Kitabı oku: «Prozesspsychologie», sayfa 2
Die aktuellen Modelle und ihre Grenzen
Erster Kritikpunkt:
Veränderung wird nicht als Daueraufgabe gesehen
Unterzieht man die gängigen Vorstellungen von Veränderungen in Unternehmen und Organisationen einer genaueren Analyse, so fällt Folgendes auf: Die meisten Modelle gehen davon aus, dass die Zustände vor und nach einer Veränderung stabil sind. Veränderung stellt demnach eine Ausnahme dar, und so dienen theoretische und praktische Betrachtungen üblicherweise der Suche nach Handlungsstrategien unter den besonderen Umständen des Wandels. Viele Autoren verweisen bei der Thematisierung von Veränderungen auf Lewins Dreischritt »Auftauen – Verändern – Stabilisieren« – eine Vorstellung, die davon ausgeht, dass Strukturen mit dem Ziel der Veränderung zunächst gelockert, dann verändert und schließlich wieder »eingefroren« werden müssen. (Vgl. Lewin 1947; für eine ausführlichere Darstellung des Dreischritts siehe Kritsonis 2004, S. 1 f. oder Rechtien 1999, S. 161 ff.)
Aber ist dem tatsächlich so? Ist Veränderung nicht eher der Normalzustand, sind Organisationen nicht – zumindest über längere Zeiträume betrachtet – im Fluss? Ein Blick in die Wirtschaftsgeschichte zeigt, dass es keine dauerhaft erfolgreichen Strukturen gibt. Zwar gibt es immer wieder Rankings erfolgreicher oder gar bester Unternehmen, aber diese best practice ist zumeist nur von kurzer Dauer – zumindest gehören viele der Top-Unternehmen einige Jahre nach dem Zeitpunkt der Messung nicht mehr zur Spitzenkategorie (vgl. Chia & Holt 2011; Harford 2011). Organisationen erscheinen so als vorübergehend erfolgreiche Anpassungen an eine sich stetig verändernde Umwelt. Betrachtet man die Vorgänge in Organisationen als permanenten Entwicklungsprozess, so erscheinen Organisationen eher als Versuche, der dauernden Veränderung für eine Weile Einhalt zu gebieten und dem Status Quo Stabilität zu verleihen. Diese Sichtweise hat gravierende Konsequenzen für den Umgang mit Veränderungen: Während man nach dem herkömmlichen Verständnis ›Stabilität als Normalzustand / Wandel als Ausnahme‹ bewusst auf einen Zielzustand zusteuert und entsprechende Schritte einleitet, impliziert die Vorstellung ›Wandel als Normalzustand / Stabilität als Ausnahme‹ eher eine Lockerung der Zügel des Managements mit dem Ziel, den außerhalb sowieso stattfindenden Wandel auch innerhalb des Unternehmens zuzulassen. Anpassungen und Innovationen geschehen demnach – konsequent weitergedacht – gleichsam von selbst, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Um Veränderungen zum Gelingen zu verhelfen, erscheint die Aufgabe des Managements aus dieser Perspektive nicht als gezielte Steuerung, sondern eher als Zulassung und Gestaltung von Handlungsspielräumen. (Vgl. Chia 1999)
Zweiter Kritikpunkt: Die Realität besteht nicht nur aus Hierarchien, und Hierarchien sind nicht grundsätzlich schlecht
Nach Wimmer wurzelt das dem Organisationsentwicklungsansatz zugrunde liegende Denkmodell in den hierarchiekritischen Reformbewegungen nach dem zweiten Weltkrieg (vgl. Wimmer 2003, S. V). Alle mit dem OE-Ansatz verbundenen Theorien und Methoden würden – zumindest implizit – auf eine Verflachung und Kompensation der als Quelle organisationaler Defizite identifizierten Hierarchie abzielen. Nun sei die klassische Hierarchie nach wie vor anzutreffen, aber die Entwicklung habe in den vergangenen Jahrzehnten eine Reihe von neuen Organisationsformen hervorgebracht, die als eigenständige Varianten neben der Hierarchie stünden (vgl. Wimmer 2003, S. 22 f.). Aus diesem Blickwinkel erscheint die heutige Organisationsrealität nicht mehr primär hierarchisch, sondern heterogen und netzwerkartig. Von (a) nach wie vor randscharfen, hierarchischen Organisationen über (b) global agierende, bereits netzwerkartige Gebilde mit höchst unterschiedlich organisierten Teilbereichen bis hin zu (c) kleinen, nur mehr kernprägnanten und kaum Hierarchie bildenden Netzwerken einzelner Akteure stehen viele Organisationsmodelle nebeneinander (für die Unterscheidung zwischen »randscharfen« und »kernprägnanten« Organisationen s. Jung 2010). Sowohl die theoretischen Grundlagen als auch die Methoden des primär Hierarchie korrigierenden Organisationsentwicklungsansatzes seien konzeptionell auf diese Vielfalt – die sie selbst mit hervorzubringen geholfen haben – nicht vorbereitet und bedürften deshalb der Weiterentwicklung. Wimmer (2003, S. 28) bezweifelt allerdings, dass dies der »OE-Szene« gelingt.
Dritter Kritikpunkt: Die Organisationsentwicklung hat sich zu weit von der Betriebswirtschaft entfernt
Häufig wird eine betriebswirtschaftlich dominierte Fachberatungs- von einer auf den Veränderungsprozess selbst fokussierten Perspektive unterschieden. Diese Unterscheidung ist insofern zutreffend, als dass sich die beiden Perspektiven in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend getrennt voneinander entwickelt haben, sodass gegenwärtig von einer gewissen Unvereinbarkeit zwischen beiden ›Modellwelten‹ ausgegangen werden muss – betriebswirtschaftliche Modelle der Veränderung von Organisationen lassen sich nicht oder nur schwer mit Modellen aus dem Bereich der Organisationsentwicklung verbinden. Halek (2012, S. 86) meint, die Systemtheorie habe das Verständnis von Organisationsentwicklung regelrecht »erobert« und sei heute als die im deutschsprachigen Raum dominante Perspektive anzusehen. Dies sei insofern schwierig, als dass die Organisationsentwicklung dadurch die Verbindung zur betriebswirtschaftlichen Perspektive verloren habe. Für gelingende Veränderungen sei ein integrierender Ansatz notwendig. Es sei nicht hilfreich, wenn (systemische) Organisationsentwickler die Ursachen für das Scheitern von Veränderungen allein in der betriebswirtschaftlichen Denkweise suchten. Vielmehr seien Brücken notwendig.
Die Schwächen des gegenwärtig populären systemischen Beratungsverständnisses liegen aus unserer Sicht vor allem darin, dass spezifische Eigenheiten des Phänomens Organisation, wie etwa die Entstehungsgeschichte der jeweiligen Organisationskultur oder Fragen der Macht, nicht berücksichtigt werden. Des Weiteren ist das zu gering differenzierte Verständnis von Intervention anzuführen, etwa wenn Methoden der Familientherapie auf Teams und ganze Organisationen übertragen werden, ohne dass es dafür eine entsprechende theoretische Grundlage gibt (vgl. Kühl & Moldaschl 2010, S. 15 f.; siehe auch Moldaschl 2010, S. 281). Unseres Erachtens kommen systemische Denkweisen und Methoden – bei all ihren praktischen Stärken – an Grenzen, wenn es um Fragen der Bearbeitung von Konflikten geht, bei denen ausgeprägte unbewusste Dynamiken eine Rolle spielen. Gerade dann sind Instrumente wie Deutung oder Konfrontation oft hilfreicher als das – zuweilen blinde – Vertrauen in die Ressourcen der Organisation.
Was verstehen wir unter Prozesspsychologie?
Eine Untersuchung von Macy & Izumi (1993; hier dargestellt nach Nerdinger et al. 2008, S. 165) macht deutlich, welche Maßnahmen auf welcher Organisationsebene die stärksten Effekte haben:
• Wird die gesamte Organisation in die Veränderung einbezogen (Prozesse und Struktur), so hat dies den deutlichsten Einfluss auf betriebswirtschaftliche Ergebnisse.
• Teamentwicklung und andere Interventionen auf Gruppen- bzw. Abteilungsebene entfalten ihre stärkste Wirkung in Bezug auf das Verhalten der Mitarbeiter.
• Interveniert man auf individueller Ebene, bleibt dies meist ohne Effekt, sowohl in Bezug auf betriebswirtschaftliche Ergebnisse als auch in Bezug auf das Verhalten oder die Einstellung von Mitarbeitern. Selbst hoch spezifisch angepasste Maßnahmen erzielen nur eine geringe messbare Wirkung.
Diese Ergebnisse stehen im Gegensatz zu der in der Praxis häufig anzutreffenden Vermutung, auftretende Probleme seien in erster Linie an einzelnen Personen festzumachen. Dementsprechend werden Maßnahmen zur Behebung der Probleme zunächst auf der individuellen Ebene angesiedelt – und damit falsch verortet. In der Hoffnung, die Erweiterung von Kompetenzen trage zur Verbesserung bei, werden die betreffenden Mitarbeiter und Führungskräfte zu Schulungen oder Trainings geschickt. Der Transfer des dort Gelernten in die Unternehmenspraxis ist jedoch schwierig, weshalb solche Interventionen oft ergebnislos bleiben. Die Ursachen für den »Kurzschluss«, die Verantwortung für Problemlagen auf der individuellen Ebene zu suchen, liegen in der Unterschätzung des Einflusses, der von der Gruppen- und Organisationsebene ausgeht. Fehlerhaftes Verhalten ist mehr eine Frage des das Verhalten bedingenden Systems denn des handelnden Individuums (vgl. Zimbardo 2007, S. 208). Hinzu kommt, dass durch die Eigenheiten des menschlichen Denkens vielschichtige Problemlagen auf einzelne Ursachen bzw. Personen reduziert werden, wodurch die Lage handhabbarer und weniger komplex erscheint, es aber in keiner Weise ist (vgl. Dörner 2007). Organisationaler Wandel gelingt im Sinne der Verbesserung betriebswirtschaftlicher Ergebnisse insbesondere dann, wenn die gesamte Organisation in das Veränderungsvorhaben einbezogen wird (vgl. Macy & Izumi 1993). Stark vereinfachte Vorstellungen über die Steuerbarkeit von Wandel sind deshalb fehl am Platz. Mit Morgan (1997, S. 473 f.) plädieren wir deshalb dafür, die vielfältige Realität in Organisationen durch mehrere Perspektiven zu betrachten. Die vorhandenen Organisationsentwicklungsansätze – und unter diesen insbesondere der systemische als der gegenwärtig populärste – sind bei genauerer Betrachtung den gegenwärtigen Entwicklungen als Einzelmodelle nicht gewachsen. Es scheint uns geboten, die organisationsentwicklerischen – oder um einen aus unserer Sicht treffenderen Begriff zu verwenden: organisationsanalytischen – Konzepte und Methoden wieder stärker an die technisch-betriebswirtschaftliche Perspektive ›rückzubinden‹. Wir versuchen, dieser Maßgabe gerecht zu werden, indem wir unsere psychologisch fundierte und auf den Veränderungsprozess selbst orientierte Auffassung von Wandel mit Konzepten und Methoden des Prozessmanagements als technischbetriebswirtschaftlich orientiertem Denkmodell zur Veränderung bzw. Weiterentwicklung von Unternehmensabläufen verbinden.
Veränderungen sind keine Wechsel von einem Zustand in einen anderen, und sie tragen auch nicht den Charakter von Prozessmusterwechseln mit klarem Anfang und Ende. Vielmehr findet Entwicklung dauernd statt, und zwar im Sinne eines zukunftsoffenen Evolutionsprozesses. Innovationen folgen einem Muster aus bewussten Überlegungen einerseits und Trial and Error andererseits (vgl. Sennett 2008, S. 73). Erfolg kann kaum geplant werden (vgl. Chia & Holt 2011; Harford 2011), wenn er aber auftritt, dann wird er mittels Organisation dauerhaft und effizient gemacht. Veränderungen, insbesondere aber Innovationen, können demzufolge nicht im Sinne des Managementbegriffes gesteuert werden, denn Management setzt voraus, dass sich die anstehenden Aufgaben steuern lassen. Doch gerade in Situationen des Wandels wird deutlich: Management kann lediglich steuern bzw. optimieren, was es schon gibt (vgl. Hinterhuber 2007, S. 20 ff.). Die Ausgangssituationen, die den Einsatz von externen oder internen Veränderungs- bzw. Innovationsakteuren nahelegen, sind zu komplex, als dass man sie mit einfachen Modellen und einer gehörigen Portion Entscheidungsfreude zur Lösung führen könnte.
Unter ›Prozesspsychologie‹ verstehen wir einen Ansatz, der sowohl das Phänomen Organisation mit seinen menschlichen Faktoren als auch die organisationalen Abläufe selbst umfasst. Wir stellen dabei weniger auf Organisationsstrukturen ab, sondern vor allem auf Prozesse, indem wir
1. die Veränderung von Organisationen als zukunftsoffenen Entwicklungsprozess begreifen, und
2. Modelle zum Verständnis der menschlichen Faktoren in Veränderungsprozessen auf den drei Interventionsebenen Personal, Gruppe und Organisation zu einer prozessualen Innensicht von Veränderungen integrieren, um damit
3. die klassischen Prozessmanagementkonzepte um wichtige methodische Elemente zu erweitern mit dem Ziel, einen interdisziplinären Ansatz zu schaffen, der die organisationsentwicklerische und die betriebswirtschaftlichen Denkweisen einander annähert und so der komplexen Realität in vielen Unternehmen und Organisationen gerechter wird.
Darüber hinaus begreifen wir die Beziehungen zwischen Organisationsanalytikern bzw. -beratern und Organisationen bzw. Führungskräften als Prozess im Sinne Scheins (2010c): Es ist schlicht unmöglich, die Belange einer Organisation so zu verstehen, dass man mithilfe einiger Modelle ›richtige‹ Rezepte anwenden könnte. Vielmehr geht es darum, auf der Grundlage einer »helfenden Beziehung«, wie Schein (ebd.) das Verhältnis zwischen Beratern und den Akteuren in Organisationen genannt hat, den Entwicklungsprozess der Organisation konstruktiv zu begleiten.
Das vorliegende Buch befasst sich mit einer prozessualen Innensicht von Veränderungen. Diesen zunächst noch nicht näher definierten Begriff klären wir im Zuge unserer interdisziplinären Betrachtungen, wofür wir zunächst die möglichen Grundhaltungen bzw. Rollen von Organisationsberatern auf der Grundlage von Schein (2010c) darstellen (Kapitel 2), um dann brauchbare und praxiserprobte Konzepte aus den Perspektiven Organisationspsychologie und Organisationskultur (Kapitel 2) sowie Prozessmanagement (Kapitel 3) und Wissen (Kapitel 4) miteinander zu verbinden.
Was bisher beschrieben wurde, hat zwingend auch eine ethische Dimension (Kapitel 5). Auf der ›offiziellen‹ Ebene werden zumeist gute Absichten postuliert, auf der ›inoffiziellen‹ Ebene geht es aber – oftmals unbewusst – um Gewinnen oder Verlieren (Argyris 1999). Die Vermutung liegt nahe, dass es sich bei dieser Diskrepanz um evolutionäre Rudimente handelt, aber solche biologischen Erklärungsmodelle sind für die Praxis der Unternehmensveränderung kaum von Wert. Es geht vielmehr um die Frage, wie die ›inoffizielle‹ Ebene versteh- und verhandelbar gemacht werden kann, ohne dass Abwehrmechanismen (Lazar 2004, Mucchielli 1980) und defensive Routinen (Argyris 1985, 1999) doch wieder zu Kämpfen und Verzerrungen führen. Es soll deshalb hier auch um die Frage gehen, welche Konzepte, Haltungen und Methoden aus unternehmensethischer Sicht zu einer ›guten‹ – will heißen: im Interesse humanistischer Werte und einer nachhaltigen Entwicklung gelingenden – Beratung in Veränderungsprozessen beitragen. Beratung entfaltet ihre Wirkung durch bereits erwähnte helfende Beziehung zwischen Beratern und Führungskräften (Schein 2010c). Dabei kommt es vor allem auf die Werte und Überzeugungen auf beiden Seiten an. Insofern stellt die Ethik ein alle Dimensionen des prozesspsychologischen Ansatzes verbindendes Element und den Maßstab beraterischen Handelns dar.
Drei mögliche Wege zur Gestaltung von Veränderungen
Erstes Verständnis der Gestaltung von Veränderungen: Generalisierte Modelle
Viele Veränderungsexperten folgen mehr oder weniger komplexen Modellen ihrer jeweiligen Disziplin und wenden fertige ›Produkte‹ an. In der betriebswirtschaftlich dominierten Fachberatung ist es ausreichend, wenn der Kunde weiß, (a) welcher Natur sein Problem ist und (b) welches Beratungsfach, welche Methoden und welche Berater helfen. Problematisch wird es dann, wenn bei der Umsetzung von Vorhaben der Faktor Mensch zu wenig berücksichtigt wird bzw. die Vorstellungen über die Veränderbarkeit von Organisationen einschließlich ihrer menschlichen Systemanteile insgesamt zu einfach sind. Sobald generalistische Machbarkeitsillusionen am Werk sind, werden zu viele Aspekte der Situation vor Ort außer Acht gelassen, und der größte Teil der durchgeführten Maßnahmen bleibt ebenso teuer wie wirkungslos. Selbst aufwändige Anpassungen der jeweils verwendeten Modelle greifen zu kurz, weil die tiefer liegenden Funktionsmechanismen in den betreffenden Organisationen zumeist grundlegend andere sind als die vom jeweiligen Modell berücksichtigten.
Eindrucksvolle Beispiele dafür liefern fehlgeschlagene Reformvorhaben in der öffentlichen Verwaltung. Unter dem Begriff ›New Public Management bzw. ›Neues Steuerungsmodell‹ wurden in den vergangenen rund fünfzehn Jahren in vielen Behörden umfangreiche Veränderungen vorgenommen. Motor dieser Anstrengungen war hauptsächlich der Konsolidierungsdruck auf die öffentlichen Haushalte. Das vermeintlich wirksame Mittel sah man in der Übertragung betriebswirtschaftlicher Funktionsprinzipien auf die öffentliche Verwaltung. Mit dem Ziel, Verwaltung effizienter zu machen, wurde budgetiert und dezentralisiert. Heute lässt sich feststellen, dass diese Bemühungen im Kern gescheitert sind (vgl. Bogumil 2007, S. 39). Die Ursachen dafür sind im Konzept selbst zu suchen (vgl. Holtkamp 2007, S. 48) bzw. darin, dass die tiefer liegenden Funktionsprinzipien bzw. die Kultur in Verwaltungen eine grundlegend andere ist als in Unternehmen und betriebswirtschaftliche Instrumente daher nicht funktionieren können, ganz gleich wie gut sie an den Verwaltungskontext angepasst werden.
Zweites Verständnis der Gestaltung von Veränderungen: Fundierte Diagnosen und beteiligtenorientierte Interventionen
Andere Experten verabschieden sich von der Vorstellung der Steuerbarkeit und legen zunächst eine Organisationsdiagnose nahe, um auf dieser Grundlage gemeinsam mit den Akteuren im System Verbesserungsvorschläge zu entwickeln. Viele Ansätze aus den Bereichen der Organisationsentwicklung (vgl. Nerdinger et al. 2008, S. 160 ff. oder Bokler 2004, S. 115 ff.) und der systemischen Beratung (vgl. Ellebracht et al. 2009) folgen dieser Denkweise, wobei wir zugeben, hier ein sehr breites Spektrum mit einer großen methodischen Binnendifferenzierung zusammenzufassen. Ein prototypisches Verlaufsmodell bietet der Survey-Feedback-Ansatz (vgl. Kals 2006, S. 54). Viele Autoren grenzen dieses Beratungsverständnis von der betriebswirtschaftlich dominierten Fachberatung ab, indem sie den prozeduralen Aspekt der Vorgehensweise (Problemanalyse, Erarbeitung eines Soll-Zustands, Bestimmung von Maßnahmen zur Erreichung des Solls usw.) betonen. Im Unterschied zur reinen Fachberatung muss der Kunde wissen, dass er ein Problem hat, aber nicht zwingend wissen, welche Dimensionen es hat und wie damit umzugehen ist. Vorteil dieser Ansätze ist, dass bei richtiger Durchführung die Lösungen von den Akteuren im System selbst bzw. mit den Beratern gemeinsam erarbeitet werden. Die Schwäche dieser Ansätze ist, dass sie Grenzen haben, wenn die Probleme sehr tief liegen und es ›Probleme hinter den Problemen‹ gibt bzw. die Ursachen für Konflikte vollkommen unbewusst sind.
Drittes Verständnis der Gestaltung von Veränderungen: Nachhaltigkeit durch die Anerkennung nichtrationaler Faktoren und den Aufbau einer helfenden Beziehung
Die dritte Perspektive erkennt an, dass es gerade in sich verändernden Organisationen zahlreiche nichtrationale Faktoren gibt, die das Geschehen stark beeinflussen, sich aber mit den Modellen der ersten und zweiten Sichtweise nicht beschreiben lassen. Unternehmenslagen werden als so spezifisch und komplex angesehen, dass Veränderungen nur von innen, aus dem Prozess selbst heraus gelingen können. Nach dem Verständnis der ›Prozessberatung‹ (vgl. Schein 2010b, S. 37 ff.) kann ein Berater nicht wissen, was genau einer Organisation hilft, sondern er kann lediglich eine helfende Beziehung herstellen und einen Beratungsprozess gestalten. In dieser Grundannahme stimmt das hier beschriebene dritte Verständnis von Veränderungen mit der oben dargestellten zweiten (›systemischen‹) Perspektive überein. Der feine, aber gravierende Unterschied liegt in der Anerkennung des Einflusses unbewusster Prozesse auf das Geschehen in Organisationen (z.B. Abwehrmechanismen, Gruppendenken, Grundannahmen). Unsere Erfahrungen zeigen, dass das dritte Veränderungsverständnis zu nachhaltigeren Ergebnissen führt, obwohl der Prozess die Beteiligten weitaus mehr involviert und für sie unwägbarer bleibt. Zu den bekanntesten Denkmodellen dieser Orientierung gehören psychodynamische und organisationskulturelle Ansätze.
Fallbeispiel
Ein gründer- bzw. eignergeführtes Handelsunternehmen, das auf den Vertrieb von technischen Geräten für den Bereich Haus und Garten sowie auf Heimwerkerbedarf spezialisiert ist, blickt auf mehrere Jahrzehnte langsamen und ›organischen‹ Wachstums zurück. Bisher fußte der Handel auf dem klassischen Filialprinzip. Im Zuge eines Generationswechsels an der Spitze des Familienunternehmens (zwei Söhne übernehmen die Leitung von ihrem Vater) kommt es zu einer Neuorientierung. Man meint, der allgemeinen Verlagerung von Vertriebswegen ins Internet Rechnung tragen zu müssen und nutzt die Gelegenheit, etwa sechzig Prozent der Anteile an einem relativ jungen Online-Handelsunternehmen zu erwerben. Der Zukauf erfolgt, so erfahren wir später, eher auf eine zufällige Chance hin, denn als geplanter und entsprechend vorbereiteter Schritt. Bisherige Diskussionen, wie auf die Veränderung der Märkte zu reagieren sei, und die Akquisitionsmöglichkeit schienen gut zusammenzupassen, verfügte das zugekaufte Unternehmen doch über die notwendige Expertise im Online-Markt. Zunächst übernimmt einer der beiden Söhne die Geschäftsleitung im akquirierten Unternehmen, während der größte Teil der bisherigen Führungskräfte dort vorerst mit den angestammten Aufgabenbereichen betraut bleibt. Kurz nach der Übernahme verschlechtern sich die Ergebnisse, und es kommt zu erheblichen Konflikten auf der Führungsebene (Sitzungen werden kurzfristig abgesagt oder verschoben; die Kommunikationskanäle E-Mail und Telefon werden jeweils ›über Kreuz‹ benutzt, um sich dann gegenseitig vorzuwerfen, man tue alles, um den anderen zu erreichen, habe aber das Gefühl, die andere Partei wolle gar nicht erreichbar sein). In dieser Situation wendet sich einer der beiden Söhne (der das Stammunternehmen leitende Geschäftsführer) an uns. Nach den ersten Gesprächen stellt sich uns die Situation wie folgt dar:
[Das hier dargestellte Fallbeispiel wird am Ende der Kapitel ›Psychologie‹ (s. u. S. 57–61) und ›Prozess‹ (s. u. S. 97–103) eingehenden Betrachtungen aus der jeweiligen Perspektive unterzogen.]
Abb. 1: Darstellung der IST-Situation des Beratungsprozesses (© Heidig/Kleinert/Dralle/Vogt 2012)
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