Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 231»
Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-567-5
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
1.
Die Nacht war still und stockfinster. Die letzten Brände, die überall im Hafengebiet gelodert hatten, waren erloschen. Das Feuer hatte keine Nahrung mehr gefunden. Über Tortuga lag die Stille der verlorenen Schlacht.
Ein Bombardement wie dieses hatten die Piraten der Insel noch nie erlebt. Der Schwarze Segler, die „Isabella“ und die große, stark armierte Galeone der Roten Korsarin, „Roter Drache“, ankerten in der Hafenbucht. Ihre dunklen Silhouetten ragten drohend aus dem Wasser auf, den Rohren ihrer Geschütze entströmte noch immer eine leichte Wärme, Überbleibsel des stundenlangen Feuers, das auf Tortuga herniedergegangen war und die Piraten in ihre Schlupfwinkel zwischen den Felsen der Insel gejagt hatte.
Ausgebrannte Wracks, gekenterte Galeonen und Karacken, zerschossene Schaluppen lagen im Hafen herum, stumme Zeugen der Vergeltung, die der Seewolf, der Wikinger und die Rote Korsarin für den hinterhältigen Angriff Don Boscos auf die Schlangeninsel geübt hatten.
Am Schanzkleid der „Isabella“ lehnten Dan O’Flynn und Sam Roskill und starrten sehnsüchtig zur Küste hinüber, wo sich der Seewolf, Siri-Tong und Thorfin Njal, der Wikinger, mit ihren Crews amüsierten, um ihren Erfolg über den Schnapphahn Don Bosco und seinen mörderischen Anhang zu feiern.
Dan leckte sich die Lippen und fluchte unterdrückt.
„Ich wette, Carberry hat beim Knobeln gemogelt“, stieß er wütend hervor. „Ich hatte mit den Würfeln siebzehn Augen, und er wirft drei Sechsen!“
Sam Roskill begann zu grinsen.
„Du hättest ihn nicht mit seinen eigenen Würfeln werfen lassen dürfen“, erwiderte er.
„Du meinst …“ Dan hatte das Gefühl, vor Wut platzen zu müssen. „Dieser Hundesohn, dieser dreimal verfluchte Affenarsch! Wenn der zurück ist, werde ich ihm seine Würfel stibitzen und sie mir ansehen. Und Gnade ihm Gott, wenn sie nicht in Ordnung sind! Ich werde …“
„Reg dich nicht auf, Dan“, sagte Sam. „Wir sind doch nicht …“
„Halt deine verdammte Schnauze, oder ich polier dir die Fresse, du verdammter englischer Irentöter!“
Sam Roskill hob grinsend die Schultern und schwieg. Wenn Dan in dieser Verfassung war, mußte man ihn in Ruhe lassen. Sicher, auch er ärgerte sich, daß er Bordwache schieben mußte, statt in der „Schildkröte“ zu sitzen und Diegos Wein zu schlürfen und sich eines der feurigen spanischen Mädchen zu holen, um ihr zu zeigen, was ein Engländer alles auf die Beine stellen konnte.
Aber sie hatten nun mal das Pech gehabt, beim Knobeln zu verlieren. Sie waren nicht die einzigen.
Sam drehte sich um und suchte Batuti, der ebenfalls an Bord hatte zurückbleiben müssen, aber der Schwarze war nicht zu sehen. Wahrscheinlich hatte er sich irgendwo aufs Ohr gehauen. Warum auch nicht? Was konnte ihnen hier schon passieren? Die Piraten Don Boscos hatten so gewaltig was auf den Hut gekriegt, daß sie sich von der Niederlage wohl kaum erholen würden. Ohne ihren Anführer und seine beiden Spießgesellen Pablo und Nuno waren sie ein Nichts. Diejenigen, die den Seewölfen und den Leuten des Wikingers und Siri-Tongs hatten entkommen können, hockten jetzt wahrscheinlich in irgendwelchen Rattenlöchern und würden sich erst wieder herauswagen, wenn die „Isabella“, der „Rote Drache“ und der Schwarze Segler die Bucht von Tortuga wieder verlassen hatten.
Sam warf einen Blick hinüber zu den beiden anderen Schiffen, die unweit der „Isabella“ vor Anker lagen. Er grinste. Auch dort würden Männer fluchen, weil sie nicht an der Feier in der Schildkröte teilnehmen durften.
„Wo ist eigentlich Batuti?“ fragte Dan grollend.
„Vielleicht hat er sich irgendwo aufs Ohr gehauen“, erwiderte Sam Roscill grinsend, wohlwissend, daß Dan bei dieser Antwort in die Luft gehen würde.
„Aufs Ohr gelegt?“ brüllte Dan, daß Arwenack, der im Mars nach all den Aufregungen der vergangenen Tage seine Nachtruhe genoß, aufgeregt zu kekkern begann.
„Halt du auch die Schnauze!“ schrie Dan hinauf. „Sonst binde ich dich mit deinem Schwanz an einen Tampen und lasse dich hinter der ‚Isabella‘ herschwimmen, wenn wir zur Schlangeninsel zurückkehren!“
Arwenack verstummte.
„Verdammt“, sagte Sam Roskill grinsend, „der versteht jedes Wort, was du sagst. Vielleicht liegt das an eurer gemeinsamen Herkunft.“
Dan kriegte für einen Augenblick keine Luft. Sein Gesicht lief dunkel an, was Sam aber nicht sehen konnte, weil der Mond gerade wieder hinter einer dichten Wolkendecke verschwunden war. Zum Glück sah er auch nicht, wie Dans Hand hinten zur Hüfte fuhr und sich auf die gekürzte Pike legte, sonst wäre er sicher ein paar Schritte zurückgewichen und hätte sich in Sicherheit gebracht.
Oh, ja. Dan O’Flynn war voll bis an die Ohren vor Wut. Nicht so sehr auf Sam. Der konnte ja nichts dafür, daß er, Dan, Bordwache schieben mußte. Aber Sam war nun mal der einzige, an dem er seine Wut auslassen konnte.
Dan dachte voller Grimm an Carberry, der ihn mit den Würfeln offensichtlich beschissen hatte, und er dachte, an seinen Alten, der ihm die Bitte abgeschlagen hatte, für ihn an Bord zurückzubleiben.
„Du hast doch in deinem Leben schon genug gesoffen“, hatte er gesagt. „Du mußt doch einsehen, daß auch die Jugend mal zu ihrem Recht kommen muß.“
„Söhnchen“, hatte der Alte wohlwollend und mit einem leichten Grinsen erwidert, „werde erst mal trocken hinter den Ohren, dann kannst du daran denken, mit älteren Männern einen Schluck zu trinken. Und was sollen die Mädchen mit einem Spund wie dir anfangen? Erst neulich hat mir eine erzählt, daß ihr mit eurem Spaß schon immer am Ende seid, wenn sie sich darauf freut, daß es endlich losgeht.“
Dan war die Spucke weggeblieben, und ehe er seinem Alten die gebührende Antwort hatte geben können, war Old O’Flynn schon verschwunden gewesen. Einen Augenblick, nachdem die gesamte Crew bis auf Sam und Batuti das Schiff verlassen hatten, hatte er mit dem Gedanken gespielt, die „Isabella“ auf Grund zu setzen, was ihm das Recht gegeben hätte, ebenfalls an Land zu gehen. Zum Glück hatte er sich eines anderen besonnen und war mißmutig zu Arwenack in den Mars gekrochen, um sich erst einmal zu beruhigen.
Und nun fing Sam Roskill wieder von vorne an!
Dan hatte seine gekürzte Pike schon halb aus der Schärpe an der Hüfte gezogen, als neben ihm ein Schatten auftauchte. An der Größe des Schattens erkannte er, daß es sich um Batuti handelte.
„He, ich denke, du pennst“, sagte Dan.
„Nix pennen.“ Eine Zahnreihe und zwei große Augäpfel blitzten durch die Dunkelheit. „Der Kutscher sein schlaues Aas, aber Batuti sein schlauer.“
Batutis rechte Hand schob sich vor, und Dan spürte, wie etwas Rundes, Hartes seinen Bauch berührte. Er ließ die Pike los und griff danach.
Ein leises Pfeifen drang an Sam Roskills Ohr.
„Was habt ihr da?“ fragte er.
„Mann, Batuti, du bist der raffinierteste Hund nach mir auf diesem verrotteten Kahn“, sagte Dan. Er lachte leise in sich hinein.
Sam Roskill wußte immer noch nicht, was los war, doch als die Wolkendekke auf einmal etwas dünner wurde und der Mond wie hinter einem Schleier am Himmel aufzog, sah er, wie Dan eine dickbauchige Flasche an die Lippen setzte. Es gluckerte vernehmlich.
„Aaaah“, stieß Dan wohlig hervor. „Das Ding ist zwar nur noch halbvoll, aber für mich und dich wird es reichen, Batuti.“
„He!“ sagte Sam Roskill, und das Grinsen war aus seinem Gesicht wie weggewischt. „Ihr wollt den Rum doch nicht etwa alleine saufen?“
Er war einen Schritt näher an Batuti herangetreten, und seine empfindliche Nase nahm sofort den scharfen Geruch war, der aus Batutis Mund strömte, als dieser sagte: „Einen Schluck für Sam, Dan. Er sehen ganz krank aus. Vielleicht er haben Skorbut.“
„Na, meinetwegen“, gab Dan gnädig zurück. „Aber ich werde die Flasche festhalten, damit er sich nicht vollaufen läßt und wir in die Röhre gucken müssen. Schließlich hast du auch noch etwas verdient, Batuti.“
„Dieser Höllensohn?“ sagte Sam keuchend. „Geh doch mal näher an ihn ran, Dan. Der stinkt aus dem Maul wie zehn besoffene Schweden. Von wegen, die Flasche ist noch halbvoll. Was heißt noch? Nur noch, hättest du sagen müssen. Der Kerl hat sie wahrscheinlich schon in der Kombüse halb ausgesoffen!“
„Batuti nix besoffen!“ sagte der Gambia-Neger mit beleidigtem Tonfall. „Ich haben nur probiert, ob Rum in der Flasche gut sein.“
Sam hatte sich der Flasche bemächtig und soviel wie möglich durch die Gurgel laufen lassen, bevor Dan sie ihm wieder aus den Händen reißen konnte.
Sam keuchte und stöhnte dann wohlig auf. Er leckte sich die Lippen und sagte: „Wenigstens etwas. Aber wenn ich daran denke, daß ich jetzt mit einer vollbusigen Spanierin …“
Dan, der gerade wieder die Flasche an die Lippen setzen wollte, hielt in der Bewegung inne und spitzte die Ohren. Er hatte ein plätscherndes Geräusch an der gegenüberliegenden Backbordseite vernommen.
In diesem Moment begann Arwenack im Mars wild zu keckem, und Sir John, der irgendwo in den Wanten einen Platz zum Schlafen gefunden hatte, krächzte laut: „Alarm!“
Die drei Männer wirbelten herum.
Batuti rülpste laut, als er die ersten Köpfe über dem Backbordschanzkleid auftauchen sah, Sam Roskill verschluckte sich und kriegte einen Hustenanfall.
Nur Dan handelte blitzschnell. Er nahm einen hastigen Schluck aus der Rumflasche und schleuderte sie dann quer über die Kuhl.
Er hatte haargenau gezielt. Das Geschoß zersplitterte am oberen Rand des Schanzkleides, und die Scherben spritzten einem bärtigen Mann, der im schwachen Mondschein wie ein Lama mit breitgeschlagener Schnauze aussah, mitten ins Gesicht.
Schreiend stürzte der Mann zurück, bis ein lautes Platschen verriet, daß er ins Wasser gestürzt war.
„Verdammt, wie kommen …“ begann Sam Roskill zu brüllen, doch dann warf er sich vorwärts, hinter Dan und Batuti her, die ihre Waffen schon in den Fäusten schwangen und auf die ersten Kerle eindrangen, die die „Isabella“ entern wollten …
2.
Der Mann sah aus, als hätte mal vor längerer Zeit jemand versucht, seinen Kopf in eine untere und eine obere Hälfte zu teilen. Wahrscheinlich war es nicht aus Absicht geschehen, aber der Araber, dem Scarface Callaghan seine fürchterliche Narbe im Gesicht zu verdanken hatte, war tausend Tode gestorben, nachdem Callaghan seine Verwundung überlebt und ausgeheilt hatte.
Die Narbe, die an manchen Tagen karmesinrot leuchtete, als ob sie immer noch blutete, verlief quer über das Gesicht von einem Ohr zum anderen. Der Hieb mit dem Krummsäbel hatte den unteren Teil seiner Nase abgetrennt, und ein Mann, der seinen Ausspruch nicht lange überlebt hatte, hatte behauptet, Scarface Callaghan sähe aus wie eine Ananas mit Ohren.
Callaghan war immer schon ein brutaler Mensch gewesen. In seiner Zeit als Profos auf einem Kriegsschiff Ihrer Majestät, der Königin Elisabeth von England, hatte er auf jeder Reise die Mannschaft um einige Leute dezimiert, bis er auf einem Landgang von seiner Crew an einen Baum genagelt worden war, die dann später auf dem Schiff behauptete, ihr Profos sei von Eingeborenen erschlagen worden.
So war die Königin ihren Profos losgeworden, und Callaghan, der sich hatte befreien können, hatte seiner wahren Veranlagung freien Lauf lassen können, als ihn ein Piratenschiff aufnahm, das an seiner Insel die Wasservorräte auffrischen wollte.
Bald war Callaghans Name in der gesamten Karibik ein Begriff geworden, aber berühmt wurde er erst, nachdem der Araber ihm das Gesicht gezeichnet hatte. Don Bosco, der Herrscher von Tortuga, hatte ihn in seine Crew geholt, und daß er beim Kampf gegen die Seewölfe nicht dabeigewesen war, lag an einer vollbusigen Schönheit von Hispanola, die er geraubt und nach Tortuga verschleppt hatte. Er war so verknallt in das Weib gewesen, daß er mit ihr auf der Insel verschwand und wochenlang in einer Hütte auf der Nordseite der Insel hauste. Erst vor ein paar Tagen war alles vorbei gewesen. Scarface war auf Jagd gegangen, und bei seiner Rückkehr hatte er seine Rosita in den Armen eines Bukaniers gefunden, der zufällig des Weges gekommen war. Scarface hatte nicht lange gezögert und sie beide erschlagen. Aber noch heute fragte er sich, wie ein Weib so wild sein konnte, daß es nicht einmal einen Tag ohne Liebe aushielt. Er bedauerte, daß die wilde Zeit mit Rosita vorbei war, aber er weinte ihr keine Träne nach.
Er war zurück zur Südküste gegangen, und da erst hatte er erfahren, was in der Zwischenzeit alles geschehen war. Don Boscos Macht war zerschlagen. Zerschlagen von den Seewölfen, die der Herrscher von Tortuga in Ketten gelegt hatte.
Scarface Callaghan konnte es nicht begreifen, aber an den verstörten und verängstigten Männern Don Boscos, die den Kampf mit den Seewölfen überlebt und sich versteckt hatten, sah er, daß er es mit Gegnern zu tun hatte, die er nicht unterschätzen durfte.
Er hatte die restlichen Männer Don Boscos aus ihren Löchern geholt, in die sie sich verkrochen hatten. Einige von ihnen hatten ihm die Gefolgschaft verweigert, aber außer dem Tod hatte es ihnen nichts eingebracht.
Scarface hatte erkennen müssen, daß die Angst vor den Seewölfen nach Don Boscos Verschwinden riesengroß war. Er war selbst schon soweit gewesen, seinen Plan, den übermächtigen Gegner anzugreifen, aufzugeben, als ihm eine Fügung des Schicksals zu Hilfe geeilt war.
Von der kleinen Insel Hogsty Reef nördlich von Inagua war eine Brieftaube eingetroffen, die eine Nachricht bei sich trug, daß es Don Bosco, Pablo und Nuno gelungen war, mit einer Schaluppe von der Schlangeninsel zu fliehen. Don Bosco war dabei, alles an Schiffen und Piraten aufzutreiben, was in den Gewässern zwischen Hispanola, Cuba und den Caicos-Inseln herumsegelte.
Sobald bekannt wurde, daß Don Bosco noch am Leben war und bereits wieder dafür sorgte, daß der Kampf gegen die Seewölfe erneut aufgenommen wurde, weigerte sich niemand mehr, Scarface Callaghans Befehlen Folge zu leisten. Immer mehr Männer tauchten aus ihren Löchern auf, und Scarface begann sich allmählich zu fragen, was für Feiglinge Don Bosco um sich versammelt hatte, wenn es so viele Kerle gab, die vor dem Kampf gekniffen hatten.
Scarface Callaghan war kein Dummkopf, obwohl er es in der Hierarchie von Don Boscos Schnapphähnen noch nicht weit gebracht hatte. Aber jetzt erkannte er seine Chance. Wenn es ihm gelang, die Schiffe der Angreifer, die sich in dieser Nacht bei ihrer Siegesfeier in der Schildkröte vollaufen ließen, in seine Gewalt zu bringen, war er der Mann der Stunde. Vielleicht wurde er dann endlich dem Unterführer Don Boscos, Pablo, gleichgestellt, dem Don Bosco blind vertraute.
Scarface Callaghan hatte seine Truppe gut organisiert. Er hatte einzelne Abteilungen gebildet und Unterführer ernannt. Zambo Jones, der Indianermischling, und Lama, der bärtige Bukanier, sollten einen Haufen Männer anführen, die die Aufgabe hatten, die Galeone zu entern, die in der Bucht vor Anker lag.
Das große Schiff mit den roten Segeln war Rondo Kanes Männern vorbehalten. Sie sollten gleichzeitig mit Zambo Jones angreifen und sofort aus der Bucht segeln, wenn es ihnen gelungen war, die Bordwachen zu überwältigen.
Scarface Callaghan sah keine Schwierigkeiten. Ein Spitzel hatte ihm berichtet, daß nur wenige Männer auf den Schiffen zurückgeblieben sein konnten. Die Schildkröte barst vor Männern, und nur noch wenige sollten so nüchtern sein, daß sie ohne zu schwanken die Kneipe verlassen konnten, wenn sie sich mal erleichtern mußten.
Trotzdem zog Callaghan es nicht einmal in Erwägung, die Schildkröte anzugreifen. Er kannte sich aus. Selbst wenn die Männer stockbesoffen waren – bei einem Kampf zählte das alles nicht mehr. Sie waren dann höchstens noch wilder als zuvor.
Scarface hatte zu wenige Männer, um auch noch den Schwarzen Segler in der Bucht in seine Gewalt zu bringen. Er nahm sich vor, das Schiff mit den Kanonen der Galeone zu versenken.
Alles war geplant bis ins kleinste, als das erste Floß sich im Schutze der Dunkelheit vom Strand löste und mit leisen Schlägen auf die ankernden Schiffe zugesteuert wurde. Callaghan, der sich im letzten Moment entschlossen hatte, mit auf die Galeone zu gehen, blickte zum Strand zurück. Er sah vor den Lichtern der Schildkröte ein paar dunkle Gestalten hin und her huschen und begann zu grinsen.
Diese Dummköpfe, die er zurückgelassen hatte, damit sie die Männer in der Schildkröte daran hinderten, die Kneipe zu verlassen, wenn es Kampfgeräusche auf den Schiffen in der Bucht gab, würden alle sterben, dessen war er sicher. Aber was zählte das? Wenn die Kerle, die Don Bosco besiegt hatten, keine Schiffe mehr besaßen, waren sie geliefert. Dann konnte man beruhigt warten, bis Don Bosco mit seiner neuen Armada vor Tortuga auftauchte und mit seinen Kanonen alles zusammenschoß, was sich auf der Insel bewegte.
Langsam trieben die Flöße in der Bucht hinaus. Callaghan warf immer wieder einen Blick zum Himmel. Er hoffte, daß die Wolkendecke nicht eher aufbrechen würde, als bis sie die Schiffe erreicht hatten. Die Wachen würden arglos sein. Wie Callaghan die zurückgebliebenen Männer einschätzte, würden sie sehnsüchtig zur Schildkröte hinüberstarren, wo ihre Kumpane zechten und sich mit den Weibern vergnügten. Wenn sie merkten, daß sich jemand ihres Schiffes bemächtigen wollte, würde es für sie zu spät sein.
3.
Sie standen da, als hätten sie eine Armee hinter sich, aber sie waren allein.
Don Bosco sah wüster aus als in seinen schlimmsten Tagen, wenn er wochenlang durchgesoffen und anschließend bei einer Kaperung ein halbes Hundert Männer niedergemacht hatte. Die Narben in seinem dunklen Gesicht schienen zu glühen, und die Muskeln auf seinen Oberarmen spielten und erweckten den Eindruck, als würden die Tätowierungen darauf leben. Die langen schwarzen Haare waren verfilzt und fettig, und in seinem stoppeligen Bart schienen sich noch Tangreste festzuklammern.
Er sah wirklich aus, als hätte er Tage unter Wasser zugebracht und ein Gelage mit Neptun persönlich abgehalten.
Der riesige, glatzköpfige Mann neben ihm war nicht weniger schrekkenerregend. Sein Name war Nuno, und in seiner ehemaligen Funktion als Aufseher von Galeerensklaven hatte er schon so viele Schandtaten in seinem Leben begangen, daß es für eine Million Jahre Fegefeuer reichte, wenn ihn der Satan einmal zu sich holte.
Der dritte der Männer war Pablo, dieses heimtückische, hinterhältige Exemplar der menschlichen Rasse, das den beiden anderen in nichts nachstand.
Sie alle drei hatten fürchterliche Tage hinter sich. Nachdem es ihnen gelungen war, mit einer Schaluppe von der Schlangeninsel zu fliehen, und sie geglaubt hatten, dem Teufel noch einmal von der Schippe gesprungen zu sein, hatte sie ein Sturm in ihren Fängen gehabt, der selbst ihnen die heilige Furcht eingebleut hatte. Die haushohen Brecher hatten das Deck der Schaluppe innerhalb kürzester Zeit zu Kleinholz verarbeitet, und Don Bosco, der Herrscher von Tortuga, hatte mehr als eine Stunde an einem Tampen außenbords gehangen und bereits dem Kichern von Satans Großmutter gelauscht, bevor es Nuno gelungen war, ihn wieder an Bord zu hieven.
Als ob die drei Kerle selbst dem Teufel zu zäh gewesen wären, hatten sie es geschafft, dem Unwetter lebend zu entrinnen. Dazu hatten sie noch Glück gehabt, genau auf Hogsty Reef zugetrieben worden zu sein. Auf dem kleinen Eiland hatte eine Ketch Zuflucht vor dem Sturm gesucht, und der Kapitän hatte noch einen Tag gelebt, bis er erfuhr, daß Don Bosco sein Schiff übernehmen würde. Der Dummkopf war damit nicht einverstanden gewesen, in Zukunft vor dem Mast zu arbeiten.
Auf Hogsty Reef lebten ein paar Negerfamilien, die für Don Bosco arbeiteten. Sie hatten Brieftauben in Verschlägen, und Don Bosco, der ahnte, daß der Seewolf, Siri-Tong, der Wikinger und der Franzose nach ihrer Flucht sofort nach Tortuga gesegelt waren, um seine Macht ein für allemal zu brechen, hatte sofort ein paar Tauben mit der Nachricht losgelassen, daß er eine Flotte sammeln würde, um die Schlangeninsel endgültig in seinen Besitz zu bringen.
Das mit der Flotte sammeln war nicht so einfach, wie Don Bosco es sich gedacht hatte. Sein Name schien in den letzten Wochen ziemlich gelitten zu haben. Es war unheimlich, wie schnell sich Nachrichten in dieser von so wenigen Menschen bewohnten Inselwelt verbreiteten, aber jeder schien schon zu wissen, daß es mit Don Bosco aus war.
Don Bosco, Nuno und Pablo sahen sich zwei Dutzend verwegenen Gestalten gegenüber, von denen auch nicht einer einen Funken von Furcht oder Respekt zeigte, wie es Don Bosco von jedem Mann, der ihm gegenüber stand, erwartete.
Vor den anderen hatte sich ein Kerl aufgebaut, der einen schwarzen Turban trug. Sein dunkles Gesicht wurde von einer mächtigen Habichtsnase geprägt. Er war mehr als sechs Fuß groß, und auch der schwarze Umhang, der seinen ganzen Körper einhüllte, konnte die Kraft, die in dem Mann steckte, nicht verbergen. Um die Hüfte hatte er einen dünnen Ledergurt gebunden, an dem ein Krummdolch in einer Lederscheide steckte. Ansonsten schien er unbewaffnet.
Dafür waren die Männer hinter ihm um so mehr mit allen möglichen Waffen ausgerüstet. Viele von ihnen hielten Pistolen in den Händen, und die Mündungen waren unmißverständlich auf Don Bosco und seine beiden Vasallen gerichtet.
Don Boscos Gesicht verzerrte sich vor Wut.
„Ihr verfluchten Hurensöhne!“ preßte er hervor. „Glaubt ihr, daß ihr uns davon jagen könnt, ohne daß ihr dafür mit eurem Leben zahlen müßtet? Ihr solltet mich besser kennen. Die Caicos sind mein Revier und werden es bleiben. Jeder, der meint, sich in ein gemachtes Bett legen zu können, wird sein blaues Wunder erleben!“
„Du bist ein Nichts, Ungläubiger!“ erwiderte der Mann mit dem schwarzen Turban. „Dein Name erschreckt nicht einmal mehr unsere Kinder.“ Er wies mit der linken Hand in die Bucht, in der Don Boscos Ketch neben einer dreimastigen Galeone vor Anker gegangen war. „Sieh dir deine Nußschale an, Camorristo, dann weißt du, was du bist. Ich würde dich oder einen deiner beiden Kumpane nicht mal gegen einen meiner Männer tauschen.“
Don Bosco begann zu grinsen wie ein Teufel.
„Schau mal genau hin, du maurischer Esel“, sagte er triumphierend. „Meinst du, deine eigene Bordwache hat die Kanonen deiner Galeone auf euch gerichtet?“
Der Blick des dunklen Mannes zuckte zur Galeone hinüber und wurde blaß, als die schwarzen Augen die Bewegungen wahrnahmen. Die Stückpforten der Galeone klappten eine nach der anderen hoch, und immer mehr Kanonenrohre schoben sich durch die Öffnungen.
In die Männer hinter dem Schwarzgekleideten geriet Unruhe. Die meisten Pistolenläufe hatten sich gesenkt. Auf den Gesichtern der Männer malte sich plötzlich die Erkenntnis, daß mit Don Bosco auch nach seiner vernichtenden Niederlage nicht zu spaßen war.
„Was sollen wir tun, Tuareg?“ fragte einer der Piraten.
„Du fragst den falschen Mann“, erwiderte Don Bosco anstelle des Mannes mit dem schwarzen Turban. „Euer Muselmann hat nichts mehr zu sagen.“
Die Hand des Herrschers von Tortuga fuhr hinunter zur Hüfte, und plötzlich hielt er ein langes Stilett in der Rechten, das aussah, als sei es ein gekürzter Degen.
Der Tuareg reagierte schnell, aber nicht schnell genug für Don Bosco. Noch ehe der Muselmann seinen Krummdolch aus der Scheide hatte, bohrte sich das spitze Ding in seine Brust. Don Bosco hatte es aus der Bewegung, mit der er es aus dem Gürtel gezogen hatte, sofort auf den Tuareg zugeschleudert.
Pablo und Nuno hielten plötzlich Pistolen in den Händen, und von der Bucht herüber ertönte das Krachen einer Kanone. Wenig später schlug etwa fünfzig Yards von den Männern eine Kugel in eine der Hütten ein, in denen die Piraten des Tuaregs hausten.
Es gab keinen unter den Piraten, der seine Waffe gegen Don Bosco erhoben hätte. Alle starrten auf ihren ehemaligen Anführer, der langsam in die Knie sank. Es gelang ihm noch, sich das Stilett aus der Brust zu ziehen, bevor er nach vorn aufs Gesicht schlug.
Don Bosco trat auf ihn zu und drehte ihn mit dem Fuß auf den Rükken. Er starrte in gebrochene Augen. Er winkte einem der Piraten und befahl ihm, das Stilett aufzuheben und zu säubern.
Der Mann befolgte den Befehl umgehend, und als Don Bosco den anderen erklärte, daß nun alles unter seinem Kommando stand, wagte niemand einen Widerspruch.
„Bereitet alles auf den Aufbruch vor“, sagte er. „Wir segeln morgen mit dem ersten Licht. Ihr könnt stolz sein, daß ihr mit zu den ersten gehört, die Don Boscos Macht zu einem neuen Höhepunkt führen. Wir werden diesmal die Schlangeninsel erobern. Unermeßliche Schätze lagern dort, und jeder von euch wird an der Prise beteiligt werden. Wir werden die alleinigen Herrscher der nördlichen Karibik sein, und der Teufel soll mich holen, wenn die Spanier nicht in kürzester Zeit von diesen Inseln vertrieben werden.“
Die Männer johlten Zustimmung. Der Tod ihres alten Anführers berührte sie nicht. Hauptsache, sie würden weiterleben, und wie es aussah, versprach Don Bosco ihnen größere Beute als der Tuareg.
„Wie ich diese Muselmänner kenne, hat der Kerl doch sicher einen Haufen Weiber gehabt, oder?“ fragte Pablo einen der Piraten.
Der Mann nickte hastig. Er wies auf ein schwarzes Zelt, dessen Spitze die Hüttendächer überragte.
„Er lebte dort in dem Zelt“, erwiderte er hastig. „Ihr werdet sieben Frauen dort finden.“
Pablo grinste Don Bosco an.
„Dann sollte wenigstens je eine für mich und Nuno übrig sein, Don Bosco“, sagte er vorsichtig.
Don Bosco nickte gönnerhaft.
„Aber ich werde sie euch aussuchen“, erwiderte er.
„Hoffentlich hatte der Tuareg keinen absonderlichen Geschmack“, murmelte Pablo, der daran dachte, daß es viele Muselmänner gab, für die eine Frau erst eine richtige Frau war, wenn sie über zwei Zentner wog.
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