Kitabı oku: «Der neue König von Mallorca», sayfa 2
›Ich war noch niemals in Marbella‹ und ›Es fährt ein Taxi nach Calla de Major‹.«
»Diese Titel kommen mir verdammt bekannt vor«, schwante Ernie nichts Gutes.
Aber Hugo zuckte nur mit den Schultern. Er wusste, dass sein kleines talentiertes Sternchen ohnehin keine Wahl hatte, aber das musste er ihm ja nicht gleich auf die Nase binden.
»Ernie, ich will dich trällern hören, wenn ich nachher wieder vorbeikomme. Wenn alles gutgeht, buche ich uns heute für einen wunderbaren Auftritt in der MegArena ein. Dann lässt du es krachen. Von da aus werden wir alles aufrollen.«
Ernie packte lustlos seinen Koffer aus und summte die neuen Songs. Der misslungene kleine Auftritt hatte ihn doch getroffen. Hugo wollte auch nicht die Adresse von Drews rausrücken. Wenigstens beobachten wollte er ihn mal heimlich, bevor er den alten König von Mallorca auf der Bühne treffen würde.
Nach dem Auspacken schaute er sich »Sturm der Liebe«, »Hanna« und »Marienhof« an. Danach empfing Ernie seinen Manager mit derart echter Schmalzigkeit, dass auch Hugo überzeugt war, Ernie habe nun den richtigen emotionalen Kontakt zu seiner Zielgruppe gefunden.
»Junge, das klingt so, wie es klingen muss, um die kleinen Muschis an die Downloads und CDs zu treiben. Nur wenn du richtig ankommst, wirst du der neue König von Mallorca. Und im Hilton wohnt es sich beschissen, glaub mir, ich wäre auch lieber in deiner Nähe. Aber was nimmt man nicht alles auf sich. Und jetzt der Knaller, wir treten noch nicht auf, aber beim nächsten Mal.«
»Was ist daran ein Knaller?«, fragte Ernie.
Hugo zeigte sich vorbereitet. »Wir bekommen beim nächsten Mal den dritten Auftritt. Nach uns Onkel Jürgen. Diesmal müssten wir anfangen. Danach Möhre und Mickie Krause. Nicht gut, die Masse ist noch nicht so gut drauf für dich. Old School. Alles zum richtigen Zeitpunkt.«
»Okay, dann warten wir eben noch die zwei Tage.«
Es klopfte an der Tür. Ohne dass die beiden etwas sagten, schob sich die Tür langsam auf. Ein junges Mädchen, mit Zöpfen, engen hippen Klamotten, sich üppig durch das T-Shirt wölbenden Brüsten und einem netten Lächeln erregten Ernies Interesse aufs Äußerste.
»Autogramme erst nach dem Auftritt«, versuchte Hugo möglichst clever zu reagieren, da er nicht wusste, wer die Fremde war und was sie wollte. Was er aber sofort begriff: Es drohte Gefahr, dass er schon bald nicht mehr die alleinige Herrschaft über Ernie besitzen würde; denn in der Tür stand etwas Besonderes.
*
Markus Müller und Dr. Ernst Stefest lernten inzwischen die Sitten der Ballermänner besser kennen. Kaum war der Touristenbomber in der Luft, kreisten die ersten Flaschen an Bord. Irgendjemand hatte die blonde Stewardess nach ihrem Vornamen gefragt, und die verriet unglücklicherweise auch noch, dass sie Uschi hieß. Das sollte ihr schon bald leidtun.
Die Stewardessen versuchten mit zwei Durchsagen, den vom Bordverpflegungsplan abweichenden Alkoholkonsum zu unterbinden, und wurden prompt mit Sprechchören auf ihre eigentliche Verpflichtungen verwiesen. Dreimal intonierte ein Grüppchen aus Oberhausen den Klassiker aller Kindergeburtstage: »Wir haben Hunger, Hunger, Hunger und gaaaaanz viel Durst, Durst, Durst …«, woraufhin der Rest der Passagiere sich lauthals einklinkte und die Stewardessen in tätige Resignation trieb.
Besonders Uschi hatte unter immer einfallsreicheren Rufen der Passagiere zu leiden: »Was trägt die Uschi unterm Rock? Das weiß nur der schärfste Bock!« zählte da noch zu den harmloseren Einfällen.
Unterdessen zerrte Uschis Kollegin gedemütigt ihren Getränkewagen in den Gang und zischte: »Nächsten Monat mach’ ich Schluss hier, Uschi. Mallorca ist ein Strafkommando. Ich fliege nicht acht Jahre um die Welt, um hier als Anheizerin im fliegenden Barbetrieb zu landen. Dann kann ich auch gleich in einer richtigen Nachtbar anfangen.«
»Übertreib nicht. Wir wollten ihnen das Trinken verbieten, und wir haben verloren, basta.«
»Die Worte einer weisen Blondine von Welt. Hauptsache, dir gefällt’s, Uschi, Muschi … Möchten Sie ein Getränk …?«
Stefest blätterte in seinen Unterlagen, während Müller leicht irritiert das Treiben an Bord beobachtete. Er bewunderte die Gelassenheit, mit der die Stewardessen trotz aller Obszönitäten der Passagiere ihren Job verrichteten. Gleichzeitig fiel sein Blick auf einen offensichtlich weiblichen Hinterkopf, der sich die ganze Zeit noch nicht bewegt hatte – als einziger. Die anderen bemühten sich nach Kräften, mit irgendjemandem auf Teufel komm raus in Kontakt zu kommen. Es sah beinahe so aus, als hätten sie panische Angst, nicht rechtzeitig den richtigen Trink oder Kopulationspartner zu erwischen.
Müller wollte herausfinden, wie die Frau aussah, die inmitten dieses Lärms völlig ungerührt dasaß. Aus reiner Neugierde wollte er am liebsten gleich nach vorn auf die Toilette gehen, um auf dem Rückweg das Gesicht dieser Frau zu sehen, aber vor der Klotür warteten bereits sieben Trinkfeste und sangen voller Inbrunst alte Seemannslieder: »… deine Heimat ist das Meer, deine Freunde sind die Steeerne …«
Stefest kommentierte diesen Auftritt belustigt: »Jetzt müsste sich der Kapitän mit einer Schiffsglocke melden, das wäre perfekte Animation.«
Müller dachte eher an ein Nebelhorn. Inzwischen grölte die Meute »Ein Leben laaaaaaaanngg«, als wäre die komplette Schalker Südkurve in diesem Flieger unterwegs.
»Ich stell’ mich ja ganz schön dusslig an!«, warf sich Müller im Stillen selbst vor. Wäre er Jupp aus der Kegelrunde, würde er einfach zu ihr hingehen und sagen: »Hi, ich bin das Double vom Brad Pitt.« Aber er konnte nicht aus seiner Haut – und Zeit, um vor dem Spiegel zu üben, war jetzt auch nicht mehr. Sollten die anderen ruhig ihre Anmache zelebrieren. Er war sicher, dass ihn der Feuerkopf interessierte – schließlich musste ja auch er etwas für seinen Hormonhaushalt tun –, und eine Rothaarige könnte ihn schon reizen. Vielleicht erst mal rein platonisch, obwohl es in dieser Gesellschaft kaum auffallen würde, wenn sich auch ein sexuelles Interesse ergäbe. Müller beschloss also, sein Interesse vorerst vom Kopf in den Bauch zu verlagern.
Stefest blickte, mit diversen Arbeitspapieren raschelnd, auf: »Mein lieber Markus, welches Produkt würdest du hier an Bord verkaufen, wenn du mit einem Bauchladen durch die Gänge ziehen …?«
Müller fiel ihm schon ins letzte Wort: »Alkohol, Buttons und Gummi-Gimmicks, die etwas mit Sex und Suff zu tun haben.« Stefest hielt anerkennend inne: »Alkohol in welcher Form?«
»Schnaps in kleinen Flaschen«, erklärte Müller nach kurzem Überlegen, »die die Form einer Palme haben, deren Wedel man abdrehen müsste, um an den Schluck ranzukommen. Und ab fünf Flaschen hat der Kunde genug Wedel, um sich einen kleinen Affen leisten zu können. Den bekommt er gratis. Natürlich gibt es viele verschiedene Affen zum Sammeln.«
Stefest nickte: »Das 101-Dalmatiner-Prinzip.«
»Ja, du entschuldigst mich kurz …« Markus wollte flüchten, er hatte keine Lust, auf dem Flug auch noch Prüfungen seines Verkaufstalents ablegen zu müssen. Und außerdem wollte er endlich herausfinden, wem diese rote Mähne gehörte.
Die WC-Schlange der Trinkerblasen hatte sich gerade auf zwei reduziert, als Markus sich dazustellte. Er blieb kurz stehen, sah um sich herum die in laute Gespräche vertieften Strohhüte eines Kegel-Klubs und entging einer bevorstehenden Kontaktaufnahme durch den dicken Spaßvogel vom Zoll nur mit einer radikalen Kehrtwende.
»Einfach zurückgehen, und ich kann ihr in die Augen sehen«, dachte Markus und hörte noch ein kräftiges »Eyyy« des stehen gelassenen Witzbolds, der in einem schwierigen Erinnerungsprozess gerade einen Blondinenwitz aus seinem Kurzzeitgedächtnis kramte und ihn jetzt nicht loswurde, nur weil dieser Typ einfach wieder umdrehte.
Markus kam dem rothaarigen Geheimnis näher und verlangsamte drastisch seine Schritte. Nein, es war aber auch wie verhext! Rotköpfchen kniete nun auf dem Sitz und unterhielt sich mit seinem Hintermann. Als Markus vorbeitippelte, drehte sie sich, mit dem Rücken zu Markus gekehrt, wieder nach vorne. Er setzte sich geplättet zu Stefest. Die ganze Zeit rührt sich die Frau nicht, und ausgerechnet jetzt musste sie sich umdrehen.
»Du musst einen Joker-Schnaps verkaufen«, knüpfte Stefest unvermittelt an seine Überlegungen von eben an. »Unter all den kleinen Flachmännern befindet sich immer ein Joker. Wer ihn durch Zufall erwischt, bekommt drei Fläschchen gratis.«
»Gute Idee«, erwiderte Markus matt. Sein Chef hakte nach: »Nerve ich dich?«
»Nein. So kann man das nicht sagen«, versuchte sich Markus herauszuwinden.
»Daran wirst du dich gewöhnen müssen. Ich bezahle dich auch dafür, dass du dich von mir nerven lässt. Mich wiederum nerven die Banker. Jeder von uns wird von irgendjemandem genervt. Und außerdem: Ein gutes Pils wird in sieben Minuten gezapft.«
Müller stöhnte innerlich. »In sieben Minuten wird ein Pils gezapft« war für seinen Chef die Grundweisheit aller professionellen Pilstrinker. Stefest hatte aus dem Pilszapfen einen Schöpfungsakt gemacht.
Die Maschine setzte zur Landung an. Markus Müller hoffte inständig, dass die beiden hinter ihm sitzenden und vor sich hingluckernden Sonnenbrillenträger, die während des gesamten Fluges kein Wort gesprochen hatten, die Landung ebenfalls mit geschlossener Ladeluke absolvieren würden.
Kapitel 3
Die erste Nacht
Das großräumige, marmorierte Flughafengebäude von Palma glich einem Heerlager versprengter Truppen von Touristen, die entweder auf ihre junge Reiseleiterin warteten, die sie auf dem Weg zum Hotel im Zubringerbus begleitete, oder die zum Taxi strömten, um möglichst schnell ihren Zielort zu erreichen.
Dr. Stefest schritt schnurstracks durch die Massen hindurch zum Zubringerbus. Gewitterwolken verdunkelten den Himmel. Es war schwül; dass die Wolken außer Dunkelheit vielleicht auch Regen bringen könnten, wurde rundum allerdings lautstark bezweifelt. Die Reisegruppe machte sich selber Mut. Nur noch ein Stündchen, und Bier- oder Schinkenstraße, MegaPark und MegArena lockten mit kühlen Bierchen und viel Stimmung. Stefest konnte das Bier schon auf seinen Lippen schmecken, auch wenn es nicht aus seiner eigenen Brauerei kam. Müller rannte bemüht hinter seinem Chef her und schaute sich die Touri-Massen genauer an.
»Alles potentielle Kunden für unseren Erlebnispark, Markus. Wahnsinn, diese Massen! Wie viel die trinken können!«
Müller stimmte zu, fühlte sich aber an einen ganz anderen Vergleich erinnert. Sein Studienfreund Herby pflegte beim Anblick eines Bernhardiners oder ähnlich großer Hunde immer zu sagen: »Schau dir diesen Köter an! Wie viel der wohl frisst und was der wohl für große Haufen scheißt!?«
Da Markus derartige Hinterlassenschaften, gleich welcher Größe und Art, zuwider waren, würde er sich nie einen Hund anschaffen. Aber Herby hatte recht und Dr. Stefest auch: Diese Menschenmassen wollten sich amüsieren, und für einen Großteil von ihnen bestand dieses Vergnügen aus 24-Stunden-Partys. Und wenn nur ein Bruchteil davon später in den Erlebnispark der Schippchen-Brauerei käme, hätte er einen sicheren Job.
Nach einer guten Viertelstunde gelangten auch die letzten Mitglieder der Reisegruppe unter infernalischem Gejohle und einem mit stets frischer Begeisterung vorgetragenem »Zicke Zacke, Zicke Zacke, hoi hoi hoi!!!!!« zum Bus. Die Reiseleiterin hakte die Namen ab und verabschiedete sich »Bis später!«, da sie für eine Kollegin noch eine zweite Reisegruppe betreuen müsse.
Stefest und Müller saßen auf den vordersten Plätzen schräg hinter dem Fahrer. Sie sahen voller Ungeduld, wie die letzten Fahrgäste zustiegen. Stefest sagte nichts, denn er lauschte aufmerksam dem Gespräch der beiden Busfahrer, die sich in ihren schon etwas betagten Bussen die Fuhre teilten. Der Brauereichef hatte lange kein Spanisch mehr gesprochen, aber er verstand trotzdem noch jedes Wort.
Miguel – das musste, wie Stefest herausbekam, ihr Busfahrer sein – schlug seinem Kollegen gerade eine kleine Wette vor. Er wollte mit ihm ein Wettrennen fahren. Es ging aber nicht darum, als Erster am Hotel anzukommen. Stefest traute seinen Ohren nicht. Die beiden Mallorquiner vereinbarten nichts anderes als eine Raserei auf der kurvenreichen Strecke, die nur einen Zweck erfüllen sollte: nämlich die angetrunkenen Touristen zum Kotzen zu bringen! »Wer am Ende in seinem Bus die sichtbarsten Spuren vorweisen kann, hat gewonnen. Der Verlierer muss beide Busse reinigen.« So lautete die Abmachung.
Stefest war baff. Das war unglaublich. Dagegen waren die kleinen Streiche der deutschen Ballermänner eine Erholungskur für Herzkranke. Aber jetzt etwas zu sagen wäre sinnlos gewesen. Außerdem gingen ihm einige Schreihälse aus dem Flugzeug mittlerweile selbst auf den Nerv. Erst singen, dann reihern – haha, schönes Motto, dachte Stefest und beschloss, sich einfach auf die Schussfahrt zu freuen. Und sein Marketingmann sah so aus, als ob auch er mit den Strapazen einer Kurvenraserei zurechtkommen würde. Stefest verschwendete also keinen weiteren Gedanken an seine Fürsorgepflicht als Arbeitgeber.
Als die Bustüren schlossen, drehte sich Markus um. Ganz hinten saß sie! Verdammt! In dem ganzen Trubel hatte er den Rotschopf völlig vergessen. Aber das musste sie sein. Bingo!
Sein Gespür hatte ihn nicht getäuscht. Diese Frau hatte was! Sie unterhielt sich gerade mit einem langen Dürren, dessen Sonnenbrille eine Nummer zu klein geraten war. Markus war beruhigt, der Typ hatte gegen ihn keine Chance. Ehe er sich die Frau noch näher anschauen konnte, warf ihn ein Ruck gegen seinen Chef.
»Was geht denn jetzt ab?«
Stefest grinste: »Halt dich lieber gut fest!«
Der Bus raste mit quietschenden Reifen in eine doppelte S-Kurve. Ein wildes Durcheinander und Poltern hinter den beiden Dienstreisenden von der Schippchen-Brauerei ließ darauf schließen, dass Personen, Gepäckstücke und Flaschen ihre Positionen von einem Moment zum anderen ruckartig veränderten. Miguel und seinen vorausfahrenden Kollegen berührte das anscheinend überhaupt nicht. Hilfeschreie und gestammeltes Touristenspanisch waren die letzten gesprochenen Reaktionen aus dem Passagierraum, die ihren Fahrer motivierten, die Kurven noch rasanter zu nehmen und auf gerader Strecke ein paar Überholmanöver zusätzlich zu riskieren.
Bei den Gästen meldete sich nun der im Flugzeug konsumierte Alkohol. Es begann ein hektisches Fingern nach den griffbereit liegenden Kotztüten. Als endlich die ersten röhrenden Laute zu hören waren, grinste Miguel siegessicher. Er hatte die Wette in seinen Augen offensichtlich schon so gut wie gewonnen.
Müller holte tief Luft. »Ernst, was ist das für eine Scheiße hier?«
»Kein Grund, ordinär zu werden, mein Lieber. Hahaha!«
Stefest lachte aus voller Kehle, während der Rest der Fahrgäste versuchte, seinen Mageninhalt in die viel zu kleinen Papiertüten zu kanalisieren; mindestens die Hälfte der Reisenden scheiterten, weil sie in ihrer Panik fieberhaft an den Tütenöffnungen herumrissen, ohne dass sich die aneinanderklebenden Enden auch nur einen Millimeter bewegten. Stefest überlegte, was er an Miguels Stelle getan hätte, um die Wette zu gewinnen: Genau! Die Kotztüten zukleben!
»Wie weit ist es noch?«, fragte Markus entnervt. Er wollte hier einfach nur noch raus.
»Lange kann’s nicht mehr dauern. In dem Tempo brauchen wir höchstens eine Viertelstunde bis Arenal. Wenn es dich beruhigt, Markus, so was habe ich auch noch nicht erlebt«, antwortete Stefest belustigt, der inzwischen ein neues Beobachtungsobjekt ausfindig gemacht hatte. Auch Müller schaute wie gebannt auf den Touristen, der mit gespielter Ruhe und aschfahlem Gesicht versuchte, das kleine Schiebefenster am oberen Teil des Busfensters – eigentlich mehr ein Luftloch – zu öffnen, um seine Fracht elegant an die frische Luft zu befördern. Er formte seine Lippen zu einem Kussmündchen, so dass ihm das eigentlich Unmögliche tatsächlich gelang. Stefest hätte fast Beifall geklatscht.
Im hinteren Teil des Busses allerdings überwältigte diese Meisterleistung eine bislang noch recht standfeste Frau; denn der Fahrtwind klatschte Kussmündchens geballte Ladung ans Fenster, direkt vor den Augen der Standfesten, die nun auch nicht mehr an sich halten konnte. Markus Müller hätte gern die Augen geschlossen, aber die Faszination des Schauspiels war zu groß.
Lichter … ein Hotel … der Bus bremst … Markus dachte nur noch in Fetzen.
Als der Bus schließlich vor der Bausünde aus den 1970er Jahren, die sich »Hotel Kakadu« nannte, zum Stehen kam, war Dr. Stefests Sportsgeist geweckt. Er wollte unbedingt wissen, ob Miguel als Sieger aus dem Rennen hervorgegangen war. Er musste sich allerdings beeilen, denn der Busfahrer hatte sich schnell verdrückt, um dem Zorn der Passagiere zu entgehen. Die wiederum waren jedoch derart entkräftet und von der Schwerkraft zerzaust, dass ihnen als einzige Bedrohung halbherzige Flüche über die Lippen kamen. Alle schworen sich insgeheim, auf dem Rückweg ein Taxi zum Flughafen zu nehmen. Jetzt wollten sie sich nur schnell erholen, literweise Sangria würde, nach der Logik der Hobby-Trinker, den etwas verstimmten Magen schnell wieder in Stimmung bringen. Schon im Foyer des Hotels stimmte der Kegelclub jedoch, zwar noch etwas gedämpft, aber doch unüberhörbar Schlachtrufe an: »Jetzt geht’s lohoos! Jetzt geht’s lohooos!«
Stefest eilte Miguel nach und bekam gerade noch mit, wie der Portier lachend als Schiedsrichter fungierte. Er hatte die Busse inspiziert und erklärte nun Miguel zum eindeutigen Sieger.
Während Markus Müller kurz darauf seinen Koffer an der Rezeption hinter seinem Chef abstellte, der seltsam beschäftigt tat, schwante ihm, dass dieses Schlitzohr Dr. Ernst Stefest mehr wusste, als er zugab, und offensichtlich sehr gut Spanisch verstand.
»Mich würde mal die ganze Geschichte interessieren«, hakte Markus nach, während beide ihre Zimmerschlüssel in Empfang nahmen. »Später. Das wäre jetzt zu lang«, ließ Stefest Markus abblitzen, »machen wir uns erst mal frisch. Neben Markus rummsten laut zwei Koffer zu Boden.
»Diese beiden Kamikaze-Fahrer sollte man zur Formel 1 schicken!«
Tatsächlich, der Rotschopf sprach zu ihm. Markus grinste verlegen, als er registrierte, zu welchem Reisegast diese Stimme gehörte.
»Dann müssten die aber nach jeder Runde die zerfetzten Strohballen auswechseln«, antwortete Markus, dem auf die Schnelle nichts Besseres einfiel. Aber die Frau lachte, noch dazu herzlich.
»Blauvogel, Nina Blauvogel.« Sie streckte ihm die Hand entgegen.
»Freut mich, Markus Müller«, sagte Markus und hielt die Hand des Rotschopfs etwas zu lange fest.
Sie lächelte ihn an, griff nach ihren Koffern und verabschiedete sich: »Wir sehen uns, okay?«
»Ganz bestimmt«, versuchte Markus möglichst cool zu wirken. Was ihm natürlich nicht gelang. Die Blauvogel verschwand im Lift.
*
Eine knappe halbe Stunde später klopfte es an seiner Zimmertür. Markus erhob sich vom Bett, auf dem er erst vor wenigen Minuten eingenickt sein musste. Dr. Stefest sah seine verschlafenen Augen, als er näher trat.
»Jetzt nur nicht den Fehler machen und länger als fünf Minuten schlafen, mein Lieber! Kurzschlaf bringt Kraft, nur Kurzschlaf«, dozierte er und testete mit einer Hand aus, ob Müllers Bett federte. Markus sah ihm interessiert dabei zu.
»Mein Vorteil Ihnen … entschuldige, dir gegenüber ist mein Bett. Das quietscht so penetrant, dass ich wohl Mühe haben werde, überhaupt einen Kurzschlaf hinzukriegen«, erklärte der Chef sein Tun und machte sich auf den Weg zur Dusche, um die sanitären Einrichtungen zu begutachten.
»Die Dusche ist ein Rinnsal«, kommentierte Markus, immer noch ein wenig träge, die Untersuchungen seines Chefs, »beim Duschen eben bin ich mir vorgekommen wie der Schlangenmensch von Kalkutta.«
Dr. Stefest verließ mit ernster Miene das Bad und setzte noch einen drauf: »Aus meiner Dusche kommt nicht nur wenig Wasser, sondern es kommt auch noch abwechselnd aus dem linken oder dem rechten Teil des Brausekopfes. Das muss man sich mal vorstellen! Übrigens, Markus, unsere Zimmer sind laut Hotelprospekt mit Fernsehanschluss.«
Markus schaute auf die Anschlussdose, die völlig kabellos in die Wand eingefügt war. »Na ja, von einem Fernsehgerät war ja auch nicht die Rede«, bemerkte er trocken.
*
Wenig später verließen Müller und Stefest gemeinsam das Hotel »Kakadu«. Die Strandpromenade war belebt wie am helllichten Tag. Auf der einen Seite rauschte das Meer, und zwischen den aufgestapelten Sonnenliegen und den Bastsonnenschirmen verloren sich noch ein paar Verliebte und Betrunkene. Die andere Seite der Promenade war hell erleuchtet von Läden, die bis Mitternacht geöffnet hatten, und natürlich von einer endlosen Reihe von Kneipen und Restaurants unterschiedlicher Aufmachung, die von einfachen Holzstehtischen bis zu gediegenen Sitzgelegenheiten mit rotem Teppich reichten.
Befand sich in den Kneipen der Alkohol- und Stimmungspegel um diese Zeit bereits auf höchstem Niveau, so wurden die gediegeneren Restaurants von Gästen besucht, die noch Gespräche miteinander führen konnten.
Es war kurz vor 22 Uhr, die Gewitterwolken hatten sich verzogen, der Himmel war sternenklar. Eine lauwarme, aber erfrischende Brise zog beiden Dienstreisenden in die Nasen. Die Uhren tickten hier anders, die Leute waren relaxt oder besoffen oder beides. Markus kamen in dieser Atmosphäre die ersten versöhnlichen Gedanken zu seinem Hawaii-Hemd.
Auf der Strandpromenade schaute sich sein Chef in den Verkaufsständen der fliegenden Händler um und dachte: Diesen Kitsch kann man mit Sicherheit nur nachts verkaufen, tagsüber würde man die Händler dafür verhaften! Als absoluten Höhepunkt seiner Inspektion empfand er das in deutscher Sprache abgefasste Werbeschild eines Mokkatässchenverkäufers: »Echte deutsche Porzellan von Ville, Roy und Bloch«.
Markus versuchte nach etwa 300 Metern verzweifelt, gut drei Dutzend Handzettel wieder loszuwerden. Junge, dynamische Leute sprachen ihn an: »Heute Abend Bernhard Brink und Nicki im ›Oberbayern‹, kostenloser Eintritt und T-Shirt!« Und um den Attraktionswert noch zu steigern, rief ein spanischer Kollege fünf Meter entfernt: »Heute Abend im ›Oberbayern‹: Nicki … Lauda.«
*
An den beiden Marktforschern lief irgendwann auch Ernie, jeden Flyer ablehnend, vorbei. Er suchte nach dieser tollen Frau, die sein Manager vorhin so rüde vertrieben hatte. Er ärgerte sich gewaltig. Denn ihm war klar, dass er unbedingt der nächste Lover dieser wunderbaren Tussi werden musste.
Wenige Schritte hinter ihm folgte allerdings jemand, der das um jeden Preis verhindern wollte. Hugo Schnaller schwante Übles. Was er jetzt überhaupt nicht gebrauchen konnte, waren dumme Kommentare und Zickereien einer Frau, die ihm irgendwie bekannt vorkam.
»Wenn das so weitergeht, muss ich noch einen Security-Mann organisieren, um diesen Schwachkopf unter Kontrolle zu halten«, murmelte er vor sich hin.
Plötzlich packte ihn eine Hand. »Wohnen Sie im ›Kakadu‹?«
»Nein, im ›Hilton‹«, antwortete Hugo genervt.
»Hugo? Hugo Schnaller, Mensch, du hier?«
Hugo blickte in ein Gesicht, an das er sich auf gar keinen Fall erinnern wollte.
»Boy Rack, das perfekte Double von Roy Black … Kannst du dich etwa nicht mehr an mich erinnern?«
»Das muss schon sehr lange her sein«, antwortete Hugo kühl und konnte sich nur zu gut erinnern.
»Du Sau schuldest mir noch zehntausend Mark.«
»Ich sage doch, schon sehr lange her.«
»Hugo Schnaller, die ganze Veranstaltung war ein Riesenerfolg. Der Geburtstag von Roy Black. Zweitausend Leute. Eintritt 30 Mark. Ich habe ein gutes Gedächtnis. Bist du eigentlich damals mit dem Hubschrauber abgehauen?«
Hugo nahm die Hand des Doubles von seiner Schulter. »Ich bin nicht abgehauen. Ich musste damals Vicky Leandros hinterherdüsen … die hatte einen Tobsuchtsanfall, weil irgendein Idiot von ihr verlangt hatte, ›Komm, Roy, wir fahr’n nach Lodz‹ zu singen.«
»Du lügst, Vicky war nicht da. Ich kann sie fragen. Ich habe die Nummer in meinem Handy.«
Hugo trat einen Schritt zurück. »Die gibt auch jedem ihre Nummer. Okay, Boy, lass uns ein anderes Mal weiter reden. Ich suche gerade jemand.«
»Genau wie ich. Aber ich habe dich gefunden«, beharrte Boy auf seinem Erfolg. »Und ich weiß jetzt auch, wo du wohnst. Also, sagen wir mal so: Ich bekomme bis morgen Mittag meine Kohle in Euro. Und sag jetzt bloß nicht, dass du keine hast. Im ›Hilton‹ wohnt man nicht umsonst. Und außerdem kannst du jederzeit deine Kreditkarte in Bewegung setzen. Denn ich werde pünktlich da sein. Und glaub nur nicht, ich weiche dir noch mal von der Seite.« Boy zeigte mit zwei gespreizten Fingern auf Hugos Augen. »Also, morgen Mittag.«
Hugo lief angewidert weiter. »Geldgieriger Sack«, murmelte er. Jetzt hatte er zwei Probleme zu viel. Er zückte sein iPhone und wählte eine Nummer.
»Ja, Hugo hier. Hier läuft was Lästiges rum. Ich bräuchte mal deine diskrete Hilfe. Wie viel? Ich löse mal meinen freien Gefallen ein. Schlagerhäschen Noonu. Ja, die sehe ich wieder, ich habe sogar ihre Handynummer. Die hoppelt auch ganz schnell für mich mal auf dem roten Hotelteppich. Also dann beweg dich. Morgen Mittag. Hilton.«
Hugo steckte das iPhone in seine Jackettasche. Er hatte die Schnauze voll, aber mit einer gewissen Unterstützung würde er ganz schnell schon wieder klare Verhältnisse herstellen. Zuerst war mal sein Ernie dran, der sich nicht an Probezeiten hielt.
Um Hugo herum floss das Bier in Strömen, und die Döner- und Hamburger-Buden verströmten das fettige Aroma, mit dem sie die ewig Hungrigen anlockten.
*
Von allen Seiten drückten nett lächelnde Jugendliche Markus laufend Ankündigungen von Disco-Nights, Striptease-Shows und Miss-Pobacke-Wahlen gleich drei- und vierfach in die Hand.
Stefest lehnte ebenso oft energisch ab und setzte seinen finstersten Blick auf, wenn auch nur ein Verteiler in seine Nähe kam.
»Schmeiß das Zeug in den nächsten Papierkorb«, riet er Müller professionell. Der sah weit und breit keinen Papierkorb und maulte: »Ich wette, hier gibt’s mehr Verteiler als Schmeißfliegen.« Stefest blickte auf Müllers Handzettel: »Ich wäre vorsichtig mit solchen Vergleichen. Du weißt doch, tausend Schmeißfliegen können nicht irren.« Müller ging mit festem Schritt auf einen offensichtlich Besoffenen los, drückte dem bis zum Scheitel Abgefüllten seine gesammelten Werbezettel in die Hand und sagte: »Ich komme in zwei Minuten zurück und hole mir alle wieder ab. Also aufpassen, nicht dass einer fehlt, nachher!«
»Aber …«, versuchte das im mittleren Alter vor sich hin trinkende Zufallsopfer einen Einwand zu formulieren.
Markus schnitt ihm scharf das Wort ab: »Kein Blatt darf verlorengehen, verstanden?!«
Das Opfer salutierte mit der freien Hand und wiederholte lallend: »Alllles klllllaar Schefff. Keinnnnn Blatt daffff velllloren gehhn. Vestannnnen.«
Markus eilte davon und verschwand im Promenadengewühl. Mit beachtlichem Tempo eilte Stefest in Richtung Bierstraße. Er hatte Durst. Müller holte ihn erst nach einer knappen Minute atemlos ein.
»Du hast ja einen Schritt am Leib …«
»Traut man so einem kleinen Dicken wie mir nicht zu, was? Ich hab’ einen Brand, das glaubst du gar nicht! Und wenn ich nicht bald was zum Löschen bekomme, artet das in einen Flächenbrand aus.«
»Das da vorn scheint diese Bierstraße zu sein«, bemühte sich Müller eilfertig um den Durst seines Chefs.
»Stell dir mal vor, du kommst jetzt an den Tresen, willst zwei Bier bestellen und dir versagt die Stimme«, merkte Stefest an und lachte dabei ein wenig hysterisch, während sie in die mit Leuchtreklame zweier deutscher Brauereien illuminierte Bierstraße einbogen. Ein Lichtermeer voller verheißungsvoller Angebote zum grenzenlosen Verzehr von Speisen und Getränken eröffnete sich ihren gierigen Blicken. Hier schien auf ein paar hundert Metern Straße die Leuchtreklame einer mittleren Kleinstadt montiert zu sein. Tresen an Tresen präsentierte sich jede Kneipe mindestens doppelt so groß wie zuhause in Deutschland. Ein Straßenzug als riesengroßer stimmungsvoller Ausschank. Dazwischen brutzelten Würste, Steaks und alle erdenklichen Fleischgerichte. Hier konnte man sich für Stunden oder Tage ins Schlaraffenland einkaufen. Wie in ganz Arenal war alles auf deutsche Besucher eingerichtet: Man sprach deutsch, man schrieb deutsch und man trank deutsches Bier.
Stefest suchte sofort Kontakt zum erstbesten Bierzapfer und öffnete die Hand, um sicherheitshalber gleich mal fünf Bier zu bestellen. Markus kam ihm lautstark zuvor. Stefest sah sich irritiert um.
»Nur für den Fall, dass dir die Stimme versagt – ich wollte nicht, dass du stammeln musst, Ernst«, versuchte sich Müller zu entschuldigen. Stefest grinste. »Na, ein bisschen müssen wir doch noch warten. In sieben Minuten wird das Pils gezapft.«
Am Nebentisch nahm man die eilige Bestellung aufmerksam zur Kenntnis. Ein stämmiger Junge aus dem Kohlenpott versuchte sie mit lauter Stimme zu provozieren: »Die sind ja am Verdursten. Ihr kommt wohl direkt aus der Wüste, was? Aus welcher Karawane seid ihr denn ausgebrochen?«
»Welches Kamel will das denn wissen?« Stefest fragte das fast beiläufig, während er sich den Schweiß von der Stirn wischte. Das Kamel hieß Georg und verstand Spaß. Als die beiden Neuen ihr Pils in einem Zug hinunterschütteten und Stefest nochmal das Gleiche und eine Runde für den Tisch der »Wüstenkamele« bestellte, gingen Markus’ sämtliche Berührungsängste im Gelächter unter. Er selbst wäre nie in der Lage gewesen, eine dermaßen schnoddrige Antwort einfach so einem unbekannten Angetrunkenen an den Kopf zu schmeißen. Das Risiko einer gewalttätigen Auseinandersetzung war ihm immer zu groß. Rhetorisch war Müller zwar fit, aber seine Muskelmasse hätte nie ausgereicht, um in einer Schlägerei Akzente zu setzen. An so etwas hatte er nur einmal in seinem Leben teilgenommen und dabei die Bekanntschaft mit einem mehrfach vorgetragenen klassischen Leberhaken gemacht. Danach mied er Volksfeste oder sonstige Feierlichkeiten, auf denen sich Zahnärzte bereits die Patienten der nächsten Woche ansehen konnten. Stefest nutzte eine Atempause, um festzustellen: »Du hast hoffentlich deine erste Lektion gelernt?«