Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 240»

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Impressum

© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

ISBN: 978-3-95439-576-7

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Der Seewolf kriegte das Hemd des Jungen im letzten Augenblick zu fassen. Er spürte, wie der Stoff riß, packte nach und erwischte Hasard so hart am Arm, daß dieser vor Schmerz unterdrückt aufschrie. Eine riesige Woge brach über die „Isabella VIII.“ herein, und der Seewolf hatte das Gefühl, als würde die Galeone von der Faust eines Titanen unter Wasser gedrückt.

Krampfhaft hielt er den Arm seines Sohnes fest. Zorn brannte in ihm, Zorn auf seinen Sproß Hasard, der sich an Deck geschlichen hatte, um den schlimmsten Sturm, den sie seit Wochen zu überstehen hatten, hautnah mitzuerleben, wie er seinem Bruder erzählt hatte.

Der Seewolf schluckte Wasser und begann keuchend zu husten.

„Au!“ brüllte Hasard. „Du tust mir weh, Dad!“

„Dir wird bald noch ganz was anderes weh tun, Sohn!“ brüllte sein Vater zurück. „Was hast du hier oben zu suchen, he? Verdammt, der Brecher hätte dich von Deck gewischt, wenn ich dich nicht im letzten Moment geschnappt hätte!“

Ein Schatten tauchte neben ihnen auf. Es war Carberry, der von oben bis unten durchnäßt war. Seine dunklen Haare hingen ihm in Strähnen in die Stirn. Er wies mit der linken Hand zum Focksegel hinüber, das als einziges noch gesetzt war. Der Seewolf sah, wie sich die Lippen des Profos bewegten, aber er verstand kein Wort. Er folgte mit den Augen der Handbewegung Carberrys und erkannte voller Entsetzen den breiten Riß, der sich vom rechten Liek aus in Sekundenschnelle verbreiterte. Er sah, daß ein paar Männer versuchten, die Fock zu bergen, und er wollte brüllen, daß es keinen Sinn mehr hätte.

Er wußte, daß er den ohrenbetäubenden Lärm des Sturmes nicht übertönen konnte. Er zerrte Hasard zum Niedergang, preßte mit der linken Schulter die Tür gegen den Wind auf und schob den Jungen durch den Spalt. Mit einem Krachen flog die Tür wieder zu, polternd fiel der Junge die Stufen hinunter, aber sein Fluchen ging in den tosenden Naturgewalten unter.

Der Seewolf bedeutete Carberry, auf dem Achterdeck zu bleiben und Pete Ballie im Ruderhaus zu helfen, die „Isabella“ einigermaßen am Wind zu halten, solange die Fock noch nicht ganz zerfetzt war.

Carberry nickte, brachte seinen Mund dicht an Hasards Ohr und schrie: „Wir sollten einen Treibanker auswerfen!“

Der Seewolf brüllte zurück: „In Ordnung!“ Dann schlitterte er über das nasse Deck, griff nach einem Tampen und konnte seine Höllenfahrt gerade noch abbremsen, bevor er gegen das Steuerbordschanzkleid geschleudert wurde.

Keuchend krallte er sich an den Brooktauen der Culverine fest und holte tief Atem, bevor ihn der nächste Brecher überrollte. Es war ihm, als wollten die Wassermassen kein Ende nehmen. Rote Kreise begannen, vor seinen Augen zu tanzen. Er fühlte sich von einer unwiderstehlichen Kraft in die Tiefe gezogen, und erst als das Donnern der kochenden See wieder an seine Ohren drang, öffnete er den Mund, um nach Atem zu schöpfen. Er mußte alle Kraft aufwenden, um Luft in seine Lungen zu pumpen. Der Sturm riß ihm die Luft vor dem Mund weg.

Er brauchte Sekunden, die ihm wie lange Minuten erschienen, um seine Orientierung wiederzufinden. Seine Augen weiteten sich, als er die Fock sah. Sie bestand nur noch aus einem Dutzend kleiner Fetzen, die an den losgerissenen Lieks wie Wimpel flatterten.

Die Halsen und Schoten zischten über Deck wie riesige Peitschen.

Der Seewolf hielt nach den Männern Ausschau, die versucht hatten, die Fock im letzten Augenblick zu bergen. Er sah zwei Schatten im Fockmars, und er hoffte, daß die Männer sich mit Tampen gesichert hatten.

Jetzt brach eine Woge nach der anderen über die „Isabella“ herein. Der Atem wurde Hasard knapp. Er wußte, daß er nichts tun konnte. Als er den Kopf wandte, sah er, daß es Carberry und Ferris Tucker mit drei anderen Männern gelungen war, einen Treibanker auszuwerfen, der aus einer Gräting und ein paar daran festgezurrten Spieren bestand. Ein Ruck ging durch den Rumpf des fast steuerlosen Schiffes, und dann hatte Hasard das Gefühl, als wären die rollenden und stampfenden Bewegungen des Schiffes nicht mehr so stark.

Er arbeitete sich vor bis zur Balustrade. Etwas zischte haarscharf an seinem Ohr vorbei. Es war offensichtlich ein Belegnagel, der von der Wucht des Sturmes aus der Nagelbank auf der Balustrade herausgerissen worden war, denn dort fehlte einer.

Eine weitere Woge schwappte über die Kuhl und krachte auf das Boot, das bisher allen Gewalten getrotzt hatte. Mit dem abfließenden Wasser sah Hasard zersplitterte Stücke von den Riemen über Deck rutschen. Ein Ruderblatt erwischte einen Mann, der sich an der Lenzpumpe festgezurrt hatte und mit einem anderen versuchte, trotz der schweren See den Schwengel zu betätigen.

Hasard erkannte Stenmark und Bob Grey. Der Schwede wurde von dem Ruderblatt von den Beinen geholt, die nachfolgende Sturzsee schleuderte ihn gegen Bob Grey, und wenn sie beide nicht Halt an den Tampen gefunden hätten, die fest um ihre Hüften geschlungen waren, wären sie sicher über Bord gegangen.

Sie hielten sich aneinander fest und schafften es, die Füße wieder auf die Planken zu bringen, bevor der nächste Brecher heran war.

Hasard wußte, daß es lebensgefährlich war, sich ohne Sicherung bei einem solchen Sturm über Deck zu bewegen, aber er mußte hinunter in die Kuhl. Die schlagenden Halsen und Schoten der Fock ließen ihm keine Ruhe.

Minutenlang mußte er sich neben dem Niedergang zur Kuhl festklammern und die unablässig über das Schiff hereinbrechenden Wassermassen abwarten, bevor die aufgewühlte See ihm eine Verschnaufpause gönnte und er mit einem schnellen Satz den Niedergang hinunterspringen konnte.

Für einen kurzen Augenblick flaute das orgelnde Heulen des Orkans ab, und in diese Stille hinein hörte Hasard das Geräusch, das er schon befürchtet hatte. Es klang wie das Schreien eines Mannes, der sich gegen den Tod stemmt, aber Hasard wußte, daß es nur das Knirschen des Vormastes war, den nicht länger der Wucht des Sturmes standzuhalten vermochte.

Der Seewolf brüllte einen Befehl zum Fockmars hinauf, und einer der beiden Männer, die sich dort oben festgezurrt hatten, schob seinen Kopf über die Saling. Hasard erkannte Gary Andrews. Wahrscheinlich hatte er den Ruf Hasards vernommen, aber nicht verstanden, was der Seewolf wollte.

Neben Gary tauchte Dan O’Flynns nasses Gesicht auf, und er schien zu merken, in welcher Gefahr sie sich befanden.

Das Knirschen des Vormastes wurde lauter. Matt Davies und Blakky waren plötzlich neben Hasard und krallten ihre Finger in seinen Gürtel. Im nächsten Moment fühlte er sich hochgehoben. Für einen Augenblick dachte er, Matt und Blacky wollten ihn nach beiden Seiten auf einmal zerren, doch dann war wieder gurgelnde Nässe um ihn. Ein Ruck ging durch seinen Körper, und er wußte, daß es diesmal mit ihm ausgewesen wäre, hätten die beiden Männer nicht geistesgegenwärtig zugepackt.

Er spuckte Wasser und keuchte, und sein erster Blick galt dem Vormast. Noch wurde er von den Wanten und Stagen gehalten, aber Hasard meinte, ihn heftiger schwanken zu sehen als sonst. Offensichtlich hatten sich die Wanten unter der Kraft des Sturmes wieder gedehnt, obwohl der Seewolf sie hatte durchsetzen lassen.

Seine Augen weiteten sich, als er etwa drei Faden über den Decksplanken des Vorschiffes eine Bruchstelle im Vormast entdeckte. Ein handbreiter Riß zog sich über eine Elle quer durch den Mast. Es war nur eine Frage der Zeit, wann die Wanten brechen und der Mast ohne Halt aufs Deck der „Isabella“ krachen würde.

Auch Matt und Blacky hatten den Riß im Vormast entdeckt. Blacky schrie etwas zum Vorschiff hinauf, und Gary Andrews beugte sich über die Saling. Er schien zu wissen, was sich unter ihm abspielte, denn der Seewolf sah, wie er sich loszurrte und einen günstigen Moment abwartete, in dem er sich über die Saling schwingen und über die Webleinen der Backbordwanten hinunter an Deck hangeln konnte.

Dan O’Flynn war noch schneller als er, obwohl er erst nach Gary aus dem Mars geklettert war. Sie konnten sich gerade noch an der Nagelbank vor dem Mast festklammern, als der Bug der „Isabella“ sich senkte, tief in ein Wellental tauchte und von einer schweren See überrollt wurde, ehe er sich wieder aufrichten konnte.

Die Sekunden danach, als das Wasser gurgelnd wieder ablief, nutzten der Seewolf, Matt Davies und Blakky, um auf das Vorschiff zu gelangen. An Steuerbord tauchten plötzlich Batuti und Smoky auf, nutzten ebenfalls die Pause, die der Orkan ihnen vergönnte, und hasteten auf die Nagelbank vor dem Mast zu, an den sich schon Gary Andrews und Dan O’Flynn klammerten.

Hasard und Matt Davies starrten sich an.

„Wir müssen eine Spiere nehmen, sonst verlieren wir den Mast!“ brüllte der Seewolf.

Matt nickte. Er hatte verstanden, wartete den nächsten Brecher ab, und als der Seewolf sich kurz darauf zu ihm umwandte, war Matt verschwunden. Ein Schreck durchzuckte Hasard. Er dachte schon, Matt wäre über Bord geschwemmt worden, doch er atmete auf, als er ihn Sekunden später auf der Kuhl sah.

Ferris Tucker war plötzlich neben Matt. Andere Schatten bewegten sich neben ihnen. Der Seewolf sah, daß Stenmark und Bob Grey nicht mehr an der Lenzpumpe arbeiteten. Wahrscheinlich hatte Tucker sie dort weggeholt, weil es sinnlos war, die Pumpe bei den immer wieder über Deck gehenden Wassermassen zu betätigen.

Die Männer auf dem Vorschiff hatten Mühe, den peitschenden Schlägen der losgerissenen Halsen und Schoten auszuweichen. Ferris Tukker stand wie aus dem Deck gewachsen plötzlich neben dem Seewolf.

„Wir müssen die Fockrah nehmen!“ brüllte er. „Wir können die Luken nicht öffnen, wenn wir nicht absaufen wollen!“

Seine letzten Worte gingen im Heulen des Orkans unter, aber Hasard hatte verstanden. Er war sich bewußt, was das bedeutete. Die Männer mußten die Wanten hinauf zum Mars, um die Rah zu lösen, und wenn sie es im falschen Moment taten, würde ihnen die Spiere um die Ohren fliegen und die gesamte Takelage der „Isabella“ in ihre Einzelteile zerlegen. Dazu war es ein Kampf gegen die Zeit. Mehr als eine halbe Stunde gab Hasard dem Mast nicht mehr. Der Riß hatte inzwischen die Länge eines Armes.

Für Hasard gab es nichts zu überlegen. Er konnte den Männern befehlen, in die Wanten zu klettern und die Rah am festen Rack zu lösen, aber er wußte nicht, wen er der tödlichen Gefahr aussetzen sollte.

Ferris Tucker brüllte etwas, das im Heulen und Tosen des Windes nicht zu verstehen war, aber da hangelte sich der Seewolf bereits in den Wanten hoch. Er mußte eine überrollende Woge abwarten, dann kletterte er weiter und erreichte die Unterseite der Saling.

Das Kreischen des Holzes an der Rißstelle bereitete ihm fast körperliche Schmerzen. Er arbeitete schnell und geschickt. Mit einem kurzen Blick hinunter auf Deck sah er, daß Ferris Tucker die Männer eingeteilt hatte und darauf vorbereitet war, die Fockrah in der Senkrechten abzufieren.

Der Schiffszimmermann selbst hatte seine Axt gepackt und begann, auf die Decksplanken dicht hinter dem Fockmast einzuhacken. Holzsplitter flogen. Stenmark und Batuti hielten das Tau, das Ferris Tucker sich um die Taille geschlungen hatte. Wieder zerrte ein Brecher an ihnen, aber sie hielten den Wassermassen stand.

Dann war es soweit. Der Seewolf stand bereits wieder an Deck und faßte mit an. Die Backbordnock der Fockrah senkte sich. Schwielige Männerhände packten zu und hielten die Spiere in der Senkrechten. Auf einen Befehl von Ferris Tucker ließen die Männer los.

Alle hielten den Atem an. Sie hörten das Krachen, mit dem die Spiere das Deck durchbohrte, und auf einmal stand die Fockrah fest wie ein Mast vor dem schwankenden Fockmast, der den nächsten schweren Brecher nicht überstehen würde.

Blitzschnell waren die Männer dabei, die Spiere fest am Mast beizulaschen. Ferris Tucker schrie immer wieder Befehle, die sofort ausgeführt wurden. Einen Moment war noch das Knirschen des Mastes zu hören, dann brach wieder eine schwere See über sie herein.

Jeder von ihnen wußte, daß dies die Bewährungsprobe für den angeschlagenen Mast war, und als das Wasser ablief, wußte der Seewolf, daß sie gesiegt hatten. Der Mast mit der angelaschten Spiere stand wie eine Eins.

Er sah die vor Nässe glänzenden Gesichter seiner Männer, in denen der Triumph zu lesen war, daß sie einmal mehr den Gewalten der See getrotzt hatten, und Hasard spürte, daß dies einer der Augenblicke war, in denen er das Leben am meisten liebte.

Sie hatten einen Kampf auf Leben und Tod ausgefochten, und sie hatten ihn nur gewinnen können, weil einer für den anderen stand.

„Er hält!“ brüllte Ferris Tucker gegen das Heulen des Windes. „Jetzt kann der Orkan noch tagelang blasen!“

Lieber nicht, dachte Hasard, der sich hinunter auf die Kuhl gleiten ließ. Er sah, wie Dan O’Flynn zurück in den Fockmars kletterte und Geitau und Liek der Fock an der Steuerbordnock der Fockrah kappte.

Er wollte zurück aufs Achterdeck, als er Fetzen von Dan O’Flynns Stimme hörte. Er krallte sich mit beiden Händen am Brooktau einer der Culverinen fest und starrte zum Fockmars hinauf.

„Was ist los?“ brüllte er durch den Wind.

„… Boot – Steuerbord voraus …“

Hasard ahnte mehr, was Dan rief, als daß er es verstand. Ein Boot bei dieser schweren See? Er watete durch ablaufendes Wasser durch die Kuhl und duckte sich neben den Stufen, die hinauf zum Achterdeck führten, als eine Welle gegen das Schanzkleid donnerte und Gischt ihm in die Augen trieb. Gleich darauf hatte er die Stufen erklommen und stemmte sich gegen den Sturm an der Galerie entlang nach Steuerbord.

Da! Jetzt hatte er es für einen kurzen Moment gesehen. Es war tatsächlich ein Boot. Eine Nußschale, nur wenig größer als das Boot, das sie auf der Kuhl mit sich führten. Es hatte einen Mast, an dem sogar noch ein kleines Segel flatterte, aber in den unberechenbaren Winden des Orkans war es nutzlos. Er sah, wie sich das Boot auf dem Kamm eines Wellenberges einmal um sich selbst drehte, dann war es wieder hinter Bergen von kochendem Wasser verschwunden.

Carberry tauchte neben Hasard auf. Auch er hatte das Boot gesehen. Hasard machte ihm Zeichen mit der rechten Hand, und Carberry verschwand zum Ruderhaus hinüber. Es würde nicht einfach sein, der „Isabella“ ohne Segel einen anderen Kurs zu geben, aber versuchen mußten sie es.

Es war ein Wunder, daß das Boot noch schwamm. Es sah aus, als würde es immer wieder von dem gepeitschten Wasser ausgespuckt. Einmal sah Hasard drei Schatten in dem kleinen Boot. Einer der Insassen trug ein weißes Hemd, das durch die Dunkelheit leuchtete.

Sie näherten sich tatsächlich einander. Auch die drei Menschen in dem kleinen Boot hatten ihre Chance erkannt. Der Mann mit dem weißen Hemd tat das einzig Vernünftige, was ihm in dieser Situation übrigblieb: Er kappte die Schot des kleinen Luggersegels, das sofort vom Orkan erfaßt wurde und mitsamt der Spiere davonflog. Es war, als hätte einer der Titanen tief Luft geholt und alles in sich eingesogen.

Der Seewolf preßte die Lippen aufeinander. Es war fast unmöglich, bei dieser See die drei Menschen an Bord der „Isabella“ zu holen. Bevor es ihnen gelingen konnte, Taue hinüber zu dem Boot zu werfen, konnte eine einzige der riesigen, unberechenbaren Wellen die Nußschale gegen die Bordwand der Galeone schmettern und in ihre Einzelteile zerlegen. Keiner der drei Insassen würde diesen Anprall überleben. Dennoch wußten die Männer auf der „Isabella“ und sicher auch die drei Menschen in dem Boot, daß es die einzige Möglichkeit war, dem Tod noch einmal von der Schippe zu springen. Es sah nicht danach aus, als würde der Orkan nachlassen, und eine weitere Stunde konnte sich das Boot sicher nicht über Wasser halten.

Die Wellenberge türmten sich so hoch, daß es manchmal den Anschein hatte, als befinde sich das Boot in Höhe der Masttopps der „Isabella“. Ferris Tukkers Stimme schrie einen Befehl auf der Kuhl, und Hasard ahnte, daß die Männer ihre Taue bereithielten, die sie zum Boot hinüberwerfen wollten, wenn es in Reichweite geriet.

Immer wieder nahmen die Wassermassen den Männern die Luft und die Sicht. Hasard brauchte nach einem schmetternden Brecher Minuten, um sich wieder zurechtzufinden. Er nickte grimmig, als er sah, daß es Pete Ballie dank des Treibankers gelang, die „Isabella“ in etwa auf der Stelle zu halten.

Es geschah so schnell und unerwartet, daß Batuti, Smoky und Stenmark den günstigen Augenblick verpaßten. Das kleine Boot jagte ein Wellental hinunter genau auf die Galeone zu. Die Männer begannen zu brüllen, obwohl jeder von ihnen wußte, daß sie dadurch nichts ändern konnten. Sie sahen schon die Nußschale mit ihren drei Insassen gegen den Rumpf der „Isabella“ krachen, als die Galeone angehoben wurde. Plötzlich war von dem Boot nichts mehr zu sehen. Es war sehr nah gewesen, und Ferris Tucker begann brüllend zu fluchen, weil die Männer mit den Tauen nicht rechtzeitig reagiert hatten.

Wieder nahm ihnen ein Brecher die Sicht. Gary Andrews, der sich um Stenmarks Sicherung bemühte, wurde von den Beinen gerissen und prallte mit dem Rücken hart gegen das Rad einer Lafette. Er schrie auf, aber niemand bemerkte es.

Dann war das Boot wieder da.

Es stand fast reglos auf einem Wellenberg.

Ferris Tucker, der ahnte, was gleich geschehen würde, schrie seine Männer an, diesmal aufzupassen. Er drehte sich um, als befürchte er, im entscheidenden Augenblick wieder von einem Brecher überrollt zu werden, aber dann konzentrierte er sich auf das Boot, das sich leicht zur Seite neigte und dann die Höllenfahrt ins Wellental begann.

Ferris Tucker selbst hielt auch eine Leine in den Händen. Ein Heulen war über dem Schiff. Es hörte sich an, als jagten hundert Kanonenkugeln auf einmal auf die „Isabella“ zu.

Diesmal mußte es geschehen!

Diesmal mußte das Boot an der Bordwand der Galeone zerschmettern!

„Werft!“ brüllte Ferris Tucker.

Die Taue flogen durch die Luft und klatschten auf das Boot, das im selben Augenblick gegen die Bordwand krachte. Das Splittern des Dollbordes übertönte sogar das Jaulen des Windes und das Brüllen der See.

Die „Isabella“ schoß in die Höhe. An Steuerbord gurgelte das Wasser und schleuderte das Boot in die Luft wie eine Feder. Voller Entsetzen sah Ferris Tucker, wie es sich überschlug, mit dem Bug durch eine Welle schoß und auf Nimmerwiedersehen verschwand.

„Wir haben sie!“ brüllte Stenmark und zerrte an seinem Tau.

Smoky fluchte, als er an seinem Tau zerrte und keinen Widerstand spürte. Batuti dagegen holte Hand über Hand sein Tau ein und stieß scharf seinen Atem aus, als er den hellen Fleck auf der Wasseroberfläche erkannte, der am Ende seines Taus, in das er eine Schlinge geknüpft hatte, hing.

„Verdammt, helft mir!“ brüllte Stenmark wieder. „Ich kann ihn nicht halten! Der Kerl ist schwer wie ein Fels!“

Smoky und Ferris Tucker sprangen hinzu. Ferris brüllte Gary Andrews an, der immer noch neben der Lafette kauerte. Der Fockmastgast kriegte kaum noch Luft. Sein Rükken, mit dem er gegen das Rad der Lafette geschleudert worden war, schmerzte höllisch. Gary hatte das Gefühl, als sei sein Rückgrat gebrochen. Er versuchte, sich aufzurichten, aber stöhnend sackte er wieder zusammen. Er hörte das lauter werdende dumpfe Grollen und wandte den Kopf.

„Paßt auf!“ schrie er mit sich überschlagender Stimme. „Ein Brecher!“

Die Männer reagierten blitzschnell und warfen sich hin. Mit drei Bewegungen aus dem Handgelenk warf Stenmark sein Tauende um die Traube einer Culverine und klammerte sich mit beiden Händen daran.

Dann waren die Wassermassen über ihnen. Stenmark konnte nur daran denken, daß der Mann, der am anderen Ende seines Taues in der Schlinge hing, bei Bewußtsein bleiben mußte, wenn er die nächsten Minuten überleben wollte.

Der Brecher wollte kein Ende nehmen. Für einen kurzen Augenblick erschien es den Männern, als sei ihr Schiff schon untergegangen, doch dann waren die ohrenbetäubenden Geräusche plötzlich wieder da.

Stenmark sprang sofort wieder auf die Beine. Ablaufendes Wasser riß ihn um. Er knallte hart auf die Planken, aber er ließ das Tau nicht los.

„Smoky! Gary! Ferris!“ brüllte er, als er spürte, wie eine mächtige Kraft an seinem Tau zerrte.

Smoky und Ferris Tucker waren neben ihm und packten zu. Plötzlich waren sie alle da. Neben Batuti tauchte der Seewolf auf, und gemeinsam holten sie das Tau ein.

Hasard stockte der Atem, als er für einen kurzen Moment das helle Bündel auf dem Wasser schwimmen sah. Es war ihm, als hätte der Schiffbrüchige taillenlange Haare. Eine Frau! dachte er entsetzt.

Er stimmte sich mit Batuti mit Blicken ab. Sie mußten den richtigen Zeitpunkt abwarten, damit die Schiffbrüchige nicht an der Bordwand zu Tode geschmettert wurde.

Neben sich hörten Hasard und Batuti die Schreie der anderen. Mit einem Blick zur Seite erkannte der Seewolf, daß der Kutscher sich neben Gary Andrews auf die Knie gelassen hatte, ihn dann unter den Armen packte und zur Back hinüberzerrte.

Mein Gott, dachte Hasard, ist Gary was passiert?

Batutis Schrei brachte ihn wieder zur Besinnung. Sie reagierten blitzschnell, als eine Welle den hellen Fleck anhob und die Schiffsbrüchige dann wie eine Kanonenkugel auf die „Isabella“ zujagte.

„Jetzt!“ schrie Hasard, obwohl er wußte, daß Batuti, der keinen Schritt neben ihm stand, ihn nicht verstehen konnte.

Das Tau glitt durch ihre Hände. Mit weit aufgerissenen Augen starrten sie dem Bündel Mensch entgegen, das ein Spielball der Naturgewalten war.

Hasard lief zurück zur Backbordseite hinüber, als er merkte, daß er das Tau nicht schnell genug einholen konnte. Batuti blieb am Schanzkleid stehen. Das Tau rutschte durch seine Hände und brannte in seinen Handflächen, als schnitte ein Messer hinein.

Dann packte er zu. Hasard wurde von dem Ruck fast von den Beinen gerissen, bemerkte sofort, weshalb Batuti das Einholen des Taus abgestoppt hatte, und war mit schwankenden Schritten wieder am Schanzkleid.

Stimmen jagten über das Schiff. Hasard hörte Ben Brighton auf dem Achterdeck etwas zu Pete Ballie hinüberbrüllen, und dicht neben ihm und Batuti schrie sich Ferris Tucker die Lunge aus dem Hals.

Das helle Bündel am Ende des Taus, das Batuti und Hasard hielten, war auf einmal so nah vor ihnen, daß sie glaubten, nur danach greifen zu müssen.

Batuti beugte sich übers Schanzkleid. Er hatte das Tau losgelassen, und Hasard spürte den harten Ruck in seinen Fäusten. Er hatte selbst zugreifen wollen, aber im letzten Moment hatte er gesehen, daß Batuti vorschnellte.

Der Neger griff ins Leere. Seine Beine hoben sich von den Planken ab, als das Schiff nach Steuerbord krängte. Hasard hatte einen Schrei auf den Lippen, als er sah, daß Batuti abzukippen drohte, doch in diesem Augenblick warf sich jemand gegen die Beine des Negers und riß ihn an Deck zurück.

Der Seewolf hatte nicht gesehen, wer es gewesen war, der Batuti davor bewahrt hatte, über Bord zu gehen. Einen Sekundenbruchteil, nachdem der Neger vorbeigegriffen hatte, bot sich ihm die Gelegenheit, das Tau noch weiter einzuholen. Die Schiffbrüchige hatte ein ungeheures Glück. Die „Isabella“ wurde gerade wieder auf einen Wellenberg gehoben. Die Gischtkrone trug den hellen Fleck dicht an die Bordwand heran, und Hasard sah, wie sich kleine, schlanke Hände an ein Bergholz klammerten.

Dan O’Flynns Gesicht glänzte plötzlich neben ihm. Er war es gewesen, der sich gegen Batuti geworfen hatte. Er hatte sich ein Tau um den Leib geschlungen, dessen Ende Batuti und Bob Grey hielten.

Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, kletterte Dan wie ein Affe übers Schanzkleid, packte die schlanke Gestalt, die das Bergholz nicht loslassen wollte, und zerrte sie mit sich. Batuti, Hasard und Bob Grey rissen Dan und die Schiffbrüchige hoch. Dan schrie wütend auf, als er mit dem Rücken gegen die Bordwand krachte, dann hatten sie es geschafft, und Hasard befahl Bob Grey und Dan, die gerettete Person sofort unter Deck zu bringen.

Ihnen allen stockte der Atem, als sich die Gestalt auf den Planken auf den Rücken wälzte. Eine Flut von Haaren breitete sich um das kleine, bleiche Gesicht aus. Unter dem nassen weißen Hemd zeichneten sich deutlich die schwellenden Hügel weiblicher Brüste ab, die sich unter heftigen Atemstößen hoben und senkten.

„Starrt sie nicht an wie Mondkälber, verflucht noch mal!“ brüllte Hasard. „Bringt sie in meine Kammer! Dan bleibt bei ihr! Gib ihr was von meinen Sachen anzuziehen, wenn sie wieder bei Sinnen ist!“

Damit wandte er sich ab und lief ein paar Schritte zu den anderen hinüber, die es immer noch nicht geschafft hatten, ihren Mann zu bergen.

„Es sind zwei Mann!“ schrie Stenmark. „Achtung! Laßt Tau …“

Es war zu spät, ein Wellenkamm schleuderte die beiden Schiffbrüchigen von der „Isabella“ fort. Ein harter Ruck ging durch das Tau. Stenmark wurde gegen das Schanzkleid gezerrt, prellte sich die Schulter, konnte aber das durch seine Hände gleitende Tau noch rechtzeitig wieder packen, bevor das Ende ihm entwischte. Die anderen hatten schon geglaubt, daß die beiden Männer im Wasser verloren waren. Sie waren sofort wieder heran und halfen Stenmark, sein Gleichgewicht wiederzufinden.

Hasard übernahm das Kommando. Er merkte, daß er nicht mehr so laut schreien mußte, um sich zu verständigen. Irgendwie schien die Wucht des Orkans gebrochen zu sein. Jetzt fiel ihm auch auf, daß in den letzten Minuten kein Brecher mehr über die Kuhl gefegt war.

Ein gischtender Wellenkamm trug die beiden Schiffbrüchigen wieder heran. Der Kopf des einen befand sich unter Wasser. Der Seewolf hatte den Eindruck, als sei er nicht mehr bei Bewußtsein. Er sah, wie der andere seinen linken Arm um den Körper des Mannes geschlungen hatte, während die rechte Hand in der Schlinge des Taus hing.

Ungeheure Kräfte mußten am Arm des Mannes zerren, und Hasard fragte sich, wie lange der Mann die Doppelbelastung noch würde aushalten können.

Sie zerrten mit vier Mann an dem Tau. Jetzt verschwanden beide Männer unter Wasser, und Hasard schrie: „Zieht! Bob und Smoky, los, rüber nach Backbord!“

Die beiden schnappten sich das Ende des Taus und rannten vor dem Großmast nach Backbord hinüber.

Die beiden Männer schossen aus der Tiefe des Meeres hoch. Jedenfalls schien es den Männern an Bord der „Isabella“ so. Ehe jemand etwas unternehmen konnte, waren sie heran. Ein kurzer, harter Wellenschlag schleuderte die Schiffbrüchigen gegen die Bordwand, und jeder der Retter hörte den fürchterlichen, klatschenden Laut.

Sie zerrten wie die Verrückten an dem Tau, und als sie den Arm des einen Mannes über dem Schanzkleid auftauchen sahen, der in der Schlinge des Taus hing, dachten sie, daß sie es dennoch geschafft hatten.

Stenmark reagierte als erster. Er hatte gesehen, daß der Mann, der den anderen gehalten hatte, nicht mehr bei Bewußtsein war. Der andere, den er mit dem linken Arm umklammert hatte, rutschte in die aufgewühlte See zurück.

Der Schwede stand schon auf dem Schanzkleid und hechtete in das kochende Wasser. Hasard stockte für einen Moment der Atem, bis er erkannte, daß Ferris Tucker und Batuti das Tau hielten, das sich um Stenmarks Leib schlang.

Endlos lange war nichts von ihm zu sehen. Hasard überlegte schon, ob er Ferris Tucker nicht den Befehl geben sollte, das Tau, an dem Stenmark hing, wieder einzuholen, als der Schwede auftauchte.

Die Männer begannen zu schreien. Sie sahen, daß Stenmark es geschafft hatte, sich den zweiten Schiffbrüchigen zu schnappen, bevor die See ihn verschlingen konnte.

Sie zerrten wie die Verrückten an dem Tau, und ehe der nächste Brecher den Schweden und den Geretteten gegen die Bordwand schleudern konnte, hatte Stenmark mit der rechten Hand eins der Berghölzer packen können und zog sich daran hoch.

Ferris Tucker hatte sich über das Schanzkleid geschwungen. Seine kräftige Faust schloß sich um Stenmarks Handgelenk und zog den Schweden, der mit dem linken Arm einen schlanken, offensichtlich noch sehr jungen Mann umklammerte, mit einem Ruck hoch.

Helfende Fäuste packten zu, und Sekunden später lag Stenmark mit keuchenden Lungen auf den Planken der Kuhl und spuckte eine Menge Wasser.

Hasard befahl Batuti, den jungen Mann, der kein Lebenszeichen von sich gab, unter die Back zu bringen, wo sich der Kutscher schon um Gary Andrews kümmerte. Dann sah er mit Ferris Tucker nach dem Geretteten, der gegen die Bordwand geschleudert worden war.

Sie schauten sich nur kurz an. Ein Blick in das Gesicht des Mannes hatte ihnen genügt, um zu wissen, daß für diesen Mann wahrscheinlich alle Hilfe zu spät kommen würde.

Ein dünner Blutfaden zog sich vom linken Mundwinkel über das Kinn bis zum Hals hinunter.

Hasard nickte Ferris Tucker zu, und sie bückten sich, um den Mann aufzuheben. Ferris wollte an den Beinen anpacken, doch er ließ gleich wieder los. Er war grau im Gesicht, als er den Seewolf anschaute.

„Er hat sich das Bein gequetscht“, sagte er, packte mit beiden Händen zu und hob den Mann allein auf.

Hasard sah, daß das linke Bein des Mannes herunterbaumelte, als ob es nur noch durch das Hosenbein gehalten würde. Mit zusammengepreßten Lippen folgte er Ferris Tukker unter die Back. Ein kurzer Blick zum Himmel zeigte ihm, daß die Kraft des Orkans endgültig gebrochen schien. Er wollte Ben Brighton den Befehl geben, das Großsegel zu setzen, als dessen Stimme schon über Deck hallte und die Großmastgasten in die Wanten jagte.

Der Seewolf ging zu Gary Andrews hinüber, der ganz grün im Gesicht war.

„Was ist mit ihm?“ fragte er den Kutscher.

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