Kitabı oku: «Space Prophet», sayfa 4
2. AUF DER REISE
»Auch die weiteste Reise beginnt mit dem ersten Schritt.«
(Buch der Weisheit)
Der vierte Planet von Ran hatte bei seiner Entdeckung für Jubelstürme gesorgt. Von der Größe her entspricht er der Erde, zudem verfügt er über Wasservorkommen. Vor allem aber liegt er in der sogenannten habitablen Zone, was bedeutet, dass er seine Sonne in einem Abstand umkreist, der lebensfreundliche Temperaturen garantiert. Da das Ökosystem der Erde zu diesem Zeitpunkt schwer angeschlagen war, taufte man den neuen Planeten »New Hope« und sandte ein Siedlungsschiff nach ihm aus.
Das lag mittlerweile hundert Jahre zurück. Die anfängliche Aufbruchstimmung war inzwischen längst einer großen Ernüchterung gewichen. New Hope galt als der erste, aber leider fehlgeschlagene Versuch von Terraforming. Trotz aller Bemühungen war der Sauerstoffgehalt seiner Atmosphäre immer noch so niedrig, dass menschliches Leben nur in hermetisch verschlossenen Gebäuden möglich war. Die einzige Stadt »Fortuna«, benannt nach dem ersten Siedlungsschiff, bestand im Wesentlichen aus dem Raumhafen, einigen Hotels und den Häusern der hier ansässigen Arbeiter. Sie war ein typisches Relikt der Pionierzeit. Alles wirkte provisorisch und heruntergekommen.
Ein Shuttle brachte Jonas und die anderen Passagiere vom Versorgungsschiff »Liverpool«, deren Gäste sie in den letzten 12 Stunden gewesen waren, hinunter zur Planetenoberfläche. Jonas starrte durch das kleine Bullauge. New Hope wirkte bräunlich und tot, lediglich ein leuchtender Fleck zeigte die Anwesenheit von zivilisiertem Leben an – das musste Fortuna sein.
Das Shuttle landete auf einer grauen Betonpiste, die beachtliche Schlaglöcher aufwies, und rollte zum Terminal hinüber, wo eine flexible Schleuse eine luftdichte Verbindung herstellte.
Jonas löste seinen Sicherheitsgurt und blickte zu seinen Kameraden hinüber, die wie er in den Urlaub gingen.
»Wie geht es jetzt weiter?«, fragte er Ernesto Rodriguez, einen dunkelhäutigen IT-Techniker aus Sektor 7.
»Das bleibt dir überlassen. Unsere geliebte Raumflotte kommt nur für den Transport zur nächsten Basis auf, den Rest muss jeder selbst organisieren. Ich fliege in einer Stunde weiter nach Orion Beta 3. Zwei Wochen Paradies all inclusive. War gar nicht einfach, da einen Platz zu bekommen – ich musste drei Monate im Voraus buchen. Hast du denn keinen Anschlussflug?«
»Ich fürchte, nein. Meine Urlaubspläne waren eher … spontan.«
»Verstehe.« Ernesto nickte. »Na dann viel Glück. Aber du hast ja einen guten Draht nach oben!«
»Da bin ich mir nicht so sicher«, murmelte Jonas, während er sich durch den Mittelgang schob und der Menge zur Gepäckausgabe folgte. Nach kurzer Zeit erschienen seine beiden Reisetaschen auf dem Förderband.
»Buddy, geht es dir gut?«, murmelte er, als er sie anhob. Er hörte ein leises Scharren und spürte eine Änderung der Gewichtsverteilung, als der Wombat sich in der Tasche bewegte.
»Halt durch, bald hast du’s geschafft!«
Jonas wuchtete seine Taschen auf einen Elektrokarren und strebte dem Ausgang zu. Er wollte sich erst einmal ein Zimmer nehmen und die Lage peilen. Buddy brauchte bestimmt etwas Erholung, bevor sie zur Erde weiterflogen.
Jonas fühlte Sehnsucht in sich aufsteigen. Drei Jahre lang war er nicht mehr auf der Erde gewesen, kannte blauen Himmel nur noch vom Holodeck und hatte mit seinen Eltern ausschließlich durch Videobotschaften kommunizieren können, die Tage brauchten, bevor sie ihren Weg über die Hypergate-Relaisstationen zur Erde zurückgelegt hatten.
»Einen Augenblick bitte!« – die Stimme eines Zollbeamten schreckte Jonas aus seinen Gedanken.
»Stimmt etwas nicht?«
»Wenn Sie mir bitte folgen würden.« Der Beamte wies mit der offenen Hand auf ein kleines Büro. Augenblicklich bekam Jonas weiche Knie.
»Ja, selbstverständlich«, sagte er heiser.
»Ihre ID-Card bitte«, forderte der Zöllner, nachdem sie den kleinen Raum mit dem großen Tisch betreten hatten. Jonas gab sie ihm und sah zu, wie der Beamte sie in ein Lesegerät schob. Minutenlang starrte er schweigend auf den Bildschirm. Jonas begann zu schwitzen.
»Bitte stellen Sie Ihr Gepäck hier auf den Tisch, Herr Rothenfels.« Jonas tat, wie ihm geheißen. Der Beamte öffnete die erste Tasche, fuhr mit geübten Griffen durch die Wäsche, dann wandte er sich Buddys provisorischer Unterkunft zu. Jonas hielt den Atem an.
»Warum fliegen Sie mit zwei Gepäckstücken?«
»Das zweite gehört einem Freund, der leider verstorben ist. Er bat mich, es seiner Familie zu bringen.«
»Haben Sie es durchsucht?«
»Nein, das fand ich unpassend.«
Der Beamte nickte verständnisvoll. »Dennoch muss Ihnen klar sein, dass Sie für den Inhalt die volle Verantwortung tragen.«
»Natürlich.«
Der Zöllner machte sich am Reißverschluss zu schaffen.
Jonas glaubte, jeden Moment umzufallen. Seine Knie waren wie aus Gummi. Auf das Schmuggeln lebendiger Tiere standen hohe Strafen. Was hatte er sich nur dabei gedacht?
Die Tasche klappte auf, und Jonas sah, dass sie bis zum Rand mit Wäsche gefüllt war. Akkurat gefaltete Uniformteile, Hemden, Schuhe, Waschzeug. Der Zöllner warf einen kurzen Blick hinein, ließ die Hände kurz durch die Sachen gleiten und nickte dann.
»Alles in Ordnung. Danke für Ihre Kooperation.«
Jonas versuchte, sich seine Erleichterung nicht anmerken zu lassen, als er das Gepäck und die ID-Card zurückbekam. Zugleich war er verwirrt. Wie konnte das sein? Hatte Alister ihn mit seinem Wahn doch irgendwie angesteckt? Existierte Buddy, dessen Bewegungen in der Tasche er inzwischen wieder deutlich spüren konnte, nun wirklich, oder handelte es sich um eine Halluzination?
Er verließ den Raumhafen und checkte im angrenzenden Hotel ein. Ein trister Laden, dem ein frischer Anstrich gutgetan hätte. Das Zimmer war halb so groß wie seine Kabine auf der Peacemaker und kostete dennoch stolze zwölf Units pro Nacht.
Jonas legte die Reisetasche auf das Bett und öffnete sie. Buddy steckte seine Schnauze heraus.
»Wie hast du das vorhin bloß angestellt?«, fragte Jonas und strich dem Wombat behutsam über den pelzigen Kopf. »Ich hatte ganz schön Schiss, das kann ich dir sagen.«
In Gedanken ging er die Situation am Zoll noch einmal durch. Er konnte sich immer noch keinen Reim darauf machen.
»Woher kann ich wissen, ob du real bist?«, sagte er nachdenklich. »Vielleicht bilde ich dich mir genauso ein wie diese merkwürdige Gottesstimme.«
Plötzlich schnappte Buddy zu. Jonas heulte auf, als sich die scharfen Zähne in seine Hand bohrten. Der Wombat sprang aus der Tasche und verschwand unter dem Bett.
Erschüttert sah Jonas auf seine Hand, aus der feine Blutstropfen sickerten. Er ging in die Nasszelle und ließ Wasser über die Wunde laufen. Immerhin hatte er jetzt eine klare Antwort auf seine Frage.
Er kehrte in das Zimmer zurück, setzte sich an den kleinen Schreibtisch und fuhr mit seinem Finger über den altmodischen Touchscreen, der in die Tischplatte eingelassen war. Als könnte das Gerät seine Gedanken lesen, öffnete sich die Raumhafenseite und zeigte die abgehenden Flüge der nächsten Tage an.
Jonas scrollte durch die Seite und stöhnte auf. So wie es aussah, waren in den kommenden vierzehn Tagen alle Passagen zur Erde ausgebucht. Das durfte doch nicht wahr sein! Hatte sich denn die ganze Welt gegen ihn verschworen?
Er schloss die Augen, konzentrierte seine Willenskraft und bestellte beim Universum einen Flug zur Erde. Angeblich sollte das ja funktionieren.
Dann legte er sich aufs Bett und versuchte, sich zu entspannen.
Dabei musste er wohl eingeschlafen sein, denn er schreckte hoch, als die Stimme seinen Namen rief.
Jonas! Jonas!
Er vergrub seinen Kopf unter einem Kissen, aber es nützte nichts.
»Wer bist du?«, stöhnte er schließlich. »Warum kannst du mich nicht in Ruhe lassen?«
Ich bin der Gott, der das Universum erschaffen hat. Und ich möchte, dass du nach Kyros fliegst, um den Menschen dort meine Botschaft zu bringen.
»Hör auf, du bist nicht real!«
Ich bin real, Jonas, und du wirst noch erkennen, dass ich der Herr bin. Mach dich auf den Weg nach Kyros!
»Nein!« Jonas sprang auf und rannte zu dem kleinen Waschbecken im Nebenraum. Er drehte den Hahn auf, ließ kaltes Wasser in seine Hände laufen und klatschte es sich ins Gesicht. Die Bisswunde brannte.
Er fuhr sich ein, zwei Mal durch die Haare und beschloss, in die Hotelbar zu gehen. Jetzt brauchte er dringend menschliche Gesellschaft.
Ein lautes Durcheinander verschiedener Unterhaltungen schlug ihm entgegen, als er den Lift verließ. Die Luft war abgestanden. Jonas sah sich kurz um und stellte fest, dass alle Tische besetzt waren. So setzte er sich an den Tresen und bestellte ein Bier.
»Was haben Sie denn mit Ihrer Hand gemacht? Sie bluten ja!«, bemerkte der Barkeeper.
Jonas zuckte gleichmütig mit den Schultern. Immerhin freute es ihn, dass auch andere die Wunde sehen konnten. Nach den Ereignissen der letzten Tage wusste er nicht mehr, inwieweit er seinen Wahrnehmungen noch trauen konnte.
Der Kellner verschwand kurz hinter dem Regal mit den Flaschen und kehrte mit einer Spraydose zurück.
»Erlauben Sie?«, fragte er, dann besprühte er die Wunde. Augenblicklich stoppte die Blutung. Der leicht pochende Schmerz in der Hand ließ nach. Jonas erkannte das Präparat: BMF 25, ein Multifunktionsspray für kleinere Verletzungen. Wirkt schmerzlindernd, antibakteriell, versiegelt die Hautoberfläche und unterstützt den natürlichen Heilungsprozess. Auf der Krankenstation der Peacemaker wurde es regelmäßig verwendet.
»Danke schön!«, nuschelte er.
»Keine Ursache.« Der Barkeeper stellte ein großes Glas unter den Zapfhahn und ließ das Bier hineinströmen. »Wo kommen Sie her?«
»Von der Peacemaker«, sagte Jonas und registrierte befriedigt den respektvollen Blick des Bediensteten.
»Ich habe spontan Urlaub eingereicht, aber nun sitze ich hier fest, weil alle Schiffe ausgebucht sind.«
»Wohin wollen Sie denn?«
»Zur Erde.«
»Hmm, das ist schwierig. New Hope wird in letzter Zeit nicht mehr so häufig angeflogen. Unsere besten Zeiten sind wohl vorbei«, bemerkte er traurig. Er stellte das gefüllte Glas vor Jonas auf den Tresen. »Haben Sie es schon mit dem Ticketmarkt versucht?«
»Nein, was ist das?«
»Ein Portal, auf dem bereits gebuchte Flüge angeboten werden. Manchmal hat man Glück, dass ein Passagier seine Reise aus irgendeinem Grund nicht antreten will und sein Ticket zum Verkauf anbietet.«
»Danke für den Tipp!«
Wortlos schob der Barkeeper ihm ein Sketchboard über den Tresen und wandte sich anschließend den anderen Gästen zu. Jonas rief den Ticketmarkt auf.
Als Erstes begegnete ihm ein Angebot für einen Flug nach Kyros. Besten Dank, dachte er und ließ den Eintrag mit einem Wisch seines Fingers verschwinden. Dieser Ort war der letzte, zu dem er jetzt fliegen wollte.
Ansonsten war die Auswahl überschaubar – es gab zwei Tickets nach Plintan, eines nach Orion Beta 3 und sogar einen Flug zur Peacemaker in der nächsten Woche.
»Scheiße«, entfuhr es ihm, »will denn niemand mehr zur Erde fliegen?«
»Kommt darauf an«, brummte eine Stimme hinter ihm. Sie gehörte einem bärtigen Mann in einer verschlissenen Uniform, dessen Dialekt und leicht bläuliche Hautfarbe verrieten, dass er auf Sirius 4 aufgewachsen war. Wie alle Sirianer war er aufgrund der hohen Schwerkraft, die dort herrschte, klein und gedrungen und wirkte bärenstark.
»Kommt ganz darauf an, was du anlegen willst«, ergänzte er. »Ich bin Gantor, erster Offizier der Marad. Wir haben einen kleinen Forschungsauftrag im Nachbarsystem zu erledigen und wollen dann weiter zur Erde. Für 500 Units bist du dabei!«
Jonas schluckte. Der Preis war unverschämt hoch, mehr als das Dreifache dessen, was ein normaler Linienflug kostete.
»Das ist aber ganz schön teuer.«
»Jipp. Nimm es oder lass es. Wir starten in zwei Stunden.«
»Also schön. Wie es aussieht, habe ich keine große Auswahl. Wo steht das Shuttle?«
»Wir brauchen kein Shuttle. Die Marad ist planetenlandetauglich. Du findest uns am Gate 13.«
»In Ordnung.« Jonas steckte dem Fremden die Hand entgegen, doch dieser machte keine Anstalten, sie zu ergreifen.
»Wir sehen uns«, knurrte Gantor, drehte sich um und verließ die Bar.
Jonas bezahlte sein Bier und kehrte beschwingt ins Zimmer zurück.
Wer sagte es denn, das Universum hatte alles bestens für ihn geordnet. Es sollte alles so sein. Hätte Buddy ihn nicht gebissen, wäre er vermutlich nicht mit dem Barkeeper ins Gespräch gekommen, hätte nicht im Ticketmarkt geforscht und wäre Gantor nicht begegnet. Der Preis war zwar gepfeffert, aber was soll’s. Angebot und Nachfrage. Das Spiel war so alt wie die Menschheit.
Er packte seine Sachen – das meiste lag ohnehin noch in der Reisetasche –, dann rief er seinen Begleiter. »Komm, Buddy, wir fliegen zur Erde!« Doch im Zimmer rührte sich nichts.
»Buddy, nun komm schon, ich bin dir auch nicht böse!«
Jonas kniete sich vor das Bett und spähte darunter. Die Futterschale war leer, der Wombat hockte im entferntesten Winkel.
»Buddy, bitte, wir müssen los. Ich kann dich doch nicht hierlassen!«
Mit deutlichem Widerwillen schob sich das pelzige Tier unter dem Bett hervor.
»Ja, Buddy, so ist es gut. Du bist ein braver Junge! Jetzt ab in deine Tasche!«
Buddy blieb unbeweglich vor ihm auf dem Boden stehen und sah ihn mit seinen klugen Knopfaugen an.
»Na los, du verstehst doch, was ich von dir will. Was hast du denn bloß?«
Endlich setzte Buddy sich in Bewegung. Missmutig kletterte er aufs Bett, setzte sich neben die Reisetasche und starrte Jonas vorwurfsvoll an.
»Ja, ja, ich weiß. Es tut mir ja auch leid. Wir haben einen langen Flug hinter uns, und nun sollst du schon wieder in diese doofe enge Tasche. Aber bitte beeile dich jetzt, du hast ja keine Ahnung, wie viel es mich gekostet hat, ein Schiff zur Erde zu bekommen!«
Mit einem Seufzer, wie es schien, tat Buddy Jonas endlich den Gefallen und stieg in die kleine Mulde aus Wäsche. Die Unlust und die Missbilligung, die er ausstrahlte, waren so intensiv, dass Jonas laut lachen musste.
»Du tust gerade so, als wollte ich dich zum Schlachter bringen«, prustete er. »Warte nur, bis du die Erde siehst, du wirst sie lieben!«
Jonas erreichte pünktlich das Gate.
Es hätte schlimmer kommen können, dachte er, als er die Marad sah. Sie war eindeutig in die Jahre gekommen, wirkte aber gut gepflegt. Die Metallhülle des tropfenförmigen Schiffes schimmerte leicht bläulich, als wäre sie aus Rhodanium. An der Unterseite waren Wartungsdroiden am Werk, die den kleine Kreuzer mit Tritium versorgten.
Ein älterer Mann mit ungepflegten langen grauen Haaren und einem zerfurchten Gesicht sah Jonas misstrauisch entgegen.
»Bist du unser Passagier?«, fragte er.
Jonas nickte.
»Hast du Stress mit den Behörden?«
Jonas sah ihn erstaunt an. »Nein, wieso?«
»Gantor erzählte mir, dass du auf der Flucht bist. Und ich weiß immer gern, worauf ich mich einlasse.«
»Ich bin nicht auf der Flucht. Keine Ahnung, wieso er das denkt. Mit den Behörden ist alles bestens«, beteuerte Jonas. »Ich komme von der Peacemaker und habe Heimaturlaub. Darum möchte ich möglichst schnell zur Erde, das ist alles.«
Der Alte sah ihn prüfend an. »Du halbe Portion kommst von der Peacemaker? Machst du da die Toiletten sauber, oder was?«
Der Zorn stieg Jonas in den Kopf. »Nein«, sagte er, ohne nachzudenken, »ich bin Waffenoffizier!«
Der Alte nickte anerkennend. »Wichtige Funktion. Ich bin Kapitän Ahab. Willkommen an Bord!«
»Alister McGregor«, sagte Jonas. »Ich freue mich auf den Flug!«
Nachdem Jonas seine Taschen in der winzigen Kabine verstaut und Buddy aus seinem Gefängnis befreit hatte, betrat er das Passagierdeck und sah sich verstohlen um. Acht der zwölf Sitze waren belegt.
Links von ihm, in der mittleren Reihe, fiel ihm sofort eine Frau auf, deren wild zerzauste Haare in allen Regenbogenfarben schillerten. Sie trug eine verschlissene schwarze Robe, in der einzelne Goldfäden glänzten, und hielt einen Stapel Karten in der Hand, die sie murmelnd auf dem leeren Sitz neben sich auslegte. Hinter ihr saßen zwei adrett gekleidete junge Frauen, die anscheinend Zwillingsschwestern waren.
Daneben, auf der anderen Seite, ein vierschrötiger Typ am Gang, der Jonas wie ein Kopfgeldjäger vorkam – der schüchterne junge Mann neben ihm am Fenster war dann wohl sein Gefangener. Ein junges Ehepaar in der Reihe davor – die Frau trug ein schwarzes Kopftuch, der Mann hatte schwarze Haare und einen mächtigen schwarzen Schnurrbart. So stellte Jonas sich die Piraten vor.
Er beschloss, gleich in der ersten Reihe zu bleiben, und wählte den Platz am Fenster.
Höflich nickte er dem Mann auf der anderen Seite des Ganges zu, einem übergewichtigen Glatzkopf, der einen teuren Anzug trug, doch der wandte sich grußlos von ihm ab. Schon klar. Wer an Bord solch eines Schiffes reiste, schätzte Diskretion.
Jonas klinkte das altmodische Gurtzeug ein und wartete auf den Start. Ein sanftes Zittern ging durch das Schiff, als die Arbeitsdroiden begannen, es aus dem Hangar zu schleppen. Langsam fuhr das gewaltige Tor vor ihnen beiseite und gab den Blick auf den verhangenen Himmel über New Hope frei, der in einem unwirklichen Rosaton leuchtete. Ran selbst war nur als schwache Scheibe am Himmel auszumachen.
Nachdem die Droiden das Schiff an den Abflugpunkt gebracht hatten, liefen die Hydraulikpumpen an und hoben die Marad in die senkrechte Startposition. Nun lag Jonas mehr auf dem Rücken, als dass er saß. Plötzlich heulten die Triebwerke auf. Jonas fand es spannend; dies war sein erster Start mit einem planetenstarttauglichen Raumschiff, und das fühlte sich viel urtümlicher an, als mit den kleinen Shuttles abzuheben, die normalerweise für diesen Zweck verwendet wurden.
Ein Zittern ging durch das Schiff. Jonas wurde in seinen Sitz gepresst. Erst nur leicht, aber der Druck verstärkte sich schnell. Ihm wurde schwarz vor Augen, er bekam keine Luft mehr und fühlte sich, als würde ein Sumoringer auf seinem Schoß sitzen. Ein Keuchen neben ihm verriet, dass der Glatzkopf mit ähnlichen Problemen zu kämpfen hatte. Irgendwie fand Jonas den Gedanken tröstlich.
Allmählich wich der Druck wieder. Das Schiff hatte die nötige Geschwindigkeit erreicht. Der Sessel schwenkte in die Waagerechte zurück, und Jonas beugte sich zu dem kleinen Bullauge vor. New Hope lag jetzt unter ihnen und wurde schnell kleiner. Er atmete tief durch. So weit hatte alles ganz gut funktioniert. Wie es schien, meinte das Universum es gut mit ihm. Jonas schnallte sich los und machte sich auf den Weg zu seiner Kabine. Er war hundemüde und wollte nur noch schlafen.
Jonas schreckte hoch, als es an seiner Kabinentür klopfte. Gantor, der erste Offizier, streckte seinen Kopf hindurch. Er wirkte viel freundlicher als bei ihrer ersten Begegnung.
»Hey, Alister«, sagte er, »die Crew veranstaltet einen kleinen Umtrunk und würde sich freuen, wenn Sie dazukämen!«
Es dauerte einen Moment, bevor Jonas begriff, dass er gemeint war. Richtig, er reiste ja nun unter einem Pseudonym.
»Ist gut, ich komme«, krächzte er. »Meine Kehle ist wie ausgedörrt.«
Gantor lachte. »Dem werden wir bald abgeholfen haben!«
Als sie die kleine Messe betraten, wurde Jonas mit großem Hallo begrüßt. Er stellte fest, dass er der einzige Passagier war, der an dieser Runde teilnahm, und das machte ihn ein wenig stolz.
»Komm, Alister, trink mit uns!«, schallte es ihm entgegen. »Wir haben nicht oft das Glück, einen Offizier der Peacemaker bei uns begrüßen zu dürfen!«
Man reichte ihm ein Glas mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit, an der er vorsichtig schnüffelte. Ein stechender Alkoholgeruch biss ihm in die Nase.
»Komm schon, runter damit«, gröhlte ein junger Mann, der mit seinen blauen Augen und blonden Haaren wie eine germanische Gottheit wirkte. »Das ist Mezza, unser Spezialgetränk. Akina hat es selbst gebraut.« Er wies mit einer unsicheren Handbewegung auf eine ebenso junge Frau, die einen weißen Laborkittel trug.
»Was ist da drin?«, fragte Jonas misstrauisch, aber die Angesprochene lachte nur.
»Betriebsgeheimnis. Probier’s einfach!«
Jonas trank einen Schluck. Der Alkohol brannte in der Kehle und hinterließ eine angenehme Wärme. Er konnte ungewohnte, exotische Aromen ausmachen, es schmeckte nach Dschungel und etwas Metall. Gewöhnungsbedürftig, aber nicht schlecht.
Dann probierte er noch einmal und hatte plötzlich das Gefühl, dass sich die Aromen um ein Vielfaches verstärkt hatten; auch die Farbe des Getränkes wirkte nun intensiver, geradezu unnatürlich leuchtend. Er schnupperte daran. Die Gerüche schienen sich zu überschlagen. Mit einem großen Zug trank er das Glas leer. Das hier war definitiv das Köstlichste, was er je getrunken hatte. Die anderen lachten.
»Ja, das ist Mezza. Er wird mit jedem Schluck besser!«
Jonas ahnte, dass in diesem Gebräu nicht nur reichlich Alkohol, sondern bestimmt auch diverse synthetische Drogen steckten, aber heute Abend war es ihm egal. Er genoss es, anerkannt und beliebt zu sein, und als das Gespräch auf die Peacemaker kam, erzählte er nur allzu gern, was er wusste.
Er gab Anekdoten und Geschichten zum Besten, die ihn selbst verwunderten. Es waren abenteuerliche Mischungen aus selbst Erlebtem, aus Dingen, die er an Bord aufgeschnappt hatte, und Fantasien, die aus den Spielen seiner Kindheit stammten. Er fabulierte von geheimnisvollen fernen Planeten und gefährlichen Piratenangriffen, machte Andeutungen über geheime Weiterentwicklungen der Rhodanium-Laser, berichtete von wilden Raumschlachten und lustigen Begebenheiten im Maschinenraum. Und er war der Held aller seiner Geschichten. Er war Alister McGregor, Waffenoffizier an Bord der Peacemaker. Er hatte das Schiff mindestens fünf Mal vor dem Untergang bewahrt und allen Feinden das Fürchten gelehrt.
Er erzählte ohne einen Anflug von Zweifel daran, dass er diese Dinge tatsächlich genau so erlebt hatte. Sie fühlten sich so wahr an, wie etwas nur sein konnte.
Es war ein langer Abend, den Jonas genoss wie kaum einen anderen zuvor. Es war, als wären seine tiefsten Sehnsüchte endlich gestillt worden. So wie er es seinen staunenden Zuhörern aufgetischt hatte, so hätte sein Leben eigentlich verlaufen sollen.
Als er schließlich in seine Kabine wankte, fühlte er sich großartig. Die kleinen Ungeschicklichkeiten, die ihm dabei widerfuhren, störten ihn nicht weiter. Er schaffte es gerade noch, einen seiner Stiefel auszuziehen, dann fiel er ins Bett und versank in einen tiefen Schlaf.
Hätte er gewusst, wie er erwachen würde, hätte er die Stiefel anbehalten.
*****
Die Küchenfrauen von Evinin hatten wahre Wunder vollbracht. Liebevoll angerichtete Speisen drängten sich auf dem Büffettisch, der für die zurückgekehrten Helden vorbereitet worden war.
Musiker erfüllten den Raum mit dezenten Klängen. Bakur Khan und sein Wesir Alim saßen in der Mitte der langen, U-förmigen Tafel, rechts von ihnen Xator, zur Linken die Zerstörer-Kommandanten Hakan und Faris, denen damit eine besondere Auszeichnung zuteilwurde. Immer wieder wurden Lobreden angestimmt, auf ihr Wohl getrunken, Applaus gespendet.
Xator, der Hakan anfangs noch mit feindseligen Blicken bedacht hatte, war mittlerweile dazu übergegangen, ihn zu ignorieren. Stattdessen sonnte er sich in der Begeisterung der Anwesenden. Er hatte beschlossen, heute Abend seinen Triumph auszukosten und ihn sich nicht durch Zorn verderben zu lassen. Es würde andere Tage geben, an denen er Rache nehmen konnte, so viel war sicher, und die unruhigen Blicke, die der Kommandant der Amir ihm hin und wieder zuwarf, zeugten von dessen Wissen darum, dass Xator den strittigen Vorfall keinesfalls einfach vergessen würde.
Eine Gruppe Tänzerinnen trippelte in den Raum. Die Musiker reagierten auf sie, indem sie ein neues Stück begannen. Sie spielten nun eine stark rhythmische, von orientalischen Melodiefiguren durchzogene Weise; ein gelungener Mix aus zeitgenössischem und traditionellem Stil. Die Tänzerinnen wirbelten über das Parkett und fanden sich dabei immer wieder auf einer imaginären Linie wieder, die direkt auf den Khan und seine Ehrengäste zulief. Die Mischung aus Anmut, Akrobatik und Erotik in ihrem Tanz war elektrisierend. Schlagartig verstummten alle Gespräche, auch das anzügliche Johlen, das ihren Aufmarsch begleitet hatte.
Je näher die Gruppe dem Ehrentisch kam, desto gewagter wurden ihre Sprünge und Figuren; bis sie schließlich in einer menschlichen Pyramide den Tanz beendeten – die Tänzerin, die auf der Spitze stand, zauberte ein Tuch hervor, das das Wappen der Komanda zeigte, und wedelte damit. Frenetischer Applaus ertönte. Mit einem eleganten Salto rückwärts verließ die junge Frau ihre erhöhte Position und lief mit der wehenden Fahne an den Tischen entlang. Plötzlich hielten alle Tänzerinnen die gleichen Fahnen in ihren Händen und folgten ihrer Kollegin.
Xator sprang auf und hob sein Glas in die Höhe. »Ein Hoch auf diese wunderbare Darbietung«, brüllte er. Vielstimmige Hochrufe antworteten ihm. Selbst der Khan, der ihn dabei stirnrunzelnd ansah, erhob sein Glas.
»Danke für dieses wunderbare Fest!«, sagte Xator zu ihm, um seinen protokollarischen Fehler zu überspielen. Bakur nickte milde.
»Das habt ihr euch verdient«, sagte er und stieß mit seinem Ziehsohn an.
Die Gespräche schwollen wieder an. Die Musiker begannen ein populäres Stück zu spielen, und etliche erhoben sich, um zu tanzen.
Xator stellte sein Glas ab und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Im Vorbeigehen riefen ihm seine Männer anzügliche Bemerkungen zu. Sie übertrafen sich gegenseitig mit Anspielungen bezüglich Xator und den Tänzerinnen. Er tat, als überhörte er die Sprüche, zumal sie nicht ganz aus der Luft gegriffen waren, und trat hinaus, unter den strahlenden Sternenhimmel von Kyros. Die beiden Monde, Cavab und Liman, waren als schmale Sicheln zu sehen.
Xator atmete tief ein und blickte intensiv forschend gen Himmel, so als könnte er mit bloßen Augen das Treiben auf dem Raumhafen von Liman überwachen, doch dieser war nicht einmal ansatzweise sichtbar.
»Gratuliere zu deinem Sieg!« Träge wandte Xator sich der Stimme zu, die ihm von Kindesbeinen an vertraut war.
»Hallo, Raschad, mein Bruder, ich danke dir!«
Der schmale junge Mann im exklusiven Anzug war mehr als einen Kopf kleiner als er. »Es hat alles funktioniert, oder?«, fragte er aufgeregt.
»Ja, deine Gleichungen waren perfekt. Unser ungeregelter Hypersprung hat die Peacemaker total überrascht, und die Raumwellen des Sprunges haben sie außer Gefecht gesetzt, genau wie du es vorhergesagt hast.«
Raschad strahlte. »Du glaubst nicht, wie gerne ich dabei gewesen wäre!«
»Vielleicht ein anderes Mal. Hier auf Kyros bist du viel wertvoller für uns.«
»Das sagst du. Der Khan ist leider nicht so überzeugt von mir. Ich habe ihm gerade eine umfangreiche Wirtschaftsanalyse präsentiert, aber er wollte nichts davon wissen.«
»So, worum geht es denn?«
»Um die Kolonie. Wir könnten viel mehr erreichen, wenn wir enger mit ihnen zusammenarbeiten würden.«
»Mit diesen Heiden?«
»Für ihren Unglauben können sie nichts. Und außerdem spielt er für Wirtschaftsbeziehungen keine Rolle. Ich sage dir, wir vergeuden ein gewaltiges Potenzial!«
»Nun, wenn der Khan die Sache abgelehnt hat, lohnt es sich wohl kaum, weiter darüber zu diskutieren, nicht wahr?«
»Schon, aber …«
Xator knuffte ihn gegen die Schulter. »Hör schon auf. Wir sind heute Abend hier, um uns zu amüsieren, nicht um zu arbeiten. Hast du vielleicht gesehen, wohin die Tänzerinnen entschwunden sind?«
Raschad blickte betrübt auf seinen Handstock und warf Xator dann einen neidvollen Blick zu.
»Ja, habe ich. Du hast es vielleicht gut, Mann!«
*****
Kabuto Kobayashi schloss die Augen und genoss die wärmenden Strahlen der orangeroten Morgensonne von Kyros. Heute war ein wunderbarer Tag, der Himmel wolkenlos und leuchtend im strahlenden Blauviolett. Die Bienen aus den drei Stöcken neben dem Haus summten um die Wette und waren emsig damit beschäftigt, Pollen einzusammeln.
Kabuto hielt die Augen weiterhin geschlossen, ließ seinen Atem fließen und konzentrierte sich ganz auf die Geräusche, die er wahrnehmen konnte – das Plätschern des kleinen Baches, das zufriedene Gurren und Glucksen seiner Hühner, das melodische Klappern eines Windspiels, welches sich in der sanften Brise gelegentlich bewegte. Gerüche von Heilkräutern lagen in der Luft.
Bedächtig ging er ein paar Schritte, tastete mit seinen nackten Füßen nach dem Steinweg, der ihn in die Mitte des Gartens führte. Er zählte sieben flache Felsen, dann öffnete er die Augen. Vor ihm lag ein Meer aus kleinen grauen Kieseln, sorgfältig zu konzentrischen Kreisen geharkt. Sie umgaben ein steinernes Mal, das sein Vater einst dort aufgestellt hatte. Es war ein Ort der Kraft, der kosmischen Energie, die hier spürbar verstärkt wurde.
Kabuto verbeugte sich respektvoll vor der Macht des Universums und hielt einen Moment inne, um seinen Geist zu leeren, sich empfänglich zu machen für die Schwingungen, die diesen Ort durchfluteten. Dann umrundete er das Meer und erreichte die Beete mit den Heilkräutern. Vor dem Amachazuru-Busch hielt er inne. Er zog eine kleine silberne Sichel aus seinem Kimono, trennte damit einige Ranken des fünfblättrigen Blattgewächses ab und flocht sie zu einem lockeren Kranz.
Unsterblichkeitskraut. Sein Vater hatte diese Pflanze geliebt. Ihr Sud verfügte über eine beachtliche Heilwirkung.
Mit feierlichem Schritt, so als leite er eine unsichtbare Prozession an, wandte Kabuto sich dem Bach zu. Er überquerte die Holzbrücke, die sich in einem ruhigen Bogen über das plätschernde Wasser spannte, und gelangte schließlich an den Schrein – einen roten Miniaturtempel mit geschwungenem schwarzem Dach, der ein wenig abseits in einer stillen Ecke, fast schon am Rand des Gartens lag. Hoher Bambus schirmte den Ort vor neugierigen Blicken ab. Hier ließ Kabuto sich auf ein Knie sinken und legte den Kranz behutsam ab.