm immer widerwärtig geblieben, ganz gleich, ob die Leidtragenden den Tod verdient hatten oder nicht. Es war entwürdigend für einen Menschen, auf diese Weise zu sterben.

Er hörte das Schreien, das ihm in den Ohren weh tat. Dann war es für einen Augenblick still, bis die Piraten in der Kuhl begeistert zu brüllen begannen. Batuti sah ein paar nackte Füße hin und her schwingen, als er einen kurzen Blick nach oben warf.

Er hoffte, daß Le Requin befehlen würde, die Erhängten sofort abzunehmen und sie nicht, wie es bei den Piraten oftmals üblich war, noch ein paar Stunden oder sogar Tage hängen zu lassen.

Nach ein paar Minuten war alles vorbei. Der Schotte scheuchte die Männer wieder an die Arbeit. Großstenge und Großbramstenge waren fertig und brauchten nur noch montiert zu werden.

Batuti mischte sich unter die Männer, die die Großstenge aufrichteten. Er sah, wie zwei Männer das Gangspill bedienten und die Großrah abfierten, an dem die Hingerichteten hingen. Die Toten wurden abgenommen und in ein Boot verfrachtet, das an der Backbordseite der Karacke lag.

Dann pullten vier Männer ans Ufer und schleppten die Leichname ihrer ehemaligen Kumpane an Land. Wahrscheinlich hatten die Männer den Befehl, die Toten zu begraben.

Le Requin rief den Schotten zu sich aufs Quarterdeck. Batuti wunderte sich ein wenig, denn der Profos war im Moment der wichtigste Mann auf der Kuhl.

Der Gambia-Neger kriegte große Augen, als der Schotte auf ihn zutrat und sagte: „Du vertrittst mich, bis ich wieder zurück bin. Wenn einer die Schnauze aufreißt, hau ihm eins drauf. Ich will, daß bis zum Mittag alles erledigt ist und wir auslaufen können.“

„Aye, aye!“ sagte Batuti. Er blieb wie erstarrt stehen, bis der Schotte die Stufen zum Quarterdeck hinaufgegangen und unter der Poop verschwunden war.

Das meckernde Lachen eines Piraten brachte ihn wieder zur Besinnung.

Er drehte sich um und blickte den krummbeinigen kleinen Mann an, der ihm grinsend entgegenblickte.

„Du was auf Schnauze?“ fragte Batuti mit rollenden Augen und hob seine mächtige Faust.

Der Pirat wandte grinsend den Kopf zu seinen Kumpanen, aber als er sah, daß er von ihnen keine Hilfe zu erwarten hatte, preßte er die Lippen aufeinander und zog den Kopf zwischen die Schultern.

Matt Davies, Stenmark und Blacky grinsten sich an. Sie hatten es schon weit gebracht bei den Piraten. Erst wurde der Kutscher zum Aufklarer des Kapitäns befördert, und jetzt war einer von ihnen der Vertreter des Profos. Daß der Schotte Batuti die Aufgabe übertragen hatte, hing wohl damit zusammen, daß der Neger ihm schon ein paarmal während der beiden letzten Tage das Leben gerettet hatte.

Matt nahm sich vor, Batuti bei seiner Aufgabe den Rücken freizuhalten. Er wußte, wie schwer es ein Mann hatte, der erst kurz auf einem Schiff war, sich gegen die alte Besatzung durchzusetzen, aber nachdem Matt sah, wie Batuti die Piraten scheuchte und mit klaren Anweisungen an den richtigen Stellen einsetzte, pfiff er leise durch die Zähne. Wieder einmal bewahrheitete sich der alte Spruch, daß ein Mann mit seinen Aufgaben wuchs.

„He, Matt, nix träumen!“ brüllte Batuti. „Du gehen mit Stenmark und Blakky auf Saling und kümmern dich um Untereselshaupt!“

„Aye, aye, Profos!“ erwiderte Matt zackig und enterte blitzschnell die Großwanten.

„Wenn der so weitermacht, ist er bald Kapitän“, murmelte Blacky, der hinter Matt auf die Saling kletterte.

„Laß ihn das nicht hören“, sagte Stenmark grinsend, als er neben den beiden anderen stand, „sonst du kriegen was auf Schnauze.“

Sie grinsten sich an, doch dann blieb ihnen keine Zeit mehr, sich über Batutis Energie zu wundern. Sie wuchteten mit den anderen Piraten die Großstenge in die Mastbakken und waren in Schweiß gebadet, als sie endlich das Untereselshaupt, das die Großstenge hielt, auf den Großmast gebolzt hatten.

Der Kutscher hatte sich nicht schlecht gewundert, daß Le Requin an diesem Morgen mit dem Bootsmann Nicolas Colter und dem Schotten eine Besprechung abhielt. Anscheinend hatte der Kapitän der „L’Exécuteur“ nicht vor, sich an das zu halten, was er mit den anderen Piratenkapitänen vereinbart hatte.

Er hatte damit gerechnet, daß Le Requin ihn hinausschicken würde, wenn die Besprechung begann, aber der Riese schien sich zu denken, daß ja sowieso niemand an Bord der „L’Exécuteur“ eine Möglichkeit haben würde, irgend etwas an irgend jemanden zu verraten.

„Wir haben noch zwei Wochen Zeit, um bei den Abrojos aufzukreuzen“, sagte er zu Nicolas Colter und dem Schotten. „Ich bin mir darüber im klaren, daß wir nach dem Angriff auf die Silberschiffe der Dons nicht mehr nach Port Caché zurückkehren können, weil die Spanier unsere Siedlung sofort angreifen werden, nachdem sie wissen, daß die Informationen des Comte falsch gewesen waren.“

„Du meinst, der Comte hatte sie schon benachrichtigt?“ fragte der Schotte. „Aber niemand hatte die Siedlung verlassen, bevor wir ausgelaufen sind.“

„Das war immer so“, erwiderte Le Requin, „dennoch wußten die Spanier Bescheid. Der Comte muß einen Mittelsmann in Port Caché haben, der die Spanier benachrichtigt, wenn wir ausgelaufen sind.“

„Wir alle haben noch eine Menge Sachen in Port Caché, an denen wir hängen“, murmelte Nicolas Colter. „Und was wird aus unseren Weibern?“

Le Requin nickte.

„Das ist der Grund, warum ich euch hergerufen habe“, sagte er. „Wir segeln nicht von hier aus zu den Turks-Inseln, sondern nach Port Caché.“

Einen Augenblick blieb es still, dann sprangen Nicolas Colter und der Schotte mit strahlenden Gesichtern auf.

„Wenn ich den Männern das erzähle, stehen sie wie ein Mann hinter dir, Le Requin“, sagte der Schotte. „Sie haben schon geglaubt, sie müßten alles aufgeben, was sie in Port Caché zurückgelassen haben.“

Der Kutscher schenkte den dreien die Gläser mit Wein voll, damit sie sich zuprosten konnten, dann verließ er mit der leeren Karaffe die Kapitänskammer. Keiner der drei nahm von ihm Notiz.

Die Gedanken des Kutschers jagten sich. Was war, wenn die „Isabella“ erst Stunden oder sogar Tage später hier eintraf, um sie wieder an Bord zu nehmen? Ihnen würde keine andere Wahl bleiben, als sich auf eigene Faust bis zur Schlangen-Insel durchzuschlagen. Aber das war leichter gesagt als getan. Mit fünf Mann und den Zwillingen konnten sie sich schlecht eine Galeone oder auch ein kleineres Schiff unter den Nagel reißen.

Der Kutscher huschte in seine Kammer, die gleichzeitig als Kombüse diente, und entwickelte eine fieberhafte Tätigkeit. Er wollte ein Zeichen für die zurückkehrende „Isabella“ hinterlassen. Vielleicht würde der Seewolf es finden. Dann wußte er wenigstens, daß seine Zwillinge und die fünf Männer noch am Leben waren.

Mit einem Stück Holzkohle malte der Kutscher seine Zeichen und Buchstaben auf ein Stück Leinen. Er wußte nur, daß Port Caché, die Siedlung der Piraten, im Süden Espanolas lag, aber für den Seewolf war erst einmal die Richtung wichtig, die das Piratenschiff nahm. Dann schrieb er noch auf, was die Piraten südlich der Turks-Inseln bei den Abrojos – oder dem Mouchoir carré, wie die Flibustier die Untiefen nannten – planten. Der Kutscher hoffte, daß sie am Angriff auf die Silberflotte nicht mehr teilzunehmen brauchten, denn nach seiner Ansicht war es aussichtslos. Er wußte, daß die Flotte von schwer bestückten Kriegsgaleonen eskortiert wurde, die die kleinen Piratenschiffe auf den Grund des Meeres bohren würden.

Der Kutscher rollte das Stück Leinen zusammen und verbarg es unter seinem Hemd. Die Frage war jetzt, wo er es deponieren konnte. Er mußte noch einmal an Land. Aber wie?

Entschlossen verließ er seine Kammer. Auf dem Gang verschwand gerade der Schotte am Niedergang zum Quarterdeck. Le Requin und Nicolas Colter befanden sich noch in der Kapitänskammer, deren Tür offenstand.

Der Kutscher trat ein und blieb neben dem Tisch stehen.

Le Requin drehte den Kopf zu ihm um.

„Was ist?“ fragte er.

„Ich wollte nur wissen, wann wir auslaufen“, sagte er.

„Der Mast wird in vier Stunden fertig sein“, sagte Nicolas Colter.

„In der Zeit könnte ich noch mit ein paar Männern auf Jagd gehen“, sagte der Kutscher. „Es gibt eine Menge Bergschafe auf der Insel, und auf der Fahrt nach Port Caché hätten wir für die Mannschaft Frischfleisch.“

Le Requin nickte.

„Drei Stunden“, sagte er und starrte den Kutscher an. „Wie heißt du eigentlich?“

„Meine Leute nennen mich Kutscher“, sagte der Kutscher. „Das kommt daher, weil …“

Le Requin winkte ab.

„Ein blöder Name“, sagte er. „Ich werde dich Jacques nennen. Der Bootsmann wird dir drei Männer zuteilen.“

Damit war die Sache für Le Requin erledigt. Er ging zu dem kleinen Kartentisch unter den Heckfenstern hinüber und holte eine Rolle aus dem Ständer an der Wand.

Nicolas Colter zog den Kutscher aus der Kapitänskammer und schloß die Tür. An Deck rief er drei Männer zu sich und befahl ihnen, den Kutscher auf der Jagd zu begleiten.

„Für jede Minute, die ihr länger als drei Stunden braucht, kassiert jeder einen Peitschenhieb, verstanden?“

Die drei Piraten starrten den Kutscher grollend an, aber der zuckte nur mit den Schultern.

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