Kitabı oku: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 262»
Impressum
© 1976/2016 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
ISBN: 978-3-95439-598-9
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Inhalt
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
1.
Die See war glatt wie seit Stunden. Über Juan de Faleiros Geiergesicht huschte ein befriedigtes Grinsen, als er mit der rechten Hand die Seekarte glattstrich, auf der er den Kurs verzeichnet hatte, den die französische Galeone „Mercure“ aller Wahrscheinlichkeit nach segeln würde.
Das dumpfe Pochen der Trommel, mit dem der Zuchtmeister den Takt für die Ruderer angab, klang wie Musik in seinen Ohren. Die „Mercure“ würde bei dieser Windstille nicht eine Seemeile am Tag segeln, er dagegen konnte mit seinen einhundertsechzig Rudersklaven in vierundzwanzig Stunden fast zweihundertvierzig Seemeilen zurücklegen.
Als sie aus dem Hafen Damiette ausgelaufen waren, hatte der Wind aus Norden geblasen, also würde die „Mercure“ Westen zum Norden steuern, damit sie Luvraum gewann, den sie brauchte, um Cyrene, die Spitze der Cyrenaika zu passieren und die Straße von Sizilien anzulaufen.
Juan de Faleiro wußte, daß er mit seiner Galeasse eindeutig im Vorteil war. Er konnte segeln und rudern. Mit den vierzig Riemen, die von je vier Ruderern bedient wurden, war er nicht auf günstigen Wind angewiesen. Nur bei heftigem Seegang, wenn es unmöglich war, die Riemen im Gleichklang durch das aufgewühlte Wasser zu peitschen, war er im Nachteil. Aber danach sah es zum Glück nicht aus.
In Juan de Faleiros kleine, stechende Augen trat ein gemeines Glitzern, als er daran dachte, was er mit den Engländern anstellen würde, wenn er sie in die Finger kriegte. Die Wut fraß ihn jedesmal auf, wenn er an die Schmach zurückdachte, die ihm diese Höllensöhne beigebracht hatten.
O ja, er erinnerte sich an jede Einzelheit, als ob es gestern erst geschehen wäre!
Er sah noch den jungen Burschen, den er hatte zwingen wollen, seinen eigenen Kameraden auszupeitschen. Der verdammte Kerl hatte statt dessen den Aufseher mit seiner Eisenfessel niedergeschlagen, einen der Seesoldaten mit einem Tritt vom Laufgang zwischen die Ruderbänke befördert und einem dritten die Muskete entrissen. Und dann – ja, dann hatte er noch das Mündungsfeuer und die Pulverdampfwolke gesehen, die aus der Mündung der Muskete hervorgequollen waren. Ein harter Schlag wie von tausend Nadeln gleichzeitig hatte ihn auf der Brust getroffen. Er hatte sich selbst schreien hören, dann war sein Bewußtsein von einem Augenblick zum anderen ausgelöscht gewesen.
Juan de Faleiro zitterte am ganzen Körper. Die Erinnerung brachte ihn fast um den Verstand. Er dachte daran, daß er ein paarmal mit dem Gedanken gespielt hatte, Schluß zu machen mit dem Leben, nachdem die spanische Marinebehörde ihn zum Sündenbock gestempelt und ihm den Verlust der Silbergaleone „San Mateo“ angelastet hatte, die von den Engländern gekapert und nach England entführt worden war.
Seine Verwundung war geheilt, nicht aber sein Haß auf die Engländer, die dafür verantwortlich waren, daß er immer noch im Mittelmeer stationiert war und eine Galeasse befehligte, statt, wie es ihm zustand, eine Kriegsgaleone zu führen.
Es war wie ein Schlag für ihn gewesen, als er im Hafen von Damiette diesen Schlachtruf „Arwenack“ gehört hatte, der ihm seit Jahren in seinen Alpträumen in den Ohren hallte. Und als er erkannt hatte, daß es dieselben Engländer von damals waren, die an Bord der „Mercure“ gingen, hatte für ihn festgestanden, daß die Zeit der Rache angebrochen war. Er hatte sofort Befehl zum Auslaufen gegeben, und er war fest entschlossen, das französische Schiff bis in den Atlantik zu verfolgen, um der verfluchten Engländer habhaft zu werden, die ihn in seinen bösen Träumen quälten und ihm keine Ruhe ließen.
Juan de Faleiros Kopf ruckte von der Karte hoch, als das dumpfe Pochen plötzlich abriß. Er hörte laute Stimmen über sich und sprang fluchend auf. Deutlich spürte er, daß die Riemen die Galeasse nicht mehr vorwärtsrissen. Mit ein paar Sätzen war er an dem Niedergang, der von seiner Kammer hinauf auf die achtere Plattform führte. Schnell wie eine Ratte huschte er hinauf und rannte oben fast seinen Ersten Offizier um.
„Was ist hier los, Señor Valencia?“ brüllte er aus Leibeskräften. Sein Geiergesicht mit den stechenden, dunklen Augen und den messerrükkendünnen Lippen war dunkelrot angelaufen. Die Perücke saß etwas schief auf seinem Glatzkopf. Er bot einen erheiternden Anblick, dennoch wagte niemand auch nur den Anflug eines Grinsens.
Jesus Valencia trat einen Schritt zur Seite, so daß der Blick für den Kapitän auf den Laufgang zwischen den Duchten frei wurde. Der Erste Offizier hatte die Lippen fest aufeinandergepreßt, als er mit der ausgestreckten Linken auf vier Rudersklaven wies, die zusammengebrochen waren.
Einer der Aufseher, die mit langen Lederpeitschen auf dem Laufgang patrouillierten, holte nach einem kurzen Nicken de Faleiros mit seiner Peitsche aus und ließ sie auf die Rükken der beiden Ruderer an dem dritten Steuerbordriemen klatschen. Die beiden zusammengebrochenen Männer gaben nicht einmal einen Schmerzenslaut von sich. Einer versuchte, sich noch einmal aufzurichten und mit den beiden anderen Ruderern, die mit ihm zusammen auf der Ducht saßen, den Riemen anzuheben. Aber sie schafften es nicht. Der vierte war bewußtlos, sein schwerer Körper lag über dem Riemen.
„Gebt den verfluchten Hundesöhnen die Peitsche!“ kreischte der Kapitän.
Ohne mit der Wimper zu zucken, folgten die Aufseher dem Befehl Juan de Faleiros.
Der Erste Offizier zitterte vor Zorn.
„Señor Capitán!“ stieß er gepreßt hervor. „Sehen Sie nicht, daß die Leute zu Tode erschöpft sind? Wenn Sie die Männer weiter so schinden, werden wir bald die Hälfte von ihnen verlieren. Sie rudern ununterbrochen seit zwölf Stunden! Lassen Sie endlich eine Pause einlegen!“
Juan de Faleiro spuckte Gift und Galle.
„Sie vergessen eines, Señor Valencia“, erwiderte er mit zornbebender Stimme, „auf diesem Schiff gibt nur einer Befehle, und das bin ich!“
Wieder gab er den Aufsehern einen Wink, die zusammengebrochenen Ruderer mit Peitschenhieben zum Weiterpullen zu bewegen. Die Aufseher peitschten drauflos, als ob es ihnen Freude bereite, die grausame Arbeit auszuführen.
Jesus Valencia tauschte einen kurzen Blick mit Carlos Mendez, dem Zweiten Offizier der Galeasse „San Antonio“. Doch der hob nur die Schultern. Sein Blick drückte ebenfalls Abscheu aus, doch er schien nicht bereit, sich deswegen mit dem Kapitän anzulegen.
Juan de Faleiro schob sich an den beiden Offizieren vorbei und blieb neben der Ducht, auf der die beiden bewußtlosen Rudersklaven saßen, stehen. Er starrte auf die Männer, deren Rücken blutüberströmt waren. Jähzornig riß er plötzlich einem der Aufseher die Peitsche aus der Hand und schlug selbst auf die Männer ein. Er traf dabei auch andere, doch ihr Geschrei schien ihn nur noch wütender werden zu lassen.
Jesus Valencia hielt es nicht mehr aus. Er schüttelte die Hand des Zweiten Offiziers ab, der ihn zurückhalten wollte, und lief auf den Kapitän zu.
„Señor Capitán!“ rief er empört. „Sie schlagen die Männer tot!“
Juan de Faleiro drehte sich abrupt um, und einen Moment sah es aus, als ob er mit der Peitsche auf seinen Ersten Offizier einschlagen wollte. Doch im letzten Augenblick hielt er sich zurück. Er übergab die Peitsche wieder dem Aufseher.
„Das ist Insubordination, Señor Valencia“, sagte er mit eiskalter Stimme, die dem Ersten Offizier einen Schauer über den Rücken jagte. „Ich hätte nicht wenig Lust, Sie anstelle der ausgefallenen Sträflinge ans Eisen zu schmieden!“
Jesus Valencia wurde blaß. Doch dann straffte er sich und erwiderte: „Diese Männer werden Sie auch mit Peitschenhieben nicht wieder zum Rudern bringen, Capitán.“
Ein gemeines Grinsen zog die schmalen Lippen des Capitans in die Breite.
„Sie haben recht, Señor Valencia“, sagte er schmierig. „Die vier Kerle können uns nicht mehr von Nutzen sein. Und da Sie wissen, daß ich keinen überflüssigen Ballast an Bord dulde, möchte ich Sie bitten, jeden, der nicht mehr in der Lage ist, seinen Riemen zu bewegen, über Bord zu werfen.“
Für einen Moment war es totenstill auf dem Schiff. Mit weit aufgerissenen Augen starrte Jesus Valencia seinen Kapitän an. Er konnte nicht begreifen, was er da eben gehört hatte. Sein Blick glitt hinüber zum Vorderkastell, wo Ribera, der Teniente der fünfzig Seesoldaten stand und das Geschehen auf dem Laufgang die ganze Zeit beobachtet hatte. Aber Ribera schien sich aus allem heraushalten zu wollen. Er wußte, daß der Kaptiän an Bord eines Schiffes die absolute Befehlsgewalt hatte, was das Schiff und seine Besatzung betraf. Er selbst war für seine Soldaten verantwortlich.
Jesus Valencia schüttelte den Kopf, als er sah, daß niemand bereit war, ihm zu helfen. Er wandte sich dem Kapitän zu, der mit sadistischer Genugtuung die Qualen beobachtete, die er seinem Ersten Offizier mit seinem Befehl bereitet hatte.
„Das war ein Befehl, Señor Valencia“, sagte er grinsend. „Oder beabsichtigen Sie, zu meutern?“
Jesus Valencia brachte keinen Ton hervor. Er spürte die hämischen Blicke der Aufseher, die ihn haßten, weil er sie schon häufig vor den Rudersträflingen zusammengestaucht hatte, und er sah die bedauernden Gesichter des Teniente und Carlos Mendez’, des zweiten Offiziers, der ihm nicht helfen konnte.
In seinen Augen stand Verzweiflung, als er den Kopf hob und sagte: „Ich kann Ihren Befehl nicht ausführen, Señor Capitán. Mein christlicher Glaube verbietet es mir.“
Das Gesicht des Capitáns verzerrte sich. Das Grinsen verschwand, und Jesus Valencia wußte, daß er genau die richtigen Worte gefunden hatte, die ihn noch einmal aus diesem Verhängnis befreiten. Juan de Faleiro konnte ihn nicht der Meuterei bezichtigen, wenn er sich auf seinen Glauben berief. Zu viele Männer würden später die Worte bezeugen können, die Jesus Valencia gesprochen hatte. Und wenn de Faleiro auch vor dem Marinegericht recht erhalten würde, wenn er seinen Ersten Offizier wegen Meuterei bestrafte, so würde er der Inquisition wahrscheinlich nicht entgehen.
Wütend wandte sich Juan de Faleiro von ihm ab und brüllte seine Aufseher an, seinen Befehl in die Tat umzusetzen.
Sie zögerten nicht eine Sekunde. Mit wenigen Handgriffen waren die Ketten der Bewußtlosen gelöst. Ein leises Murren ging durch die Reihen der Rudersträflinge, aber ein paar brutale Peitschenhiebe brachte die Männer sofort zum Schweigen.
Die vier bewußtlosen Ruderer wurden über die Ducht auf den Laufgang über der Apostis gezerrt, wo die Seesoldaten zur Seite wichen. Wie Säcke wurden die Männer ins Meer geschleudert.
Jesus Valencia hatte die Hände zu Fäusten geballt. Er nannte sich im stillen einen Feigling, daß er den Mord an den Sträflingen ohne Widerspruch zuließ, aber er wußte auch, daß es seinen eigenen Tod bedeutete, wernn er gegen den Kapitän vorging.
Juan de Faleiro wartete ab, bis auch der letzte für ihn unbrauchbare Sträfling ins Wasser geklatscht war, dann drehte er sich um und winkte den Teniente vom Vorderkastell zu sich.
Ribera näherte sich mißtrauisch dem Kapitän. Er hatte bisher wenig Reibungspunkte mit ihm gehabt, weil sie noch nicht in ein Gefecht mit anderen Schiffen verwickelt worden waren, seit er seinen Dienst auf dieser Galeasse angetreten hatte, aber ihm war nicht verborgen geblieben, daß jeder auf diesem Schiff, mit Ausnahme der Aufseher, Juan de Faleiro aufs Blut haßte.
„Uns fehlen vier Ruderer, Teniente“, sagte der Kapitän kalt. „Suchen Sie vier Ihrer Soldaten aus, die ihre Aufgabe übernehmen. Wir brauchen im Moment jeden Mann, wenn wir die französische Galeone noch einholen wollen.“
„Was haben Sie gesagt, Señor Capitán?“ Der Teniente glaubte, nicht richtig gehört zu haben. „Meine Männer sollen auf die Ruderbänke?“
„Ihre Ohren sind noch gut, Teniente“, erwiderte de Faleiro gallig. Offensichtlich hielt er den Teniente für schwer von Begriff.
„Von meinen Männern wird keiner auf einer Ruderbank sitzen“, sagte der Teniente fest.
Der Kapitän schluckte ein paarmal. Sein Gesicht lief wieder dunkelrot an. Mit einer heftigen Bewegung rückte er seine Perücke zurecht, die ihm über die Augen zu rutschen drohte. Er riß einem seiner Aufseher die Peitsche aus der Hand, aber bevor er den Arm zum Schlag erheben konnte, hielt der Teniente eine Pistole in der Hand, deren Lauf genau auf de Faleiros Bauch gerichtet war.
Rundum auf dem äußeren Laufgang war plötzlich Bewegung. Jesus Valencia sah, wie die Seesoldaten ihre Musketen leicht angehoben hatten.
„Niemand zwingt einen meiner Männer Sklavendienste zu verrichten“, wiederholte der Teniente unerschrocken. „Sie wissen, Señor Capitán, daß Sie damit Ihre Kompetenzen überschreiten. Für meine Männer ist niemand anderer als ich verantwortlich. Wenn Sie jemanden zum Rudern brauchen, dann nehmen Sie welche von Ihren Leuten.“
Bevor Juan de Faleiro sich wieder fing, sagte Jesus Valencia schnell: „Wir können mit zwei Riemen weniger rudern, Señor Capitán. Unsere Geschwindigkeit wird dadurch nicht wesentlich geringer.“
„Ich befehle hier!“ brüllte de Faleiro. „Profos! Vier Mann auf die Duchten! Und sorgen Sie dafür, daß die alte Geschwindigkeit beibehalten wird, sonst lernt ihr mich alle kennen!“ Seine Stimme überschlug sich fast. Abrupt drehte er sich um und verschwand wieder durch das Schott in seine Kammer unter der achteren Plattform. Es sah fast so aus, als ergreife er die Flucht.
Der Profos rief vier Namen auf. Er mußte sie ein paarmal brüllen, bis sich vier Männer bequemten, zu ihm auf den Laufgang zu treten. Sie protestierten lautstark gegen die ungerechte Behandlung, denn schließlich waren sie als Seeleute angeheuert und nicht als Rudersklaven.
Ein paar Maulschellen des Profos’ und Peitschenschläge der Aufseher brachten sie an ihren Platz.
Jesus Valencia preßte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. An Bord dieses Schiffes herrschte die nackte Gewalt, und er war nicht in der Lage, dem abzuhelfen. Zu groß war die Macht des Kapitäns, der einer persönlichen Rache wegen seinen Auftrag vergessen hatte, und seine Männer zu Tode schindete.
Als das dumpfe Pochen der Trommel wieder den Takt der Riemenschläge diktierte und sich die Galeasse langsam in Bewegung setzte, konnte der Erste Offizier der „San Antonio“ angesichts seiner Ohnmacht kaum die Tränen zurückhalten. Er hatte nie in seinem Leben den Wunsch verspürt, einem anderen Menschen Böses anzutun, doch in diesem Moment wäre er bereit gewesen, Juan de Faleiro zu töten.
2.
„Nimm deine dreckigen Griffel weg!“
Stenmarks Stimme klang schneidend. Er starrte den Giftzwerg wütend an, der sich an sein Lager geschlichen und nach dem breiten Ledergurt getastet hatte, der Stenmark als Kopfkissen gedient hatte.
Der Franzose, der nicht mehr als fünf Fuß maß, verzog sein schmales Gesicht zu einem Grinsen und erwiderte in gebrochenem Englisch: „Zeigt uns, was Ihr in den Gürteln versteckt, Suédois, dann habt Ihr eure Ruhe.“
„Ich kann dir was aufs Maul geben, Franzmann, dann hab’ ich auch meine Ruhe“, sagte Stenmark böse. Er band seinen breiten Ledergürtel, den Will Thorne ihnen allen genäht hatte, wieder um. Er dachte nicht daran, irgend jemandem auf die Nase zu binden, daß der Segelmacher der alten „Isabella“ Perlen, Juwelen und Goldstücke darin vernäht hatte, mit denen er ein halbes Königreich aufkaufen konnte. Der Giftzwerg vor ihm sah aus, als würde er einem Mann schon wegen ein paar Sous die Kehle im Schlaf durchschneiden.
„Du kannst nicht immer auf das Ding aufpassen, Suédois“, sagte der Giftzwerg. „Ich bin von Natur aus neugierig.“
Stenmark konnte sich nicht mehr beherrschen. Er trat einen schnellen Schritt vor, packte den kleinen Mann vorn am Hemd und hob ihn ohne große Mühe hoch.
„Hör mal zu, du halbe Portion!“ stieß er schnaubend hervor. „Du gehst mir langsam auf den Geist. Wenn du noch mal deine langen Griffel nach meinem Gürtel oder einem von meinen Kameraden ausstreckst, dann kannst du mit den Fischen Haschen spielen, verstanden?“ Er ließ den Giftzwerg los, daß dieser auf die Planken stürzte, sein Gleichgewicht verlor und sich auf den Hosenboden setzte.
Doch wie der Blitz war er wieder hoch. Das Grinsen war aus seinem Gesicht verschwunden. Seine kleinen, dunklen Augen blitzten vor Wut.
Stenmark konnte gerade noch ausweichen, als die rechte Hand des Franzosen vorzuckte und die schmale Klinge eines Messers sein Hemd an der Seite aufriß.
Er stieß einen überraschten Schrei aus. Instinktiv packte seine Linke zu und umklammerte das Handgelenk des Giftzwerges so hart, daß diesem nichts anderes übrigblieb, als das Messer loszulassen. Der Teufel mochte wissen, woher der Kerl das Ding so schnell gezaubert hatte.
Als es auf die Planken polterte, klatschte Stenmarks Linke bereits in das schmale Gesicht des Franzosen, der daraufhin ein Gebrüll anstimmte, als würden die Türken das Schiff entern.
Plötzlich waren Stenmark und der Giftzwerg nicht mehr allein im Vordeck. Ein Berg von einem Mann schob sich neben den kleinen Franzosen und baute sich drohend vor Stenmark auf. Ohne den Blick von dem Schweden zu nehmen, fragte er den Kleinen etwas. Der sprudelte ein paar Worte heraus, und Stenmark war überzeugt, daß der überwiegende Teil davon Lügen waren.
Der Riese starrte Stenmark aus grauen Augen an. Er sagte etwas, was Stenmark nicht verstand. Dann zuckte seine Faust vor, aber der Schwede war darauf gefaßt gewesen und wich geschickt aus. Er hatte mit der Rechten die Schnalle seines breiten Ledergürtels wieder geöffnet, und als der Riese sich schnaufend herumwarf, um ihn wieder anzugreifen, schleuderte er seinen Gürtel mit einer blitzschnellen Bewegung hoch, so daß die Schnalle dem großen Franzosen um die Ohren klatschte.
Stenmark wußte, wen er vor sich hatte. Der Riese war der Decksälteste der „Mercure“, und in seinen Fäusten sollte die Kraft eines Hammers stecken. Das hatte ihm den Namen „Marteau“ eingebracht, was im Englischen Hammer hieß.
Als der Riese röhrend in die Knie ging und sich die aufgeplatzte linke Wange hielt, wich Stenmark vorsichtshalber zwei Schritte zurück. Aus den Augenwinkeln sah er, daß ein weiterer Franzose auftauchte, ein blonder Kerl, der zwar etwas kleiner war als Marteau, dafür vielleicht aber noch breiter. Er war ein Bretone und sprach von allen Männern an Bord das beste Englisch.
„Was ist hier los?“ fragte er Stenmark.
„Der Giftzwerg wollte mir meinen Gürtel klauen“, erwiderte Stenmark, „dann hat er Marteau ein paar Lügen erzählt, und der ist auf mich losgegangen.“
Die stahlblauen Augen des Bretonen verengten sich. Offensichtlich gefiel ihm nicht, daß Stenmark seine Kameraden als Lügner beschimpfte. Er wandte sich an den Decksältesten, der sich langsam erhob, und fragte ihn was auf Französisch.
Stenmark fluchte leise in sich hinein. Er fragte sich, wo seine Kameraden blieben. Sie mußten doch auch bemerkt haben, daß hier im Vorschiff was los war!
Als der Giftzwerg zu grinsen begann, wußte er, daß die Sache brenzlig wurde. Der Bretone, der der Bootsmann der „Mercure“ war, wandte sich wieder an Stenmark. Er wies auf den breiten Ledergürtel, den Stenmark in der rechten Hand hielt.
„Zeig uns den Gürtel!“ befahl er hart.
Stenmark schüttelte den Kopf.
„Ihr müßt ihn euch schon holen, wenn ihr ihn haben wollt!“ sagte er kalt.
Ein Grinsen zog die etwas wulstigen Lippen des Bretonen in die Breite. Mit einer ausholenden Bewegung wies er auf Marteau und dann auf sich.
„Glaubst du, daß du gegen uns beide lange auf den Beinen bleibst?“ fragte er. „Gib den Gürtel her, und du ersparst dir ein paar gebrochene Rippen.“
Stenmark war sich klar darüber, daß hier mit Worten nichts mehr auszurichten war. Er entschied sich, die Lücke nebem dem Decksältesten, in der der Giftzwerg stand, zu nutzen, um aus dem Vorschiff auf die Kuhl zu gelangen, wo sich Carberry, Ferris Tucker und die anderen aufhalten mußten.
Er fintete plötzlich auf den Bretonen zu, sein Gürtel wirbelte wieder durch die Luft, traf den Decksältesten abermals am Kopf, wich zur Seite aus und rammte den Giftzwerg mit der Schulter, daß dieser wie von einem Katapult geschleudert gegen einen Balken prallte und schreiend zu Boden ging.
Auch Stenmark schrie. Allerdings nicht vor Schmerzen. Er brüllte seinen Kampfruf hinaus, der seine Kameraden zu Hilfe holen würde.
„Arwenack!“
Fast hätte er es geschafft, an Marteau, dem Hammer, vorbei in die Kuhl zu entwischen. Doch der Riese, der bestimmt vom Schlag mit dem schweren Ledergürtel Ohrensausen hatte, war noch so weit bei Besinnung, daß er instinktiv sein rechtes Bein zur Seite ausstreckte.
Stenmark sah es zu spät. Er stolperte. Mit rudernden Armen versuchte er, sein Gleichgewicht zu halten, schaffte es nicht und krachte schwer auf die Decksplanken.
Marteau ließ sich einfach auf ihn fallen. Die mächtigen Pranken des Riesen krallten sich in den Ledergürtel und versuchten, ihn Stenmark zu entreißen.
Der Schwede schüttelte schnell seine Benommenheit ab. Er stieß seine linke Faust hoch und traf Marteaus Nase. Der Riese brüllte vor Schmerzen. Offensichtlich hatte Stenmark seine empfindlichste Stelle erwischt. Dennoch ließ der Kerl den Gürtel nicht los.
Neben sich spürte er das Zittern der Planken. Er fragte sich, warum der Breteone nicht in den Kampf eingriff. Als er den Kopf etwas drehte, sah er den Grund. Der Bootsmann lag neben ihm auf den Planken, alle viere von sich gestreckt.
„Ed! Gott sei Dank“, flüsterte er.
Er sah, wie Edwin Carberry den Riesen, der immer noch auf ihm hockte, im Genick packte und ihn hochriß. Klatschend landete Carberrys Handrücken im Gesicht des Decksältesten, dann erhielt der Riese einen Stoß und taumelte gegen den Giftzwerg, der sich gerade wieder aufgerappelt hatte. Zusammen gingen die beiden zu Boden.
Hinter Carberry tauchten Ferris Tucker, Blacky und Jeff Bowie auf. Sie schirmten das Geschehen vor den anderen Franzosen ab, die den Lärm mitgekriegt hatten und nachsehen wollten, was es wohl im Vorschiff gegeben hatte.
Carberry zog Stenmark zur Seite.
„Was war los?“ fragte er.
Stenmark berichtete keuchend.
„Sie sind ganz versessen darauf, zu erfahren, was es mit unseren Gürteln auf sich hat“, sagte er zum Schluß. „Ich glaube, daß wir noch eine Menge Ärger kriegen.“
„Wir sollten die Schneckenfresser alle über Bord schmeißen“, knurrte Blakky, „dann hätten wir unsere Ruhe.“
Carberry schüttelte den Kopf. Sein hartes, narbiges Gesicht spiegelte die Sorgen wider, die ihm die Entwicklung an Bord der „Mercure“ bereitete.
„Ich werde mir den Bootsmann mal vorknöpfen, wenn er wieder klar aus der Wäsche gucken kann“, sagte er grollend. „Wenn er Stunk an Bord haben will, dann kann er ihn kriegen. Er braucht nur das Maul ein bißchen zu weit aufzureißen, dann werde ich es ihm kalfatern, daß er sich durch die Nase ernähren muß.“
„Affenarsch!“ krächzte „Sir John“, der auf Carberrys Schulter flatterte und nach seinem Ohr hackte.
„Halt’s Maul, wenn ich rede“, sagte Carberry.
Ferris Tucker wiegte den Kopf und schaute seine Kameraden an, die sich inzwischen alle um ihn, Stenmark und Carberry geschart hatten.
„Ich habe auch schon überlegt, ob wir mal mit dem Kapitän oder mit Duval, seinem Steuermann, reden sollen“, sagte er nachdenklich. „Ich glaube kaum, daß das Erfolg haben wird. Wir müssen uns mit der Mannschaft auseinandersetzen. Wenn sie merken, daß mit uns nicht gut Kirschen essen ist, werden sie uns in Ruhe lassen.“
„Du meinst, wir sollen sie alle durchmangeln?“ fragte Bill grinsend.
„Wenn sie es nicht anders wollen, warum nicht?“ erwiderte Ferris. „Allerdings sind wir nur acht, und sie bringen mit dem Steuermann siebzehn Mann auf die Beine. Außerdem weiß ich nicht, wie sich Finnegan und Rogers verhalten werden.“
Carberry wischte Ferris’ Bedenken mit einer kurzen Handbewegung beiseite.
„Auf jeden von uns zwei Mann“, sagte er. „Das ist doch kein Verhältnis. Vielleicht sollten sich der Kutscher, Bill und Luke als Reserve zur Verfügung halten, damit sie einspringen können, wenn einer von uns anderen ein bißchen müde geworden ist.“
Es schien für sie alle klar, daß eine Kraftprobe unausweichlich war. Sie waren bereit, noch in dieser Minute loszulegen und den Schneckenfressern zu zeigen, was es hieß sich mit der Crew des Seewolfes aus Arwenack anzulegen.
Mit grimmigen Gesichtern starrten sie dem Bretonen und Marteau, dem Decksältesten entgegen, als die aus dem Vorschiff auftauchten und leicht schwankend über die Kuhl zum Achterdeck hinüberschlurften. Offensichtlich wollten sie dem Steuermann und dem Kapitän Bericht erstatten, daß die verdammten Engländer aufsässig wurden.
Jack Finnegan und Paddy Rogers, die beiden Engländer, die von der „Mercure“ aus dem Wasser gefischt worden waren, wichen den wütend vorbeistampfenden Franzosen aus.
Den beiden Männern war noch deutlich die Anstrengung ihres Zwangsaufenthalts auf dem Mars ihres gesunkenen Schiffes anzusehen. Sie hatten einen schlimmen Kampf mit den Elementen und mit drei Holländern hinter sich, in dem es um Wasser und damit ums nackte Überleben gegangen war. Jack Finnegan hatte nicht viel erzählt, aber Luke Morgan, der sich viel um die beiden gekümmert hatte, wußte inzwischen eine Menge von den beiden.
„Ich werde mit Jack und Paddy sprechen“, sagte Luke. „Ich glaube nicht, daß sie sich auf die Seite der Franzosen schlagen werden, wenn es hart auf hart geht. Und neutral können sie auch nicht bleiben.“
„Tu das“, sagte Ferris. „Zwei Mann mehr können nicht schaden. Auch wenn Ed allein mit den Schneckenfressern fertig werden würde.“
„Ja, ja“, murmelte Jeff Bowie. „Unser Profos und die große Schnauze von seinem Papagei.“
Carberry blickte ihn drohend an, sagte aber nichts. Schließlich konnten sie gerade jetzt keinen Streit unter sich gebrauchen. Aber irgendwann würden sie wieder ein eigenes Schiff haben, und dann würde er Jeff übers Deck jagen, bis ihm das Wasser im Hintern zu kochen begann!
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